Schalentheorie oder Ringtheorie? Ein Beitrag zur ... · – so beispielsweise das in DIN 15020, ISO...

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IMW - Institutsmitteilung Nr. 26 (2001) 17 Schalentheorie oder Ringtheorie? Ein Beitrag zur Dimensionierung des Trommelmantels Mupende, I. Die Seiltrommel ist ein wichtiges Bauelement der Fördertechnik. Für ihre Auslegung gibt die Norm nur wenige Hinweise, s.d. in der Regel vereinfachte Theorien und das Erfahrungswissen des Konstruk- teurs zur Anwendung kommen. Mit dieser Vorge- hensweise werden nicht selten die Beanspruchun- gen in der Trommel unterschätzt, was zur Plastifi- zierung des Mantels oder zum kompletten Ausfall der Trommel während des Betriebs führen kann. Literature and technical standard do not give enough details about the calculation from hoisting drum. In many cases the dimensioning ist done ac- cording to the company experiences and with sim- plified theorie. This underestimate the real stress concentration and leads in many cases to plastifi- cation of the drum body or a total damage of the hoisting drum. 1 Die Seiltrommel Die Seiltrommel ist eines der Maschinenelemente, welches die Drehbewegung eines Antriebsele- mentes in eine Längsbewegung mittels eines Seiles umwandelt. Im Unterschied zur Treibscheibenwin- de, speichert die Seiltrommel gleichzeitig die ge- samte Seillänge auf ihrem Mantel. Dies kann bei sehr großen Nutzlängen in mehreren Lagen erfol- gen. Das seitliche Abrutschen des Seilpaketes wird durch die Bordscheiben verhindert. Bild 1: Schnittdarstellung einer Seiltrommel Im Vergleich zu andern mechanischen Systemen, wie Spindeln und Zahnstangen, welche auch die Rotationsbewegung in eine Linearbewegung um- wandeln, ist die Seiltrommel sehr kompakt und kann eine sehr große Nutzlänge anbieten. Aufgrund dieses Vorteils ist sie in vielen Bereichen aber be- sonderes in der Fördertechnik (z.B. im Kran, Auf- zugsbau) weit verbreitet. 1.1 Auslegung des Seiles und der Seiltrom- mel Basierend auf den Kundenanforderungen erfolgt die Seilauswahl und Auslegung nach Normvor- schriften (DIN 15020, ISO 4308 - 4309, VDI 2358 und FEM Sektion I und IX) und mit Hilfe von Seil- herstellerkatalogen. Diese bieten ausreichende In- formationen, um ein für den Anwendungsfall geeig- netes Seil auszuwählen. Für die Auslegung der Trommel stehen dem Kon- strukteur sehr wenige Informationen zu Verfügung – so beispielsweise das in DIN 15020, ISO 8087 empfohlene Verhältnis von Trommelgrunddurch- messer D g zu Seildurchmesser d s . Weitere Anga- ben, z.B. zur Dimensionierung der Mantelwand- stärke h oder der Bordscheibendicke h B insbeson- dere bei mehrlagig bewickelten Seiltrommeln, sind nicht verfügbar. In der Praxis erfolgt die Auslegung der Trommel nach der Firmenphilosophie und den Erfahrungen der Konstrukteure. Die Seiltrommel wird in ihre Ein- zelkomponenten, d.h. Bordscheiben, Mantel, Kopplungsring und Stützscheiben zerlegt und jede Komponente wird einzeln mit vereinfachten ma- thematischen Ansätzen ausgelegt. In vielen Fälle werden jedoch nur die Hauptkomponenten, d.h. der Mantel nach der Ring- oder der Schalentheorie und die Bordscheiben nach der Biegebalken- oder der symmetrisch belasteten Plattentheorie berechnet. 2 Die Schalentheorie für die Seiltrommel Die geometrische Gestalt des Trommelmantels ge- nügt in der Regel den Kriterien für die Anwendung der Schalentheorie. Dies bedeutet, dass das Ver-

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IMW - Institutsmitteilung Nr. 26 (2001) 17

Schalentheorie oder Ringtheorie?Ein Beitrag zur Dimensionierung des Trommelmantels

Mupende, I.

Die Seiltrommel ist ein wichtiges Bauelement derFördertechnik. Für ihre Auslegung gibt die Normnur wenige Hinweise, s.d. in der Regel vereinfachteTheorien und das Erfahrungswissen des Konstruk-teurs zur Anwendung kommen. Mit dieser Vorge-hensweise werden nicht selten die Beanspruchun-gen in der Trommel unterschätzt, was zur Plastifi-zierung des Mantels oder zum kompletten Ausfallder Trommel während des Betriebs führen kann.

Literature and technical standard do not giveenough details about the calculation from hoistingdrum. In many cases the dimensioning ist done ac-cording to the company experiences and with sim-plified theorie. This underestimate the real stressconcentration and leads in many cases to plastifi-cation of the drum body or a total damage of thehoisting drum.

1� Die Seiltrommel

Die Seiltrommel ist eines der Maschinenelemente,welches die Drehbewegung eines Antriebsele-mentes in eine Längsbewegung mittels eines Seilesumwandelt. Im Unterschied zur Treibscheibenwin-de, speichert die Seiltrommel gleichzeitig die ge-samte Seillänge auf ihrem Mantel. Dies kann beisehr großen Nutzlängen in mehreren Lagen erfol-gen. Das seitliche Abrutschen des Seilpaketes wirddurch die Bordscheiben verhindert.

Bild 1: Schnittdarstellung einer Seiltrommel

Im Vergleich zu andern mechanischen Systemen,wie Spindeln und Zahnstangen, welche auch dieRotationsbewegung in eine Linearbewegung um-wandeln, ist die Seiltrommel sehr kompakt undkann eine sehr große Nutzlänge anbieten. Aufgrunddieses Vorteils ist sie in vielen Bereichen aber be-sonderes in der Fördertechnik (z.B. im Kran, Auf-zugsbau) weit verbreitet.

1.1� Auslegung des Seiles und der Seiltrom-mel

Basierend auf den Kundenanforderungen erfolgtdie Seilauswahl und Auslegung nach Normvor-schriften (DIN 15020, ISO 4308 - 4309, VDI 2358und FEM Sektion I und IX) und mit Hilfe von Seil-herstellerkatalogen. Diese bieten ausreichende In-formationen, um ein für den Anwendungsfall geeig-netes Seil auszuwählen.

Für die Auslegung der Trommel stehen dem Kon-strukteur sehr wenige Informationen zu Verfügung– so beispielsweise das in DIN 15020, ISO 8087empfohlene Verhältnis von Trommelgrunddurch-messer Dg zu Seildurchmesser ds. Weitere Anga-ben, z.B. zur Dimensionierung der Mantelwand-stärke h oder der Bordscheibendicke hB insbeson-dere bei mehrlagig bewickelten Seiltrommeln, sindnicht verfügbar.

In der Praxis erfolgt die Auslegung der Trommelnach der Firmenphilosophie und den Erfahrungender Konstrukteure. Die Seiltrommel wird in ihre Ein-zelkomponenten, d.h. Bordscheiben, Mantel,Kopplungsring und Stützscheiben zerlegt und jedeKomponente wird einzeln mit vereinfachten ma-thematischen Ansätzen ausgelegt. In vielen Fällewerden jedoch nur die Hauptkomponenten, d.h. derMantel nach der Ring- oder der Schalentheorie unddie Bordscheiben nach der Biegebalken- oder dersymmetrisch belasteten Plattentheorie berechnet.

2� Die Schalentheorie für die Seiltrommel

Die geometrische Gestalt des Trommelmantels ge-nügt in der Regel den Kriterien für die Anwendungder Schalentheorie. Dies bedeutet, dass das Ver-

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hältnis der Wanddicke h zum Mittelflächenradius aWerte kleiner als 0,2 aufweisen muss. GängigeSeiltrommelkonstruktionen im Bereich des Kran-baus besitzen ein Wanddicken/Radiusverhältniszwischen 0,05 ≤ h/a ≤ 0,15. Dieses verringert sichfür Bergbautrommeln bis zu einem Wert von 0,01.

Fall Verhältnis h/a

Gültigkeit der Schalentheorie h/a ≤ 0,2

Sehr dicke Schalen (Rohre) 0,1 ≤ h/a ≤ 0,2

Dicke Schalen 0,04 ≤ h/a < 0,1

Sehr dünne Schalen h/a < 0,005

Tab. 1: Einteilung der Kreiszylinderschalen

Schalen sind Flächentragwerke mit einfach oderdoppelt gekrümmter Mittelfläche. Für ihre Berech-nung werden zwei Theorien angewendet:

- die Membrantheorie und

- die Biegetheorie.

Bei der Membrantheorie wird ein ebener Span-nungszustand vorausgesetzt. Die Spannungen wir-ken nur parallel zur Schalenmittelfläche. Einesprunghafte Änderung der Geometrie (z.B. An-kopplung der Bord- und Stützscheiben bei Seil-trommeln), Behinderungen durch die Lagerung derSchale oder Kräftekonzentrationen senkrecht zurSchalenmittelfläche stören den Membranspan-nungszustand und führen zur Anwendung der Bie-getheorie. Diese muss auch dann angewendetwerden, wenn außer den tangential zur Mittelflächeder Schale wirkenden Längskräften zusätzlichQuerkräfte und Biegemomente sowie Drillmomenteauftreten. Die Spannungen derartig beanspruchterBiegeschalen sind nicht gleichmäßig über derSchalendicke verteilt.

Für die Anwendung der Schalentheorie auf dieTrommeldimensionierung gelten folgende Annah-men:

1. Der Druck auf den Trommelkörper wird alsgleichmäßig verteilte Flächenbelastung p(x)über Umfang und Länge am Ende der Auf-wicklung angenommen.

2. Das Material der Trommel muss den Grundbe-dingungen der Elastizität genügen, das heißt,es muss homogen und isotrop sein und seineElastizität linear entsprechend dem Hoo-ke´schen Gesetz ändern.

3. Alle Punkte, die vor der Verformung auf einerNormalen zur Mantelmittelfläche liegen, sollensich auch nach der Verformung auf einer Nor-malen zur verformten Mittelfläche befinden.Damit wird die Schubverformung im Mantelvernachlässigt.

4. Die Verschiebung senkrecht zur Mantelflächeist im Vergleich zur Manteldicke klein, ihre ersteAbleitung ist sehr viel kleiner als eins. Dies er-laubt, im Rahmen der linearen Theorie, nur li-neare Glieder zu berücksichtigen. Die Richtig-keit des Superpositionsprinzips wird durch die-se Annahme gewährleistet.

5. Die relativen Abstände von Punkten innerhalbdes Mantels werden nicht durch die Verfor-mung verändert. Dies gilt insbesondere für denAbstand von Punkten zur Mittelfläche. DieseAnnahme ist wichtig für die Aufstellung derVerzerrungs- und Verschiebungsbeziehungenund der Berechnung der Biegespannungen.

6. Die Manteldicke ist im Vergleich zu allen ande-ren Abmessungen klein. Die Spannungsvertei-lung wird linear über der Dicke angenommen.

7. Die zur Mittelfläche senkrecht wirkenden Nor-malspannungen sind vernachlässigbar.

2.1� Schalentheorie 1. Ordnung

Mit der Annahme von kleinen Verschiebungen inradialer Richtung können die Gleichgewichtsbedin-gungen des Schalenelementes im unverformtenZustand hergeleitet werden. Man spricht bei dieserVorgehensweise von der Theorie 1. Ordnung. Hierwird der Einfluss der Formänderungen auf denKräfteverlauf vernachlässigt.

Bild 2: Definition der Schnittkräfte am unver-formten Schalenelement

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Die allgemeine Lösung der Differentialgleichungdes Gleichgewichtszustandes beschreibt die Ver-formung w(x) des Mantels. Ihr Verlauf ist abhängigvon den Randbedingungen.

+

+++++=

[�

��

������

���� ������� ���� ��

�� ���������� ��� ������

νχ

χχχχχχχχ

43

21

mit:

χ : Abklingkonstante oder Behälterkennzahl

ν : Querkontraktionszahl

K : Biegesteifigkeit des Mantels

2.2� Schalentheorie 2. Ordnung

Die Theorie der 1. Ordnung setzt voraus, dass dieradiale Verformung sehr gering im Vergleich zurSchalendicke ist. Diese Annahme trifft für das Ver-halten dicker und sehr dicker Schalen mit elasti-schem Werkstoffverhalten besonders gut zu. Fürdünne und sehr dünne Schalen oder bei plasti-schem Werkstoffverhalten ist diese Annahme nurbedingt zutreffend. Ist das Verformungsverhaltennicht eindeutig bekannt, sollte die Theorie der 2.Ordnung herangezogen werden. Die Theorie der 2.Ordnung betrachtet den Gleichgewichtszustand aneinem verformten Schalenelement. Dabei wird dieNeigung ϕ des Schalenelementes unter der äuße-ren Belastung berücksichtigt.

Bild 3 Schnittkräfte am verformten Schalenele-ment

Aus dem Gleichgewichtszustand ergibt sich dieMantelverformung w(x) für Nx < 4χ2K:

mit:

2.3� Mantel als Zusammensetzung von Ringe-lementen

Der Verlauf und die Höhe der Radialverformungdes Mantels sind von den Randbedingungen ab-hängig, welche die Bestimmung der Konstante Ci

ermöglichen. Für den Mantel sind vier Lagerungenmöglich:

1. Freie Lagerung

2. Freier Rand

3. Elastischer Rand

4. Fest eingespannter Rand

Bei einem ungelagerten Mantel (freie Ränder) er-geben sich keine Biegebeanspruchungen unterdem äußeren konstanten Druck, wenn die Wand-stärke als konstant vorausgesetzt wird. Der Mantelkann in diesem Fall als eine Zusammensetzungvon mehreren Ringe unter Radialdruck betrachtetwerden. Die Beanspruchungen ähneln denen ei-nes Rings unter Radialdruck.

Bild 4 Schnittkräfte eines ungelagerten Mantels

����

�[�[� +=−=

−+

+++++=

[�

��

�����

���� ������� ���� ��

�� ����������� �� ������

νχ

βαβαβαβα

43

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Im Mantel werden die Radialverformungen w(x) =w0 und die Tangentialspannung σθ = σ0 als konstantüber der gesamten Länge angenommen.

)()(

)(

����

����

����

⋅==

⋅== ϑσσ

3� Vergleich der 1. und der 2. Schalentheoriesowie der Ringtheorie

Vergleichsrechnungen mit der Theorie 1. Ordnungund 2. Ordnung zeigen für den Mantel der Seil-trommel nur sehr geringe Abweichungen unterein-ander:

- Für beide Theorien ist der Unterschied zwi-schen den Ergebnissen mit bzw. ohne Berück-sichtigung der Axialkraft kleiner als 1%.

- Die Berechnungswerte beider Theorien sindidentisch ohne Berücksichtigung der Axialkraft(Nx = 0) und

- Mit Berücksichtigung der Axialkraft (Nx ≠ 0) be-trägt der Unterschied zwischen beiden Theori-en 0,002%.

Die Untersuchungen haben weiterhin gezeigt, dassdie Analyse des Verformungsverhaltens desTrommelmantels mit der Schalentheorien stark vonden Randbedingungen und der Schalenlänge ab-hängig ist. Die berechneten Beanspruchungen sindin jedem Fall größer als die mit der Ringtheorie,d.h. der ungelagerten Schale, ermittelten Werte.

Bild 5 Verlauf der Verformungen des Mantels inAbhängigkeit von der Randbedingungenund der reduzierte Länge (Abklingkon-stante χ⋅ Mantellänge L)

Bild 6 Vergleichsspannung im Trommelmantelbezogen auf die Spannung in einem Ringin Abhängigkeit von der Mantellänge undder Abklingkonstante

4� Zusammenfassung

Die Auslegung des Trommelmantels mit der Ring-theorie kann für Seiltrommeln mit einer kurzen re-duzierten Länge (χ⋅L) zu kritischen Ergebnissenführen. Die Unterschätzung der Beanspruchungenkann bis zu 25% betragen. Dies kann bei nicht aus-reichenden Sicherheitsannahmen zur Plastifizie-rung oder zu unzulässig hohen Axial- und Radial-verformungen des Mantels führen. Die Dimensio-nierung des Mantels mit der Schalentheorie ist diegeeignete Vorgehensweise, um Seiltrommeln ohnesehr hohe Sicherheitsfaktoren auszulegen. Dabeigenügt die Theorie der 1. Ordnung für die Mante-lauslegung üblicher Seiltrommeln (Kran- und Auf-zugsbereich). Die Axialkraft der Bordscheiben kannohne große Fehler in der Beanspruchung desMantels vernachlässigt werden.

5� Literatur

/1/ Dietz, P: Ein Verfahren zur Berechnung ein-und mehrlagig bewickelter Seiltrommeln.Dissertation, TH Darmstadt, Darmstadt, 1971

/2/ Mupende, I: Beanspruchungs- und Verfor-mungsverhalten des Systems Trommelman-tel – Bordscheiben bei mehrlagig bewickeltenSeiltrommeln unter elastischem und teilpla-stischem Werkstoffverhalten. Dissertation,TU Clausthal, Cuvillier Verlag Göttingen,2001