Schizophrene Kriegspsychosen

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(Aus dem Reservelazarett Weil~onau [('hefarzt Oberstabsarzt d. l,. Dr, Krimmel].) Sehizophrene Kriegspsychosen. roll l)r. [(urt Schneider (KNn). Oberarzt d. l{es. (Eingegangen am 12. JMi 1918.) Wenn man als Arzt (,ines reinen Psychosentazarettes des Heimat- gebietes vor allem Sehiz()phrenien zu sehen bekommt, und zwar in soleher Masse, (lag aueh die Paralysen dancben fast versehwinden, so fr~igt man sieh, t.rotz der ablehnenden Stellungnahme s:~imtlieher Autoren, doeh, ob nieht der Krieg eine Zunahme dieser Erkrankungs- formen bedingt. Gewil] isI die Anh~iufung der Sehizophrel~en in solehen Lazaretten aueh durch rein ~iugerliehe Momen/e verst~tndlieh. Die Kranken, (lie dureh Feldlazarette, Kricgslazarette, Beobaehtungs- stationen zuletzt in eine Heilanstalt ihrer Heimat kommen, sind ehro- niseh Geisteskranke, und ehroniseh ()eist.eskranke jugcndliehen und mittleren Alters sind ebe~l zum gr6Bten Tell Sehizophrene. Augerdem sammeln sieh, da doch fast alle M/tnner dicser Altersklassen Soldaten sind, alle Schizophrenen aus dem Berciehe eines Armeekorps in einem Lazarett, wi~hren(l sic sieh im Frieden je naeh ihrem Wohn- siize auf versehiedene Heilanstalten verteilt hiitten, und cndlieh mull man annehmen, dab viele leiehtere und unauffitllige Formen ohne den Krieg niemals in iirztliehe Beobaehtung m~d ~:ollends nieht in eine Heilanstalt gekommen w/tren. Solel~e Kranke, (lie vMleieht ihr Leben lang auf ihrem Doff, h6ehstens als sehrullenhafte So11(lerlinge geltend, gelebt h~ttten, fallen unter milit~irisehen Verh/illnissen naturgem/ig welt friiher, st/trker und st6render auf, werden dem Arzt gezeigt und kommen nun, meist voriibergehend und mlr his zum AbsehluB oder zur Einleitung des D. U.-Verfahrens, in die Heilanstalt. Erwiigt man alle diese Umstitnde, kommt man zu dem SehluB. daf3 (lie Zunahme der Schizophrenic eine seheinbare sein mag. Und doeh kann man sich bei der Betraehtung des Einzelfalles mit- unter des Gedankens nieht erwehren, dag der Kriegsdienst als soleher die Psychose ausgel6st oder gar verursaeht hat. Bei dem Gros der F/tile, die, ohne dab eine besondere kOrperliehe oder affektive Vet-

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(Aus dem Reservelazarett Weil~onau [('hefarzt Oberstabsarzt d. l,. Dr, Krimmel].)

Sehizophrene Kriegspsychosen. r o l l

l)r. [(urt Schneider (KNn). Oberarzt d. l{es.

(Eingegangen am 12. J M i 1918.)

Wenn man als Arzt (,ines reinen Psychosentazarettes des Heimat- gebietes vor allem Sehiz()phrenien zu sehen bekommt, und zwar in soleher Masse, (lag aueh die Paralysen dancben fast versehwinden, so fr~igt man sieh, t.rotz der ablehnenden Stellungnahme s:~imtlieher Autoren, doeh, ob nieht der Krieg eine Zunahme dieser Erkrankungs- formen bedingt. Gewil] isI die Anh~iufung der Sehizophrel~en in solehen Lazaretten aueh durch rein ~iugerliehe Momen/e verst~tndlieh. Die Kranken, (lie dureh Feldlazarette, Kricgslazarette, Beobaehtungs- stationen zuletzt in eine Heilanstalt ihrer Heimat kommen, sind ehro- niseh Geisteskranke, und ehroniseh ()eist.eskranke jugcndliehen und mittleren Alters sind ebe~l zum gr6Bten Tell Sehizophrene. Augerdem sammeln sieh, da doch fast alle M/tnner dicser Altersklassen Soldaten sind, a l le Schizophrenen aus dem Berciehe eines Armeekorps in e i n e m Lazarett, wi~hren(l sic sieh im Frieden je naeh ihrem Wohn- siize auf versehiedene Heilanstalten verteilt hiitten, und cndlieh mull man annehmen, dab viele leiehtere und unauffitllige Formen ohne den Krieg niemals in iirztliehe Beobaehtung m~d ~:ollends nieht i n eine Heilanstalt gekommen w/tren. Solel~e Kranke, (lie vMleieht ihr Leben lang auf ihrem Doff, h6ehstens als sehrullenhafte So11(lerlinge geltend, gelebt h~ttten, fallen unter milit~irisehen Verh/illnissen naturgem/ig welt friiher, st/trker und st6render auf, werden dem Arzt gezeigt und kommen nun, meist voriibergehend und mlr his zum AbsehluB oder zur Einleitung des D. U.-Verfahrens, in die Heilanstalt. Erwiigt man alle diese Umstitnde, kommt man zu dem SehluB. daf3 (lie Zunahme der Schizophrenic eine seheinbare sein mag.

Und doeh kann man sich bei der Betraehtung des Einzelfalles mit- unter des Gedankens nieht erwehren, dag der Kriegsdienst als soleher die Psychose ausgel6st oder gar verursaeht hat. Bei dem Gros der F/tile, die, ohne dab eine besondere kOrperliehe oder affektive Vet-

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anlassung vorlag, im Felde an Schizophrenic crkranken, hat man a.ll(rdings den Eindruek, dab sic rein , , s c h i c k s a l s m i t g i g " erkranken, mid oft genug fin(let eine genaue Anamnese schon vor dem Eint r i t t in den Heeresdienst oder. vor dem Ausrftckcn zur Front Momente, (lie fiir eine iiJtere Erkr~nkung sprechen. Dabei mu[t hcrvorgehoben werden, da.f3 man seltencr als inl Frieden wahrheitsgetreue Anamncsen bekommt, da. dic Angeh6rigcn schon im Interesse dcr Rcntc stets (lie friihere vSllige Gesundheit des Erkrankten verfcchten. GewiL~ wird in vielen FS, llen niemand bcs t immt behaupten k6nnen, dal3 die Erkrankung, wenn der Betreffend,,, nicht im Felde gewcsen wgre, auch zum Ausbruch gekommcn w~ire, al)er cbensowenig ist das Gcgentei] zu bcweisen. Etwas ai!ders liegen (lie VcrhMtnisse, wenn schizophren(, Psychosen a k u t a n e i n a f f e k t i v e s E r l e b n . i s im Fglde anschliegen. Hier nmg man zugeben, dab cs erkiinstclt wi~rc, aus theorctischen Griin(len ein(,n Kausalzusam- menhang yon vornhercin abzulehnen.

G i b t es s o l c h e F i i l l e f i b e r h a u p t ? In der LilcI 'alur, die dieses Thema wenig behandd t , liest man nur ganz gelegenllieh yon Schizo- phrenicn, (lie in der Art der 1)sychogenen Kricgspsychoscn ~m lief cr- schiitternde Felderlebnisso sich anschloss(m, so bei t / . i t t c r s h a u s l ) , U h l m ~ n n 2 ) , H e r s c h m a n n a ) . doch gehen die Berichte iiber t in gelcgentlichcs Erw:Ahnen nicht hinaus. Ich habe Grund zv der An- nahme, dalt solche Fiille doch nicht ganz so selten und nicht nur Kuriosa sind, und halt e es zum mindesten ftir m6glich, (lab sie mitmlter iibcr- sehcn werden, h n Beginne wird j~ aueh, vollends wenn man den psychb- gcncn Psychosen ka ta tone Bilder zugesteht, eine sieht,re Diagnose selten m6glieh sein, und erst die Endstat ion, welche die Kranken monate- lang beobachtet und schlieNich ihre Ent lassung aus dem Heere ver- anlal3t, kommt zu dcm Schlussc, daft (.in chroniseher Prozel3 vorliegt.

In einer haJbj~thrigen T~ttigkeit an der Milit:~irabteihmg einer Hcil- anstalt babe ich iiber im ganzcn 36 sichcre, racist iiber t in J a h r psyehiatrisch beobaehtetc Schizophren(, das 1). U.-Zeugnis ausgestellt. Und tinter diesen befinden sieh doeh nieht weniger als 3, (lie ganz akut nach Verschiit{m~gen als , ,Kriegspsychosen'" begonnen haben.

Fall 1. 22jahriger Kriegsfreiwilliger K. Von orblieher Belastung ist niehts bekannt; H. soil gut gelernt httben, ein

aufgewe('lcter Knabe und friiher stets gesund gewesen sein. Am 13. IX. 1914 irat er fudwillig bei einer E. M. G. K. ein un(1 kam am 18. X[. 1914 zur M. G. K. (,ines Inf.-Regts: ills Feld. Am 11. H. 1915 wurde er.dureh Infanteriegeschog am rechien Untersehenkel verwundet, die Wunde heilte langsam; am 3. V. 1915 wurde er aus dem l{eservelazarett K. als g.v. entlassen, worauf er zu seiner E. M. G. K. zuriiekkam. Am 10. IX. 1915 ginger zur M. G. K. eines Gren.-Regts.

z) Miineh. reed. Woehen,~ehr. 1915, S. 1225. z) Miineh. reed. Wochenschr. 1916, S. 659. a) Wiener reed. Woehensehr. 1916, ,q. 1305.

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422 K. Schneider :

zum zweitenmal ins Feld. Wegen ,,Verschfittmrg, traumatische Neurose" am 10. VI. 1916 ins Kriegslazarett M. aufgenommen, gab er in halblautem Tone am durch einen Volltreffer am 9. abends versehiittet worden zu sein, worauf er am 14. VI. 1916 abtransportiert und am 15. V[. 1916 in die psychiatrische Klinik C. kam, wo eberdalls Hysterie angenommen w~lrde. El' klagte fiber Kopf- und Riiekensehmerzen, sprach langsam, schnalzte mit den Lippen und machte einen debilen Eindruck. Schon am 15. V1. 1916 kam er in das Reservelazarett der I-Ieilanstalt G., wo er sich geordnet verhMt, aber mit niemand sprach, vie1 schlief, einmal der Kompagnie schrieb, er wolle eiaen Orden, und immer mehr einen in- dolenten, geistig wenig regsambn Eindruck machte. Er klagte kaum, der an- f//nglich verzwnngen gebfiekte Gang gab s'ich vSllig, schmatzende Bewegungen mit dem Unterkiefl~r fMen jedoeh aueh dort auf, ebenso ein uninteressierter Gesiehtsausdruck. Trotzdem er einen ,,geistig etwas geschwi~ehtell Eindruek" machte, wurde er .am 7. XI. 1916 als ,,Hysteric" und a. v. zum Ersatztruppen- tell entlassen. Dort muBte er stets ,,vorsiehtig" behandelt werden, da er ,,etwas aufgeregt" war, tat abet sonst anscheinend unauff/illig seinen Dienst. W/thrend eines Urlaubs wurde er am 17. IX. 1917 vor dem Rathaus in U. im Herod nachts aufgegriffen told am 18. IX. 1917 dem Festungshauptlazarett U. iibergeben. Die 5futter gab alL, seit seiner Entlassung yon G. sei er durch sein einsilbiges Benehmen allgemein aufgefallen, aueh leicht erregt gewesen, namentlich w~hrend des letzten Urlaubs, in dem er wenig gesproehen habe. lm Lazarett war er an- fangs stupor6s und kata.leptisch, lag mit geschlossenen Augen da, verweigerte (lie Nahrung, hielg Urin und Stuhl zurfiek. Erst am 29. IV. lieg der Stupor naeh. er begann Aufforderungen zu befolgen, zu sprechen, verhielt sieh abet immer noeh abweisend und ging nieht aus sich heraus. AIR ,,hysterischer Ds zustand" wurde, er am 11. X. 1917 ins l~eservelazarett Weigenau gebraeht.

Aueh bier war er zun/~ehst ganz ablehnend, gab keine Antworten, hielt die Augen gesehlossen, lag meist unter der Deeke versteekt. Naeh einigen Tagen gab er jedoeh seine Vorgesehiehte ziemlieh riehtig an, ohne abeL' yon dan n~icht- lichen Vorfifllen in U. etwas zu wissen. Er blieb dann stets igugerst still, htteresse- los, untittig und wortkarg, produzierte niehts, frug nie, was mit ibm werden sollte, zeigte weder traurige, noeh heitere Affekte. Zur Zeit der Ausstellung des D. U.- Zeugnisses, Februar 1918, war er wieder ganz stuporOs, lag mit leerem Gesiehts. ausdruek unter der Deeke und spraeh nur atff energisches Fragen ehl paar Wort~.

Es handelt , s ich d e m n a e h u m e inen f r f iher g e s u n d e n Mann , d e r n a c h

l a n g e m ]? ' ron taufen tha l t im Anschlul~ an eine Versch t i t tm~g m i t e iner

p s y c h o g e n a u s s e h e n d e n P s y e h o s e e r k r a n k t , dessen E r k r a n k u n g a b e r

s ehon fr t ih s ch i zophrene Ztige ze ig t u n d 11/2 J a h r e naeh d e m Bcg inn

e ine e inwandf r e i e S e h i z o p h r e n i e g e n a n n t w e r d e n mug .

F a l l 2. 26j/ihriger Musketier M. Die l~Iutter soll ,,einen etwas geistesgestSrten" Eindruck maehen und eine

Zoitlang ,,nieht reeht" gewesen sein. Der Vater sei ein zu Streitigkeiten und Prozessen neigender Mann, ebenso die zwei Briider des M. Er selbst so]l nir ~mf- gefallen und ein guter Schaler gewesen s e i n . . E r war naeh seinen eig~nen An- gaben stets ,,magenleidend", doch anscheinend hie ernstlieh 1/raak. Ein Stamm- rollenauszug fiber ihn war nicht zu bekonlmen. Naeh seinen eigenen friiheren Angaben wurde er am 8. I. 1915 eingezogen und kern am 8. i[I . 1915 ins Peld. Er soil am 11. X. 1915 in der (:hampagne verschiittet worden, eine Quetsehung des lhLken Untersehenkels erlitten haben, ant 12. X. 1915 mit Lazarettzug in.~ Reservelazarett D, und yon da aus am 19. X. 1915 zum Ers.-Batl. gekommen sein. Mitte.,luli 191ti sei er zum zweitenma[ ins Pehl gekommeli. Sicher isl. dag

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er am 9. VI. 1917 wegen einer ,,Verschtittung" ins Reservelazarett N. kam. Er gab an, am 7. VI. verschiittet worden zu sein, sei bis zum Kopf mit Erde und Steinen bedeckt und 2 Stunden bewuBtlos gewesen. Im Lazarett b o t e r nicht~ als Auswurf; ,,allgemeine Hinfglligkeit" und Klagen fiber Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit. Am 12. VII. 1917 kam er ins Reservelazarett B., wo er dasselbe klagte und yon wo er am 31. VII. 1917 ins Festungshilfslazarett I I U. kam ,,z. B. Jugendirresein". Er gab dort wenig Auskunft, starrte ,,nach einer Gegend hin", erschien stumpfsinnig, hatte nichts mehr zu klagen, wurde ,.wegen Verdacht auf Dementia praecox" am 6. IX. 1917 in das Reservelazarett I I (Nervenklinik) T. verlegt. Er war dort leicht depressiv, stand unt~tig herum, wollte nieht arbeiten; als ,.Depression" 1) kam er am 26. I. 1918 ins Reservelazarett Weil~enau.

Er gab seine Vorgeschichte ~hnlicb wie friiher an, drtiekte sieh abet dabei h~tffig ungenau und kindlich aus. Er hatte nichts zu klagen und zeigte eine groBe Gleichgiiltigkeit gegen alles. Er erz/ihlte, dal] er im Lazarett noch habe sehieBen h6ren und nachts ,,noeh ein paarmal" Engl/inder gesehen babe, leugnete aber sonst Sinnest/iuschungen. Er besann sich auf jede Antwort lange, war in seinem Benehmen :,iuBerst ungezwmlgen und ]eieht verschroben, lachte mitunter grund- los und ring, als man ilm frug, ob er traurig sei, sofort zu weinen an.

Zu der Zeit der Ausstellung des D. U.-Zeugnisses, Jammr 1918, "~'ar der Zu- stand unver/~nder~. Er war geordnet, besonnen, sehr still und wunschlos zufrieden. NiemM's frug er nach seiner Entlassung, fiir nichts hatte er [nteresse. Auger dieser vSlligen Affektstumpfheit und einem leieht versehrobenen Wesen fiel wenig an ihm auf.

E i n be las te te r , a b e r selbst st(~ts g e s u n d e r Mensch e r k r a n k t nach

l angen l F r o n t d i e n s t in~ d i r e k t e n AnschluB an eine Vc r sch f i t t tmg mi t

e iner wen ig p r o d u k t i v e n Psychose , (lie 11/2 J a h r e n a c h ih re r E n t s t e h u n g

ebenfal ts n i eh t ander s als im S inne c iner Seh i zoph ren i e gedeutet , w e r d e n

k,~nn. Es ist ausgeschlossen , dab er it) dem m m m e h r vo r l i egenden Zu-

s t a n d j a h r e l a n g unauff'~tllig Mil i t i t rd iens t ge tan h~itte.

F a l l 3. 23jiihriger Landsturmmann J. Der Vater soil Trinket nnd zeitweise geistesgest6rt gewesen sein; er starb

mit 53 Jahren an einem Nierenleiden. J. selbst soll immer etwas nervSs, auch infolge Uberarbeitung einmal mehrere Woehen in einem Erholungsheim gewesen sein. Er war naeh Angabe der Mutter vor dem Krieg zwar erregbar, doeh sonst gesund. Er ging (abgesehen yon diesen Woehen) t/iglieh ins Geschgft und unter- stiitzte die Mutter. Mit 15 Jahren soil er einma] aus dem ~rarenaufzug 6--7 m in die Tiefe gefallen und bewugtlos gewesen sein, sonst ist yon friiheren Krank- heiten nichts bekannt. Anl 11. II. 1916 eingezogen, ]cam er am 5. X. 1916 zu einem hff.-gegt, ins Feld. Er erkrankte am 31. XII. 1916 und war vom 1. bis 15. i. 1917 wegen Obstipation in einem Feldlazarett, yon dem er der Gen.-Komp. eines Rekr.-Dep. iiberwiesen wurde, worauf er am 24. I lL 1917 wieder zu seiner alten Kompagnie kam. Am 3l. H[. 1917 soll er abends von einer einschlagenden Granate verschiittet worden sein. Er befreite sieh anseheinend selbst, 1)ekam aber dann naehher im Unterstand ehlen 15ngeren Anfall yon BewuBtlosigkeit. Am 31. II[. 1917 wurde er deshalb vonl Truppeuarzt als ,,Angstneurose" dem Kriegslazarett M. iit)ergeben, wo er iiber Sehwindelgefiihl, unruhigen Schlaf und Angst klagte, plStzliehe Muskelzuckungen an versehiedenen K6rperstellen zeigte und als ,,Schreckneurose" bezeiehnet wurde. Er wurde am 14. IV. 1917 als k. v.

1) Der Stationsarzt hat den M. sp~iter in der Heilanstalt wiederge, sehen und sieh der Diagnose ,,SehizophroniC' angegchlossen.

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zum Feldrekrutendepot entla~en, aber sehon am 27. IV. 1917 yon da wegen ,,Kriegspsychose" einer Sanitiitskompagnie iiberwiesen. Er hatte krampfhafte Zuekungen am ganzen K6rper, war nieht orientiert, spraeh yon einem, der ,,hinterm Busch" liege, schien Angst zu haben. Am 1. V. 1917 ins Kriegslazarett V. gebraeht, iiuBerte er Vergiftungsideen und war in einem Zustand ~ingstlieher Verwirrtheit. Er jammertc, es sei alles Verrat und Spionage. er hatte Angst, ersehossen oder verwundet zu werden, hOrte schiegen und wehrte sieh gegen jede k6rperliehe Untersuehung. Er wurde yon da sch6n am 4. V. 1917 in die Heilanstalt A. auf- genommen. Aueh deft wa,' er anfangs /ingstlieh verwirrt, dann aber zuggng- ]icher. und so geordnet, dab er vonl 14. V[. bis 25. VIl. 1917 auf Heimatsurlaub geschiekt werden konnle. 1)err war er jedoch sehr unruhig, migtrauisch, glaubte, es sei etwas im Essen, h6rte sieh bedrohen und sah Gestalten. Auch in der An- stalt s~dl er naehts einen Engliinder, der ihm zurief, er sei ein M6rder; in Briefen schrieb er yon der Gestalt seine~ Opfers, das immer vet ihm stehe mit blutiger Brust. Er spraeh yon selbst nichts, hatte stets einen gespannten G'e~ichtsausdru,.k und schien da,uernd zu ha.lluzinieren.

Am 9. IX. 1917 wurde er als ,,Dementia pavanoides'" ins Reservelazarett WeiBenau iibergefiihrt. Er gab <loft an. keine Rnhe und leein reines Gewissen mebr zu haben, ~'eil der Engl~inder gesagt babe. er sei ein MOrder, und erzithlte v<m dessen bluthefleckter Gestalt. Aueh seinen Vater uollte er in A. einmal gesehen haben, der ihm sagte, er sotle einen rechten Lebenswandel fiibren, l)ie Stimn,ung war stets ]eieht gedriiekt und ganz beherrscht yon den Versiindigungsideen. I';r hMt abel' sehv mit diesen Dingen zuriick und spraeh immer weniger davon.

In der Zeit der Ausstellung des D. U.-Zeugnisses, Februar 1918. hielt er noeh die allen Wahnideen lest, doeh schienen sic an Affekt sebr verloren zu hltben. Neue Sinnestiiuschmlgen sehienen nicht mehr hinzugekommen zu sein. Er war stets still fiiv sieh. las viel im Neuen Testame~t, Sl>raeb mit keinem Kame.raden. stand tagehmg m!tiitig herum und produzierte nichts Neues mehr. Mitunter war er naehts kurz erregt, sehrie hinaus und erkl/irte dann, der Sturm drau/3en dot nieht wirkli<'h verb,radon ist -- hiitte ihn gewarnt, er miisse mln endlieh in die Kirehe.

Aueh hier wieder ein vielleieht belastcter junger Soldat, der m~ch langem Kriegsdienst auf cine Versehfit tung psyehotiseh reagierte, un(l zwar zun~iehst in einer l~orm, die wohl als psyehogcn gcdeutet werden konnte. Der weitere Verlauf lieB abet bald keinen Zweifel fiber (iie Na tur dcr .Erkrankmlg, und naeh fast einem Jahr besteht noeh immer eine halh,zinatorisehe Psyehese mit allen Merkmalcn der Schizophrenic.

Das Gemcinsame dieser drei Fiille braueht nieht mehr hervorgehob~ n

zu werden. Gewig k6m'~ten Bedenkliehe die Anamnese unvollst i tndig

finden, d. h. man k6nnte mmehmen. (lab bei diesen K r a n k e n d o e h

friiher irgendwelehe sehizophrenen Ziige vorlagen. Das mag sein, ob- sehon nati ir l ieh darfiber Erkund igungen eingezogen wurdcn. Ab t r

selbst wenn es sieh um la tente Sehizophrene handel t , warel~ sic dGeh

alle im sozialen Sinne gesund und jahrelang Soldat, ohne dab etwas an ihnen auffiel, bis zum T r a u m a tier Versehfittung. Aueh hier k 6 n m e man Bedenken haben, da bekatmtl ieh mit dem Begriff der ,,Versehfit- t ung" viel MiBbraueh getr ieben wird. Naehtraglieh litgt sieh erfahruv.gs-

gem~g bei dem fortgesetzten Weehsel der Kameraden und Vorgesetzten

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nie mehr feststellen, was und wie es sich creignete. HSchstens wenn die Verschtittung in ruhiger Stelhmg und ill einer wenig mitgenolnmenen Truppe passierte, wird man nachtr~tglich vielleicht noch etwas erfahren kSnnen, handelt es sich aber um eine Truppe, die stets an lebhaften Stellen eingesctzt ist, und bei der t~glich Verluste und Verschtittungen vorkommen, ist eine katamnestische Erhebung nach dicser Richtung ganz ergebnMos. Man wird sich also mit der ersten ~rztlichen Diagnose, der Notiz auf dem Wundthfelchen, begniigen mtissen, und ich glaube auch kaum, da{~ man in unseren F~llen zu zweifeln berechtigt ist, da~ eine Verschtittung oder ein verschfittungsartiger Ungliicksfall vorlag, vollends da es sich eben n i c h t um Hysteriker handelt. Jedenfalls be- gannen die Psychosen ganz akut im Anschlu~ an ein schreckhaftes Er- lebnis; ganz wie eine psychogene Schreckpsychose, mit der sie auch symptomatologisch zuni~chst eine gewisse Ahnlichkeit haben. Daraus geht auch schon hervor, da[~ es sich um ein ,,zuf~illiges" Zus,~mmeutreffen sicher nicht handeln kann.

Man muB also doch wohl annehmen, d a~ h i e r d u r c h das p s y c h i s c h e T r a u m a r e a k t i v e i ne P s y c h o s e v o m T y p u s d e r S c h i z o p h r e n i e a u s g e l S s t w u r d e . Ich sage absichtlich ,,ausgelSst", obschon ich es zum mindesten, trotz der in zwei F~llen vorliegenden Belastung, fiir sehr fraglich halte, ob die Betreffenden, selbst wenn sic ,,latente" Schizophrenc waren, je einmal im engeren Sinne psychotisch geworden w~ren. Und dann: ist es nicht auch bei der psychogenen Schreckpsychose nur eine Art AuslSsung, handelt es sich hier nicht meist gleichfalls um ,,latent" Hysterische ? Allerdings wird man zugeben mtissen, daI~ vielleicht jeder bei gentigend starkem und langem Reiz psychogen reagieren kann, w~hrend eine schizophrene Reaktion wohl nur bei besonderer Disposition denkbar ist.

Die MSglichkeit einer schizophrenen geakt ion auf affektive Erleb- nisse ist erst ia allerneuester Zeit eingehender erwogen und bejaht worden. B o r n s t e i n 1) hat den Krankheitsbegrfff der Schizothymia reactiva aufgestellt und ihn an Kranken erl~utert, die auf bestimmte affektive Erlebnisse mit ehromschen Psychosen reagierten, die den Typus der S p a 1 t u n g trugen, aber ohne die yon B 1 e u 1 e r ftir die Sehizo- phrenie aufgestellten Grundsymptome. An der Hand eines i~hnlichen Falles hat neuerdings v a n de r T o r r e n 2) ausgesprochen, (lall man nicht mehr zweifeln kann, dal~ ,,bei bestimmter uns bis auf heute unbekannter Anlage" reaktiv auf affektive Erlebnisse sich chronische Psych0sen entwiekeln kSnnen. Nun tragen aber unsere Fi~lle durchaus n i c h t den Charakter der ,,Sehizothymia react iva". Vor allem fehlt ihnen das Dominieren eines mit dem wirkliehen Erlebnis verbundenen abgespal-

~) Diese Zeitschr., Orig.-Bd. 36, 86. 2) Diese Zeit~schr., Orig.-Bd. 38, 364.

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t enen Komplexes. aueh h a b e n sie die schizophrenen primiiren und sekund:,iren Symptome; si(, sind gewShnli.che Schizophrenien.

In unsercn FSllen wird endlich ganz analog der psychogenen Kriegs- psychosc lediglich auf einen a k u t e n S c h r e c k e n psychotisch reagiert.

Es liegt, daher nahc anzunehmen, dab dem S c h r e c k e n a l s s o l c h e n , dcm affektiven Shock, die k rankmachende bzw. ausl6scnde Ursache

innewohnt , wennschon eine Vorberei tung durch den langen aufre ibenden

Fron td iens t nicht auszuschlieilen ist. Es stehen mir noch zwei Fglle zur Verfiigung, bei dcnen eine solche

S c h r e c k w i r k u n g vielleich~ cine Rolle spielt .und bei denen man nicht

gut ,,Zufiille" annehmen kann.

Fa l l 4. 23jiihriger Fahrer S. Von Geisteskrankheiten in der Familie ist nichts bekannt. S. lernte gut,

war fMgig und willig, stets ,,ausnahmsweis" ruhig und nie auffallend. Sein Cha- rakter gait als tadellos, sein Leunmnd war sehr gut. Er arbeitete stets als Land- wirt daheim, wurde am 27. VII[. 1915 als Ersatzrekrut einberufen und kam am 28. I. 1916 zu einer leicht(,n Munitionskolonne ins Feld. Am 6. IX. 1917 erhielt er yon einem Yferd einen Hufsehlag auf die Innenseite des linken Ful3gelenkes und aufs Kreuz und kam ins Feld]azarett S. Es fand sich eine kleine Schiirfwunde oberhalb des KnSehels und ein Blutergul~ im linken FuBgelenk, an der Kreuz- gegend konnte kein krankhafter Befund erhoben werden. In der Nacht veto 12./13. IX. 1917 soil er einen Krampf ,,in Hals und Kiefer" gehabt haben, am 14. ersehien er aufgeregt, warf sieh im Bctt herum, und hatte einen psyehogen er- scheinenden Anfall. Er wurde dann sehr unruhig, stand auf, sprach yon einem ,,langen Leutnant", der ihm befoh]en habe, einen Stahlhelm aufzusetzen, schrie laut und war nicht zu beruhigen. Am 15. IX. 1917 behauptcte er, sein Vater sei da, schinllofte , stief5 die W/irter, war aber orientiert. Er kam am 15. VIII. 1917 in die Nervenstation V., we er, als ,,psyehogener Erregungszustand" aufgefagt, lediglich ~dnen gewissen Rededrang zeigte und yon we er schon am 17. IX. 1917 nach der Heimat abtransportiert wurde. Er kam am 20. IX. 1917 jedoeh ill der Zwangsjacke in die Kreisirrenanstalt H., zeigte dort eilm hochgradige i[ngstliche Erregung, ging fortw/ihrend aus dem Bett, erschien verwirrt, schlug das Warte- personal, wetterte an (tie Tiir, versteekte sieh dann wieder miter der Decke und wurde nach einigen Tagen mutazistisch. In der folgenden Zeit halluzinierte er, sah nachts seinen heimatlichen Pfarrer und Lehrer, die ihm Vorwiirfe machten, (lal3 er nieht wieder Dienst rue, lag manchmal ,,v611ig starr" im Bert, um dann wieder lachend umherzuspringen. Anfang Oktober 1917 wurde er freier und ge- ordnet, zug~inglich und klar, woranf er am 6. X. 1917 ins Vereinslazarett I-I. ent- lassen wurde, l)ort ersehien er jedoch/ingstlich gedrtickt,/~ul~erte religiSse GrSgen- ideen, er miisse den Heiligen Stuhl wieder aufrichten, der gestiirzt sei, sang nachts kh'ehliche Lieder, redete vicl ohne rechten Zusammenhang, wurde nachts sehr st6rend, so dab er schon am 14. X. 1917 wieder in die Heilanstalt verlegt wurde. Dort verweigerte er mitunter die Nahrung, weshalb er voriibergehend mit der Sehlundsonde erniihrt werden mullte, sprach viel yon Engeln, die ihn mit dem heiligen Schwert bedrohten, war sehr/ingstlich und urtruhig, halluzinierte massen- haft, sah seinen Vater und Geister, die ihn bedrohten, produzierte konfuse Wahn- ideen, war abet zwischendurch wieder ruhiger und verstiindiger.

Am 17. XI. 1917 wurde er ins Reservelazarett Weillenau aufgenommen. Er war hier ruhig, geordnet, erzghlte in unklarer Weise yon seinen Erlebnissen, sagte, man habe ihm im Lazarett I-Itinde und Fiille abs~igen wollen, war reeht konfus,

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Schizophrene Kriegspsyehosen. 427

braeh seine S/itze stets mitten drin ab, hatte keine Krankheitseinsicht mid ver- langte nach Arbeit. El' blieb ruhig und /~uBerlieh goordnet, brachte mitunter verworrene Beeintr~chtigungsideen vet, ftihlte sich aber wohl.

Zur Zeit der Ausstellung des D. U.-Zeugnisses, Februar 1918, erschien er affektiv sehr stumpf, produzierte spontan nichts mehr, erz//,h]te aber stets in der- .qelben Weise yon seinen frtiheren Sinnest/iusehungen und wahnhaften Erlebnissen.

A u c h in d i e sem Fa l l e is t de r u n m i t t c l b a r e Ansch luB einer ch ron i sch

w e r d e n d e n s c h i z o p h r e n e n P s y c h o s e an ein wahr sche in l i ch m i t e i n e m

S c h r e c k c n v c r b u n d e n e s E r l e b n i s z u m m i n d e s t e n sehr merkwi i rd ig ,

und a u c h wcnn m a n die Not iz , riM3 der M a n n , ,0msnahmsweis" r u h i g

war, i m S inne c iner l a t c n t e n S c h i z o p h r e n i c d c u t e n woll te , w a r er doch

zweifcl los p r a k t i s e h bis zu d e m U n f a l l n i c h t k r a n k .

E i n e n weitcr 'en u n d l c t z t e n Fa l l ffigc ich t r o t z se iner n i ch t ganz

s icheren Diagnose schon w e g e n se iner u n g e m e i n e n Merkwf i rd igke i t an.

F a i l 5. 28jfihriger Gefreiter K. Uber die Familie ]st nichts bekannt; naeh seiner eigenen Angabe ist Pat.

stets nervSs gewesen. Am 6. I l I . 1915 kam cr zu einem Landw.-Inf.-t{egt. ins Feld, m~eh dreimonatigem Frontdienst wurde er wegen .eines hysterisehen Kopf-" zuckens zum Ers.-Batl. zurtiekgesehiekt und am 10. VL 1915 als zeitig kr. u. entlassen. Am l l . IL 1916 wurde er wieder eingezogen, jedoch am 29. IV. 1916 aberma]s als dauernd kr. u. entlassen. Am 29. VL 1916 trat er bei einem J~ger- Ers.-Btl. freiwillig wieder ein, we er als Musiker Dienst tat. Am 28. U. 1917 wurde" er, da die Trupt)enmusterungskommission ihn ffir kr. ~l. erk)i~r(e, wieder als zeitig kr. u. entlassen. Im milit/~r/~rztlichen Zeugnis vom 17. I. 1917 wird angegeben, daft er an einem hysterischen Schiitteltremor des Kopfes leidet, der zwar vor dem Kriege sehon bestanden hatte, a.ber dureh den Kriegsdienst ver-' sehlimmert worden war. Es wurde eine Erwerl)sbeschrSnkung yon 50~o an- genommen. Am 31. [[I. 1917 stellte er sieh wieder freiwillig bei einem Inf.-Ers.- Batl., wurde aber sehon ani 3, IV. 1917 wieder entlassen. Da er durehaus aber Militiirmusiker sein wollte, versuehte er es im Sommer 1917 wieder und wurde am 13. V.[I. 1917 bei einem and*ren Ers.-Batl. eingestellt.

Sehon am 25. V[[. 1917 wurde er ins Reservelazarett U. zur Behandlung seines nervSsen Ties eingewiesen. Am 26. VII. 1917 wurde Hals- und Naeken- )nuskula(ur faradisiert, wobei K. lebhaft sehrie, worauf jedoeh die zuekenden Bewegungen des Kopfes wirklieh versehwanden. Auffallenderweise war nun K. am n/iehsten Tage vSllig ver/indert, spraeh nieht mehr, saf~ teiln,~hmlos im Bett, nickte nur noch. Bin zur Verlegung nach Weiftenau, die am 25. X. 1917 statt- land, war er unver/tndert so; die letzte Zeit veto 14. V[ll'. 1917 ab wurde er als Katatonie in der Heilanstalt U. verpflegt, deren Krankenb]att nicht vorliegt.

Bei der Aufnalime am 25. X. 1917 in Weil]enau bestand derselbe Zustand. Er sprach nieht, zeigte einen hoehgradig blSden Gesiehtsausdruek, stieB fort- wghrend sehluekende und sehluehzende TSne aus, schlug mit den Hiinden rhyth- )niseh auf die Knie, sagte auf alle Fragcn ,,al - - al", blinzelte mit den Augen, verzog das Gesicht, maehte kauende Bewegungen. nickte mit dem Kopf, ging in eigenartig htipfenden, sehnellen Schritten. Dabei war er ohne jeden erkennbaren Mfekt, h6ehstens etwas weinerlieh. So blieb er unvergndert bis in die letzten Novembertage. Da gab er gelegentlich Antwort und wurde in wenigen Tagen vS1]ig klar, geordnet und besonnen. Er war gleieh vSllig orientiert, wul~te tiber die vergangenen Woehen vollkommen Beseheid. konnte aber nicht erklgren, warren or ~o gewesen war.

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428 K. Schneider :

Zur Zeit der Ausstellung des D. U.-Zeugnisses, Dezcmber 1917, war er v61iig klt~r, er stand seiner Krankheit mit Einsieht gegeniibcr, h2ttte gcnauc Erimlerung. konnte abcr nicht angeben, warum er so gewesen sei, er habe eben gar kei,~ ,,Intercsse'" mehr gehabt. Er klagte noch fiber leichte ii, ngstlichkcit. (,r babe schwcre Tr/iume, habe Angst, einen SchIag zu bekommen, bet aber niehts Psychotisches mehr; vor allem war das affektive Verhalten viillig normal und fanden sich keinerlei Versehrobenheiten. Aueh das Gesieht hatte den bli~den Aus- druck vollkonimen verloren. Bei Aufregungen zeigte sieh mitunt('r das alte tic- artige Zueken des H~dses und Nieken des Kopfes, (Ioeh war keilmrh'i Grimassieren m(,hr vorhandcm

Es handelt sich hicr um eineu zwcifellos schr degenerierten Menschen, jedoch nicht yon hysterischcm Typus, dcssen nervSser Tic ngeh K a u f- m a n n behandclt werden solltc. Bei (licscr schmerzhaftcn Prozcdur. b c i d e r K. lebhaft schrie, verschwand zwar der Tic," doch sctztc ein von Juli his November dauernder schwerster katatoner Zustand ein, den man wohl nur ungern als psychogen bezeichnen mOchte. [mmerhin ist hicr (tie Diagnose der Schizophrenic nicht so sicher, wie in den anderen Fgllen, und m6chte ich den Fall deshalb nicht in (lie geihe der fibrigen

'stellcn. Und auch dcr 4. Fall ist nicht ganz cindeutig, well einmal der Schrecken zwar wahrscheinlich, abet nicht sicher fcstgestcllt ist und well andererseits seine Problcmstelhmg in eine andere Frage hiniiber- ftihrt: in (lie der Ausl6sung schizophrencr Psychosen durch kOri)er- lichc Krankheiten. Sic ist nicht neu, mid ich begntigc reich hier mi tder Mittcihmg, dab miter den 36 sicher Schizophrenien zwei im Vcrlauf von schwercn kSrperlichcn Erkrankungcn (Lungenentziindung, guhr), ciner kurz m~eh ciner Vcrwundung auftrat; im letztcren Rail mSchtc ich deshalt) nicht yon einer Schreckwirkung redcn, w<,il die psych()- tischcn Symptome erst etwa 14 Tage nach dcr, im (fl>rigcn lcichtcn. Ver- wundung auftraten.

Wic man sich im cinzchmn die Xusliisung sehizol)hrener Psyehoscn dLirch (Ion psychischcn Shock vorstellen sell, ist mid blcibt dunkcl. Erwithnt sei dic Thcorie Uhl ma n ns a) : cr will bei Granaterschtitterung im Blurt Dysfunktioncn verschiedcner Organc, besonders dcr Neben- niercn, fcstgcstcllt hal)en, ~hnlich wie auch bci ge~ingstigten Katzen ein vermehrtcr Adrenalingchalt des Blutcs gcfunden wordcn sein sell. In eincm Falle land er nun a u B e r d e m den ffir die Schizophrenic als typisch angegebenen Testikelabbau. Und gerade dicser Fall war eine Schizophrenie, die unter dem Bilde der Schreckneurosc b~'gann. Er schlieBt nun folgendermaBen: ,,Da nach den Untersuchungen Fa users (tie Dementia praccox auf Dysfunktionen speziell der generativen Organe zuriickzuffihren ist mid sich nach mcinen Untersuchungen auch bei Granaterschtitterung solche Dysfunktionen feststellen licBen, so ist es logisch, daran zu denken, (lab bei den [ ~ t ) e r g a n g s f o r m e n entweder

l) a . a . O .

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Schizophrene Kriegspsychosen. 429

primar der Fermenttypus bestanden habe, wie bei den anderen, (lab aber dutch (lie Dauerwirkung schliel~lich die generativen Organe in ihrer Funktion geschadigt, wurden und sich go eine Dementia praceox ent- wickelte; oder aber, da6 von Anfang an beide Organsysteme gleieh- zeitig geschadigt waren, da6 abet sp:,tter die generativen Organe schwercr litten. Der erste Fall scheint mir plausibler." Die ungeheure Trag- weite dieser ktihnen Theorie U h l m a n n s , der neben den psychisehen Einfltissen auf den Stoffwechsel iibrigens aueh noeh der mechaniseh(n Erschiitterung eine Rolle zuerkennt, ist Mar: sie bedeutet die Annahme eines 1~ b e r g a n g e s yon Hysterie in Sehizophrenie, die hier gerade etwas besonders Bestcchendes haben mag, da aueh kliniseh diese Falle zunaehst den psychogenen Schrcckpsyehosen ahneln.

Ich bin nieht in der Lage, in den Fragen serologiseher Forschung mitzureden, glaube aber nieht, daI~ man ihren Ergebnissen sehon das Recht geben daft, so geheuer einsehneidend in alle unsere klinisehen Begriffe einzugreifen. Rein klinisch wollte ich nut darauf hinweigen, dalt man selbst bei v o r s i c h t i g s t e m Vorgehen v ie l l e ieh t doch 6fter , alg man g e m e i n h i n a n n i m m t , yon e iner ,,Aus- 16sung", wenn man will aueh , ,Ve ru r sachung" geh izophrene r Prozesge du rch a f f e k t i v e F r o n t e r l e b n i s s e sp reehen mul.k Und in diesen Fallen wird man gewi3 nieht nur notgedrungen, wie in den a l l e r m e i s t e n der s eh le i ehend b e g i n n e n d e n Fi~lle, sondern aug voller ~berzeugung die Kriegsdienstbeschadigung aner- kennen. Die Lehren ffir Diagnose und Proguose der ,,Kriegspgy- chosen" ergeben sich yon selbst.

~. f. d. g. Neur. u. Payeh. O. XLII1. ~g