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„... Schleswig-Holstein stammverwandt, lebe wohl Friedrich Hildebrandt ...“ – Mit dieser Version des Schleswig-Holstein-Liedes begin- gen – hartnäckigen Gerüchten zufolge – führende Lübecker Nationalsozialisten die Eingliederung Lübecks in die preußische Pro- vinz Schleswig-Holstein am 1. April 1937 und damit auch den Abschied von Ihrem bisherigen NSDAP-Gauleiter Friedrich Hildebrandt. 1 Offiziell wurde die Überleitung der Stadt Lübeck und des vormaligen oldenburgischen Landesteils Lübeck (danach Landkreis Eutin) nach Schleswig-Holstein allerdings in pompös inszenierten Zeremonien in Hamburg, Lübeck und Eutin gefeiert. 2 Im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes vollzogen sich so die tiefgreifendsten territorialen Veränderungen in der Provinz seit 1920, denn im Gegenzug musste Schleswig-Holstein die beiden Großstädte Altona und Wandsbek an das Hamburger Staatsgebiet abgeben. Wie die eingangs erwähnte Episode zeigt, betrafen die Gebiets- veränderungen jedoch nicht allein die Zugehörigkeit zu Verwal- tungseinheiten; gleiches galt auch für die NSDAP, die sich seit 1928 aus wahltaktischen Überlegungen in ihrer territorialen Organisation an den Grenzen der Reichstagswahlkreise orientiert hatte. Der „Gau der NSDAP“ Schleswig-Holstein bestand seit seiner offiziellen „Gründung“ 3 am 1. März 1925 in Neumünster auf dem gleichen Ter- ritorium wie der „Reichstagswahlbezirk 13“, der neben dem Regie- rungsbezirk Schleswig auch den oldenburgischen Landesteil Lübeck umfasste. Als „Gauführer“ beziehungsweise Gauleiter der NSDAP – so die offizielle Bezeichnung – konnte sich der frühere Bankange- stellte Hinrich Lohse durchsetzen; er sollte dieses höchste regionale Parteiamt bis zur Auflösung der NSDAP 1945 behalten. 4 Unter sei- ner Leitung entwickelte sich die schleswig-holsteinische Parteiorga- nisation aus Sicht der Parteiführung geradezu mustergültig. Nir- gendwo anders im Reich konnte die Partei so früh ähnliche Rekord- ergebnisse bei Wahlen einfahren, nirgendwo stiegen die Mitglieder- zahlen der NSDAP ähnlich rasant an. Die aus nationalsozialistischer Sicht besonders erfreuliche Entwicklung in Schleswig-Holstein stärkte Lohses Position als oberster Parteifunktionär, der nahezu un- angefochten in „seinem“ Gau die Zügel in der Hand hielt. Potentiel- le Konkurrenten um die Macht hatte er früh ausgeschaltet 5 oder sich mit ihnen arrangiert 6 . Dies änderte sich auch nicht nach der natio- nalsozialistischen Machtübernahme: Lohse versah nun als Oberprä- sident auch das höchste Verwaltungsamt in der Provinz und ver- mochte durch geschicktes Taktieren und strategische Personalpolitik die Verwaltungselite in der Provinz auf seine Person zu verpflichten. 7 Im Zuge der Gebietsveränderungen des Groß-Hamburg-Geset- zes stellte sich der nun fest im Sattel sitzenden schleswig-holsteini- schen Parteiführung die Aufgabe, den als „problematisch“ geltenden Stadtkreis Lübeck in die Parteiorganisation und in die Verwaltung 1 Angeblich handelte es sich dabei um den Lübecker Oberbürgermeister Otto-Heinrich Drechsler und die Senatoren Hans Böhmcker und Walter Schröder im Lü- becker Ratskeller. Gerhard Schneider be- zweifelt den Wahrheitsgehalt dieser tref- fenden Anekdote jedoch, vgl. Gerhard Schneider: Gefährdung und Verlust der Ei- genstaatlichkeit der Freien und Hansestadt Lübeck und seine Folgen. Lübeck 1986, S. 92, Anm. 298. 2 Vgl. bspw. die Berichterstattung im NSDAP-Gauorgan „Schleswig-Holsteinische Tageszeitung“ vom 1.4.1937: „Lübeck gehört zu Schleswig-Holstein". 3 Vgl. hierzu Kay Dohnke: „Das Kernland der nordischen Rasse grüßt seinen Führer“. Zur Frühgeschichte der NSDAP in Schles- wig-Holstein und im Kreis Steinburg. In: Steinburger Jahrbuch 40 (1996), S. 9-19. 4 Zu Lohse vgl. die zahlreichen Beiträge von Uwe Danker, zuletzt: Uwe Danker: Der schleswig-holsteinische NSDAP-Gauleiter Hinrich Lohse. Überlegungen zu seiner Bio- grafie. In: Karl-Heinrich Pohl/ Michael Ruck (Hrsg.): Regionen im Nationalsozia- lismus. Bielefeld 2003, S. 91-120. 5 Vgl. bspw. Uwe Karstens: Der Fall „Grantz“ – Interne Kämpfe der dithmarsi- schen NSDAP 1929/30. In: ZSHG 112 (1987), S. 215-233. 6 So etwa mit dem SA-Obergruppenführer Joachim Meyer-Quade. 7 Vgl. dazu im Einzelnen Sebastian Leh- mann: Kreisleiter der NSDAP in Schleswig- Holstein. Lebensläufe und Herrschaftspra- xis einer regionalen Machtelite. Bielefeld 2007, S. 247-256. Sebastian Lehmann: „…Schleswig- Holstein stamm- verwandt, lebe wohl Friedrich Hildebrandt…“ Die NSDAP in Lübeck Sebastian Lehmann Die NSDAP in Lübeck 131 Lübeck 04 Lehmann 20.06.2007 0:48 Uhr Seite 131

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„... Schleswig-Holstein stammverwandt, lebewohl Friedrich Hildebrandt ...“ – Mit dieserVersion des Schleswig-Holstein-Liedes begin-gen – hartnäckigen Gerüchten zufolge –führende Lübecker Nationalsozialisten dieEingliederung Lübecks in die preußische Pro-vinz Schleswig-Holstein am 1. April 1937 und

damit auch den Abschied von Ihrem bisherigen NSDAP-GauleiterFriedrich Hildebrandt.1 Offiziell wurde die Überleitung der StadtLübeck und des vormaligen oldenburgischen Landesteils Lübeck(danach Landkreis Eutin) nach Schleswig-Holstein allerdings inpompös inszenierten Zeremonien in Hamburg, Lübeck und Eutingefeiert.2 Im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes vollzogen sich sodie tiefgreifendsten territorialen Veränderungen in der Provinz seit1920, denn im Gegenzug musste Schleswig-Holstein die beidenGroßstädte Altona und Wandsbek an das Hamburger Staatsgebietabgeben.

Wie die eingangs erwähnte Episode zeigt, betrafen die Gebiets-veränderungen jedoch nicht allein die Zugehörigkeit zu Verwal-tungseinheiten; gleiches galt auch für die NSDAP, die sich seit 1928aus wahltaktischen Überlegungen in ihrer territorialen Organisationan den Grenzen der Reichstagswahlkreise orientiert hatte. Der „Gauder NSDAP“ Schleswig-Holstein bestand seit seiner offiziellen„Gründung“3 am 1. März 1925 in Neumünster auf dem gleichen Ter-ritorium wie der „Reichstagswahlbezirk 13“, der neben dem Regie-rungsbezirk Schleswig auch den oldenburgischen Landesteil Lübeckumfasste. Als „Gauführer“ beziehungsweise Gauleiter der NSDAP –so die offizielle Bezeichnung – konnte sich der frühere Bankange-stellte Hinrich Lohse durchsetzen; er sollte dieses höchste regionaleParteiamt bis zur Auflösung der NSDAP 1945 behalten.4 Unter sei-ner Leitung entwickelte sich die schleswig-holsteinische Parteiorga-nisation aus Sicht der Parteiführung geradezu mustergültig. Nir-gendwo anders im Reich konnte die Partei so früh ähnliche Rekord-ergebnisse bei Wahlen einfahren, nirgendwo stiegen die Mitglieder-zahlen der NSDAP ähnlich rasant an. Die aus nationalsozialistischerSicht besonders erfreuliche Entwicklung in Schleswig-Holsteinstärkte Lohses Position als oberster Parteifunktionär, der nahezu un-angefochten in „seinem“ Gau die Zügel in der Hand hielt. Potentiel-le Konkurrenten um die Macht hatte er früh ausgeschaltet5 oder sichmit ihnen arrangiert6 . Dies änderte sich auch nicht nach der natio-nalsozialistischen Machtübernahme: Lohse versah nun als Oberprä-sident auch das höchste Verwaltungsamt in der Provinz und ver-mochte durch geschicktes Taktieren und strategische Personalpolitikdie Verwaltungselite in der Provinz auf seine Person zuverpflichten.7

Im Zuge der Gebietsveränderungen des Groß-Hamburg-Geset-zes stellte sich der nun fest im Sattel sitzenden schleswig-holsteini-schen Parteiführung die Aufgabe, den als „problematisch“ geltendenStadtkreis Lübeck in die Parteiorganisation und in die Verwaltung

1 Angeblich handelte es sich dabei um denLübecker Oberbürgermeister Otto-HeinrichDrechsler und die Senatoren HansBöhmcker und Walter Schröder im Lü-becker Ratskeller. Gerhard Schneider be-zweifelt den Wahrheitsgehalt dieser tref-fenden Anekdote jedoch, vgl. GerhardSchneider: Gefährdung und Verlust der Ei-genstaatlichkeit der Freien und HansestadtLübeck und seine Folgen. Lübeck 1986,S. 92, Anm. 298.2 Vgl. bspw. die Berichterstattung imNSDAP-Gauorgan „Schleswig-HolsteinischeTageszeitung“ vom 1.4.1937:„Lübeck gehört zu Schleswig-Holstein".3 Vgl. hierzu Kay Dohnke: „Das Kernlandder nordischen Rasse grüßt seinen Führer“.Zur Frühgeschichte der NSDAP in Schles-wig-Holstein und im Kreis Steinburg. In:Steinburger Jahrbuch 40 (1996), S. 9-19.4 Zu Lohse vgl. die zahlreichen Beiträgevon Uwe Danker, zuletzt: Uwe Danker: Derschleswig-holsteinische NSDAP-GauleiterHinrich Lohse. Überlegungen zu seiner Bio-grafie. In: Karl-Heinrich Pohl/ MichaelRuck (Hrsg.): Regionen im Nationalsozia-lismus. Bielefeld 2003, S. 91-120.5 Vgl. bspw. Uwe Karstens: Der Fall„Grantz“ – Interne Kämpfe der dithmarsi-schen NSDAP 1929/30. In: ZSHG 112(1987), S. 215-233.6 So etwa mit dem SA-ObergruppenführerJoachim Meyer-Quade.7 Vgl. dazu im Einzelnen Sebastian Leh-mann: Kreisleiter der NSDAP in Schleswig-Holstein. Lebensläufe und Herrschaftspra-xis einer regionalen Machtelite. Bielefeld2007, S. 247-256.

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der Provinz zu integrieren. Problematisch war Lübeck in nationalso-zialistischer Perspektive nicht allein wegen seines traditionell sehrstarken und schlagkräftigen „roten“ Milieus, in dem die NSDAP nurschwer Fuß fasste.8 Auch in innerparteilicher Hinsicht war Lübeckein Problemfall, denn die lokale NSDAP-Führungsclique erwiessich spätestens nach 1933 als nahezu unkontrollierbar für die Gau-zentrale in Schwerin.9 Exemplarisch bietet die Untersuchung des„Falls Lübeck“ die Möglichkeit, Konflikte zwischen „Zentrum“ und„Peripherie“ innerhalb der NSDAP zu untersuchen und auch ob tra-ditionelle Kategorien wie der Dualismus zwischen Staat und Partei,in diesem Fall also zwischen kommunaler Verwaltung und Partei-dienstellen der NSDAP überhaupt greifen. Die Herausbildung einerlokalen Herrschaftsclique verdeutlicht zudem längsschnittartig ver-schiedene Probleme der Kreisleitungen der NSDAP nach Erhalt derpolitischen Macht im NS-Regime.

Der NSDAP-Gau Schleswig-Holstein vor denGebietsveränderungen durch das Groß-Hamburg-Gesetz. Die Karte zeigt die Kreis-einteilung des Gaus. Deutlich zu erkennensind die zum Gau Mecklenburg-Lübeckgehörenden Gebiets-Enklaven. Die Über-sicht zeigt die territoriale Organisation derNSDAP in Schleswig-Holstein nach Kreisen,Ortsgruppen (und Stützpunkten), Zellenbis hinunter zu den Blocks als kleinste Or-ganisationseinheiten.(Quelle: Reichsorganisationsleiter derNSDAP, Partei-Statistik. o.J. und o.O.[München 1935]. Bd. III [Gliederungenund angeschlossene Verbände], S. 237f.)

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Die Lübecker „Kreis-Clique“. Die Lübecker Ortsgruppe derNSDAP war bereits am 9. April 1925 gegründet worden. Mit-begründer und erster Ortsgruppenleiter der Lübecker NSDAPwar der damals 22-jährige Emil Bannemann. Der aus einer Ei-senbahnerfamilie stammende Kaufmannsgehilfe war erst we-nige Wochen zuvor nach Lübeck gezogen, konnte aber trotzseines geringen Alters bereits auf eine lupenreine völkische„Karriere“ zurückblicken. Nach kurzer Mitgliedschaft imDeutschvölkischen Schutz- und Trutzbund war Bannemannbereits 1922 der NSDAP beigetreten, wurde Mitglied im Frei-korps Löwenfeld und hatte sich am „Ruhrabwehrkampf“ ge-

8 So hatte die NSDAP im Stadtkreis Lübeck selbstbei der kaum noch als vollkommen frei zu bezeich-nenden Reichstagswahl vom 5. März 1933 lediglichrund 42% der Stimmen erzielen können und damitweniger als SPD (38,7%) und KPD (8,2%) zusam-men. Damit lag die NSDAP in Lübeck noch hinter denErgebnissen in den anderen „roten“ Hochburgen Kiel(47,7%) und Neumünster (44,7%). Errechnet aus:Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge, Bd.434. Osnabrück 1978 (Neudruck der Ausgabe Berlin1938), S. 118, 243.

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gen die französische Besetzung des Ruhrgebietes 1923 beteiligt.Die Verbotszeit der NSDAP überbrückte Bannemann im Völ-kisch-Sozialen Block (VSB), einem Sammelbecken völkisch-antisemitischer Gruppierungen. In Lübeck arbeitete er als Lohn-vorsteher bei der Firma Villeroy & Boch.10

Bereits kurze Zeit nach der Ortsgruppengründung hatte sich dasVerhältnis der Lübecker NSDAP-Ortsgruppe mit Bannemann ander Spitze zu der Gauleitung Mecklenburg-Lübeck, namentlichzu Gauleiter Friedrich Hildebrandt11, verschlechtert. Im Juni1926 waren die Differenzen, deren genaue Ursache unklarbleibt, derart angewachsen, dass Bannemann den Ortsgruppen-vorsitz niederlegte. 1935 kommentierte Oskar Schweichler, derVerfasser der Lübecker Parteichronik, die neun Jahre zurücklie-genden Vorgänge sibyllinisch: „Waren es Meinungsverschieden-heiten, waren es Mißverständnisse, die den Anlaß gaben? Mach-ten sich irgendwelche andere Triebkräfte geltend? Bis zur tag-hellen Klarheit läßt sich heute mit der Fackel der Erforschung

Der NSDAP-Gau Mecklenburg-Lübeck 1935. DieKarte zeigt die Kreiseinteilung des Gaus. (Quel-le: Reichsorganisationsleiter der NSDAP: Partei-Statistik. o.J. und o.O. (München 1935). Bd. III(Gliederungen und angeschlossene Verbände,S. 221f.))9 Das Thema ist jüngst von Bernd Kasten sach-kundig vor allem mit Hinblick auf Gauleiter Hild-ebrandt und die Perspektive der mecklenburgi-schen Parteiorganisation ausgeleuchtet worden,vgl. Bernd Kasten: Friedrich Hildebrandt (1898-1948) – Ein Landarbeiter als Gauleiter undReichsstatthalter von Mecklenburg und Lübeck.In: ZVLGA 86 (2006), S. 211-227. Die vorlie-genden Ausführungen verstehen sich vor diesemHintergrund auch als Ergänzungen aus schles-wig-holsteinischer Perspektive.

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nicht mehr hineinleuchten.“12 Bannemanns Rücktritt von der Orts-gruppenleitung ging Hildebrandt offenkundig nicht weit genug,denn im Januar 1927 verließ der Gründer der Ortsgruppe die Partei.Hildebrandt hatte Bannemann und vier weiteren Ortsgruppenmit-gliedern „parteischädigende Unternehmungen“ angelastet.13 Bereitsein Jahr später, im März 1928, wurde Bannemann allerdings wiederin die Partei aufgenommen und zwar unter seiner alten Mitglieds-nummer, was absolut unüblich war, weswegen er sich nach außenhin als vollständig rehabilitiert betrachten konnte. Dass damit derschwelende Gegensatz zwischen ihm und seinem Gauleiter keines-wegs ausgeräumt war, zeigte sich bereits 1930, als er den – wennauch nur für etwas länger als ein halbes Jahr – seines Gauleiterpo-stens enthobenen Hildebrandt bei der Reichsleitung anschwärzteund ihm attestierte, Hildebrandt habe im Gau einen „Trümmerhau-fen“ hinterlassen.14

Bannemann war einer der wichtigsten Aktivisten der LübeckerNSDAP und sowohl für den lokalen innerparteilichen Zusammen-halt als Integrationsfigur wie auch als Propagandist der NSDAP inLübeck offenbar unverzichtbar, weshalb ihn Hildebrandt zähneknir-

Emil Bannemann: Mitbegründer und ersterLeiter der Lübecker Ortsgruppe der NSDAP.(Quelle: Das deutsche Führerlexikon1934/35. Berlin 1934, S. 41)

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schend akzeptieren musste, zumal Hildebrandt gegenüberder Parteileitung in München wegen der innerparteilich un-ruhigen Entwicklung in seinem Gau keineswegs unange-fochten war. Ab 1929 führte Bannemann auch die zunächstsechsköpfige NSDAP-Fraktion in der Lübecker Bürger-schaft an.15

Trotz des gefundenen Arrangements, dass sich Bannemannweiterhin in Lübeck als Aushängeschild und Propagandistder NSDAP betätigen konnte, blieben die Spannungen zwi-schen ihm und seinem Gauleiter virulent und sollten bis zurEingliederung Lübecks nach Schleswig-Holstein prägendbleiben. Noch 1936 versuchte Hildebrandt ein letztes Mal,sich Bannemanns zu entledigen. Anlass hierfür bot eineÄußerung Bannemanns in seiner Eigenschaft als Senatorder Sozialverwaltung der Hansestadt während einer Ar-beitstagung der Nordwestdeutschen Arbeitsgemeinschaftfür Wohlfahrtspflege im April 1936 in Bremen.16 Er hattesich auf der Tagung dagegen ausgesprochen, dass derNSDAP oder ihren Gliederungen Fürsorgeempfänger alskostenlose Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen seien,eine Ausnahme sei lediglich im Rahmen des Winterhilfs-werkes und der NS-Volkswohlfahrt zu machen. Aufgrunddieser Bemerkung enthob Hildebrandt Bannemann seinerÄmter in der NSDAP und beantragte ein Parteiausschluss-verfahren gegen ihn wegen „parteischädigender“ Äußerun-gen.17 Um seinen ursprünglichen und in der Sache eher fa-denscheinigen Anwürfen zusätzliche Sprengkraft zu verlei-hen, beschuldigte der mecklenburgische Gauleiter Banne-mann, bereits früh in Gregor Strassers „verräterische“ Ten-denzen eingeweiht, schlechterdings also Mitwisser einerParteiverschwörung gewesen zu sein.18 Weder die Parteilei-tung noch das Oberste Parteigericht mochten den Anschul-digungen Hildebrandts folgen, weshalb das Parteigerichts-verfahren umgehend und ohne viel Aufhebens eingestelltwurde.19

Walter Schröder (rechts). Zusammen mit Emil Banne-mann (daneben) bildete der NSDAP-Kreisleiter und Po-lizeisenator Schröder den Kern der Lübecker NSDAP-„Kreisclique“. Hier nehmen beide als Vertreter Lübecksan der „3. Nordischen Reichstagung“ der „NordischenGesellschaft“ in der Hansestadt 1936 teil. (Quelle:Albrecht Schreiber: Zwischen Hakenkreuz und Holsten-tor. Lübeck 1925 bis 1939 – von der Krise bis zumKrieg. Lübeck 1983, S. 35.)

10 Zu Bannemann vgl. AHL (Archiv der HansestadtLübeck), Personalamt 31-1, Abl. 1968, Bdl. 3, Nr. 42;Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BAB) BDC PK, EmilBannemann; BAK (Bundesarchiv Koblenz) Z 42 III, Nr.988, Bl. 1ff.; Landesarchiv Schleswig (LAS) Abt. 460Nr. 391; Das deutsche Führerlexikon 1934/35. Berlin1934, S. 41; Erich Stockhorst: 5000 Köpfe. Wer warwer im 3. Reich. Wiesbaden 1967, S. 41f.; BeateBehrens: Mit Hitler zur Macht. Aufstieg des Nationalso-zialismus in Mecklenburg und Lübeck 1922-1933. Lü-beck 1998, S. 169 sowie Joachim Lilla: Statisten inUniform. Die Mitglieder des Reichstages 1933-1945.Ein biographisches Handbuch. Unter Einbeziehung dervölkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabge-ordneten ab Mai 1924. Düsseldorf 2004, S. 19f.11 Zu Hildebrandt vgl. Kasten: Hildebrandt sowie KarlHeinz Jahnke: Friedrich Hildebrandt. Gauleiter derNSDAP in Mecklenburg. In: Volker Ackermann/Bernd-A. Rusinek/Falk Wiesemann (Hrsg.): Anknüpfungen.Kulturgeschichte – Landesgeschichte – Zeitgeschichte.Gedenkschrift für Peter Hüttenberger. Essen 1995,S. 235-246; Christian Madaus: Friedrich Hildebrandt.Hitlers Gefolgsmann und Befehlsempfänger in Meck-lenburg. Schwerin 2000; Anett Niedergesäß: Zur Rolledes Gauleiters der NSDAP Friedrich Hildebrandt inMecklenburg unter besonderer Berücksichtigung derJahre 1933 -1939 (Masch. Diplomarbeit). Rostock1991.12 Der NSDAP-Kreis Lübeck. Werden und Wachsen.(Die Kampfjahre). Im Auftrage der Kreisleitung Lübeckder NSDAP nach parteiamtlichen und sonstigen Mate-rialien dargestellt. Lübeck o.D. (1935), S. 20.13 Vgl. Behrens: Mit Hitler zur Macht, S. 72. Vgl.auch Aussage Bannemanns vom 18.6.1948 imSpruchgerichtsverfahren: „1927 kam es zu Differen-zen mit Gauleiter Hildebrand. Ich lehnte diesen Mannund seinen Verband ab. Ich zog die Konsequenzen undlegte mein Amt nieder.“ BAK Z 42 III, Nr. 988, Bl.107.

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Ambivalenter als bei Bannemann zeigt sich zunächst die Positi-on von Walter Schröder innerhalb der innerparteilichen Konfliktlini-en. Ebenso wie Bannemann gehörte er zu den ersten Mitgliedern derNSDAP in Lübeck.20 Am 26. November 1902 in Lübeck geboren,besuchte Schröder die Lübecker Oberrealschule zum Dom bis zurObersekundarreife und absolvierte eine Maschinenbaulehre. An-schließend studierte er Maschinenbau in Hamburg und arbeitete alsKonstrukteur in seiner Heimatstadt, bis er zum Jahresende 1931 we-gen der schwachen Auftragslage entlassen wurde. Am 25. Mai 1925war er der NSDAP unter der Mitgliedsnummer 6288 beigetreten und1928 zum Ortsgruppenleiter in Lübeck ernannt worden.21 Ab 1929vertrat er zusammen mit Bannemann die NSDAP in der Bürger-schaft. 1930 berief ihn Hildebrandt zum Kreis- und Bezirksleitervon Lübeck. 1932 erhielt der weiterhin arbeitslose Maschinenbauin-genieur Schröder zur finanziellen Versorgung eines der begehrtenund prestigeträchtigen Reichstagsmandate – ein Vorgang, der durch-aus dafür spricht, dass er zumindest noch zu diesem Zeitpunkt dasVertrauen seines Gauleiters genoss und nicht, wie später von ihm be-hauptet, bereits 1932 bei Hildebrandt in Ungnade gefallen war.22 ImGegenteil – zusätzlich berief die Schweriner Parteizentrale Schrödernoch zum Gauinspekteur. Erst 1936 hatte sich Schröder dann so ein-deutig positioniert, dass er das Vertrauen Hildebrandts und auch seinReichstagsmandat verlor.23

Ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern der Ortsgruppe und da-mit zur „Alten Garde“ der Lübecker NSDAP gehörte der kaufmän-nische Angestellte und Handelsvertreter Herbert Fredrich, in dessenWohnung auch die erste, provisorische NSDAP-Geschäftsstelle derOrtsgruppe untergebracht war. Geboren am 3. August 1895 in Pla-the/Pommern, war Fredrich ebenso wie Bannemann erst kurz zuvornach Lübeck gezogen.24 Von Schröder übernahm Fredrich das Amtdes Ortsgruppenleiters und zog 1932 für die NSDAP in die Lü-becker Bürgerschaft ein.25 Im selben Jahr wurde Fredrich mit demKreisleiteramt des NSDAP-Kreises Lübeck-Land betraut.

Zu dem engeren Kreis führender Lübecker Nationalsozialistenzählten ebenfalls der Rechtsanwalt und NS-Fachberater für Rechts-fragen bei der Gauleitung, Dr. Georg Währer,26 sowie der LübeckerPastor und Referent für Kirchenpolitik bei der Gauleitung, UlrichBurgstaller.27

Der Konflikt zwischen Lübeck und Gauleiter Hildebrandt: Partei versus Staatoder Zentrum versus Peripherie? Durch die gemeinsame Parteiarbeit inder während der Weimarer Republik als „rote“ Hochburg im GauMecklenburg-Lübeck geschmähten Hansestadt hatte sich ein engmiteinander verbundener Zirkel von „Parteigenossen“ herauskristal-lisiert, der im Zuge der Machtübernahme im Frühjahr 1933 die we-sentlichen Ämter in der Stadtverwaltung besetzte. Wenige Tage nachder Reichstagswahl vom 5. März 1933 hatte der Syndikus der Ge-werbekammer, Dr. Friedrich Völtzer,28 – als Reichskommissar fürLübeck mit weit reichenden Kompetenzen ausgestattet – Banne-

Herbert Fredrich: Mitbegründer der Lü-becker NSDAP-Ortsgruppe und späterer Lei-ter des Arbeitsamts (Quelle: AlbrechtSchreiber: Zwischen Hakenkreuz und Hol-stentor. Lübeck 1925 bis 1939 – von derKrise bis zum Krieg. Lübeck 1983, S. 6)

14 Bannemann an Reichsleitung derNSDAP vom 7.5.1930, BAB-BDC PK EmilBannemann. Zu den Einzelheiten von Hild-ebrandts Suspendierung vgl. Behrens: MitHitler zur Macht, S. 92-97.15 Der NSDAP-Kreis Lübeck. Werden undWachsen, S. 56.16 Der Vorgang ist überliefert in BAB R1501 Kommunalabteilung, Nr. 1784 so-wie in BAB-BDC OPG Emil Bannemann.17 Seit 1933 bekleidete Bannemann ne-ben seinem Posten als Senator der Sozial-verwaltung auch das eines Kreisamtsleitersder NSV in Lübeck.18 Vgl. Hildebrandt an Oberstes Parteige-richt vom 5.11.1936, BAB-BDC OPG EmilBannemann. 19 Vgl. Beschluss des Obersten Parteige-richts vom 23.2.1937, ebd.

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mann, Währer und Burgstaller als dreivon insgesamt sieben Staatskommis-saren in Lübeck eingesetzt.29 Bereitszuvor hatte Walter Schröder kommis-sarisch die Polizeigewalt in der Han-sestadt übernommen. Im Mai 1933wurde unter der Leitung des neuenOberbürgermeisters Dr. med. dent.Otto-Heinrich Drechsler der neue Se-nat gebildet. Wesentliche Positionenwaren durch die „alten Kämpfer“ Lü-becks besetzt: Schröder übernahm dasRessort Inneres, Burgstaller die Ober-schulbehörde, Bannemann wurde Se-nator für Arbeit und Wohlfahrt. Völt-zer hatte sich den Bereich Finanzenund Wirtschaft reserviert. Der JuristDr. Hans Böhmcker30 wurde zum Se-nator für Justiz bestellt. Auch HerbertFredrich ging nicht leer aus, er avan-cierte wenig später zunächst zumstellvertretenden Leiter, später zumLeiter des Lübecker Arbeitsamts.

Das Amt des Oberbürgermeistersder Hansestadt übernahm der Zahn-mediziner Dr. Drechsler, ebenfallsNationalsozialist der ersten Stunde.31

Anders als seine Senatoren entstamm-te Drechsler nicht dem LübeckerNSDAP-Milieu. 1925 hatte er dieOrtsgruppe Kröpelin gegründet undals Ortsgruppenleiter geführt, warVorsitzender des Gau-USchlA32 ge-wesen und hatte von August 1932 biszu seiner Berufung als Bürgermeisternach Lübeck als stellvertretenderGauleiter von Mecklenburg-Lübeckamtiert. Zumindest nominell warDrechsler also der zweite Mann hinterHildebrandt, weshalb seine Berufungzum Verwaltungschef der Hansestadtin der Tat einem „Fallschirmabsprunghinter den feindlichen Linien“ glich.33

Dies hinderte ihn jedoch nicht daran,sich bald nach Amtsantritt in die Rie-ge derjenigen einzureihen, die Lübeckdem Zugriff des Gauleiters so weitwie möglich zu entziehen versuchten.Angeführt hatte diese Bemühungen

20 Die Angaben zu Schröders Werdegang sind entnommen: BAK Z 42 III, Nr. 341; LASAbt. 460, Nr. 3071; AHL, Personalamt 31-1, Abl. 1968, Bdl. 97, Nr. 2185; Stock-horst: 5000 Köpfe, S. 397, Führerlexikon, S. 438; Lilla: Statisten in Uniform, S. 588f.21 Er löste Bannemanns Nachfolger Friedrich Hasselhorst ab, vgl. Der NSDAP-Kreis Lü-beck. Werden und Wachsen, S. 40.22 Vgl. Stellungnahme Schröders vom 4.6.1947 im Spruchgerichtsverfahren: „Von1930-1932 war ich Bezirks- und Kreisleiter der NSDAP in Lübeck. Wegen der damaligenStreitigkeiten zwischen der mecklenburger Gauleitung und mir als Vertreter der Lü-becker Interessen, mußte ich 1932 meine Ämter als Bezirks- und Kreisleiter niederle-gen.“, BAK Z 42 III, Nr. 341, Bl. 4. Belegt ist, dass Schröder zumindest vorübergehendim Februar 1933 als Kreisleiter für Lübeck-Stadt zeichnete, vgl. Appell Schröders imLübecker Beobachter vom 20.2.1933 sowie „Kreisleiter“ Schröder an GauleiterSchemm als Vorsitzendem des NS-Lehrerbundes vom 21.2.1933, BAB-BDC PK WalterSchröder. Allerdings taucht im Organisationsplan des Gaues Mecklenburg-Lübeck vom1.10.1932 der Kaufmann Franz Frisch als Kreisleiter für Lübeck-Stadt auf, vgl. BAB NS22, Nr. 434. Frisch gehörte späteren Aussagen zufolge zu der langen Reihe von Lü-becker Kreisleitern, die „abgeschossen“ worden waren. Vgl. Aussage Faber bei derStaatsanwaltschaft Lübeck vom 2.7.1936, LAS Abt. 352 Lübeck, Nr. 471.23 Obwohl Schröder auf der Vorschlagsliste für den Reichstag von 1936 auftaucht,(Vgl. Lilla: Statisten in Uniform, S. 588f., 800.) erhielt er kein Mandat. (Für diesenHinweis danke ich Frank Omland.) Der Verlust eines Reichstagsmandats ohne schwer-wiegende Verfehlungen muss als absolute Ausnahmeerscheinung gewertet werden, zu-mal Schröder das Mandat kaum freiwillig niedergelegt haben dürfte, vgl. dazu PeterHubert: Uniformierter Reichstag. Die Geschichte der Pseudo-Volksvertretung 1933-1945. Düsseldorf 1992, S. 331f. 1938 - nach der Überleitung des Kreises Lübeck nachSchleswig-Holstein - erhielt Schröder sein Mandat zurück.24 Vgl. Der NSDAP-Kreis Lübeck. Werden und Wachsen, S. 3ff.25 Vgl. ebd. S. 104.26 Der promovierte Jurist Währer, Jhg. 1893, trat zwar erst 1928 der Partei bei, führ-te jedoch bereits seit 1925 den Lübecker Frontbann, vgl. Behrens: Mit Hitler zur Macht,S. 183; Stockhorst: 5000 Köpfe, S. 434 sowie Gerhard Meyer: Vom Ersten Weltkriegbis 1996: Lübeck im Kräftefeld rasch wechselnder Verhältnisse. In: Antjekathrin Graß-mann (Hrsg.): Lübeckische Geschichte. Lübeck 19973, S. 677-756, hier: S. 705.27 Burgstaller (*27.11.1894 in Magdeburg) kam 1926 nach Lübeck, vgl. Behrens:Mit Hitler zur Macht, S. 171.28 Zur Vita Völtzers vgl. Behrens: Mit Hitler zur Macht, S. 182, Führerlexikon, S. 50729 Zu den Abläufen der NS-Machtübernahme in Lübeck vgl. Albrecht Schreiber: Zwi-schen Hakenkreuz und Holstentor. Lübeck 1925-1939 – von der Krise bis zum Krieg.Lübeck 1983, S. 24ff.; Schneider: Gefährdung und Verlust, S. 75-86 sowie Behrens:Mit Hitler zur Macht, S. 154ff.30 Der promovierte Jurist Böhmcker, geb. am 6.11.1899, war erst seit dem 1.5.1933Pg. (Mitgl. Nr. 2.805.153), fungierte jedoch als Kreisrechtsamtsleiter und war SA-Sturmführer, vgl. Stockhorst: 5000 Köpfe sowie Aussage Böhmcker vor dem NSDAPGaugericht in Kiel am 22.7.1942, LAS Abt. 358, Nr. 5528. Böhmcker, der zeitweiseDrechsler als Oberbürgermeister vertreten hatte, beging im Zusammenhang mit der Lü-becker NSV-Korruptionsaffäre 1942 Selbstmord, vgl. Bajohr: Parvenüs und Profiteure,S. 170. In der Affäre war er selbst schwer belastet worden, Nutznießer von Selbstberei-cherungen gewesen zu sein, Vgl. BAB BDC, SA SL 49, Bl. 96.

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Staatskommissar Völtzer, der verschiedene Versuche gestartet hatte,die staatliche Unabhängigkeit Lübecks zu bewahren beziehungswei-se die Einsetzung Hildebrandts als Reichsstatthalter und damit auchdessen direkte Einflussnahme auf Lübeck zu verhindern.34 Drechs-ler, dessen Einsetzung durch Hildebrandt im Mai 1933 zunächst aufden Widerstand der Lübecker NSDAP gestoßen war,35 fand offenbarbald Gefallen an der Lübecker Perspektive und beteiligte sich in derFolge maßgeblich an der Eindämmung von Hildebrandts Einflussauf die Hansestadt. Lübeck war dabei allerdings offenbar nur einNebenschauplatz eines weitaus umfassenderen Konflikts zwischender Gauleitung in Schwerin und der Staatsregierung von Mecklen-burg, der bereits ein Jahr nach der Machtergreifung eskalierte. Hild-ebrandt, der als ehemaliger Landarbeiter seine Hausmacht in ersterLinie auf der mecklenburgischen SA und deren Hauptrekrutierungs-reservoir, der Landarbeiterschaft begründete, hatte seit ehedem mitder Skepsis der Funktionseliten in Staat und Verwaltung zu kämpfen– eine Machtbasis, die sich zunehmend als bröckelig erwies. Nacheiner Reihe von Vorfällen konnten die Spannungen auch von derReichsleitung nicht mehr ignoriert werden.36 So hatte im Zusam-menhang mit den Röhm-Morden der mecklenburgische Ministerprä-sident Engell zusammen mit den regionalen Spitzen der SS, Gestapound der Landespolizei auch die SA-Führung in Schwerin verhaftenlassen, was beinahe zu einer handgreiflichen Auseinandersetzungmit dem der SA eng verbundenen Gauleiter Hildebrandt geführt hät-te. Im Nachgang zu dieser Auseinandersetzung hatte sich Engell beiReichsinnenminister Frick über das inakzeptable Verhalten Hilde-brandts gegenüber den Staatsbehörden und der Verwaltung be-schwert und dabei dessen geistige Unzurechnungsfähigkeit ange-deutet. Gleichzeitig hatte Heß, ebenfalls über die Vorkommnisse in-formiert, den für die norddeutschen Gaue zuständigen Beauftragtender Parteileitung, Martin Seidel, angewiesen, die Angelegenheit vonSeiten der Partei zu untersuchen und vermittelnd tätig zu werden.37

Im Juli 1934 berichtete Seidel über die verfahrene Situation inMecklenburg: „Zwischen Partei und Staat tobt heute ein heftigerKampf. Die Regierung versucht planmäßig, den Einfluß der Bewe-gung zurückzudrängen. Hier geht es nicht mehr um den gemeinsa-men Kampf von Partei und Staat gegen gemeinsame Gegner und umein gemeinsames Ziel, sondern um den gegenseitigen Kampf: Parteioder Staat.“38 Als Protagonisten im Konflikt mit Gauleiter Hilde-brandt sah Seidel in erster Linie Ministerpräsidenten Engell, Mini-sterialdirektor Steinfatt vom Mecklenburgischen Staatsministeriumsowie den Lübecker Oberbürgermeister und vormaligen stellvertre-tenden Gauleiter Dr. Drechsler.39

Während sich die Auseinandersetzung in Schwerin vor allem ausder Konkurrenz zwischen der Partei und den Verwaltungsspitzen so-wie aus dem persönlichen Antagonismus der handelnden Personenspeiste, spielte in der Situation in Lübeck noch ein weiterer Aspekteine Rolle. Deutlich wird dies an der ungewöhnlich hohen Fluktuati-on von NSDAP-Kreisleitern in Lübeck. Allein zwischen 1932 und

Dr. Hans Böhmcker übernahm 1933 dasJustizressort in der Hansestadt. (Quelle:Schreiber: Zwischen Hakenkreuz und Hol-stentor, S. 93)

Obwohl zunächst augenscheinlich ein Ver-trauensmann der Schweriner NSDAP-Gau-leitung, machte sich der 1933 eingesetzteOberbürgermeister Dr. Otto-HeinrichDrechsler die Interessen der Lübecker„Kreis-Clique“ schnell zu eigen. (Quelle:Der NSDAP-Kreis Lübeck. Wachsen undWerden.)

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1937 mussten insgesamt sechs Kreisleiter ihren Posten wieder auf-geben.40 Zum Vergleich: im benachbarten Gau Schleswig-Holsteinwurde in diesem Zeitraum durchschnittlich höchstens einmal derSpitzenfunktionär des jeweiligen Parteikreises ausgetauscht.41 DerUmstand, dass die „Stellung des Kreisleiters in Lübeck [...] von je-her eine besonders schwierige gewesen“ war,42 zeigt sich exempla-risch an der Berufung des Nachfolgers von Herbert Fredrich im Amtdes Kreisleiters 1934, Erich Lange.43 Wie anfangs auch bei Drechs-ler handelte es sich bei dem SA-Hauptsturmführer aus Satow in dermecklenburgischen Provinz gewissermaßen um einen „Präfekten“44

der Gauleitung in Schwerin, der als Statthalter der mecklenburgi-schen Parteizentrale die Interessen Hildebrandts in der Hansestadtwahrnehmen sollte. Hildebrandts Personalpolitik erwies sich jedochals kontraproduktiv, da Lange nicht nur als verlängerter Arm derGauleitung in Lübeck auftrat, sondern sich auch seine Meriten eherals SA-Schläger denn als strategisch handelnder Funktionär verdienthatte. Dementsprechend waren die Widerstände, auf die er in derHansestadt traf, zumal Lange keinen Hehl daraus machte, dass ersich als loyalen Gefolgsmann Hildebrandts betrachtete und offenbarkaum eine Gelegenheit ausließ, dies auch demonstrativ unter Beweiszu stellen. So weigerte Lange sich beispielsweise, bei Senatssitzun-gen aufzustehen, wenn er sich zu Wort meldete.45 Der LübeckerKreis-Clique um Bannemann und Schröder fiel es angesichts desungeschickten Agierens des neuen Kreisleiters im Laufe des Herbsts1934 nicht schwer, ihn zu demontieren. Anlass boten Gerüchte umein angebliches Techtelmechtel des verheirateten Lange mit der 24-jährigen Sekretärin der Kreisleitung, wodurch sich der mit rigidenMoralvorstellungen ausgestattete Gauleiter gezwungen sah, Langeals Kreisleiter zu entfernen, obwohl er ahnte, dass es sich um eine„abgekartete Sache“46 der Lübecker Kreisclique handelte.

Langes Nachfolger als Kreisleiter der NSDAP in Lübeck, HansDaniels, war indes als „Eigengewächs“ der Lübecker NSDAP ge-wissermaßen das Gegenteil eines Präfekten der Schweriner Gaulei-tung. Wie Bannemann und Schröder gehörte der kaufmännische An-gestellte Daniels zu den Lübecker Nationalsozialisten, die sehr jungund sehr früh zur örtlichen NSDAP gekommen waren. Am 6. Juni1905 in Lübeck geboren, war Daniels bereits als 20-jähriger in dieLübecker Ortsgruppe eingetreten.47 1928 hatte er das Amt des Orts-gruppenkassenleiters übernommen.48 Seinem Werdegang entspre-chend musste er der Gauleitung als Vertrauensmann der Gruppe umBannemann, Schröder und Fredrich gelten, weshalb ihn die Partei-leitung in Schwerin zweifellos mit Misstrauen betrachtete. Wohlnicht zuletzt deswegen wurde Daniels von der Gauleitung AnfangJanuar 1936 Ernst Faber als neuer Kreispersonalamtsleiter zur Seitegestellt, der mit dem ausdrücklichen Auftrag ausgestattet war, derGauleitung über die Verbindungen zwischen dem Senat und derKreisleitung zu berichten.49 Gleich nach Amtsantritt bei derNSDAP-Kreisleitung der Hansestadt wurde Faber deutlich gemacht,dass er sich von nun an eindeutig zu positionieren habe: „Ich selbst

Hans Daniels, ein „Eigengewächs“ derLübecker Nationalsozialisten, übernahm imHerbst 1934 als 29jähriger die NSDAP-Kreisleitung, die er jedoch bereits nach ein-einhalb Jahren wieder abgeben musste.(Quelle: Der NSDAP-Kreis Lübeck. Wachsenund Werden.)

31 Drechsler, am 1. April 1895 inLübz/Mecklenburg geboren, war hoch de-korierter Weltkriegsteilnehmer und Mit-glied der Deutschvölkischen Freiheitspar-tei, vgl. BAB BDC-SA Otto-Heinrich Drechs-ler; Führerlexikon, S. 100; Stockhorst:5000 Köpfe, S. 112 sowie Behrens: MitHitler zur Macht, S. 172.32 USchlA: „Untersuchungs- und Schlich-tungs-Ausschuss“, bis etwa 1933 die par-teiinterne Bezeichnung der NSDAP-Partei-gerichte.33 Kasten: Hildebrandt, S. 219.34 Vgl. hierzu Schneider: Gefährdung undVerlust, S. 82ff. sowie Bernd Kasten: Kon-flikte zwischen dem Gauleiter FriedrichHildebrandt und dem Staatsministerium inMecklenburg 1933-1939. In: Mecklenbur-ger Jahrbücher 112 (1997), S. 157-175,hier: S. 159ff.35 Vgl. Kasten: Konflikte, S. 161.36 Zu diesem und weiteren Vorgängenvgl. ebd., S. 163ff. sowie Akten der Par-tei-Kanzlei, Bl 11701135-84.

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war erst ca. 10 Tage in Lübeck und wurde schon vondem damaligen Kreisgeschäftsführer Pg. Eggert imBeisein des damaligen Kreisleiters Daniels daraufaufmerksam gemacht, dass, wenn ich nicht in ganzkurzer Zeit innerlich und äusserlich Lübecker wür-de, ich dann in ganz kurzer Zeit in Lübeck ein er-schossener Mann wäre.“50 Faber berichtete an dieGauleitung, die offenbar schnell handelte und Dani-els mitsamt seines Kreisgeschäftsführers zum Rück-tritt zwang, welcher am 1. April 1936 erfolgte.51

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Situationin Lübeck nicht nur als Konflikt zwischen Verwal-tung und Parteidienststellen lesen, sondern mussauch als Auseinandersetzung zwischen Peripherie,nämlich der Lübecker „Kreisclique“, und Zentrum,der Gauleitung in Schwerin, gedeutet werden. Kei-neswegs lassen sich die Lager etwa in alte, konser-vative Eliten in Staat und Verwaltung auf der einenSeite und Nationalsozialisten auf der anderen Seitescheiden. Wie bereits erläutert, war gerade der Lü-becker Senat nahezu vollständig mit überzeugtenNationalsozialisten und langjährigen LübeckerParteifunktionären besetzt, so dass von einergrundsätzlichen weltanschaulich-politischenDeckungsgleichheit von Senat und Parteidienststel-len auszugehen ist. Eine solche Übereinstimmungwar indes keine Garantie für eine erquickliche Zu-sammenarbeit, sondern in diesem Fall ein Quell fürregionale Partikularinteressen und erbittert geführteKämpfe um die Macht in der Hansestadt. Insbeson-dere die Lübecker Senatoren reagierten äußerst emp-findlich auf den leisesten Anschein, dass beispiels-weise die Kreisleitung sich in vermeintlich unbilli-ger Weise in die Amtsgeschäfte der Stadtverwaltungmischte, wie aus der weiteren Entwicklung des Ver-hältnisses zwischen Senat und dem neuen Kreislei-ter, Johann Andresen, deutlich wurde.

Nach der Amtsenthebung Daniels‘ und Eggertshatte Hildebrandt die Gelegenheit genutzt, die Ver-hältnisse in der Lübecker Parteiorganisation erneutzu ordnen und die Führung der Kreisleitung in sei-nem Sinne zu besetzen. Mit Johann Andresen alsKreisleiter und Wilhelm Meyn als Kreisgeschäfts-führer platzierte die Gauleitung zwei geografischeAußenseiter an die Spitze des problematischen Par-teikreises, die über keinerlei Verpflichtungen ge-genüber der „Kreis-Clique“ in Lübeck verfügten undsomit von dieser als oktroyierte „Präfekten“ derGauleitung betrachtet wurden. Andresen, geboren

37 Frick an Heß vom 13.7.1934, Akten der Parteikanzlei derNSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes.Sammlung der in anderen Provenienzen überlieferten Korrespon-denzen, Niederschriften und Besprechungen usw. mit dem Stellver-treter des Führers und seinem Stab bzw. der Parteikanzlei, ihrenÄmtern, Referaten und Unterabteilungen sowie mit Hess und Bor-mann persönlich. Hrsgg. vom Institut für Zeitgeschichte, Teil I (3 Bde.) bearb. von Helmut Heiber. München u.a. 1983; Teil II (3 Bde.) bearb. von Peter Longerich. München u.a. 1992,Bl. 012655f.38 Bericht des Beauftragten der Parteileitung, Hans Seidel, vom30.7.1934, Akten der Parteikanzlei, Bl. 11701169-1173.39 Obwohl Engell und Steinfatt im Oktober 1934 ihre Posten räu-men mussten, blieb der Grundkonflikt zwischen Gauleitung undStaatsministerium ungelöst, denn Staatsminister Scharf blieb bisKriegsende im Amt und in konsequenter Opposition zu Hildebrandt,vgl. Kasten: Konflikte, S. 167ff. sowie Peter Diehl-Thiele: Parteiund Staat im Dritten Reich. München 1969, S. 48f.40 Vgl. Aussage Fabers bei der Staatsanwaltschaft Lübeck vom2.7.1936: „Nach meiner Ansicht sind folgende Kreisleiter hier inLübeck ‚abgeschossen’ worden: Lange, Fritsche [sic], Fredrichs[sic], Schröder, Daniels, Andresen.“, LAS Abt. 352 Lübeck, Nr.471.41 Auf die (zeitweise) bestehenden 22 Parteikreise in Schleswig-Holstein kamen innerhalb dieses Zeitraums insgesamt 40 Kreislei-ter. Errechnet auf der Basis von Lehmann: Kreisleiter.42 So musste das Lübecker Landgericht 1936 feststellen, vgl. Ur-teilsabschrift des Landgerichts Lübeck in der Sache gegen Ernst Fa-ber vom 5.2.1937, LAS Abt. 352 Lübeck, Nr. 471.43 Vgl. Kasten: Hildebrandt, S. 223.44 Vgl. hierzu Wolfgang Stelbrink: Die Kreisleiter der NSDAP inWestfalen und Lippe. Versuch einer Kollektivbiographie mit biogra-phischem Anhang. Münster 2003, S. 74.45 Vgl. zu den Einzelheiten Kasten: Hildebrandt, S. 223ff.46 Zitiert nach ebd., S. 224.47 Parteieintritt am 24.6.1925 unter der Nr. 8.565. Vgl. BAB-BDC PK Hans Daniels sowie AHL, Abt. Entnazifizierung, Soll-ListeNr. 1813/50.48 Der NSDAP-Kreis Lübeck. Werden und Wachsen, S. 40. Er be-hielt dieses Amt bis mindestens 1932, vgl. Lübecker Beobachtervom 6.2.1932.49 Aussage Fabers vor dem Staatsanwalt beim SondergerichtHamburg vom 8.8.1936, LAS Abt. 352 Lübeck, Nr. 471.50 Faber in einem undatierten Gnadengesuch an Hitler, ebd.51 Im Zuge des gegen ihn laufenden Entnazifizierungsverfahrensverwies Daniels nach dem Krieg zwar auf Differenzen mit Hilde-brandt, betonte jedoch, das „Amt aber auf eigenen Wunsch nieder-gelegt“ zu haben. Protokoll des Entnazifizierungs-Hauptausschus-ses Lübeck vom 12.12.1949, AHL, Denaz SL 1813/50.

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am 2.2. 1904 in Flensburg, besaß mit seiner niedrigen Parteinummer(Nr. 17.027) eines der wichtigsten Qualifikationsmerkmale eines zu-verlässigen Parteifunktionärs und hatte sich in der mecklenburgi-schen NSDAP als Ortsgruppenleiter von Warnemünde von 1933 bis1935, wo er gleichzeitig als Angestellter der Heinkel-Werke be-schäftigt war, und anschließend als hauptamtlicher Kreisleiter inGüstrow seine Meriten als Politischer Leiter verdient.52

Für Wilhelm Meyn bedeutete die Berufung nach Lübeck in daswichtige Amt des Kreisgeschäftsführers einen Karrieresprung in denhauptamtlichen Parteidienst, bis dato hatte der 1930 der Partei bei-getretende Meyn als Ortsgruppenleiter in Rostock-Stadt Parteiarbeitgeleistet.53

Die Berufung von Andresen und Meyn nach Lübeck brachte je-doch keineswegs eine Beruhigung der aufgeheizten Situation in derHansestadt. Vielmehr begannen nunmehr die Senatsmitglieder, denKonflikt durch eine Reihe von gezielten Störmanövern zu verschär-fen, die bei den Mitarbeitern der Kreisleitung ein „Gefühl der Ohn-macht“ hervorriefen, „weil sie in keiner Weise in die kommunaleAngelegenheiten eingebaut [wurden], anders als in anderen Städ-ten.“54 So verbat sich etwa der Innensenator Walter Schröder, seinesZeichens immerhin selbst ehemaliger NSDAP-Kreisleiter, dass deramtierende Kreisleiter Johann Andresen direkt Kontakt zu Beamtenaus dem Schröder unterstellten Bauamt aufnahm. Andresen hatte imAuftrag der Gauleitung Informationen über den Stand der Bauvor-haben in Lübeck anlässlich der Sanierung der Altstadt verlangt.55

Kurz zuvor hatte sich der Senator für Arbeit und Wohlfahrt, EmilBannemann, in einer Senatssitzung offiziell darüber beschwert, dassder NSDAP-Kreisorganisationsleiter sich erdreistet hätte, seineBehörde an die Erledigung einer Anfrage der Kreisleitung zu erin-nern.56 Durch Anlässe wie diese sah sich der Senat bemüßigt, einmalgrundsätzlich feststellen zu lassen, „inwieweit von der ReichsleitungParteianordnungen ergangen sind hinsichtlich der Berechtigung derParteidienststellen, von staatlichen Dienststellen Auskünfte und Ma-terial zu begehren.“ Zwar halte „der Senat ein gutes Zusammenar-beiten mit der Partei für unbedingt notwendig[,] eine Aussprache mitdem Gauleiter“ sei jedoch dringend geboten.57 Dass das Verhältnisder wichtigsten Senatsmitglieder zum Gauleiter zu diesem Zeitpunktbereits unwiderruflich zerrüttet war, lässt sich deutlich an dem we-nig später anlaufenden Parteiausschlussverfahren Hildebrandts ge-gen Bannemann und dem etwa auf diesen Zeitraum zu datierendenReichstagsmandatsverlust Schröders ablesen.

Der Gegensatz der Lübecker „Kreis-Clique“ um Bannemann undder Schweriner Parteizentrale fand seine Entsprechung auch inner-halb des Kreisstabs der Lübecker Kreisleitung. Innerhalb kürzesterZeit eskalierten die Spannungen darin, dass der neue KreisleiterAndresen zusammen mit Meyn Strafanzeige gegen den Kreisperso-nalamtsleiter Faber wegen übler Nachrede und Beleidigung stellte.Die nachfolgenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen offenbar-ten das ganze Ausmaß der inneren Zerrissenheit der Lübecker

52 Vgl. Aussage Andresens zum Lebens-lauf bei der Staatsanwaltschaft bei demSondergericht Hamburg in Lübeck vom7.8.1936, LAS Abt. 352 Lübeck, Nr. 471;BAB-BDC PK Johann Andresen. Vgl. Beh-rens: Mit Hitler zur Macht, S. 169.53 Vgl. Personalakte Meyn in Akten derParteikanzlei, Bl. 30704664-74. SowieBehrens: Mit Hitler zur Macht, S. 177.54 Aussage Meyn (o.D.), LAS Abt. 352Lübeck, Nr. 471.55 Vgl. undatierte Aussage WilhelmMeyn, ebd.56 Niederschrift über die Besprechung derSenatsmitglieder am 16.6.1936, AHL 4-0SP 1937 Senatsprotokolle 1932-37.57 Niederschrift über die Besprechung derSenatsmitglieder am 30.6.1936, ebd.

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NSDAP.58 Faber hatte zusammen mit den Kreisamtsleitern Foll undClasen versucht, Andresen gleich nach dessen Amtsantritt über diefeindselige Haltung der Bannemann-Clique im Lübecker Senat ge-genüber der Gauleitung aufzuklären und ihn auf ihre Seite zu ziehen.Zudem weihten sie Andresen ein, dass „der Kreisamtsleiter Degen-hardt [...] auf Seiten des Senats und des früheren Kreisleiters Daniels[stünde und] daher mit Vorsicht zu betrachten“ sei.59 Sowohl der et-was naiv auftretende Andresen als auch Meyn lehnten es ab, sichohne Prüfung Fabers Sicht der Dinge anzuschließen, und Faber, derselbst eigene Karriereziele verfolgte, begann gemeinsam mit denKreisamtsleitern Foll und Clasen einen Kleinkrieg gegen Andresenund Meyn anzuzetteln. In der Folgezeit wurden Anordnungen desKreisleiters systematisch ignoriert und öffentlich Kritik an dessenMaßnahmen geübt. Gleichzeitig versorgte Kreispresseamtsleiter De-genhardt den früheren Kreisleiter Daniels regelmäßig mit Internaüber die Zustände in der Kreisleitung. Endgültig eskalierte die Situa-tion als Faber das Gerücht zu streuen begann, Meyn und Andresen,die sich nach ihrer Ankunft in Lübeck zunächst ein gemeinsamesZimmer geteilt hatten, würden eine homosexuelle Beziehung unter-halten.60

Damit war auch die Geduld Hildebrandts ausgereizt. Im Juni1936 zitierte er seinen ehemaligen Schützling Faber nach Rostock,schloss ihn aus der Partei aus und übergab ihn der Gestapo. In demsich anschließenden Verfahren verurteilte das Lübecker LandgerichtFaber wegen übler Nachrede zu vier Monaten Gefängnis.

Nach dieser Affäre stand Hildebrandt in Lübeck endgültig vor ei-nem Scherbenhaufen, denn auch die Position von Meyn und Andre-sen war durch den Skandal in der Stadt unhaltbar geworden. Meynverließ Lübeck bereits im Oktober 1936, Andresen blieb bis April1937. Allerdings wusste Hildebrandt das Engagement der beiden inunterschiedlicher Weise zu würdigen. Während Meyn mit dem Pos-ten des Kreisleiters Schwerin-Stadt, am Sitz der Gauleitung, bedachtwurde und während des Krieges sogar Gauinspekteur in Mecklen-burg wurde,61 schied Andresen aus dem Gau Mecklenburg aus undübernahm den Posten des Kreisleiters in Stolp in der pommerschenProvinz.62

Gegen seinen eigenen Willen war Faber in der Affäre um Meynund Andresen ein nützliches Werkzeug der Lübecker „Kreis-Clique“geworden, um Hildebrandt die Grenzen seiner Macht in der Hanse-stadt zu demonstrieren. Deshalb zeigten sich Bannemann, Schröderund Drechsler auch großzügig gegenüber Faber und setzten sichnach erfolgter Eingliederung Lübecks nach Schleswig-Holstein fürdie Erlassung seiner Haftstrafe ein. So äußerte sich etwa Drechslerscheinheilig: „Faber ist m.E. nicht zuletzt das Opfer einer Hetze vongewisser Seite geworden. Er sagt [...] ja selbst, dass man dem ehe-maligen Senat auf der Gauleitung in Schwerin separatistische An-schauung vorwirft. Ohne vor allem auch auf die unwahren Behaup-tungen Faber's [sic] über den ehemaligen Lübecker Senat näher ein-zugehen“ sei er ebenfalls der Auffassung, dass Faber begnadigt wer-

58 Der gesamte Vorgang ist überliefert inLAS 352 Lübeck, Nr. 471.59 Aussage Andresen bei der Staatsan-waltschaft bei dem Sondergericht Hamburgin Lübeck vom 7.8.1936, ebd.60 Vgl. die verschiedenen AussagenAndresens und Meyns sowie Urteil desLandgerichts Lübeck vom 5.2.1937, ebd.61 Vgl. Personalakte Meyn in Akten derParteikanzlei, Bl. 30704664-74.62 Vgl. Versetzungsmeldung vom5.6.1937, Akten der Parteikanzlei Bl.11702103 sowie die Unterlagen in BALudwigsburg, 112 AR-Z 136/92 (Verfah-ren gegen Kirks u.a.). Andresen galt beiKriegsende als verschollen und wurde1946 für tot erklärt, vgl. ebd.

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den müsse.63 Eben jene „separatisti-schen“ Tendenzen des Senats bildetenjedoch den Kern der Auseinanderset-zungen zwischen der Lübecker „Kreis-Clique“ und der Schweriner Gaulei-tung.

Die Eingliederung Lübecks in den Gau Schles-wig-Holstein. Das Verhältnis der beidenbenachbarten Gauleiter Lohse undHildebrandt war – auch wenn ernsthaf-te Auseinandersetzungen nicht überlie-fert sind – durchaus nicht freundschaft-lich. Zu sehr unterschied sich Lohse

von Hildebrandt und der sozialradikalen Interpretation des National-sozialismus des ehemaligen Landarbeiters, die der eher opportunis-tisch-pragmatisch veranlagte und zumeist taktisch-flexibel agieren-de Lohse nicht zu teilen vermochte.64

Die Eingliederung Lübecks in die preußische Provinz Schles-wig-Holstein wurde sowohl von Seiten der Lübecker „Kreis-Clique“als auch von Oberpräsident und Gauleiter Hinrich Lohse begrüßt.Für Lohse bedeutete die Eingliederung eine gewisse Kompensationfür den schmerzlichen Verlust der beiden schleswig-holsteinischenGroßstädte Altona und Wandsbek an Hamburg. Zudem bot die zuge-spitzte Situation in Lübeck zwischen den lokalen Entscheidungsträ-gern und dem mecklenburgischen Gauleiter die Gelegenheit, denneuen Parteikreis möglichst geräuschlos in seinen Gau zu integrie-ren, denn Lohse konnte damit rechnen, dass die Loyalität der Lü-becker Nationalsozialisten zu ihrem vormaligen Gauleiter in Schwe-rin eher gering zu veranschlagen war.65

Bereits im Herbst 1936 – zu einem Zeitpunkt, als sich dieGerüchte über eine Gebietsveränderung zugunsten Groß-Hamburgsund eine mögliche Einbeziehung Lübecks in die Planungen zur Ge-wissheit zu verdichten begannen – trafen sich einige der LübeckerEntscheidungsträger mit Lohse und dem stellvertretenden GauleiterWilhelm Sieh in Eutin, zu diesem Zeitpunkt noch Mittelpunkt desoldenburgischen Landesteils Lübeck, zu einer Besprechung über dieweitere Vorgehensweise.66 Obwohl die Ergebnisse der Verhandlun-gen nicht überliefert sind, ist davon auszugehen, dass hier bereits aufregionaler Ebene erste Verhandlungen geführt und gemeinsameStrategien abgesprochen wurden.

Der Weg zwischen der endgültigen Entscheidung für ein Groß-Hamburg und dem Vollzug der Gebietsveränderungen war kurz.Nachdem im Dezember 1936 Göring in Gesprächen mit dem Ham-burger Gauleiter Karl Kaufmann die Frage der Gebietserweiterungzugunsten Hamburgs politisch entschieden hatte, erfolgte bereits am26. Januar 1937 die Verkündung des Gesetzes über Groß-Hamburgund andere Gebietsbereinigungen. Die Übergabe der Gebiete sollteschon zum 1. April vollzogen werden.67 Neben den beiden schles-

Zwei Nachbarn, die sich in ihrer Interpreta-tion des Nationalsozialismus und in ihremtaktischen Geschick deutlich unterschie-den. Die NSDAP-Gauleiter Friedrich Hilde-brandt (Mecklenburg-Lübeck) und HinrichLohse (Schleswig-Holstein).(Quellen: a) Behrens: Mit Hitler zurMacht, S. 36; b) Sammlung Rasmussen)

63 Drechsler an Oberstaatsanwalt Lübeckvom 27.11.1937, LAS Abt. 352 Lübeck,Nr. 471. Vgl. auch die fast gleich lauten-den Befürwortungen Bannemanns undSchröders, ebd.64 Vgl. Behrens: Mit Hitler zur Macht, S.66f.65 Die Argumentation, dass die Eingliede-rung Lübecks nach Preußen gewisser-maßen Folge einer „parteipolitischen Intri-ge“ gewesen war, wurde bereits kurz nachdem Krieg durch prominente Zeitgenossenvertreten, vgl. Stellungnahme des Sena-tors a.D. Hans Ewers vom 19.4.1956, ab-gedruckt in: Ahashver v. Brandt (Hrsg.):Lübeck und Artikel 29 Abs. 2 des Grundge-setzes der Bundesrepublik Deutschland.Akten und Urteil im Beschwerdeverfahrender Vaterstädtischen Vereinigung Lübecke.V. vor dem Bundesverfassungsgericht.In: ZLGA 37 (1957), S. 29-94, hierS. 56ff.66 Schneider: Gefährdung und Verlust,S. 91 sowie 104, Anm. 349.

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wig-holsteinischen Großstädten Altona und Wandsbek und einerganzen Reihe von Gemeinden der Landkreise Pinneberg, Stormarnund Herzogtum Lauenburg gewann das Land Hamburg die StadtHarburg-Wilhelmsburg und einige Gemeinden der Landkreise Har-burg und Stade hinzu. Preußen beziehungsweise Schleswig-Holsteinwurde territorial zusätzlich entschädigt durch die Integration des ol-denburgischen Landesteils Lübeck nach Schleswig-Holstein, wel-cher die Bezeichnung Landkreis Eutin erhielt.68 Hier hielten sich je-doch die Folgen für die Parteiorganisation der NSDAP in Grenzen,denn organisatorisch gehörten die dortigen Nationalsozialisten be-reits vorher zum Gau Schleswig-Holstein.

Lohse hatte erkannt, dass die Einbindung der Exponenten derLübecker „Kreis-Clique“ für ihn den größtmöglichen Nutzen ver-sprach, und setzte sich frühzeitig dafür ein, dass die entscheidendenMänner im Lübecker Senat – nämlich Drechsler, Bannemann,Schröder und Böhmcker – auch nach der Eingliederung Lübecks aufihren Posten blieben. Zudem sollten sie auf eigenen Wunsch die hi-storische Amtsbezeichnung „Senator“ auch weiterhin führen.69 Umauch in der parteipolitischen Führung des Kreises das Konfliktpo-tential nach Möglichkeit zu minimieren, berief Lohse zudem Banne-mann als Kreisleiter in Lübeck. Für Andresen hatte Lohse in demneuen schleswig-holsteinischen Parteikreis keine Verwendung mehr,er bescheinigte ihm, „weltanschaulich unklar“, „für die Stadt Lü-beck nicht repräsentativ genug“ und alles in allem „der Stellung ei-nes Kreisleiters in Lübeck nicht gewachsen“ zu sein.70 Bei Andre-sens Verabschiedung am 14. April 1937 versah nicht Lohse, sondernGauinspekteur Emil Paulsen die Übergabe der Geschäfte an Banne-mann.

Bannemann hatte sich zuvor im Oktober 1936 als Senator beur-lauben lassen, um als kommissarischer Treuhänder der Arbeit fürSachsen seinen weiteren Karriereweg auszubauen.71 BannemannsBereitschaft, diesen Posten aufzugeben und das zweifellos wenigerprestigeträchtige Kreisleiteramt anzutreten, ist deshalb als Zuge-ständnis der Lübecker Machtelite zu bewerten, um die sich aus derEingliederung Lübecks in die schleswig-holsteinische Gauorganisa-tion ergebenden Veränderungen möglichst sanft abzufedern. Kaumverhohlen klang dieser Wunsch durch in der Rede, welche Banne-mann aus Anlass seiner Einführung in das Kreisleiteramt hielt und inder er die Schwierigkeiten, die sich nach 1933 im Miteinander zwi-schen Staat und Partei ergeben hatten, herausstrich, indem er beton-te, dass er für sich „in Lübeck die Aufgabe [sähe], etwa vorhandeneungesunde Spannungen zwischen Partei und Verwaltungen, zwi-schen Parteiorganisationen und Volk zu beseitigen und eine Vertrau-ensbasis zu schaffen, auf der alle, die guten Willens sind, mitarbeitenkönnen.“72

Ob Bannemanns Kreisleitertätigkeit bereits bei seiner Berufunglediglich als Übergangslösung projektiert gewesen war, muss dahin-gestellt bleiben, ist jedoch wahrscheinlich. Zweifellos ist seine Be-rufung auch vor dem Hintergrund sich verknappender Personalres-

67 Vgl. Hierzu Schneider: Gefährdung undVerlust, S. 94ff. 68 Vgl. hierzu Stokes: Kleinstadt und Na-tionalsozialismus, S. 807ff. sowie Her-mann Diercks (Hrsg.): Denkschrift zur Ein-gliederung des oldenburgischen Landes-teils in die Provinz Schleswig-Holstein am1. April 1937. Plön 1937 sowie Robert-Dieter Klee: Der Kreis Herzogtum Lauen-burg und das Groß-Hamburg-Gesetz. In:Lauenburgische Heimat 147 (1997),S. 70-87 und Perrey: Stormarns preußi-sche Jahre, S. 358-366.69 Drechsler an Staatsminister Popitzvom 26.2.37, AHL, Abl. 1968, Bdl. 3, Nr.42, PA Emil Bannemann. Letzterer Wunschblieb unerfüllt, aus den Senatoren wurdenStadträte, Drechsler trug den Titel Ober-bürgermeister.70 Andresen an Lohse vom 23.3.1937sowie dessen Antwortschreiben vom6.4.1937, BAB DBC-PK Lohse. Als Anlasshatte Lohse einen von Andresen verfasstenund im Lübecker Volksboten veröffentlich-ten Zeitungsartikel genommen, Lohse anHeß vom 18.3.1937, ebd.71 Vgl. Personalakte Bannemann, AHL,Abl. 1968, Bdl. 3, Nr. 42 sowie BAK Z 42III, Nr. 988, Bl. 2. Damit kam Bannemannals der exponierteste Gegner Hildebrandtsin Lübeck zumindest bis zum Vollzug derÜberleitung Lübecks vorübergehend ausder Schusslinie.72 Einführungsrede des Kreisleiters Ban-nemann vom 19.4.1937, abgedruckt in:Lübeckische Blätter 79 (1937), Nr. 17,S. 363ff.

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sourcen in Partei, Staat und Wirtschaft zu betrachten, weshalb geeig-nete schleswig-holsteinische Kandidaten für die Besetzung einessolch heiklen Postens schwer zu finden gewesen sein dürften. In die-sem Zusammenhang steht auch Bannemanns weiterer Werdegang,denn bereits im September 1937 legte er das Kreisleiteramt nieder,um den mit weitaus mehr Einfluss und Prestige verbundenen Postenals Gauobmann der DAF Schleswig-Holstein anzutreten.73 Mit die-sem Karriereschub als Kompensation dankte Lohse Bannemann fürdessen Bereitschaft, die Lübecker NSDAP ohne größere Problemein die schleswig-holsteinische Parteiorganisation geleitet zu haben.Mit der Berufung Bannemanns an die Spitze der DAF-Gauwaltunglöste Lohse ein weiteres Personalproblem, denn durch die Alkoho-lexzesse und peinlichen öffentlichen Auftritte des vormaligen Alto-naer Kreisleiters und Oberbürgermeisters, Emil Brix, hatte sich die-ser zu diesem Zeitpunkt endgültig disqualifiziert und sein Amt alsDAF-Gauobmann abgeben müssen.74

Mit Otto Clausen übernahm 1937 einAußenseiter die NSDAP-Kreisleitung in Lü-beck. Hier ist Clausen in Wehrmachtsuni-form zu sehen. (Quelle: PrivatbesitzVolker Clausen, Eutin.)

73 Vgl. u.a. Nordische Rundschau Nr. 205vom 3.9.1937. Zur endgültigen Übernah-me des zunächst kommissarisch ausgeüb-ten Postens als Gauobmann vgl. auch BABR 1501 Kommunalabteilung, Nr. 1784.74 Brix wurde als Sohn eines Kaufmannsam 4.11.1902 in Husum geboren und ab-solvierte nach dem Besuch der Volkschuleund des Gymnasiums und einer abgebro-chenen Lehrerausbildung eine Banklehre.In Altona tat er sich bereits früh als Akti-vist hervor, lernte über die Mitgliedschaftim Freikorps Rossbach viele spätere Natio-nalsozialisten kennen und trat 1925 als22-jähriger der NSDAP bei (Mitgl.-Nr.7486) bei, in der er zunächst die Orts-gruppe Altona leitete. 1926 gründete erzusammen mit anderen die Altonaer SA-Gruppe und gehörte 1932-33 sowohl demPreußischen Landtag als auch seit 1929dem Provinziallandtag an. Vgl. zu BrixBAB-BDC-OrPo; BDC-SA, BDC-PK Emil Brix;Staatsarchiv HH 221-11 Z, Nr. 8007 (Ent-nazifizierungsakte); Staatsarchiv HH 421-5, Nr. Kc 10; Führerlexikon, S. 75; Hand-buch für den Preußischen Landtag (1933),S. 313; Anthony McElligott: ContestedCity. Municipal Politics and the Rise of Na-zism in Altona 1917-1937. Ann Arbor1998, S. 203ff., 217ff. sowie Lehmann:Kreisleiter, S. 430f.

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Die Berufung von Bannemanns Nachfolger als Kreisleiter in Lü-beck wirft ein bezeichnendes Licht auf die Personalpolitik der Gau-leitung wenige Jahre vor Kriegsausbruch, denn Lohse ernannte denselbst in Parteikreisen weitgehend unbekannten Flensburger Baum-schulbesitzer Otto Clausen. Am 31.5.1906 in Tarup bei Flensburggeboren, legte Clausen nach dem Besuch der Volksschule und derOberrealschule 1925 das Abitur ab. Während seines Maschinenbau-studiums an der Technischen Universität Hannover und einer kurzenMitgliedschaft im Jungdeutschen Orden trat Clausen 1929 im Altervon 23 Jahren der NSDAP bei. Wenig später folgte der Eintritt in dieSA, aus der Clausen jedoch schnell wieder ausschied und in die SSübertrat. Bis 1937 stieg er zum SS-Sturmbannführer auf. NachAbschluss seines Studiums verhinderten schlechte Berufsaussichtenund der Tod des Vaters, dass Clausen als Ingenieur arbeitete, wes-halb er nach einer Gärtnerlehre den väterlichen Baumschulbetriebübernahm. Obwohl er seinen Berufswunsch nicht verwirklichenkonnte, kann von einer sozialen Deklassierung auch in diesem Fallnicht gesprochen werden, denn es handelte sich bei dem väterlichenBetrieb um einen mittelständischen Betrieb mit etwa zehn Mit-arbeitern. 1935 übernahm Clausen das Amt des Bürgermeisters inTarup, 1936 wurde er Amtsvorsteher in Adelby. Abgesehen voneinem kurzen Engagement als Beisitzer des NSDAP-Kreisgerichtsin Flensburg blieb Clausen parteipolitisch ein unbeschriebenesBlatt.75

Umso erstaunlicher erscheint seine Berufung zum Kreisleiter inden problematischen Stadtkreis Lübeck am 1. Oktober 1937.76 Mit31 Jahren war Clausen ein sehr junger Kreisleiter77 und er dürfte in-nerhalb der Partei eher über einen geringen Vernetzungsgrad verfügthaben. Die Gauleitung wird durch einen ehemaligen SchulfreundClausens, den Vorsitzenden des schleswig-holsteinischen NSDAP-Gaugerichts und ehemaligen Adjutanten Lohses, Wilhelm Lütt, aufihn aufmerksam gemacht worden sein. Die Berufung Clausens botmit Hinsicht auf den Lübecker Kreisleiterposten für Lohse einigeentscheidende Vorteile: Zunächst repräsentierte er eine junge Gene-ration von Kreisleitern und passte in diesem Sinn in das Personalre-virement, das die Gauleitung anlässlich der Auflösung der Personal-unionen auf der Ebene der Kreisleiter 1937 vollzog mit dem Ziel,das Kreisleiterkorps zu verjüngen. Gleichzeitig verfügte Clausen alsgeografischer Außenseiter über keine nachweisbaren Verbindungenzur Lübecker „Kreis-Clique“ vor seiner Berufung. Durch dieseMaßnahme verschaffte sich Lohse ein gewisses Maß an Kontrolle indem Parteikreis – den er nach wie vor als tendenziell problematischbetrachten musste –, denn Clausen war durch seine Berufung alleinLohse persönlich verpflichtet. Durch das Fehlen von lokalen Verbin-dungen, einer echten Hausmacht und parteiinternen Meriten, die ersich etwa als Ortsgruppen- oder Kreisamtsleiter hätte verdienenkönnen, war Clausen ein politisch „schwacher“ Kreisleiter, der sichallein durch die Unterstützung des Gauleiters legitimieren konnte.Dadurch waren die Kräfteverhältnisse zwischen den Lübecker Ent-

75 Soweit nicht anders vermerkt entstam-men die Angaben zu Clausens Vita seinerSpruchgerichtsakte (BAK Z 42 III, Nr.3122), BAB BDC-SSHO Otto Clausen sowieVolker Clausen: Spurensuche im Lebenmeines Vaters Otto Bernhard Clausen,Kreis- und Bereichsleiter der NSDAP in Lü-beck (Masch. Manuskript), für dessenÜberlassung ich Herrn Volker Clausen(Eutin) danke.

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scheidungsträgern im Senat und der Kreisleitung zu Gunsten der Er-steren klargestellt, was diesen die Berufung eines Außenseiterszweifellos attraktiv erscheinen ließ. Die Berufung Clausens zumKreisleiter in Lübeck mag als Beispiel für Lohses taktische Flexibi-lität in Personalfragen betrachtet werden, denn somit erreichte dieGauleitung, dass in Lübeck ein Mindestmaß an zentraler Kontrollegewahrt blieb, ohne dass in der Berufung der Kern für weitere Kon-flikte angelegt war.

In Bezug auf das Verhältnis zwischen Senat und Kreisleitungscheint Clausens Berufung ausgleichend gewirkt zu haben, zumin-dest sind keine weiteren Konflikte überliefert. Offenbar hielt sichClausen in vielen Angelegenheiten eher bedeckt, als dass er initiativwurde. Beispielhaft mag hier das Treffen zwischen Lübecker Vertre-tern und den politischen Entscheidungsträgern des benachbartenLandkreises Eutin dienen.78 Grund für ein solches Treffen waren dievon Eutiner Seite geäußerten Bedenken, dass sich Lübeck um dieEinverleibung von Teilen des Landkreises Eutin, insbesondere derbenachbarten Stadt Bad Schwartau, bemühen würde. Auf Initiativedes Senats kam es im Januar zu einem Treffen mit dem EutinerLandrat Ernst Sieh, Mitgliedern des Kreisausschusses und dem Euti-ner Kreisleiter Johannes Meyer in Lübeck. Zwar nahm auch Clausenauf Lübecker Seite an dem Treffen teil, im Gegensatz zu seinem Eu-tiner Kollegen blieb er jedoch weitgehend im Hintergrund.

Gleich bei Kriegsausbruch meldete sich Clausen zur Wehrmacht,blieb allerdings zunächst in Lübeck stationiert. Die Geschäfte alsNSDAP-Kreisleiter übernahm Walter Schröder kommissarisch bis1941, als der bisherige Ortsgruppenleiter von Travemünde, WilhelmJabs, als kommissarischer Kreisleiter in Lübeck eingesetzt wurde.79

Der Fall des Lübecker Parteikreises verdeutlicht die entscheiden-de Bedeutung, die ein bestehendes persönliches Gefolgschaftsver-hältnis zwischen dem Gauleiter und seinen Parteifunktionären be-saß. Zwischen der Lübecker „Kreisclique“ und dem Gauleiter inSchwerin bestand ein solches ohne jeden Zweifel nicht. Im Gegen-teil zeigt sich an diesem Fall, dass es unter bestimmten Vorausset-zungen möglich war, dass lokale Parteifunktionäre in ihrem Partei-kreis offen Opposition gegen ihren parteiinternen Vorgesetzten be-treiben und dessen personalpolitischen Eingriffsversuche nahezuungestraft sabotieren konnten, sowie selbst an der Loslösung ihresStadtkreises aus dem Herrschaftsbereich des Gauleiters nicht unbe-teiligt blieben. Zu diesen Voraussetzungen gehörte zentral der Rück-halt in der lokalen „Parteigenossenschaft“, über den Bannemann,Schröder, Daniels und andere aufgrund ihrer exponierten Rolle inder „Kampfzeit“ der NSDAP in Lübeck verfügten. Ein weiterer Fak-tor war die Tatsache, dass die Mitglieder eben dieser „Kreisclique“im Zuge der „Machtergreifung“ die wichtigsten Posten in der städti-schen Verwaltung besetzten und damit die politische Macht in derHansestadt an sich rissen, wodurch sie der Weisungsbefugnis desGauleiters entzogen waren. Dieser stand nämlich – anders als seinGauleiterkollege Lohse in Schleswig-Holstein – nicht zugleich auch

76 Rundschreiben Nr. 3/37 des Gaulei-ters vom 12.10.1937, abgedruckt in: Ver-ordnungsblatt der Gauleitung Schleswig-Holstein 10 (Oktober) 1937, S. 215.77 Das Durchschnittsalter schleswig-hol-steinischer NSDAP-Kreisleiter lag zum Zeit-punkt seines Dienstantritts bei über 37Jahren.78 Vgl. undatierten Aktenvermerk Krügersüber das Treffen, AHL NSA Abt. XX Nr.42a/4.79 Sowohl im Spruchgerichtsverfahren alsauch im Entnazifizierungsverfahren ver-schwieg Schröder die kommissarischeÜbernahme des Kreisleiteramts, weshalbdie genaue Amtsdauer ungeklärt bleibt. ImMärz 1940 zeichnet er im Nachrichten-blatt der SA-Standarte 162 Lübeck (Nr. 1)einen Gruß an zur Wehrmacht eingezogeneSA-Angehörige als „Euer Kreisleiter imKriege 1939-1940“.

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an der Spitze der staatlichen Verwaltungsaufsichtsbehörde, was ei-nerseits in der besonderen Konstruktion des Gaues Mecklenburg-Lübeck begründet war, andererseits aber auch mit der Person Frie-drich Hildebrandts zusammenhing, der – wie seine übergangsweiseAbsetzung als Gauleiter zeigt – nicht das uneingeschränkte Vertrau-en der Parteileitung genoss. Im Gau Schleswig-Holstein hatte Lohseein funktionierendes System der Machtsicherung innerhalb der Par-teiorganisation geschaffen, indem er lokale Cliquenbildungen bis zueinem gewissen Grad tolerierte, solange sie in erster Linie der Absi-cherung der lokalen Herrschaft der Partei dienten. Zugleich war erjedoch darauf bedacht, die Selbstständigkeit lokaler Machtzentrenzu begrenzen. Dies war jedoch nur möglich, da Lohse auch an derSpitze der staatlichen Verwaltung in seinem Herrschaftsgebiet stand.

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