Schieûen? Heute kein Bock! - Jägervereinigung Mergentheim · kein Stck zu sakral. Lou Sabine...

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Spürt immer die Verantwortung als Jägerin: Lou Sabine Matzen Fotos: Paulina Hildesheim sie gemerkt, „dass mir das alles sehr na- he ist – Ski fahren zum Beispiel wäre mir sehr viel fremder.“ Der Sorglosigkeit des strawanzenden Kindes kann man 40 Jahre später freilich nur nachspüren – wenn sie die Wild- schweine, die früher im Garten wühlten, jetzt vom Hochsitz aus mit einem Ge- wehr in der Hand beobachtet, spürt sie immer auch die Verantwortung. „Klar, ich habe mich am Anfang auch gefragt: Kann ich das, geht das? Die Entscheidung über Leben und Tod treffen?“ Sie erzählt von den Kisten mit Mais, mit denen man Wildschweine an günstige, von der Kan- Die hüfthohen Raschelgräser puscheln beim Durchstreifen die Hosenbeine nass. Dieses ganz besondere Licht, das man sonst verschläft, genau zwischen Dunkel und Dämmern, malt den Himmel flie- derblau. Es ist kurz nach vier, und wir sind auf dem Weg zur Kanzel. So nennt der Jäger seinen Hochsitz, und in dieser andachtsstillen, irgendwie naturfrischen Stimmung scheint diese Bezeichnung kein Stück zu sakral. Lou Sabine Matzen geht vornweg, der hochgeklappte Kragen ihrer grünsche- ckigen Tarnjacke ist berberitzenrot, ein einziger Farbtupfer. Seit 2010 ist sie Jäge- rin in Brandenburg, 48 Jahre alt, Recher- cheurin von Beruf. Sie hat kein eigenes Waldstück gepachtet, sondern hat einen Begehungsschein für Reviere befreunde- ter Jäger. Heute pirschen wir in der Nähe des Schwielowsees zum Ansitz. Dass hier mitunter eine Frau jagt, erstaunt nur Traditionalisten. Ende der achtziger Jahre war die Jagd noch zu 99 Prozent männlich, Jägerinnen mach- ten (nach Zahlen des Deutschen Jagdver- bandes) nur das kümmerliche Restpro- zent aus. Doch inzwischen ist jeder vierte Jägerschulenbesucher eine Frau, immer mehr weibliche Förstlerinnen zieht es in den Wald. Bei manchen mag das ein weiteres In- diz für den seit Jahren stetig steigenden Landdrang zu sein – es fällt gerade im- mer leichter, die Natur bei all dem Ärger mit den Auswüchsen und Bewohnern der menschlichen Zivilisation als bessere Gegenwelt zu sehen. Nie gab es mehr gu- te Gründe für die verlockende Flucht in eine verfarnte Innerlichkeit – der Wald als moosig weich gepolsterter, beruhi- gend grüner Fluchtort für die Überforde- rungen des Alltags. Lou Matzen aber geht nicht auf die Jagd, um in eine neue, fremde, noch zu erforschende Welt zu flüchten. Bei ihr ist es eine Rückkehr an einen vertrauten, nur zwischendurch verlorenen Ort, ein stiller Wunsch, der sich über die Jahre an die Oberfläche schaufelte: Die Erinne- rung an die Ferien ihrer Kindheit, im waldnahen Haus ihrer Großeltern in Caputh. „Im Garten gingen Fasane und Rehe spazieren, manchmal auch Wild- schweine. Von Opa habe ich gelernt, wie man Setzlinge vor hungrigen Hasen schützt“, erzählt sie flüsternd. „Tagelang sind wir als Kinder mit den Rädern durch die brandenburgischen Wälder, haben uns in ihnen rumgetrieben, das hat mich geprägt.“ Als sie, nun mit Jagdschein, wieder in den Wald zurückkehrte, habe Im Wald ist Ruhe – zwischendurch trötet höchstens mal ein Fasan. Immer mehr Frauen entdecken als Jägerinnen dieses moosweiche Paralleluniversum, frei vom nervigen Kram des Alltags. Wenn Lou Sabine Matzen auf die Jagd geht, kehrt sie auch in die Welt ihrer Kindheit zurück, in der sie sorglos durch den brandenburgischen Wald stromerte. VON ANJA RÜTZEL zel aus gut anpeilbare Orte gewöhnen kann – „kirren“ heißt das in der Jäger- sprache. Schnell hätten die schlauen Schweine gelernt, den Deckel der Kiste selbst zu öffnen, und servierte man ih- nen die Maiskörner in durchlöcherten Plastikkegeln, spielten sie damit genauso wie Hunde, denen man Leckerli in einem Beschäftigungsspielzeug versteckt – nur eben wie reichlich struppige, etwas plauzige Hunde. „Mit Rehen funktioniert ein solches Anfüttern nicht“, sagt Lou Sabine Matzen. „Sie sind Konzentrat- selektierer, nehmen hier ein Gräschen, da ein Hälmchen – kleine Mäkelbrüder!“ Nacheinander klettern wir die steile Ansitzleiter hoch, auf der Kanzel ist ge- nügend Platz, um bequem nebeneinan- der auf der schmalen Bank zu sitzen. Lou erklärt, auf wen wir gleich warten wer- den: auf einen sogenannten C-Bock, einen schlecht entwickelten Jährling, den man daran erkennt, dass sein Gehörn so kümmerlich ist, dass es von den Ohren überragt wird. Oder, korrekt: Die Lau- scher sind größer als die Stangen. Die Jä- gerin reicht einen Kopfhörer mit großen Muscheln, denn ein Schuss aus nächster Nähe kann einem durchaus stundenlan- ges Ohrenklingeln bescheren. Ihr Ge- wehr ist eine alte DDR-Waffe, von einem Suhler Büchsenmacher aufgearbeitet, eine Bockbüchsflinte mit Einstecklauf, Kaliber 7x57R. Wir warten vielleicht eine Viertelstun- de, da zeigt sich das erste Stück: Eine dicke Ricke, mutmaßlich schwanger, tritt auf das freie Feld vor der Kanzel und kommt natürlich nicht als Abschusskandidatin infrage. Die Auswahl ist ohnehin be- grenzt, weil gerade Brut- und Setzzeit ist. Lou erzählt vom ersten Tier, das sie er- legt hat: Ein Überläufer, ein Keilerchen, natürlich hat sie ihn nie vergessen. Nicht immer gehe es ihr aber beim Ansitzen auch wirklich um einen Abschuss: „Manchmal sitze ich da, es kommt ein passendes Stück, es steht gut, doch ich denke: Nee, ich will aber nicht. Jetzt schießen? Ach nö! Es fühlte sich an, als ob sich mir eine Hand auf die Schulter legt. Was für ein Luxus, das entscheiden zu dürfen.“ Ihren ersten Bock hat sie da- mals laufen lassen, weil sie so überwäl- tigt war: „Es passte einfach nicht.“ In der kleinen Baumgruppe gegen- über trötet ein Fasan. So vornehm der Vogel mit seiner Schwanzfederschleppe aussieht, so rosthupig klingt seine Stim- me, eigentlich gerecht. Lou ist gespannt, ob wir Damwild sehen, Schmalspießer und Schmaltiere wären gerade ebenfalls zum Abschuss frei, also die männlichen und weiblichen Tiere, die im vergange- nen Jahr noch Kälber waren. „Damwild muss man aushalten“, flüstert Lou, ganz ruhig sitzen, sich nicht rühren, denn sie sichern sehr ausgiebig ihre Umgebung, bevor sie aus der Deckung hervortreten. Manchmal ist sie bei Gesellschafts- jagden immer noch die einzige Frau, ob- wohl sie selbst den Eindruck hat, dass die Zahl der Jägerinnen wächst. Manchmal seien diese gemeinschaftlichen Jagden hier in Brandenburg aber körperlich so anstrengend – durch das hohe Schilf, bergab, bergauf in alten Tongruben –, dass das vielleicht manche Jägerinnen abschrecke, die dann lieber den Ansitz vorziehen. Ab und zu beklagten sich be- freundete Jägerinnen auch schon mal, dass die männlichen Kollegen sie nicht ernst nähmen, sie sich ständig beweisen müssten. Klar, sagt Lou, gebe es immer Schießen? Heute kein Bock! Zum Abschuss frei: Schmalspießer „Ich habe mich am Anfang auch gefragt: Kann ich das? Die Entscheidung über Leben und Tod treffen?“ LOU SABINE MATZEN, JÄGERIN

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Spürt immer die Verantwortung als Jägerin: Lou Sabine Matzen Fotos: Paulina Hildesheim

sie gemerkt, „dass mir das alles sehr na­he ist – Ski fahren zum Beispiel wäre mirsehr viel fremder.“

Der Sorglosigkeit des strawanzendenKindes kann man 40 Jahre später freilichnur nachspüren – wenn sie die Wild­schweine, die früher im Garten wühlten,jetzt vom Hochsitz aus mit einem Ge­wehr in der Hand beobachtet, spürt sie immer auch die Verantwortung. „Klar,ich habe mich am Anfang auch gefragt:Kann ich das, geht das? Die Entscheidungüber Leben und Tod treffen?“ Sie erzähltvon den Kisten mit Mais, mit denen manWildschweine an günstige, von der Kan­

Die hüfthohen Raschelgräser puscheln beim Durchstreifen die Hosenbeine nass.Dieses ganz besondere Licht, das man sonst verschläft, genau zwischen Dunkelund Dämmern, malt den Himmel flie­derblau. Es ist kurz nach vier, und wirsind auf dem Weg zur Kanzel. So nennt der Jäger seinen Hochsitz, und in dieserandachtsstillen, irgendwie naturfrischenStimmung scheint diese Bezeichnungkein Stück zu sakral.

Lou Sabine Matzen geht vornweg, derhochgeklappte Kragen ihrer grünsche­ckigen Tarnjacke ist berberitzenrot, eineinziger Farbtupfer. Seit 2010 ist sie Jäge­rin in Brandenburg, 48 Jahre alt, Recher­cheurin von Beruf. Sie hat kein eigenesWaldstück gepachtet, sondern hat einenBegehungsschein für Reviere befreunde­ter Jäger. Heute pirschen wir in der Nähedes Schwielowsees zum Ansitz.

Dass hier mitunter eine Frau jagt,erstaunt nur Traditionalisten. Ende derachtziger Jahre war die Jagd noch zu99 Prozent männlich, Jägerinnen mach­ten (nach Zahlen des Deutschen Jagdver­bandes) nur das kümmerliche Restpro­zent aus. Doch inzwischen ist jeder vierteJägerschulenbesucher eine Frau, immermehr weibliche Förstlerinnen zieht es inden Wald.

Bei manchen mag das ein weiteres In­diz für den seit Jahren stetig steigendenLanddrang zu sein – es fällt gerade im­mer leichter, die Natur bei all dem Ärgermit den Auswüchsen und Bewohnernder menschlichen Zivilisation als bessereGegenwelt zu sehen. Nie gab es mehr gu­te Gründe für die verlockende Flucht ineine verfarnte Innerlichkeit – der Waldals moosig weich gepolsterter, beruhi­gend grüner Fluchtort für die Überforde­rungen des Alltags.

Lou Matzen aber geht nicht auf dieJagd, um in eine neue, fremde, noch zuerforschende Welt zu flüchten. Bei ihr istes eine Rückkehr an einen vertrauten,nur zwischendurch verlorenen Ort, einstiller Wunsch, der sich über die Jahre andie Oberfläche schaufelte: Die Erinne­rung an die Ferien ihrer Kindheit, imwaldnahen Haus ihrer Großeltern inCaputh. „Im Garten gingen Fasane undRehe spazieren, manchmal auch Wild­schweine. Von Opa habe ich gelernt, wieman Setzlinge vor hungrigen Hasenschützt“, erzählt sie flüsternd. „Tagelang sind wir als Kinder mit den Rädern durchdie brandenburgischen Wälder, habenuns in ihnen rumgetrieben, das hat michgeprägt.“ Als sie, nun mit Jagdschein,wieder in den Wald zurückkehrte, habe

Im Wald ist Ruhe – zwischendurch trötet höchstens mal ein Fasan. Immer mehr Frauen entdecken als Jägerinnen dieses moosweiche Paralleluniversum, freivom nervigen Kram des Alltags. Wenn Lou Sabine Matzen auf die Jagd geht,kehrt sie auch in die Welt ihrer Kindheit zurück, in der sie sorglos durch denbrandenburgischen Wald stromerte.

V O NA N J A R Ü T Z E L

zel aus gut anpeilbare Orte gewöhnenkann – „kirren“ heißt das in der Jäger­sprache. Schnell hätten die schlauenSchweine gelernt, den Deckel der Kisteselbst zu öffnen, und servierte man ih­nen die Maiskörner in durchlöchertenPlastikkegeln, spielten sie damit genausowie Hunde, denen man Leckerli in einemBeschäftigungsspielzeug versteckt – nur eben wie reichlich struppige, etwasplauzige Hunde. „Mit Rehen funktioniertein solches Anfüttern nicht“, sagt LouSabine Matzen. „Sie sind Konzentrat­selektierer, nehmen hier ein Gräschen,da ein Hälmchen – kleine Mäkelbrüder!“

Nacheinander klettern wir die steileAnsitzleiter hoch, auf der Kanzel ist ge­nügend Platz, um bequem nebeneinan­der auf der schmalen Bank zu sitzen. Louerklärt, auf wen wir gleich warten wer­den: auf einen sogenannten C­Bock,einen schlecht entwickelten Jährling, denman daran erkennt, dass sein Gehörn sokümmerlich ist, dass es von den Ohrenüberragt wird. Oder, korrekt: Die Lau­scher sind größer als die Stangen. Die Jä­gerin reicht einen Kopfhörer mit großenMuscheln, denn ein Schuss aus nächsterNähe kann einem durchaus stundenlan­ges Ohrenklingeln bescheren. Ihr Ge­

wehr ist eine alte DDR­Waffe, von einemSuhler Büchsenmacher aufgearbeitet,eine Bockbüchsflinte mit Einstecklauf,Kaliber 7x57R.

Wir warten vielleicht eine Viertelstun­de, da zeigt sich das erste Stück: Eine dickeRicke, mutmaßlich schwanger, tritt aufdas freie Feld vor der Kanzel und kommt natürlich nicht als Abschusskandidatin infrage. Die Auswahl ist ohnehin be­grenzt, weil gerade Brut­ und Setzzeit ist.

Lou erzählt vom ersten Tier, das sie er­legt hat: Ein Überläufer, ein Keilerchen,natürlich hat sie ihn nie vergessen. Nichtimmer gehe es ihr aber beim Ansitzen auch wirklich um einen Abschuss:„Manchmal sitze ich da, es kommt einpassendes Stück, es steht gut, doch ichdenke: Nee, ich will aber nicht. Jetztschießen? Ach nö! Es fühlte sich an, alsob sich mir eine Hand auf die Schulterlegt. Was für ein Luxus, das entscheidenzu dürfen.“ Ihren ersten Bock hat sie da­mals laufen lassen, weil sie so überwäl­tigt war: „Es passte einfach nicht.“

In der kleinen Baumgruppe gegen­über trötet ein Fasan. So vornehm der Vogel mit seiner Schwanzfederschleppeaussieht, so rosthupig klingt seine Stim­me, eigentlich gerecht. Lou ist gespannt,ob wir Damwild sehen, Schmalspießerund Schmaltiere wären gerade ebenfallszum Abschuss frei, also die männlichen und weiblichen Tiere, die im vergange­nen Jahr noch Kälber waren. „Damwildmuss man aushalten“, flüstert Lou, ganzruhig sitzen, sich nicht rühren, denn siesichern sehr ausgiebig ihre Umgebung, bevor sie aus der Deckung hervortreten.

Manchmal ist sie bei Gesellschafts­jagden immer noch die einzige Frau, ob­wohl sie selbst den Eindruck hat, dass dieZahl der Jägerinnen wächst. Manchmal seien diese gemeinschaftlichen Jagden hier in Brandenburg aber körperlich soanstrengend – durch das hohe Schilf,bergab, bergauf in alten Tongruben –,dass das vielleicht manche Jägerinnen abschrecke, die dann lieber den Ansitz vorziehen. Ab und zu beklagten sich be­freundete Jägerinnen auch schon mal,dass die männlichen Kollegen sie nichternst nähmen, sie sich ständig beweisenmüssten. Klar, sagt Lou, gebe es immer

Schießen? Heute kein Bock!

Zum Abschuss frei: Schmalspießer

„Ich habe mich am Anfang auch gefragt:

Kann ich das? Die Entscheidung über Leben

und Tod treffen?“

LOU SABINE MATZEN,JÄGERIN