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Exner SCHMUTZ ›Schmutz‹ ist ›Materie am falschen Ort‹, eine Kategorie für das, was sich den Platzanweisungen kultureller Ordnungen wi- dersetzt. Das Buch untersucht Ästhetiken des Schmutzigen als spannungsvolle Aushandlungen von kulturellen und politischen Machtkonstellationen. Als unumgängliche Nebenwirkung jeglicher Wertsetzung ist ›Schmutz‹ nicht ein Gegenstand am Rand von menschlichen Kulturen, sondern ein Kulturprodukt par excellence. Vokabular und Imaginarien rund um Abfall und Dreck, Reinheit und Un- reinheit fügen sich immer wieder zu mächtigen symbolischen Sinnstiftungsmodellen, die ästhetische wie soziale Formen und Normen organisieren und reglementieren, oder attackieren. Die karibischen Literaturen bilden einen beispielhaften Schau- platz für diese figurative Korrelation: Im Kontext von Kolonialis- mus, rassistischer Biopolitik und Modernisierung wurde das Motiv des Schmutzigen, des Abfalls und der Unreinheit vor allem als Stigmatisierungstrope zur Rechtfertigung symboli- scher Gewalt verwendet. Am Ende des 20. Jahrhunderts steht der transkulturelle Kulturraum der Karibik hingegen wie kaum ein anderer für jenen epistemischen Umordnungsprozess, mit dem sich ästhetische wie kulturtheoretische Entwürfe in über- wiegend positiver Weise auf Metaphoriken der ›Unreinheit‹ zu beziehen beginnen. Der prominente Ort von ›Schmutz‹ in hispano- und frankophonen karibischen Romanen wird im Buch vom Naturalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zu ›schmutzigem Realismus‹, ›Cyberpunk‹ und ›Ökopoetiken‹ am Ende des 20. Jahrhunderts erkundet. Die literarischen Ästhe- tiken ermöglichen dabei in jedem Moment kritische Perspektiven auf die dominanten diskursiven Paradigmen ihrer Zeit. Jüngere Schmutz-Poetiken leiten so auch dazu an, die Präferenz von Un- reinheitsmodellen als imaginative Basis von Kultur(-kritik) zu hin- terfragen. Die Studie wurde mit dem Werner-Krauss-Preis des deutschen Hispanistenverbandes ausgezeichnet. Wilhelm Fink Isabel Exner ISBN 978-3-7705-6111-7 SCHMUTZ W Fink Ästhetik und Epistemologie eines Motivs in Literaturen und Kulturtheorien der Karibik e e - Exner.indd 1 22.03.17 09:17

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›Schmutz‹ ist ›Materie am falschen Ort‹, eine Kategorie für das, was sich den Platzanweisungen kultureller Ordnungen wi-dersetzt. Das Buch untersucht Ästhetiken des Schmutzigen als spannungsvolle Aushandlungen von kulturellen und politischen Machtkonstellationen.

Als unumgängliche Nebenwirkung jeglicher Wertsetzung ist ›Schmutz‹ nicht ein Gegenstand am Rand von menschlichen Kulturen, sondern ein Kulturprodukt par excellence. Vokabular und Imaginarien rund um Abfall und Dreck, Reinheit und Un-reinheit fügen sich immer wieder zu mächtigen symbolischen Sinnstiftungsmodellen, die ästhetische wie soziale Formen und Normen organisieren und reglementieren, oder attackieren. Die karibischen Literaturen bilden einen beispielhaften Schau-platz für diese figurative Korrelation: Im Kontext von Kolonialis-mus, rassistischer Biopolitik und Modernisierung wurde das Motiv des Schmutzigen, des Abfalls und der Unreinheit vor allem als Stigmatisierungstrope zur Rechtfertigung symboli-scher Gewalt verwendet. Am Ende des 20. Jahrhunderts steht der transkulturelle Kulturraum der Karibik hingegen wie kaum ein anderer für jenen epistemischen Umordnungsprozess, mit dem sich ästhetische wie kulturtheoretische Entwürfe in über-wiegend positiver Weise auf Metaphoriken der ›Unreinheit‹ zu beziehen beginnen. Der prominente Ort von ›Schmutz‹ in hispano- und frankophonen karibischen Romanen wird im Buch vom Naturalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zu ›schmutzigem Realismus‹, ›Cyberpunk‹ und ›Ökopoetiken‹ am Ende des 20. Jahrhunderts erkundet. Die literarischen Ästhe-tiken ermöglichen dabei in jedem Moment kritische Perspektiven auf die dominanten diskursiven Paradigmen ihrer Zeit. Jüngere Schmutz-Poetiken leiten so auch dazu an, die Präferenz von Un-reinheitsmodellen als imaginative Basis von Kultur (-kritik) zu hin-terfragen.

Die Studie wurde mit dem Werner-Krauss-Preis des deutschen Hispanistenverbandes ausgezeichnet.

Wilhelm Fink

Isabel Exner

ISBN 978-3-7705-6111-7

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Ästhetik und Epistemologie eines Motivs in Literaturen und Kulturtheorien der Karibik

‚Schmutz‘ ist ‚Materie am falschen Ort‘, eine Kategorie für das, was sich den Platzanweisungen kultureller Ordnungen widersetzt. Das Buch unter-sucht Ästhetiken des Schmutzigen als spannungsvolle Aushandlungen von kulturellen und politischen Machtkonstellationen.

Als unumgängliche Nebenwirkung jeglicher Wertsetzung ist ‚Schmutz‘ nicht ein Gegenstand am Rand von menschlichen Kulturen, son-dern ein Kulturprodukt par excellence. Vokabular und Imaginarien rund um Abfall und Dreck, Reinheit und Unreinheit fügen sich immer wieder zu mächtigen symbolischen Sinnstiftungsmodellen, die ästhetische wie soziale Formen und Normen organisieren und reglementieren, oder attackieren. Die karibischen Literaturen bilden einen beispielhaften Schauplatz für diese figurative Korrelation: Im Kontext von Kolonialismus, rassistischer Biopo-litik und Modernisierung wurde das Motiv des Schmutzigen, des Abfalls und der Unreinheit vor allem als Stigmatisierungstrope zur Rechtfertigung symbolischer Gewalt verwendet. Am Ende des 20. Jahrhunderts steht der transkulturelle Kulturraum der Karibik hingegen wie kaum ein anderer für jenen epistemischen Umordnungsprozess, mit dem sich ästhetische wie kul-turtheoretische Entwürfe in überwiegend positiver Weise auf Metaphoriken der �Unreinheit� zu beziehen beginnen. Der prominente Ort von ‚Schmutz‘ in hispano- und frankophonen karibischen Romanen wird im Buch vom Naturalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zu ‚schmutzigem Realismus‘, ‚Cyberpunk‘ und ‚Ökopoetiken‘ am Ende des 20. Jahrhunderts erkundet, und auf die von ihm angestoßenen Identifikationen hin befragt. Die literarischen Ästhetiken ermöglichen dabei in jedem Moment kritische Perspektiven auf die dominanten diskursiven Paradigmen ihrer Zeit. Jüngere Schmutz-Poetiken leiten so auch dazu an, die Präferenz von Unreinheitsmo-dellen als imaginative Basis von Kultur(-kritik) zu hinterfragen.

Die Studie wurde mit dem Werner-Krauss-Preis des deutschen Hispanisten-verbandes ausgezeichnet.

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