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Social Web - Praktiken und Öffentlichkeiten Jan-Hinrik Schmidt Wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation Augsburg, 17.11.2010

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Vortrag beim Modellseminar "Das Netz ist lokal" der BPB, 17.11.2010, Augsburg

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  • 1. Social Web - Praktiken und ffentlichkeiten
    • Jan-Hinrik Schmidt
    • Wissenschaftlicher Referent
    • fr digitale interaktive Medien
    • und politische Kommunikation
      • Augsburg, 17.11.2010

2. Worber spreche ich?

  • Die Ausgangslage: Was passiert gerade im Internet?
  • Individuellen Praktiken und berindividuelle Folgen: Wie wandelt sich ffentlichkeit?
  • Einige Ratschlge: Was folgt daraus fr Journalismus?

3. Adquanz[nicht faktische Nutzung]von Medien (12-24jhrige in %) Quelle: Schmidt/Paus-Hasebrink/Hasebrink 2009; Frage: Welches Medium ist am Besten geeignet, 4,2 2,0 0,5 59,2 6,3 27,9 wenn Du Spa haben willst. 4,0 27,0 4,7 43,6 2,2 18,6 wenn Du erfahren willst, was gerade in oder out ist. 1,8 1,6 3,1 90,0 1,0 2,5 wenn Du Informationen zu einem konkreten Problem suchst, das Dich beschftigt. 6,4 10,3 4,9 8,7 27,1 42,6 wenn Du Dich ausruhen mchtest. 0,4 2,4 28,5 34,8 4,3 29,5 wenn Du Dich informieren mchtest, was in der Welt los ist nichts davon Zeitschr. Zeitung Internet Radio TV n=650 4. Web 2.0 unter jungen Nutzern populr Nutzung ausgewhlter Internet-Anwendungen nach Altersgruppen (zumindest selten; in %) Quelle: ARD/ZDF Onlinestudie 2010 5.

  • Die Bezeichnung Web 2.0 spielt darauf an, dass das Internet inzwischen in eine neue Phase eingetreten sei es also eine neue Versiondes World Wide Webs gebe, die anders, besser, revolutionrer sei als das alte Internet, z.B. durch
    • Wikipedia
    • Youtube
    • Facebook
    • Twitter
    • und viele viele andere Dienste & Plattformen
  • Die Bezeichnung ist problematisch, weil es solche Updates im Internet nicht wirklich gibt, und weil in der ganzen Euphorie um das Web 2.0 oft vergessen wird, dass viele Menschen das Internet nach wie vor traditionell (oder gar nicht) nutzen
  • Dennoch: Das gegenwrtige Internet erleichtert bestimmte Nutzungsweisen und erzeugt so ganz bestimmte soziale Folgen, verndert also unser individuelles und gesellschaftliches Leben

Was ist das Web 2.0? 6. Was geschieht im Social Web? Diagnosen. Commons-Based Peer Production (Yochai Benkler) Convergence/ Participatory Culture(Henry Jenkins) Emergenz digitaler ffentlichkeiten(Stefan Mnker) Das neue Netz = social web Politik in Echtzeit(Christoph Bieber) 7. Was geschieht im Social Web? Meine Perspektive.

  • Das Social Web senkt die Hrden fr onlinebasiertes

www.flickr.com/photos/44029537@N00/12760664/

    • Identittsmanagement(Darstellung individueller Interessen, Erlebnisse, Meinungen, Kompetenzen, etc.)

http://flickr.com/photos/mylesdgrant/495698908/

    • Beziehungsmanagement(Pflege von bestehenden und Knpfen von neuen Beziehungen)

http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/

    • Informationsmanagement(Selektion und Weiterverbreitung von relevanten Daten, Informationen, Wissen- und Kulturgtern)

8. Praktiken und Entwicklungsaufgaben

  • Social-Web-Praktiken untersttzen insbesondere Heranwachsende (aber nicht nur die) bei zentralen biographischen Entwicklungsaufgaben

Wie orientiere ich mich in der Welt? Welche Position nehme ich in der Gesellschaft ein? Wer bin ich? Schlsselfrage

  • In der Wikipedia recherchieren
  • YouTube-Video bewerten
  • Kontaktanfrage stellen oder besttigen
  • Persnliche Nachricht schicken
  • Profilseite ausfllen
  • Video hochladen

Beispiele Informations- management Beziehungs- management Identitts- management Praxis Sachauseinandersetzung Sozialauseinandersetzung Selbstauseinandersetzung Entwicklungsaufgabe 9. Entstehen persnlicher ffentlichkeiten

  • Social Web untersttzt das Entstehen persnlicher ffentlichkeiten, in denen Nutzer
  • (a)Informationen nach Kriterien der persnlichen Relevanz auswhlen , [anstatt nach journalistischen Nachrichtenfaktoren]
  • (b)sich an ein (intendiertes) Publikum richten, das aus sozialen Kontakten besteht , [anstatt des verstreuten, unbekannten, unverbundenen Publikums der Massenmedien]
  • (c)und sich im Kommunikationsmodus des Konversation betreibens befinden. [anstatt im Modus des Publizierens]

10. Entstehen persnlicher ffentlichkeiten

  • Vor allem in diesen persnlichen ffentlichkeiten des Social Web verschwimmt die Trennung zwischen Sender- und Empfnger-Rollen der Massenkommunikation
  • Twitter, Facebook u.. Angebote haben Konzept des streams popularisiert der konstante Informationsfluss, der an die Seite bzw. Stelle von statischem Text tritt

11. Wie orientiere ich mich in der Welt?

  • Die Grenzen zwischen journalistischen und Laien-ffentlichkeiten werden flieender,
    • nicht so sehr, weil Nutzer auch als Urheber von Informationen auftreten (user-generated content; citizen journalism)
    • sondern vor allem, weil Nutzer als Filter bzw. Multiplikatoren innerhalb ihrer sozialen Netzwerke agieren und Informationen (auch aus etablierten Medien) miteinander teilen

http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/

  • Entgegen mancher Befrchtungen (oder Hoffnungen), verdrngt das Social Web den professionellen Journalismus nicht, noch macht es ihn berflssig.
  • Richtig ist aber: In dem Mae, wie Menschen ohne besondere technische oder berufliche Ausbildung Informationen mit anderen teilen knnen, schwindet das Monopol von professionellen Experten (Journalisten, Enzyklopdisten, Bibliothekare, ) auf das Auswhlen, Aufbereiten und ffentliche zur-Verfgung-Stellen von Informationen

12. Publizistische und persnliche ffentlichkeiten

  • In den vernetzten ffentlichkeiten des Social Web uert sich somit auch und vor allem die Anschlu-kommunikation des Publikums
    • Publizistische Angebote machen ihre Inhalte fr die neuen Vermittlungsplattformen zugnglich
    • Nutzer verlinken, retweeten, bookmarken, diggen, teilen und empfehlen journalistische Inhalte
  • Die Online-Ableger etablierter publizistisch-redaktioneller Angebote bndeln aber nach wie vor das Gros der Aufmerksamkeit

Twittercharts nach Verweisen 13. Nur wenig Kritik journalistischer Angebote in Blogs

  • Anteil bewertender Verweise von Blogs auf andere Online-Quellen (in %)

Quelle: Auswertung von N=1.750 Links von Blogs auf populre journalistische Online-Angebote (Quelle hierfr: www.technorati.com) 14. Folge des Medienwandels: Dis-/ReintermediationQuelle: Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009 15. Folge des Medienwandels: Dis-/Reintermediationz.B. Parteien, Vereine, Ver-bnde, Kirchen, Stiftungen, Quelle: Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009 16. Folge des Medienwandels: Dis-/Reintermediationz.B. Politische Akteure Quelle: Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2009 z.B. Parteien, Vereine, Ver-bnde, Kirchen, Stiftungen, Journalistische Vermittlung + Reintermediation 17. 3. Journalistische Praxis: Einige Ratschlge

  • 1) Reagieren Sie auf Erwartungen der people formerly known as the audience
  • Kompetent, rasch und professionell das Wichtige vom Unwichtigen trennen und aufbereiten = (Qualitts-)Journalismus betreiben!
  • Anschlusskommunikation erleichtern = Ihren Lesern/Hrern/Sehern die Mglichkeit bieten, Ihre Inhalte zu empfehlen und in anderen Kontexten zu verwenden
  • Konversationen anstoen und moderieren = sich nicht (mehr) als Sender oder gar Verknder begreifen, sondern mit Ihrem Publikum kommunizieren auch um zu lernen
  • Dialog- und Kritikfhigkeit zeigen = damit rechnen (und sich dafr wappnen), dass Sie auch Fehler machen und dass die Kritik des Publikums schnell sichtbar wird

18. 3. Journalistische Praxis: Einige Ratschlge

  • 2)Orientieren Sie sich selbst in den entstehenden ffentlichkeiten
  • Allgemeinen berblick zur Nachrichtenlage des Social Web verschaffen (z.B. ber rivva.de)
  • Ggfs. Recherchen zu spezifischen Themen, Meinungen oder Einschtzungen in den (Experten-)ffentlichkeiten des Social Web anstellen
  • Dabei aber bitte den ethisch relevanten Unterschied beachten: zugnglich heisst nicht unbedingt auch ffentlich

http://www.flickr.com/photos/mrlerone/2360572263/ 19. Fazit

  • Das Internet verndert das soziotechnische Umfeld, in dem Menschen Identitts-, Beziehungs- und Informationsmanagement betreiben, es ist zum Social Web geworden
  • Es lsst einen neuen Typ von ffentlichkeit entstehen: Persnliche ffentlichkeiten, die aus Informationen von persnlicher Relevanzbestehen, die an vergleichsweise kleine Publika gerichtet sind; es geht eher um Konversation als um Publizieren
  • Dies wirkt sich nicht nur auf die Artikulation und Pflege sozialer Beziehungen aus, sondern ergnzt bzw. erweitert Leistungen des professionellen Journalismus und etablierter Medienorganisationen in zweierlei Hinsicht:
    • ( Produktion ) Entstehen neuer themen- und gruppenspezifischer, nicht-institutionalisierter Arenen mit eigenen Selektions- und Relevanzkriterien
    • ( Filtern ) Gatekeeping, das Beobachten, Selektieren und Aggregieren von Themen fr ein Publikum, wird zunehmend auch von Laien sowie von Software-Code geleistetDreiklang von professioneller, partizipativer und technischer Vermittlung (Neuberger 2009)
  • Professionell betriebener Journalismus wird durch diese Vernderungen nicht berflssig, muss sich aber auf den Strukturwandel von ffentlichkeit einstellen

20. Herzlichen Dank fr Ihre Aufmerksamkeit!

  • Dr. Jan-Hinrik Schmidt
  • Hans-Bredow-Institut
  • Warburgstr. 8-10, 20354 Hamburg
  • [email_address]
  • www.hans-bredow-institut.de
  • www.schmidtmitdete.de
  • www.dasneuenetz.de

21. Weiterfhrende Literatur

    • ARD-ZDF-Onlinestudie 2010:
      • Van Eimeren, Birgit/Beate Frees (2010): Fast 50 Millionen Deutsche online Multimedia fr alle? Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2010. In: Media Perspektiven, Nr. 7-8, 2010, S. 334-349.
      • Busemann, Katrin & Gscheidle, Christoph (2010). Web 2.0: Nutzung steigt Interesse an aktiver Teilnahme sinkt.Media Perspektiven , 7-8/2010, 359-368.
    • Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks. How social production transforms markets and freedom.New Haven/London.
    • Jenkins, Henry (2006): Convergence Culture. Where old and new media collide. New York.
    • Neuberger, Christoph/Christian Nuernbergk/Melanie Rischke (Hg.) (2009): Journalismus im Internet. Profession Partizipation Technisierung. Wiesbaden.
    • Schmidt, Jan (2009): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Konsequenzen des Web 2.0. Konstanz.
    • Schmidt, Jan/Ingrid Paus-Hasebrink/Uwe Hasebrink (Hrsg.) (2009): Heranwachsen mit dem Social Web. Berlin .