Schaeffter
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l l AssiInilationsversuche
DieAuflsung des Fremden im Zugriff der Aneignung
Inhalt
Vorwort
Dieter Lenzen
Multilrulturalitt als Monokultur , 147
WalterEder
Zu Hause in der Fremde?
Der Verlust der Raumerfahrung als Verlust
des Erfahrungsraums beim Reisen 158
Rolf Joachim Heger
Bild-Welten und Welt-Bilder.
ber versuchte Nhe zur fremden Wirklichkeit 73
IV. Das Unheimliche
m
Vertrauten
Paradoxes Oszillieren zwischen Innen un Auen
Dietmar Kamper
Lob der Fremde, Kritik der Heimat 187
Ulrike runotte
m
Spiegel des Grauens.
Zum Verhltnis von Projektion und Reflexion
im erzhlerischen Werk Edgar Allan Poes 95
Susanne Dittberner
Erschrecken und Befremden.
Francisco Goyas Los Disparates 211
Die Autoren der Beitrge 238
Sagemir, was Dir fremdartig erscheint, un ich sageDir, wer Du bist
Seit einiger Zeit wird
s
Verhltnis zwischen Innen und
AuBen
prekr und
uns dabei auf lustvolle wie auf schmerzliche Weise bewut. Vielf ltige
Grenzflchen zum Fremden
haben sich emotional aufgeladen und elWeisen sich
als ambivalent: ihre Erfahrungsmglichkeiten bewegen sich zwischen Faszination
und Bedrohung.
Mit der zunehmenden Durchlssigkeit der politischen und sozialen Grenzen
und einer sich steigernden globalen Mobilitt werden auch die Mglichkeiten zur
~ i n n d e r s e t z u n g mit dem konkreten Fremden , d.h. mit seiner ernchtern
den Alltglichkeit vielfltiger. Wenn lange Zeit die Vorstellung vorherrschen
konnte,
da
die Fremde vOlWiegend rumlich auerhalb des eigenen Lebens
horizonts anzusiedeln sei, so gertsie uns heute bereits auf vielfltige und oft
sonderbare Weise unter die Haut .
Es geht daher nicht mehr allein um die Klrung dessen, worin die Fremdar
tigkeit des Anderen im einzelnen besteht oder wie sie sich in vertrauten Begriffen
beschreiben und erklren liee. n der spannungsreichen Beziehung zwischen ei
nem eigentmlichen Innen und einem fremdartigen Auen werden
w r
viel
mehr damit konfrontiert,
es zunchst
um ie
eigenen Wahmehmungsweisen
und Erfahrungsmglichkeiten geht, durch dieTeile der Auenwelt (aber auch un
bekannte Innenwelten) uns zu be-fremden vermgen.
Fremdheit wird in diesem Sammelband daher nicht auf den exotischen
Charakter eines Gegenstandsbereichs zurckgefhrt, sondern auf
s
meist unbe
wut bleibende Faktum,
in befremdlichen Erlebnissen immer auch die be
sonderen Wahmehmungsstrokturen und Deutungsmuster einer Person, einer so
zialen Gruppe, einer Kultur oder historischen Epoche zum Ausdruck gebracht
werden.
SCHFFTER, Ortfried (1991). Modi des Fremderlebens. Deutungsmuster imUmgang mit Fremdheit. In: Schffter, Ortfried (Hg.), Das Fremde.Erfahrungsmglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung. Opladen:Westdeutscher Verlag. S. 728.
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Vorwort
Das vorliegende Buch bietet unterschiedliche Mglichkeiten, den besonderen
Erfahrungshintergrund von Fremderleben sichtbar werden zu lassen. Es macht
sozusagen die Rckseite des Spiegels erkennbar, auf dem sich in eigentmli
cher Weise das reflektiert, was schlielich als befremdliche Auenseite in Er
scheinung tritt.
Ausgangspunkt und Zentrum mglicher Deutungen ist
s
Spannungsverhlt
nis zwischen einer personalen, sozialen oder kulturellen Identitt zu dem von
r
. selbst Ausgegrenzten - sei es als das psychisch Verdrngte die innere Fremd
heit),
die
Fremde als rumliche Feme,
der
Fremde als alter ego oder
das
Fremde
als fremdartiger Objektbereich.
Die Deutungsangebote aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen beruhen auf
Vortrgen der
BERLINER
SOMMER UNI
90
die von der Berliner Akademie fr
weiterbildende Studien e.
V
in Zusammenarbeit mit dem Referat fr Erwachse
nenbildung der Freien Universitt Berlin vom 2. bis
10
Juli 1990 durchgefhrt
wurde. Der Sammelband fgt sie nun als Spektrum unterschiedlicher rfahrungs-
modi von Fremdheit zu
einem Gesamtbild zusammen. Ihremjeweiligen Problem
zugang entsprechend wurden die Beitrge vier Hauptteilen zugeordnet und durch
eine theoretische Einfhrung als einander ergnzende Perspektiven aufeinander
bezogen. Erfahrungsmglichkeiten des Fremden zwischen Faszination und
Bedrohung lassen sich hierdurch als ein Steigerungsverhltnis von System-
Umwelt Relationierungen
auffassen. Insgesamt wird damit differenzierter be
schreibbar, welche besonderen ifahrungsfonnen von Fremderleben sich im
Laufe der Zeit herausgebildet haben - vor allem aber, welche rfahrungsmglich-
keiten
von Fremdheit uns gegenwrtig in unterschiedlichen Lebensbereichen
berhaupt zur Verfgung stehen.
Gerade aufgrund ihrer Vielfalt bilden die Beitrge einen Resonanzboden fr
den Zusammenklang von persnlicher Betroffenheit, sozialwissenschaftlicher
Analyse und fr die Bercksichtigung globaler Impulse, die immer neue
Querverbindungen zwischen bislang getrennten Lebenszusammenhngen hervor
rufen.
IN HRUNG
Berlin, im April 1991
Ortfried Schffter
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Modi des Fremderlebens
Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit
njried Schffter
Wege zu globalem
Denken
Die europischen Formen in denen die Fremdheit der Welt entdeckt und erfah-
ren werden kann haben mittlerweile viel von ihrer arglosen Selbstverstndlich
keit verloren. Erkennbar wird inzwischen an diesen Modi des Fremderlebens
wie wir im Laufe unserer Geistesgeschichte mit der eigenen und der fremden n
dersartigkeit umzugehen gelernt haben: nmlich ber rumlich expansives Aus-
\
greifen geistige Vereinnahmung und Subsumption in das eigene Weltbild und
durch Unterordnung der anderen Erfahrungswelten und Traditionen unter die .
Perspektivitt unserer eigenen Geschichtsschreibung.
In der gegenwrtigen globalen Risikolage in die sich die gesamte Menschheit
hineinbewegt kann man sich solch blinden Ethnozentrismus jedoch immer weni- i
ger leisten. Vielfachen Gef ahrdungen ausgesetzt erweist sich
das
Raumschiff
I
Erde als gar nicht mehr so unecmelich weitrumig und reich an Ressourcen
wie dies zu Beginn der menschlichen Expansion in die Wildnis einer ueren
Natur noch erschien. Als Mitbewohner einer zunehmend ent-fremdeten und auch
I
begrenzteren Welt mssen wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen da sich \
unser Globus in seinen Kontinenten Regionen und Lebensbereichen zu einem l
immer engeren Netz gegenseitiger Abhngigkeiten verknpft. Hierdurch werden
auch einander feme Lebenszusammenhnge in ein immer dichter gefgtes Mosaik
gepret in dem mentale und historische Distanzen berhaupt erst miteinander in
Kontakt gebracht werden. Fremdheit stellt sich uns daher immer seltener als
eine
ausschlielich rumlich erfahrbare Spannung dar. Sie erscheint vielmehr als eine
konflikttrchtige Zeitgenossenschaft von unterschiedlichen Bedeutungszusam
menhngen zwischen denen hufig eine unberbrckbare geschichtliche Distanz
liegt.
Erst dadurch da unsere Lebensbereiche in immer geringerem Mae zwi
schen einem Innen und Auen getrennt sind und folglich mehr und mehr
berschneidungsbereiche herausbilden wird erfahrbar da Fremdheit ein Bezie
hungsverhltnis darstellt das sich durch Nhe intensiviert. Erst so knnen die
zunchst latent zugrondeliegenden Unterschiedlichkeiten eine soziale Bedeutung
erlangen und sich zu persnlichen groppenbezogenen politischen kono-
mischen oder kulturellen Reibungsflchen aufbauen. Erst durch unmittelbare
I
Kontakte werden wir sensibel fr die Bedeutung unvergleichbarer Eigenzei-
ten
.1
Damit ist gemeint da ein Sinnkosmos seinem eigentmlichen Entste
hungszusammenhang und Entwicklungsrhythmus unterworfen ist aus dem heraus
sich die jeweils uere Welt konstituiert und aus dem er seine besondere Bedeu-
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Fremdheit als Beziehungsverhltnis
tung erhlt. Jedes autonome Sinnsystem - sei es eine Person, soziale Gruppe, ge
sellschaftliche Institution oder kulturelle Einheit - verfgt somit ber ihre eigene
Vergangenheit, besondere Gegenwart und spezifische Zukunft. Daher sind sie
einander vor allem in bezug
auf
ihre Temporalitt fremd; Sie existieren in ver
schiedenen Eigenzeiten, was zur Folge hat, da sie in gegenseitigemKontakt eine
Verschrnkung ihrer divergenten Geschichten, d.h. eine Gleichzeitigkeit von
Ungleichzeitigem hervorrufen. Besonders hieraus gewinnt unsere weltgechicht-
. liche Entwicklung eine neuartige Spannung. Fremdheit entwickelt sich zuneh
mend deutlicher zu einer temporalen Problematik : Es geht dabei um eine Zeit
genossenschaft divergenter Gegenwrtigkeit.
o i
s
remderlebens
Die Einsicht in diese Vielschicht igkei t e iner Distanz, die zwischen zeit
genssischen Partnern liegt, vermittelt einweit realistischeres Bild von den prak
tischen Verstndigungsproblemen, als man
es
bei den bislang gewohnten einseiti
gen Problembeschreibungen erhlt. In der unmittelbaren Auseinandersetzung mit
der Fremdheit eines konkreten Gegenbers geraten daher die InteraktiODspartner
schnell in ein Spiegelkabinett gegenseitig unbekannter Erwartungs-Erwartun
gen : Man
kann
nicht sicher sein, welche Erwartungen man
auf
der Gegenseite
realistischerweise erwarten kann. Wie viel einfacher war es da noch in den
wklassischen ~ d a r d i s i e r t ~ n r [ e ~ d e n r o l l e l l wie dem auswrtigen Hndler,
dem Eroberer,aeDrfienideii Wersen7
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Fremdheit in ihrer Funktion fr Orcinungskonzepte
Modalitten
des
Fremderlebens lassen sich nicht nur in ihren inhaltlichen Einf ar-
bungen charakterisieren, sondern auch n bezug auf ihre Strukturbedingungen
daraufhin untersuchen, aus welcheI\l Ordnungsschemata die r zugrundeliegende
Unterscheidung hervorgeht. Dies ist in der Tat folgenreich Zu beachten ist bei
allen Ordnungsschemata,
d
es um gesellschaftliche Wirklichkeitsdefinitionen
und damit
um
Fragen von Macht und Kontrolle geht. Virulent
wird d s
Fremde
Die
mglichen Deutungsmuster des Fremderlebem; beziehen sich daher
auf
soziale Bruchlinien. die in der (gesellschaftlichen) UmweU
ZUJlchst
als Differen
zen vorgefunden werden und der sie nun einen t>esonderen Sinn verleihen. n
Anlehnung an Gregory Bateson lt sich formulieren, da eine soziale Bruchlinie
auf
diese Weise zu einem Unterschied wird der einen wichtigen Unterschied aus-
m a c h t ~
Welcher Unterschied nun
auf
dieser elementaren Scheid,elinie jeweils
wirksam wird, bleibt dabei ZQDchst noch bestiromungsbedfftig. Sie lqum die
Bedeutung erhalten von Grenzlinie, Kontaktstelle. Spannungsgeflle, I{onfii](t
feld. Berhrungsflche, Erfahrungshorizont, Informationsquelle, um nur d ie of
fensichtlichsten Varianten mglicher Relationierungen zu nennen. Hierdurch er
halten Erfahrungsmodi des Fremderlebens eine inhaltliche Bedeutung,4) wie
z.B.:
as
reTTUiealr das Auswrtige
d s
Auslndische, d.h. als etwas, d s sich
jenseits einer rumlich bestimmbaren Trennungslinie befindet. Raum
bezogene Deutungsmuster
des
Fremden unterscheiden hierbei zwischen
Zugnglichkeit und Unzugnglichem
s
geht
dann
U1ll die lokale Er
reichbarkeit von bislang Abgetrenntem. Diese
P e r s ~ k t i v e
enthlt gleich
zeitig eine starke Betonung des Inneren als Hejmat oder Einheitssphce.
as reTTUie
alr Fremdartiges
z.T auch im Sinne von Anomalitt. von Un
gehrigem oder Unpassendem steht in Kontrast zum Eigenartigen und
Normalen, d.h. zu Eigenheiten. die zum Eigenwesen eines Sinnbezirks
gehren.
as reTTUie
als
das
noch Unbe wnnte
bezieht sich auf Mglichkeiten des
Kennenlernens und
des
sich gegenseitig Vertraut:machens von Erfahrungs
bereichen, die prinzipiell erreichbar sind.
as Fremde als das letztlich Unerkennbare
ist d s fr den Sinnbezirk tran
szendente Auen, bei dem Mglichkeiten
des
Kennenlernens prinzipiell
ausgeschlossen sind.
as Fremde als das Unheimliche
zieht seine Bedeutung aus dem Gegensatz
zur Geborgenheit des Vertrauten. Hier geht es um die beklemmende Er
fahrung, da auch Eigenes und Vertrautes zu Fremdartigem umschlagen
kann. Die Grenze z;wischen Innen und Au.en versehwinunt, wenn
s
Heimische unheimlich wird.
15
odi des Fremderlebens
Konzeptionen komplementrer Ordnung:
Eigenheit und Fremdheit als Zusammenspiel sich wechselseitig
hervorrufender Kontrastierungen.
Ordnungen transzendenter Ganzheit:
Das Fremde als tragender Grund und Resonanzboden von Eigenheit.
Ordnungenperfekter Vollkommenheit:
Das Fremde als Negation von Eigenheit.
Ordnungskonzepte dynamischer Selbstvernderung:
Fremdheit als Chance zur Ergnzung und Vervollstndigung.
in solchen Lebens- und Geschichtsphasen, in denen Ordnungen schwanken und
prdnungspfhle sich verrcken. Ordnungsschbe ziehen Fremdheitsschbe nach
sich
mit
allen Zeichen der Ambivalenz. OS Erfahrungsweisen von Fremdheit,
so
natrlich sie im einzelnen zunchst auch erscheinen mgen, sind
daher
Aus
druck von selbstvergessenen Ordnungsleistungen die au f einer elementaren
Wirklichkeitsebene eine permanente Reproduktion von Mustern der Unterschei
dungbewirken
Solche tradierten Unterscheidungsmuster gliedern die Welt,
ma-
chen sie verstndlich, vorhersehbar und damit
in
gewissem Mae beherrschbar.
Gleichzeitig sind sie aber immer auch Ausdruck des jeweiligen Standorts und ei
nes besonderen Eigeninteresses,
das in
konkreten Auseinandersetzungen schnell
in Konflikt mit anderen Perspektiven derWeltdeutung geraten kann. Daher wer
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Im folgenden werden die vier Ordnungskonzepte und die von ihnen konstituierten
Modi des Fremderlebens genauer erlutert. Fr den Sammelband bilden sie einen
Deutungsrahmen, mit dem sich die Beitrge in ihren unterschiedlichen Perspek
tiven ordnen und aufeinander beziehen lassen. Es ist zu hoffen, da hierdurch
s
Spektrum von Erfahrungsmglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung
als ein Steigerungsverhltnis von System-Umwelt-Relationierungen nachvollzieh
bar wird. Hierfr bieten die einzelnen Beitrge jeweils exemplarische Zugangs
.mglichkeiten, die am Ende dieses Rahmenaufsatzesals Lese-Anregung verdeut-
licht werden.
I. Fremdheit
ls
e s ~ b o d e n des Eigenen
Der erste Modus des Fremderlebens beruht auf einem Ordnungsschema i n dem
sich die Unterscheidung gegen die Grundlage einer noch ungeteilten Basis richtet.
Das Fremde erscheint hierdurch als abgetrennte Ursprnglichkeit. Die fr
s
Herausbilden von Eigenheit notwendige elementare Scheidung, wie z.B. von n-
nen und Auen, Nhe und Distanz, Zivilisation und Wildnis, Wachen und Schla
fen, Mensch und Tier, Geist und Krper u.. wird als ein Spannungsverhltnis
auf der Grundlage basaler Gemeinsamkeit aufgefat. Das Trennungserleben be
ruht daher
auf
dem konstitutiven Zusammenhang einer Figuration mit ihrem
Hintergrund , vor dessen Unbestimmtheit diese erst als Bestimmtheit in Er
scheinung treten kann. n dieser Deutung erhlt
das
Fremde fr eine Ordnungs
struktur die Funktion des Ursprnglichen, des Urgrundes oder eines allgemei
nen Bedingungszusammenhangs. Die Grenzlinie zwischen Eigenheit und Fremd
heit bezieht sich daher nicht auf einen prinzipiellen Bruch, sondern auf ein
Ver-
hltnis spannungsreicher Verbundenheit, einen Gleichklang von Unterschiedli
chem oder eine existentielle Teilhabe. Resonanzals Modus der Innen-Auen-Ver
schrnkung lt Fremdheit ber Affinitt, Verstndnis, Einfhlung, Solidaritt,
Liebe, Mitleid oder Empathie als prinzipiell verstehbar erscheinen, ohne dabei
die Grenze vernachlssigen oder leugnen zu mssen: Der vedische Spruch: Tat
twam asi bezieht sich auf eine derartige Deutung des anderen als das von mir
zwar Unterschiedene, aber der gleichen Wurzel Ents tammende: Sieh' , das
Fremde ist ganz wie Du - als Kreatur , Organismus, Mensch oder bewutes
Selbst. So thematisiert dieser Modus des Fremderlebens die konstitutiven Voraus
setzungen der Ordnung als gemeinsame Allgemeinheit mit. Das Eigene ging
erst durch ein Heraustreten, durch eine Trennung oder
einen
Abfall aus der ur
sprnglichen, undifferenzierten Ganzheit hervor, die nun als Auenseite und
Hintergrund verfremdet wird
und
hierdurch der eigenen Identitt die Kontrastfl
che bietet.
n
temporaler Deutung erscheint hier
s
Fremde als das Ursprngli
che, ohne das die Eigenheit nicht mglich wre, zu der sie jedoch im Verlauf ei
ner Identittsentwicklung in Distanz treten mu. Hierdurch entsteht ein Span
nungsverhltnis zwischen Abhngigkeit und emanzipatorischer Bewegung, aus
dem eine eigentmliche ntegrationsjunktion des Fremden fr die Identittsent-
wicklung folgt:
17
odi des remderlebens
Einerseits wird der konstitutive Weltengrund als Fremdartiges nur aufgrund
einer Emanzipation der Eigenheit thematisch und erhlt somit erst durch s
je-
weilige Sinnsystem seinen Ausdruck. Andererseits erscheint s Fremde in Ge
stalt der universellen Auenwelt als eine totale Dimension von berwltigend be
drohlicher bermacht. Rudolf OttoS) bezeichnet diese existentielle Variante des
Fremden
als
das Numinose , das ein Kreaturgefhl hervorruft,
s
mit Er
schrecken
und
Erscbaudern vor der unbegreiflichen bermacht des Ganz
n-
deren verbunden ist.
Fremdheitserfahrung als Einsicht in den tragenden Grund der eigenen krea
trlichen, psychischen, sozialen oder kulturellen Existenz kann sich als Faszina
tion an einer sensitiven Verbundenheit mit dem eigenen Ursprung, aber auch als
Tremendum , als Schauder angesichts drohender Identittsauflsung und Ver
schlingen durch den mythischen Uroborus-Drachen uern. Diese Verbindung
von Gefhrdung und Verlockung gelangt in vielfltiger Weise in den Naturmy
then,
in
den kollektiven Erinnerungen an
das
Ende des Goldenen Zeitalters, in
den archaischen Heroen, aber auch
in
den Berichten der Mystiker zum Ausdruck.
Der Erfahrungsmodus beruht dabei
auf
einer System-Umwelt-Relationierung,
durch die sich an den Kontaktflchen des Eigenen zum Fremden eine Ordnung
im Zwielicht herausbildet. Fremdheit wird hier nicht als schroffe Entgegenset
zung, sondern als Schwellenerfahrung erlebbar. Die Grenze zwischen Innen
und Auen, zwischen Mensch und Tier, Wachen und Trumen, Bewut und Un
bewut lt sich, wie es Bernhard Waldenfels formuliert, als ein Einzugsbe
reich verstehen, in dem sich unzuvereinbarende Ordnungsstrokturen berlagern
und hierdurch ins Zwielicht geraten.
9
)
_
Walter Benjamin stellt Fremderfahrungen, die hier mglich werden, in den
Zusammenhang mit rites de passage - so heien in der Folklore die Zeremonien, ;:
die sich an Tod Geburt, an Hochzeit, Mannbarwerden etc. anschlieen.
n
dem
modernen Leben sind diese bergnge immer unkenntlicher und unerlebter ge
worden.
Wir
sind sehr arm an Schwellenerfahrungen geworden. Das Einschlafen
ist vielleicht die einzige, die uns geblieben ist. (Aber damit auch s Erwachen.)
Und schlielich wogt wie der Gestaltenwandel des Traums ber Schwellen auch
das Auf
und Nieder der Unterhaltung und der Geschlechterwandel der Liebe.
Schwelle ist eine Zone. Wandel, bergang, Fluten liegen im Worte 'schwellen'
und diese Bedeutungen hat die Etymologie nicht zu bersehen. 10)
Wenn Eigenartiges und Fremdartiges sich in dieser Sicht derartig bedingen
llD d sich zeitweilig in der Erfahrung resonant berlagern, so bedeutet dies nicht
notwendigerweise, da sie auch unter eine gemeinsame Ordnung zu subsumieren
wren. Das Fremde bleibt hier trotz aller tieferen Affinitt und trotz gemeinsamer
Herkunft dennoch der eigenen Erfahrung transzendent. Einfhlung, Sympathie
und
empathisches Verstehen bleiben damit weiterhin voraussetzungsvolle Deu
tungsmuster
im
Umgang mit Fremdheit. Der Widerhall, den
s
Eigenartige im
Fremdartigen und die Fremdheit im Vertrauten findet, bleibt daher immer an eine
spezifische innere Ordnung gebunden:
Ortfried
Sch /fter
16
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n
Fremdheit als Gegenbild
Modi des Fremderlebens
Einem weitgehend anderen Zusammenhang entspringt Fremderleben, wenn es aus
einer Ordnungsstruktur hervorgeht, die einerseits nach Eindeutigkeit sowie inne
rer Kohrenz und konsequenterweise andererseits nach Ausgrenzung des Anders
artigen,
des
r sie Abartigen und Artfremden verlangt. In dem nun skiz
zierten Deutungsmuster erhlt das Fremde daher den Charakter einer Negation
der Eigenheit, und zwar im Sinne von gegenseitiger Unvereinbarkeit. Erlebbar ist
hier nicht mehr das latente Verschrnkungsverhltnis von Figur und Grund; statt
dessen richtet sich die Aufmerksamkeit von Faszination und Bedrohtheitsgefhl
aufeine feste und klar definierte Grenzlinie, mit der die Integritt der Eigenheit
bewahrt und geschtzt werden soll. Insofern gert das Fremde zum Ausgegrenz
ten,
das
dem Eigenen wesensmig nicht zugehrig ist und als Fremdkrper
die Integritt der eigenen Ordnung
zu
stren und in Frage zu stellen droht. Jen
seits dieser Grenze jedoch erfllt es die
Funktion
eines signifikanten Kontrasts,
der als Gegenbild gerade die Identitt des Eigenen verstrken
kann.
Wer noch
nicht in der Fremde war, kennt die Heimat nicht - wer keine Fremdsprache er
lernt hat, kennt seine Muttersprache nicht.
Als Gegenbild kann Fremdheit unbestimmt und allgemein, aber auch als sehr
konkreter Gegensatz in Erscheinung treten. Im Sinne von ungewohnt, unblich,
undenkbar erscheint das Fremde als allgemeine Negation des stndig mitgedach
ten Horizonts des Eigenen und bleibt als mitlaufende Selbstreferenz in der Re
gel latent: Das Fremde ist das Unding, das Nicht-Eigene. Diese Asymmetrie der
Innen-Auen-Relation zeigt sich in einer berbetonung des Inneren, das sich n
seinem Wesen
zu
vervollkommnen sucht und zu einem mglichst perfekten
Selbstausdruck gelangen mchte. Die fr die Ordnungsstruktur der Einheit und
Integritt charakteristische Metaphorik von Reinheit, Unvermischtheit, innerer
Strke und Gesundheit tendiert dazu, dem Fremdartigen daher auch die Konnota
tion von Vermischung, Unreinheit, Gift und Schmutz zuzuweisen. Dies gilt vor
allem, wenn die innere Ordnung der Eigenheit noch nicht gesichert oder im
n-
nen-Auen-Verhltnis durch berfremdung gefhrdet erscheint.
Mit der Verfestigung der inneren Integritt und der Auengrenzen erhlt auch die
Auenwelt eine hhere Bestimmtheit, die deutlich von dem Eigenbild abhngt:
s Auen ist sozusagen alles das, was das Innen nicht ist. Die sich verfestigende
Schale der zur Einheit geschlossenen Eigenheit wird somit zum Spiegelbild der
Innenseite
16
) und lt die systemspezifische Umwelt n eine Dualitt schroffer
Gegenstze und Widersprche eines entweder-oder zerfallen: Wachbewutsein
oder Unbewutes ; Realitt oder Traum; Mensch oder Tier; Mann oder Frau;
Rationalitt oder Unvernunft; Krperlichkeit oder Geist, Individuum oder Kol
lektivitt usw.
Da sich die Eigenheit dieser Ordnungsstruktur in selbstbewul3ter Eindeutigkeit
ausscbliel31ich einer Seite des dualen Verhltnisses zuschreibt, ruft Fremderleben
notwendigerweise konflikthafte Gegenstzlichkeit hervor. Das Fremde erscheint
Ortfried Schffter
Die Gegenstimme tnt mir nicht erst von auen entgegen, sie ertnt im eige
nen Haus als ein Echo, das mich narrt oder begleitet wie in der latenten Mehr-
stimmigkeit mancher Solostcke. 11)
In der europischen Tradition hat die Deutung von Fremdheit als Entdeckung und
Wiedergewinnung des eigenen Ursprungs seinen festen Platz , Wie ~
seinen Hafis entdeckte, so erschlo Rck$ sich die Weisheit der BrahtDanen;
und Rerder riet, sich einzufhlen in jedes Zeitalter und jede Himmelsgegend,
lur h das Kunstwerk s Wesen der Fremde nachvollziehend anzueignen:
Stets fand man derart suchend unfehlbar die Fremde, die man gesucht hatte.
12)
In einem immer wieder einsetzenden Aufbruch nach Asien bildete sich ein Er
fahrungsmodus heraus, in dem die fernstlichen Kulturen als Kindheit Europas
gedeutet wurden:
Asien galt Herder als Unschuld, Reinheit und Ursprnglichkeit, als r
sprung und Tiefe des eigenen abendlndischen Wesens. Besondersfaszinierte ihn
der Gedanke der Einheit hinter allem Seienden im asiatischen Denken und die
daraus resultierende Friedfertigkeit allem Lebenden gegenber.
13)
Neben der Sdsee mit Tahiti als Metapher eines irdischen Paradieses wurde in
der weiteren Entwicklung vor allem Indien zum europischen Symbol einer ver
lorenen menschlichen Ganzheitlichkeit, nach der die Europer sehnsuchtsvoll
verlangten und die nur ber sensible Einfhlung wiedergewonnen werden knnte.
Christiane Gnther arbeitete in ihrer Studie ber Kulturelle Fremde in der deut
schen Literatur um 1900 heraus, wie man vor den Weltkriegen noch der ber
zeugung sein konnte, da Deutsche zur Einfhlung in die Kulturfremde beson
ders befhigt seien . Nach damaliger Auffassung erzeugten die deutschen Dichter
eine grere 'relative' Wahrheit, indem sie nmlich nur die
wirklich bekannte
Menschlichkeit des Exoten registrierten und nicht weiter vorgben, ihn genau zu
durchschauen. Diese Intuition, dieses seelische Anschmiegungsbedrjnis an s
Frelnde, das dem Deutschen zu eigen sei, lege ihm denn auch die Aufgabe nahe,
iBrcken zu bauen und dadurch das Fremde zu beleben. 14
; (Wieder-)Entdeckung universeller oder existentieller Voraussetzungen und
Ursprnglichkeit des Eigenen im Fremden kann sich ber interkulturelles Ver-
stehen hinaus auf sehr verschiedene Erfahrungsdimensionen beziehen und lt
sich daher allgemein als ein Rekurs auf die Conditio Humana begreifen. Dieses
Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit beruht auf der Prmisse einer grund
stzlichen Verstehbarkeit aller menschlichen Ausdrucksformen, sofern man nur
\ selbst Zugang zur gemeinsamen anthropologischen Basis fnde. Aus dem theore
t ischen Konstrukt einer psycho-physischen Einheit der Menschheit 15)
begrndet sich schlielich auch die Mglichkeit zu einer interkulturellen
Hermeneutik . Indem man sich auf existentielle transkulturelle Erfahrungen
s t tz t, wird die Fremdheit der anderen Kultur oder Persnlichkeit auf der
;gemeinsamen Grundlage eines Allgemein Menschlichen erfahrbar,
so wie
i
grundstzlich jedes hermeneutische Vorgehen ein gemeinsames Vorverstndnis
\ als Grundlage von Fremdverstehen vorauszusetzen hat.
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als der na t rl iche Fe ind . Zumindest s tell t es eine latente Bedrohung der
eigenen Integritt
dar,
die letztlich nur, durch eigene Strke in Schach gehalten
werden kann. Stellt sich
d s
Verhltnis zwischen Mann und Frau
im
ersten Mo
dus noch als Differenz auf der Grundlage einer androgynen Ununterschiedenheit
des Menschlichen
dar,
die Fremdverstehen ber Empathie mglich macht, so
begrndet Fremderleben in dem hier skizzierten zweiten Modus eine U J J . a u s ~
weichlichkeit des Geschlechterkampfs.
Je bestimmter und kontrastschrfer sichjedoch ein duales Gegensatzpaar kon-
stelliert,
um
so leichter stellt sich schlielich eine Balance her, in der
d s
Eigene
und das Fremde sozusagen eine Gleichung mit austauschbaren Vorzeichen bilden.
Bei diesem Stand der Entwicklung ist der Punkt nicht weit, wo
d s
konkrete Ge-
i genbild zum Vor-Bild umzuschlagen vermag. Je strker daher d s Fremde als
r
normativer Gegensatz zur Konstitution der Eigenheit bentigt wird, umso strker
ist mit der Konstruktion der positiven Seite auch der Aufbau einer negativen
Seite verbunden. Hierdurch erhlt das Fremde ber den ursprnglichen diffusen
Bedeutungshof des Ungehrigen, Unzulssigen, Sndhaften, Bestialischen oder
undenkbar Schrecklichen hinaus die zunehmend konkretere Bedeutung einer ver
fhrerischen unzulssigen Alternative zur reduzierten Eigenheit. Die Welt des
Anti-Christ erscheint schlielich faszinierender als die Langweiligkeit eines
lieben Gottes , das Irrationale lebendiger als die drge Rationalitt schul-
meisterlicher Aufklrung.
So
droht
die andere Seite ,
wie sie z.B. bei Kubin krisenhaft zu knstleri-
schem Ausdruck kaml7) und wie sie als psycho-therapeutische Problematik des
eigenen Schattens von C.G. Jung analysiert wurde, bei zu groer Einseitigkeit
der positiven Seite abrupt zur Gegenseite umzuschlagen. Die duale Struktur
dieses Deutungsmusters produziert daher ihre eigene Negation, die schlielich
als Gegenbild bedrohlich wird:
Kanton ist eine gespenstische Stadt. Alles ist seltsam. Die dunklen Straen sind
krunun und unheimlich und vom Himmel abgeschlossen. Der Gestank in der Luft
ist nicht zu atmen. Die Gassen sind voll von einer schmutzigen Menge... Wenn
man, wie von einem bsen Trallm verfolgt, von Gasse zu Gasse eilt, starren sie
einem nach mit neugierigen Gesichtem. Da kommt einem die Erinnerung an die
teuflische Art des Volkes, an seine mderischeIJ AufstIJde. seine satanische
Grausamkeit. 18
Die
~ g r ~ J I Y f g 1 . I ~ W g ? J J , . . d i e s e s
Deutungsmusters lt daher auch triviale
Erfahrenswelsen und Beschreiboogen des Fremden mythisch-traumhafterschei
nen, unabhngig davon, ob es sich
um
dabei um innerpsychische, interpersonale
oder mterkulturelle Auseinandersetzungen mit der abgespaltenen Auenseite han
delt. Gemeinsam ist den Beschreiboogen eine unterstellte Gefhrdung. Erst auf
grund emer Integrationsform, die
d s
Fremde nicht indifferent in ihrer Eigenart
belassen kann, erhlt
das
Nicht-Subsumptionsthige als Unbewutes, als
r nk-
heit, Irrationalitt oder als Aberglaube zutiefst bedrohlichen Charakter.
So
ge
biert z.B.
die
Vernunft durch fehlendes Bewutsem ihrer eigenen Bedingtheit und
Begrenzung die Ungeheuer, vor denen sie erschrickt, wie dies
in
dem berhmten
Bild von Goya allegorisch dargestellt wird.
Das Gegenbild des Fremden
kann
indes auch zum positiven Gegensatz einer
negativ
erlebten Eigenheit umschlagen. Gert die Eigenheit ber fortschrei
Prozesse der Ausgrenzung und Abspaltuog zu immer hherer Reinheit
und,
~ P e r f e k t i o n
in eine Stagnation ihrer Entwicklung, so
kann
der Komplex des
Verdrngten und Ausgegrenzten die Bedeutung einer positiven Alternative er
halten.
Die Gleichung wechselt ihr Vorzeichen. Hieraus erschliet sich der
utopi-
sche Charakter des
remde
als Negation einer reduzierten und einseitig verfe
stigten Eigenheit. Strukturell hat sich jedoch in diesem Ordnungsschema nichts
verndert: So ist die Utopie gewissermaen ein System,
das
vorgibt, ein anderes
zu
sein. 19)
Fremdheit bernimmt in Gestalt der Utopie die beschriebene Ordnungs
funktion eines eindeutigen Gegenbildes. Sie ist ein mit Hoffnung geladener Aus
(jruck der inneren Auenseite eines perfektionierten und vereinseitigten Sinnsy
stems, d s nach Wiedergewinnung von Vielfalt, Neuheit und berraschung ver
langt, sich hierbei aber
in
den Fesseln seiner dualen Grundstruktur verfngt. Ge
boren werden
hier
vielfliltige Mythen der Zivilisationskritik und Natrlichkeits
sehnsucht mit ihren Idealisierungen von dem, was
d s
Eigene gerade nicht bieten
kann.
Wenn
d s
Gegenbild des edlen Wilden oder der paradiesisch friedlichen
Humanitt nicht mehr m dem rumlich eng gewordenen Globus gesucht werden
kann, weil sich die idealisierte Fremde
im
Kontakt mit dem konkreten Fremden
als Enttuschung herausgestellt hat, so bleibt als Fluchtweg nur noch die Zei t.
Das utopische Gegenbild kann nicht mehr
auf
femen fuseln vermutet und gesucht
werden, sondern wird in die Zukunft ver lagert : Die Gattung des utopischen
Romans und der sozialwissenschaftlichen Zukunftsforschung bernimmt die
Funktion von ertrumten Reiseberichten und Entdeckermythen.
uf
den Herrschaftscharakter und die Aggressivitt einer assimilativen Ver
eUmahmung des Fremdkulturellen durch diesen Modus des Fremderlebens weist
der afrikanische Ethnologe Duala-M bedy
in.
seinem Buch Xenologie. Die
W i S ~
senschaft vom Fremden und die Verdrngung der Humanitt in der
nthropoloV
gie 20) engagiert un in scharfer Form hin.
r
vertritt vor dem Hintergrund des
hier skizzierten Deutungsmusters die These,
d
die europische Kultur gerade
aus Unbehagen an sich selbst den Mythos des Fremden als eines Kunstckes
bentigt, um sich selbst wieder in den Griff zu bekommen.
21
Die Wahrneh
mung
des
Fremden als Gegenbild des Eigenen ermglicht eine Ausbalancierung
und produziert m spiegelbildlicher Verkehrung abermals ein vereinseitigtes und
reduziertes Bild des Anderen, um eine eindeutige Alternative zur eigenen Erfah
rung zu gewinnen
und
dies schlielich als Kulturregulativ instrumentalisieren
zu knnen.
bereinstinunung mit dem hier skizzierten zweiten Erfahrungsmo-
dus schreibt
er
treffend: Das Phnomen drckt sich umfassend
in
der Konfron
tation des Anerkannten mit dem Aberkannten,
des
Normalen mit dem Anomalen
aus, primr also
in
Antinomien aus. 22 Gem Duala-M bedy wird Fremdheit in
20
Ortfried Schffier
Modi des Fremderlebens
21
-
7/23/2019 Schaeffter
9/12
unvorhersehbare Entwicklungen mglich werden. Grundstzl ch entsteht hier
durch ein Wechselverhltnis zwischen der unausgeschpften Potentialitt einer
Ordnungsstruktur und den Realisierbarkeitschancen ihrer Entfaltung. So geht es
hier nicht allein darum, das Eigene durch assimilatives Auffllen mit immer
Gleichem auszuweiten. sondern um die Entdeckung bislang ungeahnter Mglich
biten Werde, der Du bist. Das Zusammenspiel innerer und uerer Fremde
hilft dabei, die bislang noch latenten Potenzen durch Prozesse der Selbstvernde
rung freizusetzen. Bei diesem Wechselspiel zwischen Assimilation und Akkomo
dation ist zwischen Intensittsgraden und Tiefenniveaus der Fremderfahrung zu
unterscheiden:
Das Fremde wren unbekannte und unverfgbare Erfahrungsgehalte und Er
fahrungsbereiche, sozusagen weie Flecken innerhalb der eigenen Welt, Unbe
stimmtheiten, fr die Bestimmungsregeln bereitliegen, und Leerstellen, die sich
bei geeignetem Erfahrungsfortschritt fllen lassen.
Fremdartiges
wre dagegen
etwas, was die bestehenden Erfahrungsstrukturen und Erfahrungsordnungen
sprengt, Unbekanntes in einem gesteigerten Sinn also. fr das unsere Ordnungs ,
raster nicht ausreichen.
25)
Besonders in seiner zweiten Bedeutung, d.h. in seiner Akkomodationswirkung
erhlt hier
s
Fremde die Funktion einer strukturellen Ergnzung. Fremd
erfahrung ermglicht in diesem Zusammenhang
Selbsterfahrung
Sinne eines
Aufdeckens von Lcken, Fehlstellen oder, wenn man will, auch von Fehlern .
Die rumliche Fremde wird so zum Lernumfeld fr wandernde Scholaren,
Handwerksgesellen und Abenteurer und der fremdlndische Lehrer zum gefragten
Experten fremder Knste oder zur archetypischen Verkndergestalt von Ge
heimwissen
un
schockierend Unerwartetem. Die daraus entstehende Faszination
des Fremden, die sich in diesem Deutungsmuster aus Informationsbedarf, Ab
wechslungsbedffnis, Neugierde und Wissenstransfer begrnden lt, hngt je -
doch in hohem Mae von der Entwicklungsgeschwindigkeit und dem Entwick
lungsstand des betreffenden Sinnsystems zusammen. Wie bei allen Prozever
lufen mit unbersehbar komplexer Eigenlogik stellen sich auch hier im Verhlt
nis zwischen Eigenem und Fremdem unkalkulierbare Probleme der Verfrhung
und Versptung. Das Nicht-Entdecken von systemrelativ wichtiger Fremd
heit
kann
daher weitreichende Folgen fr den weiteren Entwicklungsverlauf ha
ben. Dies lt sich auf der Folie einer Normalbiographie , einer gelungenen
Karriere oder eines gesunden Wachstums auch als Entwicklungsknick oder
gar als Scheitern bewerten. In dieser Bedeutung lt sich der Entwicklungsstand
eines Sinnsystems danach beurteilen und mit anderen vergleichen, inwieweit und
auf welche Weise es in der Lage ist, relevante Fremdheit r sich zu entdecken
und sich ber Selbstvernderung anzueignen. Dies gilt nicht nur fr strukturelle
Lernfhigkeit und Bildungsbereitschaft von Individuen, sondem auch
fr
die F
higkeit zur produktiven Umweltaneignung bei sozialen Gruppen, gesellschaftli
chen Institutionen und von Kulturen.
26
)
Ortfried Schffter
dieser Deutung zum Stigma einer polarisierten Welt , in der
das
Fremde anderer
Kulturen vor allem deshalb begehrenswert wird, weil das Eigene nur noch von
einemkulturpessimistischenStandpunkt
auS
erlebt werden kann.
Die Anderen werden nicht in ihrer Unvergleichlichkeit wahrgenommen,
sondern sie sind das, was
man
selbst nicht ist , charakterisiert Petra Dietzsche
diesen Erfahrungsmodus in ihrem Buch Das Erstaunen ber
das
Fremde. 23)
n
Eine schillernde Spiegelung europischen Vereinnahmungsbedurfnisses des
Strebens
J
alle menschliche Besonderheit zu subsumieren ullterdie eigene Idee des
Allgemeinmenschlichen ist der Drang in die fernste Ferneaujzubrechen um
sich dort selbst
zu
finden. Je grerdie Spanne
er r ckter
Fremde desto tiefer
die Erfahrung der Selbstwerdung im eigenen Ich. 24)
In Fremdheit als Ergnzung
Mit der steigenden Komplexitt eines Sinnsystems lassen sich die trennscharfen
und schematischen Deutungsmuster einer dualen Ordnung immer schwerer auf-
rechterhalten, weil sie der sozialen
~ t l a l i t t n . - u . c u n z u ~ i S l ~ ~ ~
~ ~ ~ ~ l ~
Schon durch interneDlffereriZienmg verrogteine' 'Person, Gruppe oder Kultur
ber eine Vielzahl unterschiedlicher Umwelten und damit auch ber ein Spektrum
interner
Fremdartigkeit. Die Ordnungsleistung komplexer Systeme bezieht sich
daher weniger auf eine statisch seinsverankerte Identitt, i.S. eines eigenen We
sens , sondern sie strukturiert einen prozehaften Wandel von eigener Entwick
lungslogik.
Die
Produktivitt dieser
Ordnungsstruktur
beruht daher nicht auf der
Herstellung einer internen Eindeutigkeit und in der schtzenden Abgrenzung des
Eigenen nach auen, sondern in der Regelung von Prozessen einer Verinnerli
chung des ueren und einem Entuern von Innerem. Dies hat entsprechende
Konsequenzen fr die daran anschlieenden Funktionen und Erfahrungsmodi von
Fremdheit. Das fr diesen Erfahrungmodus bestimmende Innen-Auen-Verhlt
nis ist daher durch ein Zusammenspiel von Aneignung von Fremdem mit struktu
reller Selbstvernderung gekennzeichnet. Die Identitt einer solchen Ordnung
lt sich daher als ein selbstregulierter Wachstumsproze bzw. Entwicklungsver
lauf verstehen, der durch einen Wechsel von Assimilation und Akkomodation
(Piaget) vorangetrieben wird.
Das spannungsgeflle zwischen Eigenem und Fremdem beruht daher auf der
Bedeutung, die der Fremdkontakt fr den jeweiligen internen Entwicklungsstand
erhl t. In dem nun zu klrenden Deutungsmuster geht es somit nicht mehr um
einen prinzipiellen Gegensatz, sondern um temporale probleme einer gegenseiti
gen
Anschlufhigkeit
von Entwicklungen. Die Relation bezieht sich aufdie Ver
schrnkung von Entwicklungs- und Wachstumsprozessen einer gegenwrtigen
Eigenheit mit ihrem je spezifischen Auen. Das Fremde erhlt fr ein dynami
sches Ordnungsgefge die
Funktion eines externen Spielraums
der entwicklungs
frdemde Impulse und strukturelle Lernanlsse erschlieen hilft und in dem auch
Modi s Fremderlebens 3
-
7/23/2019 Schaeffter
10/12
Die bisherige Varianten des Fremderlebens hatten bei aller Unterschiedlichkeit
eines gemeinsam: Das Fremde wird nicht stehen gelassen in seiner Besonder
heit, die Auseinandersetzung damit geschieht nicht partnerhaft-dialogisch, son
dern alle Andersheit wird
uf
dem krzestmglichen Wege als Eben-doch-Eige
nes vereinahmt. 27 Erklrbar war dies damit,
Fremdheit
fr
die jeweils zu
grundliegende Ordnungstruktur eine wichtige Funktion bei der Konstitution von
Identitt erhlt. Unabhngig davon, ob die Trennungslinie der Ur-Scheidung
als resonante Membran, als reflektierende Auenhaut oder als Vielfalt ausgrei
fender KontaktsteIlen konzipiert war, letztlich entscheidend blieb die Fixierung
auf einen internen Standpunkt. Dies istjedochnicht mehr der Fall, wenn sich
s
Deutungsmuster
uf
Phnomene einer wechselseitigen, sich gegenseitig hervorru
fenden Fremdheit bezieht.
Hier zeichnet sich nun eine, verschiedene Einzelperspektiven bergreifende
Ordnungsstruktur ab, in der Inneres und ueres nicht als separate Bereiche
behandelt, wohl aber als Momente eines Strukturierungsprozesses verstanden
werden, in dem sich Eigenes und Fremdes wechselseitig relativieren und bestim
men. So lt s ich das fr unsere heut ige Welt realist ischere Bild eines poly
kontexturalen Universums, d.h. einer Realitt aus vielen autonomen Einzelzen
tren rekonstruieren. Aus der nicht mehr zu leugnenden Vielzahl eigenstndiger
Perspektiven und gleichermaen mglicher Interpretationen der Welt wird er
kennbar,
da
im Aufeinandertreffen unterschiedlicher Bezugssysteme kein unbe
streitbares Fundament und kein allem bergeordneter Bezugspunkt zur Verfgung
steht, um ber sie zu entscheiden. Die Vorstellung einer universellen Rationalitt
wird ebenso fragwrdig, wie die einer universell beobachtbaren empirischen
Welt. Das Wissen ber die Welt bleibt unauthebbar an lokale und soziale Kon
stitutionsprozesse angebunden. Fr die Mglichkeit einer bersetzung und Ver
bindung zwischen diesen lokalen Wissensbestnden gibt es keine bergeordnete
Garantiemehr: Die Erkenntnistheorie,
das
fundamentale Projekt der Modeme zur
Sicherung solcher bersetzungen, wird durchdie Hermeneutikabgelst.
28
Ordnullgsstrukturell einer so gedeuteten Welt sind daher nicht mehr ambiva
lent, sondern polyvalent. Sie beziehen sich
uf
eine Praxis des UnterscheidelIs
d.h. auf ein Wechselverhltnis zwischen allen berhaupt praktikablen Deutungen
des Fremden. Die Ordnung lebt dabei von einem permanenten Oszillieren zwi
schen Positionen der Eigenheit und der Fremdheit, die sich im wechselseitigen
Kontakt gegenseitig hervorrufen. Charakteristisch fr ihre Offenheit ist daher
eine Wechselbezglichkeit und Ambiguitt der Momente, die in sich selbst nicht
zur Ruhe kommen und keine Etablierung einer reinen Innen- oder Auenwelt, ei
ner reinen Eigen- oder Fremdwelt zulassen.
29
Eine derartig offene, dynamische
Struktur soll hier als
komplementre Ordnung wechselseitiger Fremdheit
be
zeichnet werden.
Orifried SchjJter
In einem derartig expansiven Selbstverstndnis wird Fremderleben weitge
hend auf die Funktion VOti Itljormationsbeschajfutlg reduziert, die fr die Wei
terentwicklung des Eigenen ntzlich ist.
r
das aneignende System stellt sich
hierbei mglicherweise die eigene Verarbeitungskapazitt
fr
Neues und Unge
wohntes als Problem. Dann verliert das Fremde unversehens seine Faszination
und wird bedrohlich. Die Gefhrdung der Eigenheit beruht dabei nicht wie im
zweiten Erfahrungsmodus in einer unheimlichen Wiederkehr des bislang.Abge
spaltenen, Ausgegrenzten und Verdrngten, sondern in einer verschrften Inte
grationsproblematik, die in Selbstentfremdung und in disparate Eigenentwicklun
gen abgleiten kann. Fremdheit in einem existentiell bedrohlichen Sinne erwchst
dynamischen Ordnungen somit vor allem von Innen durch Verlust ihres
Selbst : Wie der Mann ohne Eigenschaften zersplittert es in ein lockeres
Nebeneinander unverbundener Einzelbestandteile. Fremdheit durch Selbstent
fremdung erscheint dabei in der Erfahrung der Modeme als Sinnverlust, die aus
einer berforderung der eigenen Integrations- und Verarbeitungskapazitt her-
rhrt.
Auch lustvolles Assimilieren stellt somit immer auch einen Test
uf
interne
Integrationsfhigkeit dar, bei dem nie vorhergesehen werden kann, welche ber
raschenden Folgen wohl durch die Hereinnahme fremdartiger Strukturen ausge
lst werden. Expandierende Systeme werden dabei mit dem Grundproblem kon
frontiert, da niemals vorher entschieden werden kann,
ob
Selbstvernderung
eine Bereicherung darstellen oder zu einer systemsprengenden berforderung
fhren wird.
Das hier besprochene Deutungsmuster lt sich daher nicht ausschlielich
durch seine expansive Aneignungsstruktur charakterisieren, sondern ist wie alle
anderen Modi des Fremderlebens zutiefst ambivalent. Die zentrifugal nach auen
drngenden Assimilationsgelste finden ihren Gegenpol in der zentripetalen
Bewegung einer Sicherung der internen Verarbeitungsmglichkeiten. Das Deu
tungsmuster
im
Umgang mit Fremdheit kann daher sehr unterschiedliche Zge
tragen,
je
nach dem wie gro die Risikobereitschaft ausgeprgt ist, sich auf einen
offenen, mglicherweise sogar existentiell bedrohlichen Entwicklungsverlauf und
Kulturschock einzulassen. Hier lassen sich sicherlich haushlterische Aneig
nungsstrategien von dem Abenteurertum eines sich im Auen verlierenden Erobe-
rers unterscheiden.
Unproblematisch erweist sich das Deutungsmuster zunchst immer dort, wo
Entdeckung von Fremdheit als Wiedergewinnung abgespaltener Erfahrungsmg
lichkeiten und als Entfaltung latenter Potenzen der Eigenheit.gedeutet werden
kann.
Wo jedoch Akkomodation an fremde Strukturen die interne Verarbeitungs
kapazitt schwcht und daher als Selbstentfremdung erlebt wird, verengt sich das
expansive Deutungsmuster und mu auf die Sicherheit einer schroffen Abgren
zung des zweiten Erfahrungsmodus zurckgreifen.
Modi des Fremderlebens
IV. Fremdheit
als
Komplementaritt
-
7/23/2019 Schaeffter
11/12
Praktischer Ausgangspunkt ist hierbei die unbersehbare Erfahrung, da sich
wirklich Fremdartiges auch beim bestenWillen nicht verstehen lt und da die
interne Verarbeitungsrahigkeit in Konfrontation mit immer zahlreicheren kom
plexen Auenbereichen schnell berfordert wird. So
kann
schlielich auch
Fremdheit nur noch selektiv und meist nur beilufig zur Kenntnis genommen
werden. Folglich wird gerade bei intensiver Auseinandersetzung mit der Unver
stndlichkeit des Anderen von einem gewissen Punkt ab nicht mehr
mi t
elasti
scher Akkomodation geantwortet, sondern mit der Feststellung von Nicht-Ver
stehbarkeit . Es handelt sich dabei keineswegs
um
eine Verweigerung von Ver
stehen, sondern um die Anerkennung einer Grenzerfahrung m Sinne einer be
deutungsvollen Einsicht
in
eine konkrete Grenzlinie eigener Erfahrungsmglich
keiten. Diese Deutung zieht somit die Konsequenz aus der Erfahrung, da es ex
terne Bereiche gibt, die prinzipiell nicht aneignungsrahig sind und daher realisti
scherweise (und nicht nur aus ethischer berzeugung) in ihrem autonomen Ei
genwert respektiert werden mssen. Die Deutung bercksichtigt, da hier ein
Aufrechterhalten des Anspruchs auf integrative Vereinnahmung zu einer proble
mati schen I llusion fhrt , weil dies gerade der besonderen Beziehung des
Anderen als fr mich prinzipiell Fremdemnicht gerecht wird.
Im Deutungsmuster komplementrer Fremdheit werden Schwellenerfabrung
en
nicht mehr als Verlockung zu einer umfassenden und dadurch letztlich inflation
ren Ausweitung des Innen aufgefat, sondern als Zwang
zur
radikalen Anerken
nung einer
gegenseitigen Differenz
als Sensibilitt fr gegenseitige Fremdheit.
3
)
Die Funktion, die Fremdheit fr eine komplementre Ordnung erfllt, lt sich
daher als ein
Offellhalten intemer Perspektiven
beschreiben. Es geht dabei u.a.
auch um eine Verweigerung der gesellschaftlich prformierten Antithetik des
Entweder-Oder . Es geht um einen (mglicherweise verzweifelten) Versuch,
den bisher fixierten Zuordnungen dadurch zu entkommen, man sie unent
scheidbar werden lt.3 ) Hieraus entsteht die
r
derartige Ordnungskonzepte
typische Kipp-Struktur oder Oszillationsbewegung, die bereits in unterschiedli
chen Manifestationen analysiert und beschrieben wurden.
In
einer Studie, in der
sie Denkstrukturen von Franz Kafka mit einer sich abzeichnenden feministischen
Erkenntnistheorie
in
Beziehung setzt, kennzeichnet z.B. Brigitte Lhl-Wiese der
artige Ausbruchsversuche aus der tradierten Antithetik als Ablsung von der
Ordnung des Vaters 32). In hnlicher Weise liegt von G Neumann
33
) eine weit
ber eine literaturwissenscbaftliche Kafka-Deutung hinausreichende Strukturana
lyse des gleitenden Paradox vor, auf die hier nur en passant hingewiesen wer
den kann: Der scheinbar erlangte Fixpunkt verwandelt sich in den Drehpunkt
des kafkaschen Denkens, die objektivierte Bewegung wird
zur
ichgerichteten ver
kehrt; nicht die Welt, sonderndas Ich springt aus den Angeln. 34)
Dabei handelt es s ich um ein Verfahren der Weltbeschreibung, das ein
Zurckfallen in perspektivisches Denken zu verhindern sucht und daher den
Leser regelmig in dem Augenblick desorientiert, wo er
zu
verstehen glaubt. 35 )
Die Paradoxien kommen daher weder zur Erstarrung noch zum Ausgleich, weil
sie aus dem Ich entwickel t werden und sich zugleich dem Ich als unlsbare
Aufgabe stellen. Sie lassen sich weder als re in selbstbezogen noch als rein
objektbezogen determinieren. 3 6) Grundstzlich geht es bei der Erzeugung dieser
Art
von Fremdheitserleben offenbar um das verzweifelte Verfahren, durch
Ablenkung von den herkmmlichen schematischen Denkgesetzen
zur
Beschreibung jener 'Fixierungen' vorzustoen, die sich zwischen Ich und
Umwelt stets neu konstituieren und die dann so kompliziert sind, weil das Ich nie
blo erkennend bleibt, sondern sich diesem Erkenntnisproze stets auch selbst
unterwirft.
37
Es ist nun an dieser Stelle nicht derOrt, noch genauer aufdie erst in Anstren
rekonstruierbare offene Ordnungsstruktur einzugehen.
38
)
Wesentlich ist im gege
benen Zusammenhang, da es sich um den usdruck von Widerstandgegen her
kmmliche Denkstrukturen handelt.
3
9)
Verweigert wird
s
bersetzen von
der einen zur anderen Seite und das Einverleiben des anderen unter die ei
gene Perspektive. Statt dessen bemht man sich um eine Freisetzung der Denk
bewegungen und berlt sich hierbei dem, was Dietrich Krusche das
InifinitesiIDaI der zwischen den Partnern liegenden geschichtlichen Distanz
nennt.4
Fremdheit wirkt
in
einem solchen Bedeutungszusammenhang als Ferment ei
ner (inter-)kulturellen und innerpsychischen Dynamik und setzt dabei eine struk
turelle Sprengkraft frei, von der die herkmmlichen eindeutigen Orientierungen
in
eine Pluralitt divergenter Einzelpositionen aufgelst werden. Dies wiederum
ruft die Notwendigkeit einer Dauerreflexion auf Fremderleben hervor. Hierbei
kann sich die Ordnungsleistung nicht mehr in einer immer neuen Wiederherstel
lung dualistischer Zuordnungen verausgaben, sondern mu sich auf die jeweilige
Praxis des Fremderlebens beziehen. Das Fremde wird hierdurch als Ergebnis
einer Unterscheidungspraxis in wechselseitiger Interaktion erkennbar, nie jedoch
endgltig bestimmbar: Es
kann
nur noch beobachtet werden, wie der Beobachter
die anderen Beobachter beim Beobachten des Beobachtens beobachtet. Gegensei
tige Fremdheit als Komplementaritt bezieht sich daher auf das Verhltnis zwi-
schen einander auf fremdartige Weise fremden Positionen. In diesem Span
nungsfeld berlagern sich daher die Vektoren unterschiedlicher Ordnungsstruktu
ren und fhren zu einer wechselseitigen Bedingtheit der beschriebenen Erfah
rungsmodi von Fremdheit.
Als eine Folge dieser Entwicklung fr die globale Kommunikation macht in
diesem Zusammenhang Dietrich Keusche darauf aufmerksam, sich in Japan
ein eigenes, von Europa unabhngiges Zentrum er Weltgeschichte herausgebil
det hat, s zunehmende Geschichtsmchtigkeit entwickelt. Daher sei mit ei
ner geschichtlichen Fremde zu rechnen, die europaresistent ist. 41 ) In Zukunft
wird folglich ein neues Verstndnis von kulturhistorischer Distanz notwendig,
das gegenseitige Fremdheit in Rechnung stellt. Die Beobachtung der gegen
seitigen Differenz als Grundlage komplementrer Fremdheit bedeutet in den
Worten der Japanologin Irmela Hijiya-Kirschnereit folgendes: Uns bleibt nur
27
odi des Fremderlebens
rtfried Schffter
26
-
7/23/2019 Schaeffter
12/12
erAufbau des Sammelbandes
ie
Beitrge sind in vier Hauptteile gegliedert, die den Modi des Fremderle-
bens folgen. Hierbei ist zu bercksichtigen,
jeder
Artikel
fr
sich steht und
ohne Kenntnis dieses Rahmenaufsatzes geschrieben wurde. Ihre Zuordnung zu
den Modi kann daher nur als ein Deutungsangebot und als zustzliche Anregung
zum Lesen verstanden werden, wie berhaupt derartige Klassifizierungen nicht
durch schematisch trennscharfe Abgrenzungen berzeugen, sondern gerade von
mglichen Verknpfungen und berschneidungen ihrer Elemente leben.
Mit
dem
Sammelband sollen sich daher die vielfltigen Aspekte
und
Gesichts-
punkte zueinander in Beziehung setzen lassen, so sich beim Lesen die un-
terschiedlichen Perspektiven zu einem Netzwerk komplementrer Deutungen ver-
binden. Um hierzu Anregungen und Hinweise zu geben, werden nun die Beitrge
in knapper Skizzierung den Erfahrungsmodi des Fremderlebens zugeordnet.
Wenn dies im einen
oder
anderen Fall Widerspruch herausfordern sollte, so
ha t dieser sicherlich etwas gewagte Versuch bereits seinen Zweck erfllt: es gilt,
die gegenseitige Fremdheit der Beitrge zu nutzen,
um en
Blick fr ihre Ge-
meinsamkeiten und Differenzen zu schrfen. Dennoch mchte ich nicht aus-
schlieen, hieraus insgesamt ein komplementres Verstndnis gegenstzlicher
Deutungen im Umgang mit Fremdheit mglich wird.
die Mglichkeit, unsere Verwurzelung in unserer eigenen Kultur klar zu erken-
nen und e in Gespr zu entwickeln fr unsere Abhngigkeit von den eigenen ge-
sellschaftlichen Normen,
im
Denken, Empfinden
und
Handeln. Paradox ausge-
drckt, heit dies: Erst
wenn
wir bewute Eurozentriker sind, vermgen
wir
das
Fremde unvoreingenommen wahrzunehmen. So gesehen, wre Eurozentrismus
geradezu Bedingung
der
Erkenntnis
.42
er eigenen Pespektivitt bewut, kn-
nen wir nn das Fremde als Fremdes belassen. Dietrich Keusche vertritt bei aller
Skepsis gegenber einer Idealisierung fremder Kulturen die Auffassung,
wir
Europer von asiatischen Intellektuellen lernen knnen: Wir mssen uns von un-
serem dogmatischen Denken
in
Politik und Geistesgeschichte befreien und d ie
asiatischen Methoden des Nachahmens, des naiven Beschreibens, Schauens, Zu-
hrens, des Fremdsprachenlernens an die Stelle des von uns bisher praktizierten
Interpretierens, Deutens, Pressens in eigene Kategorien setzen.
43
vielen Fllen kann dies bedeuten, nun erst verstehen
zu
lernen, was
wir
nicht verstehen. Wir knnen beobachten, was
wir
nicht zu beobachten in der
Lage sind: Fremdheit macht den blinden Fleck der eigenen Wahrnehmungsf-
higkeit erkennbar und
wird
so zur mhevollen Erfahrung einer gegenseitigen
Grenze. Hieraus folgen mglicherweiseine neue Formen von Gemeinsamkeit ,
die sich als tragfhiger erweisen, als die Einfhlung in vermeintlich universelle
Grundlagen des Humanen.
29
odi des Fremderlebens
I. Teil:
er
Resonanzboden
Bei dieser ThemensteIlung geht e s um die Erfahrung eines latenten Vorverstnd-
nisses und eines universalen Hintergrunds, auf
dem
die Differenz gegenber
Fremdheit aufruht. Als unbestimmtes Allgemeines bildet das Fremde die Kon-
trastflche,
auf
der eine Eigenheit ihre spezifische Gestalt gewinnen kann.
Sozialanthropologische Grundlagen der Fremderfahrung
Sprache als Voraussetzung einer Beschreibung des Fremden
iePsycheals Resonanzboden und als Integrationsinstanz
Vergessene Ursprnge unserer Kultur im Arabismus
ererste Abschnitt enthlt vier Beitrge, die sich auf die basale Verbundenheit
von Eigenem und Fremdem beziehen. Dabei handelt es sich
um
Dieter laessens bietet mit seinem Beitrag: Das Fremde Fremdheit und Idenlitt
eine allgemeine Einfhrung
in
die sozialen Konstitutionsbedingungen
des
Frem-
den. Beginnend mit Krperlichkeit, Sprache, dem System der sozialen Gruppe,
vor a llem aber in einem berblick ber sozialanthropologische Grundlagen wer-
den die gesellschaftlichen Voraussetzungen herausgearbeitet,
auf
denen die ele-
mentare Scheidung aufruht. Gleichzeitig geht aus seiner Darstellung hervor, da
die verschiedenen Varianten des Fremderlebens immer auch Ausdruck einer ba-
salen humanen Verbundenheit sind, die als eine allgemeinmenschIiche Seite
den Trennungen vorausliegt. ieResonanz mi t dieser fremdgewordenen Ur-
sprnglichkeit wird allerdings nicht notwendigerweise nur als Fhigkeit zum
Fremdverstehen und zur interkulturellen Verstndigung sprbar, sondern ebenso
als tiefgrndige Feindseligkeit, so z.B. wenn man meint, s ich des Anderen bis
aufs Messer erwehren zu mssen. Dieses virulente Aggressionspotential lt
sich nur ber ein kulturelles Netz von Zuverlssigkeiten , z.B. in Gestalt von
Minderheitenschutz, in Schach halten. Humane Verbundenheit ist somit immer
nur
mit dem Preis einer Unterwerfung unter die herrschenden Sitten derjeweils
dominierenden Kultur zu haben. Claessens Beitrag lt daher erkennen,
da
die
integrativen Deutungen des Fremden im Erfahrungsmodus keineswegs
auf
eine
harmonische bereinstimmung hinauslaufen mssen; vielmehr macht
er
darauf
aufmerksam, da
auf
dem Resonanzboden sozialanthropologischer Vorausset-
zungen immer auch Aggressionslust, d.h. Freude am Unglck des anderen mit-
schwingt.
Ortfried Schffter
28