Schlick-Sinn Des Lebens

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VOM SINN DES LEBENS von MORITZ SCHLICK Nicht alle werden durch die Frage nach einem Sinn des Lebens be- unrohigt. Die einen, nicht die Unglücklichsten, ha.ben die Seele des Kindes, das Mch nicht da.naeh fra.gt; die anderen fragen nicht melw, sie ha.ben das Fragen verlemt. Zwischen ihnen stehen wir, _die Suchenden. Wir können uns nicht a.uf die Stufe des zurückversetzen, den das Leben noch nicht mit seinen ritseldunklen Augen a.ngescha.ut ha.t, und wir wollen uns nicht zu den und Bla.siertal gesellen, die an keinen Sinn des Daseins mehr glauben, weil sie in dem ihrigen keinen finden konnten. Wer die Ziele verfehlt ha.t, nach denen seine Jugend strebte und keinen Ersa.tz fand, mag die Sinnlosigkeit seines eigenen Lebens be- klagen: er ka.nn doch an einen Sinn des Daseins überhaupt gla.uben und ihn immer dort zu finden meiDen, wo einer seine Ziele erreichte. Wer a.ber selbst dem Scbicksa.l die Verwirklichung seiner Zwecke a.bra.ng und dann findet, da.ß das Errungene nicht so wertvoll wa.r wie es schien, daß er irgendwie einer Täuschung zum Opfer fiel: der steht der Frage ll8ßh dem Wert des Lebens ga.nz ratlos gegenüber, und wie eine dunkle Wüste liegt· vor ihm der Geda.nke, da.ß a.lles nicht nur vergeht, sondem auch im Grunde alles vergeblich ist. W1e sollen wir in den Wirrnissen eines menschlichen Lebensla.ufes, wie in dem ta.umelnden Ga.ng der Geschichte einen einheitlichen Sinn 881

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VOM SINN DES LEBENS

von

MORITZ SCHLICK

Nicht alle werden durch die Frage nach einem Sinn des Lebens be­

unrohigt. Die einen, nicht die Unglücklichsten, ha.ben die Seele des

Kindes, das Mch nicht da.naeh fra.gt; die anderen fragen nicht melw, sie

ha.ben das Fragen verlemt. Zwischen ihnen stehen wir, _die Suchenden.

Wir können uns nicht a.uf die Stufe des N~ven zurückversetzen, den das Leben noch nicht mit seinen ritseldunklen Augen a.ngescha.ut ha.t, und

wir wollen uns nicht zu den M~ und Bla.siertal gesellen, die an keinen

Sinn des Daseins mehr glauben, weil sie in dem ihrigen keinen finden

konnten.

Wer die Ziele verfehlt ha.t, nach denen seine Jugend strebte und

keinen Ersa.tz fand, mag die Sinnlosigkeit seines eigenen Lebens be­klagen: er ka.nn doch an einen Sinn des Daseins überhaupt gla.uben und ihn immer dort zu finden meiDen, wo einer seine Ziele erreichte. Wer

a.ber selbst dem Scbicksa.l die Verwirklichung seiner Zwecke a.bra.ng und

dann findet, da.ß das Errungene nicht so wertvoll wa.r wie es schien, daß er irgendwie einer Täuschung zum Opfer fiel: der steht der Frage ll8ßh

dem Wert des Lebens ga.nz ratlos gegenüber, und wie eine dunkle Wüste

liegt· vor ihm der Geda.nke, da.ß a.lles nicht nur vergeht, sondem auch im

Grunde alles vergeblich ist.

W1e sollen wir in den Wirrnissen eines menschlichen Lebensla.ufes,

wie in dem ta.umelnden Ga.ng der Geschichte einen einheitlichen Sinn

s~~~~4. 881

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MORITZ SCHLICK

entdecken 1 Mag uns das Dasein als ein farbenfroher Teppich erscheinen

oder als ein gra.uer Schleier: gleich schwer ist es, das wehende Gebilde so aufzurollen, daß sein Sinn offenbar wird. Das Ganze fla.ttert vorüber und

scheint verflogen zu sein, bevor wir l1IlB Rechenschaft davon geben

koxmten.

Woher kommt der sonderba.re Widerspruch, da.ß Vollbringen und Ge­nießen sich nicht zu einem rechten Sinn zusammenschließen wollen!

Scheint hier nicht ein unentrinnbares Naturgesetz zu walten 1 Der

Mensch setzt sich Ziele, und während er ihnen zufliegt, befiügelt ihn

zwar die Hoffnung, zugleich aber zehrt a.n ihm die Unlust des unbe­

friedigten Verlangens. Ist aber das Ziel erreicht, so folgt, nachdem da.s erste Triumphgefühl verrauscht ist, una.usweichlich eine Stimmung der

Öde. Eine Leere bleibt zurück, die, so scheint es, erst durch das schmerz­

volle Auftauchen neuen Verla.ngens, durch die Setzung neuer Ziele ein

Ende finden kann. So beginnt das Spiel von neuem, und das Dasein

scheint ein rastloses Hin- und Herpendeln zwischen Schmerz und Langer­

weile sein zu müssen, das schließlich im Nichts des Todes endet. - Dies

ist der berühmte Geda.nkenga.ng, den Schopenhauer zur Grundlage

seiner pessimistischen Lebensa.uffa.ssun gemacht hat. Ist es nicht mög­

lich, ihm auf irgendeine We~ zu entriD.nen 1 Ma.n weiß, wie z. B. Nietzache diesen Pessimismus zu überwinden

suchte. Zuerst durch die Flucht zur Kunst: betrachte die Welt, ruft er,

als eine ästhetische Erscheinung, und sie ist ewig gerechtfertigt! Dann durch die Flucht zur Erkenntnis: sieh das Leben als ein Experiment des Erkennenden a.n, und die Welt wird dir das trefflichste La.bora.torium

sein! Aber N ietzsche ·hat sich von diesen Sta.ndpunkten wieder a.bge­

wendet, schließlich war nicht mehr Kunst sein Za.uberwort, und nioh•

Wissenschaft, nicht Schönheit und nicht W a.brheit; es lä.Bt sich schwer

8.uf eine kurze Formel bringen, worin der weiseste N ietzsche, der

Nietzache des Za.ra.thu.stra.1 den Sinn des Lebens erblickte. Dexm wenn

man gesagt hat, des Leben8 letzter Wert sei ihm nunmehr das Leben selbst gewesen, so ist damit offenkundig nichts deutliches gesagt und

nicht der rechte Ausdruck für die tiefe W a.hrheit gefunden, die er damals

erschaute oder mindesten$ ahnte. Er erkannte nämlich, da.ß das Leben

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sola.nge keinen Sinn ha.t, a.ls es ga.nz unter der Herrschaft der Zwecke steht:

, Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästem, wenn ich lehre: über a.llen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel

Ohngefä.hr, der Himmel 'Obermut.

t,Von Ohngefä.hr' - das ist der älteste Adel der Welt, den ga.b ich

allen Dingen zurüclt, ich erlöste sie von der Kneehtscha.ft unter dem Zwecke.

tDiese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner

Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, da.ß über ihnen und durch sie kein ,ewiger Wille' - will«.

In der Ta.t, wir werden nie einen letzten Sinn im Dasein finden, wenn

wir es nur unter dem Gesichtspunkt des Zweckes ansehen.

Ich weiß a.ber nicht, ob die Wucht der Zwecke jemals schwerer a.nf

dem Menschengeschlecht gelastet hat als in der Gegenwart. Die Gegen­

wart betet die Arbeit a.n. Arbeit a.ber heißt zielstrebiges Tun, Gerichtet­

sein a.uf einen Zweck. Versetze dich in das Gewühl einer hastigen Straße

der Großstadt und denke dir, du hieltest die Vorüberströmenden einen

nach dem anderen a.n und riefest ihnen zu: •Wohin so eilig 1 was hast du wichtiges vor ! « Und hättest du das nächste Ziel erfa.hren, so fragtest du

weiter nach dem Zweck dieses Zieles, und weiter nach dem Zwecke des

Zwecks- du würdest fast immer schon nach wenigen Gliedern der

Reihe a.uf den Zweck stoßen: Erhaltung des Lebens, Broterwerb. Und

wa.rum denn das Leben erhalten 1 Auf diese Frage könntest du a.us den

erhaltenen Auskünften selten eine verständliche Antwort herauslesen.

Und doch muß eine Antwort gefunden werden. Denn da.s bloße

Dasein, die reine Existenz als solche, ha.t gewiß keinen Wert, sie muß

a.uch einen Inhalt ha.ben, und nur in ihm ka.nn der Sinn des Lebens

liegen. Was a.ber in Wirklichkeit unsere Tage fast ganz ausfüllt, das sind

die Tätigkeiten, die der Erhaltung des Daseins dienen. . Mit anderen

Worten: den Inhalt des Daseins bildet die zum Dasein nötige Arbeit. So drehen wir uns im Kreise, a.uf diese Weise dringen wir nicht zu einem Sinn des Lebens vor. Und nicht besser ist es, wenn ·wir statt a.uf die

.Arbeit selbst den Blick a.uf die Früchte der ~beit richten. Der a.ller-

SSS

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gro.Bte Teil ihrer ErL.eugnisse dient wiederum irgendwelchen Arbeiten

und damit indirekt der Fristung des Lebens, und ein anderer großer Teil ist sieher sinnloser Kitsch. Ra thena u schätzte, wenn ich nicht irre, diesen letzten auf em Drittel der ga.nzen Produktion. Wieviel bliebe da

als sinnvoll übrig t Und irgendwelche Arbeitsprodukte als solche können

auch nie wertvoll sein, sondern nur insofem sie das Leben irgendwie er­füllen und bereichern, das heißt, den Menschen in wertvolle Zu.stinde

und Tätigkeiten versetzen. Der Zustand des Arbeitens kann dies nicht

sein, denn wir verstehen unter Arbeit- diesen Begriff in philosophischer

Allgemeinheit genommen - eben jede Tätigkeit, die a.llein zur Ver­

wirklichung irgendeines Zweckes unternommen wird. Es ist also das cha.rakteristi.se Kennzeichen der Arbeit, da.ß sie ihren Zweck außer­

halb ihrer selbst ha.t, daJ3 sie nicht um ihrer selbst willen geta.n wird. Die Lehre, welche die Arbeit schlechthin in den Mittelpunkt des Daseins

stellen und zu seinem höchsten Sinn erheben möchte, muß irren, weil

jede arbeitende Tätigkeit als solehe immer nur Mittel ist, ihren Wert nur

aus ihren Zielen empfingt.

Der Kem und letzte Wert des Lebens ka.nn nur liegen in solchen Zu­ständen, die um ihrer selbst willen da sind, die ihre Erfüllung in sich

selber tragen. Solche Zustände sind nun zwa.r "zweifellos gegeben in den

Lustgefühlen, in welche die Sättigung jeglichen Wollens a.usklingt, und

von denen die Befriedigung jeglichen Verlangens begleitet ist--wollten

wir aber aus diesen Momenten, in denen der Drang des Lebens für Augen­

blicke zum Stillsta.nd kommt, den Wert des Daseins ableiten, so wür­

den wir uns aJsbaJ.a in jenen Geda.nkengang Schopenhauers ver­

stricken, der uns nicht den Sinn, sondem den Unsinn des Lebens

offenbar macht.

Nein, Leben bedeutet Bewegung und Handeln, und wenn wir einen

Sinn in ihm finden wollen, so müssen wir nach Tätigkeiten suchen, die

ihren Zweck und Wert in sieh tragen, una.bhä.ngi.g von allen Zielen außer­

haJ.b ihrer, Betätigungen also, die nicht .Arbeit in der philosophischen

Bedeutung des Wortes sind. Wenn es dergleichen Tätigkeiten gibt, da.nn

ist in ihnen das scheinbar Auseina.nderliegende versöhnt, Mittel und

Zweck, Handlung und Erfolg in eins verschmolzen, da.nn ha.ben wir

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Selbstzwecke gefunden, die mehr sind als bloße Zielpllllk:re des Tuns und

Ruhepunkte dea Daseins, und sie vermochren allein die Rolle eines

wahren Lebensinhaltes zu übernehmen.

Solche Tätigkeiten g~öt es wirklich. Wir müssen sie folgerichtig Spiel nennen, denn das ist der Name für freies, zweckloses, d. h. in Wahrheit

den Zweck in sieh selbst tragendes Handeln. Nur müssen wir das Wort

Spiel in seiner weiren, echten, in seiner philosophischen Bedeutung

nehmen, in einem tieferen Sinn, als ihm der Alltag gemeinhin zugesteht.

Damit verleihen wir ihm keine neue, überraschende Bedeutung, sondern

wiederholen nur, was wenigsrens einem großen Geiste völlig deutlieh war,

der das Wesen des Menschlichen mit dem Blicke des Dichters -und das heißt, in tiefer Wa.hrheit- er:fa.Bte. Denn Friedrieh Schiller spricht

in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen folgende

Worte: •· ••. um es endlich a.uf einmal hera.uszusagen: der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur

da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Sa.tz, der in diesem Augenblick

vielleicht pa.radox erscheint, wird eine große und tiefe Bedeutung er­

halten, wenn wir erst dahin gekommen sein werden, ihn auf den doppeltAm Ernst der Pflicht und des Schicksals anzuwenden. Er wird, ich ver­

apreehe es, das ga.nze Gebäude der ästhetäsehen Kunst und der noch viel

schwierigeren Lebenskunst tragen. Aber dieser Sa.tz ist auch nur in der

Wissel'lscilia.ft unerwartet; längst schon lebte und wirkte er in der Kunst und in dem Gefühle der Griechen, ihrer vornehmsten Meister, nur da.ß sie in den Olympus versetzten, was a.uf der Erde sollte ausgeführt werden.

Von der W a.hrheit desselben geleitet, ließen sie sowohl den Ernst und die

Arbeit, welche die W a.ngen der Sterblichen furchen, a.ls die nichtige Lust,

die das leere Angesicht glättet, a.us der Stirne der seligen Götter ver­

schwinden, gaben die ewig Zufriedenen von den Fesseln jedes Zweckes,

jeder Pflicht, jeder Sorge frei und Ill800.ten den Müßiggang und die

Gleichgültigkeit zum beneideten Lose des Götterstandes: ein bloß

menschlicherer Name für das freieste und erha.benste Sein ..•. •

Das sind hohe Worte, clie aus der Welt des Dichters in eine sorgen­

trübe Zeit herübertönen und in unserer Welt den meisten ·ohren UDZeit­

gemä.ß klingen. Der Poet sieht einen Zusta.nd göttlicher Vollkommenheit

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unter den Menschen, in dem a.lle ihre Tätigkeiten in heiterem Spiel auf­

gehen, a.lle ihre W erkta.ge zu Feiertagen werden. Nur insofern der Mensch

a.n dieser Vollkommenheit teil hat, nur in den Stunden, da. das Leben

ihm ohne die strengen Falten der Zwecke lächelt, ist er wirklich Mensch.

Und zu eben dieser Wahrheit leitete uns nüchterne Betrachtung: nur im

Spiel erschließt sich der Sinn des Daseins.

Führt uns a.ber dieser Geda.n.ke nicht in bloße Träume, lost er nicht

jede Verbindung mit der Realität, und ha.ben wir nicht den Boden des .Alltags unter den Füßen verloren, auf dem wir doch schließlich bleiben

müssen, weil die Lebensfrage ihrer Natur na.ch eine alltägliche Frage ist!

In der ha.rten Wirklichkeit, zum.al der Gegenwart, scheint kein Pla.tz für

sol~e Träume zu sein, für unsere Zeit, für die Völker des kriegsgequälten

Erdballs, scheint keine andere Losung möglich zu sein aJs das Wort

tA.rbeit«, und es erscheint unverantwortlich, 'Obles von ihr zu reden.

Jedoch wir dürfen nicht vergessen, da.ß das Schaffen, welches die

Stunde von uns fordert, Arbeit nur im wirtscha.ftlichen Sinne ist, d. h.

schöpferische Betätigung, die zur Erzeugung von Werten führt. Es be­

steht aber kein unversöhnlicher Gegensatz zwischen Spiel im philosophi­

schen Sinne und Arbeit in des Worres volkswirtschaftlicher Bedeutung.

Spiel heißt für uns jede Tätigkeit, die ganz um ihrer selbst willen ge­

schieht, unabhängig von ihren W1rk:ungen und Folgen. Nichts hindert,

da.ß diese Wirkungen nützlicher, wertvoller Natur seien. Sind sie es, um

so besser; Spiel bleibt das Ha.n.deln doch, weil es seinen eigenen Wert

schon in sich selber trug. ES können aus ihm gena.u so gut wertvolle

Güter hervorgehen wie aus an sich unlustvollem, zweekstrebigem Tun.

Mit anderen Worten: auch das Spiel ka.nn schöpferisch sein, sein Erfolg

ka.nn mit dem der Arbeit zusarnmenfa.llen.

Diesem Begriff des schöpferischen Spieles wird in der Lebensphilo­

sophie der Zukunft eine große Rolle zufallen. Damit die Menschheit

unter spielenden Tätigkeiten forteXistiere und fortschreite, müssen es

schöpferische sein, das Notwendige muß durch sie irgendwie hervor­

gebracht werden .. Und dies ist möglich, denn Spiel ist keine Form des

NichtstuD$. J 8., je mehr Tätigkeiten zu Spiel im philosophischen Sinne

würden, desto mehr Arbeit im wirtscha.ftlichen Sinne würde geleistet.

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desto mehr Werte würden in der mensehlichen Gesellseha.ft geschaHen.

Menschliches Handeln ist nicht dadurch Arbeit, da.ß es Früchte bringt,

sondem nur da.nn, wenn es a.us dem Gedanken an seine Früchte hervor­

geht und von ihm beherrscht wird. Blicken wir um uns: wo finden wir schöpferisches Spiel~ Das hellste

Beispiel (das zugleich mehr als nur Beispiel ist), wir h.a.ben es im Schaffen

des Künstlers. Seine Tätigkeit, da.s Gestalten seines Werkes a.us der

Inspiration, ist selber Wollust, und halb zufällig ist es, da.ß bleibende

Werte da.ra.us entstehen. An den Vorteil dieser Werte oder ga.r an seinen

Lohn da.rf der Künstler während des Bildens ga.r nicht denken, sonst

wird der Scha.f:fensa.kt gestort. Nicht die goldene Kette, das Lied, da.s aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnet! So fühlt der Dich­

ter, so der Künstler. Und jeder, der bei seiner Tätigkeit so fühlt, ist Künstler.

Zum Beispiel der Forscher. Auch das Erkennen ist ein reines Spiel

des Geistes, das Ringen um wissenscha.ftliche W a.hrheit ist ihm Selbst­

zweck, ihn freut es, seine Kräfte zu messen an den Rätseln, die die Wirk­

lichkeit ihm a.ufgibt, ga.nz unbekümmert um den Nutzen, der irgendwie

da.ra.us fließen mag (der a.ber, wie beka.nnt, oft gerade a.m erstaunlichsten

war bei rein theoretischen Entdeckungen, deren praktische Bra.uchba.r­

keit ursprünglich niema.nd ahnen konnte). Der reichste Segen entströmt

gerade dem Werk, welches als Kind einer glücklichen Laune seines

Schöpfers und in freiem Spiel ohne ängstliche Erwägung seiner Wir­kungen gezeugt. ist.

Natürlich fä.llt nicht die gesamte Tätigkeit des Künstlers oder Denkers

unter den Begriff des schöpferischen Spiels. Das rein Technische, die

bloße Bewältigung des Ma.teria.ls, etwa. das Farbenmischen beim Maler,

das Notenschreiben beim Musiker, alles dies bleibt meist Mühsal und

.Arbeit, es sind die Scha.len und Schla.cken, die dem Spiel in der Wlrklich­

keit hä.uiig noch anhaften. Häufig, nicht immer; denn a,uf den Stufen

der Vollendung ka.nn jegliche arbeitende Verrichtung entweder so

mechanisiert werde.n, da.B sie ka.um. ins Bewußtsein tritt, oder so viel

Reiz und Anmut entwickeln, da.B sie selbst zu .einem künstlerischen

Spiele wird.

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Und das gilt schließlich auch von denjenigen Ha.ndlUDgen, in denen nicht WlSSeDSCbaft und KUDSt, sondern das Notwendige des Tages er­

zeugt wird, und die scheinba.r ganz ohne Geist sind. Das Ackern der Felder, das Weben der Stoffe, das Flicken der Schuhe, alles dies kann Spiel werden, es ka.nn den Chara.kter künstlerischen Tuns annehmen.

Es ist nicht einmal so ungewöhnlich, da.ß der Jrl.enseh a.n derlei Tätig­keiten so viel Freude h&t, da.ß er den Zweck darüber vergißt. Jeder echte Qu&litätsa.rbeiter kann a.n sich selbst diese Umbildung des Mittels

zum Selbstzweck erfa.b.ren, die fast mit jeder Beschiftigung vor sich gehen kann, und die das Erzeugnis zum Kunstwerk macht. Es ist die Freude am bloßen Schaffen, das Hingegebensein a.n die Tätigkeit, das

Aufgehen in der Bewegung - das wa.ndelt die Arbeit in Spiel. Bekannt­lich gibt es einen groBen Zauber, dem diese W a.ndlung fast immer ge­

lingt: den Rhythmus. Freilich wird er nur da vollkommen wirken, wo er

nicht äußerlich und &bsichtlieh a.n die Tätigkeit herangeb~ht und künstlich mit ihr verbunden wird, sondern wo er a.us ihrem Wesen UDd

ihrer natürlichen Fonn von selbst sich entwickelt. Es gibt Arbeiten, wo dies unmöglich ist; ma.nche sind ihrer Natur nach so bescha.ffen, da.ß sie immer ein 'Obel bleiben und stets, außer vielleicht bei ga.nz abgestumpften gliicksunfä.higen Menschen, mit Unwillen und Unlust ausgeführt werden. Bei solchen Verrichtungen ra.te ich, recht sorgfältig auf ihre Früchte m schauen: man wlrd stets finden, da.ß derlei mechanische, abstumpfende,

degenerierende Arbeiten in letzter Linie nur zur Erzeugung von Kitsch und leerem Luxus dienen. Also fort mit ihnen! Sola.nge freilich unsere Wirtschaft statt &Uf wahre Bereicherung des Lebens auf bloße Ver­

mehrung der Produktion eingestellt wird, können sich jene Tätigkeiten

nicht verringern, und damit (da. sie a.llein wahre Sklavenarbeiten 'sind)

kann die Sklaverei in der Menschheit nicht abnehmen. Eine Zivilisa.tion aber, die durch erzwungene Sklavenarbeit künstliche Brutstätten eitlen

Ta.ndes unterhilt, mUß sich ~urch ihre eigene Absurdität schließlich auf­

heben. Dann werden nur die zur Hervorbringung echter Kultur dienen­den Verrichtungen übrig bleiben. In ihnen aber wohnt ein Geist, der

ihre Entwicklung zu wahren Spielen begünstigt. Wenigstens gibt es kein Naturgesetz, das einer solchen Entwicklung

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des Handeins zum Selbstzweck irgendwie entgegenstünde; gnmdait~lich

gesprochen liegt der Weg zur Verwirklichung des Schillersehen Trau­mes frei. Der Gedanke einer dergestalt von allen quälenden Zwecken,

von a.llen drohenden Sorgen befreiten, heiter dem Augenblick hinge­gebenen Menschheit ist wenigstens kein widerspmchsvoller, kein un­denkba.rer Gedanke. Das Dasein des Einzelnen verliefe na.ch dem schönen

und tiefen Wort der Bibel wie das Leben der Lilien auf dem Felde.

Hier mag sich der Einwa.nd regen, da.ß solch ein Leben einem Zu­

rücksinken a.uf niedrigere Stufen gleichkäme, auf das Sta.di.um der

Pflanzen und Tiere. Denn diese leben doch wohl dem Augenblick, ihr Bewußtsein ist a.uf eine kurze Gegenwart eingeengt, sie kennen wohl den

Schm.erz, &ber nicht me Sorge. Im Gegensa.tz da.zu ha.t der Mensch das Vorrecht, große Zeiträume, ga.nze Lebenszeiten mit der Weite seines Be­wußtseins zu umspa.nnen, vor&ussch&uend und zurückscha.uend mitzu­

erleben - und damit wird er erst zu dem wissenden, seiner selbst im höchsten Grad bewußten Wesen, als welches er der übrigen Na.tur gegen­

übersteht.

Aber diesem Einwand ist leicht zu begegnen. Der Mensch bra.ucht

von der Weite seines Lebens nichts einzubüßen, seine Freude a.m Augen­

blick wird Dicht blind und tierisch, sondern vom hellsten Bewußtsein nmflossen sein. Nicht dadurch entflieht er der Drohung der Zwecke, da.8

er den Kopf in den Sand steckt, um me Zukunft überha.upt nicht zu

sehen, sondern sie sreht ruhig und kla.r vor ihm im Lichte der Hoffnung, wie die V erga.ngenheit im Lichte der Erinnerung hinter ihm. Er kann

den Fluch der Zwecke abschütteln und seinen Blick von der Trübung der

Sorge befreien, ohne den Segen seiner Hoffnungen zu mindern. Er sieht

anch die fernsten Erfolge seines H.a.ndelns noch deutlich vor sich, Dicht

nur die wirklichen, sondern a.uch aJ.le möglichen; aber kein bestimmtes

Ziel steht als notwendig zu erreichendes Ende da., so daJ3 der ga.nze Weg sinnlos wäre, wenn es verfehlt würde; vielmehr hat jeder Punkt der

ganzen Ba.b.n schon seinen eigenen Sinn für sich, wie ein Pfad im Ge­birge, der a.n jeder Stelle erhabene Aussichten und mit jeder Wendung

Deue Entzücklmgen bietet - mag er nun zu einem Gipfel führen oder

nicht. Gewisse Zielsetzungen sind freilich nötig, um die zum Leben er-

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forderliche Sp&DD.ung zu erzeugen; auch das spielende Tun setzt sich ja

unablässig Aufgaben, am deutlichsten im Sport und Wettkampf, der

eben auch Spiel ist, sola.n.ge er nicht etwa in Ernstkampf ausartet. Aber

solche Ziele sind harmlos, sie lasten nicht drückend auf dem Leben, sie

beherrschen es nicht, sondern es geht über sie hinweg, es verschläg5

nichts, wenn sie nicht erreicht werden, denn sie sind jederzeit durch

andere ersetzbar. Lebensstrecken, die unter der Herrscha.ft unerbitt­

licher großer Zwecke stehen, sind wie Rätsel mit einem Losungswort,

das man entweder findet oder verfehlt; ein spielendes Leben aber konnte

ma.n einem unendlichen Kreuzworträtsel vergleichen, in dem immer neue

Worte gefunden und verbunden werden, so da.ß fortschreitend eine

immer größere Fläche bedeckt wird, mit keinem anderen Ziel, als eben

rastlos immer weiter fortzuschreiten.

Die letzte Befreiung des Menschen wäre erreicht, wenn er in all seinem Tun sich ga.nz dem Handeln selber hingeben könnte, immer von

der Liebe zu seiner Tätigkeit beseelt. Da.nn würde nie der Zweck daa Mittel heiligen, dann dürfte er zur höchsten Regel seines Ha.ndelns den

Sa.tz erheben: tW es nicht wert ist, um seiner selbst willen getan zu werden, das tue auch um keines anderen willen! c Da.nn wäre alles Leben bis in seine letzten Verzweigungen wahrhaft sinnvoll, Leben hieße: das

Fest des Daseins feiern. Schon Pla.ton erklä.rte (in den tGesetzenc, 803 C), die Menschen

sollten das Spiel, Gesang und Ta.nz, als wahren Gottesdienst zum eigent­

lichenInhaltdes Lebens machen. Aber vielleicht war ma.n damals, ob­

gleich inzwischen weit über zweitausend Ja.hre vergangen ·sind, einer

solchen Lebensordnung näher als heute. In der gegenwärtigen Zeit, das

ist sicher, kann des Menschen tägliches Tun zum größten Teile nur durch

femeZwecke gerechtfertigt werden. In sich ist es unlustvoll und nicht

gerechtfertigt, und die Vergötterung der Arbeit als solcher, das große

Evangelium unserer industriellen Epoche, ist als Götzendienst entla.rvt.

Der große Teil unseres Daseins, der von zielstrebiger, fremddienlicher

.Arbeit ausgefüllt ist, hat für sich keinen Wert, sondern erhält ihn erst

durch die Beziehung a.uf die festlichen Stunden des Spieles, für welche

die Arbeit nur die Mittel und Vorbedingungen schafft.

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Una.blä.ssige sta.rre Pflichterfüllung im Dienste eines Zweckes macht

achließlieh beschrinkt und nimmt die Freiheit, deren jeder zur Selbst.

entfaltung beda.rf. Wir müssen frei a.ufa.tmen können. So entsteht die

Aufgabe, das in seiner Ganzheit a.n. die Zwecke des Nützlichen gefesselte

Leben wenigstens für Ta.ge, Stunden, Minuten da.von zu erlösen, und

diese Stunden und Minuten, mögen ihrer noch so wenige sein, bilden den

Inhalt, um dessenwillenalles übrige da. ist- um deaen willenalles

übrige unter Um.stä.nden geopfert wird. Im Grunde finden wir den

Mensohen immer bereit, für eine werterfüllte Stunde den sinnlosen Rest

des Lebens hinzugeben.

Menschenfreunde und Menschenerzieher, Seher und Führer, sie

konnen nichts a.nderes erstreben, als möglichst weite Strecken des 1>&­seinsmit Sinn zu durchdringen. Das Scha.ffen eines John Ruskin war

von der Idee getragen, das Menschenleben müsse sich zu einer Kette

festlicher Ha.ndlungen gestalten lassen, der Alltag könne sinnvoll ge­

ma.ch.t werden, indem er sich bis in a.lle Kleinigkeiten mit Schönheit er­

fülle. Ist es nicht möglich, das ga.nze Dasein a.n der lichten Oberfläche

zu leben, so müssen wir wenigstens von Zeit zu Zeit auftauchen können.

Ist es nicht möglich, den Tra.um Schillers zu verwirklichen, .so muß

um so eher die Lebensregel Goethes befolgt werden: •Tages .Arbeit,

a.bends Gäste, sa.ure W oohen, frohe Feste«. In UDSerer Zivilisa.tion sind

frohe Feste nicht möglich ohne sa.ure W oohen, aber in keinem Zeitalter

ist ein dauerndes Leben möglich ohne Freude und Feste. Ein Leben,

das immer nur auf ferne Ziele eingestellt ist, verliert zuletzt alle Kraft des Schaffens überha.upt. Es gleicht einem Bogen, der immer gespannt

bleibt: er wird schließlich unfähig, den Pfeil fortzuschnellen, und damit

wird seine Spannung sinnlos. Arbeit und Mühe, solange sie nicht selbst

zum freudigen Spiel geworden sind, sollen Freude und Spiel ermöglichen;

darin liegt ihr Sinn. Sie können es aber nicht, wenn der Mensch das Freuen verlernt, wenn nicht festliche Stunden dafür sorgen, da.ß das

Bewußtsein davon, was Freude ist, erha.lten bleibt.

Nur hüten wir uns, die Freude, von der des Lebens Wert abhingt,

mit ihrem Surrogat zu verwechseln, dem bloßen Vergnügen, jener

flachen Lust, von der Schiller sagte, daß sie das leere Angesicht der

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MORITZ SCHLICK

Sterblichen glitte. Das Vergnügen ema.ttet, wä.hrend die Freude er­

frischt; diese bereichert, jene gibt dem Dasein einen falschen Putz. Beide zwa.r lenken uns a.b von der Alltagsarbeit, ziehen uns von der

Sorge fort, a.bet- sie tun es a.uf verschiedene Weise: das Vergnügen, indem

es uns zerstreut, die Freude, indem sie uns sammelt. Zerstreuung biete'

dem Geist flüchtige Erregung ohne Tiefe und Gehalt; zur Freude beda.rf es mehr, dazu ist ein Gedanke, ein Gefühl nötig, das den ganzen Men­

schen a.usfüllt, eine Begeisterung, die ihn über dem Alltag schweben

macht. Innig freuen ka.nn er sich nur über Dinge, die sein Ich ga.nz er­

greifen, er muß a.n etwas ga.nz hingegeben sein. Dem Schmerz rühm' ma.n. nacll, da.ß er uns vertiefe (vielleicht, weil man sonst nichts gutes über ihn zu sagen weiß), a.ber echte Freude verinnerlicht noch viel mehr.

Lust ist tiefer a.ls Herzeleid, sagt Nietzsche. Das Vergnügen jedoch

krä.uselt nur die Oberfläche der Seele und lä.ßt sie so flach wie sie vorher

wa.r, ja es macht sie versa.nden, denn es hinterlä.ßt einen faden Nach­

geschmack als Anzeichen einer seelischen Trübung. Und eben da.ran

ka.n.n man es von der hohen Freude unte:rscheiden, welche sü.mgebende

Bejahung des Daseins ist. Hier können wir vom Kinde lernen. Dun ist, bevor es noch in daa

Netz der Zwecke verstrickt wird, die sorgenvolle .Arbeit fremd, es be­

darf keiner Zerstreuung, keiner Loslösung vom Werktag. Und das Kind ist gerade der reinsten Freude fähig. Alle Völker wissen vom Glück der

Jugend zu singen, und das ist wahrlich mehr~ bloße Erfindung der

Dichter; die Jugend ist wirklich nicht vom dunklen Gewölk der Zwecke

beecha.ttet.

Und da.mit komme ich zum Kern dessen, wa.s ich hier sagen möchte.

Nicht in allen Äußerungen des Lebens, nicht in seiner ga.nzen Breite

~erm.oohten wir einen Sinn zu finden - wenigstens nicht, sola.nge

Schillers Tra.um von göttlicher Vollkommenheit nur Tra.u.m bleibt -,

sondern der Sinn des Ga.nzen ist in wenige kurze Stunden tiefer, heiterer

Freude, in die Stunden des Spiels, hineingezogen und gesammelt. Und

diese Stunden drängen siCh a.in dichtesten in der ] ugend. Nicht nur, da8

~

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VOM SINN DES LEBENS

die kindHeben Spiele auch in des Wortes philosophischer Bedeutung Spiel sind, sondem auch die apä.tere Jugend, welche Ziele und Zwecke schon sehr wohl kennt und erzogen wurde, ihnen zu dienen, steht doch

:nicht ganz und ga.r unter ihrem Joche, starrt nicht bloß auf sie hin, bangt nicht bloß um ihre Erreichung, wie es später oft die natürliche

Haltung wird. Vielmehr liegt der Jugend a.n den Zwecken eigentlich

nichts; wenn einer umstürzt, ist schnell ein anderer a.ufgeba.ut: die Ziele

sind nur ein Anreiz zum Dahinstürmen und Kämpfen, und diese taten­frohe Ettegung ist die eigentliche Erfüllung des jugendlichen Gemüta. Seine Begeisterung (sie ist im Grunde das, was der Grieche Eros na.nn.te) ist Hinga.be a.n die Tat, nicht a.n das Ziel Dieses Tun, diese Art von Tun,

ist wahres SpieL Wenn es dergestalt kla.r ist, da.ß dasjenige, was den Sinn des Daseins

a.u.fbaut, sich nirgends so rein und sta.rk findet wie in der Jugend, so er­

geben sich dara.u.s merkwürdige Fragen und Fingerzeige. Die Jugend ist ja die erste Phase des Lebens~ und es erscheint ungereimt, da.B der Sinn des Ganzen nur a.n seinem Anfang zu finden sein sollte. Denn D&Ch.

der hergebrachten Anschauung ist doch das Leben als ein Entwiokbmgs­

prozeß aufzufassen, dessen Sinn sieh immer weiter entfaltet, also gegen

das Ende a.m deutlichsten offenba.r sein sollte. Was ist überhaupt Jugend ! Nach der überkommenen Ansicht bedeutet sie die Zeit der

Unreife, in welcher Geist und Körper wachsen, um später ihrer Be­stimmung gewachsen zu sein; die Zeit des Lernens, in der alle Fähig­keiten sich üben, um für die Arbeit gerüstet zu sein; ja selber das Spiel

der Jugend erscheint von hier aus nur aJs eine Vorbereitung auf den Ernst des Lebens. ·So wird es fast ~ts a.ngesehen, und unter diesem Gesichtspunkt wird fast die gesamte Erziehung geleiUt: sie bedeutet

Hera.n.bildung ~ Erwachsensein. Die Jugend erscheint so nur als Mittel für die späteren Lebenszwecke, als notwendige Lehrzeit, für sich

selber hätte sie keinen Sinn. Diese Ansicht ist der Erkenntnis, die wir gewannen, gerade entgegen­

gesetzt. Selten hat ma.n bemerkt, wie pa.radox es doch ist, da.ß die Zeit der Vorbereitung als der süßeste Teil des Daseins erscheint, die Zeit der

Erfüllung dagegen als der mühseligste. Zuweilen aber ha.t m&n es doch

343

Page 14: Schlick-Sinn Des Lebens

MORITZ SCHLICK

gesehen. Es ist vor allem Rousseau, vielleicht vor ihm Montaigne,

der den Eigenwert der Jugend entdeckt hat. Er wa.rnt die Erzieher, da.a Jugendalter des Zöglings zu einem bloßen Mittel zu erniedrigen und sein

frühes Glück späterer Tüchtigkeit zu opfern; sondern es gelte, die

Jugendtage auch um ihrer selbst will~n mit Freude zu erfüllen. In der

Gegenwart hat dieser Gedanke begonnen, sieh ein wenig Ba.hn zu brechen.

Es ist ein leitender Gedanke der modernen Jugendbewegung, da.ß ein

junges Dasein seinen Wert nicht erst aus der Zukunft zu empfangen

braucht, sondern in sich selber trägt. In der Tat, Jugend ist nicht bloß

die Zeit des ·wa.ehsens, des Lernens, des Reifens, des Noch-nicht-fertig­

seins, sondern zuerst die Zeit des Spiels, des Selbstzwecks im Handeln,

und folglieh ein wahrer Träger des Lebenssiones. Wer dies leugnet, wer

sie nur als Einleitung und Vorspiel zum wa.hren Leben ansieht, der be­

geht denselben Fehler, der die mittelalterliehe Auffassung des Menschen­

daseins verdüsterte: er versehiebt den Schwerpunkt des Lebens nach

vorwärts, in die Zukunft. Wie die meisten Religionen, mit dem Erden­

leben unzufrieden, geneigt sind, den Sinn des Daseins a.u.s ihm heraus in

ein Jenseits zu verlegen, so neigt der Mensch überh.a.upt dazu, jeden Zu­

stand, da. ja. wohl keiner ga.nz vollkommen ist, immer nur als Vorbe­

reitung a.u1 einen vollkommeneren zu betrachten.

Für den modernen Menschen ist wenig Zweifel, daß des Lebens Wert

und Ziel entweder ganz und gar diesseitig sein muß, oder überha.upt nichi

zu finden ist. Und wenn der Mensch tausend a.ufe:in&nderfolgende Leben

durchliefe, ~ die Seelenwanderungslehren beha.upteten, so würde diea das heutige Denken nicht davon entbinden, in jeder einzelnen dieser

Daseinsstufen ihren eigenen, besonderen Sinn zu suchen, una.bhä.ngig

von dem, was voraufging oder folgt. Der gegenwärtige Mensch hätte

kein Recht, andere, metaphysische Welten, wenn sie existierten, als die

vornehmeren, sinnvolleren a.nzusehe~ und neben jenen das Diesseits un­

da.nk:ba.r zu vera.ehten. Den Sinn des Lebens, das er kennt, kann er a.llein in diesem Leben suchen, wie er es kennt.

Aber innerhalb des Lebens begeht er nun denselben Fehler wie früher

bei dem Gedanken a.n seine metaphysische Fortsetzung: aus der un­

fertigen Jugend rückt er den Wert des Lebens in das reife Alter; im

344

Page 15: Schlick-Sinn Des Lebens

VOM SINN DES LEBENS

Mannesalter sieht er, da.ß er immer noch nicht fertig ist, daß sein Wesen

und seine Werke nicht vollendet sind, und so rückt er den Sinn des

Lebens noch weiter hinaus und erwartet ihn von der Ruhe und Abge­

kli.rtheit des Greisenalters. Aber wenn er diesen Frieden wirklieh er­

reicht, gerade da.nn verlegt er den Sinn des Daseins wieder zurück in die

Zeit des Handeins und Strebens, und die ist dann vorbei und unwieder­

bringlich. Und das Ergebnis ist schließlich, da.ß der Mensch sein ganzes

Leben dem Fluch der Zwecke verfällt. Es ist da.s unablässige Suchen

in der Zukunft und Sorgen für die Zukunft, das wirft seine Schatten

a.uf jede Gegenwart und verdüstert ihre Freude.

Hat aber das Leben einen Sinn, so muß er in der Gegenwart liegen,

denn sie allein ist wirklich. Es ist aber ga.r kein Grund, warum in der

spi.teren Gegenwart, im mittleren oder letzten Abschnitt des Lebens

mehr Sinn liegen sollte aJs in einer früheren Gegenwart, als im ersten

Abschnitt, der Jugend heißt. Und nun besinnen wir uns, was tJugendc

in diesem Zusammenbange eigentlich für uns bedeuten muß. Ihr wahres

Wesen fanden wir nicht darin, da.ß sie Vorspiel und erste Phase des

Lebens ist, sondern vielmehr da.rin, daß sie die Zeit ·der Spiele ist, die

Zeit des Tätigseins aus Lust a.m Tun. Und wir hatten uns klar gemacht,

da.ß alles Tun, auch das schöpferische Handeln des Erwachsenen, in

seiner vollkommenen Form denselben Cha.ra.kter annehmen ka.nn und muß: es wird zum Spiel, zum selbstgenugsa.men Tun, dem sein Wert

unabhängig vom Zweck zukommt.

Daraus folgt aber, da.ß Jugend in unserem philosophischen Sinne durcha.us nicht auf die frühen Stadien des Lebens beschränkt sein muß,

sondem sie ist übera.ll, wo der Zustand des Menschen einen Gipfel er­

reicht ha.t, wo sein Handeln zum Spiel geworden, wo er ga.nz dem .Augen­

blick und der Sache hingegeben ist. Wir sprechen da von jugendlicher

Begeisterung, und das ist der richtige .Ausdruck: Begeisterung ist immer

jugendlich. Die Wärme, die uns für eine Saclle, eine Tat, einen Menschen

erglühen macht, und die Wärme der Jugend, sie sind ein und dasselbe

Feuer. Ein Mensch, der in seinem Tun fühlend aufgeht, ist Jüngling,

ist Kind. Die große Bestätigung dafür ist das Genie: es ist stets voller

Kindlichkeit. Jede wahre Größe ist voll tiefer Unschuld. Das Scha.ffen

345

Page 16: Schlick-Sinn Des Lebens

MORITZ SCHLICK

des Genies ist das Spiel eines Kindes, seine Freude a.n der Welt ist die Lust des Kindes a.n bunten Dingen. Ha.t doch der alte Hera.klit den schaffenden Weltgeist selber einem spielenden Kinde verglichen, das

aus Steinehen und Klötzen Ba.uten aufführt und wieder einreißt. Daa Wort Jugend bedeutet aJso für uns nicht äußerlich einen bestimmten

Lebensa.bschnitt, nicht eine gewisse Spa.nne von Jahren, sondern einen Zustand, eine .Art der Lebensbetätigung, die grundsitzlieh mit den

Jahren und ihrer Zahl nichts zu tun ha.t.

Jetzt wird man es nicht mehr mißverstehen können, wenn ich als Kern dessen, was es n:i.ich zu sagen dringt, den Sa.tz ausspreche: Der Sinn tles Lebens ist die ] ugend.

Je mehr Jugend in einem Dasein verwirklicht wird, desto wertvoller

ist es, und wer jung stirbt, wie la.nge er a.ueh gelebt haben möge, dessen

Leben hs.t Sinn gehabt. In dem Begriff der Jugend, so gefa.ßt, steckt

unendlich viel, unendlich vielläßt sich da.ra.us schöpfen. Alle w~ des

Daseins lassen sich zu ihm in Beziehung setzen. In meinen Mußestunden

bin ich mit der Ausarbeitung einer •Philosophie der Jugend« besehä.ftigt,

welche zeigen soll, wie geradezu jede Vollkommenheit a.uf &llen Ge­bieten des Menschendaseins, und vielleicht nicht nur dort, sieh mit dem

Begriff der Jugendlichkeit decken läßt.

Früher pflegte ma.n die menschlichen Werte um drei große Zentren

zu gruppieren: daa Schöne, das Gute, das W a.hre. Ihnen ließ ma.n die drei Fä.hlgkeiten des Fühlens, Wollens und Denkens, und die drei Kultur­

gebiete der Kunst, der Gesellscha.ft und der Forschung entsprechen. In &llen diesen Dreiheiten kann der Zusa.mmenhang mit dem Jugendwert

leicht aufgezeigt werden, indem da.rgeta.n wird, wie die Ausübung jener

verschiedenen Fähigkeiten a.u.f ihrer höchsten Stufe zum Spiel wird. In der Tat: in der reinen Hingabe an das Fühlen um seiner selbst willen

finden wir das Schone und die ~unst; durch das Aufgehen im Denken um seiner selbst willen entstehen Erkenntnis und Wissenschaft; und

was das Gute betrifft, so lä.ßt es sich a.uf eine gewisse Ha.rmonie der

menschlichen Triebe zurückführen, vermöge welcher a.uch das Wollen.

zu einem freudigen Spiel wird ohne unlustvolle Kämpfe und Hem­

mungen durch drohende Zweckgebote und -verbote.

M6

Page 17: Schlick-Sinn Des Lebens

VOM SINN DES LEBENS

Daa Schone und die Lehre vom SchOnen sind einer Betrachtuu.g von dem gewonnenen GesichtspDDkt . aus schon von Natur weit geOffnet.

Denn ma.n braucht das Wort tJugendc nur auszusprechen, und der Ge­danke •SchOnheitc steigt ganz von selbst auf. Und forscht ma.n nach

dem Bindeglied, das beide miteinander verknüpft, so stößt man achließ­lieh a.uf den Begriff des Spielh&ften, aJs des Ra.rmonischen, in sich Ge­schlossenen, dem jeder äußere Zweck fern ist; und die alte Frage der

Beziehungen des Zweckmäßigen zum SchOnen konnte von hier aus eine einfache Lösung finden. Ein Gegenstand ka.nn nicht sohon erscheinen,

ohne &US den Zweckznsa.mmenbä.ngen mit den Notwendigkeiten des Lebens herausgelöst zu sein. Die Bedingungen, un~r denen eine solche

Herauslosung in der Wirklichkeit stattfindet, sind Gesetze der N aJ.tW­

schonheit; die Kunst a.ber besitzt Mittel, um fetZen Gegensta.nd in dieser

Weise zu befreien, deshalb gibt es nichts, was sie nicht durch ihre Da.r­stellung schön machen könnte.- Da.ß das Kur:JJiGschaften vom Spielbegriff her verstanden werden muß, war uns längst kla.r geworden; es gilt a.ber na.türlich auch vom Kunstgenu.ß, und es gilt vor allem von der ~ deutung des Schönen für das menschliehe Dasein. SchOnheit gehört so

sehr zum Sinn des Lebens, da.B er ohne sie einfach in Unsinn verkehrt

würde. Denn das Schöne, die Harmonie der Linien und Fa.rben, der Klinge, der Seelenregungen ist reinste Erscheinungsform des Spieles,

des Kennzeichens der Jugend. Je ·jugendlicher die Kunst und das Kunst­

werk, um so größer ihre Vollkommenheit; je. ältlicher, pedAntischer,

desto häßlicher und sinnloser wird sie.

Aber höchste Schönheit ka.nn nie im Kunstwerk liegen, solange es

als ein künstliches der Natur und dem Leben gegenü}?ersteht. Denn der GenuB des Kunstschönen ist . ein Spiel aus zweiter Ha.nd, durch Ver·

mittlung eines Werkes als eines küllstlichen Spielzeuges. Die Schönheit ka.nn aber in das Leben selber eindringen, ohne eiJle,r V ermittelung zu be­dürfen. Wenn die schöne Form vom Kunstwerk a.uf das Leben über­fließt, dann ist· die höhere Stufe der Schönheit erreicht, und die Kunst

der Kunstwerke, die eine Abwendung vom Leben, oder (wie Nietzache

sie nennt) ein bloßes Anhängsel des Lebens bedeutet, sie wird entbehr­

lich. Man ha.t mit Recht gesagt (Wyneken): Jin einer vollkommenen

84:7

Page 18: Schlick-Sinn Des Lebens

MORITZ SCHLICK

Welt gi.be es keine KUDSt«. Und wirklich ist UDSere Kunst recht be­trachtet nur Sehnsucht nach Natur, nach einer besseren Ne.tur, und sie

könnte durch ein schönheitserfülltes Leben gestillt werden. Keiner ha.t

diese Wa.hrheit mit größerem Feuer verkündet als der glä.nzende und

fruchtba.re Philosoph Guye.u, der 1888 im Alter von 33 Jahren sta.rb.

Fiir ihn ist es nur eine unwillkommene und ganz unwesentliche Be­schrinkung der KUDSt, Erholung vom DaseiDskampf zu sein und Ab­

.gla.nz dessen, was uns im wirklichen Leben bewegt. Es ist vielmehr

gerade die ewige Betrübnis des Künstlers, da.B er nicht mit der ganzen

Fülle des Lebens eins werden ka.nn, daß er nicht alles erlebt, was er da.r­stellt, sondern sich ins Anschauen und Bilden versenken muß. Das Ziel

wä.re, die Schönheit ga.nz ins handelnde Leben aufzunehmen; dann wäre

es jenes Restes zweckstrebiger .Arbeit entkleidet, ohne den in unserer

Wirklichkeit kein Kunstwerk entsteht . • • da.nn hätte die Schönheit

ihren vollen Anteil am Sinn des Lebens gewonnen, unser Dasein würde

in unbeschreiblicher Jugendfrische strahlen.

Daß Jugendlichkeit des Lebens es an Sinn bereichert, indem sie es

mit Schönheit füllt, wird gern zugestanden werden; a.ber wenn ich be­

ha.uptete, da.ß sie es a.uch mit Güte füllt, da..6 da.s Ethos, die Sittlichkeit

des Lebens mit Jugend und Spiel nicht weniger innig zusa.mmenhi.nge,

so wird es schwerer sein, Gla.uben zu finden. Und doch ist dieser Punkt

der wichtigste von allen. Denn das Ethische ist doch der wahre Kern

des Lebens, und hier muß sein tiefster Sinn zu suchen sein. Es ist a.ber die a.llgemeine Ansicht, da.ß die Jugend eigentlich jenseits von Gut

und Böse stehe, da.ß · die Moral erst mit der Verantwortlichkeit und

die Verantwortlichkeit erst mit dem Ernst beginne, welcher der

Jugend fremd· und gerade da.s Gegenteil von Spiel sei. Der Begriff der Pjlieht, den so viele Philosophen in den ·Mittelpunkt ihrer Ethik

stellen, setzt den Begriff des Zweckes vora.us; den Geboten der Pflicht

gehorchen, heißt nichts a.nderes als unter der Herrscha.ft der Zwecke

stehen. Sollte es nicht wahr sein, was so treffliche und weiSe Men­

schen gelehrt ha.ben: da.ß der Sinn des Lebens in der Erfüllung unse­

rer Pflicht gefunden werden müsse t Es ist nicht leicht, . den schein~ bar so gewaltigen Gegensa,tz der Ansehau~n· zu versöhnen und~

848

Page 19: Schlick-Sinn Des Lebens

VOM SINN DES LEBENS

unterscheiden, was in jener Morallehre ·der Pßicht Weisheit und was Vorurteil ist.

Erinnern wir uns an Schillers Wort, da.8 der Satz vom Spiel als dem wa.hren Beruf des MeDSChen seine tiefste Bedeutung erhalten werde,

wenn ma.n ihn a.u1 den Ernst der Pflicht und des Schicksals a.nwende.

Wu heißt das~ Schiller wa.r es, der sich gegen die Lehre Ka.nts erhob,

nach der beka.nntlich das Moralische ha.uptsichlich dort zu finden sei,

wo der Mensch mit Selbstüberwindung ha.ndle. Denn für Ka.n t ist ein

Handeln nur dann sittlich, wenn es aus der Achtung vor dem Pflicht­

gesetz als alleinigem Motiv entspringt; und da. im wirklichen Menschen

stets entgegenstehende Neigungen vorhanden sind, so bedeutet mora­

lisches Handeln Kampf gegen die eigene Neigung, es bedeutet mühe­

volle Arbeit. Schiller h&tte ganz und ga.r recht, denn diese Bestim­mung des Guten entfernt sich himmelweit von dem Sinne, den sonst

jeder unbefangen mit dem Wort zu verbinden pflegte. Nicht den Men­

schen nennt man den besten, der sich una.ufhörlieh gegen die eigenen

Triebe wehren muß, mit den eigenen Wünschen immerfort im Kampfe

liegt, sondern vielmehr den, dessen Neigungen von vornherein freund­lich und gütig sind, so da.ß er gar nicht erst in Zweifel und Wl.derstreit

mit sieh selbst gerät. Der Kämpfer und Sieger über sich selbst ist viel­

leicht der Typus des großen Menschen, a.ber nicht des guten. Ein Wesen,

dessen reines Wollen a.us seinen na.türliehen .Anlagen flie.Bt ohne Nach­

sinnen, ohne Bedenken, ohne Schwa.n.ken, ein solches nennen wir unschul·

dig, und Unschuld ist immer der Zustand der größten sittlichen Vollkom­

menheit. Diese Unschuld ist also beileibe nicht eine Art von Unwissenheit,

sondern eine Art von Freiheit. Sie gehört una.blöslich zur Jugend. Tiefste

Weisheit liegt in der biblischen Mahnung: •So ihr nicht werdet wie die Kinder ... !c Wo es keiner Anstrengung bedarf, wo der M.ensch ohne Ban­

gen und Schwa.n.ken frisch vom Herzen das seinem Wesen Angemessene tut, da. ist er eben jung, wie viele Ja.bre er a.uch zä.hle; da. ist sein Wollen

ein freies Spiel, a.n dem er Freude ha.t um seiner selbst willen, ohne Hin­blick a.uf ferne Ziele, ohne AufbliÖk zu hohen Pflichten. Er handelt a.us

Lust a.n der guten Ta.t, er ist von selber gut, sofern er jugendlich ist.

Aber sofem es ihn Mühe und Anstrengung kosret, ist seine Seele alt.

849

Page 20: Schlick-Sinn Des Lebens

MORITZ SCHLICK

Wie lange wird es D.oeh dauern, bis das große mora.lische Vo~il

a.usgerottet ist, daß Ernst und Pflicht notwendig zum Begriff des Sitt­lichen gehören, und die Ethik der Pflicht durch eine natürliche Ethik

der Güte überwunden wird! In der ga.ngba.ren Moral ist das Sittliche

v6rzerrt, a.ngekrinkelt vom Alter, mit Bedenklichkeiten verbrämt, durch

ingstliche Verbote von allen Seiten eingeengt, der Na.tiirlichkeit beraubt

und zu einer ernsten Sache gemacht, mit der sich jeder Philister wichtig

tut. Aber die wahre Tugend ist heiter, sie entsteht nicht a.us dem Druck

der Gebote und Zwecke, sondern entfaltet sich frei a.us dem Wollen.

Kindliche Reinheit ist schöner und vollkommener als heldenha.fte Ent­sagung. Jea.n Pa.ul sa.gte: •Wie über dem höchsten Gebirge noch hoch

der -Adler schwebt, so iiber der schwer ersteigbaren Pflicht die rechte Liebe«. Aber Liebe und Jugend sind ebenso verschwistert wie Jugend

und Schönheit~

·So lißt sich ethische Vollkommenheit a.uf Jugendlichkeit zurück­

führen. Wie nach Emerson das Alter die einzige wirkliche Kra.nkheit ist, so ist es a.uch die Quelle alle.r moralischen 'Obel, wenn ma.n nur, in philosophischer Besillnung, unter .Alter nichts anderes versteht als die

Unterjochung unter die Last der Zwecke. Aus dem Grübeln über die Zwecke des Ha.ndelns entspringt das Böse in der sittlichen Welt; der

Eintritt der Zielstrebigkeit in das Leben und die Verwicklung in dies Netz der Zwecke -bedeutet den Verlust der Unschuld, den wa.hren Sünden­

fall. Es ist ein Scha.uspiel von tiefer Tragik, wie die Frische des jugend­

lichen Lebens durch das Eindringen . der Zwecke immer mehr ange­kränkelt wird, wie dadurch seine Beziehung zur menschlichen Umgebung

immer mebr den Cha.ra.k:ter des Spieles einbü.8t und Schuld möglich

wird. Das kindliche Ich, das sich seiner Grenze gegen die Umwelt zu­

Dächst Dicht deutlich bewußt ist, wird aUmä.blich von einer Schranke umgeben, jenseits deren die Welt ihm feindlich gegenübersteht. Ich

kenne kein erschüttemd.eres Gefühl. als die Erkenntnis des allgemeinen

tEgoismust,. des· rücksichtslosen Zielstrebens des erwachsenen Menschen, die. gewöhnlich aufzudä.mmern pflegt, wenn eine jtmge Seele ihre Lehr­

jahre durchla.ufen ha.t. Je glücklicher einer vera.nla.st ist, desto spa.ter

kommt ihm diese Erkenntnis, welche im Verkehr mit den Menschen das

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Page 21: Schlick-Sinn Des Lebens

VOM SINN DES LEBENS

instinktmi.Bige, spielha.fte Handeln hemmt und es zu einer mühseligen .Arbeit mit aJl ihren WechselfiJlen und EntWJscbnngen macht. Wer a.ber die Fähigkeit zu ewiger Jugend besitzt, wen die Jahre Dicht alt. machen können, der bleibt a.uch der heiteren, hochsten Tagend fibig,. der schenkenden Tugend, die daa Gn~ lacllend tut und ihre G&ben ver­schenkt·, statt sie für das Bewußtsein erfüllter Pflicht zu verkaufen.

Zum hohen Ethos, zur obersren Stufe des sittlichen Lebens gehört Stä.rke und Tiefe des Fühlens. Und auch sie sind in der Jugendfrische am größten; La.uheit und Abgestumpftheit sind sichere Zeichen des Alters der Seele. Ta.tsäcblich ist da.s J ugenda.lter die Zeit der tiefsten

Gefühle, die Zeit, in der große Eind.röcke am stirbtat auf das .Gem:at

wirken und jeder zum Dichter wird. Man unterschä.tzt dies meist, weil die Gefühle in dieser Zeit trotz ihrer Tiefe auch leichter wechseln und verfliegen; wer a.ber in die spä.teren Jahre, in denen die Gefühle nach·

ha.ltiger und dauernder zu sein pflegen, die Stärke der jugendliehen

Empfindungen hinüberrettet, dem wird a.ueh der ethische· Wert deß

Lebens zum letzten Glücke vertieft. Und er erlebt, daß er auch hier den höchsten Sinn dea Daseins nur erreicht, wenn er seinem Wesen die Jugend bewahrt.

Man ka.nn den Sa,tz von der Jugend als dem echten Sinn des Daseins noch von weiteren, fast möchte ich sagen metaphysischen, Gesichts­ptmkten betrachten. Wohin wir in der Welt blicken, finden wir alles in

Entwicklung begriffen, d. h. in einem Prozeß, der naßheinander cha.r&k­teristisch unterschiedene Phasen durchlä.uft. Die lebenden Wesen -Pflanren und Tiere-, aher auch tote Dinge- Sternensysteme und

Atome - entwickeln sich und· maeben verschiedene Stadien durch, die ma.n wohl als Phasen der Jugend und deB Alters bezeichnen könnte. Eine Pflanze wichst und wird zum Ba.ume, der Baum blüht und trigt Frucht, aliS der Frucht wird ein neuer Ba.um, der bl~t :und Früch~ trägt- wo liegt der Sinn in diesem Kreislauf! Der Gärtner, der den Baum anfzieht, wird sagen: der ·Sinn liegt in der Frucht, denn um ~

willen pflege ich den Ba.um, und die Blüte ist nur um der Frucht willen

da.. Aber das ist .nur sein Standpunkt. Der Dichter, nicht weniger kompetent, :wird den Sinn eher in der Blüte suchen, die sich duftend

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Page 22: Schlick-Sinn Des Lebens

MORITZ SCHLICK

und prangend entfaltet. Und wer den hOchaten Sinn des Daeeina in der Jugend findet, wird geneigt sein, dem Dichter beizustimmen und cüe Früchte so zu betrachten, als wären sie nur dazu· da, daß neue Biume

aus ihnen erwachsen, die da.nn wieder blühen und sich mit neuer Schön­

heitsfülle bekleiden. In der Ta.t trägt die Blüte in sich selber ihren Wert,

der auch dann erfüllt ist, weDn die Früchte etwa. zugrunde gehen sollten. Aber für den Philosophen sind auch die Früchte Selbstzweck, a.uch sie ha.ben ihre eigene Schönheit, ihre eigene Jugend, und im Leben einer

Pfla.nze sind die verschiedenen Phasen sinnvoll für sich.

Man ha.t oft geleugnet, da.ß in einem Kreislauf selber schon irgendein

Sinn gefunden werden könne: sondem er komme erst dadurch hinein,

da.ß die a.ufeina.n.derfolgenden Entwicklungen von der Blüte zur Frucht

in Wahrheit· gar nicht eina.nder gleich seien, da.ß vielmehr die Früchte jeder folgenden Generation vermöge des Entwicklungsgesetzes schöner

und vollkommener seien als die der vorhergehenden. Dem einzelnen

Dasein des Individuums komme eben ein Sinn nur insofern zu, als es

beitrage zur Höherentwicklung des ~hleehts. Auch der Geschichts­philosophie ha.t ma.n meist diesen Geda-nken, na.türlich. immer mit völligem

M:i.Berfolg, zugnmde gelegt. Scheint es aber nicht auch ein Geda.nke N ietzsches gewesen zu sein, fand .er nicht auch den Sinn des mensch­

lichen Daseins darin, da.ß es etwas über sich selbst hinausschaffe, da.ß es

den 'Obermenschen hervorbringe, also ein höheres Wesen, als der Mensch selber ist t Müßte ma.n die· Lehre so auffassen, so enthielte sie einen

Widerspruch gegen Nietzsches oben geschilderte Erkenntnis, und _es wä.re o~enbar gerade jener alte Fehler bega.ngen, daß der Sinn des Da­seins aus ihm selbst in die Zukunft hinausverlegt wä.re. Wir kämen zu

keinem echten Sinn, denn die Frage erhöbe sieh unerbittlich immer

wieder von neuem. Denn worin läge nun der Sinn des Lebens des 'Obermenschen ' ·Müßte er nicht in einem 'Ober-übermenschen ge­

sucht werden, und so fort ' Nein, es ist ein schweres, wenn auch

hä.ufiges Mißverständnis des Gedankens der Entwicklung, wenn ma.n ihren Sinn bloß am. Ende, im Ziele, sucht. Er muß vielmehr im Prozeß des Sichentwickelns selber liegen, in dem V orga.ng, im Geschehen, in der Tätigkeit selber; die Entwicklung führt nicht zu einem letzten

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Page 23: Schlick-Sinn Des Lebens

VOM SINN DES LEBENS

Ziele hin, sondern sie iat selbst Ziel So gelangen · wir .zu UDSerem

Hauptsa,tq.e zurück. In der Entwicklung der Lebewesen scheint bei oberflicbHohem Zu­

sehen allerdings die erste· Lebenszeit, die Jugend im biologischen Süme, nur Vorbereitung für die spi.~ren Jahre zu sein, nur Hittel für deren Zwecke. Aber zweifellos geht es hier wie in ihnHeben Fillen: was an­fänglich bloßes Mittel wa.r, entwickelt sich zum Selbstzweck, indem sein Eigenwert entdeckt wird. Die Natur findet Gefallen a.n. ihrem eigenen Spiele tmd sucht es nun zu verlAngem und hinzuziehen, und es ent­faltet sich jetzt um seiner selbst willen. So wird das Wort zum Vers fortgebildet, das Sprechen zum Singen, das Gehen zum Ta.nzent die

Jugend im biologischen zur Jugend im philosophischen Sinne. Und je höher wir im Tierreich aufwärts steigen, über einen desto größeren Teil des Lebens dehnt sich die Jugend a.us. Auch vom Menschen gilt im allgemeinen, da.B der Knabe um so spä.ter zum Manne wird, das

Mädchen um so ~r zur F.ra.u, je hoher die Entwicklungsstufe der Rasse ist.

Unsere ga.nze Kultur wird a.uf eine VerjiinguDg des Menschen ein­gestellt sein müssen, VerjiinguDg in dem philosophischen Sinne, da.ß aJl

unser Tun immer mehr von der Herrseha.ft der Zwecke befreit werde, da.8 auch die lebensnotwendigen 1landhmgen zu Spielen werden. Bei ma.nehen Wesen geschieht das a.uf dem Umwege, da.ß die Jugend im rein biologischen Sinne sich zuerst über das ga.nze Leben ausbreitet,

so daß es zu einem großen Aufstiege wird, der mit dem Tode a.bsohlie.ßt, während der Abstieg des Alters aJs eine sinnleere, hemmende Einrich­tung wegfä.llt. So bei jenen wunderbaren Pfla.nzen, die nur einmal

blühen und da.nn sterben, oder bei den Bienen, deren Männchen den

Liebesakt mit dem Tode büßen. Vielleicht kann es beim Menschen a.uf einem unmittelbareren Wege erreicht werden:, indem eine hellere Kultur­sonne das dUD.kle Zweckgewölke zerstreut und das im Menschen übera.ll in starker Alllage vorhandene Spielha.fte und Jugendliche in der Tages­helle sieh entfaltet.

Alle Erziehung sollte dafür sorgen, da.ß nichts Kindliches im Men­schen während des Reifens verloren geht, da.ß die Trenntmg zwischen

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Page 24: Schlick-Sinn Des Lebens

MORITZ SCHLICK: VOM SINN DES LEBENS

der Unmündigkeit und dem Erwachsenenatande mehr und mehr sich verwischt, so da.ß der Ma.nn bis in die spätesten Ja.hre.ein Kna.be bleibt und die Frau ein Midehen, trotz aller Kutterscha.ft. Brauchen wir eine Lebensregel, so sei es diese: tBewahre den Geist der Jugendtc Denn er ist der Sinn des Lebens.

SM

Page 25: Schlick-Sinn Des Lebens

EIGENTLICHE UND UNEIGENTLICHE BEGRIFFE

Von

RUDOLF C.ARNAP

I. Die eigentlichen Begriffe

Ein Begriff ist (in Kan tisclier Ausdrucksweise): ein Prädikat mög­

licher Urteile, oder (in der Ausdrucksweise der Logistik): eine Aussage­

funktion. Das Wesentliche des Begriffes ist, daß er von bestimmten

Gegenständen gilt, von anderen GegenstäDden nicht gilt. Ein Drittes ist ausgeschlossen. (Ausnahmen hiervon werden wir nachher bei den

uneigentlichen Begriffen finden.) Die Frage, ob ein bestimmter Gegen­

stand {bzw. mehrere Gegenstände bei Beziehn,ngsbegrifien) unter den

Begriff fa.lle oder nicht, ist also simlvoll und eindeutig; ob. wir auch

pra.ktisch die Möglichkeit haben, diese Frage zur Entscheidung zu brin­

gen, ist da.für gleichgültig.

Die Begriffe irgendeines Gebietes, etwa der Geometrie oder der

Wirtscha.ftswissenscha.ft, lassen sich so ordnen, da..ß gewisse Begriffe

undefiniert an den Anfang gestellt und die übrigen Begriffe mit Hilfe

dieser -.Grundbegriffe« definiert werden. So kann man etwa in der Rechts­

wisseDSChaft Begriffe wie Sache, Person, Wille, Ha.ndlung und dergl. als Grundbegriffe aufstellen, mit deren Hilfe dann alle weiteren Begriffe

des Gebietes entweder unmittelbar oder mit Hilfe von Zwischenstufen

abgeleitet werden können. Eine solche Ableitung geschieht durch eine

Symposion, Heft 4. 365