Schwindsucht im Parkett - Deutscher Musikrat

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Musikleben im Diskurs 63280 4/11 Oktober-Dezember 2011 D € 8,50 ıA € 8,80 ı CH SFR 14,60 Schwindsucht im Parkett Die Zeit läuft | Erweiterung: „Jugend musiziert“? | Franz Liszt zum 200. Geburtstag

Transcript of Schwindsucht im Parkett - Deutscher Musikrat

Musikleben im Diskurs

632804/11

Oktober-Dezember 2011

D€

8,50

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€ 8,

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Schwindsucht im ParkettDie Zeit läuft

| Erweiterung: „Jugend musiziert“?| Franz Liszt zum 200. Geburtstag

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Wer gewinnt den Wettlauf um den letzten Konzertbesucher?

Mitmach-, Schnupper-, Action-, Mitternachts-, Frühlings-, Pausen-, Werkstatt,- Wandel-

und Afterworkkonzerte vermitteln genauso wie die zahlreichen Fantasienamen für die Ver-

mittlung von Musik vor allem eines: Ein neues Publikum muss her. Das alte Stammpub -

likum stirbt weg, die jungen Alten tummeln sich immer öfter lieber beim „König von

Mallorca“ und dem Hörernachwuchs werden durch die multimediale Reizüberflutung

die Ohren zugemüllt.

Es ist paradox: Da entern „Kulturagenten“ die Schulen, um vermeintlich neue Zielgrup-

pen für das Kulturleben zu gewinnen, und zugleich fällt vielerorts der Musikunterricht

aus. Heerscharen von Orchestermusikern engagieren sich in Projekten in der Schule und

anschließend wartet der entflammte Nachwuchs jahrelang auf einen Unterrichtsplatz an

einer öffentlichen Musikschule. So spannend viele Initiativen sind: Sie kämpfen wie wei-

land Don Quichotte auf verlorenem Posten, weil sie auf dem zerbröselnden Fundament

kultureller Grundbildung arbeiten (müssen).

Die zahlreichen Projekte und Events sind nur das Sahnehäubchen auf dem Hefeteig einer

langfristig angelegten Erziehung. Kein Baby kommt mit einer Vorliebe für Bach, Rap oder

Volksmusik auf die Welt. Es liegt in unser aller Verantwortung, Erfahrungen mit der Kultu-

rellen Vielfalt in unserem Land zu ermöglichen. Die Orte kultureller Erstbegegnung wie

Kindertagesstätten, Schulen und Musikschulen sind die zentralen Orte für das Entzünden

kultureller Neugier. Dazu braucht es nicht immer neue und „innovative“ Ansätze. Die

„Krise der Klassik“ liegt nicht in der Musik selbst: Barockmusik kann genauso aktuell und

mitreißend sein wie viele Werke aus anderen Kulturen, der zeitgenössischen Musik oder

der populären Musik. Wenn unsere Kinder Bach und Mozart bestenfalls aus der Werbung

oder einer gehypten Crossover-Interpretation kennen, müssen wir uns nicht wundern,

wenn sie diese Musik nicht erreicht.

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass niemand den Wettlauf um den

letzten Konzertbesucher gewinnen kann, solange unsere Gesellschaft nicht den Blick auf

das Morgen und Übermorgen richtet. Wenn die existenzielle Bedeutung der Musik für

unser Menschsein immer mehr auf Sonntagsreden verlagert wird und immer weniger mit

dem Lebensalltag zu tun hat, dann helfen auch keine Events. Wenn der Staat kulturelle Teil-

habe als ein Menschenrecht propagiert, dann muss auch er investieren: zum Beispiel in ei-

nen regelmäßigen und qualitätsgesicherten Musikunterricht für alle Kinder und Jugendli-

chen. Die Qualitätssicherung bezieht sich nicht nur auf die differenzierten Studiengänge,

wie sie die künstlerischen Hochschulen anbieten, sondern auch auf den Anspruch, die

ganze Bandbreite Kultureller Vielfalt zu vermitteln: sinnlich und kognitiv. Dann kommen

wir dem Anspruch der bestmöglichen Entfaltungsmöglichkeit für den Einzelnen und dem

daraus folgenden Nutzen für das menschliche Zusammenleben ein Stück näher. Kulturelle

Teilhabe lässt sich nicht durch das Servieren mundgerechter Häppchenkultur in möglichst

bequemen Sesseln erzielen, sondern braucht die unmittelbare Erfahrung unseres kulturel-

len Reichtums.

Christian HöppnerChefredakteur

Christian Höppner

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pro & contra| Erweiterung oder Nicht-Erweiterung?Die Umgestaltung von „Jugend musiziert“ in der Diskussion 30

begegnung| Eine linke Hand wie GottDer Blues- und Boogie-Woogie-Pianist Axel Zwingenberger (Stephan Mayer) 36

akzente| Hommage à Franz Liszt zum 200. GeburtstagSechs Ehrungen für Franz Liszt! (Johannes Herwig) 40

neue töne| Am Puls der AvantgardeDie Edition Zeitgenössische Musik porträtiert seit 25 Jahrenjunge Komponisten in Deutschland (Daniel Mennicken) 44

Änderungen im Konzertleben – Kultur abseits der großen Einrichtungen?, Seite 8

Eine Hommage an Franz Liszt zum 200. Geburtstag, Seite 40

im fokus:Schwindsucht im ParkettDie Zeit läuft

inhalt

im fokus| Die Konzertpublika in Deutschland

Hans Neuhoff und Jan P. Peschlow: Eine Szenariodiskussion bis 2050 8

| Musikproduzenten oder Pädagogen?Susanne Keuchel: Eine Infrastrukturerhebung zu Vermittlungsangeboten in Kultureinrichtungen 14

| „Ich hör alles von Punkrock bis Klassik!“Michael Parzer: Grenzüberschreitender Musikgeschmack in der Gegenwartsgesellschaft 18

| Ein Patentrezept gegen Publikumsschwund gibt es nichtChristian Höppner im Gespräch mit Pamela Rosenberg 22

| Auf der Suche nach dem Publikum von morgenDas Musikforum hat verschiedene Festivals um ein kurzes Statement zu ihren Publikums-Strategien gebeten 26

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4 |11Oktober – Dezember

2011

Neue Förderstrukturen im EU-Finanzrahmen –was bleibt für die Kultur?, Seite 48

Potentiale entdecken – weiße Flecken in der Publikumsforschung, Seite 54

report| Wer beharrt, dem gelingt’sChristian Höppner im Gespräch mit Klaus Wüsthoff 46

| Kulturpolitik ist auch GesellschaftspolitikZum 80. Geburtstag von Klaus Bernbacher –Christian Höppner im Gespräch mit Klaus Bernbacher und Ernst Folz 46

europa| Creative EuropeErste Pläne für die EU-Kulturförderung ab 2014 (Sabine Bornemann) 48

musik und politik| Aus drei mach keinsWie kulturelle Bildung nachhaltig zerstört wird (Rüdiger Kruse) 50

bildung | forschung| Topografie des Musikstudiums1. Universitäten, Pädagogische Hochschulen und Fachhochschulen, Studiengänge für Musikberufe2. Musikhochschulen, Konservatorien, Fachakademien und Kirchenmusikhochschulen 2009/2010 52

| Wer kommt – wer geht – und warum?Probleme und Potenziale der Publikumsforschung in Deutschland (Robin Kuchar und Volker Kirchberg) 54

wirtschaft | recht| Höhere Mehrwertsteuer für Noten?Brüssel will „harmonisieren“: die Pläne der EU-Kommissionzur Zukunft der Mehrwertsteuer (Hans-Willi Hefekäuser) 58

| editorial 1| nachrichten 4| rezensionen 61| finale/impressum 64

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Jiggs Whigham und NielsKlein bilden die neue künstleri-sche Leitung des Bundesjazzor-chesters. Dies hat die Projektge-sellschaft des Deutschen Musik-rats nach intensiven Beratungenim zuständigen Jazzbeirat undmit Zustimmung des Aufsichts-rats entschieden.

Regine Möbius, Vizepräsiden-tin des Kulturrats, ist erneut zurBeauftragten für Kunst und Kul-tur von ver.di gewählt worden.Die Schriftstellerin aus Chemnitzwar die erste Beauftragte fürKunst und Kultur von ver.di undist nun in ihrem Amt bestätigtworden.

Personalia

Kulturelle Vielfalt eröffnetneue berufliche Möglichkeiten.Zum Wintersemester 2011/12startet an der Stiftung UniversitätHildesheim der viersemestrigeberufsbegleitende Studiengang„musik.welt - Kulturelle Diversi-tät in der musikalischen Bil-dung“ (Master of Arts oder Zer-tifikatsstudium). Mit Inhaltenwie: Musik und Soziale Arbeit,Elementare Musikpädagogik, Pro -jektmanagement, Interkultura -lität, Bandarbeit und viel Praxis.Der Studiengang richtet sich anMusikerInnen, Lehrkräfte, Sozial-arbeiterInnen, ErzieherInnen und

Die Stadt Rheinsberg undder Landkreis Ostprignitz-Ruppinwollen die bisher selbstständigenGmbHs Kammeroper SchlossRheinsberg und die Musikakade-mie Rheinsberg zu einer ge-meinsamen Gesellschaft zusam-menführen. Der Generalsekretärdes Deutschen Musikrats, Chris-tian Höppner, appellierte an dieKommunalpolitiker, auf die Fu -sion zu verzichten. Die Strahl-

alle, die das Potenzial der Musikfür ihre Arbeit erkannt habenund nutzen wollen. Das bundes-weit einzigartige Pilotprojekt istTeil des Programms „musik.welt@niedersachsen“ der StiftungNiedersachsen und wurde ge-meinsam mit dem Center forWorld Music, der Stiftung Uni-versität Hildesheim, der Hoch-schule für Musik und TheaterHannover, dem Musikland Nie-dersachsen und drei weiterenHochschulen entwickelt. Mehr Infos und Kontakt:www.musikwelt-niedersachsen.de, [email protected]

Neuer Studiengang musik.welt

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Rheinsberg könnte Schaden nehmen

kraft von Rheinsberg könneSchaden nehmen, wenn diekünstlerisch Verantwortlichennicht auch die wirtschaftlicheVerantwortung tragen würden.Die Erfahrungen mit ähnlichenFusionen seien sowohl inDeutschland wie in anderen Län-dern meist negativ. „Der Scha-den, den ich befürchte, steht inkeinem Verhältnis zum wirt-schaftlichen Nutzen“, sagte er.

Im Rahmen der Herbsttagungder Konferenz der Landesmusik-räte in Schlitz (Hessen) wurdenschwerpunktmäßig die Umset-zung der UNESCO-KonventionKulturelle Vielfalt, das ThemaMusik in der Schule, der Tag derMusik und die Aktivitäten zum50-jährigen Bestehen des Wett-bewerbs „Jugend musiziert“2013 behandelt. An der Konfe-renz nahm unter Leitung derVorsitzenden, Ulrike Liedtke, tra-ditionell die Spitze des Deut-

schen Musikrats, vertreten durchseinen Präsidenten, Martin MariaKrüger, Generalsekretär ChristianHöppner und die Geschäftsfüh-rer der DMR gGmbH, Peter Ort-mann und Norbert Pietrangeli,teil. Begrüßt wurden die Teilneh-mer von Ministerialdirigent EricSeng vom Hessischen Ministe -rium für Wissenschaft und Kunst,von der Präsidentin des Landes-musikrats Hessen, Ursula Jung-herr, und vom Bürgermeistervon Schlitz, Hans-Jürgen Schäfer.

Herbsttagung der Konferenz derLandesmusikräte

Zum ersten Mal nach sechsJahren konnte der Rückgang derjährlichen Konzert- und Musik-theaterbesucher in Deutschlandgestoppt werden. Damit zeichnetsich eine Kehrtwende in der2005 konstatierten Entwicklungrückläufiger Zuschauerzahlen ab.Besuchten in der Spielzeit2004/05 42 Prozent der bun-desweiten Bevölkerung mindes-tens jährlich eine Musiktheater-aufführung bzw. ein E-Musik-konzert, waren es in der Spielzeit2010/11 44 Prozent. „Dass der-zeit ein weiterer Abwärtstrendverhindert werden konnte, liegtam Zuwachs des Publikums ab65 Jahren. Die jungen Alters-

gruppen bis 24 Jahren konntennach wie vor nicht ausreichendangesprochen werden. Deshalbmuss künftig noch verstärkt Ju-gendarbeit geleistet werden, umdas Publikum von morgen zu si-chern“, sagt Susanne Keuchel,Geschäftsführerin des Zentrumsfür Kulturforschung. Bei der Fra-ge nach der Hauptaufgabe derOrchester nannten 54 Prozent anerster Stelle die Verpflichtung,junge Menschen für das musika-lische Erbe zu begeistern.Dies sind die Ergebnisse des 9.Kulturbarometers des Zentrumsfür Kulturforschung in Koopera-tion mit der Deutschen Orches-tervereinigung (DOV).

Kulturbarometer: Besucherrückgang gestoppt

Die nationalen Musikrätevon Deutschland, Österreich undder Schweiz (D-A-CH) appellie-ren an die nationalen Regierun-gen und Parlamente, die Umset-zung der UNESCO-Konventionzur Kulturellen Vielfalt (Foto) inkulturpolitisches Handeln umzu-setzen. Die drei Musikräte verab-schiedeten im Rahmen ihrer Jah-restagung in Berlin einstimmigeine Resolution mit fünf Forde-rungen zur Umsetzung der Kon -vention. Hierzu GeneralsekretärChris tian Höppner, Leiter derdiesjährigen D-A-CH-Tagung undVizepräsident des EuropäischenMusikrats: „Das kulturelle Erbe,die künstlerischen Ausdrucksfor-men unserer Zeit und die Kultu-ren anderer Länder in unseremLand sind ein Schatz für das Zu-sammenleben von Menschen.Kulturelle Teilhabe ist Vorausset-zung dafür, diese Vielfalt erfah-ren und weiterentwickeln zukönnen. Angesichts teils drasti-scher Streichungen bei der Fi-nanzierung im Bildungs- undKulturbereich ist diese Vielfalt

zunehmend gefährdet. DieUNESCO-Konvention KulturelleVielfalt kann ein wirkungsvollesHandlungsinstrument für diekultur- bzw. musikpolitische Ar-beit sein, wenn sie nicht in denSchubladen der Sonntags red -ner(innen) verstaubt. Die ‚Über-setzung‘ der völkerrechtlich ver-bindlichen Konvention in prakti-sches kommunal- bzw. landes-politisches Handeln ist dabei ge-nauso wichtig wie die Schärfungdes Bewusstseins für die gesell-schaftspolitische Bedeutung Kul-tureller Vielfalt. Ich freue michüber die Einigkeit der nationalenMusikräte von Deutschland, Ös -terreich und der Schweiz unddie gemeinsame Forderung nachpolitischem Handeln zur Umset-zung der UNESCO-KonventionKulturelle Vielfalt auf allen Ebe-nen.“Die Resolution zur Umsetzungder UNESCO-Konvention findenSie unter:www.musikrat.de

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Kurt Sanderling ist tot. DerDirigent verstarb am 18. Sep-tember im Alter von 98 Jahren.Hierzu Martin Maria Krüger,Präsident des Deutschen Musik-rats: „Der Deutsche Musikrat hatmit großer Betroffenheit vomTod seines Ehrenmitglieds KurtSanderling erfahren. Die Musik-

Zubin Metha wurde mit demEcho-Klassik für sein Lebens-werk ausgezeichnet. Der welt-weit tätige Dirigent zählt zu denbedeutendsten Künstlern der Ge-genwart und machte sich weitüber die Musik hinaus durchsein soziales Engagement ver-dient.

Musikrat: Kulturelle Vielfalt istkein Schubladenpapier

welt insgesamt und das Musikle-ben Deutschlands im Besonde-ren schulden dem DirigentenKurt Sanderling bleibendenDank. Das musikalische Wirkensowie der persönliche Lebens-weg Sanderlings waren einzig -artig und werden dauerhaft zuden großen Lichtmomenten desMusiklebens – nicht nur inDeutsch land – gehören. DerDeutsche Musikrat gedenkt einerherausragenden Musikerpersön-lichkeit.“ Seinen Abschied vom Dirigen-tenpult nahm Sanderling 2002als er zum letzten Mal im Kon-zerthaus am Gendarmenmarktdas Berliner Sinfonieorchesterdirigierte.

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Kulturstaatsminister BerndNeumann (Foto) erklärte bei derFestveranstaltung zum zehnjähri-gen Bestehen der VG Media inBerlin: „Seit Jahrzehnten tragenprivate Medien als Kultur- undWirtschaftsgut zur KulturellenVielfalt und Meinungsbildungbei – und seit 10 Jahren ist dieVG Media der starke Arm bei derDurchsetzung ihrer Interessen.Das effiziente und vorbildlicheSystem der Verwertungsgesell-schaften hat sich seit langem be-währt. Besonders wichtig findeich, dass die Erlöse der VG Mediaauch den Kreativen und Künst-lern zugutekommen. Denn nurdadurch, dass die privaten Sen-der angemessen für die Verwer-tung ihrer Leistungen vergütetwerden, kann wiederum Geld inneue kulturelle Inhalte investiertwerden – und damit in dieschöpferischen Leistungen vonKreativen und Künstlern. OhneVerwertungsgesellschaften wärees viel umständlicher, Rechte ankulturellen Leistungen zu erwer-ben, die wiederum die Existenz-

grundlage von Kulturschaffen-den bilden. Die VG Media trägtso – wie alle anderen Verwer-tungsgesellschaften – erheblichzur Kulturellen Vielfalt bei.“ Die VG Media ist die Verwer-tungsgesellschaft der privatenFernseh- und Hörfunksender. Sievertritt die Urheber- und Leis-tungsschutzrechte nahezu dergesamten privaten Rundfunk -industrie in Deutschland undmehrerer Sender aus weiterenLändern, zusammen derzeit 118Sendeunternehmen.

Verwertungsgesellschaften und die Kulturelle Vielfalt

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Justus Thorau, Stipendiat desDirigentenforums des Musikrats,gewann beim Dirigentenwettbe-werb im Rahmen des Internatio-nalen Sommerfestivals „Little Pa-ris“ in Bukarest. Justus Thoraukonnte sich gegen 60 Mitbewer-ber aus über 20 Nationen durch-setzen.

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InternationalerBach/Liszt Orgel-wettbewerb

Aus Ungarn kommen die bei-den Preisträger des 2. Internatio-nalen Bach/Liszt-Orgelwettbe-werbs. Der mit 12000 Euro do-tierte 1. Preis, gestiftet von derCommerzbank-Stiftung, wurdenicht vergeben. Den mit 8000Euro dotierten 2. Preis, gestiftetvon der Stadt Weimar und derSparkasse Mittelthüringen, wur-de an den Organisten Péter Ko-váts verliehen. Den mit 5000Euro dotierten 3. Preis, gestiftetvom Thüringer Ministerium fürBildung, Wissenschaft undKunst, empfing Agoston Toka. Fi-nalisten-Diplome in Höhe von1000 Euro gingen an die beidendeutschen Endrundenteilneh-mer, Marcel Andreas Ober undLukas Maschke, der sich außer-dem den mit 1 000 Euro do -tierten Sonderpreis für die besteLiszt-Interpretation sichern konn -te. Der Sonderpreis für die besteBach-Interpretation in Höhe von1 000 Euro wurde kurzerhandumgewidmet zu einem weiterenSonderpreis für die beste Liszt-In-terpretation, den die JapanerinMami Nagata gewann.

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BKM-Preis „Kulturelle Bil-dung“ 2011: Staatsminister BerndNeumann, der Beauftragte derBundesregierung für Kultur undMedien, verlieh in der StiftungGenshagen den mit insgesamt60 000 Euro dotierten BKM-Preis „Kulturelle Bildung 2011“.In seiner Rede unterstrich Neu-mann die Bedeutung der kultu-rellen Bildung. Aus zehn nomi-nierten Projekten wurden diedrei folgenden Projekte ausge-zeichnet: die Telenovela „Es gehtum Dein Leben“, „Der unbe-kannte Krieg – Ein multimedia-les Projekt gegen das Vergessen“

und das Kunstprojekt „Paradies2“. Die Laudatoren HildegardBockhorst, Geschäftsführerin derBundesvereinigung KulturelleKinder- und Jugendbildung,Christian Höppner, Generalse-kretär des Deutschen Musikratsund Vizepräsident des Europäi-schen Musikrats, und MatthiasPannes, Bundesgeschäftsführerdes Verbandes deutscher Musik-schulen, unterstrichen in ihrenLaudatios den Vorbildcharakterund die innovative Realisierungder ausgezeichneten Projekte in-nerhalb der Bildungs- und Kul-turlandschaft.

ausgezeichnet

Leopold – Medienpreis „GuteMusik für Kinder“ wurde am 23.September vom Verband deut-scher Musikschulen zum achtenMal verliehen. Rund 200 Musik-produktionen waren eingereichtworden, 28 schafften es auf dieEmpfehlungsliste der Experten-jury. Sechs Produktionen wurdennun mit dem Preis ausgezeich-net. Die Gewinner sind: das MusicalPrinzessin Knöpfchen und PrinzSchleimi, das OrchesterhörspielAlice im Wunderland, die Lieder-CD Wer hat die Kokosnuss geklautsowie die Produktionen Der Josamit der Zauberfiedel, Das Orchesterzieht sich an und die ZEIT-EditionGroße Klassik für kleine Hörer.

ECHO-Klassik für Nach -wuchs förderung: Die DeutschePhono-Akademie, das Kultur -institut des BundesverbandesMusikindustrie e.V., gab die Ge-winner der Kategorie „Sonder-preis der Jury für Nachwuchs-förderung im Bereich der Klas-sik“ bekannt. Ausgezeichnetwurden in diesem Jahr die Mu-sikalische Akademie des Bayeri-schen Staatsorchesters e.V. fürdas Jugendorchester „ATTACCA“sowie der landesweite Nach-wuchswettbewerb „Jugend mu-siziert“. Beide Projekte werden für ihrgroßes und nachhaltiges Engage-ment im Bereich der Nach-wuchsförderung geehrt.

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ARD-Musikwettbewerb – indiesem Jahr in den FächernOboe, Trompete, Klavier und Or-gel – entschieden. Insgesamt gabes drei erste, fünf zweite undfünf dritte Preise. Der 23-jährigeukrainische Pianist Alexej Gor-latch konnte am meisten über-zeugen und gewann den 1. Preis.Das Publikum stimmte mit derJury überein und verlieh Gor-latch auch den Publikumspreis.Der 2. Preis im Fach Klavierwurde der 21-jährigen Tori Hu-ang aus den USA zugesprochen,der Südkoreaner Da Sol Kim(22) kam auf Platz drei.

Classical:NEXT –neues Fachforum

Von Mittwoch, 30. Mai bisSamstag, 2. Juni 2012 wirdMünchens großes Kultur- undBildungszentrum Gasteig Gast-geber der ersten Classical:Next(www.classicalnext.com) sein.Dieses neue, internationale Bran-chenforum richtet sich an alleprofessionellen Akteure der erns-ten Musik, um gegenwärtigeund zukünftige Herausforderun-gen zu thematisieren. Von Alterbis zu zeitgenössischer Musik,traditioneller bis experimentellerKlassik – Classical:Next soll allenmusikalischen Epochen und Sti-listiken einen Platz geben.

Der Musikfest-Preis in Bre-men geht 2011 an den japani-schen Dirigenten, Organistenund Cembalisten Masaaki Su -zuki: Mit dem Musikfest-Preiszeichnet das Festival seit 1998jährlich bedeutende Solisten, En-sembles, Orchester und Dirigen-ten aus, die durch ihr herausra-gendes künstlerisches Wirken inder internationalen Musikwelteigenständige Akzente gesetzthaben. Die Auszeichnung ist mit25 000 Euro dotiert und wirdvon der Commerzbank-Stiftungausgestattet. Preisträger der ver-gangenen Jahre waren u. a. SirJohn Eliot Gardiner, Jessye Nor-man, Nikolaus Harnoncourt undAnne Sofie von Otter.

Chor, einen Männerchor und ei-nen Knabenchor. Er arbeitete mitdem Deutschen Chorverbandzusammen, unterrichtete an denUniversitäten Bonn und Pader-born auch das Fach Chorleitungund verfasste zusammen mit sei-nem langjährigen Kollegen undFreund Wilfried Fischer dasHandbuch der Chormusik.Zahlreiche Auszeichnungen un-terstrichen Hans Günther Bas -tians Reputation als Forscherund politischer „Beweger“, dernicht ohne eine tief verwurzelteÜberzeugung lebte: „Selbst-zweck, Wertfreiheit und Autono-mie von Forschung sind unan-tastbare Werte, doch Forschungsollte auch einen weitergehen-den Sinn haben: Sie soll der Ge-sellschaft dienen und politischverwertbar sein. (Zu) viele Kin-der haben sozialbedingt keineChance auf eine qualifizierteMusikerziehung. Als Wissen-schaftler und Forscher möchteich meiner Umgebung nicht dieChance geben, das akademischevom politischen Engagement zutrennen. Im Dienste der Musikmöchte ich mich für eine kin-der- und jugendfreundliche Bil-dungs- und Kulturpolitik, einePolitik mit Musik, einsetzen.“Am 11. Juli verunglückte HansGünther Bastian bei einem Ver-kehrsunfall tödlich.

Hans Bäßler

Hans Günther Bastian isttot – diese Nachricht schockierteim Juli die Fachkollegen ebensowie eine größere kulturinteres-sierte Öffentlichkeit. Bastian warnicht allein im musikpädagogi-schen Umfeld eine Institution,wie kaum ein anderer erreichteer die Öffentlichkeit durch seineForschungsergebnisse, wie kaumein anderer war er in den Me-dien präsent, wenn es um dieBedeutung der Musikerziehungging. Seine im Jahre 2000 veröf-fentlichte Langzeitstudie zur Fra-ge der Wirkung der Musik unddes Musikunterrichts an zwölfBerliner Grundschulen war allesandere als unumstritten und be-wegte die Gemüter sehr stark;sie wurde auf Kongressen und inHochschulen ebenso diskutiertwie in den Ministerien oder imSpiegel und in der Zeit. Regelmä-ßig luden ihn daraufhin die ein-schlägigen Talkshows ein, wennes um die Frage der musikali-schen Förderung ging. Und erwarb für die musikalische Bil-dung mit einer Verve wie kaumein zweiter in Deutschland.Nicht ganz so öffentlichkeits-wirksam, aber in anderer Weisefolgenreich waren seine For-schungen zur Frage der Hochbe-gabung und dementsprechendzu den „Jugend musiziert“-Preisträgern. Hier waren ihmgrundsätzliche Fragen wichtig:Erreicht die Organisa tion desWettbewerbs wirklich die Hoch-begabten, welche Perspektivenhaben sie im späteren Berufsle-

ben? Die Ergebnisse überrasch-ten vielleicht nicht jeden, dermit dem Wettbewerb zu tun hat;ihm aber ist zu verdanken, dassdie Ergebnisse in die Öffentlich-keit kamen. Auf diesem Hinter-grund ist es auch seiner Initia -tive zu verdanken, dass das heutevon Heiner Gembris geleiteteuniversitäre Paderborner „Insti-tut für Begabungsforschung undBegabtenförderung in der Mu-sik“ ins Leben gerufen wurde –einzigartig in seiner Art. Nach seinem Musikstudium inFrankfurt am Main arbeitete Bas-tian zunächst an den Universitä-ten Gießen, Bonn und Pader-born, bevor er 1998 auf einenLehrstuhl zurück nach Frankfurtging. Hier wurde er 2005 emeri-tiert; er zog sich mit großer Ver-ärgerung darüber aus der Lehrezurück, dass die Musiklehreraus-bildung von der Universität wegan die Musikhochschule verlegtwerden sollte.Bastian engagierte sich auch sehrstark ehrenamtlich. Im Deut-schen Musikrat leitete er dieFachkommission „Musikpädago-gische Forschung“, zudem warer Vorsitzender des Arbeitskreisesfür Schulmusik und der Bundes-fachgruppe Musikpädagogik. Mu -sik & Bildung beriet er zeitweisegenauso wie den ARD-Musik-wettbewerb und den DeutschenChorwettbewerb. Überhaupt wardas Thema Chor sein Lebensthe-ma: Stark aus der kirchlichenChortradition kommend leiteteer lange Jahre einen gemischten

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„Für eine Politik mit Musik“ – Eine Erinnerung an Hans Günther Bastian

Kulturelle Bildungvon Kindern fördern

In einem offenen Brief appel-lierte Christian Höppner, Gene-ralsekretär des Deutschen Musik-rats und Vizepräsident des Euro-päischen Musikrats, an den Re-gierenden Bürgermeister vonBerlin, sich der Gesamtverant-wortung für die kulturelle Bil-dung von Kindern und Jugend -lichen zu stellen und mit um-fänglichen Investitionen kon -tinuierliche und qualifiziertekulturelle Bildungsangebote zuermöglichen. Den Brief könnenSie nachlesen unter: www.mu-sikrat.de

Mixed up-Preise2011 in Köln verliehen

Im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum wurden sechs Koopera-tionsprojekte von Kultur undSchule mit dem Mixed-up-Preisder Bundesvereinigung Kulturel-le Kinder- und Jugendbildung(BKJ) und des Bundesministeri-ums für Familie, Senioren, Frau-en und Jugend (BMFSFJ) ausge-zeichnet. Die preisgekrönten Pro -jekte, die sich im Rahmen dersiebten Ausgabe des bundeswei-ten Wettbewerbs gegen 339 Be-werber durchsetzten, liefern ein-drucksvolle Beispiele für dieÜberwindung von Bildungsbar-rieren. Auf bilateraler Kooperati-onsebene oder aber eingebettetin größere Netzwerkstrukturengestalten sie in gemeinschaftli-cher Zusammenarbeit ganzheit-lich ausgerichtete Bildungsange-bote für Kinder und Jugendli-che.

Konzertpublika gehören zur Klasse freiwillig konstituierterAggregate: Alle Besucher einer Veranstaltung haben im Rahmendes gegebenen Angebots dieselbe Wahl getroffen – eine Wahl,die auch eine kulturelle Zugehörigkeitsentscheidung bedeutetund mit der Verausgabung zweier wichtiger Ressourcen verbun-den ist: Zeit und Geld. Der Konzertbesuch unterliegt dabei, wiedie Publikumsforschung gezeigt hat, strukturierter sozialer Un-gleichheit. Bildung, sozioökonomischer Status, Lebensalter undGenerationszugehörigkeit, aber auch die familienständische Si-tuation sowie bestimmte Einstellungen und Werte sind einigeder Faktoren, die mit der Wahlhandlung „Konzertbesuch“ inZusammenhang stehen und sie beeinflussen können.Auf dem Feld des organisierten Musiklebens bedeutet „ein Pub -likum haben“ Legitimität für die betreffende Musikart: Daseins-recht auf einem Terrain existenzieller Konkurrenz sowie relativeGeltung der mit der Musik und dem Handlungskomplex „Kon-zert“ verbundenen Werte und Haltungen. Die Legitimität basierthier auf dem Erfolg auf Märkten und kann, wenn der Erfolg imunverzerrten Wettbewerb erzielt wurde, als „absolute Marktlegi -timität“ angesprochen werden. Sie ist nicht gegeben, wenn ein

System, wie im Orchesterwesen oder der Oper, zu mehr als dreiVierteln von Zuwendungen der öffentlichen Hand getragenwird. In diesem Fall ist das Publikum ein wichtiges Komple-ment zur „diskursiven Legitimität“ („Rechtfertigungskonsens“),auf welche die Subventionierung sich stützt: Es beweist, dass die Sache lebensfähig ist und von ausreichenden Teilen der Gesell-schaft getragen wird.

Bedingungen der PublikumsentwicklungDoch wie stabil sind die Publikumsstrukturen als Grundlage desKonzertlebens, und welche Dynamiken kennzeichnen sie? DieseFrage stellt sich auch vor dem Hintergrund der schärfer wer-denden allgemeinen Verteilungskämpfe immer häufiger, und sieverbindet sich mit wichtigen Fragen soziokultureller Identitäts-bildung in Gegenwart und Zukunft überhaupt.Die Rahmenbedingungen für die Publikumsentwicklung sinddenn in der Tat auch auf dem sozialen und allgemeinen kultu-rellen Feld zu suchen. Wichtigster einzelner sozialer Faktor istder demografische Wandel mit seinen drei Teilaspekten der Be-völkerungsschrumpfung, der altersstrukturellen Verschiebungen

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Die Konzertpublikain Deutschland

Eine Szenariodiskussion bis 2050Hans Neuhoff und Jan P. Peschlow

In den nächsten Jahrzehnten wird sich die Publikums -struktur durch den demografischen und kulturellen Wandelverändern. Wenn aber die Legitimationsressource Publikumimmer knapper und das Auslastungsproblem der Kulturinsti-tutionen immer größer wird, sind starke Kürzungen im Bereich Musik unaufhaltsam. Das Konzertleben in Deutsch-land sieht sich tiefgreifenden Änderungen gegenüber.

Relationen zwischen Alt und Jung verändern sich – auch im Musikleben

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sowie des wachsenden Anteils von Personen mit Migrationshin-tergrund. Wichtigste allgemeinkulturelle Prozesse sind die tech-nikinduzierte Medialisierung und der damit zusammenhängen-de quantitative und diskursive Aufstieg populärer Stile. Alle dieseFaktoren interagieren selbstverständlich mit weiteren Mechanis-men der kulturellen Formationsbildung.

Demografischer WandelDer demografische Wandel zählt unstrittig zu den größten ge-sellschaftlichen Problemen Deutschlands. Es wäre wirklichkeits-fremd zu glauben, dass er ohne Folgen für das Musikleben blei-ben könnte. Nach der zwölften Bevölkerungsvorausberechnungdes Statistischen Bundesamtes (2009) wird die BevölkerungDeutschlands wegen des rasant wachsenden Geburtendefizits von81,5 Millionen im Jahr 2010 auf 69,4 Millionen im Jahr 2050sinken (Für das Jahr 2060, den Endpunkt der Vorausberech-nung, werden 64,7 Millionen erwartet.).Im Zuge dieses Prozesses werden sich die Relationen zwischenAlt und Jung verändern. Die Zahl der Personen im erwerbsfähi-gen Alter (20-65 Jahre) geht von 50 Millionen im Jahr 2008 auf

39 Millionen im Jahr 2035 und 33 Millionen im Jahr 2060 zu-rück, zugleich wird die Erwerbsbevölkerung strukturell immerälter. Der so genannte „Altersquotient“ für 65 (Anzahl der Per -so nen von 65 Jahren und älter auf 100 Personen im er werbs -fähi gen Alter) wird sich bis 2060 nahezu verdoppeln: Lag er 2008bei 34:100, wird für 2060 ein Quotient von 67:100 erwartet.Kinder und Jugendliche werden – diese Tendenz ist im öffentli-chen Erscheinungsbild schon heute spürbar – zu Minderheiten.Gegenwärtig stehen 14,8 Millionen Personen unter zwanzig Jah-ren 16,8 Millionen Personen der Gruppe 65 Jahre und älter ge-genüber. Das entspricht einem Anteil dieser Gruppen an der Ge-samtbevölkerung von 18 zu 21 Prozent. Für 2050 wird ein Ver-hältnis von 10,7 Millionen zu 23,0 Millionen erwartet (Anteilan der Gesamtbevölkerung 15 zu 33 Prozent). Zum Vergleich: Inder zweiten Hälfte der 1960er Jahren kamen auf rund 23,5 Mil-lionen Personen unter zwanzig Jahre 10,5 Millionen der Grup-pe 65 Jahre und älter (Anteil an der Gesamtbevölkerung 30 zu13 Prozent). Im Deutschen Reich um 1910 gar zeigte der Al-tersaufbau noch die klassische Pyramidenform: Kinder und Ju-gendliche stellten 44 Prozent der Gesamtbevölkerung.

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Die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer hat in den ver-gangenen dreißig Jahren um vier Millionen auf gegenwärtig 7,3Millionen zugenommen. Bezieht man alle Personen mit Migra -tionshintergrund ein, sind es rund 15 Millionen (18,8 Prozentder Gesamtbevölkerung). Bei einem Wanderungssaldo im obe-ren Bereich des Wahrscheinlichkeitskorridors steigt ihr Anteil bisMitte des 21. Jahrhunderts auf 30 Prozent. Dabei spielt auch ei-ne Rolle, dass Frauen mit Migrationshintergrund die höchsteGeburtenhäufigkeit haben. Ein wichtiger Aspekt dieser „Gruppe“ist ihre ethnische Heterogenität, mit Konsequenzen für dieSelbstwahrnehmung der meisten ethnischen Gruppen als Min-derheit und entsprechender Partikularität und Diversität ihrerkulturellen Aktivitäten.

Kultureller WandelDas Schlagwort vom „kulturellen Wandel“ ist einfach und kom-plex zugleich. Einerseits ist der Wandel evident und für jeden imAlltagsleben spürbar, andererseits erweist er sich bei genaueremHinsehen als vielschichtig und multifaktoriell bedingt. Technik -induzierter sozialer und kultureller Wandel kann als dominantesMerkmal der abendländischen Moderne seit dem frühen 19. Jahrhundert angesprochen werden (Dampfkraft, Elektro-technik, Rotationspresse usw.). Bedeutende Erfindungen für den spezielleren Bereich der Musik waren dann die Technologiender Klangspeicherung, der Klangübertragung und der Klang -synthese.Zwei wichtige allgemeine Konsequenzen sind die gewaltig an-schwellende gesellschaftliche Produktivität und das Aufkommender medienbasierten Massenkommunikation. Sie betrifft auchden kulturellen Bereich im engeren Sinne, insbesondere durchdie exponentiell sich erhöhende Produktion und Emission kul-tureller Zeichen (Texte, Bilder, Klänge). Zu den gängigen musik-bezogenen Topoi zählt, dass die Loslösung der Musik von Zeitund Ort ihrer Entstehung und die immer leichtere Verfügbarkeitimmer größerer Repertoires neue, rein medienbasierte Hörkul-turen sowie neuartige Wissens- und Präsenzformen von Musikheraufgeführt hat.

Während dabei im Bereich der „Umgangsmusik“ und populä-ren Stile um 1900 eine lange Folge von Innovationen anbrichtund dieser (medienbasiert) breite Hörerschaften erreicht, setzt,ganz anders, im Bereich der Kunstmusik eine Historisierungund Kanonisierung des Konzertrepertoires mit Werken des 19.und 18. Jahrhunderts ein: Es entsteht die „klassische Musik“.Gleichsam im Gegenzug zu dem raschen Wandel aller Lebens-verhältnisse konstituiert sich mit ihr ein kulturelles Erbe und Er-fahrungsgut, das für seine bürgerlichen Trägerschichten zu-gleich Traditions-, Bildungs- und soziale Abgrenzungsfunktio-nen übernimmt – Funktionen, die dieses Repertoire über Jahr-zehnte hinweg behalten sollte. Infolge ihres Schrift- und Werk-charakters – der Notentext ändert sich nicht – bleibt die klassi-sche Musik allerdings „nominell gleich“ und wird kognitiv im-mer älter.Auf der Ebene der Individuen ist eine wichtige Folge des hohenVeränderungstempos die Entstehung generationsspezifischerkultureller Wissensbestände („Kohorten- oder Generations -effekt“). Wie die psychologische Forschung gezeigt hat, entwi-ckeln Individuen eine dauerhafte emotionale Bindung vor alleman diejenigen zeitgeschichtlichen kulturellen Phänomene, diesie im Alter zwischen 18 und 28 Jahren kennen gelernt haben(Filme, Helden, Symbole, Musik usw.), und tragen diese meistlebenslang mit sich fort. Gesamtgesellschaftlich resultiert eineepistemische und kognitive Abkopplung der Generationen von-einander, die bis zur Entfremdung reichen kann.Effekte des biologischen Alters betreffen demgegenüber Orien-tierungs- und Verhaltensänderungen, die generationsunabhän-gig in bestimmten Altersstufen auftreten. Hierzu zählt etwa dassteigende Bedürfnis nach Ruhe, Ordnung, Harmonie und Tradi-tion im mittleren und höheren Erwachsenenalter, das einer derGründe für die verstärkte Zuwendung dieser Altersgruppen zurklassischen Musik ist.Der neuere kulturelle Wandel, wie er sich in der Mitte der1980er-Jahre abzuzeichnen beginnt und in den 1990er-Jahrenbeschleunigt hat, betrifft einerseits den von Kabel- und Satelli-tenfernsehen, Digital- und Computertechnologie sowie schließ-

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Opernhäuser kämpfen bereitsjetzt mit massiven Auslastungsproblemen

Eine Pyramide wie 1910 stelltdie deutsche Bevölkerungsstrukturschon lange nicht mehr dar

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lich dem Internet getragenen Medialisierungsschub, andererseitsdie Generational Politics der bildungshoch und postmateriellsozialisierten Nachkriegsgenerationen (exemplarisch: die Wäh-lerschaft der Grünen). Sie sind mit Rock- und Popmusik aufge-wachsen, mit autoritätsfreier Erziehung, haben partizipatorischeSozial- und Kulturpraxen entwickelt und sind gerne außerhäus-lich aktiv. Das bürgerliche Kunstverständnis aber, das auf denbeiden Säulen vom Individualitäts- und Bildungsgedanken be-ruht(e), wird immer unverbindlicher.Rock- und Popmusik durchlaufen einen mehrfachen Status-wechsel: Es beginnt ihre Geschichts- und Traditionsbildung (diesie zur Übernahme von Orientierungsfunktionen im gesamtkultu -rellen System befähigt), sie erfahren eine diskursive Aufwertungals legitime Ausdrucks- und Erfahrungsformen, werden „wissen -schaftsfähig“ und halten Einzug in das akademische Ins ti tu -tions wesen. Nirgendwo kann man dies leichter und deutlicherablesen als am Wandel der Feuilletons der großen Tageszeitun-gen: Beschränkten diese noch Anfang der 1980er-Jahre ihre Be-richt- und Diskursfunktion auf hochkulturell ausgewiesene, „le-gitime“ Phänomene, so sind heute weite Teile populärer Kulturdarin zu finden. Niemanden überrascht und kaum jemandenstört es, wenn heute in FAZ oder SZ neben einer Bayreuth-Pre-miere ein Eminem-Release besprochen wird. Phänotypisch trittuns dieser Wandel im „musikalischen Allesfresser“ entgegen (Ri -chard Peterson), einer bildungshohen Person, die die Musik ver-schiedener sozialer und ethnischer Gruppen (auch klassische Mu-sik) in ihrem jeweiligen Recht erkennt, anerkennt und genießt.

Szenarien und PerspektivenDer demografische und der allgemeine kulturelle Wandel sindals Bedingungen für die spezielleren Prozesse des Musik- undKonzertlebens aufzufassen. Sie schlagen aber nicht immer direktauf Strukturen des Musiklebens durch. Manche Effekte laufenüber Vermittlungsinstanzen (z.B. die politischen Entscheidungs-träger), die ihrerseits noch weiteren Bedingungen unterliegen,aber auch autonome Aspekte besitzen können. Außerdem gibt esautonome Kräfte auch im Musikleben selbst sowie das Behar-

rungsstreben historisch gewachsener Strukturen. Wir haben esdaher mit komplexen Situationen und, einmal mehr, mit multi-faktoriell bedingten Prozessen zu tun. Dennoch ist eine Reihe großer Tendenzen erkennbar und be-schreibbar. Schon die Bevölkerungsgröße selbst hat vielfältigeAuswirkungen. Das betrifft, zunächst in der Gesamtheit betrach-tet, die Größe von Märkten und Institutionengefügen. Es wirdabsolut weniger – noch weniger – Nachfrager geben, freilich mitunterschiedlicher Betroffenheit altersspezischen Nachfragever-haltens. Modifiziert wird dieser Generaleffekt regional und lokaldurch Wanderungsbewegungen zwischen den Regionen Deutsch-lands. Die Regionen und Großstädte befinden sich ihrerseits be-reits im Wettbewerb um Bevölkerung, insbesondere um Zuzugund Bindung junger, gut ausgebildeter und deutscher Personen.Gleichzeitig sinken mit der Zahl der Erwerbstätigen die Einnah-men aus Steuern und anderen Abgaben. Das betrifft die Finan-zierungsmöglichkeiten derjenigen Institutionen und Veranstal-tungen, deren Kosten überwiegend durch Zuwendungen deröffentlichen Hand gedeckt werden, also die meisten Orchesterund die Opernhäuser, aber auch Veranstaltungsreihen mit popu-lären (vor allem internationalen) Ensembles und Bands, wie sievon vielen Städten durchgeführt werden, schließlich aber auchMusikschulen und die Förderstrukturen im Projektbereich.Dieser Effekt wird noch verstärkt durch die notwendige Reformder Transferleistungen im Sozialsystem. Da bis 2050 und darü-ber hinaus immer weniger Erwerbstätige immer mehr Ruhe-ständler umlagefinanzieren müssen, wird vor allem in den„nicht notwendigen“ Bereichen gekürzt werden – zu denen dieMusik gehört. Maßnahmen wie die Erhöhung des Rentenein-trittsalters oder die verstärkte Ansiedlung hochqualifizierter (ab-gabestarker) Gewerbe- und Dienstleistungsstrukturen könnendiese Entwicklung allenfalls mildern, nicht aber aufhalten.Schließlich kommt für die Orchester und Opernhäuser das sichverschärfende Auslastungsproblem hinzu. Für die Mehrzahl vonihnen, insbesondere die Opernhäuser, besteht dieses Problembereits, und zwar mitunter massiv, wie die Statistiken des Deut-schen Bühnenvereins zeigen.

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Hat das klassische Orchester bald ausgedient?

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Kulturorchester und Opernhäuser: Schrumpfung undMarktorientierung, Trend zum FestivalSelbst wenn man einen altersbedingten Klassikeffekt annimmt,diesen in der Gruppe 48 bis 77 Jahre ansiedelt und damit nocheinen leichten Zuwachs der zentralen Rekrutierungsmasse fürKlassik von gegenwärtig 31 Millionen auf 32,5 Millionen inden Jahren 2015 bis 2025 erwartet (danach beginnt diese Zahlzu sinken), so ist doch mit Blick auf die veränderte Kulturorien-tierung der bildungshöheren Bevölkerungsgruppen nicht nurmit einem weiteren Altern dieser Publika zu rechnen (sie sindnach den Publika der volkstümlichen Musik bereits die ältes-ten), sondern auch mit ihrer Schrumpfung. (Den Haupteffektdurch Zuwachs der „Rekrutierungsmasse 48-77“ hat der Klassik -bereich übrigens soeben durchlaufen: Sie wuchs von 25,6 Millio -nen im Jahr 1993 auf erwartete 31,5 Millionen im Jahr 2012.)Für die zuwendungsfinanzierten Institutionen, allen voran dieOpernhäuser, ist die Konsequenz einer „deutlichen Reduzierung“ihrer Zahl und Dichte in den kommenden Jahrzehnten daherunausweichlich. Konkret werden – unbeschadet möglicher lokalerSonderentwicklungen – vor allem kleinere und regional ausge-richtete Spielbetriebe eingestellt werden. Hervorgehen aus die-sen Prozessen wird eine schlanke Leuchtturmstruktur hervor -ragender Häuser, die auch internationales Publikum anziehen.Dies wird begünstigt durch eine weiter wachsende Mobilität,insbesondere die schnellen Verbindungen, die einen Veranstal-tungsbesuch auch über größere Entfernungen ermöglichen.Aber auch die Angebotsstruktur und der Gesamtcharakter dieserEinrichtungen werden sich wandeln. Denn wenn die Legitima -tionsressource Publikum knapper wird, verschärft sich derKampf um sie. Es ist daher wahrscheinlich, dass Intendanten-herrlichkeit zugunsten von Wettbewerbsstrukturen zurückgehenwird und dass Publikumswünsche sehr viel mehr das Programmund die Gestaltung von Aufführungen und Ambiente beeinflus-sen werden, als das bislang der Fall war. Damit durchlaufen diese Häuser einen Wandel von der organisa-tions- zur besucherzentrierten Kultureinrichtung, der sowohl

der von Gerhardt Kapner vor 25 Jahren formulierten Epochen-tendenz einer Schwerpunktverlagerung im Kunstsystem von denAuftraggebern über die Künstler und die Vermittler hin zumPub likum entspricht als auch der marktdemokratischen Basis-ideologie unserer Gesellschaft. Das bedeutet auch, dass die ge-sellige Seite und der Unterhaltungsaspekt von Veranstaltungen,die von vielen vermisst werden, ihr Recht anmelden werden.Der künstlerische Autonomieanspruch aber – im allgemeinenBewusstsein ohnehin längst geschwächt (exemplarisch hierfürist die Publikumskritik am Regietheater) – wird nun auch nochnach den Regeln von Märkten zurückgeschnitten.Bedroht ist aber auch die Institution des festen Spielbetriebsüberhaupt – zugunsten des Festivalkonzepts. Der Trend zum Fes-tival ist seit Jahren zu beobachten. Eventcharakter, effektivereBewerbung, geringere laufende Personalkosten, der Wegfall län-gerfristiger Verpflichtungen, zeitliche Flexibilität, Spezialisie-rungschancen und anderes mehr sind Punkte, die es Städtensehr viel mehr erlauben, in dem anstehenden Strukturwandelein prestigeträchtiges kulturelles Aushängeschild zu erhalten alsdie Etatbürde eines festen Spielbetriebs. Damit wird schließlichdas Marketing-Denken in einem Maß und einer Form im Hoch-kulturbereich Einzug halten, die man bislang hier für wesens-fremd hielt. Das Wort des Netrebko-Managers Jeffrey D. Vander-veen, das musikalische Veranstaltungswesen müsse sich mehram Erfolgsmodell des Sportmarketings orientieren, könnte nichtungehört verhallen.

Proportionale Zuwächse populärer Stile undvon „Soziokultur“Die Entwicklungsperspektiven in den nicht-zuwendungsfinan-zierten Bereichen des Konzertlebens sind von widersprüchli-chen Kräften gekennzeichnet. Einerseits schrumpft auch hier dieRekrutierungsmasse, und zwar umso mehr, als die meisten derzugehörigen Künstler und Genres jüngere Publika haben odersich durch ein junges Publikum etablieren (und dann mit die-sem altern). Gleichzeitig wächst die Angebotsseite durch die ra-

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Bedürfnis nach „Soziokultur“ steigt: der Musikkabarettist Lars Reichow

Szenekulturen sind vielfältig und bunt: Gabriel Vetter bei den Poetry Slam-Meisterschaften in St. Gallen

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sante Entwicklung der Produktivkräfte immer mehr an (zuzüg-lich der Verfügbarkeit von immer mehr älterer Musik auf Spei-chermedien), während auf der Nachfrageseite, neben ihrerSchrumpfung, Sättigungseffekte auftreten. Viele der Angebotesind gar nicht performancefähig und kommen für Konzertenicht in Betracht, viele andere dürften zu schwach sein, um ineinkommensrelevante Veranstaltungsstrukturen aufsteigen zukönnen.Andererseits haben die Etablierung populärer Genres in den Bil-dungsmilieus und der erörterte Strukturwandel dieser Milieusselbst die Rekrutierungsmasse für deren Konzertbesucher starkvergrößert. Das betrifft bereits die Babyboomer-Generation von1955 bis 1970. Die derzeit noch konzertierenden Altstars wer-den vor allem von ihnen frequentiert („Generationseffekt“).Wenn sie abtreten, werden andere Generationskünstler folgen,aber ihre Zahl bzw. ihr Publikumsvolumen wird analog zumGeburtenrückgang ab 1970 ebenfalls schrumpfen. Abträglich isthier außerdem, dass die individuelle Konzertbesuchshäufigkeit,insbesondere bei Pop und Rock, sehr viel geringer ist als imKlassikbereich (sie beträgt durchschnittlich nur zwei bis vierKonzerte im Jahr).Es ist aber fraglich, ob sich diese Logik ohne weiteren Struktur-wandel über die Generationen fortschreiben wird. Seit Rap,Techno oder House, die gegenwärtig schon in ihr viertes Lebens-jahrzehnt eintreten, hat es keine neue Stilkategorie vergleichba-rer Dimension mehr gegeben. Entwickeln sich hier keine neu-en, das zeitgeschichtliche Lebensgefühl reflektierenden Formen,könnte es zu einer Ausdünnung generationsgebundener Musikkommen – zugunsten anderer, mit dem Internet und seinenFolgestrukturen verbundener Bereiche von Alltagskultur. Im Ergebnis sprechen alle diese Punkte für eine weitere Diversi-fizierung des medialen Angebots populärer Musik, aus dem sicheine kleine konzertante Angebotsstruktur herausselektiert, mitwenigen Veranstaltungen großer internationaler Acts. Das betrifftdie Musik und Konzerte im engeren Sinne. Viele Beobachter ausKultur- und Stadtsoziologie erwarten für die nächsten zwei, dreiJahrzehnte daneben einen Fortbestand der lokalen Szenekulturen– manche halten die Existenz einer Szenekultur in der Konkur-renz der Städte sogar für wichtiger als einzelne traditionelleHochkulturinstitutionen.Generell hat das Interesse an außerhäuslichen Aktivitäten in derTat nicht nachgelassen, zumal aufgrund der niedrigen Gebur-tenrate die familiären und verwandtschaftlichen Strukturen aus-dünnen und das Bedürfnis nach „Soziokultur“ entsprechendsteigt. Und im Bereich der Bühnenkünste hat der Medialisie-rungsschub sogar zu einer Aufwertung des Live-Erlebnisses ge-führt. Allerdings sind die „Szenekulturen“ sehr vielfältig undbunt – Musik ist, neben Kabarett, Freien Theatern, Lesungen,Poetry Slams, Diskussionsveranstaltungen, Weinproben usw.über haupt nur eine Sparte oder ein Begleitphänomen darin – undsetzen sich daher aus kleinformatigen Elementen zusammen.

Kategorial verwandt, aber sozial geschieden, sind die Aktivitätender verschiedenen ethnischen Gruppierungen in Deutschland.Es gibt, von der deutschen Bevölkerung weitgehend unbemerkt,nicht nur ein ausdifferenziertes türkisches Sozial- und Kultur -leben, in dem stets auch Musik eine Rolle spielt, sondern es haben die meisten Communities von Migranten und deren Kin-dern ähnliche Stukturen aufgebaut, die durch Satellitenfernse-hen aus den Herkunftsländern eine zusätzliche Stütze erhalten.Die zweisprachig aufwachsenden n-ten Generationen dieserGruppen mischen sich einerseits in die Rekrutierungsmasse derübergeordneten populären Generationskulturen – befördern also deren ethnische Durchmischung –, bleiben daneben aberauch ihren Herkunftskulturen verbunden und entwickeln au-ßerdem eigene Stile. Interessenten für das deutsche Hochkultur-system sind dabei kaum zu erwarten (und wenn, so kommensie aus osteuropäischen Migrantenstämmen).Mittelfristig ist im Bereich von populärer Musik und Soziokulturin seiner Gesamtheit also ein relativer Größenerhalt zu erwar-ten, und proportional zum Klassikbereich bedeutet das einenZuwachs. Allerdings umfasst er ein sehr viel größeres Repertoirean Stilen und Formen als klassische Musik und Oper. Er stelltsich daher weniger als abgrenzbarer Bereich mit wenigen Ober-begriffen denn als fragmentiertes Terrain ohne Tiefenstrukturdar, das sich einem zusammenfassenden Verständnis entzieht.

FazitDas Konzertleben in Deutschland steht vor tiefgreifenden Ände-rungssprozessen, ja es befindet sich bereits darin. Demografi-scher und kultureller Wandel erodieren gleichsam von innen,von der Bevölkerungssubstanz her, die historisch gewachsenenStrukturen des Hochkulturbereichs und befördern die Fragmen-tierung in den Bereichen von Umgangsmusik, medienbasiertenpopulären Stilen und Lokalphänomenen. Während das Netz derzuwendungsfinanzierten Einrichtungen eine Verschlankung hinzu einer Leuchtturmstruktur überregional ausgerichteter Häuserund zu weiteren Festivals erfährt, kennzeichnet den medien-,markt- und initiativgesteuerten Bereich eine alters-, milieu- undlokalspezifische Struktur kleiner Systeme und Parzellen plus we-niger Stars, die übergreifendes kollektives Wissen verbürgen. DieNachfragerseite wird in allen Bereichen und auf allen Ebenengegenüber der Anbieterseite gestärkt. Wertrational motivierteund interventionistisch ambitionierte Bestrebungen aber (etwaim Sinne der Kunstidee) wären besser beraten, diese Entwick-lungen zum Ausgangspunkt ihres Tuns zu machen, als sich ih-nen zu verschließen.

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Hans Neuhoff ist Professor für Musiksoziologie und Musikpsychologie an der

Hochschule für Musik und Tanz Köln.

Jan P. Peschlow ist Musikpädagoge und Absolvent des Masterstudiengangs

Kunstmanagement an der Hochschule für Musik und Tanz Köln.

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Eine Infrastrukturerhebung zu Vermittlungsangeboten in Kultureinrichtungen Susanne Keuchel

Musikproduzenten oder Pädagogen?

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Seit 2004 hat sich die Diskussion um die Notwendigkeit vonJugend- und Vermittlungsangeboten in klassischen Kulturein-richtungen intensiviert. Unterstützt wurde dieser Prozess vonder empirisch nachgewiesenen Erkenntnis, dass das Interesse anklassischen Konzerten kein Alters-, sondern ein Generatio-nenphänomen ist. In einem Zeitvergleich der KulturBarometer-Reihe2 wurde deutlich, dass der jährliche Besuch von klassi-schen Musikkonzerten bei der jungen, aber auch der Elternge-neration und der jüngeren älteren Bevölkerung 20053 im Ver-gleich zu 19944 deutlich abgenommen hat. Ein deutlich ausge-prägtes Desinteresse der 14- bis 24-Jährigen an Angeboten derOrchester bzw. Musiktheater wurde zugleich im ersten Jugend-KulturBarometer 20045 sichtbar.

Musikvermittlung – ein neues Aufgabenfeld?Die eben skizzierte Entwicklung führte in den vergangenen Jah-ren zu einem wachsenden Engagement der Orchester und Mu-siktheater im Bereich der Musikvermittlung, das sich auch inder Infrastrukturerhebung im deutlichen Zuwachs an Bildungs-angeboten in den Einrichtungen seit 2004 abbilden lässt (vgl.dazu Übersicht 1). 90 Prozent der Orchester und alle befragtenMehrspartenhäuser investieren heute in Vermittlungsangebote.Durchschnittlich haben die Orchester 2,8 unterschiedliche Ver-mittlungsformate, wie moderierte Kinderkonzerte, Einführun-gen oder Musikworkshops, die Mehrspartenhäuser 4,6 Vermitt-lungsformate. Im Fokus der Formate der Mehrspartenhäusersteht allerdings der Sprechtheaterbereich (58 Prozent). Nur 21Prozent der Bildungsformate werden hier im Konzert- und 21Prozent im Musiktheaterbereich angeboten.

Mehr zielgruppenspezifische BildungsarbeitDer deutliche Zuwachs der Bildungsangebote in Orchestern undMusiktheatern kann vor allem auf die Erkenntnis zurückgeführtwerden, dass es heute wichtig ist, unterschiedliche Vermitt-lungsangebote für verschiedene Zielgruppen zu konzipieren(vgl. dazu Übersicht 2). Nur 18 Prozent der aktuellen Vermitt-lungsangebote in Orchestern und 20 Prozent in Mehrsparten-häusern sind offen für alle Bevölkerungsgruppen.Schulklassen stellen die größte Zielgruppe der klassischen Kul-tureinrichtungen, so auch der Musiktheater und Orchester, dar.Seltener schaffen es Orchester, junge Menschen in der Freizeit

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Das Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) führte 2009/2010für das Bundesministerium für Bildung und Forschung(BMBF) eine Infrastrukturerhebung zu Bildungsangebotenin klassischen Kultureinrichtungen, u. a. auch in Orchesternund Mehrspartenhäusern (Vollerhebung), durch.1 Im Fokusstanden Einführungen, Jugendtheaterclubs, moderierte Kin-derkonzerte, Themenworkshops und viele andere künstle-risch-kreative Bildungsangebote.

zu erreichen. Dafür konzentrieren sie sich im Rahmen von Fa-milienkonzerten etwas stärker als die anderen Kultureinrichtun-gen auf die Zielgruppe Familie. Die Mehrspartenhäuser setzenihren Schwerpunkt in der Vermittlung, wie schon erwähnt, aufdas Theaterangebot und erreichen dabei stärker Schüler der wei-terführenden Schulen und junge Menschen in der Freizeit. Dieseltenen Bildungsformate im Konzertbereich der Musiktheatersetzen dagegen ähnliche Akzente wie die Orchester.Auffällig ist der geringe Anteil von Bildungsformaten für Senio-ren bei den Mehrspartenhäusern und speziell bei den Orches-tern (4 Prozent). Dass es so wenige Bildungsveranstaltungen füreine Zielgruppe gibt, die ansonsten als Publikum in den Ein-richtungen so präsent ist, könnte u. a. auf fehlende didaktischeKonzepte für diese Zielgruppe6 zurückgeführt werden, mögli-cherweise auch auf eine gewisse Scheu, eine Zielgruppe zusätz-lich im Rahmen von Bildungsangeboten anzusprechen, die in-nerhalb des Publikums oftmals schon überrepräsentiert ist. Einesder wenigen Vermittlungsangebote, das sich zugleich an Jugend-liche und Senioren im Musiktheaterbereich wendet, ist dasTheaterprojekt „Schwund“ des Theaters Bielefeld und desAlarmtheaters. Dieses Generationsprojekt bedient sich verschie-dener Darstellungsformen, z. B. des Tanzes, des Schauspiels oderdes Gesangs, und thematisiert unterschiedliche inhaltliche As-pekte des demografischen Wandels wie Kinderkriegen, Tod oderJugendwahn.

Interkulturelle Konzepte und Bildungsangebote für migrantische Zielgruppen fehlenAllgemein zeigt sich in der Studie – auch bezogen auf alle ande-ren befragten Einrichtungen – ein deutliches Defizit bei Vermitt-lungsangeboten, die sich an migrantische Zielgruppen richten.Bei den Mehrspartenhäusern macht der Anteil der Bildungsan-gebote 2008, die sich auch (nicht nur) an Migranten richteten,3 Prozent aus, bei den Orchestern wie auch im Schnitt bei allenKultureinrichtungen etwa 1 Prozent und steht damit in keinerleiRelation zum Bevölkerungsanteil der Personen mit Migrations-hintergrund (19,6 Prozent)7 in unserer Gesellschaft.Das Gros der wenigen Bildungsangebote, mit denen die Kultur-einrichtungen nach eigener Aussage migrantische Zielgruppenerreichen wollen, sind in der Regel Schulprojekte in sozialenBrennpunkten. Statistisch ist die Gleichsetzung von Zielgruppen

mit migrantischem und bildungsfernen Hintergrund nicht halt-bar. Sehr selten sind Vermittlungsangebote, die kulturelle Erfah-rungen aus den Herkunftsländern migrantischer Zielgruppenaufgreifen, wie beispielsweise Workshops des Education-Pro-gramms der Berliner Philharmonie, die Bezug nehmen auf dieReihe „Alla turca“ mit Begegnungen von Künstlern und Musikaus Orient und Okzident.In Gesprächen mit Kulturschaffenden wird deutlich, dass nocheine große Unsicherheit vorherrscht, mit welchen Konzeptenund Vermittlungsangeboten man migrantisches Publikum ge-winnen kann. Dies gilt vor allem für interkulturelle Begeg-nungskonzepte, die gleichermaßen Zielgruppen mit und ohneMigrationshintergrund ansprechen und den Dialog anregen. In

der Infrastrukturerhebung gaben 31 Prozent der befragtenMehrspartenhäuser an, konkret einen Ausbau an Vermittlungs -angeboten für migrantische Zielgruppen zu planen, bei den Orchestern waren es 19 Prozent.

Zur Konzeption von musikalischen VermittlungsangebotenDie Orchester arbeiten eher mit rein rezeptiven Vermittlungsfor-maten (52 Prozent) als mit rein künstlerisch-kreativen Formaten(17 Prozent). Im Mittelpunkt der Bildungsveranstaltungen stehthier vielfach das Werk, beispielsweise im Rahmen von Work-shops zum Thema Komposition oder Einführungen, die Kennt-nisse zum Werk, zu den Orchesterinstrumenten und der Musik-

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0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 %

sonstige Klassen der Sekundarstufe

Grundschulklassen

Hauptschulklassen

Junge Menschen in der Freizeit

Auszubildende/Studierende

Familien

Kindertagesstättengruppen

Vorschulkinder

Senioren

bildungsferne Bevölkerungsgruppen

Migrantengruppen

andere

keine Einschränkung

Übersicht 2: Zielgruppen der Bildungsformate, differenziert nach Mehrspartenhäusern, Orchestern und sonstigen klassischen Kultureinrichtungen (Mehrfachnennungen möglich).

Kultureinrichtungen insgesamt ohne Mehrspartenhäuser und Orchester

Orchester

Mehrspartenhäuser

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seit 2005

2000 – 2004

1995 – 1999

1990 – 1994

1985 – 1989

1980 – 1984

vor 1980

Übersicht 1: Das Entstehungsjahr der Bildungsformate, die derzeit von den Kultureinrichtungen angeboten werden, differenziert nach Einrichtungsart.

Kultureinrichtungen insgesamt

davon Orchester

davon Mehrspartenhäuser

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theorie vermitteln. Zum Beispiel auch im Rahmen neuer Me-dien und Orte, wie „KlangReich“, das interaktive Klangmuseumder Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, das im Rah-men der Dauerausstellung nicht nur auf anschauliche WeiseGrundlagen der Musiktheorie und der Musikgeschichte vermit-telt, sondern auch Besucher animiert, verschiedenartige Instru-mente selbst auszuprobieren. Vor allem sind es aber die mode-rierten Konzerte für spezielle Zielgruppen, aber auch Proben -besuche, die den hohen Anteil an rezeptiven Bildungsformatenausmachen, wie auch der Besuch von Orchestermusikern in derSchule, der eine lange Tradition8 hat.Eine Besonderheit in den Mehrspartenhäusern stellen Bildungs-formate dar, die beide Aspekte – Theater und Konzert bzw. dasMusiktheater – aufgreifen. Allerdings gibt es eher wenige Ange-bote, die sich explizit mit der Vermittlung des Musiktheaters be-schäftigen, was wiederum auf das fehlende fachliche Ausbil-dungsangebot zurückgeführt werden kann. Eine der wenigenAusnahmen ist das Vermittlungsangebot „op|erleben“ in derStaatsoper Unter den Linden, in dem Schüler beispielsweiseselbst in die Rollen eines Opernwerks schlüpfen, einzelne Sze-nen nachspielen oder selbst weiterentwickeln.

Zu den Musikvermittlern in den Einrichtungen Akteure der Musikvermittlungsangebote sind anders als in denanderen Spartenhäusern vielfach die Orchestermusiker selbst.Liegt im Rahmen der Vermittlungsangebote in den anderen Kul-tureinrichtungen der Anteil der beteiligten Künstler bei 16 Pro-zent, liegt er bei den Orchestern bei 70 Prozent. Dies liegt u. a.daran, dass erst in jüngster Zeit der Konzert- bzw. Musikvermitt-ler in der universitären Ausbildung eine Rolle spielt. So existiertz. B. der Studiengang Musikvermittlung und Konzertpädagogikan der Hochschule für Musik in Detmold erst seit 1998. Die erste hauptamtliche Stelle für einen Konzertpädagogen in NRWrichteten 2003 die Duisburger Philharmoniker ein.Die Intensität des Engagements in der Musikvermittlung ist beiden Orchestern und Mehrspartenhäusern unterschiedlich ausge-prägt, im Gegensatz zu den Bibliotheken und Museen jedochnicht abhängig von der personellen und finanziellen Infrastruk-tur. Auffällig bei den Orchestern ist der Umstand, dass die Ange-botsvielfalt im Vermittlungsbereich mit der Anzahl beschäftigterMitarbeiter im Feld Pädagogik zwar zunimmt, die jährliche Zahlder kulturellen Bildungsveranstaltungen jedoch in keiner Bezie-hung zur Anzahl beschäftigter Vermittler steht: Hier spielen of-fenbar andere Faktoren eine Rolle, vermutlich das Engagementder Leitung oder anderer Einzelpersonen.

Empfehlungen für den künftigen Ausbau der MusikvermittlungViele Orchester und Musiktheater engagieren sich bereits nachden vorliegenden Daten der Infrastrukturerhebung im Bereich

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Susanne Keuchel ist geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Kulturfor-

schung (ZfKf), studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Soziologie an der

Universität Bonn und der Technischen Universität Berlin. Sie ist zudem Honorar-

professorin am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim sowie Dozentin

an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg.

der kulturellen Bildung. Ein Großteil der Mehrspartenhäuser (78Prozent) plant zudem künftig einen konkreten Ausbau des kul-turellen Bildungsangebotes für einzelne Zielgruppen. Bei denOrchestern liegt der Anteil bei 39 Prozent. Einig sind sich heuteweitgehend alle Kultureinrichtungen, dass Vermittlung auch ei-ne Aufgabe der Produzenten ist. Keines der befragten Orchesterund Musiktheater vermerkt bei einer entsprechenden Nachfra-ge, dass kulturelle Bildung nicht Aufgabe der eigenen Einrich-tung sei.Zugleich wünschen sich die Orchester und Musiktheater auchnoch mehr konkrete Unterstützung von Seiten der Kulturpolitik.Als sehr hilfreich wurde die Kontinuität der politischen Auf-merksamkeit für das Thema Kulturelle Bildung bewertet. Den-noch werden neben mehr finanzieller Unterstützung noch mehrAnerkennung für erfolgreich geleistete Bildungsarbeit in Kultur-einrichtungen durch öffentliche Foren, wie z. B. „Kinder zumOlymp“ oder der BKM-Preis „Kulturelle Bildung“, von den Ein-richtungen gefordert, ebenso wie mehr kommunale und regio-nale Steuerungsprozesse für das systematische Vernetzen vonSchulen und Kindergärten mit Kultureinrichtungen.

1 Susanne Keuchel, Benjamin Weil: Lernorte oder Kulturtempel – Infrastrukturerhe-

bung: Bildungsangebote in klassischen Kultureinrichtungen, Köln 2010. Insgesamt

antworteten 413 (54 Prozent) der 771 befragten Einrichtungen. Darunter waren 56

Orchester mit einem Rücklauf von 55 Prozent und 74 Mehrspartenhäuser mit ei-

nem Rücklauf von 49 Prozent.

2 Die KulturBarometer-Reihe ist eine bundesweite Bevölkerungsbefragung des

Zentrums für Kulturforschung zu wechselnden, aber auch wiederkehrenden Frage-

stellungen zu Kulturpartizipation und Einstellungen.

3 Zentrum für Kulturforschung, Gesellschaft für Konsumforschung (Hg.): 8. Kultur-

Barometer (Tabellenband), Bonn 2005.

4 Zentrum für Kulturforschung, Institut für angewandte Sozialwissenschaft (Hg.): 5.

KulturBarometer (Tabellenband), Bonn 1994/95.

5 Susanne Keuchel, Andreas Johannes Wiesand (Hg.): Das 1. Jugend-KulturBaro-

meter. „Zwischen Eminem und Picasso…“, Bonn 2006.

6 Kim de Groote, Flavia Neubauer: Kulturelle Bildung im Alter, hg. vom Europäi-

schen Zentrum für Kultur und Bildung im Alter (kuiba) und dem Institut für Bildung

und Kultur e.V. (ikb), Remscheid 2008.

7 vgl. Statistisches Bundesamt (Hg.): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölke-

rung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2009 –, Wiesbaden

2010, S. 7.

8 Gerald Mertens: „Zwischen Bildungsauftrag und Feigenblatt. Eine systematische

Analyse der Kinder- und Jugendarbeit von deutschen Orchestern“, in: das Orches-

ter 1/2005.

Tina M. besitzt ein Konzertabo des Wiener Musikvereins, wosie am liebsten Rudolf Buchbinders Beethoven-Interpretationenhört. Mit ihren Freunden geht sie spätabends gerne in den „Ost-Klub“ oder ins „Flex“, vor allem, wenn wieder mal ihr Lieblings-DJ Sugar B auflegt. Tinas digitale Musikbibliothek umfasst etwa3000 Dateien, die Bandbreite reicht von Miles Davis’ Blue in Greenüber einige Tracks der Beastie Boys bis hin zum aktuellen Albumvon Christina Stürmer. „Ich höre alles querbeet“, antwortet sie aufdie Frage nach ihren musikalischen Vorlieben und ergänzt: „Ichbin froh, einen so breitgefächerten Geschmack zu haben!“Alltagsbeobachtungen wie diese sind allgegenwärtig – und den-noch auch ein wenig verstörend. Sie entsprechen nicht mehrdem Bild, das insbesondere die Soziologie in den vergangenenJahrzehnten vom typischen Musikpublikum gezeichnet hat: aufder einen Seite die häufig aus gutbürgerlichem Hause stammen-den Klassik-Liebhaber, für die Kontemplation die einzig adäqua-te Form der Musikrezeption darstellt und die allem Populären inder Musik mit Ablehnung begegnen; auf der anderen Seite dietendenziell weniger gebildeten „U-Musik“-Hörer, die mit „be-schaulicher Betrachtung“ nicht viel am Hut haben und auch mitJohann Sebastian Bach nicht sehr viel anfangen wollen undkönnen.Galt bis vor Kurzem die Undurchlässigkeit der Grenze zwischenHoch- und Popularkultur noch als selbstverständlich, stellen

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Grenzüberschreitender Musikgeschmack in derGegenwartsgesellschaft Michael Parzer

Die Überwindung der Grenze zwischen Hoch- und Popular-kultur scheint zu einem zentralen Charakteristikum gegen-wärtigen Musikkonsums geworden zu sein. Höchste Zeit, ei-nige fundamentale kultursoziologische Annahmen zum The-ma Musikgeschmack über Bord zu werfen?

MusikrezipientInnen wie Tina M. mit ihrem grenzüberschrei-tenden Geschmack einige Annahmen über die Rigidität musika-lischer Vorlieben grundlegend infrage. In der neueren kulturso-ziologischen Diskussion ist mittlerweile von „musikalischer Al-lesfresserei“ die Rede; damit gemeint ist der Konsum von Klas-sik und Pop bzw. ein breitgefächerter und grenzüberschreitenderGeschmack. Für die Soziologie erfordert dieser Befund, einigetheoretische Gewissheiten über die gesellschaftlichen Implika-tionen musikalischer Vorlieben neu zu überdenken.

Musikalische Vorlieben und soziale DistinktionIn seiner berühmten Studie Die feinen Unterschiede1 analysiert derfranzösische Soziologe Pierre Bourdieu die gesellschaftliche Be-deutung von Geschmack. Ausgangspunkt ist die Kritik an dereng mit dem Aufstieg des Bürgertums verbundenen Unterschei-dung zwischen einem „reinen“ bzw. „wahren“ und einem„barbarischen“ bzw. „primitiven“ Geschmack. Bourdieus Zielist es, diese Hierarchie, die etwas zeitgemäßer in den Begriffs-paaren „Hoch- und Popularkultur“ oder „high culture“ vs. „lowculture“ zum Ausdruck kommt, als ideologisches Konstrukt zuentlarven und deren Effekte in der gegenwärtigen Gesellschaftaufzuzeigen.Für Bourdieu ist es nicht Zufall, welche Personen Gefallen anklassischer Musik finden, zumal er für die Ausprägung des Ge-schmacks in erster Linie die jeweilige Herkunftsfamilie verant-wortlich macht. Kinder, die bereits im frühkindlichen Alter mitMusik von Mozart und Beethoven in Berührung kommen unddazu noch die Möglichkeit haben, selbst ein Instrument zu ler-nen oder das Wissen über klassische Musik in der weiterenSchulbildung zu vertiefen, werden einen anderen Geschmack

„ICH HÖR alles VON

PUNKROCK BIS KLASSIK!“

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achtungen der französischen Gesellschaft der 1960er-Jahre.Weitreichende soziale Veränderungen im letzten Drittel des 20.Jahrhunderts stellen allerdings die Gültigkeit von Bourdieus An-nahmen in Frage. „Jenseits von Klasse und Schicht“3 lautet diemittlerweile als Individualisierungsthese in den soziologischenDiskurs eingegangene Gesellschaftsdiagnose, die Bourdieus Auf-fassung einer klassenspezifisch hierarchisierten Sozialstrukturfür mehr oder weniger obsolet erklärt. Die Bildungsexpansion,der Anstieg des Arbeitseinkommens, die zunehmende sozialeund geografische Mobilität sowie die aus der Verkürzung der Ar-beitszeit resultierende Aufwertung der Freizeit haben nicht nurzu einer erheblichen Verbesserung der Lebensbedingungen, son-dern auch zu einer bedeutsamen Erweiterung der Handlungs-spielräume beigetragen. In Hinblick auf den Musikkonsum istschließlich auch die zunehmende Verfügbarkeit unterschied -licher Musikstile durch digitale Technologien bzw. das Internetnicht zu vernachlässigen. Dadurch ist es möglich geworden,viele unterschiedliche musikalische Welten ohne großen finan-ziellen Aufwand kennen zu lernen. Vor dem Hintergrund dieserEntwicklungen stellt sich die Frage, inwiefern Bourdieus Mo-dell, das von einer hohen Konstanz klassenspezifisch vermittel-ter Dispositionen ausgeht, als Erklärung zur Ausbildung vonMusikgeschmack überhaupt noch geeignet ist.So erteilt Gerhard Schulze bereits Anfang der 1990er-Jahre inseinem Buch Die Erlebnisgesellschaft4 der Bourdieu’schen Klassen-theorie eine klare Absage. Während Bourdieu davon ausgeht,dass Geschmack maßgeblich von den internalisierten Disposi-tionen des Herkunftsmilieus bestimmt wird, betont Schulze dieUnabhängigkeit der Akteure von ihrer angestammten Welt undden damit verbundenden Orientierungsmustern. Diese Unab-

erlangen als Kinder, in deren Umgebung aus-schließlich Schlager zu hören sind.Die Vertrautheit mit klassischer Musik bildet fürBourdieu einen wichtigen Bestandteil des „kultu-rellen Kapitals“, das im Rahmen von Sozialisa -tionsprozessen angehäuft wird und in weitererFolge eine zentrale Rolle in sozialen Distinktions-prozessen spielt: Anhand alltäglicher Geschmack-surteile veranschaulicht Bourdieu, wie die Vorliebefür klassische Musik den privilegierten Gesell-schaftsmitgliedern dazu dient, ihre soziale Posi -tion in Form eines spezifischen Lebensstils auszu-drücken. Individuen und soziale Gruppen würdensich demnach nicht nur durch sozioökonomischeCharakteristika, sondern auch durch Differenzenin Geschmacksfragen unterscheiden. Darum eignesich Geschmack als besonders aussagekräftiger In-dikator zur Bestimmung von sozialen Klassen:„Geschmack klassifiziert – nicht zuletzt den, derdie Klassifikationen vornimmt. Die sozialen Sub-jekte, Klassifizierende, die sich durch ihre Klassifi-zierungen selbst klassifizieren, unterscheiden sichvoneinander durch die Unterschiede, die sie zwi-schen schön und hässlich, fein und vulgär ma-chen und in denen sich ihre Position in den ob-jektiven Klassifizierungen ausdrückt oder verrät.“2

Geschmack jenseits von Klasse und SchichtPierre Bourdieus Analyse des Zusammenhangs vonGeschmack und Sozialstruktur beruht auf Beob-

U und E: kein Entweder-Odermehr

fokus 19

Sch

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ven Untersuchungen darauf hin, dass klassische Musik nach wievor von bildungsnahen und privilegierten Gesellschaftsmitglie-dern konsumiert wird – allerdings nicht in der Ausschließlich-keit, wie das Bourdieu für die Angehörigen (groß-)bürgerlicherMilieus in Frankreich konstatiert hat. Vielmehr zeigt sich, dassvor allem Mitglieder in hohen sozialen Positionen neben Produk -ten der Hochkultur auch populäre Genres in ihr Geschmacksre-pertoire integriert haben. Diese MusikkonsumentInnen, die sichdurch einen breitgefächerten Geschmack auszeichnen, nennt Ri -chard Peterson „Omnivores“ – im Gegensatz zu den so ge nann ten„Univores“, also jenen vorwiegend aus bildungsfernen Milieusstammenden Gesellschaftsmitgliedern, die lediglich an einemGenre Gefallen finden. Viele KultursoziologInnen sehen darin ei-ne neue Logik soziokultureller Distink tion, die den Umfangmusikalischer Vorlieben zum grundlegenden Maßstab macht.Die zentrale These lautet, dass sich gesellschaftliche Gruppennicht mehr primär dadurch unterscheiden, an welchen, sondernan wievielen unterschiedlichen Genres sie Gefallen finden.Wenden wir uns nochmals Tinas Musikvorlieben zu: Sie nenntmehrere Musikschaffende, die ganz unterschiedlichen Richtun-gen zugeordnet werden. Ihr breitgefächerter Geschmack, densie demonstrativ zur Schau stellt, entspricht durchaus dem Bildder Omnivores, wie es Peterson beschrieben hat. Ob ihr nun tat-sächlich alles gefällt, wie der Begriff „Allesfresserei“ suggeriert,sei aber infrage gestellt. Vielleicht findet sie ja Techno total nervigund Hansi Hinterseers Gesang einfach nur schlecht. Vieles deutetdarauf hin, dass der Omnivore-Geschmack nicht grenzen los istund auch Allesfresser Einschränkungen in ihren Präferenzen vor -nehmen.7 Neben dem Charakteristikum „breitgefächert“ scheintalso ein weiteres Moment zur Bestimmung von Allesfressereiviel wichtiger, nämlich die Grenzüberschreitung. Überschrittenwerden allerdings nicht bloß die Grenzen zwischen Hoch- undPopularkultur: So zeigen eine Reihe aktueller Studien, dass auchinnerhalb der Popularkultur symbolische Grenzen, wie zum Bei-spiel jene zwischen „authentischer“ und „kommerzieller“ Mu-sik, zugunsten größerer Offenheit überwunden werden.8

Grenzüberschreitender Geschmack als Ressource?Allesfresserei, so ließe sich annehmen, ist ein Indiz für den end-gültigen Bedeutungsverlust traditioneller ästhetischer Grenzzie-hungen im Feld der Musik. Vor allem aus individualisierungs-theoretischer Sicht werden die musikalischen Allesfresser wie Ti-na M. als tolerante Individuen gesehen, die sich durch eine ge-nerelle Offenheit gegenüber unterschiedlichen musikalischenWelten auszeichnen. Diese Offenheit sei dem Bedürfnis geschul-det, mit unterschiedlichen kulturellen Verhaltensweisen zu expe-rimentieren, und diene in erster Linie der Selbstverwirklichung.9

Eine alternative Sichtweise betrachtet Allesfresserei dagegen alseine neue Möglichkeit, hohen sozialen Status durch Geschmackzum Ausdruck zu bringen: „Omnivores may be seen as expres-sing a new aesthetic which, even if more inclusive and ‚cosmo-

hängigkeit impliziert eine prinzipielle Wahlfreiheit, die sichauch in den ästhetischen Präferenzen widerspiegelt. Wenn sichaber jede und jeder ihre/seine Lieblingsmusik unabhängig vonEinkommen, Beruf und Familie aussuchen kann, beschränkt sichDistinktion lediglich auf horizontale Abgrenzungen, ohne dassdabei die soziale Position zum Ausdruck kommt. Für die Analysevon Musikgeschmack würde das bedeuten, dass mit der Vorliebefür Johannes Brahms nicht zwingend eine privilegierte Positionin der Sozialstruktur demonstriert wird. Und umgekehrt ließedas Faible für die aktuellen Charts nicht unbedingt auf die Her-kunft aus einer bildungsfernen Schicht schließen.

Das Ende ästhetischer HierarchienUngeachtet sozialstruktureller Veränderungen stellt sich freilichauch die Frage, ob es heutzutage überhaupt noch Sinn macht,von „Hochkultur“ zu sprechen. „Ent-Hierarchisierung“ lautetdie Diagnose einer Reihe kulturtheoretischer Ansätze insbeson-dere postmoderner Provenienz: Beobachtet werden die Erosionästhetischer Hierarchien, der Bedeutungsverlust hochkulturellerPraktiken sowie eine grundlegende Aufwertung der Popularkul-tur.5 Die Dichotomie von „High culture“ versus „Low culture“verliert damit ihre klassifizierende Wirkung; der Distinktionsge-winn, den die Vorliebe für klassische Musik lange Zeit abgewor-fen hat, wird zunehmend geringer.

Die musikalischen AllesfresserDer Befund einer zunehmenden Erosion der Grenze zwischenHoch- und Popularkultur findet sich auch in der neueren US-amerikanischen Kultursoziologie. In seinen Anfang der 1990er-Jahre veröffentlichten Studien zum Einfluss von Berufsgruppen-zugehörigkeit auf den Musikgeschmack zeigt Richard Peterson,6

dass der Zusammenhang zwischen einer hohen sozialen Stel-lung in der Sozialstruktur und einem elitären Geschmack seineGültigkeit eingebüßt hat. Zwar deuten die Daten der quantitati-

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Warum sollte ein Cellist nichtauch Fan der Metalband Apocalyptica sein?

Geigen-Punk NigelKennedy – Vermittlerzwischen zwei Welten?

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politan‘ than that of earlier cultural elites, is no less directed towards the demonstration of cultural and social superiority.“10

Zu klären ist allerdings, worin die Überlegenheit eines breitge-fächerten Geschmacks überhaupt bestehen kann. Denn im Ge-gensatz zur Annahme Bourdieus, wonach legitimer Geschmack,nämlich die Vorliebe für Hochkultur, gerade dadurch gekenn-zeichnet ist, dass seine Superiorität als gesellschaftlich anerkanntgilt, deutet nichts darauf hin, dass sich eine allgemein gültigeÜberlegenheit aus einer womöglich sogar beliebig anmutendenBreite des Musikgeschmacks ableiten ließe. Andererseits wirdniemand bestreiten, dass ein umfangreiches Wissen über unter-schiedliche musikalische Genres von Vorteil ist, speziell dann,wenn es um die Nutzbarmachung dieser Wissensbestände in all-täglichen Interaktionen geht, also zum Beispiel unterschiedliche(berufliche und private) Kontakte geknüpft, etabliert oder auf-rechterhalten werden. Gerade in einer Gesellschaft, in der Of-fenheit, Flexibilität sowie die Einbindung in soziale Netzwerkezu den wichtigsten Anforderungen zählen, stellen Wissensbe-stände und Kompetenzen in möglichst unterschiedlichen Berei-chen eine bedeutsame Ressource dar. Da kann es schon einmalvorkommen, dass sich die einseitige Festlegung auf Hoch- oderPopularkultur als problematisch erweist, wie Andreas Gebesmairanhand eines Beispiels verdeutlicht: „Wer lediglich Vorlieben et-wa für Madonna artikuliert, ist leicht als wenig Gebildeter zuidentifizieren. Wer allerdings als Gebildeter im Kreise – sagenwir – amerikanischer Geschäftsfreunde auf seinen erlesenen Ge-schmack pocht und mit abschätzigen Bemerkungen über Ma-donna ein Klima der Verbundenheit zu schaffen trachtet, kanndamit durchaus Schiffbruch erleiden. Geschmack muss alsobreit sein, um als Kapital fungieren zu können.“11

Während soziokulturelle Superiorität lange Zeit durch demons-trative Distanz zu populärkulturellen Formen und einen snobis-tischen Lebensstil zum Ausdruck gebracht wurde, ist es in derGegenwartsgesellschaft erforderlich, Elemente der Popularkulturin den eigenen Lebensstil zu integrieren: „Wer auf der Überle-genheit seines Geschmacks beharrt und für alles Populäre nurAbscheu zeigt, darf nicht mit der Anerkennung rechnen, die je-nen entgegengebracht wird, die sich gegenüber einer Vielzahlvon kulturellen Praktiken offen zeigen.“12

Bourdieu revisitedDie traditionelle Vorstellung, es gäbe ein typisches Klassik-Publi-kum auf der einen Seite und ein Publikum für populäre Musik aufder anderen, erweist sich vor dem Hintergrund neuer Befunde derKultursoziologie als problematisch: Übersehen wird dabei nichtbloß die zunehmende Heterogenität musikalischer Geschmäckersowie die Vermischung gegenwärtiger Publika, sondern auch dasEntstehen einer neuen Distinktionslogik, die jenseits der klassi-schen Dichotomie von „Hoch-“ und „Popularkultur“ fungiert.Eine neue symbolische Grenze verläuft zwischen jenen, die alles„querbeet“ hören, und jenen, die sich auf ein bestimmtes Genre

festlegen. Vor dem Hintergrund der Beobachtung, dass ein breit-gefächerter Geschmack in der gegenwärtigen Gesellschaft vongroßem Nutzen sein kann, spricht vieles dafür, dass Allesfresse-rei als kulturelles Kapital fungiert – als Kapital, das vor allem inprivilegierten Gesellschaftsgruppen angehäuft und für eigeneVorteile nutzbar gemacht werden kann. Der breitgefächerte Ge-schmack der Allesfresser läuft damit Gefahr, unter dem Deck-mantel der Toleranz die Grundlage für eine neue Form sozialerExklusion hervorzubringen.Pierre Bourdieus Annahmen zur Undurchlässigkeit von Hoch-und Popularkultur mögen getrost über Bord geworfen werden,seine Überlegungen zur Bedeutung von Musikgeschmack in so-zialen Distinktionsprozessen haben jedoch an Brisanz und Ak-tualität nichts eingebüßt. „Nur selten nimmt die Soziologie der-art prägnante Züge einer Psychoanalyse des Sozialen an wie inder Beschäftigung mit dem ‚Geschmack‘“,13 schreibt Bourdieu,der seine LeserInnen gerne an ihre eigene Rolle in sozialen Re-produktionsprozessen erinnert: „De te fabula narratur“14 –„Diese Geschichte wird über Dich erzählt.“ Das sollten wir, vorallem dann, wenn wir unseren Geschmack für besonders tole-rant und aufgeklärt halten, nicht vergessen.

1 Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteils-

kraft, Frankfurt/Main 1987.

2 Bourdieu, ebd., S. 25.

3 Ulrich Beck: Die Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne,

Frankfurt/Main 1986, S. 121.

4 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart,

Frankfurt/Main 1992.

5 siehe dazu vor allem die Studien im Umfeld der Cultural Studies: u.a. Dick Heb-

dige: Subculture. The meaning of style, London et al. 1979; Paul Willis: „Profane

Culture“. Rocker, Hippies: Subversive Stile der Jugendkultur, Frankfurt/Main 1981;

John Fiske: Understanding Popular Culture, London 1989.

6 Richard Peterson: „Understanding audience segmentation: From elite and mass

to omnivore and univore“, in: Poetics, Vol. 21, S. 243-258; Richard Peterson/Roger

Kern: „Changing highbrow taste: From snob to omnivore“, in: American Sociologi-

cal Review, Vol. 61, S. 900-907.

7 siehe dazu vor allem: Bethany Bryson: „‚Anything but Heavy Metal‘: Symbolic ex -

clusion and musical dislikes“, in: American Sociological Review, Vol. 61, S. 884-899.

8 siehe dazu Michael Parzer: Der gute Musikgeschmack. Zur sozialen Praxis äs-

thetischer Bewertung in der Popularkultur, Frankfurt/Main 2011; Oliver Berli: „Mu-

sikgeschmack jenseits von Hoch- und Populärkultur. Grenzüberschreitender Mu-

sikgeschmack als Distinktionsstrategie“, in: Brunner, Anja/Leitich, Lisa/Parzer, Mi-

chael (Hg.): Ästhetik und populäre Musik, Innsbruck 2010, S. 9-28.

9 Tak Wing Chan/John H. Goldthorpe: „Social Stratification and Cultural Consum p -

tion: Music in England“, in: European Sociological Review, Vol. 23, 2007, S. 1-19.

10 ebd., S. 3.

11 Andreas Gebesmair: Grundzüge einer Soziologie des Musikgeschmacks, Wies-

baden 2001, S. 201.

12 Andreas Gebesmair: „Renditen der Grenzüberschreitung. Zur Relevanz der

Bourdieuschen Kapitaltheorie für die Analyse sozialer Ungleichheiten“, in: Soziale

Welt, 55. Jg., 2004, S. 199.

13 Bourdieu, a. a. O., S. 31.

14 Bourdieu, a. a. O., S. 32.

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Michael Parzer ist Universitätsassistent am Institut für Soziologie der Universität

Wien. Zuletzt erschienen: Der gute Musikgeschmack. Zur sozialen Praxis ästheti-

scher Bewertung in der Popularkultur, Frankfurt/Main 2011.

Wie definieren Sie „Kulturelle Vielfalt“?

Das Gegenteil einer engen Beschreibung der Impulse, die unsvon der Gesellschaft, in der wir leben, erreichen. Man muss einegroßzügige Offenheit haben und nicht denken, man habe selbstdie Wahrheit gepachtet. Für mich heißt das, die Eigenschaftenaller verschiedenen, in einem Land versammelten Nationalitätenzuzulassen und ihnen zuzuhören, selbst wenn wir das, was wirhören, nicht aufnehmen oder begreifen können. Was uns heuteausmacht, ist, dass wir nicht nur in der Vergangenheit verhaftetbleiben, sondern mit dieser großen Vielfalt aus den verschie-densten Richtungen die Zukunft bestreiten.

Welche Bedeutung spielt für die kulturpolitische Arbeit in Zu-

kunft die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der

Kulturellen Vielfalt – Schubladenkonvention oder kulturpolitisches

Handlungsinstrument?

Ich denke, dass die UNESCO-Konvention hauptsächlich wichtigfür eine Bewusstseinsbildung ist. Natürlich wird das keine Re-gierung davon abhalten, auch die krasseste Form der Einengungvon Kultur, also Zensur, auszuüben. In bestimmten Ländernwird diese Konvention nicht helfen, Situationen der Bevormun-dung oder des Ausschaltens bestimmter Ausdrucksformen vor-zubeugen, aber in manch anderen Situationen kann sie sehr

wohl das politische Gewissen stärken und ein bisschen Ehr-furcht einflößen.

Sie sprachen eben von einem möglichen Ort, an dem Kulturelle

Vielfalt gefährdet ist. Können Sie das für Deutschland konkretisie-

ren? Sehen Sie hier an irgendeiner Stelle Kulturelle Vielfalt gefährdet?

Nicht in Form von Zensur oder des Verbots bestimmter Aus-drucksformen, so wie in manch anderen Ländern, aber natürlichkann man durch das Streichen von Subventionen sehr viel zumSchweigen bringen. In Deutschland wird Kultur von der Politikals etwas Peripheres gesehen. Wenn finanzielle Krisensituationeneintreten, wird bei Kultureinrichtungen als erstes gestrichen,was von der Politik sehr kurzsichtig ist. Ich verurteile das zutiefst,weil ich denke, die haben nicht begriffen, dass die Künste unddie künstlerische Früherziehung dem Menschen eine Basis für dasZusammenleben geben und eine Bereicherung darstellen. Wirhätten auf lange Sicht viel weniger soziale Probleme, wenn dieStadt, anstatt bei Kultur zu streichen, mehr investieren würde.

Welche Priorität sollte die gesellschaftspolitische Verankerung in

der konzeptionellen Planung bei der Orchesterarbeit haben? Wie

politisch sollten die Konzeption und auch die praktische Arbeit von

Orchestern sein?

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Christian Höppner im Gespräch mit Pamela Rosenberg

Für die Mehrheit der Menschen sind klassische Konzerte total irrelevant. Wasist also bei zunehmendem Publikumsschwund zu tun? Pamela Rosenbergsieht die Orchester in der Pflicht, sich neben ihrem Musikschaffen auch mitder gesellschaftlichen Situation auseinanderzusetzen. Und die Politik mussendlich verstehen, wie wichtig frühkindliche Bildung ist.

Ein Patentrezept gegen PUBLIKUMSSCHWUNDgibt es nicht

Im 21. Jahrhundert haben wir eine andere Situation als im 19.oder im 20. Jahrhundert, als die Orchester florierten. Orchestermüssen Leitbilder sein, und sie müssen einiges von dem wett-machen, was die kulturpolitischen Entscheidungsträger ver-nachlässigt haben. Die Orchester haben in den letzten zehn Jah-ren also sehr wohl eine zusätzliche Aufgabe bekommen.

Ist das für die Orchester nicht eine Zerreißprobe, wenn sie zu-

nehmend Reparaturbetrieb für die Defizite, zum Beispiel in der mu-

sikalischen Bildung, sind – Stichworte: ausfallender Musikunter-

richt in den Schulen oder Wartelisten an den Musikschulen. Kön-

nen die Orchester das überhaupt leisten?

Sie können das nicht nur leisten, sondern ich glaube, die Berei-cherung, die sie dadurch auch erfahren, ist wesentlich. Ich habemit vielen Musikern gesprochen, die in solche Projekte invol-viert sind und ausnahmslos alle haben gesagt, dass sie so vielzurückbekommen. Orchester können es sich heute nicht mehrleisten, sich aus der Gesellschaft auszuklinken. Sie arbeiten nichtin einem Elfenbeinturm, sondern sie müssen sich mit der ge-sellschaftlichen Situation auseinandersetzen, sich engagieren.Dabei ist es aber nicht so, dass die Zeit, die sie dort investieren,die Auseinandersetzung mit sozialen Bereichen ihre eigentlicheArbeit einschränkt.

Mit dem Aufgabenprofil, das Sie beschreiben, verändert sich

auch das Berufsbild des Intendanten oder der Intendantin. Wie viel

Kulturpolitiker darf bzw. muss in einem Intendanten, in einer Inten-

dantin stecken?

In unserer Kunst reflektieren wir unsere Gesellschaft, und dieKunst hilft uns, überhaupt Fragen an uns und an die Welt umuns herum stellen zu können. Kunst ist daher für mich zutiefstpolitisch und ein Teil unseres sozialen Gefüges. Wenn man einerKulturinstitution vorsteht, ist es eine der wichtigsten Aufgaben,darüber nachzudenken, wo diese Schnittstellen in unserer Ge-sellschaft sind.

Ist Kultur ein Spiegel oder eine Glaskugel, die uns das zeigt, was

uns unter Umständen in Zukunft erwartet, oder ist sie einfach L’art

pour l’art?

Wenn Kunst nur eine Bestätigung des Status quo ist, den Ist-Zu-stand bewahrt, dann ist sie keine Kunst mehr, dann bedeutetdas, dass wir als Gesellschaft zum Stillstand kommen. Kunst undKultur müssen immer weiter schauen, müssen immer bis an dieGrenzen gehen. Kultur ist nur insofern unser Spiegel, als wir da-rin vielleicht entdecken, welche Fragen wir noch an uns haben.Eine Gesellschaft, die wirklich still steht, stirbt irgendwann.

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Pamela Rosenberg

ist seit September 2010 Mitglied des Management Teams der Ame-

rican Academy in Berlin in der Position Dean of Fellows and Pro-

grams. Davor war Rosenberg von der Spielzeit 2006/07 bis ein-

schließlich 2009/10 als Intendantin der Berliner Philharmoniker tä-

tig. Von 2001 bis 2006 übte sie die Tätigkeit der Generalintendantin

der San Francisco Opera aus und war Co-Intendantin an der

Staatsoper Stuttgart, zusammen mit Klaus Zehelein (von 1991-

2000). Davor hatte Pamela Rosenberg diverse Führungspositionen

an der Nederlandse Opera Amsterdam, dem Deutschen Schau-

spielhaus in Hamburg und der Frankfurter Oper.

Pamela Rosenberg wurde in Los Angeles geboren und wuchs in

Caracas, Venezuela auf. Sie studierte Geschichte, Musik- und Lite-

raturwissenschaften.

Die Ausgabe des Musikforums trägt den Titel „Schwindsucht im

Parkett – Die Zeit läuft“. Welche Patentrezepte gibt es gegen den

Publikumsschwund?

Wenn ich das Patent darauf hätte, wäre ich reich… Nein, ein Pa-tentrezept gibt es nicht. Man muss sich viele flankierende Maß-nahmen vornehmen. Wir müssen alles dafür tun, dass die jetztexistierende Konzertform – zwei Stunden hinsetzen, sich wirk-lich konzentrieren – so erhalten bleibt. Aber sie wird nur eineForm sein. Bereits vor fünfzehn bis zwanzig Jahren fand ich,dass unser klassischer Musikbetrieb gefährdet sei. Für 98 Pro-zent der Bevölkerung sind Konzerte total irrelevant. Aber seitden letzten fünf Jahren bin ich wegen des ganzen Social Media –Twitter, Facebook etc. – noch viel alarmierter. Neulich habe icheinen Artikel gelesen, dass selbst Kinder und Jugendliche, die ausHaushalten kommen, in denen normalerweise noch ein bisschengelesen wird, Bücher in der Freizeit überhaupt nicht mehr indie Hand nehmen, weil sie mit diesem ganzen Hin und Her desInstant Messaging so verzettelt sind. Diese „Zapfkultur“ hat über -hand genommen, ist sehr extrem geworden. Wir müssen Kinderlehren, wie man zur Ruhe kommt, wie man sich konzentrierenkann. Außerdem findet so vieles, was sie erleben, hinter diesenGlasscheiben statt, also Computergames, Fern sehen usw. Wirmüssen viel mehr Begegnungsorte in der Wirklichkeit schaffen,an denen am Nachmittag nach der Schule interaktiv Musik ge-macht wird oder Ähnliches. Man muss früh anfangen, dennwenn die Jugendlichen zu Teens werden, ist es schon zu spät. Esist wichtig, dass man dieses Spaßelement am Miteinander-Mu-sik-Machen sehr früh erlebt. Außerdem sollte in jeder Schule derChor obligatorisch sein. Eine der flankierenden Maßnahmen ist,die Politik dazu zu bringen, massiv frühkind liche Bildung zufördern. Das Verschwinden von Musik in den Schulen ist gravie-rend. Und wir müssen Begegnungsstätten haben, an denennicht nur klassische Musik, sondern viele verschiedene Musik-stile, etwa Hip-Hop, ebenbürtig sind und nicht Mauern zwi-schen den verschiedenen Bereichen hochgezogen werden.

Sie haben gerade vor der zunehmenden Virtualisierung von Le-

benswelten gewarnt. Wird die gesellschaftliche und technologi-

sche Entwicklung nicht die zunehmende Virtualisierung befördern,

sodass die Live-Begegnung und damit auch das Live-Konzert er-

setzt werden?

Oh, das kann passieren, wenn man nicht aufpasst. Man kann na-türlich diese Technologie auch instrumentalisieren, für sich nut-zen, indem man Websites interaktiv gestaltet wie etwa die desSan Francisco Symphony Orchestra. Mein Ideal Bochum, alsoSteven Sloane und die Bochumer Symphoniker, planen jetzt et-was sehr Aufregendes, und zwar ein Musikzentrum neben einerKonzerthalle. Das wird eine Begegnungsstätte für alle in derStadt, und da werden dann gemeinsam Live-Musik, aber auchvirtuelle Geschichten gemacht.

Müssten die Online-Angebote der Orchester nicht viel mehr in-

teraktive Elemente enthalten – zum Beispiel die Kameraführung bei

einem Orchesterkonzert mit einem Joystick vom heimischen PC?

Das würde Spaß machen. Zunehmend wird die Digital ConcertHall eingesetzt. Aber ich finde, man müsste dann die Möglich-keit haben, direkt da anzurufen und wirklich in einen Dialogmit anderen einzutreten.

Kennen Sie da schon Beispiele aus dem internationalen Bereich,

wo das möglich ist oder angedacht wird?

Ich habe gehört, dass das London Symphony Orchestra so etwasvorhat. Viele Orchester haben Blogs, aber ich bezweifle, ob dasdann einen Vierzehnjährigen wirklich interessiert. Aber zumBeispiel diese Geschichte mit dem Worldwide Orchestra, beidem man im Internet vorspielen konnte, und dann saßen dortausgewählte Musiker – ein paar von den Berliner Philharmoni-kern waren auch dabei –, und das war wie beim Vorspiel beimOrchester, und sie entschieden, wer die hundert sind. Das warwirklich toll.

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Immer weniger Jugendliche lesen Bücher und beschäftigen sich stattdessen mit Instant Messaging

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Ich beobachte seit vielen Jahren eine Globalisierung von Klang-

ästhetik, das heißt, dass individuelle Profile immer mehr verschwin-

den. Ist das eine Tendenz, die Sie auch beobachten, oder trügt der

Eindruck?

Der Eindruck trügt nicht, auch wenn es natürlich Ausnahme -orchester gibt. Kurz nach der Wende bin ich nach Schwerin ge-gangen, um mir dort einen mir empfohlenen Dirigenten bei ei-ner Rosenkavalier-Aufführung anzuhören. Ich hatte mir vorherkeine Gedanken über das Orchester in Schwerin gemacht, dach-te nur: „Oh Gott, das ist ein Provinzorchester und ich werdeden Rosenkavalier von einem Provinzorchester hören“, und ichwar etwas traurig, dass ich das Wochenende so verbringenmusste. Und dann war ich völlig überrascht, wie toll die ge-spielt haben und was für eine Klangkultur die hatten. Obwohlich einige Orchester in der DDR gehört und erfahren hatte, dassda noch eine bestimmte Klangkultur herrschte, weil die meistenMusiker in Dresden oder in Leipzig ausgebildet wurden, wardas für mich schon ein Aha-Erlebnis in Schwerin. BestimmteOrchester geben das weiter und achten darauf, aber insgesamtglaube ich, dass es nicht so viele Dirigenten gibt, die kontinu-ierlich über Jahre insistierend an bestimmten Klangfarben undKlangkulturen arbeiten.

Die Ursachen dafür sind sicher vielschichtig, das liegt möglicher-

weise an der Ausbildung der Dirigenten. Das typische Kapellmeis-

ter-Studium mit dem reichen Erfahrungsschatz ist nicht unbedingt

die typische Dirigentenlaufbahn. Und vielleicht ist es auch die Ver-

marktungssituation, die dazu verleitet, auch designte Produkte auf

den Markt zu bringen, um gut zu verkaufen. Sehen Sie Möglich -

keiten, wie man dieser Entwicklung gegensteuern kann? Es gibt

durchaus Orchester, die ihr Klangprofil pflegen. Sehen Sie einen

Hoffnungsschimmer, dass das Publikum dieses Einmalige im

Klangprofil fordert?

Was nimmt ein Publikum wahr? Das ist ein ganz eigenes Ter-rain. Ich habe mich früher so aufgeregt, was das Publikum bei

Sängern beim Bau von Klangkulturen nicht wahrnimmt. InStuttgart gab es einen Tenor im Ensemble, der nirgends sonstberühmt war, aber der hatte eine Fangemeinde, einfach weil dieZuschauer ihn haben wachsen sehen. Diese wunderbare Opern-landschaft, die bis in die 1990er-Jahre existierte und in der mansich mit dem ganz eigenen Profil seiner Oper vor Ort identi -fizierte und aufsaugte, was dort geboten wurde, existiert heutenicht mehr in gleichem Maße. Ich weiß nicht, was ein Publi-kum wirklich hört und was es nicht hört. Manchmal bin ich inKonzerten, bei denen ich nicht begreife, warum die Leute sobegeistert sind und dann umgekehrt, wo ich ganz bewegt binund denke: „Hört ihr das nicht?“ Also who knows?

Ich würde Ihnen gerne noch einige Satzanfänge geben und Sie

bitten, den Satz fortzusetzen: „Die Berliner Philharmoniker sind…“

… absolut leidenschaftlich.

„Klaus Wowereit wünsche ich…“

… ein besseres Verständnis für die Notwendigkeit, das miserableBerliner Schulsystem finanziell besser auszustatten.

„Von den USA kann das Kulturland Deutschland lernen, dass…“

… das Ausbildungssystem zum Teil stringenter wird.

„Die American Academy ist…“

… ein Forum, um Deutschland die aufregendsten Geisteswis-senschaftler Nordamerikas zu präsentieren.

Ganz zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie sieht es mit

Ihrer praktischen Musikausübung aus?

Frustrierend. Ich habe jahrelang Klavier gespielt und in den letz-ten Jahren so wenig geübt, dass ein Stück, das ich früher glän-zend gespielt habe, nun erbärmlich klingt.

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Auch die neuen Medien spielen bei der Rekrutierung der Kindereine große Rolle: hier die interaktive Website „Listen to our future“ der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz

Interaktiv gestaltet – die Website desSan Francisco Symphony Orchestra

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Auf der Suche NACH DEM

PUBLIKUM VON MORGENDas „Musikforum“ hat verschiedene Festivals um ein kurzes Statement zu ihren Publikums-Strategien gebeten

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Der Seltenheitswert von Festivals macht sie zu etwas Einmaligem, zu einemganz besonderen Ereignis. Im Gegensatz zu stehenden Opern- und Konzert-häusern, denen das Publikum schlicht ausstirbt, haben Festivals kaum miteinem Publikumsschwund zu kämpfen. Liegt das am Einmaligkeitscharak-ter des Festivals selbst? Muss man ein paar Tage „Kultur“ einfach mit demStempel „Festival“ versehen und schon rennen alle Zuschauer hin? Oderkönnen wir von ihren Vermarktungsstrategien möglicherweise lernen? DieRedaktion des Musikforums hat deshalb, sich der besonderen Stellung dieserVeranstaltungsform bewusst, kleineren Festivals – nicht den absolutenSelbstläufern wie beispielsweise die Bayreuther Festspiele – die Frage ge-stellt: „Was tun Sie auf der Suche nach dem Publikum von morgen?“

Ein Konzert des Festivals TFF Rudolstadt

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TFF Rudolstadt Mit den vielen Fassetten unseres Programms erreichen wir seitgut zwei Jahrzehnten eine sehr heterogene Besucherschaft: Fa-milien, die den kulturell aufgeladenen Kurzurlaub suchen, welt-musikalisch gebildete Spezialisten, Jazzer, Jünger diverser elek-tronischer Stile, Volkstänzer … Unser Publikum kommt ebensoaus urbanen wie aus ländlichen Milieus. Die allermeisten unse-rer Besucher eint allerdings ihre weitgehende kulturelle Offen-heit und Neugier. Wir sind nicht genötigt, kurzatmig auf jeden Trend aufzusprin-gen, gleichwohl wir Tendenzen genau beobachten. Im Festival-team sind wir uns darin einig, dass sich der beständige Erfolgdes TFF (roots-folk-world-music) neben seinen fantastischenRudolstädter Schauplätzen vor allem der Tatsache verdankt, esstets konsequent von seinem inhaltlichen Anspruch aus zu den-ken. Unsere Besucher, das Fachpublikum eingeschlossen, erhof-fen sich immer auch das Überraschende, die Möglichkeit, eige-ne Entdeckungen machen zu können. Sie erwarten künstlerischeKlasse, eine freundschaftlich-familiäre Atmosphäre und einenreibungslosen Service. Die Ausstrahlung des Festivals wird frag-los auch für ein „Publikum von morgen“ von der Qualität indiesen Kriterien bestimmt. Denn glückliche Besucher werdenimmer die besten Multiplikatoren sein, das gilt auch in der Ärader „sozialen Netzwerke“. Von dieser Position aus setzen wir natürlich auf eine Reihe vonInstrumenten, mit denen wir uns als Festival in Richtung Zu-kunft navigieren. So pflegen wir, inzwischen vor allem über un-ser Internetforum und in loser Folge publizierte Newsletter, eineenge Kommunikation mit unserem Publikum und setzen diebewährte Zusammenarbeit mit unseren Medienpartnern (insbe-sondere MDR Figaro) fort. Wir stehen in regem Austausch mitbefreundeten Festivalmachern überall in Europa und kooperie-ren mit dem bundesweiten Weltmusik-Wettbewerbspreis Creole.Wir pflegen eine Facebook-Präsenz, über die sich z. B. unpro-blematisch Videofiles unserer Künstler verlinken lassen, was vorallem einem jüngeren Publikum inzwischen geläufiger Standardist. Und schließlich unterstützen wir die in der Regel ehrenamt-lich wirkenden Aktivisten im Bereich der neuen Medien genauso rückhaltlos wie ihre professionell arbeitenden Kollegen derarrivierten Institutionen.

Wolfram BöhmeWeitere Informationen:www.tff-rudolstadt.de

Morgenland Festival OsnabrückDas Morgenland Festival Osnabrück präsentiert seit 2005 dieMusik des Vorderen Orients, von traditioneller Musik bis Hip-Hop, von komponierter Musik bis Jazz.Es versteht sich ausdrücklich nicht als Weltmusikfestival, son-dern möchte die ganze Bandbreite des musikalischen Lebensdieser Region zeigen. Dies hat zwei Günde: Natürlich möchtenwir ein möglichst vielfältiges Publikum erreichen, zum anderenaber auch zeigen, dass es alle diese Musikstile auch im Nahenund Mittleren Osten gibt.Da die arabische, persische und türkische Musikwelt hierzulandekaum bekannt sind, ist das Thema „Nahebringen – Wie erreichenwir unser Publikum?“ per se immer präsent, denn das „normale“Konzertpublikum kommt gerne zu Mozart und Bach, aber wenndie Komponisten Mashayekhi, Azmeh und Haddad heißen, wirdes schon schwieriger. Letztendlich glaube ich – und das betrifftdas Publikum von heute wie das von morgen –, dass es immermit der eigenen Begeisterung zu tun hat, die sich bestenfalls

vermitteln lässt und Neugierde weckt. Insofern hat sich bei mirnicht viel geändert, seit ich 14 Jahre alt war und jedem – ob erwollte oder nicht – von der neuen AC/DC-Schallplatte oder FrankZappa vorgeschwärmt habe. Für jedes Konzert stelle ich mir bisheute vor, wie ich es meinen Freunden nahe bringen würde.Wenn ich nicht selber ins Schwärmen gerate, stimmt etwasnicht. Was machen wir auf der Suche nach dem Publikum von morgen?Wir haben viele Projekte, die Jugendliche miteinbeziehen, sei esein Schüleraustausch mit dem Barenboim Said Conservatory inNazareth, Konzerte mit dem Osnabrücker Jugendchor in Teheran,Damaskus, Amman und Izmir, ein Young Talents Festival mit Ju-gendlichen aus Syrien, Aserbaidschan und Israel, eine Schulpart-nerschaft, die auf verschiedene Weise das Festival begleitet. Diessind alles Projekte, die organisch entstanden sind, weniger ausdem reflektierten Ziel heraus, ein Publikum aufzubauen als ein-fach, weil sie sinnvoll erschienen und Freude bereiten.

Michael DreyerWeitere Informationen: www.morgenland-festival.com

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Reeperbahn FestivalIn den vergangenen zwei Jahren haben sich unsere Marketingmaß -nahmen zunehmend in den Online-Bereich verschoben. Zwarsind wir weiterhin in klassischen Medien sehr aktiv, blicken je-doch verstärkt auf verschiedene Online-Kanäle. Neben der akti-ven Kommunikation über unsere Homepage und den Reeper-bahn Festival-Blog nutzen wir soziale Medien wie Facebook,Twitter oder Myspace und verstärken die Möglichkeiten des Aus -tauschs mit dem Publikum. Für die diesjährige Textil-Kollektionzum Reeperbahn Festival ließen wir darüber abstimmen, welcheMotive zu produzieren seien, welche Favoriten es gibt und wel-che Farbkombinationen am besten ankommen. In der Program-mierung wächst ebenfalls die Bedeutung der Interaktion mitden Besuchern, auch wenn bei ca. 200 kleinteilig ausgewähltenActs nicht über jede einzelne Show abgestimmt werden kann. Unsere Programmverantwortlichen sind über das ganze Jahr da-mit beschäftigt, neue Künstler zu entdecken, bereisen Veranstal-tungen im Ausland oder wälzen Fachmagazine. Den Besucher -geschmack, insbesondere bei teilweise noch sehr unbekannten,aufstrebenden internationalen Künstlern, zu treffen, stellt hier-

World Culture Festival, BerlinDie Art of Living Foundation veranstaltet Musikkonzerte, an de-nen Musiker und Tänzer gleichzeitig zusammen spielen bzw.tanzen. Beispiele vor dem World Culture Festival dafür sind„Brahma Naad“ – 1200 Sitarspieler am 21. November 2008 inDelhi –, „Antarnaad“ – 2750 Sänger am 12. Januar 2010 in Pu-ne – sowie „Mohiniyattam“ – 1200 Tänzer am 28. November2006 in Kerala. Musiker und Tänzer kommen auf einer Bühnezusammen und bilden eine Synergie. Amateure und Profis füh-len dabei die Einheit, etwas zusammen zu bewegen. Viele Ama-teurmusiker und -tänzer haben die Chance, auf einer großen

Mit etwa zwanzig Konzerten in Dorf- und Stadtkirchen, in Scheu -nen und Ställen bieten die Uckermärkischen Musikwochen Mu-sik vom Mittelalter bis zur Gegenwart, aus nahen und fernenLändern, vom Solorezital bis zum Oratorium. Dabei kommt oftÜberraschendes zusammen: Mittelalterliche Vokalmusik undJazz im Kartoffellager, Barockmusik und Tango im Schafstall, Sa-xofonklänge und Barockarien in der Scheune. Blicke auf ferneMusikkulturen und -epochen brauchen einen Ausgangspunkt –der ist bei den Uckermärkischen Musikwochen die europäischeBarockmusik. Selten stehen Standards auf dem Programm – mu-sikgeschichtliche Ausgrabungen wie Vivaldis Oper Griselda undBenedetto Marcellos Vier Jahreszeiten sind die Regel. Bevölkerungsrückgang durch Abwanderung der Jüngeren ist inder Uckermark ein gewichtiges gesellschaftliches Problem. Jun-ge Menschen, die unser Publikum von morgen werden könn-

Uckermärkische Musikwochen

Als Gründer und Leiter des Nachwuchsensembles PraetoriusConsorts und der Schola Wittenberg, der Musikschule der Wit-tenberger Hofkapelle, bin ich seit vielen Jahren bemüht, Kin-dern und Jugendlichen den Reiz der Alten Musik und des Musi-zierens auf historischen Instrumenten zu vermitteln. Eine leben-dige Alte Musik zu gestalten, soll allerdings keine Einbahnstraßesein und wird wesentlich durch die Wertschätzung des Publi-kums geprägt. Als künstlerischer Leiter des Wittenberger Renais-sance Musikfestivals habe ich außerdem seit sechs Jahren dieAufgabe, mein Publikum von morgen schon heute neugierig zumachen und Begeisterung zu wecken. Alte Musik begegnet oft dem Vorurteil, sie sei verstaubt und ein-tönig, und trotzdem und gerade deswegen sollte man der jün-geren Generation damit innovativ und modern begegnen. ImRahmen der Möglichkeiten vor Ort hat das Festival einigeSchnittpunkte geschaffen, an denen junge Menschen auf beidenSeiten aktiv an die Vielfalt und Schönheit der Renaissancemusikherangeführt werden. Dazu gehört, dass Kinder und Jugendli-che kostengünstig an Workshops teilnehmen können, in denenin diesem Jahr beispielsweise Renaissancedudelsack, historischeZupfinstrumente und Gambe unterrichtet werden. In den Work-shops herrscht eine lockere Atmosphäre des gemeinsamen Ler-nens und Musizieren. Es wird gezeigt, dass Musik hören undmachen als gemeinschaftliches Erlebnis Freude bereitet und kei-ne Frage des Alters oder der Vorkenntnis ist. Darüber hinaus zahlen Kinder und Jugendliche bis zum 16. Le-bensjahr keinen Eintritt für die Konzerte des Wittenberger Re-naissance Musikfestivals und in der Stadt selbst regen wir Ko-operationen mit Kinder- und Jugendprojekten an. Mit dem Wit-tenberger Theater-Jugendclub beispielsweise gestalten wir indiesem Jahr ein szenisches Konzert mit Musik von Dowlandund Texten von Shakespeare. Dieses Projekt läuft über mehrereMonate und endet mit einer Aufführung beim Festival vor „ech-tem“ Publikum. Kooperationen wie diese binden auch die Fa-milien der Kinder mit ein, die Anteil am Erfolg und somit auchan unserem Festival nehmen. Thomas Höhne

Weitere Informationen:www.wittenberger-renaissancemusik.de

Wittenberger RenaissanceFestival

grammen (Hörfunk und Fernsehen) gesendet. Einige dieserMitschnitte sind anschließend auch als Alben käuflich erhältlich.In einer Zeit, in der niemand mehr verantwortlich ist für denAufbau neuer Künstler als der Künstler selbst, versuchen wir dieMarke Reeperbahn Festival in einer Weise zu platzieren, wie wires von einigen Tonträger-Labels aus den 1970er-Jahren kennen.

Alexander SchulzWeitere Informationen:http://www.reeperbahnfestival.com

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bei die größte Herausforderung dar. In den letzten Jahren spü-ren wir vermehrt das große Vertrauen, das die Besucher unsererProgrammgestaltung entgegenbringen, und hier liegt wohl derKern der Aufgabenstellung für eine Veranstaltung mit einemprogrammatischen Konzept, wie es das Reeperbahn Festival hat.Denn anders als bei anderen Festivals ist ein (emotionaler) Kon-sens unter den Besuchern nicht durch einzelne bekannte Künst-ler(-gruppen) herzustellen. Beim Reeperbahn Festival ist dasKonzept der Konsens, die Marke ist der Headliner. Wir laden dieMarke auf und verleihen ihr Musik-Kompetenz, indem sie ganz-jährig und auch in Zusammenhängen außerhalb der eigentli-chen Veranstaltung Orientierungshilfe für unsere Besucher in ei-nem sehr diversifizierten Markt ist. Neben der Präsenz beimSXSW oder dem Eurosonic-Festival präsentiert das ReeperbahnFestival inzwischen – wie ein Medienpartner – Touren von in-ternationalen Künstlern (vornehmlich im Frühjahr). Zusätzlichzu der Reeperbahn Festival Textil-Kollektion gibt es eine Compi-lation mit einzelnen Tracks der auftretenden Künstler, und eswerden ca. vierzig Aufnahmen ganzer Shows des ReeperbahnFestivals von Oktober bis Mai in unterschiedlichen ARD-Pro-

ten, fehlen hier also weitgehend, daher finden die Familienkon-zerte der Musikwochen größeren Zuspruch bei der Großeltern-generation als bei Kindern und Jugendlichen. Das Durch-schnittsalter der Festivalbesucher von 56 Jahren entspricht somitder Bedeutung dieser Altersgruppe in der Region.Für uns ist es weniger wichtig, wie wir das Publikum von mor-gen finden. Das Publikum gibt es schon und es ist durch die Er-weiterung des musikalischen Spektrums gewachsen. Eine größe-re Herausforderung ist es für das Publikum, zu uns zu finden.Neues Publikum kommt von außerhalb der Uckermark, heutereisen fast 60 Prozent der Besucher aus Berlin oder anderenBundesländern zu den Konzerten an, die meisten mit dem PKW,dabei verfügen weniger als die Hälfte der Berliner Haushalteüber ein Auto. Daher kooperieren die Uckermärkischen Musik-wochen zunehmend mit Veranstaltern von kulturhistorischenExkursionen und Konzertreisen. Auch nimmt der Anteil an Rad-

wanderern an den Konzertbesuchern zu. Öffentlicher Personen-nahverkehr in der Uckermark war lange Zeit an den Wochenendenfast nicht existent. Verkehrsbetriebe und Tourismusmarketing ha-ben jüngst einen Uckermark-Shuttle eingerichtet, der den Weg zuunseren Konzerten erleichtert. Damit ist dem Publikum von mor -gen der Weg zu den Uckermärkischen Musikwochen noch nichtgeebnet, doch erste Hindernisse sind aus dem Weg geräumt.

Christoph WichtmannWeitere Informationen:www.uckermaerkische-musikwochen.de

Bühne für eine größere Zuhörerschaft zu spielen. Sie gewinnendabei ein enormes Vertrauen. Art of Living setzt sich dafür ein,dass wir – trotz all unserer Verschiedenheit – als eine Weltfamilie

zusammengehören. Die Musik ist ein Schlüssel dazu und hat dieKraft, Harmonie und Frieden zu stiften und Menschen mit denunterschiedlichsten Hintergründen zusammenzubringen. DieKonzerte sind eine Mischung von Traditionellem und Moder-nem, sodass jeder angesprochen ist. Die Musiker und Tänzerkommen aus Freude zusammen, etwas darzubieten, einfach mitdabei zu sein und das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erle-ben und zu teilen.

Marcel VerbayWeitere Informationen:[email protected]

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Kulturelle Vielfalt prägt unser Zusammenleben in Deutschland – wir leben und ar-beiten mit Menschen unterschiedlichster Herkunft, Kulturen und Religionen. DieUNESCO-Konvention zum „Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Aus-drucksformen“ schließt explizit ebenso die Kulturen anderer Länder mit ein. Mitder Frage an Reinhart von Gutzeit im Musikforum-Interview, welche Bedeutung dieForderungen der UNESCO-Konvention auf die konzeptionelle Weiterentwicklungvon „Jugend musiziert“ hat, begann eine kontroverse Diskussion im Musikforumzur Erweiterung oder Nicht-Erweiterung von „Jugend musiziert“. Zu dieser Debat-te gesellte sich auch die Forderung einer Fusion von „Jugend musiziert“ und „Ju-gend jazzt“, bei der sich Jürgen Terhag und der Landesmusikrat Nordrhein-Westfa-len zu Wort meldeten. Das Musikforum – Marktplatz für unterschiedliche Positionen– zeigt die Entwicklung der Debatte auf und veröffentlicht die verschiedenen Stel-lungnahmen zum Thema Erweiterung „Jugend musiziert“ sowie zur Fusion „Ju-gend musiziert“ und „Jugend jazzt“. Musikforum-Chefredakteur Christian Höppner und Redaktionsmitglied Hans Bäßlernahmen die Diskussion zum Anlass, um für ein „Jugend musiziert“ zu plädieren,das sich in seiner konzeptionellen Entwicklung der Vielfalt anderer Länder öffnet.

In dem Interview „Kostbarer Schatz desMusiklebens“ (1/2011) sprach sichReinhart von Gutzeit, Vorsitzender desProjektbeirats für den Wettbewerb „Ju-gend musiziert“ und Präsidiumsmitglieddes Deutschen Musikrats, für eine Be-wahrung des bisherigen musikalischenProfils von „Jugend musiziert“ und ge-gen eine Erweiterung des Musikwettbe-werbs um Musikkulturen anderer Länderaus. Jürgen Terhag, Bundesvorsitzenderim Arbeitskreis für Schulmusik (AfS) undKölner Regionalausschussvorsitzender

Erweiterung oderNicht-Erweiterung?

1.von „Jugend musiziert“, nahm das Inter-view mit von Gutzeit zum Anlass, um füreine Fusion von „Jugend musiziert“ und„Jugend jazzt“ zu plädieren.

| Das Interview mit Reinhart von Gutzeitfinden Sie unter der Musikforum-Ausgabe01/2011 auf www.musik-forum-on-line.de| Jürgen Terhags Beitrag „Im Jazz wirdauch musiziert, oder?“ unter der Musik-forum-Ausgabe 02/2011 auf www.mu-sik-forum-online.de.

Die Umgestaltung von „Jugend musiziert“ in der Diskussion

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Auch jetzt schon kann man bei „Jugend musiziert“ höchst umgewöhnliche Vorträge

bestaunen: Lukas Grunert mit seinem selbst-komponierten Stück „Need no Snare, have a

Chair“ (1. Preis 2010, Percussion)

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ben wir die wesentlichen Sparten zusam-men, „klassische“ Kunstmusik, Rock undJazz. Tatsächlich existiert in unserem Mu-sikleben eine große Zahl musikalischerSzenen, deren Artikulationsformen undInstrumentarien mit den Wertungen von„Jugend musiziert“ wenig gemein haben.Durch Einwanderung und durch die Ver-änderungsfreudigkeit der Popgenres isteine große Bandbreite von Szenen ent-standen, die einander oft überlagern, zu-weilen aber auch biotopähnlich existie-ren.„Jugend musiziert“ hat sich vorsichtigdafür entschieden, in Bezug auf einzelneGenres und auf einzelne Instrumente We-ge der Integration in das Wettbewerbsge-schehen zu finden. So sind diese neuenKategorien inhaltlich kompatibel und esbesteht stets Gewähr, im Rahmen einerFinanzierbarkeit zu bleiben. Keinschlechter Weg – man bleibt auf dieseWeise zwar von einer solchen „Vollstän-digkeit“ der Abbildung musikalischerGenres Welten entfernt, aber man gehtden Weg mit Augenmaß, begünstigtdurch den Wettbewerbsaufbau mit Re-gional-, Landes- und Bundesausscheidun-gen ohne Durchgriffsrecht von oben.Diese Vorsicht ist legitim, denn die Teil-nehmerzahlen von „Jugend musiziert“

Jürgen Terhag stellt in Aussicht, dass einestärkere Ensemble-Orientierung auch„Jugend musiziert“ gut tun würde undein nutzbringender Effekt der Fusion wä-re. In der Tat werden sich die Pop-Katego-rien von „Jugend musiziert“ dahin ent-wickeln müssen, dass die Leistungen derMusiker innerhalb des Live-Spiels ihrerBand gewertet werden, sonst wird derWettbewerb keinen realen Bezug zumPop-Musikleben gewinnen. Das alleinwäre aber noch keine Reform, auf derenGrundlage man ein homogenes Katego-riensystem für die traditionellen Wertun-gen und den Jazz etablieren könnte. Viel-mehr wäre ein grundsätzlich anderer Zu-gang der Juroren zur Improvisations-und Interaktionsfähigkeit der Musikerin-nen und Musiker notwendig.Was spricht dafür, das Risiko einer Amal-gamierung einzugehen? Folgt man Jür-gen Terhags Plädoyer, gewinnt man denEindruck, es gehe um eine Vollständigkeitvon „Jugend musiziert“ in Bezug auf diedort abgebildeten musikalischen Genresund um eine Art später Gerechtigkeit ge-genüber Genres, die zum etablierten Mu-sikleben „nicht dazu gehörten“. DiesePerspektive erscheint nicht zeitgemäß.Ganz sicher würde man nach einer sol-chen Fusion nicht sagen können, nun ha-

Die Antwort des LandesmusikratsNordrhein-Westfalen auf das Plä-doyer von Jürgen Terhag in derMusikforum-Ausgabe 2/2011.Jürgen Terhag spricht sich im Musikforumfür eine Fusion von „Jugend jazzt“ mit„Jugend musiziert“ aus, gebe es dochkeinen Grund mehr für den „Ausschlussdes Jazz“ aus dem großen Wettbewerb,der mit der Etablierung der Bundesbe-gegnung 1997 geschehen sei. Tatsächlichgibt es „Jugend jazzt“ als Wettbewerb inNordrhein-Westfalen seit 1978 und mitgutem Grund stellen die Veranstalter hierein inhaltlich autarkes Forum für jazz-spielende Jugendliche zur Verfügung.Denn kein musikalisches Genre ist stilis-tisch derart offen, kein anderes Genre ineinem solchen Ausmaß befähigt, Impulseaus anderen Kulturen aufzunehmen undNeues daraus entstehen zu lassen. Kaumein anderes Genre fordert von seinenMusikern so sehr die Fähigkeit zur Im-provisation und bei kaum einem anderenist die Leistung des Musikers so sehr inder flexiblen und kreativen Interaktionmit anderen Musikern zu sehen. Dasführt zwangsläufig dazu, dass das Krite-rienwerk ein völlig anderes, weitaus offe-neres ist als das des Wettbewerbs „Jugendmusiziert“.

2.

FUSION:

„Jugend musiziert“und „Jugend jazzt“?

Philip Allar gewann in der Kategorie „Gesang (Pop)“ den ersten Preis beim

Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2010

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vergrößern sich ständig. Die Wettbe-werbsmacher wissen, dass der Wettbe-werb seine Bedeutung langfristig nur er-halten kann, wenn er sich ständig weiter-entwickelt und aktuell bleibt und auf die-se Weise Entwicklungen weiterhin mitge-staltet. Fusionen aber erfordern gleichar-tige Strukturen der Partner. Und es ist da-von nicht auszugehen, dass die Teilneh-merInnen der Begegnung „Jugend jazzt“ebenso gerne an einem sehr stark struk-turierten Wettbewerb „Jugend musiziert“teilnehmen würden. Die Einführung des DJing in das Katego-riensystem hat in NRW gezeigt, dass esbeim Einbeziehen eines neueren Genreswichtig ist, ein möglichst selbstständigesWettbewerbsprofil zu kreieren, welcheses den potenziellen Teilnehmern ermög-licht, sich mit ihrem Wettbewerb oderder Begegnung zu identifizieren. Neben-bei sei bemerkt, dass sich sechs Unter-nehmen, die die so entstandene „Reife-prüfung“ sponsern, auf eine reine „Ju-gend-musiziert“-Kategorie wohl kaumeinlassen würden.Die Kulturelle Vielfalt in unserer Gesell-schaft lässt es immer unwahrscheinlicherwerden, dass es gelingen könnte, einübergreifendes Wettbewerbsprofil zu fin-den, das alle Begabten zur Identifikation

Warum um aller Welt sollte eine ju-gendliche Pianistin zwischen Bachund Beatles nicht auch Bebopspielen dürfen? – Eine Antwort vonJürgen TerhagEs ist ein seltsames Gefühl, wenn auf eine

nett gemeinte Einladung eine schroffe Ab-

grenzung folgt: Hat der Jazz es wirklich nö-

tig, dass die von mir sehr geschätzten Kol-

legen angesichts meiner vorsichtig formu-

lierten Überlegung, vorhandene Barrieren

eventuell abzubauen, völlig neue Schutzwäl-

le auftürmen? Ich finde nicht!

Man liest mit Erstaunen und Unbehagen,

was alles „kein musikalisches Genre“ außer

dem Jazz auszeichnet, zu welchen musikali-

schen Leistungen „kein anderes Genre in ei-

nem solchen Ausmaß befähigt“ usw. Diese

Qualitäten des Jazz führen laut der oben ab-

gedruckten Replik „zwangsläufig dazu, dass

das Kriterienwerk [von „Jugend jazz“] ein

völlig anderes, weitaus offeneres ist als das

des Wettbewerbs ‚Jugend musiziert‘.“ Wie

schade, dass ein derart offenes Kriterienwerk

nicht auch bei „Jugend musiziert“ Anwen-

dung finden soll, was ein Anlass meiner vor-

sichtigen Anfrage gewesen war.

Trotz dieser Abgrenzungsversuche bleibt zu

hoffen, dass auch bei „Jugend musiziert“

ein „grundsätzlich anderer Zugang der Juro-

ren zur Improvisations- und Interaktionsfä-

higkeit der Musikerinnen und Musiker“

möglich werden kann, denn letztlich geht es

hier nicht um „eine Art später Gerechtig-

keit“ gegenüber bestimmten Genres, son-

dern um Jugendliche und deren Art mit Mu-

sik umzugehen – und die lässt sich heute

nicht mehr in die alten Schubladensysteme

einsortieren: Warum um aller Welt sollte ei-

ne jugendliche Pianistin zwischen Bach und

Beatles nicht auch Bebop spielen dürfen? Ich

hoffe sehr, dass wir im Gespräch bleiben!

3.

und zum Zeigen des eigenen Könnenseinlädt. Auch die Ansprache von Einwan-dererkulturen über die einsame Baglama-Kategorie hinaus wird es erfordern, Be-gegnungsmodelle zu formen, in denensich die Jugendlichen und die kulturellenErwartungen, die sie durch ihre Musikartikulieren, wiederfinden können.Das zeigt auch den einzigen Weg einersinnvollen Verbindung von „Jugendjazzt“ und „Jugend musiziert“: „Jugendjazzt“ könnte als inhaltlich selbstständigeBegegnung unter einem Dach nebenWettbewerben des Rocks, der Kunstmusikund anderer Musikformen siedeln. Wiedieses Dach dann heißt, wäre zu diskutie-ren. Und ob man es wirklich braucht?

Thomas Haberkamp, Christian de Witt,Michael Bender und Robert v. Zahn

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Acatay hat Gökhan voller Begeisterung da-

von erzählt, dass er beim nächsten Wettbe-

werb „Jugend musiziert“ mit seinem Turn -

table als DJer antreten wird. „Ey krass Alter,

isch dachte, dat is son verstaubter Klassik-

wettbewerb für Leute mit Kohle“, freut sich

Gökhan. Da beide am Türkischen Konserva-

torium in einem Baglama-Ensemble spielen,

kommt ihnen der Gedanke, sich auch mit

ihrem Ensemble für „Jugend musiziert“ an-

zumelden. Es folgt ungläubiges Staunen, als

ihnen die freundliche Geschäftsführerin des

Berliner Landeswettbewerbs erzählt, dass es

keine Bundeswertung für die Baglama gebe.

Die Gründe dafür seien ihr auch nicht be-

kannt. Acatay war bereits mit seinem E-Bass

beim Bundeswettbewerb dabei. Den beiden

Eine kleine Geschichte: Gemeinsam geht vieles besserAcatay und Gökhan spielen viel zusammen:

Computerspiele, Fußball im Verein und sie

machen zusammen Musik. Acatay geht auf

ein Gymnasium, während Gökhan die Se-

kundarstufe besucht, wie jetzt die alte Haupt -

schule in Berlin heißt. Ihre jahrelange Freund -

schaft, die bereits im Kindergarten begann,

ist von vielen gemeinsamen Aktivitäten ge-

prägt. Manchmal mehr, als den um die Schul -

noten besorgten Eltern lieb ist. Dennoch: Mit

ihren guten Deutschkenntnissen und ihrem

sozialen Engagement für die alte Oma in der

Nachbarschaft von Acatay – einmal die Wo-

che gehen sie mit ihr einkaufen – sind beide

ein gelungenes Beispiel für Integration.

ERWEITERUNG:

musikalische Vielfalt anderer Länder

jungen Türken stellt sich die Frage, ob denn

„ihre“ Musik nicht würdig sei, bei diesem

Wettbewerb vertreten zu sein. „Unser Ober-

häuptling Wulff hat doch neulich lauthals

verkündet, dass wir – äh ick meine der Is-

lam – zu Deutschland gehören. Wenn der

och Oberhäuptling von Jugend musiziert is,

kann er mal wat für uns tun – wa?“ So be-

schlossen beide, dem Herrn Bundespräsi-

denten einen Brief zu schreiben.

Recht haben sie. Acatay und Gökhan stehen

nicht alleine mit ihrer Überzeugung, dass

Deutschland reich ist an der Musik verschie-

dener Kulturen und diese Musik auch zu ei-

nem nationalen Wettbewerb wie „Jugend

musiziert“ gehört.

4.

Vier Impulse für die weitere Diskussion

1. „Jugend musiziert“ ist Impulsgeber für

die und Spiegel der musizierenden Ju-

gend.

2. „Jugend musiziert“ fordert und för-

dert:

| Engagement,

| die immerwährende Suche nach und

das Entdecken der eigenen Wurzeln,

| die Neugierde auf das Eigene und das

Andere,

| das Entdecken und Nutzen der eige-

nen Fähigkeiten.

3. „Jugend musiziert“ ist – wie jedes Pro-

jekt des Deutschen Musikrats – Förder-

maßnahme und Medium für die mu-

sikpolitischen Botschaften zugleich.

4. Der Schutz und die Förderung der Kul-

turellen Vielfalt sind handlungsleitend

für die konzeptionelle Weiterentwick-

lung von „Jugend musiziert“. Zu den

Grundlagenpapieren gehören:

| die völkerrechtlich verbindliche

UNESCO-Konvention zum Schutz und

zur Förderung der Vielfalt kultureller

Ausdrucksformen mit den gleichberech-

tigten Grundsäulen:

a) Schutz und Förderung des kulturellen

Erbes,

b) Schutz und Förderung der zeitgenös-

sischen künstlerischen Ausdrucksformen

einschließlich der Populären Musik,

c) Schutz und Förderung der Kulturen

anderer Länder in (dem jeweiligen Land)

Deutschland.

| die Berliner Appelle des Deutschen Mu-

sikrats.

Vorschläge für eine Umsetzung

| Keine bestehende Wertungskategorie

wird wegen der Einführung neuer Wer-

tungskategorien aus dem transkulturellen

Bereich abgeschafft.

| Es gilt das Regelwerk von „Jugend musi-

ziert“. Die Erfahrungen in Berlin und

Nordrhein-Westfalen haben gezeigt, dass

das Regelwerk von „Jugend musiziert“ aus -

reicht, um neue Wertungskategorien aus

dem transkulturellen Bereich einzuführen.

| Die Einführung neuer Wertungskategorien

aus dem transkulturellen Bereich sollte – wie

bisher üblich – instrumentenbezogen sein.

| Die Literaturlisten von „Jugend musiziert“

sind um die jeweiligen instrumenten- bzw.

ensemblespezifischen Werke zu ergänzen.

| Die Ausschreibung für den Bundeswettbe -

werb „Jugend musiziert“ 2013 wird um die

Wertungskategorie „Baglama solo“ erweitert.

Murat Boztas aus Köln: einer der ersten Preisträger in der Wertungskategorie Baglama aus Nordrhein-Westfalen

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werden. Die Diskussion scheint nichtwirklich voranzukommen, obwohl beimBundeswettwerb 2009 die „Bundesbe-gegnung Baglama“ Klarheit über den wei-teren Weg bringen sollte. „Jugend musiziert“ hat sich in seiner na-hezu 50-jährigen Geschichte einen exzel-lenten Ruf erworben; der Deutsche Mu-sikrat kann darüber zu Recht sehr stolzsein. Doch die Balance zwischen „Nach-frage wecken und Nachfrage decken“steht für den Anspruch, Mut zu entwi-ckeln, um neu oder zumindest weiter zudenken – aber auch danach zu handeln.Das haben auch die entscheidenden Gre-mien (Mitgliederversammlung, Konfe-renz der Landesmusikräte und das Präsi-dium) betont. Und Bundespräsident HorstKöhler und sein Nachfolger ChristianWulff haben den Deutschen Musikrat inder gesellschaftspolitischen Orientierungseiner Arbeit ausdrücklich unterstützt.Konkret bedeutet das: Gerade die Vielfaltder zahlreichen Musikgenres wird als einbesonderer kultureller Wert gesehen. Und das muss sich jetzt auch bei „Jugendmusiziert“ niederschlagen.

einander. Insbesondere die zunehmendePräsenz von Kulturen anderer Länder inunserem Land spiegelt sich nicht imWettbewerb wider. Der Grund dafür isteinfach: Es gibt keine Wertungskatego-rien, die die Instrumente und die damitverbundenen Literaturen dieser Kulturenvorsehen. So hat zum Beispiel die Lang-halslaute Baglama einen hohen Stellen-wert in der Kunst- und Volksmusik derTürkei und vielen weiteren Ländern. Siewird generationenübergreifend im En-semble, solo und oft in Verbindung mitGesang musiziert. Deswegen führte derLandesmusikrat Berlin 2001 als erster fürdie drei Regionalwettbewerbe und auchden Landeswettbewerb die Wertungskate-gorie Baglama in der Solo- und Ensemble-wertung ein. Inzwischen sind weitereLänder gefolgt. Aber: Auf der Bundesebe-ne findet sich diese Kategorie dennochnicht, obwohl die Baglama in vielen Län-dern gespielt wird.An der Bereitschaft zur weiteren Öffnungvon „Jugend musiziert“ kann es nicht lie-gen, denn die Einführung der Kategorie„Populäre Musik“ im Jahr 2006 ist einBeleg von vielen für die Bereitschaft, sichan neuen ästhetischen Erscheinungen zuorientieren.Für den transkulturellen Bereich gibt esbislang weder einen roten Faden in derMeinungsbildung noch erkennbareGründe, warum nicht – ähnlich wie beider „Populären Musik“ – beispielhaft ei-nige Instrumente anderer Kulturen alsWertungskategorien in die Solo- und En-semblewertungen beim Bundeswettbe-werb „Jugend musiziert“ aufgenommen

„Jugend musiziert“ – für wen?Für uns alle. Die Kinder und Jugendli-chen, die Erfahrung von „Jugend musi-ziert“ machen können, gewinnen nichtnur für sich selbst an Selbstbewusstseinund Ausdrucksstärke, sondern sind einGewinn für uns alle. Wer lernt, zuzuhö-ren und in sich hineinzuhorchen, ist aufdem Wege, sich auch gesellschaftlich zuintegrieren. Die „Jugend-musiziert“-Frage nach dem„für wen?“ bezieht sich erst recht auf dieZielgruppen des Wettbewerbs. Sind allemusizierenden Kinder und Jugendlichenangesprochen oder richtet sich dieserWettbewerb nur an diejenigen, die einbestimmtes Profil erfüllen?„Jugend musiziert“ steht in unseremLand – unter Beachtung der Teilnahme -voraussetzungen – der musizierenden Ju-gend offen. Dieser Wettbewerb steht für„Fördern und Begegnen“ und er mussoffen sein, unabhängig der sozialen undethnischen Herkunft, auch für eine Of-fenheit der Musikstile. „Jugend musi-ziert“ definiert nicht, welche Jugendli-chen und welche Musik gemeint sind,sondern erwartet, dass wirklich alle Ju-gendlichen und alle musikalischen Aus-drucksformen gemeint sind. Erst durcheinen Blick auf die Wertungskategorienwird deutlich, dass dem nicht so ist. Sofehlen beispielsweise die Instrumenteund die damit verbundenen Literaturenanderer Kulturen. Hinzu kommt: Die Schere zwischen all-gemeiner gesellschaftlicher Entwicklungund konzeptioneller Weiterentwicklungvon „Jugend musiziert“ klafft weiter aus-

Hans Bäßler ist Leiter des Master-Studiengangs

Schulmusik an der Hochschule für Musik, Theater

und Medien in Hannover, Vorsitzender des Bundes-

fachausschusses Musikalische Bildung des DMR,

Mitglied des Projektbeirats „Jugend musiziert“ des

DMR und Ehrenvorsitzender des Verbandes deut-

scher Schulmusiker.

Christian Höppner ist Generalsekretär des Deut-

schen Musikrats, Mitglied im Projektbeirat „Jugend

musiziert“ und Ehrenvorsitzender von „Jugend musi-

ziert Berlin".

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Unten schubsen die quietschgelben Lackschuhe immer wieder die Pedale des Bösendorfer-Flügels,und oben fliegen die Hände so schnell über die Tastatur, dass sie mit meiner kleinen Digitalkameraeinfach nicht scharf werden. Wenn Axel Zwingenberger Boogie-Woogie spielt, ist das fast schon einGesamtkunstwerk. Er besitzt diese „linke Hand wie Gott“, so hat das der amerikanische Autor PeterJ. Silvester einmal genannt.* Eine linke Hand, die völlig unabhängig von der improvisierendenrechten Hand die rollenden Bässe stampfen kann, wie in den Anfängen des 20. Jahrhunderts schonbei Zwingenbergers Vorbildern Pete Johnson, Albert Ammons und Meade Lux Lewis. Mit Blues undBoogie-Woogie überspielten sie die Tristesse des kargen Lebens der schwarzen Land- und Eisen-bahnarbeiter in den Südstaaten der USA. So arm sind heute weder die Spieler noch die Zuhörer.Aber heute wie damals ist diese Musik ansteckend wie ein Virus. Der Boogie-Woogie ist heimischgeworden im deutschsprachigen Raum und hat inzwischen eine große Fangemeinde. „Das warendreißig Jahre harte Arbeit“, sagt Axel Zwingenberger.

Der Blues- und Boogie-Woogie-PianistAxel Zwingenberger Stephan Mayer

Ich erinnere mich noch ganz genau.Es war im Jahr 1982, an einem kaltenNovembertag in Bonn. Überall Schnee-matsch und kriechende Nässe, ein eisigerWind pfiff durch die Straßen und ichhatte mit meinen Freunden beschlossen,jetzt, so gegen Mitternacht, nach Hausezu fahren. Und dann hörten wir dieseMusik. Unglaubliche Musik, mit einem„Drive“, der mir bis dahin völlig unbe-kannt war. Die Musik kam aus irgend -einem Keller in der Nähe. Es war wie einSog, dem wir ganz einfach folgen muss-ten. Die Musik kam aus der „Jazz-Gale-

Leo von Knobelsdorff aus Köln. Eine sol-che Session kann man nicht planen, soetwas kommt zustande, wenn die Leiden-schaft am Musizieren auf die Zuhörereinfach so überschwappt. Dann muss esweitergehen, manchmal bis zum Mor-gengrauen. Bei einer Musik, die keinenKommerz kennt „und so ‚indepent‘ ist,wie es nur irgend geht“, sagt Axel Zwin-genberger. Das war damals meine ersteBegegnung mit ihm, viele weitere inganz Deutschland sollten folgen und derBoogie-Woogie hat mich seitdem nichtmehr losgelassen.

rie“ in der Oxfordstraße am Rande derBonner Innenstadt. Eine Institution fürJazz und heiße Rhythmen, wie ich erstspäter erfahren habe. Dort unten saß ineiner verrauchten Kneipe Axel Zwingen-berger am Klavier. Schon damals mit die-ser prächtigen Löwenmähne auf demKopf, der er bis heute die Treue gehaltenhat. Sein Bruder Torsten Zwingenbergerspielte Schlagzeug. Das offizielle Pro-gramm war längst zu Ende, wir warenmitten in eine so genannte Session gera-ten, zu der sich noch viel später eineweitere Boogie-Woogie-Ikone gesellte:

Eine linke Hand wie Gott

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zweimal stattgefunden hat, ist Tradition.Also, zur Summe des Musiklebens gehö-ren Blues und Boogie-Woogie einfachdazu.Während es vor dreißig Jahren imdeutschsprachigen Raum gerade mal eineHandvoll Boogie-Woogie-Pianisten gab,sind es heutzutage weit über hundert.Das ist hauptsächlich das Verdienst vonAxel Zwingenberger, aber auch von sei-nem etwas älteren Kollegen Vince Weber.Die beiden bespielten im ganzen Landdie Kneipen und Jazzclubs und bei jedemAuftritt wurde die Fangemeinde größer.

selbst“, so Zwingenberger. „Oder aberdurch Mundpropaganda und – glücklicheFügung der modernen Zeit – auch durchdas Internet.“Totgesagt waren Blues und Boogie-Woo-gie eigentlich nie, stattdessen aber immermal wieder für „jetzt gerade lebendig“erklärt. Das hört Axel Zwingenberger nunschon seit vielen Jahren und kommen-tiert es süffisant so: „Wenn etwas immerwieder im Kommen ist, dann ist es dochauch etwas Konstantes.“ Man könnte dasauch mit einer bayerischen Redensartumschreiben: Alles, was mindestens

In den 1970er-Jahren, da hatten die gro-ßen Plattenlabels noch Interesse an denaufstrebenden Nachwuchs-Jazzmusikern.Die ersten Schallplatten von Axel Zwin-genberger erschienen bei den Elefanten-marken Teldec und EMI. Aber heute istderen Interesse weitgehend abgeklungen.Zwingenberger produziert seine Plattenbei einem kleinen Label, weil für die gro-ßen Firmen bei Jazz und Boogie-Woogiekeine so genannten „cash-cows“ für dasschnelle Geld sorgen. „Das ist eine Musik,die nicht von der Werbung weitergetra-gen wird, sondern durch die Musiker

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Axel Zwingenberger in Amerika aufge-sucht und mit einigen Schallplatten undTourneen durch Europa gemacht. Ich er-innere mich an eine solche BegegnungMitte der 1980er-Jahre in Hamburg. Ichwar angehender Fernsehjournalist unddurfte beim NDR einen Auftritt von AxelZwingenberger betreuen. Er kam mit ei-ner der letzten damals noch lebendenBluessängerinnen der alten Zeit: SippieWallace. Der Auftritt war im wahrstenSinne des Wortes filmreif. Etwas eingefal-len schon, zerfurcht im Gesicht und zer-brechlich wirkte die 85-jährige Dame. Siesaß im Rollstuhl und wirkte ziemlich ab-wesend, bis Axel Zwingenberger am Flü-gel im NDR-Studio den ersten Ton an-stimmte. Da schoss förmlich das Leben indas Gesicht der alten Dame, sie erhobsich wie selbstverständlich aus dem Roll-stuhl und begann zu singen – mit sicht-barer Leidenschaft und Freude an derMusik. Das war ein beeindruckendes Er-lebnis.Die Liste der Stars aus der internationalenBluesszene, mit denen Axel Zwingenber-ger musiziert hat, ist lang: allen voranLionel Hampton, Big Joe Turner, Cham -pion Jack Dupree. Im Moment ist Zwin-genberger mit der Enkelin seines großenVorbildes Albert Ammons unterwegs: LilaAmmons. Die beiden sind gerade von ei-

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ses, in dem sich seinerzeit der Haupt-mann von Köpenick verschanzt hatte;eingehüllt in dünne Regenumhänge ausPlastik, eng zusammengerückt, zum Teilunter Regenschirmen. Auf den Umhän-gen tanzen die Regentropfen, weil manbei dieser Musik einfach nicht ruhig sit-zen bleiben kann. Also wippen die Zuhö-rer auch diesmal so heftig mit den Kör-pern, dass die Regentropfen tanzen. „Der Boogie-Woogie“, sagt Zwingenber-ger, „gehört zum Jazz und ist eine Form,den Blues, der sonst eigentlich gesungenwird, auf dem Klavier zu spielen. Ge-kennzeichnet ist diese Musik von einemrollenden Achtelbeat: dieser ist ursprüng-lich so im Jazz gar nicht vorhanden ge-wesen. Aber als der Boogie-Woogie po-pulärer wurde, kamen diese rhythmi-schen Formen auch in den Jazz. DieseVeränderung im Jazz fing also eigentlichmit dem Boogie-Woogie an.“Und dann, nicht zu vergessen, der Blues.„Der wiederum ist die Basis des Boogie-Woogie“, sagt Axel Zwingenberger. „Dasgeht leider manchmal zwischen der Vir-tuosität des Boogie-Woogie ein wenigunter. Aber eigentlich spielen wir Bluesund Boogie-Woogie.“ Will man also zuden Wurzeln des Boogie-Woogie, landetman irgendwann unweigerlich bei denalten Bluesmusikern. Viele von ihnen hat

Axel Zwingenberger, der gelernte Kon-zertpianist, wagte dann noch, was es bisdahin überhaupt nicht gab. Er ging mitBlues und Boogie-Woogie in die großenTheater und Konzertsäle und hatte damitenormen Erfolg. Heute spielt er sogar re-gelmäßig in der Berliner Philharmoniediese „Musik der alten Schwarzen ausden USA“, wie er sie liebevoll nennt. Na-türlich auf einem modernen Konzertflü-gel. Aber das ist mittlerweile Standard beivielen Jazzmusikern, weil diese Instru-mente mehr Möglichkeiten bieten als dieverstimmten Klaviere, die uns klischee-haft an Jazz erinnern.Und so stand im vergangenen Juli einBösendorfer-Flügel auf dem Podiumbeim Jazzfestival in Köpenick. DreißigJahre sind vergangen seit meiner erstenBegegnung mit Axel Zwingenberger, undich bin wieder mit ein paar Freunden beieinem seiner Konzerte. Kalt ist es diesmalnicht, aber es regnet in Strömen beimOpen-Air-Festival „Jazz in Town“. DieBoogie-Fangemeinde konnte das nichtaufhalten. Sie kommen aus allen Gesell-schaftsschichten: die, die früher in denverrauchten Kneipen saßen, die „Cross -over-Zuhörer“ aus den klassischen Kon-zertsälen und auch ganz viele neugierigejunge Menschen. Da sitzen sie nun aufden Bierbänken im Innenhof des Rathau-

Axel Zwingenberger und die Blues-sängerin Lila Ammons (die Enkelindes Boogie-Woogie-Spielers AlbertAmmons)

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ner Brasilientournee zurückgekommen – ein voller Erfolg, inden Konzerten waren bis zu 10 000 Menschen, vorwiegendJugendliche. „Das Alterungsproblem des Jazzpublikums“, sagtZwingenberger, „ist eine europäische und vielleicht auchnordamerikanische Erscheinung. Vermutlich deshalb, weil die-se Musik dort schon länger bekannt ist. Aber in Brasilien tan-zen die jungen Leute sogar zu Dixieland auf der Straße, undjedes Konzert endet mit ‚standing ovations‘.“ Axel Zwingen-berger spielt inzwischen auf der ganzen Welt Boogie-Woogie.„Das war am Anfang gar nicht so einfach“, lacht er: „Dass daseine schwarze Musik ist und ich nicht von dunkler Hautfarbe,das spielte schon eine Rolle. Das war“, fügt er akademischhinzu, „ein echtes Legitima tionsproblem. Das ist wie der Ver-such, schwedische Spaghetti zu verkaufen. Aber ich wollte eswissen, denn das erste, was ich seinerzeit über den Boogie-Woogie gelesen hatte, war: Weiße können das nicht.“ AxelZwingenberger hat alle Zweifler eines Besseren belehrt. Er hatjahrelang mühsam die alten Stücke angehört und dann aufNotenpapier geschrieben, denn die wenigsten Boogie-Woo-gies oder Blues-Stücke sind jemals gedruckt worden. Unddann hat er es am Klavier zu einer Boogie-Woogie-Meister-schaft gebracht, die kaum zu überbieten sein dürfte. Mehr als dreißig Jahre rollende Bässe, virtuose Figuren in derrechten Hand und immer wieder Bluesnummern liegen in-zwischen hinter dem „Großmeister des Boogie-Woogie“, wiedie Frankfurter Allgemeine Zeitung Axel Zwingenberger einmalbezeichnet hat. Das alles spüren wir auch an diesem verreg-neten Abend beim Jazzfestival in Köpenick. Selbst der Parade-Boogie-Woogie, der Honky Tonk Train Blues, klingt, als hätteihn Zwingenberger neu erfunden. Zu einer Session kam esdiesmal nicht, dafür aber eine satte Zugabe. Und so legten siean diesem Abend noch einmal los: die „linke Hand wie Gott“und die quietschgelben Lackschuhe.

Weitere Informationen zu Axel Zwingenberger gibt es im In-ternet unter www.boogiewoogie.net. Dort finden sich auchCD-Aufnahmen und Bücher des Künstlers.

* Peter J. Silvester: A left hand like God. A history of Boogie-Woogie-Piano,

New York 1988.

Stephan Mayer, studierter Geschichts-, Kunstgeschichts- und Musikwissen-

schaftler, ist Studioleiter des Bayerischen Fernsehens in Berlin. Er gehört dem

Bundesfachausschuss „Musik und Medien“ des Deutschen Musikrats an. In

der Serie „Begegnungen“ berichtet Mayer im Musikforum über Persönlichkei-

ten aus dem nationalen und internationalen Musikleben.

Doch die Feierlichkeiten,die sich mitunter wieWiedergutmachungenausnehmen, sollten nichtdarüber hinwegtäuschen,dass sich an Liszt nach wievor die Geister scheiden. Da-bei polarisiert nicht der Pianist,sondern vorrangig der Komponist.Dazu rufe man sich zunächst einige Für-sprecher in Erinnerung: Richard Straussstellt 1890 in derbem Ton fest, dass Lisztder einzige Sinfoniker sei, der nach Beet-hoven habe kommen müssen und allesÜbrige „purer Dreck“4 sei; Camille Saint-Saëns bezeichnet Liszt 1911 als einen„genialen Komponisten“;5 Alfred Brendelnennt ihn einen der „atemraubendstenRevolutionäre der Musikgeschichte“.6

Auf der anderen Seite sei an den Musik-kritiker Eduard Hanslick erinnert, derLiszt schöpferisches Genie rundweg ab-spricht und die Symphonischen Dichtun-gen als „symphonische Unglücksfälle“7

bezeichnet; Clara Schumann vermerkt1886 in ihrem Tagebuch, dass Liszt ein

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„Lisztomania“ ohne Grenzen! Die internationalen und nationalen Feier-lichkeiten anlässlich des 200. Geburtstagsvon Franz Liszt sind schier unüberschau-bar und werden am 22. Oktober im„World-Liszt-Day“2 gipfeln. Blicken wirauf ausgesuchte Höhepunkte der Liszt-Ehrungen:Der Freistaat Thüringen präsentiert indiesem Jahr unter dem Motto „Ein Euro-päer in Thüringen“ ein breit angelegtes,künstlerisch-wissenschaftliches Programman ehemaligen Wirkungsstätten desKünstlers; Liszts Sterbestadt Bayreuth3

veranstaltet ein Jubiläums-Event unter deralliterierenden Überschrift „Lust aufLiszt“; das diesjährige Beethovenfest inBonn steht unter dem Leitthema „Zu-kunftsmusik. Beethoven, Liszt und dasNeue in der Musik“; der Pianist DanielBarenboim geht mit beiden Klavierkon-zerten Liszts unter der Stabführung PierreBoulez’ auf Tournee; der Pianist AlfredBrendel hält unter dem Motto „VomÜberschwang zur Askese“ „Liszt-Lectu-res“ ab.

„schlechter Kompo-nist“ gewesen sei („hierin für viele ver-derblich“8); und erinnert sei, um in dieGegenwart zu kommen, an namhafte Pia-nisten wie András Schiff, die sich wei-gern, Kompositionen Liszts zu spielen.

Sechs Ehrungen für Franz Liszt:

Der Pianist …… Franz Liszt war ein „Star“ seiner Zeit.Seine Auftritte in nahezu allen TeilenEuropas entfachten Stürme der Begeiste-rung, ja, der Kult, der um ihn getriebenwurde, entwickelte hysterische Züge. Auszeitgenössischen Berichten erfahren wir,welch’ Faszination und Zauber von sei-nem Spiel9 ausgegangen sind. Der Ver-gleich des Lisztforschers Alan Walkers„Was Euklid für die Geometrie, ist Liszt

HOMMAGE À

Franz Liszt ZUM

200. GEBURTSTAG

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einen Stillstand, nie ein „behaglich-bie-dermeierliches Sich-Einrichten“. Immerwieder hat er mit beißender Ironie dasJuste-milieu der Konservatorien gebrand-markt. So ruft er beim Schülervortrag ei-nes seiner Klavierstücke (Funérailles) aus:„Der Componist hat kein Conservatori-um absolviert, das sieht man!“13 In sei-nem Spätwerk, in dem Richard Wagner„keimenden Wahnsinn“14 zu erkennenglaubte, bricht Liszt noch radikaler mitden Konventionen. Die späte Klaviermu-sik, zwischen Melancholie und Resigna -tion changierend und am Rande der To-nalität, weist den Weg ins 20. Jahrhun-dert. Busoni, Schönberg, Bartók und Ra-vel haben dies erkannt.

Der Dirigent …… Franz Liszt setzte in der Orchesterlei-tung neue Maßstäbe. Mit seinem Aus-spruch „Wir sind Steuermänner und kei-ne Ruderknechte“15 weist der WeimarerKapellmeister Kritik am neuen Stil seinerDirigate energisch zurück und breitet sei-ne Vorstellungen einer modernen Orches-

„Liszt war eine Zentralfigur in der Geschichte der Musik. […] Sei-ne Musik ist ein Ergebnis seiner paneuropäischen Natur“, sagtejüngst Daniel Barenboim.1 Liszts Wirken als Pianist, Komponist, Di-rigent, Musikschriftsteller, Förderer und Lehrer war vielgestaltigund hat mannigfaltige Spuren in der Musikgeschichte hinterlassen.

Sechs Ehrungen für Franz Liszt! Johannes Herwig

Der Komponist …… Franz Liszt hat ein immenses Œuvrehinterlassen. Es umfasst an die 670 Kom-positionen und Transkriptionen. Ange-sichts dieses „kaum fassbaren Reichtumsder gesamten Musik Franz Liszts“,11 inder sich neues musikalisches Denkenvielgestaltig artikuliert, muten Diskussio-nen über vermeintliche kompositorischeSchwächen häufig fragwürdig an, weildiese seit über 100 Jahren geführten Dis-kussionen zumeist aus hartnäckigen Vor-urteilen, Ignoranz und Unwissen gespeistwerden.12 Dabei verstellen Begriffe wie„Tastenakrobatik“, „Erotomanie“ und„Abbé-Verkleidungen“ die Findung se-riöser Urteile.Der zutiefst gläubige Liszt bleibt Zeit sei-nes Lebens ein Suchender, ein Wanderer(Liszt über sich: „Halb Zigeuner, halbFranziskaner“) und das macht ihn in derMusikgeschichte andersartig, ja einzig -artig. Deutlich kommt dieser Musicien-voyageur Franz Liszt in den zahlreichenRevisionen bzw. Bearbeitungen eigenerWerke zum Ausdruck. Es gibt bei Liszt nie

für das Kla-vier“,10 scheint

indes nicht über-trieben, denn Liszt

hat die Technik des Klavier-spiels revolutioniert und die Klangpa-lette des Instruments gleichsam insOrchestrale erweitert. Nun war Franz Liszt keineswegs nurder Virtuose rauschender Paraphrasenund kühner Improvisationen, sonderner setzte in seinen Tourneejahren (erselbst nannte diese Zeit später ironisch„Saus und Braus“) stets auch wenigbekannte bis unbekannte Werke aufdie Programme. Seinem untrüglichenästhetischen Instinkt ist es somit zuverdanken, dass die Musik eines Lud-wig van Beethoven, Robert Schu-mann, Frédéric Chopin und vor allemFranz Schubert in allen WinkelnEuropas bekannt gemacht wurde.

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ritas entscheidende Bedeutung zu. Vordiesem Hintergrund erschließt sich dieDimension des Pädagogen Liszt, durchdessen Leben sich das Unterrichten wieein roter Faden zieht: Das Weitergeben,das Vermitteln ist ihm inneres Bedürfnis.Namen seiner Schüler und Schülerinnenlesen sich wie ein „who is who“ der Pia-nistenelite, die zum Teil weit ins 20. Jahr-hundert hinein gewirkt hat. Zeitgenössi-sche Berichte17 gewähren uns aufschluss-reiche Einblicke in die Liszt’sche Unter-richtswerkstatt, die selbst einem heutigenUnterricht alle Ehre machen würde. AlsStichpunkte seien genannt: Gruppenun-terricht, freie Literaturwahl, Förderungder individuellen Anlagen, Interpretationim Sinne einer Einheit von Technik, Geistund Idee, das Vorspielen bzw. die prak -tischen Erläuterungen des Lehrers am Instrument, Förderung zeitgenössischerMusik, kostenloser Unterricht für alleSchüler und Schülerinnen.

Zum AusklangNike Wagner hat sich in einem berühren-den Essay mit Franz Liszt, ihrem Urur-großvater, auseinandergesetzt. Hier lesen

Der Komponist Liszt – Manuskript derungarischen Rhapsodie Nr. 19

terleitung aus. Der mutige „Zukunftsmu-siker“ bringt in mehr als der Hälfte sei-ner 43 Opernproduktionen zeitgenössi-sche Werke, das heißt Ur- bzw. Erstauf-führungen auf die Bühne (davon sindOpernhäuser heutzutage wohl weit ent-fernt!). In Weimar veranstaltet Liszt mitder 34-köpfigen Hofkapelle erste Berlioz-und Wagner-Festtage. Große Dirigentenwie Hans von Bülow oder Arthur Nikischberufen sich in ihrer Orchesterarbeit aus-drücklich auf den Dirigenten Liszt.

Der Musikschriftsteller …… Franz Liszt meldet sich in zahlreichenSchriften kritisch, schwärmerisch, visio-när, utopisch, auch apodiktisch zu Wort.16

Unter den frühen Pariser Aufsätzen neh-men die sechs Folgen „Über die Stellungdes Künstlers“ eine zentrale Stellung ein,denn hier übt der 24-jährige Virtuosen-Star, unter den Lehren des Saint-Simonis-mus und des Abbé de Lamennais ste-hend, fundamentale Kritik am bestehen-den Kunst- und Konzertbetrieb und ent-wickelt jene berückende Vision einer„Musique humanitaire“. Aus der nichtnur schriftstellerisch produktiven Weima-

rer Periode greife man den Aufsatz „Ber-lioz und seine Harold-Symphonie“ (1855)heraus, da Liszt sich hier nicht nur fürden Franzosen vehement einsetzt, son-dern eigene ästhetische Positionen zurProgrammmusik entfaltet und die Ver-schmelzung von Musik, Literatur und Bil-dender Kunst metaphernreich propagiert.

Der Förderer und Mäzen …… Franz Liszt hat sich in selbstloser Wei-se für die Musik anderer eingesetzt. Seinvehementes Eintreten für Richard Wag-ner, dessen Lohengrin in Weimar uraufge-führt wird, ist hinreichend bekannt.Doch sollte man darüber die anderenKomponisten nicht vergessen, die durchLiszt mannigfaltige Förderung erfahrenhaben, indem er ihnen in seinen Kon-zert- und Opernprogrammen Klang undRang gegeben hat. Man denke nur anBerlioz, Schumann, Saint-Saëns, Smetana,Borodin bzw. an die „Gruppe der Fünf“.

Der Lehrer …… Franz Liszt schließt sich an den Förde-rer nahtlos an. In Liszts Weltbild eineschristlichen Humanismus kommt der Ca-

Der gefeierte Konzertpianist mit weitausholendem Armschwung

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17 z. B. August Stradal: Erinnerungen an Franz Liszt,

Bern 1929; siehe auch Fußnote 13.

18 Nike Wagner: „Zu meinem Franz Liszt“, in: Alma

nach 2011. Jahrbuch der Gesellschaft der Freunde

von Bayreuth e.V., Bayreuth 2011, S. 162.

11 Wolfgang Dömling: Franz Liszt, München 2011,

S.104

12 siehe dazu Nobert Nagler: „Das Liszt-Bild – ein

wirkungsgeschichtliches Missverständnis?“, in:

Heinz-Klaus Metzger / Rainer Riehn (Hg.): Musikkon-

zepte 12. Franz Liszt, München 1980, S. 115-127.

13 August Göllerich: Franz Liszts Klavierunterricht

von 1884-1886, Regensburg 1975, S. 61.

14 Cosima Wagner: Die Tagebücher (Bd. 2), hg. von

Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München

1977, S.1059.

15 Öffentlicher Brief Liszts vom 5.11.1853, in: Ernst

Burger: Franz Liszt, München 1986, S. 191

16 Detlef Altenburg (Hg.): Franz Liszt. Sämtliche

Schriften. Bd. 1-9, Wiesbaden 1989 ff.

wir u. a.: „Sein ‚Romantisches‘ im schöns -ten Sinn gefällt mir – als dem unbeding-ten Gefühl, der Generosität, der entgren-zenden Träumereien und exzessiven Er-forschung anderer Welten.“18

Herzlichen Glückwunsch Franz Liszt!

1 Daniel Barenboim im Interview, unter YouTube

(Stichwort: „Barenboim Liszt Interview“)

2 In verschiedenen Metropolen wird an jenem Tag

Liszts Oratorium Christus aufgeführt.

3 Im Rahmen der diesjährigen Bayreuther Festspiele

fand kein Liszt-Festkonzert (wie 1986 zum 100. To-

destag) im Festspielhaus statt.

4 Ernst Krause (Hg.): Richard Strauss: Dokumente,

Leipzig 1980, S. 28.

5 Charles-Camille Saint-Saëns: Musikalische Remi-

niszenzen, hg. von Reiner Zimmermann, Leipzig

1978, S. 126.

6 Alfred Brendel: „Der missverstandene Liszt“ (1961),

in: Alfred Brendel: Nachdenken über Musik, München

1977, S. 120.

7 Eduard Hanslick: Aus dem Tagebuch eines Rezen-

senten, hg. von Peter Wapnewski, Kassel 1989, S. 36.

8 zitiert nach: Beatrix Borchard: Clara Schumann,

Frankfurt/Main 1991, S. 374.

9 Erinnert sei an dieser Stelle an Wilhelm Buschs Bil-

dergeschichte Der Virtuos. Hier wird das „Spiel“ des

Künstlers mit seinem Publikum eindrucksvoll kari-

kiert.

10 Alan Walker: Franz Liszt (Band 1), London 1989,

S. 296.

Internetadressen zum Liszt-Jahr 2011

www.liszt-2011.de www.lisztomania.at

www.liszt.bayreuth.de www.lisztfestival.at

www.liszt-2011.hu/de www.anneeliszt.com

Empfohlene Literatur

Altenburg, Detlev (Hg.): Franz Liszt. Sämtliche Schriften, neun Bände, Wiesbaden 1989 ff

Burger, Ernst: Franz Liszt. Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten, München 1986

Dömling, Wolfgang: Franz Liszt, München 2011

Huschke, Wolfram: Franz Liszt. Wirken und Wirkungen in Weimar, Weimar 2010

Raabe, Peter: Liszt, zwei Bände, Stuttgart 1931 (Reprint Tutzing 1968)

Johannes Herwig studierte Schulmusik, Klavier und

Musikwissenschaft. Seit 1996 ist er Professor für Mu-

sik und ihre Didaktik an der Hochschule für Musik,

Theater und Medien in Hannover. Er veröffentlicht zu

musikpädagogischen und musikwissenschaftlichen

Themen.

Liszt als Dirigent (Lithografie nach C. F. Hoffmann)

Lisztschüler, Sondershausen 1886; unter ihnen Bernhard Stavenhagen (rechtsoben), Alexander Siloti (halb liegend) und Arthur Friedheim (rechts unten)

44 neue töne

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Visitenkarte zu produzieren, bei deren Ge -staltung er in allen Punkten entscheidendmitwirken kann: von der Musik- und En-sembleauswahl über den Autor des Book -lettextes bis zur Covergestaltung. So ent-steht am Ende ein ganz persönliches Zeit-dokument, das den Komponisten so prä-sentiert, wie er sich selbst sieht – musika-lisch, ästhetisch, philosophisch. Nicht sel-ten folgen den Juryentscheidungen Kom-positionsaufträge und Festivalprogram -mierungen; sie geben der jungen Künst-lerlaufbahn den entscheidenden Schub,fördern das kompositorische Selbstbe-wusstsein und die Weiterentwicklung deseigenen Werks. Für die Künstler ist dieEdition als Fördermaßnahme attraktiv, wiedie hohe Bewerberzahl für eine Aufnah-me in die Reihe regelmäßig bestätigt.

Noch aktuell?Nach erfolgreicher 25-jähriger Editions-geschichte stellt sich im digital-virtuellenZeitalter dennoch die Frage, ob das Medi-um CD dieser Tage überhaupt noch zeit-gemäß ist, ob die Möglichkeiten des Ton-trägers nicht längst ausgereizt sind. Abge-sehen von den derzeit technisch undrechtlich noch eingeschränkten Möglich-keiten einer rein virtuellen Präsenz derEZM treibt es Komponisten, die Grenzender CD auszuloten und sozusagen mitdem Medium gemeinsam ein Kunstwerkzu schaffen, das mehr ist als die bloße Ab -bildung von Musik. So verknüpft aktuelletwa der 2010 ausgewählte Mathias Ockertseine speziell für das Porträt bearbeitetenWerke durch Brücken elektronischer Mu-

Seit 1986 die erste CD erschien, hat sichdie Reihe kontinuierlich weiterentwickelt,hat einige optische Veränderungen voll-zogen und ist auch inhaltlich heute mehrals „nur“ eine Ansammlung von Kompo-nistenporträts. Waren es in den Anfangs-tagen nahezu ausschließlich bereits vor-handene Aufnahmen der Rundfunkanstal-ten, die auf CD kompiliert wurden, so istder Anteil der Neuproduktionen in denletzten Jahren immens gestiegen. Allein2010 wurden auf drei von vier veröffent-lichten CDs ausschließlich für diese pro-duzierte Aufnahmen veröffentlicht. Deröffentlich-rechtliche Rundfunk bleibt da-bei ein wichtiger Partner des Musikrats,fungieren die Sendeanstalten der ARD dochin den allermeisten Fällen als Koprodu-zenten, die ihre Infrastruktur in Formvon Studios und Personal für neue Pro-duktionen zur Verfügung stellen. Geför-dert werden dabei nicht nur die jungenKomponisten, auch die vielfältige deut-sche Szene von Spezialensembles undEinzelinterpreten Neuer Musik wird imRahmen der Edition Zeitgenössische Mu-sik dokumentiert und präsentiert, darunterz. B. aktuell das Ensemble Modern, das En -semble musikFabrik, l’art pour l’art oderdas e-mex ensemble. Durch die Realisie-rung solcher Neuproduktionen geratendie CDs der Edition Zeitgenössische Mu-sik nicht selten zur Referenzaufnahme.Wird ein Komponist durch den zwölfköp-figen Beirat unter der Leitung von Wolf-gang Rihm für ein Porträt ausgewählt, er-hält er hiermit die – meist einmalige –Möglichkeit, für sich eine musikalische

Wer sich einen kompakten Überblicküber ein Vierteljahrhundert Editionsge-schichte verschaffen möchte, der kanndies mithilfe des 2010 erschienenenSamplers Collection 75 tun. Diese Zusam-menstellung, anlässlich der 75. Veröffent-lichung der Reihe erschienen, vereintzehn Werke unterschiedlichster Ästhetikvon den 1970er-Jahren bis heute. Lässtman sich auf diese Zeitreise ein, wirdklar, dass der Wert der Edition Zeitgenös-sische Musik nicht zuletzt darin liegt,dass hier eine Enzyklopädie geschaffenwurde, die in ihrem Umfang und ihrerVielfalt einen repräsentativen Überblicküber das kompositorische Schaffen dervergangenen 25 Jahre in Deutschland zuleisten vermag. Auch durch die kontinu-ierliche Zusammenarbeit der Förderpro-jekte Zeitgenössische Musik des Deut-schen Musikrats mit dem in Mainz ansäs-sigen Label Wergo entwickelte sich dieReihe zu einer wichtigen Institution zurDokumentation und Präsentation zeitge-nössischer Musik.

Die Edition Zeitgenössische Musik(EZM) feiert in diesem Jahr ihr 25-jäh-riges Bestehen. In ihrem Katalog ausnunmehr gut achtzig Komponistenport -räts in CD-Form finden sich regelmäßigvielversprechende und talentierte Ver-treter der jungen Komponistengenera-tion. Mittlerweile sind in diesem Kom-pendium zeitgenössischen Komponie-rens auch etablierte Größen wie IsabelMundry, Jörg Widmann oder Enno Pop-pe vertreten.

Am Puls derAVANTGARDEDie Edition Zeitgenössische Musik porträtiert seit 25 Jahrenjunge Komponisten in Deutschland Daniel Mennicken

neue töne 45

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„Abenteuer Neue Musik“, das sich vor al-lem an jüngere Hörerinnen und Hörerwendet. Zu ausgewählten Produktionender Edition wird gemeinsam mit dem je-weiligen Komponisten, einem Pädagogenund einem Musikwissenschaftler ein Kon -zept zur Vermittlung einer exemplarischenKomposition erarbeitet und zumeist imschulischen Bereich, in jüngster Zeit aberauch in der Erwachsenenbildung, praxis-nah umgesetzt. Diese Workshops werdenfilmisch dokumentiert und sind zusam-men mit den verwendeten Unterrichts-materialien frei im Internet verfügbar –als Anregung oder auch als fertige Kon-zepte für Pädagogen, die den oftmals stief -mütterlich behandelten Bereich „Zeitge-

sik miteinander. Die 2011 in die Editionaufgenommene Komponistin AnnesleyBlack plant beispielsweise zusätzlich zuihrer Porträt-CD ein interaktives PC-Spielein, mittels dessen dem hörenden Benut-zer die Möglichkeit gegeben werden soll,in direkten Kontakt mit dem musikalischenMaterial der CD zu kommen und selbstins Gesche hen eingreifen zu können.Eine sinnvolle Ergänzungsmöglichkeit bie -tet indessen die Kombination von tradi-tionellen und neuen Medien wie zumBeispiel die kompakten Film-Porträts, diebegleitend zu den CDs der Edition Zeit-genössische Musik online abrufbar sind.Kurz und informativ ermöglichen sie ei-nen Einblick in die Klang- und Arbeits-welt des porträtierten Komponisten. Zweidieser Filme – über Oliver Schneller undJörg Widmann – sind bereits im Internetverfügbar, weitere sind in Planung. Hiergilt es, für die Zukunft weiterzuarbeiten.Dabei lohnt auch der Blick nach Übersee,wo das American Music Center bereitsseit Jahren mit dem Format „New MusicBox“ für „seine“ Komponisten und Mu-siker eine Plattform mit großer Öffent-lichkeitswirksamkeit realisiert. SolcheProjekte könnten zukünftig auch für dieKünstler der Edition Zeitgenössische Mu-sik von immer größerer Bedeutung sein.Ebenfalls im Internet abrufbar ist seit2008 pädagogisches Begleitmaterial zurEdition Zeitgenössische Musik. In Zusam-menarbeit mit dem Verlag Schott Musicund der Musikpädagogin Silke Egeler-Wittmann entwickelten die Förderpro-jekte Zeitgenössische Musik das Projekt

Infos für BewerberBewerben können sich all jene Komponisten, die in Deutschland geboren sind bzw. ih-

ren Lebensmittelpunkt über mehrere Jahre in Deutschland haben und die zum Zeitpunkt

der Bewerbung nicht älter als vierzig Jahre sind. Die Bewerbungsfrist für die Auswahl

2012 endet am 28. Februar 2012. Weitere Informationen zur Bewerbung finden sich un-

ter www.musikrat.de/edition

Komponisten seit 2006In der Edition Zeitgenössische Musik sind in den vergangenen Jahren (chronologisch ab-

steigend) Porträt-CDs von folgenden Komponisten erschienen: Jamilia Jazylbekova, Samir

Odeh-Tamimi, Gordon Kampe, Elena Mendoza, Oliver Schneller, Saed Haddad, Achim

Born hoeft, Arnulf Herrmann, Martin Schüttler, Hannes Seidl, Jay Schwartz, Sven-Ingo

Koch, Hans Thomalla, Sebastian Stier, Carsten Hennig, Andreas Dohmen, Thomas Stiegler,

Erik Oña, Markus Hechtle, Sebastian Claren, Enno Poppe, Jens Joneleit, Orm Finnendahl.

Der BeiratDem Entscheidungsgremium, das einmal im Jahr zusammenkommt, um aus der Vielzahl

der Bewerber die vielversprechendsten für eine CD-Produktion auszuwählen, gehören

derzeit an: Wolfgang Rihm (Vorsitz), Carola Bauckholt, Titus Engel, Hans-Peter Jahn,

Frank Kämpfer, Ulrich Mosch, Isabel Mundry, Rainer Pöllmann, Peter Rundel, Thomas

Schäfer, Dagmar Sikorski, Friedrich Spangemacher.

nössische Musik“ in ihren Unterricht in-tegrieren wollen.So bleibt die Edition Zeitgenössische Musikmit ihren nun 25 Jahren eine konstanteGröße der Neuen-Musik-Szene. Ihr Poten -zial zur Integration unterschiedlichsterkünstlerischer Genres und Spielarten istnoch längst nicht ausgeschöpft. Sie istwandlungsfähig genug, um auch auf neueMarktbedürfnisse und verändertes Rezep-tionsverhalten angemessen zu reagieren.

Daniel Mennicken studierte Musikwissenschaft und

Germanistik in Bonn. Nach seinem Studium arbeitete

er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die

Projektgesellschaft des Deutschen Musikrats. Seit 2010

betreut er die Reihe „Edition Zeitgenössische Musik“.

des Menschen bei.“ Kulturpolitik ist fürBernbacher somit immer auch Gesell-schaftspolitik. Den Föderalismus und ins-besondere die Länderhoheit im BereichKultur und Bildung hält er allerdings fürein überholtes System – anders als ErnstFolz, der „durch und durch Föderalist“ist. Ein zentralistisches Bildungssystem seinicht Erfolg versprechender und Konkur-

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und Alt Musik erleben. Auf Grundlage desLiederzyklus wurde der vom DeutschenTonkünstlerverband e. V. veranstalteteWettbewerb „Familien singen“ unterSchirmherrschaft von Kulturstaatsminis-ter Bernd Neumann entwickelt, der dasgemeinsame Singen von Familien för-dert. Vom Bonner Beethovenorchesterwurde der 89-Jährige kürzlich erst beauf-tragt, die Kinderoper Flori und sein Koko-fant zu komponieren, die nächstes Jahruraufgeführt wird. Für Klaus Wüsthoff

Bei der Bewältigung gesamtgesell-schaftlicher Aufgaben wie der Finanzkriseist laut Klaus Bernbacher ein allumfassen-des Bildungsniveau notwendig. Humanis-tisches und geisteswissenschaftliches Ge-dankengut, zu dem er auch die Musikzählt, müssen deshalb wieder stärker ver-ankert werden: „Die Beschäftigung mitKunst, Musik, Literatur trägt zur Ganzheit

Zum 80. Geburtstag von Klaus Bernbacher – Christian Höppner im Gespräch mitKlaus Bernbacher und Ernst Folz

Klaus Bernbacher

Klaus Bernbacher feiert in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag. Er

war Dirigent und Redakteur bei Radio Bremen, Leiter der Hanno-

ver’schen „Tage der Neuen Musik“ und am Aufbau der deutschen

Sektion der Internationalen Jeunesses Musicales beteiligt, der er

über 20 Jahre als Bundesvorsitzender vorstand. Er engagierte sich

lange Jahre im Präsidium des Deutschen Musikrats und ist nun

Ehrenvorsitzender des Landesmusikrats Bremen. (links im Bild mit

Ernst Folz bei der Verleihung der Senatsmedaille für Kunst und

Wissenschaft in Bremen)

Menschen hören und genießen zwarMusik, aber sie singen nicht mehr. Oftvon früher Kindheit als „Brummer“ ver-schrien, bleibt die Hemmung vor demSingen ein Leben lang. Der KomponistKlaus Wüsthoff möchte, dass Menschenwieder ihre eigene Gesangsstimme aus-probieren. Um diese Unbefangenheitund Lebenslernfreude zu erreichen, seineStimme zu erheben, hat er auch seineZwitscherschule entwickelt. Mit seinemLiederzyklus Zwitscherschule können Jung

Christian Höppner im Gespräch mit Klaus Wüsthoff

Klaus WüsthoffKlaus Wüsthoff studierte Dirigieren und Komposition, war am RIAS Berlin Aufnahmeleiter und Abteilungsleiter und in den 60er-

Jahren Hauskomponist unter Boleslav Barlog an den Staatlichen Schauspielbühnen Berlin. Seitdem ist er freischaffender

Komponist. Er ist mehrfacher Preisträger von Kompositionswettbewerben, Initiator und Projektleiter von Nachwuchsförde-

rungs- und Kompositions-Wettbewerben.

Das ausführliche Gesprächfinden Sie unter: www.musik-forum-online.de

Kulturpolitik ist auch Gesellschaftspolitik

Ernst Folz

Ernst Folz studierte Nautik, lehrte Luftfahrt-

navigation an der Lufthansa-Verkehrsflieger-

schule in Bremen, war Honorarprofessor an

der Arizona State University und ist Profes-

sor am Institut für Aerospace Technologie

an der Hochschule Bremen. Seit 1996 ist er

Vorsitzender des Landesmusikrats Bremen.

Von 2001 bis 2009 war er Vorsitzender der

Konferenz der Landesmusikräte.

Wer beharrt, dem gelingt’s

Das ausführliche Gespräch finden Sie unter: www.musik-forum-online.de

renzdenken auch im Kultur- und Bil-dungsbereich sehr wichtig. Gerade in Zei -ten kommunaler Verschuldung sieht Folzim dezentralen System einen Vorteil beiden Bemühungen um kulturelle Belange.

sind es gerade die kleinen und großenProjekte, die einen wichtigen Beitrag zurKulturellen Vielfalt leisten, frei nach sei-nem Credo „Wer beharrt, dem gelingt’s.“

Nähere Informationen zum Wettbewerb„Familien singen“ finden Sie unter:www.familien-singen.de

"Freiheit, Einheit, Freude. Be-wegt mehr." – Unter diesemMotto war Bonn vom 1. bis 3.Oktober Schauplatz des Nord-rhein-Westfalen-Tages und derzentralen Feiern zum Tag derDeutschen Einheit. In diesemRahmen präsentierte sich derDeutsche Musikrat in der Bon-ner Innenstadt. Mit Informa-tionen zu einzelnen Projektenund einem Musikratequiz mitattraktiven Preisen und Ange-boten für Kinder war derDeut sche Musikrat mit einemeigenen Stand direkt an derBonner Oper (Kulturbühne)

vertreten. Im besonderen Fo -kus standen dort die von derStadt Bonn geförderten Pro -jekte wie das Deutsche Musik-informationszentrum, der Deut -sche Musikwettbewerb unddas Bundesjugendorchester.

Musik aus verschiedenenProjekten des Deutschen Mu-sikrats erklang gleich auf mehre-ren Bühnen: Ob Jazz, Klassikoder Rock – junge Talente stell-ten ihr Können an allen dreiTagen unter Beweis. Den Auf-takt machte am Samstag um 16Uhr der „Jugend jazzt“-Preisträ-ger 2011 „The Jazzhamsters“.

Die sechs Cottbuser Musikerüberzeugten mit einer Mischungaus Swing, Jazz, Bossa Nova,Fusion und Funk.

Das erst kürzlich von seinerSüdamerika-Tournee zurückge-kehrte Bundesjugendorchesterwar an allen drei Festtagenaktiv. In voller Besetzung unterder Leitung von Gernot Schulzkonnte man das Ensemble am3. Oktober im Beisein des Bun-despräsidenten in der VillaHammerschmidt erleben. Ein-zelne Mitglieder des Bundes -jugendorchesters musiziertenzuvor gemeinsam mit dem Na-

Informationen aus den Projekten und Mitgliedsverbänden des Deutschen Musikrats

Oktober 2011

„Freiheit. Einheit. Freude.“Projekte des Deutschen Musikrats präsentierten sich während des Deutschlandfestes in Bonn

tional Youth Orchestra of Iraq.Besonderer Höhepunkt war dasgemeinsame Konzert im Rah-men des Beethovenfestes Bonnunter der Leitung von Paul Mac -Alindin.

Zum Abschluss füllte „TheIntersphere“, Popcamp-Band2008, am Montagabend dieKulturbühne an der Oper nocheinmal mit feinster Rockmusik,unbändiger Energie und eingän-gigen Melodien.

Foto: Ariane Hannus

DMR aktuell

Vom 22. bis 25. September war Dortmund Schauplatz des

ersten großen Branchentreffs der deutschen Chorszene –

der chor.com. Der Deutsche Musikrat war mit seinen beiden

Projekten Deutscher Chorwettbewerb und Europäische

Musikbörse mit einem eigenen Messestand vertreten. Mit-

arbeiter informierten über den renommierten Wettbewerb,

bei dem sich alle vier Jahre die besten Chöre der Republik

messen und stellten das europäische Webportal zur Vernet-

zung von Musikern vor.

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■ Deutscher Chorwettbewerb / Europäische Musikbörse

Erfolgreiche Präsentation auf der chor.com

Die Veranstalter der chor.comwarteten während der vierTage mit einem vielfältigenund hochkarätig besetzten Fes -tivalprogramm an insgesamtzwölf Spielstätten auf. EinDrittel aller in Dortmund sin-genden Chöre hat sich bereitsals Preisträger des DeutschenChorwettbewerbs einen Na -men gemacht. Und ein Viertelder chor.com-Dozenten undKünstler war bereits als Juroroder als Leiter eines teilneh-menden Chores am DCW be-teiligt.

Das Internetportal „Europäi-sche Musikbörse“ stellte sich in

Dortmund erstmals den Fach-leuten der Chorszene vor undwarb für die Teilnahme an derBörse, die Musikern, Veranstal-tern und Organisationen in Eu ro -pa Möglichkeiten des Austauschsund der Vernetzung bietet. Un -ter www. music-connects.eu tref -fen polnische Chöre auf baden-württembergische Sängerkna-ben, italienische Komponistenauf tschechische Blues-Bands, einfranzösischer Bass-Bariton aufeine österreichische Harfenistinoder ein finnisches folkloris ti schesVokalensemble auf ei nen KölnerKammerchor.

Foto: Marcus Willems

■ MIZ

Pünktlich zum Deutschlandfestin Bonn, auf dem das MIZ vom1. bis 3. Oktober mit einem ei-genen Stand vertreten war, hatdas Zentrum eine Reihe topo-grafischer Darstellungen zumMusikleben als Poster veröf-fentlicht. Verfügbar sind zu-nächst die Darstellungen derKulturorchester und Musik-schulen. Die Karte der Kultur-orchester in Deutschland zeigtbeispielsweise die Struktur derOrchesterlandschaft und bietetneben der geografischen Ver-teilung der Ensembles auch Zu - satzinformationen über Plan-stellen sowie eine Systematisie -rung der unterschiedlichen Or-chestertypen. Mit der Einbe-ziehung von aufgelösten Or-chestern sowie Fusionsorches -tern werden zudem zeitlicheEntwicklungen und Prozesse inder Karte berücksichtigt. DieKarte der Musikschulen zeigtdie Standorte und Schülerzah-len der Mitgliedsschulen imVdM und verknüpft diese mit

Angaben zur Bevölkerungs-dichte in den einzelnen Bun-desländern.

Die Bandbreite der topogra-fischen Darstellungen des MIZumfasst mittlerweile zahlreicheThemengebiete. Neben denKulturorchestern und Musik-schulen hat das MIZ Karten zuMusiktheatern und Musikausbil-dungsstätten, dem Musikinstru-mentenbau, Musikbibliothekenund Musikermuseen, der Kir-chenmusik und vielen weiterenThemen erarbeitet.www.miz.org

Topografische Karten zum Musikleben

MIZ-Kennzahlen zum Musikleben bieten kompakten Überblick

Bei der Informationsrecherchegeht es nicht immer um vertie-fende Einblicke in ausgewählteThemen, manchmal ist zu-nächst ein allgemeiner Über-blick in möglichst konzentrier-ter Form gefragt – insbeson-dere bei einem weiten Feld wiedem Musikleben in Deutsch-land. In seiner im vergangenenJahr neu eingeführten Rubrik„Musikleben in Zahlen“ hat dasMIZ deshalb wichtige Datenund Fakten übersichtlich zu-sammengefasst. Nun hat dasZentrum alle vorhandenen In-formationen aktualisiert undüberarbeitet.

Ob Angaben zur Höhe deröffentlichen und privaten Musik-

förderung, aktuelle Entwicklun-gen in der Orchester- und Thea-terlandschaft, der explosionsar-tige Anstieg von Musikfestivals,die wachsende Zahl an Musik-schülern oder Umsätze und Be-schäftigungszahlen der Musik-wirtschaft: In der Rubrik bündeltdas MIZ die zentralen Kennzah-len der verschiedenen Bereicheund vernetzt sie mit weiterfüh-renden MIZ-Inhalten wie Statis-tiken und Infrastrukturdaten. Fürdarüber hinausgehenden Infor-mationsbedarf finden sich aus-führliche Fachbeiträge, die dieeinzelnen Themenfelder vertie-fend behandeln.

www.miz.org

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Vom 18. bis 20. November2011 findet in Hannover deraktuelle Workshop aus derReihe „Abenteuer Neue Mu -sik“ statt. Er widmet sich dies-mal dem Werk des Komponis -ten Martin Schüttler. Im Zent -rum des Lehrgangs, der in derMusikschule Hannover statt-finden wird, steht SchüttlersStück taped & low-bit für prä-parierten Countertenor undSynthesizer. Die pädagogischeBetreuung des Projekts über-nehmen diesmal Kostia Rapo-port und David Borges. Rapo-port studierte Komposition u. a.bei Johannes Schöllhorn undGerard Pesson, arbeitet heuteals Musiker, Komponist undSounddesigner und ist in denunterschiedlichsten Musikgen -res zu Hause. David Borges,eben falls ein Schüler Schöll -horns sowie in elektronischerKomposition von JoachimHeintz unterrichtet, ist heuteals Musiklehrer tätig, wirkt inverschiedenen Elektronik-En-sembles mit und initiiert Kurseund Konzerte mit elektroni-scher Musik. UmfangreicheFachkenntnis in diesem Be-reich ist auch erforderlich,denn mit Schüttlers „taped &low-bit“ dringt „AbenteuerNeue Musik“ erstmals in denBereich der zeitgenössischenelektronischen Musik vor. Da -bei sollen die Teilnehmer nichtnur an die kompositorischeStruktur von taped & low-bitherangeführt werden, sie wer-den im Rahmen des Workshopsauch selbst direkt an Synthe -sizer und Computer tätig wer-den, die Bedingungen elektro-

nischen Komponierens undKlanggestaltens erproben undkleine Kompositionen erarbei-ten. Musikwissenschaftlich be -gleitet wird der Workshop vonUlrike Böhmer, die an der Mu-sikhochschule Hannover lehrt.

In der Reihe „AbenteuerNeue Musik“ produzieren dieFörderprojekte ZeitgenössischeMusik des Deutschen Musikratsgemeinsam mit Schott Music undnmzMedia seit 2006 pädagogi-sches Begleitmaterial zur CD-Reihe Edition ZeitgenössischeMusik (EZM). Schüttlers EZM-CD erschien 2009. Unterrichts-bzw. Kurskonzepte, Filmclips,Interviews mit dem Komponis-ten, Notenmaterial und vielesmehr werden später unter www.abenteuer-neue-musik.de im In-ternet veröffentlicht und kosten-los zum Download bereitgestellt.So sollen insbesondere Schüler,aber auch alle anderen an Neu -er Musik Interessierten zu eige-ner künstlerischer Kreativität an -geregt werden und einen sinnli-chen Zugang zur zeitgenössischenKunstmusik und zur Ästhetikverschiedener Komponisten un-serer Zeit bekommen. Die Ini-tiative erfreut sich inzwischenbei Musikpädagogen und freienKursanbietern großer Beliebtheit,zur Nachahmung und Selbst er -probung wird herzlich eingela-den.

Begleitmaterial unter:www.abenteuer-neue-musik.dewww.musikrat.de/edition

Obwohl sich Jamilia Jazylbe-kova ihrem Herkunftsland Ka-sachstan sehr verbunden fühlt,lässt sie sich schöpferisch nichtauf die dortige Musikkultur re-duzieren. „Das Spannende undNeue an ihrer Musik ist ihreunverwechselbare Sprache“,konstatiert der Dirigent Kas-per de Roo, der die Porträt-CDmit dem Ensemble Modern imDeutschlandfunk einspielte. Inunterschiedlichen Besetzun-gen und breiten Ausdrucks-spektren leuchtet diese „un-verwechselbare Sprache“ inden fünf Werken der CD auf:In Voci („Stimmen“), dessenVokalpart Jazylbekova selbstgestaltet, verwandeln sich an-rührend liedhafte Züge in dieexponierte Geste eines Schreisund in Aspan („Himmel“) ver-dichten sich bizarre Blechblä-serfigurationen zu Klangballun -gen, die sich trotz ihrer Insis tenzwie Traumbilder rasch wiederauflösen.

Roh und fragmentarisch an-mutende Klänge korrespondie-ren mit strukturellen Elementen,wobei auch, so in Le refus del’enfermement IV, Intensitäts-

■ Edition Zeitgenössische Musik

Abenteuer Neue Musik goes ElectronicNeuer Workshop mit Martin Schüttler im November in Hannover

Unverwechselbare SpracheNeu im November: Porträt-CD Jamilia Jazylbekova

und Dichteproportionen inner-halb des Tonsatzes in den Fokusrücken. Jedes einzelne Instru-ment sieht Jazylbekova als eige-nes „Wesen“ an, das vom Inter-preten zum Leben erwecktwird. Auch in Nuit de Mars undAikyon verfolgt sie nicht dasIdeal eines „reinen schönenKlanges“, sondern bezieht auch„Verschmutzungen“ ein: „so wiedas Wasser eines Bergflusses,auf dessen Grund man Pflanzen,Steine und Erde sieht. Die Bei-mischungen im Wasser entspre-chen dem Geräuschanteil imKlang.“

Egbert Hiller

Die CD erscheint Anfang November2011 bei WERGO (WER 65832) undist im Handel oder direkt unterwww.wergo.de erhältlich.www.musikrat.de/edition

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E ■ Dirigentenforum

■ Deutscher Musikwettbewerb

In diesem Sommer konntenStipendiaten und Preisträgerdes Deutschen Musikwettbe-werbs (DMW) erfreuliche Er-folge verzeichnen. AlexanderSchimpf (Preisträger des DMW2008) gewann als erster Deut-scher in der Geschichte desWettbewerbs den 1. Preis desCleveland International PianoCompetition. Ferner erhaltengleich zwei junge Preisträgerdes Deutschen Musikwettbe-werbs in diesem Jahr den ECHO

Klassik als Nachwuchskünstlerdes Jahres – der Cellist Maxi-milian Hornung, Preis trägerdes DMW 2004 und 2005,sowie der Klarinettist Sebas -tian Manz, Preis träger desDeutschen Musikwettbewerbs2008, im Duo Riul. Beim In ter -nationalen Mu sikwettbe werbder ARD wurde Alexej Gor-latch (DMW 2008) mit dem 1.Preis und dem Publikumspreisin der Kategorie Klavier ausge-zeichnet, Anna-Victoria Balt -

rusch (Stipendiatin DMW2010) errang den 2. Preis inder Kategorie Orgel. DasAmaryllis Quartett (StipendiatDMW 2010) war in Australienerfolgreich, wo es den 1. Preisund den Grand Prize beim renommierten InternationalChamber Music Competitionin Melbourne gewann, undder Cellist Norbert Anger(Preisträger DMW 2010)wurde mit dem 4. Preis des Internationalen TchaikovskyWettbewerbs in Moskau aus-gezeichnet, bei dem JaninaRuh (Stipendiatin DMW 2010)ebenfalls einen Sonderpreis er -hielt.

Die Sopranistin Katja Stuber(Stipendiatin DMW 2010) gab2011 ein viel beachtetes Debüt

bei den Bayreuther Festspielenals „Junger Hirte“ im Tannhäuserund drei vom Deutschen Musik-rat geförderte Musiker erhieltenOrchester-Solostellen: der Har-fenist Andreas Mildner bei denBremer Philharmonikern, derPosaunist Lars Karlin beim Aar-hus Symfoniorkester (Dänemark)und die Bratschistin MadelainePrzybyl beim StaatsorchesterStuttgart.

Der Deutsche Musikrat gra -tuliert allen Musikern herzlich!

www.musikrat.de/dmw

Mit drei Wochenend-Semina-ren für Dirigenten von Gitar-ren-, Sinfonie- und Blasorches -tern und ausgewählten Proben-orchestern startet der DeutscheOrchesterwettbewerb (DOW)in die Herbstsaison.

Den Anfang machte vom30. September bis 2. Oktoberder Workshop für Gitarrenen-semble-Leitung mit Prof. DieterKreidler, der am Standort Wup-pertal der Hochschule für Musikund Tanz Köln stattfand.

Die Zitadelle Mainz wirdvom 4. bis 6. November derAustragungsort für das Seminarzur Leitung von Sinfonie- undKammerorchestern sein. Prof.Karl-Heinz Bloemeke und seinAssistent Wolfgang Weber wer-den zum mittlerweile drittenMal die Dirigenten bei der Pro-benarbeit mit der RheinischenOrchesterakademie Mainz tat-kräftig unterstützen.

Den Abschluss bildet das Se-minar für Blasorchesterleitungmit Renold Quade vom 12. bis13. November in Essen mit demLandesblasorchester NRW. DieKomponisten Thomas Krauseund Prof. Frank Zabel werden dieTeilnehmer bei der Probenarbeitihrer Kompositionen coachen.

Dank einer neuen Koopera-tion zwischen dem DeutschenOrchesterwettbewerb und demBundesverband der DeutschenVolksbanken und Raiffeisenban-ken (BVR) ist es dem DOW ge-lungen, Top-Dozenten zu enga-gieren und gleichzeitig den Teil-nehmerbeitrag niedrig zu halten.

Der 8. Deutsche Orchester-wettbewerb findet vom 12. bis20. Mai 2012 in Hildesheimstatt.

www.musikrat.de/dow

Dirigieroffensive

■ Deutscher Orches terwettbewerb

telt werden. Gleichzeitig för-derte das Projekt den Dia logzwischen deutschen und viet-namesischen Mu sikern, diesich im Laufe der intensivenProbenphase über ihren musi-kalischen Zugang zu den Wer-ken ausgetauscht haben. ImRahmen der Konzertprobenleitete die So listin einen Work -shop für Streicher, in dem sieauf be sondere stilistische undtech nische Anforderungen desProgramms einging. Das Pro-jekt wurde begleitet und un-terstützt vom Generalkonsulatder Bundesrepublik Deutsch-land sowie dem Goethe-Insti-tut in Ho Chi Minh Stadt, dasbereits seit mehreren Jahrenmit dem HBSO zusammenar-beitet.

Am 9. Oktober 2011 leiteteClemens Schuldt ein Konzertmit dem Ho Chi Minh CityBallet Symphony Orchestra(HBSO). Der Gewinner desDonatella Flick-Wett bewerbs2010 dirigierte ein Programmbestehend aus Mozarts Ou-vertüre zur Entführung ausdem Serail, Dvoráks SinfonieNr. 8 und Beet hovens D-Dur-Violinkonzert. Als Solistin reis -te die junge Geigerin ByolKang mit, die 2009 Preisträge-rin des Deutschen Musikwett-bewerbs war. Mit diesem För -derkonzert, das vom Dirigen-tenforum und der DeutschenOrchester-Stiftung ermöglichtwurde, konn ten den beidenNachwuchskünstlern wertvolleAuslandserfahrungen vermit-

Dirigentenforum kooperiert mit Orchester in Vietnam

Das DIRIGENTENFORUM des Deutschen Musikrats schickte

zwei preisgekrönte Nachwuchskünstler zu einem Konzert

mit dem Ho Chi Minh City Ballet Symphony Orchestra.

Preisträger des Deutschen Musikwettbe-werbs auf Erfolgskurs

Auszeichnungen in Cleveland, Melbourne, Moskau, beim

ARD Musikwettbewerb und dem ECHO Klassik

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■ Jugend musiziert

Drei Jahre vor dem 50-jährigenBestehen wird der renommierteWettbewerb „Jugend musiziert“mit einem ECHO Klassik ausge-zeichnet. Seit 1964 findet „Ju-gend musiziert“ auf lokaler, re-gionaler und Bundesebene stattund ist Jahr für Jahr von zentra-ler Bedeutung für viele jungeMusiker. Mehr als 25000 Teil-nehmer stellen sich jährlichdem mehrstufigen Qualifizie-rungsverfahren, das über die140 Regionalwettbewerbe unddie jeweiligen Landeswettbe-

Jugend musiziert erhält den ECHO Klassik

werbe zum ange sehenen Bun-deswettbewerb führt. „Jugendmusiziert“ ist of fen für alle Kin-der und Jugendlichen, die nochnicht in einer musikalischen Be -rufsausbildung stehen; zentralePartner sind die 950 öffent -lichen Musikschulen Deutsch-lands, die an über 4000 Stand-orten ca. 1 Million Kinder undJugend liche betreuen. Die Ju -gend lichen ha ben hier die ein -zig artige Mög lichkeit, ihr Talenteiner erfahrenen Jury zu prä-sentieren, und es werden erste

Weichen für die musikalischeZukunft gestellt. Zu den promi-nenten ehemaligen Teilneh-mern und Preisträgern von „Ju-gend musiziert“ gehören unteranderem die heutigen Welt-stars Anne-Sophie Mutter und

Vier Jahre war WESPE zu Gastin Freiburg. Am 18. Septem-ber verabschiedete sich dasWettbewerbsfestival für Bun-despreisträger „Jugend musi-ziert“ von Freiburg, dem Pub -likum und den gastgebendenFreiburger Partnern mit einemabwechslungsreichen Mati-neekonzert. Die beiden vo -rausgegangenen Tage hattenganz im Zeichen des Wettbe-

Festival, Wettbewerb und musikalische Meisterleistungen

Ein Konzert mit 56 Preisträgern setzt attraktiven

Schlusspunkt bei WESPE in Freiburg

werbs gestanden: In sechs Ka-tegorien hatten 124 Bundes-preisträger um die beste Inter-pretation von Musikwerkengespielt und sich um Geld-preise beworben. Im Ab-schlusskonzert WESPE 2011freuten sich 56 glückliche Ge-winner über die Preise im Ge-samtwert von 25700 Euro vonzwölf preisstiftenden Institu-tionen.

Vor nunmehr vier Jahrenhatte „Jugend musiziert“ im An-schluss an den bundesweitenWettbewerb die „Wochenen-den der Sonderpreise“, kurz:„WESPE“ ins Leben gerufen.WESPE lud die jungen Musikerein, sich vor allem mit Musik-werken des 20. und 21. Jahr-hunderts zu beschäftigen, Werkevorzustellen, die selten auf denKonzertprogrammen stehen,oder Stücke zu präsentieren, diewieder entdeckt oder über-haupt erst geschrieben wordenwaren.

124 Bundespreisträger „Ju-gend musiziert“ 2011 warendem Ruf nach Freiburg gefolgt,sich auf eine musikalische For-schungsreise zu begeben, ihreKreativität als Komponisten zuentfalten, diese Werke selbst zuinterpretieren, sich bestimmten,zu Unrecht vergessenen Werkenzu widmen und ihre (Wieder)-Entdeckungen vor einem inter-nationalen Jurygremium zu prä-sentieren. Gefragt war die je-weils beste Interpretation inden Kategorien „Werk der Klas-sischen Moderne“, „Werk einerKomponistin“, „Eigenes Werk“,„Zeitgenössisches Werk“, „FürJugend musiziert komponiertes

Werk“ und „Werk der verfem-ten Musik“. 10 Solisten und 18Ensembles wurden schließlichvon der Jury ausgezeichnet.

Nach vier Jahren verabschie-dete sich WESPE vom Austra-gungsort Freiburg und dankteseinen Partnern vor Ort: derStadt Freiburg, „mehrklang -Gesellschaft für Neue MusikFreiburg e. V.“ im Netzwerk fürNeue Musik, einem Förderpro-jekt der Kulturstiftung des Bun-des, der Musikhochschule undder Sparkasse Freiburg. Bürger-meister Ulrich von Kirchbachkündigte in seinem Grußwortan, dass der Freiburger Sonder-preis in Höhe von 2 000 Euroauch weiterhin verliehen wer-den wird.

WESPE 2012 wird vom 7.bis 9. September 2012 voraus-sichtlich in Schwerin stattfin-den.

www.jugend-musiziert.org

Tabea Zimmermann, beide Ge-winnerinnen des ECHO Klassik.

Am 2. Oktober nahmen imBerliner Konzerthaus am Gen-darmenmarkt u. a. Vittorio Gri-golo, Simone Kermes, VildeVrang, Yuja Wang, Bejun Mehta,Thomas Hampson, Rolando Vil-lazón und Zubin Mehta denECHO Klassik persönlich entge-gen. Durch den Abend führteThomas Gottschalk. Das ZDFzeigte die Gala unter dem Titel„Echo der Stars“.

Foto: Marc Dorazillo

Sie lösen die Ensembles der54. BAKJK ab, die insgesamt240 Konzerte gaben. Eine Be-sonderheit der 54. BAKJK warsicherlich das Schubert Oktett,das sich extra für diese Saisonaus Stipendiaten des DMW2009 formiert hatte. Die En-semblemitglieder – das Ama-ryllis Quartett (Streichquar-tett) wurde ergänzt durchAlexandra Hengstebeck (Kont -rabass), Markus Krusche (Kla-rinette), Daniel Mohrmann(Fagott) und Christoph Eß(Horn) – waren in dieser For-mation 16 Mal zu hören.

Auch die 55. BAKJK bietetwieder eine bunte Vielfalt anEnsembles, darunter ein DuoGitarre-Schlagzeug, ein Lied-Duo Sopran-Klavier, ein DuoTrompete-Orgel sowie ein Kla-viertrio und zwei Bläserquin-tette.

Die Ensembles treten beimehr als 130 Veranstaltern auf,von denen etliche bereits seitvielen Jahren die Musikerinnen

und Musiker der BAKJK enga-gieren. Manche Veranstalter be -streiten ganze Konzertreihenmit den Ensembles der Bundes-auswahl, darunter die KonzerteJunger Künstler im NDR-Funk-haus in Hannover, die auf einemehr als 60-jährige Traditionzurückblicken und aus der 1957die BAKJK hervorging.

Seit 2010 besteht eine be-sondere Kooperation mit derKurt Weill Gesellschaft Dessau:An drei Wochenenden widmetsich die Reihe ENTDECKUN-GEN in Dessau (28./29. Okto-ber und 2./3.Dezember 2011)und Berlin (27./28. Januar 2012)in Vorträgen, Diskussionsrun-den und Konzerten dem Thema„Kurt Weill und Frankreich“ undführt damit zum Schwerpunktdes Kurt Weill Festes 2012 hin.Im Rahmen der ENTDECKUN-GEN treten jeweils zwei BAKJK-Ensembles auf: Im Oktober 2011sind es das PentAnemos Bläser-quintett und das Duo Jeanquirit(Klarinette-Klavier) zum Thema

„Hommage à Paris“ und „Exil“.Im Dezember folgen die Orga-nistin Anna-Victoria Baltrusch,frisch gekürte Preisträgerin desARD-Musikwettbewerbs, unddas Leibniz Trio und im Januardas Duo Saitenschlag (Gitarre/Schlaginstrumente) so wie dasLied-Duo Stuber-Kusnezow (So-pran/Klavier). Das Kurt WeillFest selbst wird in zwei Mati-

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55. BAKJK in mehr als 200 Konzerten deutschlandweit zu hören

■ Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler

Im Juli begann für die Ensembles der 55. Bundesauswahl Konzerte Junger

Künstler ihre Konzertsaison. Nach einjäh riger Vorbereitung präsentieren sich

die Preisträger und Stipendiaten des DMW 2010 deutschlandweit in mehr

als 200 Konzerten.

Bis zum Einreichschluss MitteSeptember 2011 sind wiederzahlreiche Anträge für Pro-jekte mit aktueller zeitgenös-sischer Musik aus den unter-schiedlichsten Bereichen imProjektbüro eingegangen. Ins-gesamt sind es siebzig Pro-jekte, die sich um Förderzu-schüsse zu konzertanten Auf-führungen Neuer Musik be-werben. Die Jury unter Vorsitz

néen am 26. Februar und 11.März 2012 von den BAKJK-Teil-nehmern Duo Farbenspiel(Flöte/Klavier) und Trio Chris-tian-von Gutzeit-Achkar (Vio-line, Cello, Klavier) musikalischmitgestaltet.

Fotos:links: Duo SaitenschlagFoto: Marieke Rabe

Mitte oben: PentAnemosFoto: DMW/Michael Haring

Mitte unten: Duo Farbenspiel Foto: Friederike Roth

rechts oben: Duo Müller/Baltrusch Foto: Marieke Rabe

rechts unten: Schubert Oktett Foto: Daniel Helbig

■ Konzert des Deutschen Musikrates

Neue Auswahlrunde im Novembervon Prof. Isabel Mundry wirdim November 2011 tagen undbis zur Auswahlentscheidungviel Diskussionsstoff zu bewäl-tigen haben.

Die nächste Einreichmög-lichkeit für Neuanträge bestehtim Frühjahr 2012: Bis zum 22.Februar 2012 können Anträgefür aktuelle Projektvorschlägeeingereicht werden.

www.musikrat.de/konzert

DMR aktuell VII

■ Bundesjazzorchester

Das „Jugendjazzorchester derBundesrepublik Deutschland“beendete eine ereignisreicheArbeitsperiode, die im Juli mitdem Abschlusskonzert zum„Klavierfestival Ruhr“ in der Es-sener Philharmonie begann undmit einer anschließenden Reisedurch den Wes ten der USA sei-nen Höhepunkt fand.

Mit zahlreichen Arrange-ments berühmter und renom-

mierter europäischer Bigbandlei-ter und Arrangeure im Gepäckstartete das BuJazzO unter derLeitung von Jiggs Whigham am23. Juli zu einem fast dreiwöchi-gen USA-Aufenthalt.

Im Zentrum stand die Teil-nahme an dem großen Jazzwork-shop in Port Townsend bei Se-attle im Staate Washington, derbereits auf eine lange Traditionzurückblicken kann und an demseinerzeit bereits die erste Bu-JazzO-Generation im Sommer1989 auf Vermittlung von BobbyShew teilnehmen konnte – da-mals mit Newcomern wie Till

geleiteten Combos kam es zuvielen spannenden und erleb-nisreichen musikalischen wieauch persönlichen Begegnun-gen, die wiederum die Auf-merksamkeit auf die „GermanBand“ zogen, so auch bei zweiöffentlichen Proben, die derMusik Bill Homans, dem be-rühmten amerikanischen Kom-ponisten und Arrangeur gewid-met waren. Jeff Hamilton ließ es

sich nicht nehmen,bei einigen TitelnBuJazzO-Schlagzeu-ger Thomas Sauer-born zu ersetzen.

Gleich zwei Auf-tritte gab das Bu-JazzO im Rahmendes abschließendenJazzfestivals PortTownsend, einmalim Wheeler-Theatreund ein Gemein-schaftskonzert mitder Monterey Festi-val Bigband, worauseine spontane Einla-dung an das BuJazzOerfolgte, einmal amMonterey-Jazzfestival

nördlich von San Francisco teil-zunehmen. Dieses Festival hateinen ähnlich großen Ruf wie dasNewport-Festival bei New York.

Nach Abschluss des Work-shops startete das BuJazzO zueiner kleinen Tournee mit denStationen: Jazzclub „Tulas“ undKent Lake Highschool in Seattle;Ben Medler Studios in Portland(Oregon), eine gemeinsame Pro -be und Begegnung mit der AllAmerican College Band im Dis-neyland, Anaheim, Los Angeles,Jazzclub „Steamers“ in Fullerton,L.A. sowie bei einem Straßenfestder Polizeistiftung in Santa Ana,

BuJazzO schloss seine „amerikanische Phase“ mit einem Konzert in Köln ab

L.A.; das letzte Konzert gab dasBuJazzO im Lensic Theatre inSanta Fé.

Während man in Deutsch-land nur vergleichsweise wenigeKilometer zum nächsten Auf-trittsort fahren muss, ist man inden USA gleich viele Stundenim Bus unterwegs oder mussdas Flugzeug nehmen, um dasnächste Ziel zeitnah zu errei-chen.

Kein Jazzorchester aus Eu -ropa kann in den USA von vorn-herein auf große Aufmerksam-keit hoffen. Diese musste sichauch das BuJazzO erst erspielenund hat in Port Towns end undim vergleichsweise nahegelege-nen Seattle zu steigendem Inte-resse beim Publikum geführt.Da „Jazzcombo" und „Bigband"zu den Unterrichtsfächern anamerikanischen Schulen gehö-ren und alle Generationen ir-gendwann einmal Jazz gespielthaben, traf das BuJazzO überallauf ein überaus verständigesPub likum, das die Leistungender jungen Deut schen durchwegmit Standing Ovations aner-kannte.

Neben der exzellenten Leis-tung des Orchesters trug aberauch der Name Jiggs Whighamdazu bei, dass durch die zahlrei-chen Kontakte – auch zu deut-schen Vertretungen in der Re-gion – eine weitere erfolgreicheReise im Jahre 2013 in Aussichtgenommen wurde.

Das eigentliche Homeco-ming-Konzert zum Abschlussder Saison mit Jiggs Whighamgab das BuJazzO am 16. Okto-ber 2011 in Kölns „AltemPfandhaus“.

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BuJazzO war im Juli und August als Botschafter für europäischen Jazz

in den USA unterwegs

Brönner, Frank Chastenier, PeterWeniger und vielen weiterenheute bekannten Jazzmusikern.

In der letzten Juli-Wochewurde in Port Townsend gleich-zeitig auch die 48. und diesjäh-rige Sommerarbeitsphase desBuJazzO verbracht. Statt dieamerikanischen Dozenten nachDeutschland in Arbeitsphasenzu holen, lernten die jungenMusiker des BuJazzO direkt vor

Ort bei über zwanzig auch beiuns nicht unbekannten Dozen-ten gemeinsam mit über 200weiteren Teilnehmern aus allenTeilen der USA, aus Kanada undaus Ländern Mittel- und Süd-amerikas und kamen in den Ge-nuss des Unterrichts von Jay,Jeff und Gerald Clayton, vonGeorge Cables, Jeff Hamilton,Terell Stafford, Benny Green,Christoph Luty, Tamir Heldemanund natürlich bei Jiggs Whig-ham, dem Dirigenten und neuenkünstlerischen Leiter des Bun -des jazzorchesters.

In den von allen Dozenten

BuJazzO am 8. August 2011 im Lensic Theatre in Santa Fé, der letzten Station seiner USA-Tournee Foto: Fritz Moshammer

Aus Anlass des 50-jährigenBe stehens der Jazzabteilung ander Hochschule für Musik CarlMaria von Weber Dresden undim Rahmen der Dresd ner Jazz-tage wird die 10. Bundesbe-gegnung „Jugend jazzt“ vom8. bis zum 11. November 2012in der Stadt an der Elbe statt-finden.

Diese Bundesbegegnung istfür Jazzorchester ausgeschrie-ben, sodass sich die 16 ersten

Preisträger der vorausgehendenLandeswettbewerbe auf denWeg nach Dresden machen wer -den. Sie werden insbesondereum den begehrten Skoda JazzPreis spielen, mit dem gleichdrei Bigbandworkshops zu ge-winnen sind.

Um die Vorbereitungen vo-ranzubringen, kam am 1. Septem -ber die vom Deutschen Musik-rat eingesetzte Länder- und Part -nerkonferenz in Dresden zusam-men. An dem Treffen nahmenauch die bereits gewonnenenPart ner und Förderer aus Stadtund Land teil, darunter der Kul-turbürgermeister sowie Vertreter

der zuständigen Landesministe-rien, der Kulturstiftung Sachsen,des Heinrich-Schütz-Konserva-toriums, des Landesmusikgym-nasiums und nicht zuletzt desSächsischen Musikrates und dergastgebende Musikhochschulemit ihrem Rektor Prof. Klemman der Spitze.

Die Begegnung wird sich inwie üblich aus einem Wettbe-werbsteil, aus Abendkon zerten,aus Workshops, Unterricht und

Beratung, aus Jam-Sessions undvielen Möglichkeiten des musi-kalischen Erfahrungsaustauschsund der persönlichen Begeg-nung zusammensetzen.

Till Brönner, Professor ander Musikhochschule und Pa-tron des Skoda Jazz Preises,wird sich selbst für Bigbandpro-ben und Workshops zur Verfü-gung stellen und zusammen mitder politischen und musikali-schen Prominenz am Sonntag,den 11. November 2012 imKonzertsaal der Musikhoch-schule die zahlreichen Preiseund Anschlussmaßnahmen be-kanntgeben und überreichen.

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■ Jugend jazzt

Jugend jazzt für Jazzorchestermit Škoda Jazz Preis in Dresden

Teilnehmer der Konferenz vor dem modernen Konzertsaal der Musikhoch-schule vor dem von Skoda als Dauerleihgabe „Jugend jazzt" zur Verfügung gestellten Transportfahrzeug „Roomster" Foto: Melanie Kardinar

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16 Preisträgerbigbands feiern 50 Jahre Jazzabteilung an der Musikhochschule

■ Dirigentenforum

Die nachhaltig erfolgreiche Ar-beit des Dirigentenforums lässtsich auch daran erkennen,dass inzwischen ehemaligeStipendiaten, die sich als Diri-genten etabliert haben, ihreErfahrungen an die nächsteGeneration weitergeben. Mar-kus Poschner, der 2004 denPreis des Dirigentenforums er-hielt, erarbeitete mit vier jun-gen Dirigenten und „seinen“Bremer Philharmonikern einProgramm bestehend aus Lud-wig van Beethovens 7. Sinfonieund der 4. Sinfonie von Johan-nes Brahms. Im Sendesaal vonRadio Bremen präsentiertendie Stipendiaten Aurélien Bello,Chris tian Kluxen, Leo McFallund Clemens Schuldt dem be-geisterten Publikum das Er-gebnis ihrer Arbeit.

Auch im thüringischen Gerawar das Publikum beeindrucktvon der Virtuosität und Qualitätdes Konzerts, dessen Programmdrei Stipendiaten unter der ver-sierten Anleitung von GeorgFritzsch (Stipendiat von 1992-1997) erarbeitet hatten. Dieerste Hälfte eröffnete JustusThorau mit der Konzertouver-türe Meeresstille und glücklicheFahrt von Felix Mendelssohn-

Ehemalige Stipendiaten gebenihre Erfahrung weiterKurse in Bremen und Gera

Bartholdy. Der 2010 mit demPreis des Deutschen Musikwett-bewerbs ausgezeichnete CellistNorbert Anger konnte anschlie-ßend Robert Schumanns Vio -lon cellokonzert a-moll op. 129unter dem klaren und umsichti-gen Dirigat von Ciarán McAuleymeisterhaft interpretieren. In derzweiten Hälfte brillierte er darü-ber hinaus mit TschaikowskysRokoko-Variationen, diesmal un -ter dem Dirigat von Justus Tho-rau. Den Abschluss bildete Ri-chard Strauss‘ groß besetztesOrchesterwerk Till Eulenspiegelslustige Streiche op. 28, bei demdas Philharmonische OrchesterAltenburg-Gera seine Qualitätunter Beweis stellen konnte unddabei entschlossen, die Strauss’ -sche Klangfülle auskostend, vonKristiina Poska geführt wurde.

Foto:Probe mit dem PhilharmonischenOrchester Altenburg-Gera: MentorGeorg Fritzsch (l.), Justus Thorau(m.) und Cellist Norbert Anger (r.)Foto: Stephan Walzel

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■ PopCamp

Nach der Förderung von zahl-reichen Bands, darunter Jupi-ter Jones oder die Alin CoenBand, die sich bereits erfolg-reich in der Musikszene etab -liert haben, erhalten nun dieBands Coucou (Dresden), Def -ne Sahin (Berlin), Fabian vonWegen (Osnabrück), Lokomo-tor (Hof) so wie The Astronaut'sEye (Mannheim) eine bedarfs-gerechte und individuelle Un-terstützung.

Ein Konzert im RittergartenTuttlingen am 5. September läu-tete die Arbeit mit dem siebtenJahrgang ein. Die Bands konn-ten in jeweils zwanzig Minutenneue und alte Songs präsentie-ren und wurden zugleich vondem Dozententeam um Hen-ning Rümenapp (Guano Apes)auf musikalische Fertigkeiten,Zusammenspiel und Perform anceauf der Bühne überprüft. Er-kannte Stärken und Schwächenwurden im Laufe der Wochedurch Coachings ausgebaut bzw.verringert. „Neben Elementenwie Vocalcoaching und Chor -arbeit in den Bands, konnte ichdieses Jahr neue Methoden in

den Bereichen Bühnenpräsenz/Schauspiel, Atemtechnik mit Ins -trumentalisten und Alexander-technik anwenden“, hob An-nette Marquard (seit vier JahrenPopCamp-Dozentin) hervor.

Erstmalig in der Geschichtedes PopCamp führte Michael„Kos ho“ Koschorreck (SöhneMannheims) einen Bodypercus-sion-Workshop durch. Die Bandslernten verschiedene Rhythmenzu kombinieren und den Beat zuhalten. Bei einem Planspiel zumThema Marketing mit HenningRümenapp und Sibylle Dörge(Coaching für Musiker & Künst-ler) erstellten die Bands einenBusinessplan, indem sie dasImage einer anderen Teilneh-mer-Band analysierten und eineStärken-Schwächen-Risiken-und-Chancen-Analyse durchführten.

Daneben setzte sich das Do-zententeam aus Experten derMusikbranche zusammen, diemit Musikern wie Ina Müller,Söhne Mannheims oder auchder Till Brönner Group gearbei-tet haben.

Zu den weiteren Dozentengehörten Prof. Udo Dahmen,Bettina Habekost, Frank Möbus,Oliver Rüger und Ali Zuckowski.

Bis zur zweiten Arbeitsphaseim November haben die Bandsnun acht Wochen Zeit, um anihren Songs, der Performance

Vom 18. bis 21. Juli war dasPopCamp zu Gast im rock’n’pop museum Gronau. In ei nemdreitägigen Workshop traf diedeutsche Band Jona:S (Pop-Camp-Jahrgang 2010) auf dieniederländische Band Typhoon.Im Mittelpunkt des Coachingsmit dem Dozenten RobertKoch, Musikproduzent aus Ber-lin, standen dabei vor allemSongwriting und Arrangement.

Als Höhepunkt galt das ab-schließende Konzert der beidenWorkshop-Teilnehmer im ehe-maligen Studio der Band CAN

aus den 1970er Jahren, welches2007 im Museum neu aufge-baut wurde. In historischer Ku-lisse spielten die Bands viele ei-gene, aber auch einen gemein-samen Song, welcher im Work-shop entstand. Zudem wurdedas Konzert per Live-Stream insInternet übertragen und dortvon über 600 Zuschauern ver-folgt.

Zwischen Businessplänen und Bodypercussion

„Wir sind nun randvoll mitEindrücken und haben eineFlut an Möglichkeiten, un-sere Musik zu professionali-sieren. Bis zur nächsten Ar-beitsphase heißt das: ganzviel Probenzeit.“Daniel Lang, Gitarrist derBand Lokomotor

Interkultureller Work shop im rock’n’pop museum Gronau

oder auch außermusikalischenBelangen wie der Präsenz im In-ternet zu arbeiten. In der Lan-desmusikakademie Wolfenbüt-tel liegt der Fokus der Coa-chings dann auf außermusikali-

schen Bereichen wie GEMA undGVL, Musikrecht und Selbstver-marktung.

Bei einem abschließendenKonzert im Berliner Kesselhausder Kulturbrauerei werden dieBands am 11. November zeigen,welche Fähigkeiten und Kennt-nisse sie in den Arbeitsphasenausbauen konnten. In einer drit-ten Arbeitsphase im März 2012produzieren die Bands zum Ab-schluss des PopCamp-Turnus inKooperation mit dem Musikma-gazin D-Zentral in Hannover einElectronic Press Kit.

„Der Knoten in unserer Bandist geplatzt. Wir können nunviel freier spielen.“Fabian von Wegen

Foto: Jonathan Gröger

Mit der Arbeitsphase vom 4. bis10. September in der Bundesmu-sikakademie Trossingen startetePopCamp in das siebte Projektjahr

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Am 23. Oktober 2011 wirddas Bundesjugendorchester inder Berliner Philharmonieerstmals unter der Leitung vonSir Simon Rattle konzertieren.Das Konzert wird außerdemals Anlass genommen, in feier-lichem Rahmen die StiftungBundesjugendorchester zugründen, für deren Errichtungsich zahlreiche ehemalige Mit-glieder des Orchesters seit

Sechs Konzerte in Ecuador,zwei Konzerte in Venezuela,drei Konzerte in Deutschland –Bilanz der erfolgreichen Som-mertournee des Bundesjugend-orchesters, die programmatischganz im Zeichen des interkultu-rellen Austauschs stand. Unterder Leitung des jungen deut-schen Dirigenten Christoph Alt-staedt und der venezolanischenDirigentin Maria Guinand be-geisterten die rund 100 ju-gendlichen Musiker knapp9000 Konzertbesucher aufzwei Kontinenten.

Einmal mehr präsentiertesich das BJO als Botschafter derMusiknation Deutschland: Wäh -

mehreren Jahren engagieren.Auf dem Programm stehtAnton Bruckners 9. Sinfonie.

Bereits im Frühling 2008hatten die jugendlichen Musi-ker des Bundesjugendorchesterserstmals Gelegenheit, auf Tuch-fühlung mit dem Chefdirigentender Berliner Philharmoniker zugehen: Nach einer gemeinsa-men Probe im Vorfeld einesKonzertes in der Berliner Phil-

rend u. a. mit Ludwig van Beet-hovens 6. Sinfonie „Pastorale“Werke der klassischen europäi-schen Orchesterliteratur gespieltwurden, stand mit Gonzalo GrausOratorium Aqua eine zeitgenös-sische venezolanische Urauffüh-rung auf dem Programm, die mitChor und Gesangssolisten mehrals 180 Akteure auf der Bühneversammelte und Konzertbesu-cher sowohl in Südamerika alsauch in Deutschland zu stehen-den Ovationen bewegte. In Auf-trag gegeben wurde dieses Werkvon der Internationalen Bach-akademie für das MusikfestStuttgart 2011.

Lebendig und herzlich ge-

■ Bundesjugendorchester

Bundesjugendorchester konzertiert erstmalsunter der Leitung von Sir Simon Rattle

harmonie zeigten sich alle Mu-siker des Ensembles nachhaltigbeeindruckt von der gemeinsa-men Arbeit. Kein Wunder also,dass die gemeinsame Proben-phase und das sich anschlie-ßende Konzert im Oktober2011 als besondere Höhe-punkte im laufenden Konzert-jahr gelten.

Zahlreiche ehemalige Musi-ker des Bundesjugendorches-ters, die heute Mitglieder derBerliner Philharmoniker sind,bemühen sich seit Langem kon-tinuierlich und mit hohem per-sönlichen Engagement darum,die Freundschaft zwischen denbeiden Ensembles zu fördernund zu intensivieren. „Die nungeplante Zusammenarbeit stellteinen Höhepunkt dieses Enga-gements dar und festigt dieFreundschaft zwischen den bei-den Orchestern auf ganz beson-dere Weise; darüber freuen wiruns sehr“, bestätigt Sönke Lentz,

Projektleiter des Bundesjugend-orchesters.

Auch für die Errichtung derStiftung Bundesjugendorchesterengagieren sich seit ca. vier Jah-ren zahlreiche ehemalige Mit-glieder und Freunde des Or-chesters, die Schirmherrschaftliegt bei Prof. Gerd Albrecht,Prof. Reinhold Friedrich, Prof.Sabine Meyer, Christian Tetzlaff,Prof. Tabea Zimmermann undGordon Matthew Sumner(Sting). Die Stiftung soll einedauerhafte Sicherung und För-derung des Orchesters ermögli-chen, die künstlerische und pä-dagogische Arbeit des Bundes-jugendorchesters finanziell un-terstützen sowie als Anlauf-punkt und Kommunikations-zentrum für ehemalige Mitglie-der dienen. Mit den Geldernsollen unter anderem Sonder-projekte mit hochrangigenKünstlern ermöglicht und dieArbeitsbedingungen des Or-chesters verbessert werden.

www.bundesjugendorchester.de

„Ovaciones durantes“Abschlusskonzert in Stuttgart krönt erfolgreiche Tournee durch Deutschland, Venezuela und Ecuador

staltete sich der Aufenthalt inSüdamerika: Der Besuch in Ve-nezuela fand in enger Koopera-tion mit „El Sistema“ statt, dervon José Antonio Abreu gegrün-deten staatlichen Stiftung, inderen Trägerschaft sich Sinfonie-orchester und Musikschulen inganz Venezuela befinden. Ge-meinsam mit dem Teresa Car-reño-Jugendorchester konzer-tierten die deutschen Musiker inCaracas, gemeinsame Freizeitak-tivitäten erweiterten die reinmusikalische Begegnung und er-möglichten einen herzlichen,freundschaftlichen Austauschzwischen den Jugendlichen bei-der Kontinente. Der Besuch des

deutschen Jugendorchesters stießsowohl in Venezuela als auch inEcuador auf ein breites medialesEcho, in über 20 Artikeln in ve-nezolanischen und ecuadoriani-schen Tageszeitungen und zahl-reichen TV-Sendungen wurdewiederholt von „anhaltendenOva tionen“, berichtet.

Auf die Sommertourneefolg(t)en drei weitere herausra-gende Projekte: Eine Koopera-tion mit dem National Youth Or-chestra of Iraq im Rahmen desBeethovenfests Bonn ermög-lichte Ende September eine Be-gegnung mit jugendlichen Mu-sikern ganz anderer kulturellerHerkunft. Zu den zentralen Fei-erlichkeiten zum Tag der Deut-schen Einheit konzertierte dasOrchester unter der Leitung vonGernot Schulz in der BonnerVilla Hammerschmidt.

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■ BDO

Großprojekte von Musikver-einigungen werden bisher zumgrößten Teil durch die öffentlicheHand gefördert. Nicht erst seitder Weltwirtschaftskrise werdenZuschüsse für Projekte immeröfter gestrichen oder gekürzt.Der Wettbewerb um Fördergel-der steigt an.

Die Bundesvereinigung Deut -scher Orchesterverbände (BDO)möchte Hilfestellung für die wei-tere erfolgreiche Kulturarbeit von

Musikvereinigungen leisten. Aufeinem Forum am 19. und 20.November in München soll denentsprechenden Multiplikatorendas grundsätzliche Verständnisfür die Möglichkeiten des Instru-ments Fundraising vermitteltwerden. Dabei soll das klassischeKonzept auf den Kulturbereich,insbesondere unter Berücksichti-gung der ehrenamtlichen Struk-turen übertragen werden. Alswissenschaftlichen Partner konn -

te die BDO das Institut für Kul-turmanagement München ge-winnen. Theoretische und prak-tische Ansätze aus verschiedenenBlickwinkeln sollen unterschied-liche Konzepte vorstellen undveranschaulichen. Darauf auf-bauend wird in Kleingruppen ge-meinsam mit Dozenten und Stu-denten des Instituts für Kultur-management ein praxisorientier-ter Leitfaden erarbeitet werden.Da die Teilnehmerzahl auf 40

Einladung zum Forum: Fundraising in Musikvereinigungen

Plätze begrenzt ist, empfiehlt sicheine frühzeitige Anmeldung überdie Geschäftsstelle der BDO. DieTeilnahme am Forum ist dank derfinanziellen Förderung durch denBeauftragten der Bundesregie-rung für Kultur und Medien undder Kooperation mit dem Institutfür Kulturmanagement Münchenkostenlos.

Kontakt: www.orchesterverbaende.de

VG Musikedition schließt Gegenseitigkeits -abkommen mit CEDRO

Der DMR präsentierte sichund seine Mitgliedsverlage aufdem vom 22. bis 24. Septem-ber stattfindenden Reeper-bahn-Festival rund um denSpielbudenplatz in Hamburg.Der Startschuss für den DMVfiel schon einen Tag vor Festi-valbeginn mit einem Work-shop für DMV-Mitglieder zumThema Sync-Rights. Zu diesemfür Musikverlage enorm wich-tigen Bereich trafen sich über50 Teilnehmer zum Erfah-rungsaustausch im Schmidt-Theater auf der Reeperbahn.Am 22. September präsen-

DMV präsentierte sich auf dem Hamburger Reeperbahn-Festival

tierte der DMV ein Panelpro-gramm unter dem Motto„Lost Property – Urheberrechtim digitalen Zeitalter“ miteiner Keynote von Vorstands-mitglied Dr. habil. ChristianBaierle und Diskussionsteil-nehmern wie Tim Renner(Motor Music) und Dr. Alex-ander Wolf (GEMA/CELAS).Um 18 Uhr hieß es dann„Meet the Publishers“ in derCampus Lounge. Der Einla-dung des DMV folgten rund150 Gäste, die ihren Festival-Abend hier starteten.

DMV-Vorstandsmitglied Dr. habil. Christian Baierle hielt die Keynote zum Thema „Lost Property“

■ DMV

Die VG Musikedition hat mitWirkung zum 1. September2011 einen Gegenseitigkeits-vertrag mit ihrer spanischenSchwestergesellschaft CEDROgeschlossen. Die CEDRO(Centro Espanol de DerechosReprofráficos) vertritt in Spa-nien mehr als 1 700 Verlags-häuser sowie 18 000 Urheberund damit über 95 Prozentdes spanischen Repertoires.

Die VG Musikedition nimmtunter anderem zahlreiche gra -fische Vervielfältigungsrechte,Ab druckrechte sowie die Rechtean Wissenschaftlichen Ausgabenund Erstausgaben für Musikver-lage, Komponisten, Textdichterund musikwissenschaftliche He-rausgeber wahr.

Kontakt und Infos: www.vg-musikedition.de

International Postgraduate Summer School

■ ASPM

Der Arbeitskreis Studium Po-pulärer Musik (ASPM) und dasInstitut für Musikwissenschaftund Musikpädagogik der Uni-versität Osnabrück veranstalte-ten vom 12. bis zum 16. Sep-tember eine Summer School fürGraduierte „Methods of Popu-lar Music Analysis“.

Die Teilnehmerinnen undTeilnehmer, bestehend aus Gra-duierten, Doktorandinnen, Dok-toranden und Postdocs aus allerWelt, erwartete ein intensivesProgramm, bei dem internatio-nale Fachleute über ein zelne As-pekte der Analyse populärer

Musik referierten. So sprachWalter Everett (University of Michigan) über Harmonik undStimmführung, Anne Danielsen(Universität Oslo) über Rhythmikund Mikrorhythmik, Simon Za-gorski-Thomas (London Collegeof Music) über Sound und Stu-diotechnik und Allan Moore(University of Surrey) schließlichüber Ansätze der Interpretation.Thema und Inhalt der SummerSchool waren die verschiedenenHerangehensweisen, das „Mate-rial“ populärer Musik zu be-schreiben.

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Das Präsidium des GDM be-suchte anlässlich einer Sitzungdas Musikhaus Thomann, dasseit seiner Gründung Mitgliedim GDM ist, in Treppendorf.Die Präsidiumsmitglieder zeig-ten sich beeindruckt von dembreiten Sortiment an Instru-menten, Musikelektronik, PA

und Zubehör. Mit 740 festan-gestellten Mitarbeitern ist Tho-mann Online der größte Ver-sender von Musikinstrumentenund Musikzubehör weltweit. Sowar dann auch das Thema In-ternethandel und der Vertriebüber branchenfremde Internet-plattformen der Haupttages-

ordnungspunkt für die sich an-schließende Präsidiumssitzung.Die Mitglieder des Präsidiumswaren sich einig, dass die Ver-fügbarkeit von Musik ins tru -men ten auf branchenfremdenPlattformen wie bspw. demLidl-Online-Shop die Wertig-keit von Musikinstrumenten inden Augen der Verbrauchersinken lässt und vor allem, alsschwierigste Herausforderungfür den stationären Fachhandel,die Preisspirale immer weiternach unten treibt. Das GDM-Präsidium fordert daher Ver-triebsverträge, die verhindernsollen, dass höherwertige Mar -kenprodukte auf diesen bran-chenfremden Internetplatt -formen gehandelt werden.Weitere Themen der Präsidi-umssitzung waren u. a. die er-folgreiche Verkaufsaktion derGDM-Notenständer mit derFirma König & Meyer und dieVorbereitung des Branchen-treffs des Musikfachhandels,der am Montag, den 14. Mai2012 auf dem Messegeländein Frankfurt stattfindet.

■ GDM ■VDKD

Präsidium des Gesamtverbands Deutscher Musikfachgeschäftetagte in Treppendorf

Tagte im Musikhaus Thomann: das GDM-Präsidium um Präsident ArthurKnopp (vorne links) und Gastgeber Hans Thomann (Mitte)

Der bdpm und die IFETwerden in Zukunft den Wett-bewerb E-Sound-Competition,„Kids2Keys“ und „GenerationKeys 20+“ gemeinsam gestal-ten. Der bdpm wird sich mitseinem pädagogischen Know-how in die Bewertungskriterieneinbringen und diese auch mit-gestalten. Zudem wird derbdpm in der Jury der E-Sound-Competition vertreten sein.

„Kids2Keys“ hat sich alsMusikwettbewerb im Bereichelektronischer Tasteninstru-mente in seiner vierjährigenGeschichte hervorragend etab -

liert, sodass diese Zusammen-arbeit auch für den bdpm eineBereicherung ist. Die Anerken-nung, die Kinder und Jugend-liche bei einem Wettbewerberfahren, fördert ihre musikali-sche Entwicklung und daherfreut sich der bdpm e. V., sei-nen Schülerinnen und Schülernden Zugang zur Teilnahme er-leichtern zu können. Außer-dem stärkt der Wettbewerb„Kids 2Keys“ die Stellung derelektronischen Tasteninstru-mente. Der bdpm und die IFETöffnet Musikschülern eine Tür,ihr Instrument in dem Wettbe-

werb „Kids2Keys“ zu präsen-tieren. Der neue Wettbewerb„Generation Keys20+“ bietetjetzt zusätzlich die musikalischeWeiterentwicklungsmöglich-keit für junge Spieler ab zwan-zig Jahren. Mit „Kids2Keys“und „Generation Keys 20+“ent wickeln die IFET und derbdpm gemeinsam die E-Sound-Competition zu dem erstenWettbewerb für alle Tasten-spieler – in allen denkbaren Al-tersgruppen an elektronischenInstrumenten.

Weitere Informationen unterwww.bdpm.biz oder www.ifet.de

■ bdpm

Kooperation zwischen bdpm und IFET

Künstlerliste 2012veröffentlichtDie Künstlerliste 2012 desVDKD ist nach Musikstilrich-tungen, Instrumenten und En-semblegrößen gegliedert undinformiert über mehr als 2000Künstler. Sie ermöglicht Ver-anstaltern, Tourneeunterneh-mern und anderen Interessier-ten ein einfaches Auffinden vonKünstlern aus dem gesamtenSpektrum der musikalischenUnterhaltung von der Klassiküber den Jazz bis in sämtlicheSparten der U-Musik. Die Pub -likation enthält überdies einMitgliederverzeichnis aller demVDKD angeschlossenen Agen-turen, Konzertveranstalter undStiftungen. Sie ist bei der Ge-schäftsstelle des Verbandeskostenfrei zu erhalten und aufwww.vdkd.de auch online zu-gänglich.

Ausgezeichnet: Florian Ostertag Der mit 10 000 Euro dotierteMusikpreis des VDKD geht indiesem Jahr an Florian Oster-tag. Die Auszeichnung wirdjährlich an förderungswürdigejunge Musiker oder Ensemb -les, beziehungsweise Bandsaus den Bereichen der E-Musikoder U-Musik vergeben. Mit-sponsor und Medienpartnerdes Preises ist das Branchen-magazin Musikmarkt.

In der Begründung der Juryheißt es: „Florian Ostertag be-sitzt eine enorme Klanggewalt,die den Hörer sofort in seinenBann zieht. Er hat großartigeSongs geschaffen, die Instru-mentierung und der Gesang be-sitzen internationale Qualität.Die stilistische Bandbreite istgroß und reicht von akustischenBalladen bis zu Popsongs. Auchbei den Live-Auftritten über-zeugt Florian Ostertag …“

Kontakt: [email protected]

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■ AfS

Am 25. September ging der 43.Bundeskongress des Arbeits-kreises für Schulmusik mit 160Referenten aus dem In- undAusland und 220 Vorträgen, 22Seminaren und Workshops zuEnde. Vor allem wurde die Re-levanz des Themas („Musizie-ren mit Schulklassen. Praxis –Konzepte – Perspektiven“) fürden Musikunterricht an den all-gemein bildenden Schulendurch die musikalische Tätig-keit in den Workshops auf demKongress deutlich.

Der a cappella-Chor VOCALLINE aus Aarhus in Dänemarkeröffnete den Kongress im Kon-zertsaal der Musik- und Kon-gresshalle mit seinen artifiziellenund schwungvollen Songs. FürStimmung auf der Kongress-party sorgten auch die Auftrittevon Lübecker Schüler/innenoder von Ensembles. In Vorträ-

Über tausend Musikpädagogen kamen nach Lübeck

gen und Diskussionen wurdedarauf hingewiesen, dass dasMusizieren mit Schulklassensich nicht darin erschöpfen darf,„nur“ ein Instrument spielen zulernen, sondern immer einge-bunden sein muss in Konzepteallgemeiner musikalischer Bil-dung. Als zuverlässige Kongress-partner erwiesen sich die Mu-sikhochschule Lübeck, der Ver-band Deutscher Schulmusiker,das Institut für Qualitätsent-wicklung in Schleswig-Holstein,Let´s make music sowie der Ver-band deutscher Musikschulen.Mit dieser rundum gelungenenVeranstaltung wurde die Mess-latte für den ersten mit demVDS gemeinsam geplanten„Bundeskongress Musikunter-richt“ 2012 in Weimar erfreulichhoch gelegt. Weitere Informationen unter:www.afs-musik.de

Erfolgreicher Bundeswettbewerb „Klassenmusizieren“ 2011In der Endrunde des 3. Bun-deswettbewerbs „Klassenmu-sizieren“ studierten zehn Fina-listen vor Jury und Publikumihre Arrangements zum Thema„Geburtstag“ mit Kölner Schul -klassen ein. Die Wertung inder Kategorie „Lehrer“ gewannJohannes Steiner (Wels/ Öster -reich) vor Matthias Claudino(Germersheim). Julian Oswald

(Regensburg) und AndreasWickel (Essen) erhielten den 1.bzw. 2. Preis in der Kategorie„Studierende“. Der Bundes-wettbewerb „Arrangieren fürSchulklassen“ wird vom Ar-beitskreis für Schulmusik (AfS)und vom Helbling Verlag, Ess-lingen, ausgerichtet.

www.arrangieren-fuer-schulklassen.de

■ LMR Nordrhein-Westfalen

Am 17. September wähltendie Delegierten der Mitglieds-verbände im LandesmusikratNRW in Münster ein neuesPräsidium: Wiedergewählt wur-den Präsident Prof. Dr. WernerLohmann, Schatzmeis ter Wer-ner Middendorf und die Vize-präsidenten Dr. Walter Lin-denbaum, Prof. Werner Rizziund Arnd Bolten. Die Vizeprä-sidenten stehen jeweils einerArbeitsgemeinschaft von Ver-bänden im Landesmusikratvor. Zum Nachfolger von PeterTonger wurde Prof. André Se-bald gewählt. Zu Beisitzern imPräsidium wurden ReinhardKnoll und Dr. Christian de Wittwieder- sowie als Fachmannfür den Themenschwerpunkt„Musik und Alter“ Prof. Dr.med. Wolfgang Angerstein, Lei -ter des Selbstständigen Funk-tionsbereichs für Phoniatrieund Pädaudiologie am Univ.-Klinikum Düsseldorf, neu ge-wählt. Andreas Heuser, derden Themenschwerpunkt „Kul -

turelle Vielfalt in NRW“ be-treut hatte, schied nach Ablaufder drei Themenjahre aus.

Nachmittags führte Dr. Ro-semarie Tüpker, Leiterin desStudiengangs Musiktherapie ander Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Beisit-zerin im Präsidium des Landes-musikrats, mit einem Vortragdie Mitglieder und Gäste in eineAuseinandersetzung mit demThemenschwerpunkt „Musikund Alter“. Wolfgang Anger-stein beschäftigte sich mit demSingen im Alter und seinen bio-logischen Grenzen. Mit der„Prophylaxe von altersbeding-ten Musiker-Erkrankungen“ be-schäftigte sich Dr. med. SabineFlesch, Interdisziplinäre Ambu-lanz für Musikermedizin amUniv.-Klinikum Düsseldorf. Ein-drucksvoll bot sie statistischeDaten zum Ausmaß von Musi -kerkrankheiten.

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Wahlen zum Präsidium und Themenschwerpunkt „Musik und Alter“

Das Sparda-MusikNetzWerkzeichnet am 19. Novemberbereits zum sechsten Mal bei-spielhafte Projekte von öffent-lichen Musikschulen und Lai-enmusikvereinen mit ihrennicht kommerziellen Koopera-tionspartnern aus. Musikschu-len des Landesverbands derMusikschulen in NRW undLaienmusikvereine in NRW(unter dem Dach der AG Lai-enmusik des LandesmusikratsNRW) waren eingeladen, sichzu bewerben.

Ziel dieses Wettbewerbes istes, die verschiedenen Institutio-nen und Vereine zu vernetzenund damit das kulturelle Enga-gement in der Region zu stär-

Preisverleihung SPARDA-MusikNetzWerkken. Außerdem werden die ho -he soziale und integrative Wir-kung solcher Projekte und da -mit die Stärkung der bürgerli-chen Gesellschaft gewürdigt. Diemit je 1000 Euro dotierten Aus-zeichnungen werden in denSparten Begegnung, Bildung,Kulturleben und Nachwuchsvergeben. Die Jury bestand ausFachleuten der Bereiche Wis-senschaft, Musik und Kultursowie Vertretern der StiftungKunst, Kultur und Soziales derSparda-Bank West, des Landes-verbandes der Musikschulen inNRW und der Arbeitsgemein-schaft Laienmusik des Landes-musikrates NRW.

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DE ■ LMR Brandenburg

Die Musikakademie Rheinsbergund die Kammeroper SchlossRheinsberg sollen nach kom-munalem Willen rechtlich zueiner GmbH „verschmolzen“wer den. An der Spitze die sesneuen Konstrukts soll ein „kauf - männischer Geschäfts führer“

stehen. Mit dem vorliegendenEntwurf eines GmbH-Vertragesfür den zu gründenden „Kul-turstandort Rheins berg“ sowieeinem Gutachten „Zur Opti-mierung des KulturstandortesRheinsberg“ ist der Lan desmu -sikrat nicht einverstanden. Das

In Sorge um Rheinsberg

Generalversammlung 2011

Am 15. September führte derLandesmusikrat Brandenburgim Potsdamer Bildungsminis -terium seine diesjährige Gene-ralversammlung durch. Gene-ralsekretärin und Präsidiumwurden für das Jahr 2010 ent-lastet. Im Mittelpunkt der Be-ratungen standen die Überar-beitung der Satzung und dieVerabschiedung der Projekt-und Finanzpläne für das kom-

mende Jahr. Das Präsidiumwurde für drei Jahre wiederge-wählt. Präsident Ernst-UllrichR. Neumann sieht als vorran-gige Aufgaben Vereinsinterna,akzeptable Lösungen für dieWeiterarbeit von Musikakade-mie und Kammeroper Rheins-berg sowie die Projektarbeit,insbesondere im Bereich dermusischen Bildung.

begeistern. Die Jury setzte sichzusammen aus Stephan Genze(Rhythmus), Arnold Hänsch(Blechbläser) und Rolf von Nor-denskjöld (Holzbläser). Den 1.Förderpreis erspielte sich dieBig Band Bad Liebenwerda.

Die Big Band des evangeli-schen Gymnasiums Hermanns-werder gewann den 2. Förder-preis des Wettbewerbs.

Landeswettbewerb „Jugend jazzt“ für Jazzorchester 2011Unter dem Motto „Jazz imKutschstall“ fand am 10. Sep-tember 2011 im Haus der Bran-denburgisch-Preußischen Ge-schichte Potsdam der Landes-wettbewerb „Jugend jazzt“ fürJazzorchester mit dem SkodaJazz Preis 2011 statt. Bei herrli-chem Sommerwetter konntendie teilnehmenden Bands zahl-reiche Zuhörer anlocken und

Bereits zum 5. Mal veranstaltetder LMRB eine Kinderchor-werkstatt für Grundschulen.Aufgrund des überaus großenInteresses wird dieses Projektauch in diesem Jahr in Koope-ration mit dem Ministerium fürJugend, Bildung und Sport so -wie der DKB-Stiftung für alleBerlin-BrandenburgischenGrund schulen angeboten.

Bereits bestehende und imAufbau befindliche Grundschul-chöre haben hier die Möglich-keit, sich unter fachlicher Leitunggesanglich und chorisch fortbil-den zu lassen. Die dreitägigeWerkstatt findet unter der Lei-tung von Prof. Hans-Peter Schurzvom 2. bis 4. November im Ju-genddorf am Ruppiner See inGnewikow bei Neuruppin statt.

5. Berlin-Brandenburgische Kinderchorwerkstatt

Die Big Band Bad LiebenwerdaFoto: Jürgen Börner

Konzertreisen der Landesjugendensembles

Nach dem großen Erfolg von„Bassini“, dem Kontrabass-Se-minar, das in diesem Jahr, in-klusive eines Symposiums fürKontrabass-Lehrkräfte, bereitsvom 24. bis 27. März statt-fand, wurde erstmals in die-sem Jahr „Kinderbassini“ aus-geschrieben. Das Kontrabass-Seminar für SchülerInnen aufdem Minibass fand vom 14.

Landesmusikrat fördert Bass-Nachwuchs

bis 16. Oktober im SchlossTrebnitz statt – in Kooperationmit der Musikwerkstatt Edenin Oranienburg. Es wird geför-dert vom Ministerium für Wis-senschaft, Forschung und Kul-tur des Landes Brandenburgsowie der Sparkasse Märkisch-Oderland.

Vom 22. September bis zum 2.Oktober gastierte der Landes-jugendchor Brandenburg unterder Leitung von Prof. Hans-Peter Schurz mit fünf Konzer-ten in Chile. Die Konzertreisewurde durch das Goethe-Insti-tut sowie durch das Ministe-rium für Wissenschaft, For-schung und Kultur des LandesBrandenburg gefördert. DasLandesjugendakkordeonor-

chester Brandenburg unter-nahm mit seinem Leiter VolkerGerlich vom 30. September bis3. Oktober eine Konzertreisenach Györ/Ungarn. Am 2. Ok-tober gastierte im Erfurter Rat-hausfestsaal das Landesjugend -zupforchester Brandenburg-Berlin unter Leitung des Man-dolinisten Christian Laier wäh-rend seiner Konzertreise durchThüringer Städte.

Präsidium trat mit einer Stel-lungnahme an die zuständigenÄmter und die Öffentlichkeit.Auch die Konferenz der Lan-desmusikräte verab schie detebei ihrer Herbsttagung am 8./9.September ei nen Beschluss, indem sie das Land Brandenburg,

den Kreistag Ost prignitz-Rup -pin und die Stadt Rheinsbergdazu auffordert, bei der weite-ren Gestaltung genau darauf zuachten, dass Aufgabenstellung,Struktur, Autonomie und Subs -tanz der Bundesmusikakademievoll erhalten bleiben.

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Bayern will die musikalischeBreitenbildung stärken. Damitdies vom Kleinkind bis zum Se-nior gelingt, starteten im Sep-tember 2011 drei BayerischeMinisterien und der BayerischeMusikrat eine einzigartige Ini -tiative: die Gründung derBayerischen Landeskoordinie-rungsstelle für Musik (BLKM),die bereits seit zehn Jahrenvom Bayerischen Musikrat ge-fordert wurde. 2008 gab derjetzige Präsident und damaligeWissenschaftsminister ThomasGoppel grünes Licht zur Grün-dung eines Netzwerks Musik inBayern, um zunächst im Pilot-gebiet Bayerisch-Schwaben zuerproben. Die BLKM ist eineArbeitsgemeinschaft der Staats-

ministerien für Arbeit und Sozi-alordnung, Familie und Frauen,für Unterricht und Kultus, fürWissenschaft, Forschung undKunst sowie des BayerischenMusikrats (BMR) mit Sitz inMünchen. Ihre Hauptaufgabebesteht darin, Musikbildungs-projekte zu sammeln, zu ver-netzen und neue Projekte zuentwickeln. In der ersten Phasekonzentriert sich die Arbeit derBLKM hierbei auf Musikbil-dungsprojekte in Kindertages-stätten und allgemein bilden-den Schulen. Die Ausbildungzu künftiger Musiklehrer so wieMusikbildungsprojekte mitSenioren sind weitere wichtigeArbeitsfelder.

Ressortübergreifende Initiative zur Stärkung der Musik

■ LMR Bayern

Vielfalt bestimmt die Musik-landschaft im Flächenstaat Ba -yern. Damit dies auch in Zu-kunft dezentral und regionalty-pisch ausgebaut werden kann,wurde der 3. Bayerische Musik-plan erstellt, der jetzt der Öf-fentlichkeit vorgestellt wurde.

Der Plan greift neue Entwick-lungen auf und macht konkreteVorschläge zum Ausbau. So fin-den sich erst mals Stichworte wie„Freie Musikensembles“, „Welt-musik“, „Musik und Migration“oder „Musik und Umwelt“. Gop-pel: „Ein besonderer Schwer-punkt gilt der musikalischen Bil-

dung, die schon in Kindertages-einrichtungen und sonstigen vor-schulischen Angeboten einsetzenmuss.“ Mit dem 1. BayerischenMusikplan legte die BayerischeStaatsregierung erstmals 1978ein zusammenhängendes Ent-wicklungsprogramm für Musik -erziehung, Musikausbildung undMusikpflege in Bayern vor. Der 3.Bayerische Musikplan wurde imAuftrag der Bayerischen Staatsre-gierung vom Bayerischen Musik-rat und einer Expertenkommis-sion mit Vertretern der verschie-denen Musikinstitutionen undMusikbereiche in Bayern erstellt.

Bayern legt 3. Musikplan vor

Kunstminister Dr. Wolfgang Heubisch und BMR-Präsident Dr. Thomas Goppelbei der Vorstellung des 3. Bayerischen Musikplans Quelle: StMWFK

■ LMR Rheinland-Pfalz

Musik und Sport

Fußball gilt in Musikerkreisenoft noch als „Pöbelsport“, Mu-siker hingegen sind in den Au -gen einiger Sportler „Weich -eier“. Laut Herbert Fandel –der frühere Fußball-Schieds-richter und Konzertpianist musses wissen – überwiegen jedochdie Gemeinsamkeiten zwischenSport und Musik. Einige dieserParallelen stellt die Ausstel-lung „Musik und Sport – Sportund Musik“ dar, die von derKölner Fotografin Jane Dun kerzusammengestellt wurde unddie der Landesmusikrat initiiertund in Kooperation mit dem

Landessportbund Rheinland-Pfalz herausgegeben hat. DieFotos zeigen Sport und Musikunter anderem als Beruf, Aus-gleich, Therapieform und Mittelzur Integration. „Wir versuchen,durch Optik klarzumachen, wel-che Parallelen es gibt“, erklärteProf. Christoph-Hellmut Mah-ling, Präsident des Landesmusik-rates. „Durch diese Ausstellungwerden die vielfältigen Gemein-samkeiten – von Kindesbeinenan bis ins hohe Alter – herausge-stellt“, ergänzte Karin Augustin,die Präsidentin des Landessport-bundes.

Präsentieren die Ausstellung „Musik und Sport – Sport und Musik“ (v. l.): Foto-künstlerin Jane Dunker, Ex-Fußball-Schiedsrichter und Pianist Herbert Fandel,Hannelore Klamm, Vizepräsidentin des Landtags, LSB-Präsidentin Karin Augus-tin und LMR-Präsident Prof. Christoph-Hellmut MahlingFoto: Landesmusikrat/Sämmer

Landesmusikrat Rheinland-Pfalz verleihtPreis für Verdienste um die Musikkultur

Der Landesmusikrat Rhein-land-Pfalz, Dachverband fürdas Musikleben im Bundes-land und somit Interessenver-treter von mehr als 550 000mu sizierenden Rheinland-Pfäl-zerinnen und Rheinland-Pfäl-zern, verlieh zum ersten Malin seiner Geschichte den „Preis

des Landesmusikrats für dieVerdienste um die Musikkul-tur“. Preisträger ist der Ge-schäftsführer von Lotto Rhein-land-Pfalz, Hans-Peter Schöss-ler. Ministerpräsident KurtBeck verdeutlichte in seinerLaudatio die vielfältigen Ver-dienste des Preisträgers.

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Radikal verändern: Belma Bešlic-Gál

■ Archiv Frau und Musik

■ LMR Schleswig-Holstein

Vor hunderten von Menscheneröffneten Nils Landgren undJonas Bylund mit einem Volks-lied in eigener Bearbeitung dasvom Landesmusikrat veran-stalte Fest auf dem LübeckerMarkt. Sie vernahmen die Be-grüßung von Lübecks Bürger-meister Bernd Saxe und dasGespräch von NDR-ModeratorBenedikt Stubendorff mit Kul-turmanagerin Antje Peters-Hirtund anschließend dem Präsi-denten des LandesmusikratesDr. Klaus Volker Mader. Naht-los knüpften daran die Kon-zerte an, der „salt peanuts“,

Posaunentag mit Nils Landgren und hundertBlechbläsern beim Mitmach-Konzert

vom Posaunenensemble derNordelbischen Posaunenmis-sion und vom LandesJugend-JazzOrchester mit Nils Land-gren. Danach wurden Noten-ständer und Instrumente imPublikum ausgepackt. UnterLeitung von Landesposaunen-wart Daniel Rau probten alleTeilnehmer die vier Stücke. NilsLandgren und Jonas Bylundsollten beim Gesamtdurchlaufimprovisieren. Mit einem Jazz-Konzert der „Beastie Bones“ging der Tag auf dem Markt-platz zu Ende.

Von Bach über Brahms undhin zu den skandinavischenKomponisten Hartmann undGade – im Festkonzert zum25. Geburtstag wurden Werkedes zentralen Chorrepertoiresdargeboten. Der NorddeutscheRundfunk schneidet die Kon-zerte mit und widmet dem Ju-biläum eine Sendung. Längstist der Chor unter der künstle-rischen Leitung von MatthiasJan, fester Bestandteil der Mu-sikszene Schleswig-Holsteinsund ein wichtiges Instrumentdes Landesmusikrates in derFörderung des begabten Nach -

LandesJugendChor Schleswig-Holstein feiertsein 25-jähriges Jubiläummit zwei Konzerten

wuchses. Schwerpunktmäßighatte es sich die künstlerischeLeitung von Anfang an zurAufgabe gemacht, sowohl diea cappella-Tradition des Chor-gesangs verschiedener Epo-chen zu pflegen als auch demweiten Feld der neuen Musikin den KonzertprogrammenRaum zu ge ben. Eine ausge-wogene Auswahl geistlicherund weltlicher Literatur unter-streicht die Vielseitigkeit desChors, der bewusst Werke auf-führt, die für einen Klang kör -per mit jungen Stimmen be-sonders geeignet sind.

Das Präsidium des Landesmu-sikrats Rheinland-Pfalz hat inseiner konstituierenden Sitzungdie Vizepräsidenten für dieAmtsperiode bis 2014 ge-wählt. Der Präsident des Chor -verbandes Rheinland-Pfalz,Karl Wolff, und der Leiter derSWR2 Landesmusikredaktion,Peter Stieber, wurden in ihremAmt als Vizepräsidenten be-stätigt. Neu in diesem Amt istMarkus Graf, der 1. Vorsitzen -de der LandesArbeitsGemein-schaft Rock&Pop Rheinland-Pfalz. Graf löst damit ChristaSchäfer, Mitglied des erweiter-ten Vorstands des Landesver-bands der Musikschulen, alsVizepräsident ab. Markus Graf

Wahl der Vizepräsidenten des LMR RP

ist seit 1995 Vorstandsmitgliedder LandesArbeitsGe mein schaftRock & Pop in Rheinland-Pfalz e.V. und seit 2005 ge-schäftsführender Vorsitzenderim Hauptamt. Er ist für die Aus-richtung und Durch füh rungdes landesweiten und nach-haltigen Förderprogramms fürpopuläre Mu sik verantwortlich(Rockbuster-Newcomer Con-test). Seit 2005 ist Graf Präsi-diumsmitglied des Landesmu-sikrates Rheinland-Pfalz. Seit2006 ist er Projektleiter desrenommierten InternationalenLahnsteiner Bluesfestivals undGast dozent an der Popakade-mie Mannheim.

„VOM NICHTS“ ist der verhei-ßungsvolle Titel des Porträt-konzerts der diesjährigen Ge-winnerin von „Composer inResidence – Komponistinnennach Frankfurt“, das am 23.November in der FrankfurterMusikhochschule stattfindenwird. In Zusammenarbeit mitdem Institut für Zeitgenössi-sche Musik (I z M) werdenunter anderem das Ensemble-stück LAKES (unter der Lei-tung von Gerhard Müller-Hornbach) sowie der Lieder -zyklus NGC 3372 erklingen. InLAKES spiegelt sich in ganz be-sonderer Weise das Anliegender Komponistin. Die Entste-hung dieses Zyklus von Klang-bildern beruht auf extrater res -trischen Vorgängen, auf derFaszination für die unendlicheVielfalt astronomischer Phä-nomene.

„Bereits in fünfzig Jahrenkönnte es soweit sein, dass Kon -zerte in Weltraumstationen oderauf Mondbasen stattfinden. Undwenn es soweit ist, wird maneinsehen müssen, dass aufgrundder veränderten Gravitation der

Großteil der Werke der ‚irdi-schen’ instrumentalen Musiktra-ditionen dort schlicht und ein-fach nicht spielbar sein wird“,reflektiert die Musikerin undentwickelt ein einzigartiges mu-sikalisches Konzept. Lacus tem -poris for weightless orchestranennt sie dieses Projekt.

Was utopisch klingt, soll je-doch naturwissenschaftlich un-termauert werden. Belma Bešlic-Gál gelingt es, renommierte Ins -titutionen für ihre Idee zu ge-winnen, die das Forschungsvor-haben mit einem ersten Para-belflug im Frühjahr 2013 unter-stützen. Erste Förderanträge sindgestellt, weitere Sponsoren wer-den gesucht!

Dr. Cornelia Preissinger

© Alija Kamber

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Creative EUROPE

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rung explizit und in größerem Umfangals bisher als eigenes Förderziel auch inandere, finanziell wesentlich besser aus-gestattete Förderprogramme der EU auf-zunehmen. Bislang seien die großen Pro-gramme für die innovativen kleinerenund mittleren Unternehmen kaum zu-gänglich. In Frage kommen hier z. B. dasForschungsrahmenprogramm, das Pro-gramm für Wettbewerbsförderung undInnovation (CIP), die Programme derEU-Außenbeziehungen und die Struktur-fonds.

Quadratur des Kreises?Der Lösungsvorschlag für die komplexeAufgabe, den europäischen Kultursektorzum Wohle aller bestmöglich zu stärken,steht in den Mitteilungen und Arbeitspa-pieren der EU-Kommission zum Mehrjäh-rigen Finanzrahmen der EU für die Jahre2014 bis 2020. Das Zahlenwerk wirdnach der Haushaltsreform generell trans-parenter werden und die Ausgaben effek-tiveren Nutzen abwerfen – so die Absicht.Um der bestehenden Fragmentierung dereinzelnen Programme entgegenzuwir-ken, sind Programme gebündelt worden,damit sie gemeinsam eher über die kriti-sche Masse verfügen, eine Langzeitwir-kung entfalten zu können. Für den Be-reich Jugend-, Aus- und Weiterbildungsoll es künftig ein gemeinsames Pro-gramm namens „Education Europe“ ge-ben. Für den Kulturbereich ist ein neuesRahmenprogramm namens „CreativeEurope“ vorgesehen. Es soll drei unab-hängige Säulen haben: Eine ist das bishe-rige Programm Kultur, eine weitere diebisherigen Programme Media und MediaMundus. Als drittes unabhängiges Seg-ment soll ein neues Finanzierungsinstru-ment für den Bereich Kultur- und Krea-tivwirtschaft hinzukommen. Dass Kultur und Bildung einen hohenStellenwert für die Ziele der Strategie„Europa 2020“ haben, lässt sich an denvon der EU-Kommission vorgeschlage-

derspruch, sondern sind sehr wohl ver-einbar. Diverse von der EU beauftragteStudien wie Die unternehmerische Dimensionder kulturellen und kreativen Industrien oderBeitrag der Kultur zu lokaler und regionalerEntwicklung – Beispiele aus den Strukturfondsbegründen hinsichtlich Innovation,Wachstum und Beschäftigung eindeutigden hohen Stellenwert, den Kulturförde-rung auch im wirtschaftlichen Sinne hat.Untersuchungen über die Langzeitwir-kung der Mittel für die EuropäischenKulturhauptstädte Linz und Liverpool ha-ben u. a. erwiesen, dass jeder investierteEuro dort vier bzw. sogar acht weitereEuros erwirtschaftete.Selbstverständlich tragen aber auch Non-Profit-Projekte zur Kreativwirtschaft bei;auch dort wird Geld umgesetzt und ver-dient, auch wenn dies nicht das primäreZiel ist. Kulturelles Schaffen soll und kannman aber nicht ausschließlich nach sei-nem ökonomischen Mehrwert bewerten.Wesentlich nachhaltiger und wirkungs-voller ist die soziale und edukative Aus-wirkung, die sich langfristig natürlichauch wieder wirtschaftlich rechnet. Dasaktuelle Programm Kultur (2007-2013)ist vor allem ausgerichtet auf europäischeIntegration, auf gegenseitiges Kennenler-nen und Voneinander-Lernen und auf dieProfessionalisierung des Kultursektors.Zum Schutz der kulturellen Unabhängig-keit der Mitgliedstaaten darf dabei ledig-lich transnationale, nicht erwerbsorien-tierte Kooperation bezuschusst werden.Ein Programm mit solch einer Ausrich-tung ist für Europa und seinen Kultursek-tor wichtig und wirkt nebenbei undlangfristig natürlich auch positiv im öko-nomischen Sinne. Dieses vergleichsweisekleine Programm weiter für die Kreativ-wirtschaft zu öffnen, wie von Einzelnengefordert, wäre jedoch nur dann sinnvoll,wenn sein aktuelles Budget mindestensverdoppelt würde.Wesentlich wirkungsvoller wäre es, sodie Empfehlung der Studien, Kulturförde-

Dem Entwurf vorangegangen war ei-ne dreimonatige Online-Befragung desSektors und die Veröffentlichung der Stel-lungnahmen, dann eine gut besuchte An-hörung in Brüssel, in der die Teilnehmen-den ausführlich zu Wort kamen. Die Kul-tur(staats)minister von Polen, Frankreich,Spanien und Deutschland setzten sich ingemeinsamer Aktion bei Kommissions-präsident José Manuel Barroso dafür ein,das Programm Kultur und das Filmför-derprogramm Media, die sich an unter-schiedliche Zielgruppen richten, vonei-nander unabhängig und (mindestens)mit ungekürzter finanzieller Ausstattungweiter bestehen zu lassen. Zwei denkbareSzenarios bereiteten dem europäischenKultursektor nämlich Kopfzerbrechen:Zum einen, dass die Mitgliedstaaten imZuge des allgemeinen Sparzwangs dasohnehin äußerst geringe Sieben-Jahres-Budget von derzeit 400 Millionen Euronoch weiter reduzieren könnten. Zumanderen, dass die künftige stringente Aus-richtung aller EU-Förderprogramme aufdie „Europa 2020“-Strategie einhergehenwürde mit einer zu starken bzw. zu ein-seitigen ökonomischen Ausrichtung derKulturförderung.

Kreativwirtschaft versusKulturförderung?Die Begriffe „Kreativwirtschaft“ und „Kul -turförderung“ stehen keinesfalls im Wi-

Seit Ende Juni zeichnet sich in erstenUmrissen ab, was der EuropäischenKommission – genauer gesagt der Ge-neraldirektion für Bildung und Kultur– hinsichtlich der künftigen Kulturför-derung vorschwebt. Mit Spannung warder Entwurf für den „Mehrjährigen Fi-nanzrahmen der EU“ für die Jahre2014 bis 2020 erwartet worden, der inersten Umrissen die geplanten neuenFörderstrukturen nach der Haushalts-reform aufzeigt.

Erste Pläne für die EU-Kulturförderung ab 2014 Sabine BornemannDrachen auf Stelzen, gebaut von

Oakleaf Creativity Hamburg, aufdem Aalborg Karneval Mai 2010

50 europa

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Eine neue Idee ist im Land, es war jaauch lange Ruhe an der Bildungsfront.Objekt der Beschäftigung sind die dreiFächer Sport, Kunst und Musik. Da so-wieso irgendwie alles mit allem zusam-menhängt, erscheint es doch nahe lie-gend, zumindest schon mal diese dreiBereiche zu einem Fach zusammenzufas-sen. Keine Einzelfächer Musik, Sport undKunst mehr, sondern nur noch ein Fach„Ästhetische Bildung“. Die Nähe lässtsich schnell nachvollziehen, schließlich

In Fortsetzung unseres Themenschwer-punkts „Burnout im Mutterleib“ kriti-siert Rüdiger Kruse den Beschluss derKultusministerkonferenz, die FächerMusik, Kunst und Sport zu einem Stu-dienbereich „Ästhetische Bildung“ zu-sammenzufassen.

Aus drei

nen Budgeterhöhungen für beide Rah-menprogramme ablesen: Für „EducationEurope“ sind 15,2 Milliarden Euro veran-schlagt, für „Creative Europe“ 1,6 Mil -liarden. Gegenüber den aktuellen Pro-grammen Kultur und Media/Media Mun-dus wäre letzteres (inflationsbereinigt)ein Zuwachs von immerhin rund 450Millionen für einen Zeitraum von siebenJahren. Über die Verteilung der Mittel aufdie unterschiedlichen Förderbereichewird noch zu debattieren sein. Mit einemnäher ausformulierten Entwurf ist erstEnde November 2011 zu rechnen, derendgültige Beschluss erfolgt dann in derzweiten Jahreshälfte 2013.

Den Kultursektor stärken!Mit einer persönlichen Video-Grußbot-schaft hat Kommissionpräsident Barrosoim vergangenen Herbst den Start derKampagne „We are more – act for culturein Europe!“ unterstützt. Das große euro-päische Kulturnetzwerk Culture ActionEurope, das sich in Art eines Verbandesmit über einhundert Mitglieds-Netzwer-ken für den europäischen Kultursektoreinsetzt, will mit dieser Aktion bis 2013auf die Stärkung des europäischen Kul-tursektors und ein starkes, unabhängigesund finanziell gut ausgestattetes europäi-sches Kulturförderprogramm hinwirken.Ein weiteres Ziel ist, Kultur- und Kreativ-wirtschaft in den Strukturfonds als eige-nes Förderziel aufzunehmen. Hierfürmuss vor allem auf nationaler Ebene ge-worben werden. Unter www.wearemo-re.eu/join wird aktuell ein 16 Seiten star-kes „Message-Book“ mit unterstützendenArgumenten und Fakten angeboten, au-ßerdem ein Manifest, das binnen wenigerWochen bereits 20 000 Kulturakteure un-terzeichneten. Jede weitere Unterschriftstärkt die Kampagne!

Rückflüsse aus dem EU-Budgetnach DeutschlandDie Mittelrückflüsse aus dem ProgrammKultur nach Deutschland sind derzeit üb-rigens weit besser als ihr Ruf. Leider gibt

es keine belastbaren Zahlen, die alle Zu-schüsse nach Ländern aufteilen. Die offi-zielle Statistik weist die gesamten Projekt-zuschüsse jeweils dem federführendenLand zu, was nicht der Realität ent-spricht, da die Mittel über alle Koopera -tionspartner verteilt werden. Macht mansich die Mühe, die Beträge pauschal füralle an geförderten Projekten beteiligtenAkteure auszurechnen, kommt man zudem Ergebnis, dass rund zehn Prozentder verausgabten Mittel an Deutschlandgehen. In den vergangenen fünf Jahrenwaren dies rund 24 Millionen Euro. Inden wichtigsten Förderbereichen (Ko-operationsprojekte und Betriebskostenzu-schüsse für europaweit tätige Kulturorga-nisationen) lag Deutschland bezüglichder Anzahl der geförderten Kulturakteurezusammen mit Italien, Frankreich, Bel-gien und Großbritannien immer unterden ersten Fünf und mehrfach sogar anerster Stelle. Wenn man bedenkt, dass dasProgramm Kultur zu den kleinsten EU-Programmen gehört und sich 36 Staatendaran beteiligen können, ist das ein äu-ßerst zufriedenstellendes Ergebnis. Mitder von der EU-Kommission vorgeschla-genen Erhöhung des Förderbudgets fürdas künftige Programm „CreativeEurope“ könnte dieses Ergebnis sogarnoch gesteigert werden. Sich dafür beiden nationalen Entscheidungsträgern ein-zusetzen, lohnt!

Informationen: http://ec.europa.eu/budget/biblio/do-

cuments/fin_fwk1420/fin_fwk1420_de.cfm

sowie www.ccp-deutschland.de

Sabine Bornemann leitet seit 1998 den Cultural Con-

tact Point Germany (CCP), die nationale Kontaktstelle

für das Kulturförderprogramm der Europäischen Union.

Rechtsträger dieser Beratungsstelle ist seit 2004 die

Kulturpolitische Gesellschaft, der Deutsche Kulturrat

kooperiert. Zuvor war sie tätig in der Alanus Hoch-

schule für Kunst und Gesellschaft (Alfter) und der

Heinrich Böll Stiftung in Köln/Berlin. Heute gilt sie als

Expertin zum Thema „EU-Kulturförderung“, zu dem

sie regelmäßig mit Publikationen, Vorträgen und

Seminaren beiträgt.

musik und politik 51

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Wie werden denn eigentlich die Gesamt-noten in diesem Fach gebildet? WelchenAnteil hat Basketball und welchen die Fä-higkeit, Noten schreiben zu können? Ichempfehle von vornherein das bewährte„teilgenommen“, wie ich es noch ausdem Fach Religion kenne. Das beschleu-nigt dann auch die Arbeit der Lehrer,denn das Zensieren entfällt. KürzereZeugniskonferenzen, kein langes und un-angenehmes Argumentieren mit Schülern(und Eltern) über gerechte und unge-rechte Zensuren. Die Kultusminister soll-ten nicht vergessen, dies bei der Lehrer-arbeitszeit zu berücksichtigen, also einzu-kürzen, denn wer nicht zensieren muss,kann anderswo mehr arbeiten.Es gibt übrigens noch weitere Sanie-rungsbeiträge zu den öffentlichen Haus-halten, fände dieses Modell Anwendung:Mit jeder Generation Schüler, die dieseNicht-Bildung durchlaufen haben, wirdder Anteil an Kulturinteressierten man-gels Kenntnis sinken. Letztlich so weit,dass es keine Begründung mehr für Zu-schüsse zu Opern- und Theaterhäusern,zu Konzert- und Kunsthallen gäbe. Nach-haltiger kann man gar nicht sein.Das Modell „Ästhetische Bildung“ ist na-türlich auch noch erweiterungsfähig,schließlich sind Sprachen dem Bereichder Ästhetik ohne Weiteres zuzuordnen.Nach dem gleichen Modell könnten danndie Fächer Chemie, Physik, Biologie undMathematik zum Bereich „Naturwissen-schaftliche Bildung“ zusammengeführtwerden. Was aus den Fächern Geschichteund Philosophie werden soll, müsstenoch geklärt werden. Der Tendenz fol-gend schlage ich vor: „vernachlässigbareBildung“.

beginnen viele Sportveranstaltungen mitMusik (Nationalhymnen), Kunst zeigtseit der Antike gern sportliche Körper(von Michelangelos David bis NorbertBiskys Beach Boys) und nicht nur Dirigie-ren ist oft eine sportliche Leistung. Espasst also alles irgendwie zusammen.Wer um Himmels Willen ist warum nurauf die Idee gekommen, wertvolle, wich-tige Fächer im Bildungskanon wie Sport,Musik und Kunst zu einem Fach zu ver-schmelzen? Alle drei Fächer werden mitdieser Fusion doch abgewertet. Politischunkorrekt und polemisch ausgedrückthier ein Erklärungsversuch:Aus den Erfahrungen, dass man in derVergangenheit, gelegentlich und der Notgehorchend, die Wiederverwendung vonz. B. durch Unfall nicht mehr einsetzba-ren, in ihrer Jugend Gitarre oder Block-

mach keinsWie kulturelle Bildung nachhaltig zerstört wird Rüdiger Kruse

Rüdiger Kruse ist seit 2009 direkt gewählter CDU-

Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-

Eimsbüttel. Er ist Mitglied im Haushaltsausschuss

des Deutschen Bundestages und dort Berichterstat-

ter für Kultur und Medien. Außerdem ist Rüdiger Kru-

se Mitglied im Parlamentarischen Beirat für nachhal-

tige Entwicklung des Deutschen Bundestags und

stellvertretender Vorsitzender der CDU Hamburg.

flöte spielenden Sportlehrern als Musik-lehrer betrieben hat, wurde nun ein rich-tiges Konzept gemacht, das alle Vorteiledes freien Verschiebens vereint: Sport,Musik und Kunst werden ein Unter-richtsfach. Vorbei sind die Beschwerdenvon Eltern, dass eines dieser Fächer stän-dig ausfällt, weil der Lehrer krank ist,oder aber keine adäquate Besetzung ge-geben ist. In diesem All-in-one-Unter-richtsfach können nun die Schwerpunkteso gesetzt werden, wie eben die Möglich-keiten vorhanden sind. Ist die Sporthallekaputt, gibt’s mehr musische Erziehung.Eignen sich die Sport-, Englisch- oderDeutschlehrer beim besten Willen nichtals Musiklehrer, gibt es mehr Sport –nicht ohne Hinweis an die Kinder, dassein gesunder Geist in einem gesundenKörper residieren will.

Ästhetisch anzusehen, aber wirklich kulturell gebildet?

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52 bildung | forschung

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Universität Augsburg

Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Universität Bayreuth

Freie Universität Berlin

Hochschule der populären Künste (Berlin) Humboldt-Universität zu Berlin

Technische Universität Berlin

Universität Bielefeld

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität (Bonn)

HochschuleBremen

Universität Bremen

Hochschule Lausitz(Cottbus)

Universität Paderborn (Detmold)

Technische UniversitätDortmund

Universität Dortmund

Dresden InternationalUniversity

Technische Universität Dresden

Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (Eichstätt)

Universität Erfurt

Universität Flensburg

Fachhochschule Frankfurt

Goethe-Universität (Frankfurt a.M.)

Europa-Universität Viadrina

(Frankfurt (Oder))

Albert-Ludwigs-Universität (Freiburg i.Br.)

Pädagogische Hochschule Freiburg/Breisgau

Zeppelin University (Friedrichshafen)

Justus-Liebig-Universität (Gießen)

HochschuleZittau/Görlitz

Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg(Halle (Saale))

Universität Hamburg

Pädagogische Hochschule Heidelberg

Ruprecht-Karls-Universität (Heidelberg)SRH Hochschule Heidelberg

Technische UniversitätKaiserslautern

Pädagogische HochschuleKarlsruhe

Universität Kassel

Universität Koblenz-Landau (Koblenz)

Universität zu Köln

Hochschule Heilbronn (Künzelsau)Universität Koblenz-

Landau (Landau)

Universität Leipzig

PädagogischeHochschule Ludwigsburg

Hochschule Magdeburg-Stendal (Magdeburg)

Johannes Gutenberg-Universität (Mainz)

Philipps-Universität Marburg

Ludwig-Maximilians-Universität (München)

Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Nürnberg)

Universität Paderborn

Universität Passau

Fachhochschule Potsdam

Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-

Babelsberg

Universität Potsdam

Hochschule für angewandte Wissenschaften - Fachhochschule Regensburg

Universität Regensburg

Pädagogische Hochschule Ludwigsburg (Reutlingen)

Universität des Saarlandes (Saarbrücken)

Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd

Universität Siegen

Hochschule der Medien (Stuttgart)

Eberhard KarlsUniversität (Tübingen)

Pädagogische Hochschule Weingarten

Universität Witten/Herdecke (Witten)

Bergische Universität Wuppertal

Hochschule für angewandte Wissenschaften - Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt (Würzburg)

Georg-August-Universität(Göttingen)

Universität Hildesheim

Technische UniversitätCarolo Wilhelmina

(Braunschweig)

Hochschule Vechta

Universität OsnabrückFachhochschule Osnabrück

Universität Oldenburg Leuphana Universität

Lüneburg

Christian-Albrechts-Universität (Kiel)

Friedrich SchillerUniversität Jena

Staatsgrenze

Ländergrenze0 50 100 km7525

© Deutscher Musikrat/ Deutsches Musikinformationszentrum

STUDIENGÄNGE

Musikwissenschaft

Lehramt Musik an der allge-mein bildenden Schule bzw.allgemeine Musikpädagogik

Künstlerische und/oder Künst-lerisch-pädagogische Ausbil-dung (Instrumental- und Gesangspädagogik ö. ä.) einschließlich Kirchenmusik (A oder B bzw. Diplom)

Musiktherapie

Sonstige

Hochschulverbund

Universitäten, Pädagogische Hochschulen und FachhochschulenStudiengänge für Musikberufe

Topografie des Musikstudiums

bildung | forschung 53

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Hochschule fürMusik und

Theater Rostock

Institut für Kirchenmusikund Musikwissenschaftder Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Hochschule für MusikFreiburg im Breisgau

Staatliche Hochschulefür Musik Trossingen

Staatliche Hochschule fürMusik und DarstellendeKunst Stuttgart

Hochschule für Musikund Theater München

Hochschule für katholischeKirchenmusik und Musik-pädagogik Regensburg

Hochschule fürMusik Würzburg

Hochschule für Kirchenmusikder Diözese Rottenburg-Stuttgart,

Rottenburg am Neckar

Hochschule fürMusik Karlsruhe

Hochschule für Kirchenmusikder Evangelischen Landes-kirche in Baden, Heidelberg

Hochschule für MusikSaar, Saarbrücken

Hochschule für Kirchenmusikder Evangelischen Landes-kirche in Württemberg,Tübingen

Hochschule für MusikNürnberg

Hochschule für Musikund DarstellendeKunst Mannheim

PopakademieBaden-Württemberg,Mannheim

MusikhochschuleLübeck

Hochschule fürMusik Detmold

Musikhochschule Münsterin der Westfälischen

Wilhelms-Universität

EvangelischeHochschule für

Kirchenmusik Halle

Hochschule für evangelischeKirchenmusik der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern,Bayreuth

Hochschule fürMusik und Tanz Köln,Standort Aachen

Hochschule für Musik und Tanz Köln

WiesbadenerMusikakademie

Peter-Cornelius-Konser-vatorium der Stadt Mainz

Hochschule für Musikder Johannes-Gutenberg-

Universität, Mainz Akademie fürTonkunstDarmstadt

Hochschule fürKünste Bremen

Musikakademie,Kassel

Hochschule für Kirchen-musik der Evangelischen

Kirche von Westfalen,Herford

Hochschule für MusikFranz Liszt Weimar

Hochschulefür Musik, Theater undMedien Hannover

Hochschule fürMusik und Theater„Felix MendelssohnBartholdy” Leipzig

Hochschule fürKirchenmusik derEvangelisch-LutherischenLandeskirche Sachsens,Dresden

Hochschule für MusikCarl Maria von WeberDresden

HamburgerKonservatorium

Hochschule fürMusik und TheaterHamburg

Hochschule fürMusik und Tanz Köln,Standort Wuppertal

RobertSchumann

HochschuleDüsseldorf

Folkwang Universität der Künste, Essen 2

Hochschule für Musikund Darstellende KunstFrankfurt am Main

Universität derKünste Berlin(UdK) 1

Hochschule für MusikHanns Eisler Berlin

Dr. Hoch’sKonservatorium-MusikakademieFrankfurt am Main

Folkwang Hoch-schule, Standort

Duisburg 2

Staatsgrenze

Ländergrenze0 50 100 km7525

1273

500

100

19

1 nur Studierende des Fachbereichs Musik, Studierende insgesamt: 3463

2 Studierende im Standort Duisburg werden nicht separat ausgewiesen und sind im Standort Essen enthalten.

ZAHL DER STUDIERENDEN

Anmerkung: Aufgeführt sind die Mitglieder der Rektorenkonferenz der Musikhoch-schulen, der Arbeitsgemeinschaft deutscher Musikakademien und Konservatorien, der Konferenz der Leiter der kirchlichen und der staatlichen Ausbildungsstätten für Kirchen-musik und der Landeskirchenmusikdirek-toren in der Evangelischen Kirche sowie der Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Ausbildungsstätten für katholische Kirchen-musik in Deutschland, letztere sofern min-destens ein B-Examen bzw. gleich- oder höherwertige Abschlüsse erworben werden können. Ebenfalls berücksichtigt wurden die Universitäten Mainz und Münster, da sie über eigene Musikhochschulabteilungen verfügen, sowie die Popakademie Baden-Württemberg. Datenstand ist jeweils das Wintersemester 2009/10.

ART DER EINRICHTUNG

Musikhochschule

Universität mit Musikhoch-schulabteilung bzw. kirchen-musikalischem Institut

Konservatorium,Fachakademie

Kirchenmusikhochschule

Institution mit mehrerenStandorten

Weitere Informationen zu den Studienangeboten der Ausbildungs-stätten und zur beruflichen Musikausbildung finden Sie aufder Website des MIZ unterwww.miz.org.

© Deutscher Musikrat/ Deutsches Musikinformationszentrum

Musikhochschulen, Konservatorien, Fachakademien und Kirchenmusikhochschulen 2009/2010

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Alles ist Marketing – aber was ist schon ein gutes Marketing ohne Marktforschung,ohne den jeweiligen Absatzmarkt zu kennen? Das gilt für moderne Unternehmenebenso wie für den Kulturbereich. Zur Untersuchung des Publikums existieren vieletheoretische Modelle und Studien und dennoch fehlt es bis jetzt an einer befriedi-genden Besucherforschung in Deutschland.

WER KOMMT – WER GEHT

Probleme und Potenziale der Publikumsforschung in DeutschlandRobin Kuchar und Volker Kirchberg

Kommen und Gehen im Konzerthaus

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entscheidungen, auch bei der Auswahl ei-ner lebensstilgerechten Kultur ausgeht.Demnach sind im Gegensatz zu Bourdieuund Peterson weniger sozialstrukturelleFaktoren oder der Aspekt der Bildung alsvielmehr individuelle Faktoren wie per-sönlicher Geschmack, Interesse etc. fürdie Besuchsentscheidung relevant.Aktuell nehmen kulturpolitische Über -legungen zur demografischen Bevölke-rungsentwicklung und die Annahme,dass sich eine Schere zwischen kulturel-len Angeboten und ihrer Nachfrage öff-net, einen prominenten Platz in der For-schung ein. Bezogen auf das steigendeDurchschnittsalter der Bevölkerung prog-nostiziert eine Reihe von Artikeln auch inDeutschland die Tendenz zur Überalte-rung und eine generelle Abnahme desKulturpublikums.Im Rahmen des allgemeinen demografi-schen Wandels („bunter“) ist auch eineBetrachtung der Immigranten interessant,die bisher weitgehend vom Hochkultur-konsum ausgeschlossen zu sein scheinen.Dabei stellt sich die Frage, ob sich dieserAusschluss mit zunehmender Integrationabschwächt oder ob die soziale Ausgren-zung dieser Gruppen aus der Hochkulturbestehen bleibt.Aktuelle Arbeiten zum Verhältnis von An-gebot und Nachfrage im Kultur-, aberinsbesondere im Musikbereich befassensich mit der Angebotssteigerung durchspektakuläre Neubauten in Städten, wieetwa der Elbphilharmonie in Hamburg,deren Abdeckung auf Nutzerseite empi-risch bislang nicht evident ist.

Empirische StudienBei aller Unterschiedlichkeit der Thesenund der theoretischen Modelle im Be-reich der Publikumsforschung liegt dieGemeinsamkeit der Untersuchungen inder Abhängigkeit von empirischen Daten.Sowohl für die Zwecke des Kulturmana-

geblich nach sozialen Klassenaspektenrichtet. Während hochkulturelle Aktivitä-ten vor allem den sozialen Eliten unddem Bildungsbürgertum vorbehalten sei-en, kämen für sozial schwächer gestellteKlassen wie beispielsweise Arbeiter oderdas absteigende Kleinbürgertum lediglichdie Formen populärer Massenkultur inFrage.Ausgehend von Bourdieus Erkenntnissenund der neuen empirischen Ausrichtungder amerikanischen Kultursoziologie ent-wickelte sich das Forschungsfeld seit An-fang der 1980er-Jahre in unterschiedli-che Richtungen. Insbesondere mit den inden USA kontinuierlich und breit ange-legten empirischen Arbeiten dieser Zeitverstärkte sich der Eindruck, dass es inder zweiten Hälfte des Jahrhunderts zueiner Aufweichung der strikten Trennungvon E- und U-Kultur kommt.Vor allem seit den 1990er-Jahren findensich mehrere, teilweise in Konkurrenzzueinander stehende Theorieansätze, dieden aktuellen theoretischen Rahmen derPublikumsforschung bilden: Der US-amerikanische Soziologe Richard A. Pe-terson beispielsweise formulierte zur Er-klärung der Nutzung (hoch-)kulturellerAngebote seine Omnivoren-These. Siegeht auf Basis empirischer Daten zumMusikgeschmack davon aus, dass vor al-lem jüngere Menschen mit höherer Bil-dung einen immer breiteren kulturellenGeschmack entwickeln. Die Folge ist einestatus-gleichberechtigte Nutzung einerVielzahl von Angeboten aus Hoch- undPopkultur. Das ältere, traditionelle Hoch-kulturpublikum verliere somit zuneh-mend an Bedeutung (zu Bourdieu undPeterson ausführlicher bei Michael ParzerS. 18 in diesem Heft).Einen radikal individualistischen Ansatzvertritt Ulrich Beck, der im Rahmen sei-ner Individualisierungsthese von derFreiheit des Einzelnen bei allen Lebens-

Stirbt das Publikum für klassische Mu-sik tatsächlich aus? Warum interessierensich vor allem jüngere Bevölkerungs-schichten eher für popkulturelle Themen?Wer besucht überhaupt noch altgedienteKulturinstitutionen wie Konzerthaus,Oper, Theater oder Museum?Derartige Informationen sind für die Ein-richtungen im Musik- sowie im gesam-ten Kulturbereich längst zu einem exis-tenziellen Faktor geworden. Auf Grundder Stagnation von Fördergeldern beigleichzeitig steigenden Produktions- undBetriebskosten wird das Wissen um dasPublikum in den letzten beiden Jahrzehn-ten immer bedeutender, um es gezielt indie Häuser zu locken. Aber wirken strate-gische Überlegungen des Kulturmarke-tings auf Basis dieser Informationen auchlangfristig, wenn das Besuchsverhalten alsSpiegelbild ausgeprägter gesellschaftli-cher Wandlungsprozesse verstanden wird?

Gesellschaftliche Bedeutung desKonzert- und Kulturbesuchs Die wissenschaftliche Basis für Untersu-chungen, die den Kulturbesuch und des-sen Ablehnung sowie die dafür zugrundeliegenden Ursachen beinhalten, liegt inder empirischen Kultursoziologie. Siegeht davon aus, dass durch die Teilnahmebestimmter gesellschaftlicher Gruppen anspezifischen Kulturangeboten detaillierteAussagen über die soziale Stellung einzel-ner Kultursparten, deren Nutzer sowieden gesellschaftlichen Zugang zu einzel-nen Kulturgenres getroffen werden kön-nen. Kultur wird dabei als soziales Ab-grenzungs- und Statusmedium verstan-den. Einer der ersten Vertreter dieses For-schungszweiges, der Empirie und Theoriegleichberechtigt versteht, war der franzö-sische Soziologe Pierre Bourdieu. In sei-nem Buch Die feinen Unterschiede von1982 unterstreicht er die These, dass dieNutzung kultureller Angebote sich maß-

– und warum?

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bung, die Einkommens- und Verbrau-cherstichprobe oder die Laufende Wirt-schaftsrechnung des Statistischen Bundes-amtes bilden lediglich Daten für drei bisvier der 17 relevanten Kulturgenres1 ab.Studien von halböffentlichen und priva-ten Institutionen wie dem DeutschenBühnenverein, dem Institut für Muse-umsforschung, dem Musikinformations-zentrum oder der AG Medien erfassenzwar jeweils genrespezifische Besuchs-und Nutzungszahlen, allerdings gebendiese Statistiken weder Informationen zuden Charakteristika der Besucher noch zuMotiven und Einstellungen hinsichtlichihrer Besuchsentscheidung. Eine Vielzahl diesbezüglicher, teilweiseauch im wissenschaftlichen Rahmendurchgeführter Arbeiten, beschränkt sichbislang auf die Ebene lokaler und genre-spezifischer Studien. Im Musikbereichfinden sich exemplarisch einige Untersu-chungsansätze, darunter auf klassischeMusik fokussierte Publikumsanalysen wiedie Betrachtungen des Opernpublikumsvon Karl Heinz Reuband2 sowie Unter -suchungen und Vergleiche des Konzert-publikums über verschiedene Genregren-zen hinweg von Rainer Dollase u. a.3 undHans Neuhoff.4 Sie liefern zwar wichtigeErkenntnisse über die Charakteristika derKonzertbesucher unterschiedlicher Gen-res, doch auch hier wäre es wünschens-wert, die aus lokalen Erhebungen stam-menden Ergebnisse mit auf Bundesebenerepräsentativen Daten zu vergleichen undmit der ganzen Breite institutioneller Kul-turangebote in Bezug zu setzen.Leider sind die bisherigen Studien, wieauch in und zwischen allen anderenSparten, im Hinblick auf Erhebungstech-niken und Ergebnisse untereinander nursehr bedingt vergleichbar. Eine Synthese

dienen sie als Überblick nationaler Publi-kumsentwicklungen. Die Zugänglichkeitder Daten ermöglicht vor allem für dieWissenschaft eine tiefergehende Beschäf-tigung mit auffälligen Phänomenen underlaubt so die Überprüfung theoretischerAnnahmen auf nationaler Ebene. Trotz der hochwertigen Resultate dermeis ten Arbeiten gestaltet sich deren Ver-gleichbarkeit bisher aber alles andere alseinfach: Unterschiedliche Methoden, ver-schiedene institutionelle Unterscheidun-gen (z. B. Museumstypen oder Musikgen-res) und differierende theoretische Aus-gangspositionen machen die Gegenüber-stellung detaillierterer Aspekte in denmeisten Fällen schwierig. Wie das For-schungsprojekt herausstellte, könnte einestärkere Beschäftigung und eine damitverbundene methodische Annäherungmit verwandten Studien allerdings fürVerbesserungen sorgen. Ebenfalls würdesich mit der Einhaltung von Standardswie beispielsweise der Museumsklassifi-zierung des International Council of Mu-seums (ICOM) oder der UNESCO-Richt-linien für Kulturstatistik eine bessere Ver-gleichbarkeit realisieren lassen.

Publikumsforschung in DeutschlandIm Rahmen des Projekts wurde ebenfallsdie Situation der Publikumsforschung inDeutschland näher betrachtet: Im Gegen-satz zu den meisten europäischen undnordamerikanischen Ländern ist die um-fassende Erforschung des Kulturpubli-kums auf Bundesebene bestenfalls als lü-ckenhaft zu bezeichnen. Vielmehr zeigtsich die repräsentative Publikumsfor-schung hierzulande kleinteilig und un-durchsichtig: Bundesweite Statistiken of-fizieller Stellen wie die Zeitbudgeterhe-

gements als auch für die Überprüfungund Weiterentwicklung von Thesen undtheoretischen Modellen in der Kulturso-ziologie sind valide Informationen zumtatsächlichen Nutzungsverhalten, zum in-dividuellen kulturellen Geschmack undzu Einstellungen gegenüber kulturellenGenres und Institutionen entscheidend.Derartige, meist öffentlich finanzierte Er-hebungen mit einer regelmäßigen undrepräsentativen Untersuchung der Ge-samtbevölkerung finden auf internationa-ler Ebene seit den 1970er-Jahren statt. Ineinem aktuellen Forschungsprojekt derLeuphana Universität Lüneburg wurden2010 über fünfzig empirische Publikums-studien aus 16 Ländern evaluiert. Die Er-gebnisse zeigen, dass vor allem in Frank-reich, den USA, Großbritannien und Skan-dinavien sowie seit einiger Zeit auch inden Benelux-Ländern die elaboriertestenempirischen Arbeiten zu diesem Themazu finden sind. In den USA beispielsweise erhebt der Sur-vey of Public Participation in the Arts (SPPA)seit 1982 in Fünf-Jahres-Abständen daslandesweite kulturelle Besuchs- und Nut-zungsverhalten über sämtliche kulturelleSparten vom Museum of Modern Art bishin zu kulturbezogenen Fernsehforma-ten. Ähnlich gestaltet sich die französi-sche Studienreihe Les pratiques culturellesdes Francais, in der seit 1973 die kulturelleTeilhabe der französischen Bevölkerungdezidiert erfasst wird. Die Stärke dieserStudien liegt in einer detaillierten undtheoretisch fundierten Aufarbeitung derErgebnisse, die neben aktuellen Statistikenauch Rückschlüsse auf Tendenzen undVeränderungen der Kulturnutzung in denjeweiligen Ländern beinhaltet. Sowohl imBereich des Kulturmanagements als auchin der Politik und in der Wissenschaft

links: Eine Bundesweite Erhebung des Kulturpubli-kums gibt es bislang nicht

rechts: demografische Veränderungen erfordern Erkenntnisse über das kulturelle

Verhalten der deutschen Bevölkerung

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nen gesellschaftlichen Rollen des Einzel-nen noch nicht in die Forschung einbe-zogen wurden. Voraussetzung hierfür istjedoch die Erstellung repräsentativer sta-tistischer Daten auf Basis der angespro-chenen theoretischen Ansätze, die es zumindest im Falle von Deutschlandschnellstmöglich herzustellen gilt.

1 Die 17 Bereiche der Kulturnutzung setzen sich zu-

sammen aus institutionellen Kulturangeboten wie

Theatern, Museen, Konzerten, Bibliotheken sowie

historischen Stätten, Kinos und Galerien, außerdem

medial vermittelten kulturellen Inhalten via Radio,

Fernsehen und Neue Medien, dem generellen Frei-

zeitverhalten und selbst ausgeübten kulturellen Prak-

tiken wie Lesen, Musizieren, Tanz etc.

2 vgl. Karl Heinz Reuband: „Sterben die Opernbesu-

cher aus? Eine Untersuchung zur sozialen Zusam-

mensetzung des Opernpublikums im Zeitvergleich“,

in: Armin Klein, Thomas Knubben (Hg.): Deutsches

Jahrbuch für Kulturmanagement 2003/2004, Baden-

Baden 2005, S. 123-138.

3 Reiner Dollase, Michael Rüsenberg, Hans J. Stol-

lenwerk: Demoskopie im Konzertsaal, Mainz 1986.

4 Hans Neuhoff: „Konzertpublika. Sozialstruktur, Men-

talitäten, Geschmacksprofile.“ Online abrufbar unter

www.miz.org/static_de/themenportale/ einfuehrungs-

texte_pdf/03_KonzerteMusiktheater/neuhoff.pdf

GründeDie Hauptgründe für diese Situation lie-gen vor allem in der (kultur-)politischenStruktur der Bundesrepublik. Das födera-listische System, verbunden mit der Kul-turhoheit der Länder, ließ eine einheitli-che öffentliche Kulturstatistik auf Bun-desebene bislang nicht zu. Zudem be-durften die Hauptziele der Neuen Kultur-politik, die gesellschaftliche Emanzipa -tion und die Demokratisierung durchKultur, lange Zeit keinerlei Rechtferti-gung. Untersuchungen, die das Erreichendieser Ziele hinterfragen, wurden seitensder Politik, vielleicht auch aus Angst vornegativen Ergebnissen, schlichtweg alsnicht notwendig erachtet. Mittlerweile al-lerdings haben sich die Voraussetzungennicht nur hinsichtlich der eingangs er-wähnten ökonomischen Zwänge der öf-fentlichen Haushalte und damit auch derkulturellen Einrichtungen verändert. Derdurch Internet, Web 2.0 und andere In-novationen immer größere Wettbewerbauf dem Freizeitmarkt, die fortschreiten-de Aufweichung der Grenzen zwischenHoch- und Popkultur und nicht zuletztdie zukünftigen demografischen Verände-rungen in der Gesellschaft erfordern ver-tiefte Erkenntnisse über das kulturelleVerhalten der deutschen Bevölkerung.

FazitSo dramatisch es klingt: Die aktuelle Si-tuation macht Deutschland hinsichtlicheiner umfassenden Publikumsforschungzu einem „weißen Fleck“. Forschungslü-cken auf breiter Ebene, die es in Zukunftzu schließen gilt, betreffen neben demMangel einer repräsentativen empiri-schen Datenbasis in besonderem Maßedie Analyse von Nichtbesuchern, also denMitgliedern der Gesellschaft, die kulturel-le Angebote nicht wahrnehmen, nichtannehmen können oder sogar aktiv ab-lehnen. Eine simple Kontrastierung zuden typischen Eigenschaften von Besu-chern ist hier in jedem Falle zu reduktio-nistisch, zumal individuelle Aspekte wiesoziale Restriktionen und die verschiede-

der Ergebnisse lokaler Studien mit demZiel eines bundesweiten Überblicks istdaher nicht möglich.Zu dieser Tatsache gesellt sich ebenso ei-ne unklare Situation hinsichtlich verfüg-barer Daten: Aufgrund der meist im halb-öffentlichen oder privaten Rahmendurchgeführten Forschungsaktivitäten istdavon auszugehen, dass erhobene Datenoft unter Verschluss bleiben und nicht fürweitere Auswertungen zur Verfügung ste-hen. Ein prominentes Beispiel hierfür istdas Kulturbarometer, eine regelmäßigeUntersuchung des Zentrums für Kultur-forschung. Es nimmt für sich zwar in An-spruch, das kulturelle Verhalten der deut-schen Bevölkerung repräsentativ zu un-tersuchen, das Datenmaterial wird abernur als Tabellenband mit kurzer Zusam-menfassung veröffentlicht und ist deshalbfür eine weitergehende wissenschaftlicheAnalyse außerhalb des Zentrums nichtgeeignet.So ist es nicht verwunderlich, dass so-wohl unser universitäres Forschungspro-jekt wie auch die vom Bundestag einge-setzte Enquetekommission „Kultur inDeutschland“ und die einschlägige Über-blicksliteratur zur Besucherforschung inDeutschland zu identischen Ergebnissengelangen: Auch wenn sich eine Vielzahlgenrespezifischer und lokaler Ansätze fin-den lässt, ist die Gesamtsituation der re-präsentativen Bevölkerungsforschung zumKulturbesuch in Deutschland unbefriedi-gend. Insbesondere durch den Mangel ei-ner auf nationaler Ebene repräsentativenStudie ist die dezidierte Untersuchungdes kulturellen Verhaltens der Bundesbür-ger – zum Beispiel auch zu den Gründendes Nichtbesuchs – auf wissenschaftli-cher und politischer Ebene bisher kaummöglich.

Volker Kirchberg, Diplom-Soziologe, ist seit Oktober

2004 Universitäts-Professor für Kulturvermittlung und

Kulturorganisation in den Kulturwissenschaften der

Leuphana Universität Lüneburg. Bis 2004 war er mit

Forschungs- und Lehrtätigkeiten in den USA betraut

und habilitierte 2003 an der Freien Universität Berlin.

Schwerpunkte: Besucherforschung für Museen und

Stadtforschung im Schnittbereich von Kultur und

Stadtentwicklung.

Robin Kuchar studierte Kulturwissenschaften mit

den Schwerpunkten Musik und Kulturvermittlung/

Kulturorganisation und ist seit 2009 als Wissen-

schaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der

Leuphana Universität Lüneburg tätig. Er promoviert

am dortigen Institut für Kulturtheorie, Kulturforschung

und Künste zum Thema „Bedingungen musikalischer

Produktion im urbanen Raum“. Daneben arbeitete er

im Forschungsprojekt „A Survey of Surveys“ zu inter-

nationalen Studien und Theorien zum Kulturbesuch

und befasst sich mit den Wechselwirkungen von Glo-

balisierungsprozessen und der Produktion populärer

Musik.

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land anzusiedeln. Nicht wenige Mitglieds-staaten haben diese Praxis als nicht unbe-dingt fair empfunden. Dass Irland sichdabei übernommen hat und jetzt auf eu-ropäische Solidarität unter dem Euro-Ret-tungsschirm angewiesen ist, steht auf ei-nem anderen Blatt.Beleg für die wenig harmonischen Steu-erverhältnisse in Europa liefern auch diejüngsten Vereinbarungen zwischen Frank-reich und Deutschland zur Angleichungder Einkommens- und Unternehmens-steuern in den beiden Ländern sowie da-rüber hinaus in der gesamten Euro-Zone.Auch im Bereich der Mehrwertsteuer fin-den wir einen europäischen Flickentep-pich vor. Bekanntlich handelt es sich beider so genannten Mehrwertsteuer um ei-ne Umsatzsteuer, die vom Endabnehmervon Waren und Dienstleitungen zu ent-richten ist. Dabei zeigt sich europaweitein nahezu unüberschaubares Bild vonverschiedenen Steuersätzen, Mehrwert-steuer-Arten und Anknüpfungs-Tatbestän-den.Schon bei der „normalen“ Mehrwert-steuer zeigt sich eine signifikante Sprei-zung: ihr Satz liegt zwischen 15 Prozent(Luxemburg, Zypern) und 25 Prozent(Ungarn, Schweden, Dänemark).Deutschland liegt mit 19 Prozent zusam-men mit den Niederlanden auf Platz 22.In mehr als zwanzig Mitgliedsstaaten gel-ten also höhere Mehrwertsteuer-Sätze alsin Deutschland. Das ist insofern bereits

für sich gesehen bedeutsam, weil schondaraus Erhöhungspotenziale im Interesseeiner europäischen Harmonisierung poli-tisch ohne Weiteres abgeleitet werdenkönnen. So ist es bei den Mehrwertsteu-er-Erhöhungen in Deutschland in der Ver-gangenheit ja auch bereits praktiziertworden.Noch bunter aber wird das Bild, wennman einen Blick auf die Sondertatbestän-de wirft. Es gibt kein europäisches Land,das nur einen Mehrwertsteuer-Satz kennt.Im Gegenteil: Insgesamt lassen sich nichtweniger als fünf verschiedene Steuersätzeunterscheiden. „Normal“, ermäßigt, starkermäßigt, abweichende Steuersätze fürDienstleistungen sowie in einigen Län-dern darüber hinaus ein abweichenderSatz für die so genannte „Zwischensteu-er“. Als weitere Variante kommt die inzahlreichen Ländern angewandte MWSt-Befreiung noch hinzu, wie wir sie inDeutschland – in definierten Grenzen –für den Sektor gemeinnütziger Institutio-nen und Aktivitäten kennen.In Deutschland gibt es nur zwei Arten er-hobener Mehrwertsteuer: den Normalsatzvon 19 Prozent und den ermäßigten Satzvon 7 Prozent. Dabei ist der ermäßigteSatz ursprünglich als hälftiger Satz vomNormalsatz definiert gewesen (z. B. 5,5Prozent bei 11 Prozent und 7 Prozent bei14 Prozent), seit der Mehrwertsteuer -erhöhung 1993 (von 14 Prozent auf 16Prozent) jedoch nicht mehr erhöht, son-

Eines der Hauptanliegen der Europäi-schen Kommission ist es seit jeher, dierechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen in so gut wie fast allen Le-bensbereichen europaweit so rasch undso tiefgreifend wie möglich zu verein-heitlichen. Dabei steht der Wunsch nachHarmonisierung häufig stärker im Vor-dergrund als die bedeutende Frage, ob essich um einen Rechts- oder Lebensbereichhandelt, für den die Europäische Unionnach den EU-Verträgen zuständig ist.Nach dem so genannten Grundsatz derbegrenzten Einzelermächtigung darf dieEU autonom nur in den Grenzen der Be-fugnisse tätig werden, die die Mitglieds-staaten ihr ausdrücklich übertragen ha-ben. Das ist bei Steuern nicht der Fall. ImGegenteil. Es gibt in den EU-Mitglieds-staaten sehr unterschiedliche Steuersyste-me. Bedeutsame Steuerarten wie z. B. dieEinkommenssteuer oder die Unterneh-menssteuern werden in den verschiede-nen Ländern nach sehr unterschiedlichenSätzen erhoben. Faktisch findet also zwi-schen den EU-Staaten ein Steuer-Wettbe-werb statt, den sich die europäischenSteuerbürger zumindest partiell zunutzemachen können.Dies geschieht auch, wie das Beispiel Ir-land zeigt. Irland bietet seit etlichen Jah-ren besonders günstige Unternehmens-steuern und hat damit zahlreiche euro-päische Unternehmen angelockt, wesent-liche Teile ihrer Steuerpflichtigkeit in Ir-

In Europa existieren zahllose unterschiedliche Mehrwertsteuersätze und -arten. Nun willdie EU-Kommission den Mehrwertsteuersatz vereinheitlichen. Druckerzeugnisse wie Noten, die bisher unter einen ermäßigten Steuersatz fallen, könnten nun teurer werden.

Höhere MehrwertsteuerFÜR NOTEN?Brüssel will „harmonisieren“: die Pläne der EU-Kommission zur Zukunftder Mehrwertsteuer Hans-Willi Hefekäuser

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chende Privilegierungen gerettet werdenkönnten, erscheinen also höhere Steuer-sätze durchaus nicht unwahrscheinlich.Deshalb hat der Deutsche Kulturrat EndeMai 2011 eine in seinem FachausschussSteuern vorbereitete Stellungnahme zumGrünbuch der EU abgegeben. Darin plä-diert er dafür, dass „im Mehrwertsteuer-system den EU-Mitgliedsstaaten im Be-reich der Kultur soweit als möglich einGestaltungsspielraum verbleiben sollte“.Diese Auffassung werde „durch das vonden EU-Mitgliedsstaaten sowie der EUselbst ratifizierte UNESCO-Übereinkom-men über den Schutz und die Förderungder Vielfalt kultureller Ausdrucksformenzusätzlich unterstützt“, zumal in dessenArt. 1h „das souveräne Recht der Staatenbekräftigt [wird], Maßnahmen beizube-halten bzw. zu ergreifen, die sie für denSchutz und die Förderung der Vielfaltkultureller Ausdrucksformen in ihremHoheitsgebiet für angemessen erachten“.Der Deutsche Kulturrat sieht sich deshalb„darin bestärkt, dass die Gestaltung unddie Verwaltung des Mehrwertsteuersys-tems vor allem in der Hand der National-staaten bleiben sollen“.Damit ist die Position des Kulturbereichszu den Plänen der EU-Kommission klardefiniert. Jetzt wird es darauf ankommen,für diese Position europaweit Verbündetezu finden, vor allem aber die Bundesre-gierung dafür zu gewinnen, dass sie ei-ner Verschlechterung der Rahmenbedin-gungen für die Kultur in Deutschlanddurch eine nachteilige Harmonisierungdes Mehrwertsteuer-Systems in Europaihre Zustimmung verweigert.

* vgl. Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer.

Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizien-

teren MWSt-System, vom 1. Dezember 2010,

KOM(2010) 695 endg. (http://ec.europa.eu/taxation_

customs/resources/documents/common/consultati-

ons/tax/future_vat/com(2010)695_de.pdf)

ohne Ausnahmen bringt zwangsläufigmehr Geld in die Kasse.Nun hat die Europäische Kommission dasThema auf die Tagesordnung gesetzt.Nachdem ihr dazu keine unmittelbareZuständigkeit gegeben ist, stellt sich zu-nächst die Frage nach der Befugnis derKommission, sich mit dem Thema über-haupt befassen zu dürfen. Allerdings darfdie Kommission im Rahmen des so ge-nannten Subsidiaritätsprinzips auch inden Bereichen tätig werden, die nicht inihre ausschließliche Zuständigkeit fallen,sofern und soweit die verfolgten Ziele aufEU-Ebene besser verwirklicht werdenkönnen als auf der Ebene der einzelnenMitgliedsstaaten.

Deutschland könnten höhere Steuersätze drohen

Dabei hat sich die Kommission auch imFalle der MWSt eines Mittels bedient, dasin derartigen Fällen häufig angewandtwird. Sie hat ein so genanntes Grünbuchverfasst, in dem sie die Problematik auf-listet und Lösungsvorschläge unterbrei-tet.* Darin stellt sie die These auf, dass dieRealisierung des einheitlichen Binnen-markts, die zwingender Bestandteil derEU-Verträge ist, eine EU-weite Harmoni-sierung der Mehrwertsteuer geradezu er-fordert, zumal eine einheitliche Mehr-wertsteuer in Europa den damit verbun-denen Verwaltungsaufwand und damitdie entsprechenden Kosten für Unterneh-men und Verbraucher vermindern würde.Möglicherweise könne sogar ein günsti-gerer Normalsatz herausspringen (heuti-ger EU-Mittelwert – numerisch –: 20,3Prozent).Die mit der Verwirklichung dieses Vorha-bens verbundenen Risiken liegen auf derHand. Zum einen könnte Deutschlandein höherer Mehrwertsteuer-Satz drohen.Zum anderen geriete der in Deutschlandgeltende ermäßigte Steuersatz (heutigerEU-Mittelwert – numerisch –: 9,1 Pro-zent) erneut in die Diskussion, und zwardiesmal europaweit. Selbst wenn entspre-

dern auf dem damals geltenden Satz von7 Prozent belassen worden. Die zahllosenUngereimtheiten und Kuriositäten derAnwendung des jeweils einen oder ande-ren Steuersatzes sind immer wieder Ge-genstand belustigter bis empörter Be-richterstattung in den Medien und bildennicht selten Anlass für kabarettreife Gags.Jüngstes Beispiel ist die Currywurst vomSchnellimbiss: Sie kostet zum Mitneh-men 7 Prozent Mehrwertsteuer, am Tischsitzend verzehrt 19 Prozent, an Ort undStelle, aber im Stehen verzehrt 7 Prozent.Verkaufskräfte sind also gut beraten, derallseits bekannten Frage „Zum Mitneh-men oder zum Hier-Essen?“ eine weitereDifferenzierung hinzuzufügen: „Essen Sieim Stehen oder im Sitzen?“ Weiteres be-kanntes Beispiel: Buch gedruckt 7 Pro-zent, dasselbe Buch online 19 Prozent.Ein weiterer erstaunlicher Sachverhalt istübrigens der, dass wir in Deutschland so-gar Steuern auf Steuern zahlen. Und zwarbeim Kraftstoff für Kraftfahrzeuge. Hierwird Mehrwertsteuer auf den Betrag er-hoben, der die Mineralölsteuer bereitsbeinhaltet. Mithin versteuern wir nichtnur die gekaufte Ware, sondern auch dieMineralölsteuer. Kurios und systemwid-rig, aber wahr.Was all dieses mit uns und der Kultur zutun hat, liegt auf der Hand: Druckerzeug-nisse unterliegen in Deutschland dem er-mäßigten Steuersatz von 7 Prozent. Dazugehören auch Noten. In der Vergangen-heit ist auch in Deutschland immer wie-der über den Wegfall des ermäßigtenSteuersatzes diskutiert worden. Anknüp-fungspunkt insoweit waren regelmäßigdie bereits erwähnten Ungereimtheitenbei der Anwendung der verschiedenenSätze. Dahinter stehen allerdings fraglosauch fiskalische Aspekte. Ein einheitlicherSteuersatz von 19 Prozent (oder mehr)

Hans-Willi Hefekäuser ist Jurist und war in leitenden

Funktionen im Öffentlichen Dienst und in der Wirt-

schaft tätig. Er ist seit 2009 Vizepräsident des Deut-

schen Musikrats und arbeitet im Fachausschuss

Steuern des Deutschen Kulturrats mit.

Mehrwertsteuer bei Noten – das Mehrwertsteuersystem sollte in der Hand der Nationalstaaten bleiben

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Liebste Fenchel!

Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn in Etüden und IntermezziPeter HärtlingKiepenheuer & Witsch, Köln2011, 376 S., 19,99 Euro

Wer sich bereits mit Fanny Hen-sel, ihrem Leben, Werk und Wir-ken beschäftigt hat und zu die-sem Zweck Bücher z. B. vonFrançoise Tillard, Ute Büchter-Römer, Beatrix Borchard oderMonika Schwarz-Danuser ge -lesen hat, benötigt den Band vonPeter Härtling nicht.Es soll hier ein kleiner Ausschnittwiedergegeben werden, als Kost-probe des Stils des Romanciers.Dieser Abschnitt gab dem Buchauch den Titel: „Wenn ihn [Fe-lix] das Bauchweh plagt, brühtMutter Fencheltee auf. Den mussFanny ihrem Bruder servieren:Hier kommt dein Fencheltee. Sie saugen beide den duftendenDampf durch die Nase: Fenchel!Einmal brachte Felix, wie oft, al-les durcheinander: Da bringst dumir ja meinen Tee, Fenchel. Fen-chel, das hört sich an wie Fanny,die duftet. Fenchelfanny. Fanny-fenchel.“Peter Härtling hat sich auf FannyHensel eingelassen, er hat ihreMusik, ihre Briefe, ihr Umfeld,ihren Zeitgeist und ihre Mitmen-schen, ihren Bruder, ihre ande-ren Geschwister, ihren Ehemannund was von ihnen überliefertist auf sich wirken lassen undsich eigene Bilder dazu ausge-dacht. Er lässt den Leser immerwieder teilhaben, wie es ihm alsAutor und Kenner ihres ganzenLebens beim Niederschreiben

schungen zu französischenKomponisten. Christoph vonBlumröder referiert hier zumStreit zwischen Vertretern derMusique concrète, in erster LiniePierre Schaeffer, und seinen Wi-dersachern in Donaueschingen;Jens Rosteck kommentiert dieBegegnungen zwischen demamerikanischen KomponistenNed Rorem mit Poulenc. Bei aller Sorgfalt, die dem Bandmit seinen vielfältigen, danebenauch sehr einfallsreichen The-men zu attestieren ist, so fälltdoch auch eine gewisse Trägheithinsichtlich des musikalischenDenkens auf, das die Beiträgekaum spezifisch thematisieren.Dabei gäbe es an verschiedens-ten Stellen Anlass genug, Musikund Theorie transparent zu dis-kutieren. Lukas Haselböck etwastellt „amerikanische und euro-päische Musiktheorie“ im Kapi-tel „Wissenschaftstraditionen“gegenüber. Den alten Streit zwi-schen Hermeneutik und Struk-turanalyse hält der Autor weiter-hin für gültig und aktuell. Dabeikommen neuere theoretischeAnsätze des Poststrukturalismuswie Dekonstruktion oder GenderStudies, die gerade durch dieamerikanische Musikwissen-schaft in Gestalt etwa Susan McClarys durchaus prominent ver-treten sind, gar nicht zur Spra-che. So wirkt der Band trotz sei-ner Themenvielfalt denkwürdigeingegrenzt in seiner methodo-logischen Perspektive – einemgepflegten Vorstadtgarten nichtunähnlich. Einzig durch die Be-handlung zeitgenössischer Kom-ponisten wie Wolfgang Rihm(durch Andreas Zurbriggen) undLachenmann (durch MatthiasSchmidt) vermag der Band diebestehende Gegenwart einzuho-len. Steffen A. Schmidt

ergangen ist. Dieser gelegent -liche Perspektivwechsel lockertdie teilweise konkreten bis mi-nutiösen Schilderungen vonFanny Hensels Alltag angenehmauf.In lockerer Form sind 48 Etüdenund Intermezzi (Letztere teilwei-se nur zwei bis drei Seiten lang)aneinandergereiht. Sie folgeneinzelnen Stationen und Schwer-punkten in ihrem Leben und tra-gen damit zur leichten Lesbar-keit des Bandes bei. Im „Inter-mezzo mit Hochwasser“ zumBeispiel wird anschaulich deut-lich, wie beschwerlich das Rei-sen zur damaligen Zeit war: DieDetails sind selbstverständlichausgedacht, die beschriebeneStimmung vom Autor erfühlt –wahr ist dennoch alles. Und dasist Härtlings Stärke: Er schafft eseinmal wieder, aus einem bereitsbekannten Stoff lesenswerte Lite-ratur zu formen.Wer also die eingangs genanntenAutorinnen noch nicht kenntund gerne auf anschauliche, lite-rarisch ansprechende, abwechs-lungsreiche Art die berühmteMusikerin und Komponistinkennen lernen will, kann durch-aus zu Peter Härtlings neuemBuch greifen. Es fügt sich wun-derbar in die Reihe seiner poeti-schen Rekonstruktionen vonKünstlerbiografien der Romantikwie der von Schubert, Schu-mann, Hölderlin oder E. T. A.Hoffmann ein.

Viola Karl

Dialoge und Resonanzen

Musikgeschichte zwischen den KulturenIvana Rentsch/Walter Kläy/Arne Stollberg (Hg.)edition text + kritik, München2011, 366 S., 32,– Euro

Der vorliegende Band wurde an-lässlich des 80. Geburtstags vonTheo Hirsbrunner herausgege-ben. Hirsbrunner hat mit seinenzahlreichen Komponisten-Bio-grafien Wissens lücken geschlos-sen. So ist der Titel programm-atisch zu verstehen im Hinblickauf das Schaffen Hirsbrunners,der hier zum „Resonanzraum“für die vor lie gen den Aufsätze ge-worden ist.Sehr übersichtlich und thema-tisch weit gefächert ist der Banduntergliedert in Bereiche wie„Literatur und Kunst in der Mu-sik“ oder „Gattungstraditionen“.Dabei wurde wohl sehr sorgsamvon den Herausgebern beachtet,dass auch möglichst viele Fasset-ten vertreten sein mögen. VonThemen der Weltliteratur wieHans-Joachim Hinrichsens Bei-trag zu „Tolstoi und die Musik“,die er an Tolstois „Kreutzersona-te“ exemplifiziert, oder im Ab-schnitt „Nationen und Kulturen“ein Stück interkultureller Ge-schichte des 19. Jahrhundertszwischen China und Europa ander Figur Joseph-Marie Amiotsim Beitrag von Kii-Ming Lo undLi-Xing Hong aufscheint, bis hinzum „musikalischen Transfer“von neuer Musik und Popmusik(Simone Hohmaier). Besondersbezeichnend und wohl als spe-zielle Reverenz an Hirsbrunnergemeint ist das Kapitel „Paris“,eine Hommage an dessen For-

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Er wolle die Bühnenwerke CarlOrffs in eine „bessere theatrali-sche Zukunft hinein“ bringen,so äußert sich Hellmuth Matia-sek, von 1998 bis 2008 künstle-rischer Leiter der Festspiele„Orff in Andechs“, im Rahmeneiner kurzen DVD-Dokumentati-on. Ob das mit den hier aufge-zeichneten Festspielproduktio-nen von Die Bernauerin (1947)und Astutuli (1953) aus demKreis von Orffs „BairischemWelttheater“ tatsächlich gelun-gen ist, bleibt allerdings fraglich:

Behandlung der Stimmen ein-fügt und die manchmal extre-men Anstrengungen der Sängerunterstützt. Die Intensität derUmsetzung ist frappierend, wasfür die Darsteller von Oedipus(Norbert Schmittberg) und Io-kasta (Yamina Maamar) ebensogilt wie für Antigonae (KatrinGerstenberger), Kreon (AndreasDaum), den in beiden Opernauftretenden Tiresias (Mark Ad-ler) oder andere Mitwirkende.Beeindruckend ist aber vor allemdie intensive, prägnante Chor -deklamation: Erst sie verleihtden Stücken jenen archaischen,stellenweise fast schon brutalenCharakter, der immer wiedervon den pulsierenden, musika-lisch differenziert gestalteten En-sembleblöcken – meist lediglichaus Klavier- und Perkussions-klängen bestehend und nur sel-ten durch Bläserfarben angerei-chert – durchschnitten wird. Beialler Kargheit der Musik fesseltdieser Zugang über die gesamteDauer der Werke und lässt imGegensatz zu den Produktionenaus Andechs ahnen, welches Po-tenzial die Bühnenwerke Orffstatsächlich entfalten können.Dass dies zudem durch gehalt-volle Bookletbeiträge abgerundetwird, macht die beiden DVDs zueiner sehr erfreulichen Angele-genheit.

Stefan Drees

Zwar haben Matiaseks Inszenie-rungen im relativ eng begrenz-ten, aber dafür um so atmosphä-rischeren Bühnenraum des An-dechser Florian-Stadls gewisseReize; dass der Regisseur aberein „sehr gestisches Theater“ lie-be und dies auch an Orffs Wer-ken herauszuarbeiten gedenke,bleibt einem doch größtenteilsverborgen: Allzu starr gerät diePersonenführung manchmal,wie beispielsweise die behäbigeund zähe Umsetzung der Dis-kussion zwischen den MünchnerBürgern im ersten Teil der Ber-nauerin zeigt. Manchmal freilichgelingen auch poetische odergar intime Momente, so etwa inder Liebesszene zwischen Agnesund Albrecht, die ganz vom Spielder beiden Hauptdarsteller JuliaUrban und Christoph Gehr ge-tragen wird. Anderes dagegenbleibt unentschlossen und auchmusikalisch schwach, so ausge-rechnet der fulminante, perkus-sionsbegleitete Hexenchor imzweiten Teil, der sowohl in denSprechstimmen wie in den In-strumenten überhastet undklanglich unbefriedigend wirkt.Ein großes Problem ist zudemdie Junge Münchner Philharmo-nie, die unter Leitung von MarkMast zwar anfangs ausgespro-chen engagiert musiziert, imLaufe der Vorstellung jedoch im-mer unpräsiziser wird, wodurchdas Ende aufgrund der großenintonatorischen Schwankungenfast aus den Fugen gerät. Von ihrer Wirkung her noch fa-taler ist Matiaseks Regie in Astu-tuli: Hier, wo bis auf denSchlussreigen die Musik nurmehr auf elementarste perkussive

Klänge und Sprech stimmen re-duziert ist, bleibt der Chor auf-grund seiner kindlichen und be-mühten Bewegungen schwachund sticht nur gelegentlich in je-nen Augenblicken hervor, wo ersich sprachlich schärfer artiku-liert und das gesamte Agierenaus diesem Duktus hervor-wächst. Allein Michael Schanzein der Rolle des Gagler weiß sichdem meist steifen Spiel mitgroßartiger Präsenz zu widerset-zen und verleiht seiner Figur da-bei lustvoll einen mephistopheli-schen Tonfall. Beide Veröffent-lichtungen leiden schließ lich auchunter ihren schwachen Booklets,die – gerade weil man sich inAndechs als Verwalter von OrffsErbe versteht – einfach mehr alseine bloße Inhaltsangabe hättenenthalten dürfen.Dass man Orffs manchmal rechtsperrige Werke auch extremspannend umsetzen kann, ver-deutlichen die am StaatstheaterDarmstadt unter der musikali-schen Leitung von Stefan Blunieraufgezeichneten Produktionenvon Oedipus der Tyrann (1959)und Antigonae (1949), denen esgelingt, die beiden Kompositio-nen zu faszinierenden Musik-theatererlebnissen zu formen.John Dew inszeniert die Werkeals aufeinander bezogene Gegen-stücke im zwar räumlich gleichgestalteten, mit Farben und raffi-niert eingesetzter Beleuchtungjedoch jeweils völlig anders akzentuierten Bühnenambiente.Dabei leitet er aus der Hölder-lin’schen Sophokles-Übersetzungeine durchdachte Personendra-maturgie ab, die sich zugleichnahtlos in Orffs deklamatorische

4/11

Antigonae

Carl OrffStaatsorchester Darmstadt,Stefan BlunierRegie: John DewmusicAvision/Wergo, MV 8555

Oedipus der Tyrann

Carl OrffStaatsorchester Darmstadt,Stefan BlunierRegie: John DewmusicAvision/Wergo, MV 8545

Astutuli

Carl OrffJunge Münchner Philharmonie,Mark MastRegie: Hellmuth MatiasekmusicAvision/Wergo, MV 8525

Die Bernauerin

Carl OrffJunge Münchner Philharmonie,Mark MastRegie: Hellmuth MatiasekmusicAvision/Wergo, MV 8535

Hermann Wolfgang vonWaltershausen

Oberst ChabertBo Skovhus, Raymond Very,Manuela Uhl, Simon Pauly, Orchester der Deutschen OperBerlin, Ltg. Jacques Lacombecpo 777 619-2, 2 CDs

Opernraritäten sind in Mode.Aber längst nicht alle Ausgrabun-gen lohnen. Die Reanimationder Oper Oberst Chabert von Her-mann Wolfgang von Waltershau-sen (1882-1954), die die Deut-sche Oper Berlin im März 2010herausbrachte, ist eine Sensation.Obwohl seine fünfte und letzteOper immer noch ihrer Urauf-führung harrt, hat die DeutscheOper Berlin Waltershausens eins-tiges Erfolgsstück ans Licht gezo-gen: die Musiktragödie in dreiAufzügen frei nach Honoré deBalzacs Oberst Chabert. Ein Live-mitschnitt erschien nun auf CD,begleitet von einem sehr infor-mativen Booklet, in dem AndreasK.W. Meyer daran erinnert, dassdas Werk 1912 uraufgeführtwurde und bis 1933 bereitshundert Neuinszenierungen er-lebte. Diese Oper war ein inter-nationales Erfolgsstück.Die Handlung ist packend: Einim Krieg für tot erklärter Oberstkehrt nach vielen Jahren uner-wartet nach Hause zurück. SeineFrau ist inzwischen neu verhei-ratet. Es kommt zum vorherseh-baren Konflikt der drei Protago-nisten. „Es ist Gesetz vom aller-höchsten Gott, dass Tote nichtmehr wiederkehren sollen.“Chabert nimmt sich das Leben.Seine einstige Ehefrau erkennt zuspät ihre wahren Gefühle für ihnund folgt ihm in den Freitod.Ein Sujet für große, gefühlvolleMusik. Waltershausen setzt aller-dings nicht etwa aufs Experimen -

und transparent gerade auch inden komplexen, vielschichtigenPartien dieser magisch-traum-verlorenen Partitur, besticht Ja-nowski durch sensibles Gespürfür das kammermusikalisch prä-zis ausgeleuchtete Detail, das in-time, hellhörige Musizieren. Hingegen gelingt ihm ein Aufla-den der Partitur mit Theatralik,Verve und Fantastik, wo es gebo-tener erscheint als hier, nichtimmer so unbedingt und über-zeugend wie gegen Ende der 3.Sinfonie. Zu gebändigt und kon-trolliert wirken die Kontraste,Steigerungen und Ausbrücheinsbesondere in den Ecksätzender 5. Sinfonie. Bei seinem Vor-gänger Henze aber avanciertengerade die Einbrüche, Auf-schwünge und theatralischenEruptionen zu den erogenen Zo-nen einer im Detail zwar etwasunpräziseren, im Ganzen jedochvehementeren und emphatische-ren, in den Einzelstimmen nochausdrucksstärkeren Interpreta -tion. Wer die Sinfonien 3-5 alsAufbruchs- und Befreiungsmu-sik hören und verstehen will, alsZeugnis einer aufbegehrendenSinnlichkeit und ganz eigen -willigen Emanzipation vonDeutschland, Strenge und Tradi-tion, der wird auch künftig aufHenzes eigene Einspielungenseines Frühwerks nicht verzich-ten können.Das Klangbild ist an Präsenz undBrillanz jener Einspielung Hen-zes zumindest nicht überlegen,der Einführungstext von ThomasSchulz solide verfasst. Zur Vertie-fung des Studiums wäre eineUnterteilung der 4. Sinfonie ineinzelne Tracks hilfreich gewe-sen.

Rafael Rennicke

tell-Neutönende, sondern hält so -wohl an üppiger Spätromantikund weitgehend unangetasteterTonalität fest als auch an klassi-schen Formen. Er zeichnet kraft-volle und differenzierte Charak-tere, die den Solisten viel Gele-genheit zu gesanglicher wie dar-stellerischer Profilierung geben.Die drei Hauptpartien sind mitüberzeugenden Sängerpersön-lichkeiten besetzt: Manuela Uhlsingt eine herzzerreißende Rosi-ne. Sie verfügt über einen durch-schlagenden, höhensicheren So-pran, der allerdings zur Schärfeneigt. In ihrer Sterbeszene be-weist sie aber eindrucksvoll, dasssie sehr wohl auch zu Pianissimiund schwebend gehauchten Pas-sagen fähig ist. Der kraftvolle,helltimbrierte Tenor RaymondVery leiht ihrem Ehemann Fer-raud seine einnehmende Stim-me, intelligent geführt in den ly-rischen wie in den heldenhaftenPassagen. Den Oberst Chabertsingt Bo Skovhus: keine wirklichschöne Stimme, aber genau dierichtige für diese Partie. Ein Sän-gerdarsteller, der sich präziserTextbehandlung und psycholo-gisch mitreißender Gestaltungim Sängerischen wie Darstelleri-schen befleißigt.Seine Interpretation eines seeli-schen Verfalls ist so bewegendwie das leidenschaftliche Dirigatvon Jacques Lacombe. Er ani-miert das Orchester der Deut-schen Oper Berlin zu einer groß-artigen Aufführung. Oberst Cha-bert könnte nach den Erfahrun-gen dieser Aufführung ein Re-pertoirestück sein. Das Werk hatwirkungsvolle Gesangspartien,eine ergreifende Handlung, einanspruchsvolles Libretto, einepublikumsfreundliche Längeund eine anspringende, aufwüh-lende Musik. Dieter David Scholz

Hans Werner Henze

Symphonies 3-5Rundfunk-SinfonieorchesterBerlin, Ltg. Marek JanowskiWergo WER 6723 2

Im Gegensatz zu den vorausge-gangenen Einspielungen der Sin-fonien 7 und 8 sowie 9 musssich die jüngst erschienene, drit-te Aufnahme innerhalb von Ma-rek Janowskis Gesamteinspie-lung der Henze-Sinfonien an ei-ner so berühmten wie brillantenVorgänger-Aufnahme messenlassen: Henzes eigener Einspie-lung der Sinfonien 3-5 mit denBerliner Philharmonikern (Deut-sche Grammophon, 1965), dieinterpretatorisch und aufnahme-technisch noch immer Maßstäbesetzt. Janowski und das Rund-funk-Sinfonieorchester Berlinbrauchen den Vergleich mit demVorbild indes nicht zu scheuen.Eigenständig und unprätentiösbehaupten sich Dirigent und Or-chester als notentexttreue, hen-zeaffine Musiker und rücken dieklangfantastischen, ganz ausdem Geist des Theaters gebore-nen (und von Henze mithin nur„zu Sinfonien erklärten“) Or-chesterstücke im Bewusstsein ih-rer historischen Distanz in einabgeklärtes Licht, das Größe undBedeutung dieser zwischen1949 und 1962 entstandenenWerke des jungen Henze kaummehr grell erhellend unter Be-weis stellen muss. Eigentümlichkeit und Rang derAufnahme werden besondersdeutlich in der einsätzigen 4.Sinfonie (1955), dem ganz insInstrumentale gewendeten ur-sprünglichen Finale des zweitenAkts der Oper König Hirsch. Dif-ferenziert noch in den kleinstendynamischen Schattierungen

rezensionen 63

4/11

64 finale

4/11

bunden mit der Frage: „Und was machtes mit dir, was du gerade gehört hast?“

Immer mehr Kultureinrichtungen zeleb -rieren eine „Tchiboisierung“: möglichstviele billige Produkte möglichst gut ver-packt stetig wechselnd am Markt zu plat-zieren. Vom Kerngeschäft bleibt nichtmehr viel übrig. Statt sich der immerwieder neuen Auseinandersetzung mitder Musik zu widmen, wetteifern dieKlangkörper heute zunehmend um „neue“Educationprojekte, ohne damit den aus-fallenden Musikunterricht ersetzen zukönnen.

Solange die Kulturvermittelnden derSchimäre hinterher rennen, Musik müssewie Babybrei zu konsumieren sein, damitsie doch – bitte, bitte – mehr Aufmerk-samkeit für ihre Arbeit erheischen kön-nen, wird sich an dem kulturellen Verfallnichts ändern. Und auch nicht an derSchwindsucht im Parkett.

Karl Senftenhuber

Musikleben im Diskurs

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ISSN 0935-2562

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Was heißt hier „Schwindsucht im Par-kett“? Wir haben doch Musik im Über-fluss. Die musikalische Umweltver-schmutzung erreicht inzwischen immermehr Ungeborene, die sich im Mutter-leib gegen die pränatale Beschallungnicht wehren können. Von der Dauerbe-schallung an nahezu allen öffentlichenOrten ganz zu schweigen. Fehlt nur nochder Wald. Mozart für Hirschkühe, damitdas Fleisch noch zarter wird.

Die „Musikvermittlung“ wird zuneh-mend entprofessionalisiert, weil es zuviele Politiker und Stiftungen schick fin-den, (Steuer-)Gelder an Projekte zu ver-geben – mit „echten“ Künstlern undnicht mit langweiligen Kulturpädagogen.Was nach dem Event an Wirkung bleibt,ist egal. Hauptsache Event. Blind verfallenwir der Illusion des leichten Zugangs.Musik als Querschnittsfach zu allen ande-ren Fächern in der Schule? Viel zu kom-plex und anstrengend. Mundgerecht undzielgruppenspezifisch muss es sein – ver-

Vorschau

Schwindsucht im Parkett

„Jeder Mensch ist ein Künstler“ – Beuyshätte sich wohl über die Digitalisierunggefreut, in der jeder alles im Internet ver-öffentlichen kann, Professionalität undDilettantismus in der Weite des Cyberspa-ce verschwimmen und kreatives Schaffensich auf alle Lebensbereiche ausdehnt.Die nächste Ausgabe des Musikforum be-schäftigt sich in Weiterentwicklung desSchwerpunktthemas aus diesem Heft mitdem Wandel des Begriffs von Kultur undKreativität und seinen Folgen im digita-len Zeitalter.

Wie verändern sich Kreative und Rezi-pienten und ihr Verhältnis zueinanderdurch die Digitalisierung? Wenn jederNetznutzer ein Künstler ist, wo fängtgeistiges Eigentum an, wo hört es aufund ist es dann überhaupt sinnvoll, einengesetzlichen Schutz dafür zu bieten? Er-möglicht die Freiheit des Internets nichtgerade einen partizipativen Zugang zuKunst und Kultur und fördert somit eineDemokratisierung der Kultur?

Musikforum 1/2012

Digitales Paradies –Jeder Mensch einKünstler?

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WERGO

VertriebeDeutschland: Note 1, 06221/720351, [email protected]Österreich: Lotus Records, 06272/73175, [email protected]: Tudor, 044/4052646, [email protected]

Fordern Sie bitte den neuen Katalog an!WERGO, Weihergarten 5, 55116 Mainz, Germany, [email protected], www.wergo.de Fo

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