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„Messies“

Konzepte zum therapeutischen Umgang mit dem „Messie-Syndrom“, dem Horten und der Prokrastination

Heinz Lippuner, lic.phil.

Klinische Psychologie und Psychotherapie FSP

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Auf der Homepage eines

Selbsthilfezentrums

Wer ist ein Messie?

Messies sind meist vielseitig interessierte, kreative, sozial

engagierte und offene Menschen - oft sind sie beruflich sehr

erfolgreich. Messies haben in drei Bereichen

Schwierigkeiten:

• Sie räumen die Dinge, die sie benutzen, nicht wieder weg,

• sie bewahren zu viele Dinge auf,

• sie haben ein schlechtes Zeitgefühl.

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Ein „Cleanie“ ? hl www.psypraxis.ch

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Ein „Messie“ ? hl www.psypraxis.ch

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Definition „Messie“-Syndrom Pritz et al. 2007

• Unordentlichkeit bis zur Geruchsbelästigung und zu

hygienischen Problemen

• Zwanghaftes Horten (Sammeln) wertloser und verbrauchter

Dinge

• Zeitmanagementprobleme bis zur extremen Unpünktlichkeit

• Ungeöffnete Post

• Eingeschränktes Sozialverhalten durch die Nicht- oder nur

eingeschränkte Benutzbarkeit der Wohnung / des Hauses

• Hilflosigkeit / Panik bei Aufräumen unter äusserem oder

innerem Druck

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Andere Bezeichnungen, und

/oder andere Konzepte ?

Organisations - Defizit - Störung (ODS) A. Barocka 2009; in Pritz et al. 2009

Desorganisationsprobleme G. Steins 2003

Vermüllungssyndrom P. Dettmering/R. Pastenaci 2004

Diogenes-Syndrom J. Klosterkötter/U.H. Peters 1985

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Procrastination

+

Compulsive Hoarding

=

„Messie“

Kein neuer

Ansatz notwendig ?

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Prokrastination

Aufschieben, auch Prokrastination. Erledigungsblockade,

Aufschiebeverhalten, Erregungsaufschiebung oder

Handlungsaufschub ist das Verhalten, als notwendig aber

auch als unangenehm empfundene Arbeiten immer wieder

zu verschieben, anstatt sie zu erledigen.

• (lat. procrastinatio, ‚Vertagung’: Zusammensetzung aus

pro ‚für’ und cras ‚morgen’)

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“ Aufschieber” sind also meist in der Zeit in der sie

etwas auf die lange Bank schieben nicht passiv.

Anstelle der zu erledigenden Arbeit kommt es zu

Ersatzhandlungen wie z. B. das ganze Haus inklusive

Fenster und Estrich zu putzen.”

(Engelbrecht, 2011)

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Anzahl Publikationen zum Compulsive

Hoarding hl www.psypraxis.ch

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D. Mataix-Cols, R.O. Frost et al. (2010):

Hoarding Disorder: A New Diagnosis For

DSM-V? (Depression and Anxiety 27,(556-572)

Horten hat

„as characterological trait ist origins more than a century

ago in the psychoanalytical concept of the ‚anal character’,

wich later became today’s OCPD.“

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Abgrenzung zur OCD

• Gedanken zum Horten werden nicht als intrusiv erlebt,

sondern als Teil des normalen individuellen

Gedankenstroms,

• sie sind nicht gleichermassen repetitiv wie bei

Zwangskranken,

• sie werden selten als störende und unangenehme

Gedanken erlebt und

• sie lösen nicht im selben Ausmass Vermeidungsverhalten

oder Rituale hervor.

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„We tentatively suggest naming the new disorder

‚hoarding disorder‘.’’

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Therapie wird zielen auf:

• Informationsverarbeitungsdefizit

(Entscheidungsunfähigkeit, Prokrastination)

• Probleme mit Lösen von emotionalen Bindungen

(Objekte vermitteln Vertrautheit, helfen beim

Stressabbau)

• Vermeidungsverhalten (Entsorgung wird verweigert, weil

veränderungsangst und Trennungsschmerz drohen)

• Verzerrte Vorstellungen über Natur und Wert der

Besitztümer (sentimental oder auch Beziehungsideen?)

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Diagnostische Überlegungen nach

längerer Beobachtung/Therapie nach R. Rehberger, 2007

• Die sichtbarsten Schwierigkeiten und Symptome der Betroffenen sind, handeln zu wollen und doch nicht zu handeln, aufräumen zu wollen und es doch zu lassen;

• Termine und Fristen einhalten zu wollen und doch zu versäumen;

• Sucht, zwanghaft und grenzenlos zu sammeln, zu kaufen und sich nicht oder nur sehr schwer vom Gesammelten zu trennen;

• Sucht, sich mit Arbeit, mit Essen, mit Fernsehen, mit Telefonieren zwanghaft vollzustopfen oder zu betäuben.

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Illusionäres Selbstbild

„Selbstberichte zeigen, dass sie oftmals aus der

Tatsache, dass sie anders sind als andere für sich

positive Attribute ableiten. So halten sie sich für

kreativ, weil sie eben viele Ideen haben und für

nette, liebe Menschen, weil sie ein hohes Bedürfnis

nach sozialer Anerkennung verspüren“

Gisela Steins, 2003

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Aspekte der Therapiebeziehung

• Grosse Schwierigkeiten, das (ein) Therapiesetting einzuhalten

• Schwer zu beendigende Therapiesitzungen

• Ungeordnete Notizen (mitbringen bzw. erstellen)

• Häufige Kontaktnahmen zwischen den Sitzungen

• Sprunghaftes bis inkonsistentes Erzählen und Kleben an Details

• Brüche im Dialog (z.B. Zeitsprünge) sowohl auf affektiver als auch auf inhaltlicher Ebene

• Idealisierung der empathischen Therapeutenperson

• Heftige Ablehnung von konfrontierenden Interventionen

• Unterwerfung und Rebellion in schneller Folge

• „Zwanghaftes“ Nein-Sagen, Choreografie des Nein

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„Zwei Dinge sollen Kinder von

ihren Eltern bekommen:

Wurzeln und Flügel.“

Goethe

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Die philobatische Welt besteht aus ‚friedlichen Weiten‘;

• Objekte werden als ‚ganz‘ erlebt, können hässlich, feindlich, gleichgültig sein und so die ‚friedlichen Weiten‘ (Harmonie, Optimismus) stören oder sie sind schön, freundlich, liebevoll und vertiefen die Harmonie;

• also muss man sich um sie kümmern, sorgen, sich Gedanken machen, Rücksicht nehmen, jedoch mit dem Ziel, die Harmonie zu sichern;

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Die oknophile Welt dagegen besteht aus Objekten, getrennt durch ‚furchterregende, leere Räume‘

• das Verlangen nach Objekten oder Teilen/Aspekten von ihnen ist absolut, rücksichtslos, d.h. ‚wenn das Bedürfnis auftaucht, hat das Objekt da zu sein‘;

• von Objekt zu Objekt lebend werden die Leerräume gemieden.

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„Eigentlich bin ich ganz anders, nur

komme ich selten dazu.“ (Ö. v. Horvath)

Man kann Dinge sammeln oder sich sammeln. So

verschieden ist das nicht.

Alle mir besser bekannten „Messies“ sagten, „eigentlich“

seien sie Sammler. Da sie aber statt einer Sammlung eher

ein „Sammelsurium“ besitzen, reden sie „eigentlich“ über

ihre Innere Sammlung/inneren Sammlungsversuche.

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Beide leiden an einer „Grundstörung“!

Den Philobaten trügt die Illusion, die eigene ‚Ausstattung‘ wappne ihn gegen alle Gefahren;

• er blickt der Gefahr in die Augen, aufrecht geht er ihr entgegen; der Gesichtssinn und Distanz sind vorherrschend;

• neue Ideen und Erlebnisse werden gesucht, genossen, aber sie müssen kontrollierbar sein;

Den Oknophilen trügt die Illusion, nur durch Halt am (beliebigen) Teil-Objekt lebensfähig zu sein;

• er versucht so nahe wie nur möglich ans Objekt heranzukommen, um dann vor der Gefahr die Augen zu verschließen; physische Nähe und Tastsinn herrschen vor;

• neue Ideen und Erfahrungen wirken bedrohlich, er sehnt sich nach Rückkehr zum Vertrauten und Gewohnten.

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Entgleiste Selbsthilfe

„Süchtige Handlungen werden als Selbstbehandlung verstanden, die gegen bedrohliche Gefühlszustände mit Hilfe einer ‚künstlichen Affektabwehr’ schützen soll.“

(L. Wurmser, 1997)

Wir gehen also von der Grundannahme aus, dass die Menschen mit dem „Messie-Syndrom“ eine Bindungsstörung („Grundstörung“) aufweisen und das Suchtartige (Compulsive Hoarding, Sammelsucht) als Folge einer langen Reihe von „Selbst-behandlungen“ verstanden werden kann.

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Der Messie betreibt Selbsthilfe mit „Objekten“.

„Das sind keine Dinge, das sind Freunde“, oder

„das hiesse, ein Stück von mir wegwerfen“.

Wird ein solcher Lösungsweg chronisch, nimmt er Suchtcharakter an, bahnt einem narzisstischen, einem schizoiden Rückzug den Weg, es wird zunehmend schwerer, sich dem lebendigen Anderen, dem „Lebensspender“ (Symington, 1997) zu öffnen.

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Die Kontrolle, die bei Dingen effektiver erscheint, mag eine

Weile stabilisieren, letztlich hat sich das Individuum aber

unbelebten Objekten überlassen, und arbeitet mit einem

Mechanismus, der zur Psychodynamik der Sucht gehört.

Irgendwann sind dann die Dinge genau so enttäuschend und

„traumatisierend“ wie die ursprünglichen menschlichen

Objekte, die den Betroffenen so hilflos machten,

beschämten und „zerstreut“ sein liessen

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Letzte Schutzmauer ?

Dieser Lösungsweg ist gefährlich und destruktiv,

aber er dient der Selbsterhaltung, er schützt vor

einer Desorganisation, einem Zusammenbruch.

Möglicherweise vor einer Psychose.

Ch. Luger (2007)

in: Pritz et al.

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Die „Messie“-Wohnung ist also nicht präsentabel, aber sie

repräsentiert, und zwar Innenraum.

Die wie Trophäen und Denkmäler aufgegebener Absichten

und Pläne herumliegenden Objekte sind noch nicht

gesammelte/integrierte Erfahrungen und Selbstbilder.

Sie werden so „aufgehoben“, „gehalten“ und versorgt, wie

der „Messie“ es gebraucht hätte, versorgt zu werden, als er

klein und machtlos war.

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„Empirische Belege bitte !“

Raskob, Anja Beate (2002):

„Bindung, Besitz und Desorganisation – Eine Untersuchung im Kontext der Bindungstheorie.“

(Universität Bielefeld)

Habermas, Tilmann (1996):

Geliebte Objekte. Symbole und Instrumente der Identitätsbildung.

suhrkamp tb wissenschaft

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Skala

‚Besitztümer in identitätskonstituierender-

und konsolidierender Funktion‘

„Eine identitätskonstruierende- und konsolidierende

Verwendung von Besitztümern wird sicherlich um so

wichtiger, je fragiler das Selbst bzw. die eigene Identität

ausgebildet sind, je weniger innere und äussere Sicherheit

vorhanden ist, bzw. je negativer die kognitiven

Arbeitsmodelle des Selbst und der Anderen sind.“

(Raskob, 2002, 153)

Hochsignifikante Unterschiede zur Kontrollgruppe

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Skala

‚Besitztümer als Ersatz für andere‘

„Sowohl auf Itemebene wie auf Skalaebene unterschieden

sich die Gruppe der ‚Messies’ und die Gruppe der

Kontrollpersonen hoch signifikant.“

(Raskop 2002, 154)

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Skala

‚Kontrolle und Sicherheit durch

Besitztümer’

Es entsteht also der Eindruck,

„dass hier die Besitztümer etwas wie eine sichere Basis

darstellen, der Rückversicherung und psychischen Erholung

dienen, also Funktionen aufweisen, die gemeinhin dem

Bereich enger zwischenmenschlicher Beziehungen

zugeordnet werden.“

(Raskop, 2002, 158)

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Der riesige Widerstand des“ Messies“, sich die Wohnung

durch Helfer – und seien die noch so freundlich gesinnt –

aufräumen zu lassen, ist nur zu verständlich, denn ihm wird

die Hoffnung geraubt, seinen intrapsychischen Zustand

selber wieder ordnen zu können.

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Noch eine Schutzmauer

„Genau genommen ist die Messiestörung Folge einer

Charakterstörung und einer Sucht. Messies sind zwanghafte

Persönlichkeiten und handeln zwanghaft zuwider (mach ich

nicht!)

Sie halten Ordnung sozial, in Raum und Zeit oft nicht ein,

weil sie sie unbewusst als aufgezwungen erleben.“

(R. Rehberger, 2009)

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Das prozedurale Gedächtnis

Unser prozedurales Gedächtnis speichert, was wir lernen

und anwenden. Wenn wir einen Bewegungsablauf oft genug

wiederholt und geübt haben, können wir ihn ausführen,

ohne darüber nachdenken zu müssen. Dies geschieht

beispielsweise beim Tanzen, Laufen oder Velofahren.

Beim prozeduralen Gedächtnis macht Übung den Meister.

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„Messies-Syndrom“ ist auch

eine Zwangsstörung

Das aversive Muster zuwiderzuhandeln und erzieherisch

erwartete Handlungen nicht auszuführen kann so zum

basalen Bestand des prozeduralen Handlungsrepertoires

gehören, anders gesagt, es ist charakterlich verankert.

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„Betroffene wissen also nicht, warum sie unterlassen. Sie

finden keine bewusst zugängliche Motivation für das

Nichtmachen. Sie fühlen sich aber oft bereits bei der

Vorstellung (‚in sensu’), planvoll zu handeln, und erst recht,

wenn sie die beabsichtigte Handlung ausführen wollen,

überfordert, ängstlich, panisch bis hin, dass sie das Gefühl

erleben zu sterben.“

„Widersprüchlich zu handeln wirkt sich auch in der

dialogischen Begegnung durch zwanghaftes Widersprechen

aus.“

(R. Rehberger, 2007)

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Exekutive Funktionen

Das unsicher gebundene und „gezwungene Kind“

ist in Turbulenzen und Verstrickungen gefangen.

Darunter leidet seine emotionale Entwicklung

+

Die Entwicklung der Exekutiven Funktionen

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Anbieter

‚aufsuchende Sozialbegleitung‘

• Psychiatrische Spitex

• Homemanagement GmbH, Wallisellen

• Solid Help AG, Zürich

• (ADS-Support B. Fraser)

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Exekutive

Funktionen/Selbstregulation

• Setzen von Zielen

• Planung (Alternativen finden bei Situationsänderung)

• Prioritäten setzen

• Impulskontrolle

• Aufmerksamkeitssteuerung

• Zielgerichtetes Initiieren und Sequenzieren von

Handlungen

• Beobachtung der Handlungsfolgen und Selbstkorrektur

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Das „Dysexekutive Syndrom“

Eine umfassende Störung exekutiver Funktionen wird als

„Dysexekutives Syndrom“ bezeichnet.

Zur Beschreibung eines Krankheitsbildes ist dieser Begriff

allerdings eher ungeeignet, da es sich nicht um eine

invariable Konstellation von Symptomen handelt.

(Matthes-von Cramon & von Cramon, 2000)

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Stichworte zu den

Interventionsformen

• Präsenz

• Präsenz-Imitation

• Rituale

• Symbole

• Visualisierungen

• Selbstgespräche

• Glaubenssätze

• Reziproke Hilfe

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„Messies“,

Lieblinge der Medien

„Messies weigern sich, die Dinge nur nach ihrem Nutzen zu

beurteilen, sie machen sie zu Wertgegenständen –

unabhängig davon, ob sie für andere Menschen oder auf

Grundlage gesellschaftlicher Konventionen einen Wert

haben. (...)

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Sie meinen mit den Dingen sich selbst – identifizieren

sich mit dem Wert, den sie geben können und geben sich

selbst damit einen neuen Wert. So finden sie Ausdruck für

ihre persönliche und einzigartige Art, in dieser Welt zu

leben und sie zu begreifen. (...)

Die Messies demonstrieren an den Dingen jene

Umgangsweise, der sie sich als Menschen ausgesetzt

fühlen. Sie erleben sich selbst als x-beliebig, austauschbar,

nicht in ihrer Einzigartigkeit wahrgenommen, vom

Wegwerfen, Aussortieren bedroht, leicht ersetzbar durch

andere, modernere. (...)

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Die Angst davor, selbst verloren zu gehen, projizieren sie

auf die Dinge, die sie nicht verlieren wollen. Sie zeigen,

dass die Verfügbarkeit heute wichtiger ist als das

Wahrnehmen eines unerfüllten Wunsches. Die

Ersatzbefriedigung wird dem Erleben der Sehnsucht

vorgezogen.“

(Pritz et al., 2009)

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Echte Sammler und

süchtige Sammler

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„1) Sammeln ist die Suche nach und das Auswählen,

Zusammentragen und Aufbewahren von Objekten, die für

den Sammler einen subjektiven Wert besitzen, sowie der

Versuch ihrer Komplettierung. Die Ansammlung z.B. von

Wissen als immaterielles und damit nicht sicher verfügbares

Gut stellt kein Sammeln im engeren Sinne dar.

2) Sammeln ist systematisch und beschränkt sich in aller

Regel auf ein definier- und abgrenzbares Gebiet bzw. Thema,

das z.B. in Auktionskatalogen oder über bereits bestehende

andere Sammlungen umrissen ist.

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3) Es ist umfassend und in die Tiefe gehend, d.h. es greift

auf Sekundärliteratur und Hintergrundinformationen zurück.

4) Sammeln hat den betroffenen in seiner höchsten

Ausprägung als emotionales, leidenschaftliches

Engagement mit allen Sinnen zu erfassen.

5) Es stellt weiterhin ein in der Zeit relativ konstantes

Verhalten und keine nur kurzfristige Laune oder Mode dar.“

Peter Subkowski, 2004

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„Das wichtigste Stück einer Sammlung ist immer das das

fehlt.“

Philipp Blom, 2004

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„Die Objekte einer Sammlung sind als Ersatz für

menschliche Nähe und Berührung gedacht, die nicht

verfügbar waren, als das Kleinkind ihrer bedurfte.“

„Die Objekte, an denen ihr Herz hängt, sind unbelebter

Ersatz für Fürsorge und Schutz. Was vielleicht noch

aufschlussreicher ist: Sowohl dem Sammler wie der Welt

beweisen diese Objekte, dass er etwas besonderes und

ihrer wert ist.“

Münsterberger, 1995

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„Vielleicht geht es in der Psychotherapie um

das metaphorische Sichsammeln“.

(K. Reboly, 2007)

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Der „Messie“ – Formenkreis Pritz et al. 2007

• Messie – Verhalten als (Begleit)-Symptom einer zugrunde liegenden psychischen Erkrankung / Störung

• Messie – Verhalten, chronisch und in mässiger Ausprägung als ausschliessliches Symptom. Desorganisationsproblematik in Raum, Zeit und sozialen Beziehungen

• Messie – Sein als Lebensstil. Keiner oder sehr geringer Leidensdruck. Keine anderen psychopathologischen Auffälligkeiten.

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Diogenes-Syndrom J. Klosterkötter, U. H. Peters, 1985

Vernachlässigung des persönlichen Lebensraumes und

Auftreten eines Sammeltriebes

schamlose „Vernachlässigung des Körpers“

Häufung beim weiblichen Geschlecht

überwiegend jenseits des 60. Lebensjahres

primär persönliche Selbst-Isolationstendenzen

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Ablehnung von Hilfe