SCHACHSPIEL - files.static-nzz.ch · Spielregeln des königlichen Spinis revolutionieren. Es bleibt...

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1>;AS SCHACHSPIEL Hegemoni e wanderung. Strukturwandel, Stilwandel Dr. Tarrasch In Moskau hat das Weltmeisterschaftsturnier statt- gefunden, welches die russische Schachhegemonie besiegelt hat. Seit dem Ende des ersten Weltkrieges haben die Russen die Spielführung (den Stil) des Schachspiels stark beeinflußt, aber einen Struktur- wandel (Aenderung de r Spielregeln) haben auch sie nicht durchgeführt. Gerade aus diesem Grunde lohnt es sich, einen Rückblick auf die Geschichte des Schachspiels zu merfen: Das ^königliche Spieh ist im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung in Indien entstanden, als Tschaturanga, das heißt das was der Einteilung des alten indischen Heeres in Elefanten, Kampfwagen, Reiterei und Fuß- volk entspricht. Es handelte sich also reinweg um die Darstellung einer Entscheidungsschlacht zwi- schen zwei Königen. Ah die Heere des Kalifen Omar um 650 Persien eroberten, lernten die Araber das Schach- spiel kennen, und die Kultur des Islam bemächtigte sich sei- ner mit wahrer Leidenschaft. Die Kombinatorik des Schachs ist dem Wesen der sogenannten Arabesken, so wie es Andreas Speiser in seinem Buche ^Theorie der Gruppen von endlicher Ordnung» charakterisiert, verwandt und sagt daher der «magischen» Phan- tasie der vorderasiatischen Kulturvölker ganz beson- ders zu, besonders nachdem das Spiel einen Struktur- wandel durchgemacht hatte, so daß sich schon eine Schachliteratur über Fragen der Theorie und über Probleme entwickeln konnte. Nur war die Dynamik der Figuren noch weit geringer als heute. Das Spiel also zähflüssiger und orientalisch «geduldiger». Nach 750 dringt das Schachspiel mit dem letzten Omajaden Abdurrhaman siegreich in Spanien vor, blüht mit der islamitischen Kultur in der iberischen Halbinsel und breitet sich auch im ganzen Bereich der entsprechenden christlichen Ritterkultur aus. König Alfons der Weise von Kastilien (1221 hat ein berühmtes tSchachzabelbuch» verfassen las- sen, das A. Steiger 1941 in der Schweiz heraus- gegeben hat, und aus dem die damaligen Spielregeln ersehen werden können. Um 1450, als im Ostmittelmcer die Vormacht an die Türken überging und auch in Spanien die islamitische Hochkultur zusammenbrach, ging die Schachhcgcmonic an die christlichen Spanier über, und zugleich standardisierte sich das Spiel sehr risch auf die noch heute galligen Regeln. Sowohl die <;Göttinger Handschrift» als auch das 1497 veröffent- lichte Schachiverk des Spaniers Lucena zeigen, daß in der Weh des christlichen Abendlandes keine Strukturänderung des Schachspiels mehr stattgefun- den hat. Die Schachgeschichte verzeichnet nur noch eine Wanderung der Schachhegemonie von Macht zu Macht und einen deutlichen Stilwandel der Spiel- führung. Am Hofe Philipps II. (1555 fanden be- rühmte Schachwettkämpfe statt, bei denen unter anderen Meistern der Priester Ruy Lopez aus Segura glänzte, nach dem noch heutzutage die tS/ianische Partie» benannt wird. Im Zeitalter Mazarins kann man von einer italie- nischen Schachhegemonie sprechen. Wie mit Diplo- maten, Architekten, Musikern und Fechtmeistern versorgte Italien die Kulturwelt auch mit Schach- virtuosen, die aber nur einem Publikum von Dilet- tanten mit einem Feuerwerk von Opferkombinatio- nen imponiert zu haben scheinen. Typisch ist Greco der Calabrese, dessen Werk wir besitzen. Seine Attacken setzen die Stümperhaftigkeit seiner Gegner voraus. Das 18. Jahrhundert, das Jahrhundert Law's, der Enzyklopädie, der Aufklärung und der Französischen Revolution ist auch im Schach ein französisches Jahrhundert. Die berühmten Persönlichkeiten jener Zeit, Friedrich de r Große, Moritz von Sachsen, Vol- taire, Rousseau, und auch noch Napoleon /., warm dem Schachspiel leidenschaftlich zugetan. A/u» schwelgte in machiavellistischen Kombinationen und in wilden Angriffen auf die Königsstellung des Geg- ners. Daneben über beherrschte der Komponist Andre Danican (aus der Musikerdynastie der Phili- dor) als wahrer erster Schach- i<; ellineislcr die ganze Epoche, In Paris, Potsdam und Lon- don deklassierte er alle Gegner. Daneben war er bahnbrechend in der kunst- gerechten Ittnicrttfülii iiiifi und im Endspiel. Veberdies hat erdas vergessene Blindspielen der Araber wieder entdeckt, indem er drei Partien ohne Ansicht des Brettes zu füh- ren und zu gewinnen irr- mochte. Auch nach dem TadePhilidors (London 1795) blieb die französisch r Schach- hegenoinie bis zum Jahre 18-10 weiter in Kraft. Der Nachfolger PhHidort, ein Gardeobersl namens De- schapellcs, rühmte lieh nach Jena und Auc.rsllldt, 'lull er allen Berlinern Spielern den Turin habe vorgaben können. Dies mag zum Teil an der schwarm mora- lischen Depression der preußischen Herren gelegen haben, denn uciiigr Jahrzehnte später geht ilvr Stern des Bresluuer Gymnasiallehrers Adolf Anderssen auf, den man für den prallten Otferkünstlcr allir Zeiten hält. Anderssen hat auch sehr schöne 'und schon moderne Probleme komponiert, und beim ersten Schachturnier, das bei Gelegenheit der ersten Welt- ausstellung 1851 in London »tuttfand, hat er glanz- voll den ersten Preis davongetragen, aber de n neuen Schaclistil, wie er dem herabkommenden Industrie- zeitalter entsprach, hat er nicht geprägt, vielmehr bezeichnenderweise das amerikanische Phänomen Paul Morphy ans Vew-Orleans (1837 WM), dessen kristallklare und rlcgunle Intellektualität dem litera- rischen Stil seines Landsmanns Edgar Elian Poe. E. Laskor entspricht. Im Gegensatz hiezu bleibt Anderssen ancien regime, Ritterlichkeit und Romantik. In den mir bekannten Geschichten des Schach- spiels wird leim Londoner Türmer von 1851 an- gedeutet, daß mit diesem Jahre ein neues Zeitalter im Schach angebrochen sei. Warum dem so ist, wird aber nicht genügend ausgeführt. Bis dahin war das Schachspiel immer noch wie im Mittelalter ein ritter- licher und zeitloser Zeitvertreib gewesen (bei dem es freilich oft hysterisch und schikanös genug zuging). Jetzt mit dem Turnier von 1851, bei dem Anderssen den englischen Vorkämpfer Staunton be- siegte, erfolgte der Anschluß des königlichen Spiels an den modernen Industrialismus. Es bildeten sich Equipen von Schachvirtuosen, die ähnlich wie Schauspielertruppen von Weltausstellung zu Welt- ausstellung und ton Luxusbad zu Luxusbad zu ziehen begannen. Die großen Turniere London 18S1 und 1862, Paris 1867, 187H, 1900 fanden an H eltausstellun- $en statt, Monte Carlo 1901, 1902, 1903, Ostende 1905, 1907, 1908, Karlsbad 1907, 1911, 1923 usw. zeigen deutlich, daß die Finanzierung des Schachlebens Jen Anschluß an den Kreislauf und den Stil des Indu- striezeitalters erzwungen hatte. Time is money. Im Industrialismus zeigt sich dies durch Fließband und Stechuhr, im Sport durch die Stoppuhr und im Schachspiel durch die Zeitbeschränkung. Freilich icar die Einführung beschränkter Bedenkzeit im Schachspiel an sich eine Notwendigkeit gewesen, weil im Zeitalter des Gentleman-Spiels einige mit eisernem Hintern oder mit sehr Mußezeit begabte Spieler eine Art von Zermürbungsstrategie ein- geführt hallen. Sie brüteten zwei und drei Stunden über einen Zug und hallen gewonnen, wenn der weniger ausdauernd* Gegner tot vom Stuhl gefallen war. Scherzweise nagte man von gewissen Partien, sie seien remis durch ewiges Nachdenken. Wenn man nun in Monte Carlo oder Baden-Baden Schaukämpfe zwischen Schachmeistern bot, so waren solche zeitlose Klink- tataren nicht zu gebrauchen. Es bleibt aber bestehen, daß die Gestaltung eines Kunst- werkes (und die schönsten Partien eines Anderssen, Stei- nitz, Morphy, Pillsbury, Ale- chin usw. sind durchaus als kleine Kunstwerke zu werten) der Stechuhr aufs heftigste widerstrebt. Und daher ist es M. Botwinnik den Schachmeistern hoch an- zurechnen, daß der zirkusartige Turnier-Wander- betrieb in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg durchaus nicht in virtuoser Pfuscherei entartet ist. Zum wesentlichen Teil ist das den beiden Haupt- vertretern der deutschen Scharhhegrmonir zwischen 1890 und 1914 zu verdanken: Weltmeister Dr.^ Emanuel Lasker aus Berlinchen in de r Mark Bran- denburg und Dr. Siegbert Tarrasch, einem Arzt aus Breslau. Besonders Dr. Tarrasch war ein Unikum' an Pedanterie und pseitdomathemali.icher Strenge. Man nannte ihn scherzhaft Praeceptor Germaniae, und obgleich selbst Jude, hat er geradezu den deut- schen Schach-Chauvinismus kreiert. Er betrachtete die Schachhegemonie als Rassenmerkmal des Bis- marckreiches und nahm es geradezu übel, wenn solche Meteore wie der Amerikaner Harry Nelson Pillsbury auftraten. Dafür wütete aber Tarrasch un- ermüdlich, damit im Schach der Gediegenheit und Strenge Genüge geschehe. In rastloser theoretische r Arbeit sollte die Partie so vorbereitet sein, daß sie hernach am Brett auch unter dem Damoklesschwert der Zeitnot tadellos durchgeführt werden konnte. Wenn die nachträgliche Analyse ergab, daß die Spieler eine oder mehrere Gewinnmöglichkeilen übersehen halten oder daß eine Gewinnkomhination nicht stichhaltig war, so galt die Partie als ent- teertet. Wir werden noch sehen, ttie sehr diesen Prinzip den Gepflogenheiten der heute vorherr- schenden russischen Meister widerspricht. Tarrasch und seine Schule suchten den Kiinsttverkcharaktrr der Schachpartie gegen das tindiistrialistische» Element der Zeitbeschränkung zu verteidigen, nährend man heute die ewig drohende Zeitnot zum bewußten und erlaubten Kampfmittel erhoben hat. Die deutsche Schachhegemonie brach mit de r Nierlerlage des Bismarckreiches im ersten Weltkriege, zusammen. Auch Weltmeister Dr. Emanuel lasker iviirde im Mai l1)?) in llavannu durch den Vertreter rlrr neuen Sachlichkeit im Schach, durch den Kuba- ner Capablanca, entthront. Dieser Stil, den der eiskalte Posilionsspielcr Capablanca als Weltmeister vertrat, setzte sich aber nicht durch. Vielmehr lebte sich im Schach die gleiche expressionistische Krise aus wie in der Kunst überhaupt. Hochbegabte osteuropäische Schach- meister, wie Richard Reti und Nimzowitsch, führten unter Auflösung des unter Turraschs Herrschaft er- starrten Eriilfnutigsdogmatismus eine thyper- moderne*, neuromantisch e Spielführung ein, dir sich abtr gleichfalls nicht durchsetzte, weil aus die- sem Kreise der Russe Bogoljubow und vor allem der Moskauer Offizier Alexander Alechin auf- tauchten, de r zunächst ein genialischer Schtlch-Dadaist zu sein schien, der dann aber bei überschäumender kombinatorischer Begabung im Sinne Anderssen: dennoch 1927 den ultru-korrcklcn Positionsspielen Capablanca in einem marnthomirtigen Weltmeister- schal Ishwtpf zu bodigen vermochte (6 zu 3 Gewinn- bei 25 Remisen!). Die Gesa mmieder läge Europas im zweiten Welt- kriege hat Westeuropa zu einer Art von schach- lichem Niemandsland gemacht. Die 'Equipen der Schachturniere im Sinne des ausgehenden 19. Jahr hunderts sind in ilia amerikanischen Spielbilder aus- gewandert, und drin gegenüber türmt sich (wie in der Machtpolitik) die Moskauer Schachhcgcinonic empor, Dia führenden Meister dieser russische!' Schule, mich dar gewaltig spielende Michael Botwin- nik, dem der alternde Praeceptor Germaniae Sieg- bert Tarrasch unjugendliche und phantasielos? Pedanterie vorwarf, sind sehr gründliche Kenner der Eröffnungsteile uml auch des Endspiel/!. Dazwischen hat abtr div Schuchgöltin Caissa, das Mittelspiel ge- tetti, und dir Zeitbeschränkung erlaubt es, die prak- tisch unendliche fülle der Mittelspiel-Verstrickungen dazu zu benutzen, um den Gegner in Zeitnot zu er- drosseln. Ohne Rücksicht auf absolute Korrektheit werden Konstellationen herbeigeführt* die soviel Bedenkzeit «/rrsJen», daß auch im Weltmeister- schaftsturnier die Partien immer wieder in Schnell- partien ausarten, bei denen es vor allem auf Schlag- fertigkeit ankommt, uie beim Kaffeehausstil, dm* Tarrasch so sehr verachtete. Dieser Stil der großen bolschewistischen Meister ist sehr bemerkenswert. Es scheint aber nicht, als wollten die volksdemokrO' tischen Meister darüber hinaus etwa Struktur und Spielregeln des königlichen Spinis revolutionieren. Es bleibt bei der Standardform des Schachs, uie sie lieh um das Jahr 1475 herausgebildet hat. furet Jacques Feyder Diese \t m-lir ist einer der bedeutendsten Meiner des franzoni »dir n Filmt gestorben. Jacques Feyder hat da« Alter \ on teehzig Jahren erreicht. Der Film, dem er sein Leiten gewidmet hat, denen Syntax rr begründen half, iit demnach tein Altersgenosse. Kr »clint irhrii'li in »einem gescheiten und »yni- palhitrhen Erinnerungsbuch *Le Cinema notre metier», daß «ich diese junge Kunst, wenn man an die litera Schweifen denke, erst im Säuglingsalter befinde. Er hat die technische Betörun g vieler Film- leute sarkastisch glossiert, er hat fiber die enorme «Tonnage <;lcr Träume» meditiert, welche aus den Ateliers in die Massen geworfen wird, hat mit Bitter- keit die kommerzielle Pranke des Film« konstatiert und zugegeben, daß die Maschinisten «.dieser Ver<; dauungsmasi liiiie des Universums>; oft nicht mehr Herr ihrer Apparate sind, sondern Getriebene, der Dämonie den Mechanischen Anheimgefallene. «Jouer avec lcs images, r'est joner a\rr le feu!» Und dorli /.engt gerade »ein Werk für die latente Großartigkeit der Filmkunst. Vielleicht war es die stele Erkenntnis der Cremen, welche seinem filmi- schen Pioniertum de n Schwung und auch die geistige Weite gewahrte. Auf alle Fille hat er als wichtigste Figur der ernten französischen Kilmrcnaissanee Mit- geholfen, aus dein eben noch belächelten «Chilbi- lauber» des hilmi künstlerische Möglichkeiten in locken, au denen ein Melles, ein Delluc «der ein Gance die ersten AnitöBe gegeben hatten. Er war nicht nur Regisseur. Ein Filmschaffender im höchsten Sinn des Wortes. Er hat alle Lehr- zeiten, jene de« Drehbuchs, des Schnitts, der Beleuch- tung, der Kamera, der Montage, durchgemacht. Als Schauspieler hat er debütirrt, als widerspenstiger Akteur, wie er rückblickend feststellt, der sich nie unterordnen konnte und darauf brannte, selbst Filme auszudenken und au verwirklichen. 1919 gelingt ihm der erste Film. Kin Beginn, der seihst filmische Ausmaße hat: ein bewährter Regis- seur erkrankt mitten in der Filmarbeit; dem jungen Feyder wird dir Fertigstellung an\ertraiit. Zufrieden- heit der Hersteller und des Publikums! Von dem Moment an bis 1910 trägt mindestens ein Film jährlich das Signet Jacques Feyders. Nie ein Ab- gleiten in die Routine, immer neues Basteln und Erproben eines andern Genres. Ks gibt Mißglückte* gewiß, doch immer geht etwas von der Persönlich- keit, vom innersten Anliegen eines bewegten Künstlers in das Werk ein. ,e Atlantici (1921) lenkt erstmall die Aufmerk- samkeit der Fachleute auf Feyder. Krstmals werden in. einem großen französischen Spielfilm wahre r.andsrhafti<;uufnahiiicn in Hülle und I lille verwendet. Aus den Trirklahoratorien der Studios zieht die Karawane in dir Sahara. Etwas Traumhaftes, Geheim- nisvolles schwebt Über diesrin Film, der allerdings nicht ohne Mängel ist. Dir greise Sarah Bernhardt läßt ihn sich geigen, und am linie der Vorführung meint die große Schauspielerin: «Qiiel dommage qu'o n n'ait pas invent«'- le cinema plus tot ... Quelle camere j'aiirais pu faire!» «Crainquchillf» (1922) verfilmt die ironische Erzählung von Anatole France. Hier spürt man schon deutlich den Willen zu einem spezifischen Filmstil. Ein Vorgänger des kinematographischen Realismus, der noch Triumphe feiern wird. Bereits goutieren die Kenner die Trouvaillen Feyders, seine Synibolliist und seinen treffenden Sinn für den Dekor. Der greise Anatole France läßt ihn sich zei- gen, und am Knde der Vorführung meint der große Schriftsteller: cje iie me souveimis vraiment pas qii'il y rül tant de choses dnns um nouvelle.'. «Visage s d'Eiifaiits» (1923) spieh im Wallis, (linie Stur, «linie. (Hon, ohne sensationelle Intrige er/älill l'eyder packend das Schicksal eines Men- schenkinde». Kolklore. landschaft und Bergbauern wirken mit, ohne daß eines dieser Elemente einen Sondereffekt des Pittoresken erhaschen wollte. Ein neues Filiiitrrraiu ist erschlossen. Das Kapital der Schlichtheit tragt seine Zinsen. Nennen wir noch «Nouveuux Messieurs» (1928), eine politiche Satire, welche nach einem mittel- mäßigen Theaterstück gedreht wurde, dank der eigenartigen und suggestiven Bildersprache Feyders indessen einen solchen Erfolg hatte, daß die Zen- sur intervenierte und das Kunstwerk beschnitt. Dann das unvermeidliche Engagement nach Hollywood. Der Europäer wird in die konformi- stische Kur genommen; seine Phantasie wird Im Büchsen abgefüllt, wird etikettiert und kanalisiert. Feyder kehrt nach fünf Jahren nach Parii zurück. Er hat trotz allem viel gelernt in den U.S. A. Unterdessen war der Sprechfilm aufgetaucht. Bei seiner Gebart vermeinte Feyder nicht, die Toten- glocke des Film« Unten zu horen, wie es andere taten. Im Gegenteil, er schöpfte ans dieser tech- nischen Innovation künstlerische Möglichkeiten. «Le Grand Jeu» (1933) lebt und bebt von «1er Magie der Stimmen: eine Frau, von der man nicht recht weiß, ob sie zwei sei, besitzt, was die phy- sische Arhnlichkeit ihrer beiden Erscheinungs- formen betrifft, völlige Übereinstimmung. Nur der Timbre der Stimme ist eindeutig verschieden. l'eyder bat nur wenig Zeit, lieh zu freuen über die neue Entdeckung. Neue Aufgabe n harren seiner. «I.a Kermesse henrique» (1936), um nur noch ein Brispirl herauszugreifen, läßt die flämische Ge- schichte des 17. Jahrhunderts aufleben. Dir Land- schäften und Visionen eines Breughel oder Hals bekommen ihre filmischen Entsprechungen. Feyder, ein gebürtiger Flame, erscheint als Nachfahre der allen Maler und der Er/.ähler seiner Heimat Er hat seinen Beruf geliebt. Er ging in ihm auf. Seine Memoiren, die der Filmfreund wie ein Stundenbuch au learn pflegi, legen gerade durch ihre Knappheit und die Finesse der seelischen Melodie Zeugnis ab von der filmischen Leidenschaft Feyders, einer Leidenschaft, die er mit seiner ( der Schauspielerin Francoise Rosay, teilte. Im schon erwähnten Erinnerungs- und Bekenntnis- buch schreibt er: «Franchise Rosay aime le cinema, et la camera le liii rend bieli.» Eine bezaubernd maliziöse und charmante Definition der Gattin, welche für die Grazie und die Delikate-.«- lies nun Verstorbenen spricht. Jacques Feyder hat die Rasclilrbigkeit des Films, das heißt seine Zeitgebundenheit schmerzlich ge- fühlt. Auf die materielle, fast tausendjährige Halt- barkeit des Filmstreifens anspielend, prägte er das fatalistische Paradoxon: «Wo ist denn der Chemiker, welcher das technische Mittel zur Lebensverlänge- rung dei Films erfinden wird?» Auch seine Filme werden kunin mehr in die Kinosäle ziehen. W iclitig Indessen Ist, «laß Feyder das ABO des Filius um einige wesentliche Lettern, um einige faszinierende Formeln bereichert hat. Solche Leistung aber ist nicht des Tags. Sie hat Anspruch auf Dauer und unier e Dunkhai keit. p /. Szenenbild aus Keimr.ise hiroiquc" , einem ihr bedeutendsten Filme Feyders Neue Zürcher Zeitung vom 30.05.1948

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1>;AS SCHACHSPIELHegemoni e wanderung. Strukturwandel, Stilwandel

Dr. Tarrasch

In Moskau hat das Weltmeisterschaftsturnier statt-gefunden, welches die russische Schachhegemonie

besiegelt hat. Seit dem Ende des ersten Weltkrieges

haben die Russen die Spielführung (den Stil) desSchachspiels stark beeinflußt, aber einen Struktur-wandel (Aenderung d er Spielregeln) haben auch sienicht durchgeführt. Gerade aus diesem Grunde lohntes sich, einen Rückblick auf die Geschichte desSchachspiels zu merfen:

Das ^königliche Spieh ist im 6. Jahrhundertunserer Zeitrechnung in Indien entstanden, alsTschaturanga, das heißt das was derEinteilung des alten indischen Heeres in Elefanten,

Kampfwagen, Reiterei und Fuß-volk entspricht. Es handelte sichalso reinweg um die Darstellung

einer Entscheidungsschlacht zwi-schen zwei Königen.

Ah die Heere des KalifenOmar um 650 Persien eroberten,

lernten die Araber das Schach-spiel kennen, und die Kulturdes Islam bemächtigte sich sei-ner mit wahrer Leidenschaft.Die Kombinatorik des Schachs

ist dem Wesen der sogenannten Arabesken, so wiees Andreas Speiser in seinem Buche ^Theorie derGruppen von endlicher Ordnung» charakterisiert,

verwandt und sagt daher der «magischen» Phan-tasie der vorderasiatischen Kulturvölker ganz beson-

ders zu, besonders nachdem das Spiel einen Struktur-wandel durchgemacht hatte, so daß sich schon eineSchachliteratur über Fragen der Theorie und überProbleme entwickeln konnte. Nur war die Dynamik

der Figuren noch weit geringer als heute. Das Spiel

also zähflüssiger und orientalisch «geduldiger».

Nach 750 dringt das Schachspiel mit dem letztenOmajaden Abdurrhaman siegreich in Spanien vor,

blüht mit der islamitischen Kultur in der iberischenHalbinsel und breitet sich auch im ganzen Bereichder entsprechenden christlichen Ritterkultur aus.König Alfons der Weise von Kastilien (1221hat ein berühmtes tSchachzabelbuch» verfassen las-sen, das A. Steiger 1941 in der Schweiz heraus-gegeben hat, und aus dem die damaligen Spielregeln

ersehen werden können.

Um 1450, als im Ostmittelmcer die Vormacht an

die Türken überging und auch in Spanien dieislamitische Hochkultur zusammenbrach, ging dieSchachhcgcmonic an die christlichen Spanier über,

und zugleich standardisierte sich das Spiel sehr rischauf die noch heute galligen Regeln. Sowohl die<;Göttinger Handschrift» als auch das 1497 veröffent-lichte Schachiverk des Spaniers Lucena zeigen, daß

in der Weh des christlichen Abendlandes keineStrukturänderung des Schachspiels mehr stattgefun-

den hat. Die Schachgeschichte verzeichnet nur nocheine Wanderung der Schachhegemonie von Machtzu Macht und einen deutlichen Stilwandel der Spiel-führung.

Am Hofe Philipps II. (1555 fanden be-

rühmte Schachwettkämpfe statt, bei denen unteranderen Meistern der Priester Ruy Lopez aus Segura

glänzte, nach dem noch heutzutage die tS/ianischePartie» benannt wird.

Im Zeitalter Mazarins kann man von einer italie-nischen Schachhegemonie sprechen. Wie mit Diplo-

maten, Architekten, Musikern und Fechtmeisternversorgte Italien die Kulturwelt auch mit Schach-virtuosen, die aber nur einem Publikum von Dilet-tanten mit einem Feuerwerk von Opferkombinatio-

nen imponiert zu haben scheinen. Typisch ist Grecoder Calabrese, dessen Werk wir besitzen. Seine

Attacken setzen die Stümperhaftigkeit seiner Gegner

voraus.

Das 18. Jahrhundert, das Jahrhundert Law's, derEnzyklopädie, der Aufklärung und der FranzösischenRevolution ist auch im Schach ein französischesJahrhundert. Die berühmten Persönlichkeiten jenerZeit, Friedrich d er Große, Moritz von Sachsen, Vol-taire, Rousseau, und auch noch Napoleon /., warmdem Schachspiel leidenschaftlich zugetan. A/u»schwelgte in machiavellistischen Kombinationen undin wilden Angriffen auf die Königsstellung des Geg-

ners. Daneben über beherrschte der Komponist

Andre Danican (aus derMusikerdynastie der Phili-dor) als wahrer erster Schach-i<; ellineislcr die ganze Epoche,

In Paris, Potsdam und Lon-don deklassierte er alleGegner. Daneben war erbahnbrechend in der kunst-gerechten Ittnicrttfülii iiiifi undim Endspiel. Veberdies haterdas vergessene Blindspielen

der Araber wieder entdeckt,

indem er drei Partien ohneAnsicht des Brettes zu füh-ren und zu gewinnen irr-mochte. Auch nach demTadePhilidors (London 1795)

blieb die französisch r Schach-hegenoinie bis zum Jahre 18-10 weiter in Kraft. DerNachfolger PhHidort, ein Gardeobersl namens De-schapellcs, rühmte lieh nach Jena und Auc.rsllldt, 'luller allen Berlinern Spielern den Turin habe vorgaben

können. Dies mag zum Teil an der schwarm mora-lischen Depression der preußischen Herren gelegen

haben, denn uciiigr Jahrzehnte später geht ilvr Sterndes Bresluuer Gymnasiallehrers Adolf Anderssen auf,

den man für den prallten Otferkünstlcr allir Zeitenhält. Anderssen hat auch sehr schöne 'und schonmoderne Probleme komponiert, und beim erstenSchachturnier, das bei Gelegenheit der ersten Welt-ausstellung 1851 in London »tuttfand, hat er glanz-

voll den ersten Preis davongetragen, aber d en neuenSchaclistil, wie er dem herabkommenden Industrie-zeitalter entsprach, hat er nicht geprägt, vielmehrbezeichnenderweise das amerikanische PhänomenPaul Morphy ans Vew-Orleans (1837WM), dessenkristallklare und rlcgunle Intellektualität dem litera-rischen Stil seines Landsmanns Edgar Elian Poe.

E. Laskor

entspricht. Im Gegensatz hiezu bleibt Anderssenancien regime, Ritterlichkeit und Romantik.

In den mir bekannten Geschichten des Schach-spiels wird leim Londoner Türmer von 1851 an-gedeutet, daß mit diesem Jahre ein neues Zeitalterim Schach angebrochen sei. Warum dem so ist, wirdaber nicht genügend ausgeführt. Bis dahin war dasSchachspiel immer noch wie im Mittelalter ein ritter-licher und zeitloser Zeitvertreib gewesen (bei demes freilich oft hysterisch und schikanös genugzuging). Jetzt mit dem Turnier von 1851, bei demAnderssen den englischen Vorkämpfer Staunton be-siegte, erfolgte der Anschluß des königlichen Spielsan den modernen Industrialismus. Es bildeten sichEquipen von Schachvirtuosen, die ähnlich wieSchauspielertruppen von Weltausstellung zu Welt-ausstellung und ton Luxusbad zu Luxusbad zu ziehenbegannen. Die großen Turniere London 18S1 und1862, Paris 1867, 187H, 1900 fanden an H eltausstellun-$en statt, Monte Carlo 1901, 1902, 1903, Ostende 1905,1907, 1908, Karlsbad 1907, 1911, 1923 usw. zeigendeutlich, daß die Finanzierung des Schachlebens JenAnschluß an den Kreislauf und den Stil des Indu-striezeitalters erzwungen hatte. Time is money. ImIndustrialismus zeigt sich dies durch Fließband undStechuhr, im Sport durch die Stoppuhr und imSchachspiel durch die Zeitbeschränkung. Freilichicar die Einführung beschränkter Bedenkzeit imSchachspiel an sich eine Notwendigkeit gewesen,weil im Zeitalter des Gentleman-Spiels einige miteisernem Hintern oder mit sehr Mußezeit begabteSpieler eine Art von Zermürbungsstrategie ein-geführt hallen. Sie brüteten zwei und drei Stundenüber einen Zug und hallen gewonnen, wenn derweniger ausdauernd* Gegner tot vom Stuhl gefallen

war. Scherzweise nagte man von gewissen Partien, sieseien remis durch ewiges Nachdenken. Wenn mannun in Monte Carlo oder Baden-Baden Schaukämpfe

zwischen Schachmeistern bot,so waren solche zeitlose Klink-tataren nicht zu gebrauchen.

Es bleibt aber bestehen, daßdie Gestaltung eines Kunst-werkes (und die schönstenPartien eines Anderssen, Stei-nitz, Morphy, Pillsbury, Ale-chin usw. sind durchaus alskleine Kunstwerke zu werten)der Stechuhr aufs heftigste

widerstrebt. Und daher ist es M. Botwinnikden Schachmeistern hoch an-zurechnen, daß der zirkusartige Turnier-Wander-betrieb in den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkriegdurchaus nicht in virtuoser Pfuscherei entartet ist.

Zum wesentlichen Teil ist das den beiden Haupt-

vertretern der deutschen Scharhhegrmonir zwischen1890 und 1914 zu verdanken: Weltmeister Dr.^Emanuel Lasker aus Berlinchen in d er Mark Bran-denburg und Dr. Siegbert Tarrasch, einem Arzt ausBreslau. Besonders Dr. Tarrasch war ein Unikum'an Pedanterie und pseitdomathemali.icher Strenge.

Man nannte ihn scherzhaft Praeceptor Germaniae,und obgleich selbst Jude, hat er geradezu den deut-schen Schach-Chauvinismus kreiert. Er betrachtetedie Schachhegemonie als Rassenmerkmal des Bis-marckreiches und nahm es geradezu übel, wennsolche Meteore wie der Amerikaner Harry NelsonPillsbury auftraten. Dafür wütete aber Tarrasch un-ermüdlich, damit im Schach der Gediegenheit undStrenge Genüge geschehe. In rastloser theoretischerArbeit sollte die Partie so vorbereitet sein, daß siehernach am Brett auch unter dem Damoklesschwertder Zeitnot tadellos durchgeführt werden konnte.Wenn die nachträgliche Analyse ergab, daß dieSpieler eine oder mehrere Gewinnmöglichkeilen

übersehen halten oder daß eine Gewinnkomhinationnicht stichhaltig war, so galt die Partie als ent-teertet. Wir werden noch sehen, ttie sehr diesenPrinzip den Gepflogenheiten der heute vorherr-schenden russischen Meister widerspricht. Tarraschund seine Schule suchten den Kiinsttverkcharaktrrder Schachpartie gegen das tindiistrialistische»Element der Zeitbeschränkung zu verteidigen,

nährend man heute die ewig drohende Zeitnot zumbewußten und erlaubten Kampfmittel erhoben hat.

Die deutsche Schachhegemonie brach mit d erNierlerlage des Bismarckreiches im ersten Weltkriege,

zusammen. Auch Weltmeister Dr. Emanuel laskeriviirde im Mai l1)?) in llavannu durch den Vertreterrlrr neuen Sachlichkeit im Schach, durch den Kuba-ner Capablanca, entthront.

Dieser Stil, den der eiskalte PosilionsspielcrCapablanca als Weltmeister vertrat, setzte sich abernicht durch. Vielmehr lebte sich im Schach diegleiche expressionistische Krise aus wie in der Kunstüberhaupt. Hochbegabte osteuropäische Schach-meister, wie Richard Reti und Nimzowitsch, führtenunter Auflösung des unter Turraschs Herrschaft er-starrten Eriilfnutigsdogmatismus eine thyper-moderne*, neuromantische Spielführung ein, dirsich abtr gleichfalls nicht durchsetzte, weil aus die-sem Kreise der Russe Bogoljubow und vor allemder Moskauer Offizier Alexander Alechin auf-tauchten, d er zunächst ein genialischer Schtlch-Dadaistzu sein schien, der dann aber bei überschäumenderkombinatorischer Begabung im Sinne Anderssen:dennoch 1927 den ultru-korrcklcn PositionsspielenCapablanca in einem marnthomirtigen Weltmeister-schal Ishwtpf zu bodigen vermochte (6 zu 3 Gewinn-bei 25 Remisen!).

Die Gesa m mieder läge Europas im zweiten Welt-kriege hat Westeuropa zu einer Art von schach-lichem Niemandsland gemacht. Die 'Equipen derSchachturniere im Sinne des ausgehenden 19. Jahrhunderts sind in ilia amerikanischen Spielbilder aus-gewandert, und drin gegenüber türmt sich (wie inder Machtpolitik) die Moskauer Schachhcgcinonicempor, Dia führenden Meister dieser russische!'Schule, mich dar gewaltig spielende Michael Botwin-nik, dem der alternde Praeceptor Germaniae Sieg-

bert Tarrasch unjugendliche und phantasielos?

Pedanterie vorwarf, sind sehr gründliche Kenner derEröffnungsteile uml auch des Endspiel/!. Dazwischenhat abtr div Schuchgöltin Caissa, das Mittelspiel ge-

tetti, und dir Zeitbeschränkung erlaubt es, die prak-

tisch unendliche fülle der Mittelspiel-Verstrickungen

dazu zu benutzen, um den Gegner in Zeitnot zu er-drosseln. Ohne Rücksicht auf absolute Korrektheitwerden Konstellationen herbeigeführt* die sovielBedenkzeit «/rrsJen», daß auch im Weltmeister-schaftsturnier die Partien immer wieder in Schnell-partien ausarten, bei denen es vor allem auf Schlag-

fertigkeit ankommt, uie beim Kaffeehausstil, dm*Tarrasch so sehr verachtete. Dieser Stil der großen

bolschewistischen Meister ist sehr bemerkenswert.Es scheint aber nicht, als wollten die volksdemokrO'tischen Meister darüber hinaus etwa Struktur undSpielregeln des königlichen Spinis revolutionieren.Es bleibt bei der Standardform des Schachs, uie sielieh um das Jahr 1475 herausgebildet hat. furet

Jacques Feyder

Diese \t m-lir ist einer der bedeutendsten Meinerdes franzoni »dirn Filmt gestorben. Jacques Feyder

hat da« Alter \ on teehzig Jahren erreicht. Der Film,dem er sein Leiten gewidmet hat, denen Syntax rrbegründen half, iit demnach tein Altersgenosse. Kr»clint irhrii'li in »einem gescheiten und »yni-palhitrhen Erinnerungsbuch *Le Cinema notremetier», daß «ich diese junge Kunst, wenn man andie litera Schweifen denke, erst im Säuglingsalter

befinde. Er hat die technische Betörung vieler Film-leute sarkastisch glossiert, er hat fiber die enorme«Tonnage <;lcr Träume» meditiert, welche aus denAteliers in die Massen geworfen wird, hat mit Bitter-keit die kommerzielle Pranke des Film« konstatiertund zugegeben, daß die Maschinisten «.dieser Ver<;

dauungsmasi liiiie des Universums>; oft nicht mehrHerr ihrer Apparate sind, sondern Getriebene, derDämonie den Mechanischen Anheimgefallene. «Joueravec lcs images, r'est joner a\rr le feu!»

Und dorli /.engt gerade »ein Werk für die latenteGroßartigkeit der Filmkunst. Vielleicht war es diestele Erkenntnis der Cremen, welche seinem filmi-schen Pioniertum d en Schwung und auch die geistige

Weite gewahrte. Auf alle Fille hat er als wichtigsteFigur der ernten französischen Kilmrcnaissanee Mit-geholfen, aus dein eben noch belächelten «Chilbi-lauber» des hilmi künstlerische Möglichkeiten inlocken, au denen ein Melles, ein Delluc «der einGance die ersten AnitöBe gegeben hatten.

Er war nicht nur Regisseur. Ein Filmschaffenderim höchsten Sinn des Wortes. Er hat alle Lehr-zeiten, jene de« Drehbuchs, des Schnitts, der Beleuch-tung, der Kamera, der Montage, durchgemacht. AlsSchauspieler hat er debütirrt, als widerspenstigerAkteur, wie er rückblickend feststellt, der sich nieunterordnen konnte und darauf brannte, selbstFilme auszudenken und au verwirklichen.

1919 gelingt ihm der erste Film. Kin Beginn, derseihst filmische Ausmaße hat: ein bewährter Regis-

seur erkrankt mitten in der Filmarbeit; dem jungenFeyder wird dir Fertigstellung an\ertraiit. Zufrieden-heit der Hersteller und des Publikums! Von demMoment an bis 1910 trägt mindestens ein Filmjährlich das Signet Jacques Feyders. Nie ein Ab-gleiten in die Routine, immer neues Basteln undErproben eines andern Genres. Ks gibt Mißglückte*gewiß, doch immer geht etwas von der Persönlich-keit, vom innersten Anliegen eines bewegten

Künstlers in das Werk ein.,e Atlantici >;

(1921) lenkt erstmall die Aufmerk-samkeit der Fachleute auf Feyder. Krstmals werdenin. einem großen französischen Spielfilm wahrer.andsrhafti<;uufnahiiicn in Hülle und I lille verwendet.Aus den Trirklahoratorien der Studios zieht dieKarawane in dir Sahara. Etwas Traumhaftes, Geheim-nisvolles schwebt Über diesrin Film, der allerdings

nicht ohne Mängel ist. Dir greise Sarah Bernhardtläßt ihn sich geigen, und am linie der Vorführung

meint die große Schauspielerin: «Qiiel dommageq u ' on n'ait pas invent«'- le cinema plus tot . . . Quellecamere j'aiirais pu faire!»

«Crainquchillf» (1922) verfilmt die ironischeErzählung von Anatole France. Hier spürt manschon deutlich den Willen zu einem spezifischen

Filmstil. Ein Vorgänger des kinematographischenRealismus, der noch Triumphe feiern wird. Bereitsgoutieren die Kenner die Trouvaillen Feyders, seineSynibolliist und seinen treffenden Sinn für denDekor. Der greise Anatole France läßt ihn sich zei-gen, und am Knde der Vorführung meint der große

Schriftsteller: cje iie me souveimis vraiment pasqii'il y rül tant de choses dnns um nouvelle.'.

«Visages d'Eiifaiits» (1923) spieh im Wallis,(linie Stur, «linie. (Hon, ohne sensationelle Intrigeer/älill l'eyder packend das Schicksal eines Men-schenkinde». Kolklore. landschaft und Bergbauern

wirken mit, ohne daß eines dieser Elemente einenSondereffekt des Pittoresken erhaschen wollte. Einneues Filiiitrrraiu ist erschlossen. Das Kapital derSchlichtheit tragt seine Zinsen.

Nennen wir noch «Nouveuux Messieurs» (1928),

eine politiche Satire, welche nach einem mittel-mäßigen Theaterstück gedreht wurde, dank dereigenartigen und suggestiven Bildersprache Feyders

indessen einen solchen Erfolg hatte, daß die Zen-sur intervenierte und das Kunstwerk beschnitt.

Dann das unvermeidliche Engagement nachHollywood. Der Europäer wird in die konformi-stische Kur genommen; seine Phantasie wird Im

Büchsen abgefüllt, wird etikettiert und kanalisiert.Feyder kehrt nach fünf Jahren nach Parii zurück.Er hat trotz allem viel gelernt in den U.S. A.

Unterdessen war der Sprechfilm aufgetaucht. Beiseiner Gebart vermeinte Feyder nicht, die Toten-glocke des Film« Unten zu horen, wie es andere

taten. Im Gegenteil, er schöpfte ans dieser tech-

nischen Innovation künstlerische Möglichkeiten.

«Le Grand Jeu» (1933) lebt und bebt von «1erMagie der Stimmen: eine Frau, von der man nichtrecht weiß, ob sie zwei sei, besitzt, was die phy-

sische Arhnlichkeit ihrer beiden Erscheinungs-

formen betrifft, völlige Übereinstimmung. Nur derTimbre der Stimme ist eindeutig verschieden.

l'eyder bat nur wenig Zeit, lieh zu freuen überdie neue Entdeckung. Neue Aufgaben harren seiner.«I.a Kermesse henrique» (1936), um nur noch einBrispirl herauszugreifen, läßt die flämische Ge-schichte des 17. Jahrhunderts aufleben. Dir Land-schäften und Visionen eines Breughel oder Halsbekommen ihre filmischen Entsprechungen. Feyder,

ein gebürtiger Flame, erscheint als Nachfahre derallen Maler und der Er/.ähler seiner Heimat

Er hat seinen Beruf geliebt. Er ging in ihm auf.Seine Memoiren, die der Filmfreund wie einStundenbuch au learn pflegi, legen gerade durchihre Knappheit und die Finesse der seelischenMelodie Zeugnis ab von der filmischen LeidenschaftFeyders, einer Leidenschaft, die er mit seiner( der Schauspielerin Francoise Rosay, teilte.Im schon erwähnten Erinnerungs- und Bekenntnis-buch schreibt er: «Franchise Rosay aime le cinema,

et la camera le liii rend bieli.» Eine bezauberndmaliziöse und charmante Definition der Gattin,

welche für die Grazie und die Delikate-.«- lies nunVerstorbenen spricht.

Jacques Feyder hat die Rasclilrbigkeit des Films,

das heißt seine Zeitgebundenheit schmerzlich ge-

fühlt. Auf die materielle, fast tausendjährige Halt-barkeit des Filmstreifens anspielend, prägte er das

fatalistische Paradoxon: «Wo ist denn der Chemiker,

welcher das technische Mittel zur Lebensverlänge-

rung dei Films erfinden wird?» Auch seine Filmewerden kunin mehr in die Kinosäle ziehen. W iclitig

Indessen Ist, «laß Feyder das ABO des Filius umeinige wesentliche Lettern, um einige faszinierendeFormeln bereichert hat. Solche Leistung aber istnicht des Tags. Sie hat Anspruch auf Dauer undun ie re Dunkhai keit. p /.

Szenenbild aus Keimr.ise hiroiquc" , einem ihr bedeutendsten Filme Feyders

Neue Zürcher Zeitung vom 30.05.1948