Scio IV/IX

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NEUE SERIE | So leben Krankenhäuser im Norden die Integrierte Versorgung R Seite 17 CHEFSACHE | Steigende Versicherungs- prämien für die Berufshaftpflicht R Seite 20 HAUSBESUCH | Die ersten Tage in der neuen Kinderarztpraxis von Steilshoop R Seite 28 IV | MMIX Magazin rund um das ärztliche Leben PRAXIS 2010 Das kommt im neuen Jahr auf Sie zu! Seite 10 FITNESS FÜR ÄRZTE SPORT NACH DER PRAXIS

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4. Ausgabe SCIO - Magazin rund um das ärztliche Leben

Transcript of Scio IV/IX

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NEUE SERIE | So leben Krankenhäuser im Norden die Integrierte Versorgung R Seite 17

CHEFSACHE | Steigende Versicherungs-prämien für die Berufshaftpflicht R Seite 20

HAUSBESUCH | Die ersten Tage in der neuen Kinderarztpraxis von Steilshoop R Seite 28

IV | MMIX

Magazin rund um das ärztliche LebenPRAXIS 2010

Das kommt im neuen

Jahr auf Sie zu!

Seite 10

FITNESS FÜR ÄRZTE

SPORT NACH DER PRAXIS

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3scio. Magazin rund um das ärztliche Leben

EDITORIAL.

wir haben eine neue Bundesregierung und eine neue Landesregierung in Schleswig-Holstein. Die Hoffnung, dass ein neues Kabinett in Berlin oder gar in Kiel Patentlösungen für die Prob-leme im Gesundheitswesen präsentieren kann, ist illusorisch. Mit wohltuender Zurückhaltung haben Ärzte und ihre Verbände bislang ihre Erwartungen an die neuen Entscheider formu-liert. Längst hat sich die Erkenntnis durchge-setzt, dass die Politik dem Gesundheitswesen angesichts leerer Kassen und hoher Schulden-berge in Bund und Land auch künftig Kosten-dämpfung verordnen wird. Das hat Auswirkungen auf den Praxisalltag. Wie sollen sich niedergelassene Ärzte auf die stets neuen Rahmenbedingungen einstellen? Dieser Frage gehen wir in unserem Schwerpunktthema ab Seite 10 nach. Experten aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens im Norden berichten über ihre Erwartungen. Eines scheint dabei unstrittig: Die Verzahnung zwischen den Sektoren wird noch deutlich zunehmen. Ein unabgestimmtes Nebeneinander wird immer seltener. Der Begriff Kooperation – früher ei-ne abgenutzte Worthülse in den Beiträgen der Funktionäre – wird längst mit Leben gefüllt. Scio beginnt deshalb in dieser Ausgabe mit einer neuen Serie: Krankenhäuser im Norden stellen vor, wie sie die Integrierte Versorgung im Alltag umsetzen. Zum Start der Serie lesen Sie auf Seite 17, wie sich das UKE die Vernetzung vorstellt und welche Modelle es anbietet. Kooperation ist nur möglich, wenn sich weiter-hin Ärzte für eine Niederlassung interessieren. Das ist immer seltener der Fall, wie der jüngste Versorgungsbericht der KV Schleswig-Holstein erneut deutlich gemacht hat (Seite 8). Doch trotz Hürden wie Bürokratie und unsicherem Verdienst gibt es junge Ärzte, die sich in das Abenteuer Niederlassung stürzen. Und das kei-neswegs, wie in Publikumsmedien gerne dar-gestellt, nur in Nobelvierteln mit einem hohen Anteil an Privatversicherten. Dr. Adnan Akbaba ist einer von denen, die dort hingehen, wo sie gebraucht werden. Der 42-jährige Sohn tür-kischer Gastarbeiter hat vor wenigen Wochen

Liebe Leserinnen und Leser,eine Kinderarztpraxis in Hamburg-Steilshoop eröffnet. Einem Viertel also, dessen Bevölke-rung gern als „sozial schwach“ bezeichnet wird. Unsere Autorin Nicola Sieverling durfte Akbaba bei seinem Start in die Niederlassung über die Schulter schauen (Seite 28). Daniela Stohn hat Dr. Thorsten Münch bei einem Einsatz als Arzt im Notdienst einen Abend lang durch Ham-burg begleitet (Seite 22). Beide Reportagen zeigen ein Stück Normalität aus dem ärztlichen Alltag, das in der öffentlichen Debatte gern ver-nachlässigt wird: Ärzte beschäftigen sich auch heute in erster Linie nicht mit Gesundheitspo-litik und nicht mit Honorarverteilung, sondern mit Patienten. Auch in Problemvierteln, mitten in der Nacht, unter schwierigen Bedingungen. Doch bei allem Einsatz für die Patienten müs-sen auch Ärzte einmal abschalten und etwas für die eigene Gesundheit tun. Unser ungewöhn-liches Titelbild von Jörg Wohlfromm zeigt Dr. Bernhard Bambas aus Bad Segeberg auf seinem Hightech-Rad beim Training für den Ironman auf Hawaii. Nicht jeder kann Leistun-gen wie Triathlet Bambas abrufen. Sport ist für viele Ärzte selbstverständlich, für andere neben dem Praxisalltag schwer realisierbar. Wir ge-ben Ihnen ab Seite 30 Tipps für einen niedrig-schwelligen Einstieg – viel Spaß beim Training wünscht Ihnen

Dirk Schnack

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IV | MMIX4

scio. AusgAbe  IV  | MMIX

Editorial. Seite 3

BliCKWiNKEl.Labormarkt im Fusionsfieber. Seite 6

SChNittStEllE. Wirtschaftskrise trifft die Medizintechnik. Seite 9

SChWErPUNKt.2010 – ein Jahr mit Risiken und Nebenwirkungen für die Praxisinhaber. Seite 10Selektivverträge 2010: Neue bunte Welt. Seite 12Scio-Expertentipp. Seite 13Was fällt Ihnen ein, Herr Wortmann? Seite 14Abgestimmte Versorgungsangebote als Wettbewerbsvorteil. Seite 15Wildwuchs bei Rabattverträgen. Seite 16Fünf Fragen an Dr. Ralph Ennenbach. Seite 16

PolitiK. Hochleistungsmedizin im Netzwerk: Integrierte Versorgung im UKE. Seite 17

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inhalt.

«Immer mehr ärztlicheLeistungen werden

über Selektivverträgegeregelt. Ein Zurück

zum Kollektivvertrags-system ist nicht in Sicht.»

Thomas RampoldT,GeschäfTsfühReR deR

äRzTeGenossenschafT sh

R ausblick 2010Was erwartet praxisinhaber im nächsten Jahr? experten beleuchten für scio kooperationsmöglichkeiten, honorarperspektiven, Vertrags- aussichten und die zukunft im arzneimittelmarkt.

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5scio. Magazin rund um das ärztliche Leben

inhalT.

Trend stoppen – oder Deutschland wird seine führende Rolle in der Labormedizin verlieren. Seite 18

ChEfSaChE. Berufshaftpflicht kann teuer werden. Seite 20So motivieren Sie Ihre Mitarbeiter. Seite 21

SPrEChStUNdE. Vom harmlosen Einsatz bis zum Schlaganfall: eine Nacht im Hamburger Notfalldienst. Seite 22

CartooN. Nicht lustig. Seite 25

MEiNUNg. Wenn Kliniken ambulant versorgen. Seite 26

haUSBESUCh. Ein Kinderarzt wagt die Existenzgründung in Steilshoop. Seite 28

PraxiSSChlUSS. Hauptsache Sport. Seite 30 22

3028R impRessumherausgeber: mediageno Verlags gmbH 

geschäftsführung: Miriam Quentin (V.i.s.d.P.)

redaktionsleitung: Dirk schnack ([email protected])

redaktionelle Mitarbeiter dieser ausgabe: gunda Ohm, susanne Quante, Frank scheinpflug, Nicola sieverling, Daniela stohn, Heike Thomsen und Jörg Wohlfromm (Fotos) 

anschrift von Verlag und redaktion: mediageno Verlags gmbHbahnhofstraße 1–3 23795 bad segebergTelefon: 04551 – 99 99-13Fax:  04551 – 99 99-282 e-Mail:  [email protected]

grafik: LayoutDeluxe | Felix bittmann, Arndtstraße 21, 22085 Hamburg

druck: Druckhaus Leupelt gmbH & Co.Kg, Heideland-Ost 24, 24941 Jarplund-Weding 

Bezug: einzelheft 6 euro. Arztpraxen in Hamburg und schleswig-Holstein wird die Zeitschrift kostenlos zugestellt. 

Bankverbindung: Volksbank Raiffeisenbank Neumünster, bLZ 21290016,  Kontonummer 53265320 

Erfüllungsort und gerichtsstand: bad segeberg

An allen beiträgen und Abbildungen steht  der mediageno Verlags gmbH das ausschließ-liche oder einfache Nutzungsrecht sowie das Verwertungsrecht i. s. d. urhg zu.

scio. Magazin rund um das ärztliche Lebenerscheint alle zwei Monate. Namentlich ge-kennzeichnete beiträge und Leserbriefe geben nicht immer die Meinung des Herausgebers wieder; sie dienen dem freien Meinungsaus-tausch. Anzeigen und Fremdbeilagen stellen allein die Meinung der dort erkennbaren Auf-traggeber dar.Der Verlag haftet nicht für unverlangt einge-sandte Manuskripte und Fotos. Die Redaktion behandelt jede einsendung sorgfältig. Die Re-daktion behält sich die Auswahl der Zuschrif-ten sowie deren sinnwahrende Kürzung aus-drücklich vor. Die Zeitschrift, alle beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne einwilligung des Herausgebers strafbar. Wenn aus grün-den der Lesbarkeit die männliche Form eines Wortes genutzt wird,  ist hiermit auch die weibliche Form gemeint. 

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BLICKWINKEL.

Page 7: Scio IV/IX

scio. Magazin rund um das ärztliche Leben 7

BLICKWINKEL.

Labormarkt im FusionsfieberMitarbeiterinnen in einem Lübecker Labor werten Proben aus. Sie arbeiten in einem inhabergeführten Labor, was bald nicht mehr die Regel in der Branche sein wird. Große Konzerne drängen in den Markt, der ohnehin schon niedrige Gewinnmargen aufweist.

foto | Jörg Wohlfromm

Zehn Laboratorien beherrschen inzwischen über 60 Prozent des Labormarktes. Diese Entwicklung geht auch am Norden nicht vorbei. Für Furore sorgt besonders der australische

Konzern Sonic Healthcare, zu dem inzwischen mehrere große Hamburger Labore zählen. Kritiker sehen

darin eine Einschränkung des Wettbewerbs, da einsendende Ärzte durch einen Wechsel des Labors

innerhalb des Konzerns keinen Druck mehr in Richtung Service und Qualität ausüben können. Mit

jedem weiteren aufgekauften Mitbewerber sinkt diese Möglichkeit. Mittelständische Laborbetreiber

befürchten, dass Krankenkassen und Konzerne ähnlich wie im Pharmabereich Direktverträge verein-

baren und damit eine Preisspirale nach unten eröffnen, die am Ende ärztliche Betreiber verdrängt.

Zugleich sind viele Laborärzte aber froh, überhaupt einen Käufer für ihre Einrichtung zu finden.

Für die wenigen jungen Laborärzte, die sich für eine Niederlassung interessieren, sind die großen

Einheiten kaum noch zu finanzieren. Der Berufsverband der Laborärzte verfolgt die Entwicklung

aufmerksam. Der Verband setzt sich dafür ein, dass die übernommenen Standorte weiterhin das

volle Spektrum anbieten und nicht zu bloßen Sammelstellen herabgestuft werden.

Interview dazu auf Seite 17.

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SchnittStelle.

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inteRMeDiAte-cARe in itZehOe

Der jüngste Versorgungsbericht der KV Schleswig-Holstein macht erneut

auf die Probleme in der ambulanten Versorgung aufmerksam. Die Ur-

sachen: Die älter werdenden Menschen benötigen eine intensivere ärztliche

Versorgung, zugleich droht aber ein Ärztemangel. In den kommenden sechs

Jahren werden voraussichtlich rund 900 Hausärzte aus Schleswig-Holstein

in Ruhestand gehen – dies ist fast die Hälfte aller Allgemeinmediziner zwi-

schen Nord- und Ostsee. Die Chancen, dass diese Stellen wieder besetzt

werden, sind laut KVSH gering: „Nachwuchs in der selben Größenordnung

ist nicht in Sicht. Der Beruf des niedergelassenen Arztes ist für junge Medi-

ziner in den vergangenen Jahren immer unattraktiver geworden“, teilte die

KV hierzu mit. Gründe für die nachlassende Motivation junger Mediziner, als

niedergelassener Arzt zu arbeiten, sind laut KV die hohen Investitionskos-

ten, die unberechenbaren Verdienstmöglichkeiten und die Überregulierung

im Gesundheitswesen. Die Körperschaft rief nach Unterstützung des Landes

bei der Nachwuchsgewinnung nach dem Vorbild anderer Bundesländer und

forderte zugleich eine kleinräumigere Bedarfsplanung. Eine Steuerung der

Niederlassungen durch Honorarzu- und abschläge lehnte sie ab. Stattdessen

wünscht sich die KVSH, an der Krankenhausplanung beteiligt zu werden.

Begründung: „Jede Entscheidung zur Krankenhausplanung hat unmittelbare

Auswirkungen auf die ambulante Versorgung.“ Dann würde die KVSH u. a.

die Öffnung der Kliniken für die ambulante Versorgung nach Paragraf 116 b

auf den Prüfstand stellen.  

Der Neubau des Diakonie-Klinikums in Hamburg-Eimsbüttel nimmt Gestalt an.

Der 101 Millionen Euro teure Bau soll in ei-nem Jahr eingeweiht werden, jüngst konn-te Richtfest gefeiert werden. Der Neubau ver-eint die drei evangelischen Krankenhäuser Al-ten Eichen, Bethanien und Elim sowie die pri-vat geführte CardioCliniC Hamburg unter einem Dach. Das Haus wird insgesamt über 385 Betten verfügen. Hamburgs Gesundheits-senator Dr. Dietrich Wersich erwartet „medi-zinische Versorgung auf höchstem Niveau“ – schließlich fördert die Hansestadt den Neu-bau mit rund 68 Millionen Euro. Das neue

Klinikum wird über sechs Geschosse und eine Nutzfläche von 16.500 Quadratmetern verfü-gen. Eine Vorstellung für die Größe des Pro-jektes verdeutlicht folgender Vergleich: Die für den Rohbau erforderlichen 20.000 Kubikme-ter Beton würden ausreichen, um den Ham-burger Rathausmarkt fünf Meter hoch mit Beton zu füllen. Für die Verkleidung des Neu-baus sind 350.000 rote Klinkersteine notwen-dig. In unmittelbarer Nachbarschaft entsteht ein weiteres Gebäude für Arztpraxen. Die in den Krankenhäusern vorhandenen Fachab-teilungen werden beibehalten, medizinische Schwerpunkte sollen ausgebaut werden.

Das Klinikum itzehoe hat vor wenigen tagen eine

neue intensiv- und intermediate-care-Station eröff-

net. Von dem Zwischenschritt zwischen der intensiv-

und der normalen Station erwartet das Klinikum eine

schnellere Genesung der Patienten. Auch das Risiko,

dass Komplikationen auftreten, soll damit verringert

werden. Zugleich wurde die erweiterung der beste-

henden intensivstation genutzt, um die Abläufe

und therapeutischen Möglichkeiten der Station neu

zu konzipieren. Die Station umfasst jetzt insgesamt

18 Betten, von denen zehn als intensiv- und acht als

intermediate-care-Betten genutzt werden. Zusätzlich

wurde auf der Station ein Multifunktionsraum ein-

gerichtet, der für die Aufnahme und Versorgung von

notfallpatienten aus dem Klinikum sowie für kleine

operative und schmerztherapeutische eingriffe zur

Verfügung steht. ein Schwerpunkt wurde bei der Pla-

nung der neuen Station auf die besondere Situation

der Angehörigen gelegt. neben einem Kurzwarte-

bereich wurden zusätzlich ein Besprechungsraum

und ein Aufenthaltsraum für länger anwesende

Angehörige auf der Station geschaffen. hier haben

Familie und Freunde der Patienten die Möglichkeit,

sich zurückzuziehen. Für die Angehörigen wurde die

Besuchszeit rund um die Uhr ausgedehnt.

Richtfest für das neue Diakonie-Klinikum

Gefährdete ambulante Versorgung in Schleswig-Holstein

R Behandlungstage je Patient (i/2006)

Arztgruppe: Hausärzte60 Jahre und älter

Veränderung gegenüber 2006

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+12,0%833.400

Alter der Patienten0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

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R Demografische entwicklung in Schleswig-holstein

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833.400

+12,0%833.400 978.080

+31,4%

-0,05% -2,5%

26,3% 29,4% 35,3%

2006 2015 2025

2.834.254Einwohner

2.832.700Einwohner

2.764.300Einwohner

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Page 9: Scio IV/IX

SchnittStelle.

Stabile Inlandsumsätze, aber sinkende Exporte vermeldet die Medizintechnik-Branche. Im laufenden Jahr erwartet der Branchenverband ein leichtes Minus. Insgesamt kommen die

rund 1.250 deutschen Medizintechnikhersteller aber „überwiegend stabil“ durch die Finanz- und Wirtschaftskrise. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahren war im ersten Halbjahr 2009 das Auslandsgeschäft das Sorgenkind (minus drei Prozent). Dank der Inlandsnachfra-ge blieb der Gesamtumsatz aber nur zwei Prozent unter dem Vorjahresergebnis. Der Verband sieht die Branche insgesamt als krisenresistenter an als vergleichbare Industrien, trotz einer Exportquote von rund 65 Prozent. Als Wachstumsmarkt im Ausland entpuppt sich weiter-hin China. Entlassungen konnten die deutschen Firmen bislang weitgehend vermeiden. Für das Gesamtjahr 2009 ist mit einer stabilen Beschäftigungszahl von rund 100.000 zu rechnen. Die deutschen Medizintechnikunternehmen erzielten im vergangenen Jahr einen Gesamt-umsatz von rund 18 Milliarden Euro, davon entfielen ca. 11,5 Milliarden Euro auf das Aus-landsgeschäft.

neue Geriatrie in Alsterdorf Das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf hat seinen Neubau für den Fachbereich Geriatrie einge-weiht. Das mit einem Investitionsvolumen von 2,36 Millionen Euro errichtete Pavillongebäude liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Krankenhauses. Der Neubau bietet praktische Arbeitsplätze für die Ärzte, Pflegekräfte und Betreuer und modernen Komfort für die Patienten. Zur Einweihung betonte Professor Cornelia Spamer, Chefärztin der Fachab-teilung, das Ziel der Behandlung: Menschen, die häufig vielfach gebrechlich sind und darüber hin-aus an einer akuten Krankheit oder an Unfallfol-gen leiden, sollen in der Geriatrie befähigt werden, so selbstständig wie möglich zu leben. Vorstands-mitglied Ulrich Scheibel verwies auf den besonde-ren „Geist“, der innerhalb der Stiftung Alsterdorf herrscht. Wegen der grundlegenden Orientierungen im Leitbild der Stiftung – Freiheit, Verantwortung, Autonomie, Individualität und Respekt – passe die Einrichtung für geriatrische Patienten besonders gut nach Alsterdorf. Alte Menschen würden respek-tiert und mit allen ihren Besonderheiten angenom-men: «Hier werden sie umsorgt, wie sie sind: mal hinfällig, mal aufmüpfig und laut, mal mut-los und schwach.» In den nächsten Jahren stehen in Alsterdorf weitere Neu- und Umbauten mit einem Gesamtvolumen von 30 Millionen Euro an.

Wirschaftskrise trifft die Medizintechnik

Medizintechnik ist aus deutschen Kranken- häusern nicht wegzu-denken. In diesem Jahr ist die Inlandsnachfrage stabil, die Exporte da-gegen sind rückläufig.F

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IV | MMIX

SCHWERPUNKT.

Gründen Sie ein Praxisnetz“: Nie war die Empfeh-lung von Praxisberaterin Gabriele Prahl im Scio-Expertentipp so aktuell wie heute. Denn wer jetzt

noch in einer Region ohne kollegialen Verbund arbeitet, wird es im neuen Jahr als Kooperationspartner für Kassen und Kliniken schwer haben. Wie stark diese Akteure die Praxisinhaber im Visier haben, zeigen die Kurzbeiträge von Thomas Wortmann (Barmer) und Dr. Mani Rafii (Schön Klinikum Hamburg-Eilbek). Ihr Ausblick auf 2010 beweist, dass niedergelassene Ärzte als Vertragspartner gefragt sind. Eine „neue bunte Welt“ erwartet Thomas Rampoldt. Der Geschäftsführer der Ärztegenossenschaft Schlewig-Holstein rechnet mit einer zunehmenden Zahl von Selektivverträgen. Das bedeutet mehr Wettbewerb mit allen Folgeerscheinun-gen, positiv und negativ. Doch eine Alternative, so Ram-poldt, ist nicht in Sicht. Ein Zurück zum Vertragsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigungen wird es nicht geben. Das heißt für Praxisinhaber, dass sie die Chance auf Ver-träge haben, die die Versorgung verbessern und ihnen eine attraktivere Vergütung bieten können. Das bedeutet aber

auch, dass das Volumen der bequemen Kollektivverträge schmilzt und die Unsicherheit über das zu erwartende Ho-norar steigt. Belastbare Voraussagen zum Thema Honorar sind derzeit ohnehin nicht möglich, wie die Antworten von KVSH-Vorstand Dr. Ralph Ennenbach zeigen. Ob die Mitte des Jahres zu erwartenden Änderungen in der Honorarsyste-matik auf Bundesebene einen Fortschritt bringen, bezweifelt nicht nur Ennenbach. Das Vertrauen der regionalen Akteure in die Bundesebene hat spätestens mit der jüngsten Hono-rarreform gelitten. Selten hat ein KV-Vertreter so klar wie Ennenbach ausgesprochen, was er von zentralistischen Vor-gaben für das Gesundheitswesen erwartet. Ein Beispiel für die negativen Auswirkungen sind die Folgen im Arzneimit-telsektor. Dort steigen die Kosten scheinbar unaufhaltsam weiter. Die Eingriffe des Gesetzgebers bewirken alles Mögliche, nur keine sinnvollen Einsparungen. Christoph Meyer, Chef der Generika-Vertriebsfirma Q-Pharm, beschreibt die Auswir-kungen. Auch von einer anderen Last wird sich das Gesund-heitswesen im kommenden Jahr nicht befreien können: die wachsende Bürokratie. Selbst Praxisinhaber wie Dr. Sven Soecknick, der mit Elan, Kreativität und einem gesunden Anteil von Einnahmen außerhalb der Kassenmedizin in ei-ner Lübecker Gemeinschaftspraxis arbeitet, wirkt bei diesem Thema ratlos. Ein Besuch in seiner Praxis zeigt aber, dass niedergelassene Ärzte in der Lage sind, sich auf wechselnde Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen einzustellen. Den Scio-Expertentipp muss Soecknick nicht mehr ganz so aufmerksam lesen – er hat noch in diesem Jahr in Lübeck ein Ärztenetz mitgegründet.

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Praxisinhaber müssen sich im kommenden Jahr auf eine buntere Vertragslandschaft einstellen. Es wird schwerer, den Überblick zu behalten, zugleich bieten sich aber neue Chancen. Krankenkassen und Krankenhäuser sehen niedergelassene Ärzte als Kooperationspartner.

text | Dirk Schnack

–einJahrmitRisikenundNebenwirkungenfürdiePraxisinhaber

2010«Der Ausblick für Ärzte

auf 2010 fällt gemischt aus. Fest steht, dass Kooperationen

immer gefragter werden.»

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Page 11: Scio IV/IX

scio.Magazin rund um das ärztliche Leben

SCHWERPUNKT.

EinganznormalerMontagabend am Lübecker Meesenring.

Gegen 18 Uhr stehen Patienten in der Gemeinschaftspraxis von

Dr. Sven Soecknick und Dr. Peter Melloh am Tresen und berich-

ten der Mitarbeiterin, weshalb sie heute noch einen Arzt sehen

müssen. So wie in Tausenden anderen Praxen im Norden ver-

sorgen die beiden Allgemeinmediziner ihre Patienten auch noch

abends, obwohl ihre Sprechzeiten eigentlich vorbei sind.

Für Soecknick ist das Routine, die er aber nach sechs Jahren

Niederlassung hinterfragt. Im kommenden Jahr, hat er sich

vorgenommen, sollen die Sprechzeiten leicht verkürzt werden.

Täglich, von 8 bis 12 Uhr, und an drei Nachmittagen von 15 bis

18 Uhr, sind die beiden Ärzte für ihre Patienten bislang da. Im

kommenden Jahr wird die Sprechzeit nur noch bis 11.30 Uhr dau-

ern, auch an den Nachmittagen wird eine halbe Stunde verkürzt.

Für Soecknick ist dieser Schritt konsequent, weil er die hohe

Arbeitsbelastung des gesamten Praxisteams (fünf Angestellte

und zwei Auszubildende) spürt. Zugleich liegt die Praxis rund

30 Prozent über dem Regelleistungsvolumen, d.h. die Leistun-

gen werden nicht alle vergütet. Die Verkürzung klingt logisch,

ist aber auch mutig. Denn in der Nachbarschaft entsteht ein

neues Stadtteilzentrum, in das auch Arztpraxen einziehen

werden. Vielleicht auch ein MVZ. „Das weiß derzeit niemand“,

sagt Soecknick. Neue Konkurrenz vor der eigenen Praxistür, die

künftig seltener geöffnet hat – eine gefährliche Mischung, vor

der Soecknick aber keine Angst hat. Und wenn es tatsächlich

zu einem MVZ mit angestellten Ärzten und Sprechzeiten bis in

den späten Abend kommt? „Ich habe da wenig Bedenken. Die

ambulante Medizin durch selbstständige Ärzte ist günstiger und

erfolgt engagierter als durch andere Modelle“, sagt Soecknick.

Auf einen Wettkampf um die Patientenzahl will er sich ohnehin

nicht einlassen. „Ich kann mir vorstellen, dass wir unser Stand-

bein Naturheilmedizin stärker ausbauen“, sagt der 42-jährige

Allgemeinarzt. Für 2010 ist geplant, dass sich der Anteil der Na-

turheilmedizin am Gesamtumsatz der Praxis von derzeit rund

einem Drittel erhöht. Weitere Änderungen in der Praxisorgani-

sation sind genauso wenig geplant wie große Anschaffungen.

Soecknick und Melloh arbeiten seit ihrer „Fusion“ zur Gemein-

schaftspraxis vor zwei Jahren in einer modern ausgestatteten,

weitgehend papierlosen Praxis. Vor ratlose Gesichter stellt die

Ärzte aber trotz moderner Organisation die immer weiter zu-

nehmende Bürokratie. Wie die bekämpft werden könnte, weiß

Soecknick angesichts zahlreicher Nachfragen durch Kranken-

kassen und Medizinischen Dienst zum Behandlungsstand nicht.

Fest steht für ihn aber, dass diese Nachfragen die Zeit, die er

gerne für seine Patienten aufbringt, einzuschränken drohen.

Mehr Bewegung erhofft er sich dagegen im kommenden Jahr

von der Zusammenarbeit zwischen Kliniken und Praxen. Nach

seiner Beobachtung müssen beide Seiten gemeinsam Behand-

lungspfade entwickeln: „Da verschenken wir noch zu viele Res-

sourcen.“ Die Voraussetzungen, damit niedergelassene Ärzte

in seiner Stadt gemeinsam mit den Kliniken in diese Arbeit

einsteigen können, hat er schon in diesem Jahr als Gründungs-

mitglied und Vorstand des Lübecker Ärztenetzes maßgeblich

beeinflusst. Im neuen Jahr will er dazu beitragen, dass sich das

Netz etabliert. Ein Begleiteffekt der Netzarbeit wird sein, dass

sich die Kollegen untereinander besser kennen lernen. Weniger

Bürokratie und Druck bei der Arbeit, mehr Kooperation und Kol-

legialität – so könnte 2010 für Soecknick zu einem erfolgreichen

Jahr werden.

«DieArbeits-belastungfürdasPraxisteamwirdreduziert.»

Politische Änderungen, neue Verträge, andere Entscheider – das Jahr 2010 wird für das Gesundheitswesen Veränderungen bringen. In den Praxen dagegen herrscht Kontinuität. Auch Dr. Sven Soecknick aus Lübeck will an seinem Praxisalltag nicht viel ändern.

Dr.SvenSoecknick ändert die Öffnungszeiten für seine Praxis, um die Arbeitsbelastung zu senken. Ein Rezept gegen die zunehmende Bürokratie hat er nicht.

DasTeam in der Gemein-schaftspraxis am Lübecker Meesenring arbeitet mit hoher Motivation, Angst vor neuer Konkurrenz hat Soecknick keine.

text | Dirk Schnack fotos | Jörg Wohlfromm

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12 IV | MMIX

SCHWERPUNKT.

Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jah-rendeutlichgezeigt,dass er es mit der Verän-

derung des Vertragssystems ernst meint. Politik

will Wettbewerb in der ambulanten Versorgung

über Selektivverträge. Diese Entwicklung wird sich

2010 beschleunigen. Ärzte können sich also auf

mehr Wettbewerb in der Vertragslandschaft ein-

stellen. Die Alternative – der Kollektivvertrag mit

Reanimation des Vertragsmonopols der KVen – ist

undenkbar. Dennoch: Die KVen werden weiterhin

Widerstand leisten. Sie werden versuchen, alles zu

verhindern, was die Gesamtvergütung bedroht. Die

Kassen werden keine klare Vorgehensweise haben,

weil sie einerseits die höhere Flexibilität gut fin-

den, andererseits aber auch den Druck der kleine-

ren, gut organisierten Gruppierungen fürchten.

Die Zahl der Selektivverträge wird dennoch in 2010

weiter zunehmen. Neben dem Hausärzteverband,

der weitere Verträge nach Paragraf 73 b erstreiten

wird, werden sich auch die Fachärzte auf den Weg

machen. Anzunehmen ist auch, dass es in 2010

weitere Verträge, wie für Kinzigtal, mit regionaler

Versorgungsverantwortung für einzelne Netzre-

gionen geben wird. Wir werden in den kommen-

den Jahren erleben, dass medizinische Versorgung

immer stärker regional organisiert wird. Wollen wir

die im Gesundheitssystem ohne Frage vorhande-

nen wirtschaftlichen Ressourcen heben, müssen

die Sektorengrenzen durch regionale Kooperatio-

nen aufgebrochen werden.

Zugleich ist eine Marktbereinigung bei Selektiv-

verträgen zu erwarten, weil nicht alle vermuteten

Effekte in den erprobten Modellen wirklich eintre-

ten. Die großen Organisationen auf Bundesebene

(KBV, Spitzenverband Bund der Krankenkassen,

BVÄG etc.) werden bei Selektivverträgen eher

eine untergeordnete Rolle spielen, da sie besten-

falls Rahmenverträge aushandeln können. Die

Definition der Vertragsziele kann nur durch die

regionalen Partner erfolgen. Es braucht regionale

Organisationen, die ein „Zerfleddern“ des Systems

verhindern. Hier kann die Ärztegenossenschaft

eine wesentliche Rolle einnehmen, um die „neue

bunte Welt“ überschaubar und den Management-

aufwand für Ärzte und auch für Kassen erträglich

zu halten.

Selektivverträge2010:NeuebunteWelt 

«Immer mehr ärztliche Leistungen werden über Selektivverträge geregelt. Ein Zurück zum

Kollektivvertragssystem ist nicht in Sicht.»

ThomasRampoldt,Geschäftsführer der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein

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SCHWERPUNKT.

Steuerberatungfür Ärzte·Fachbezogene Steuerberatung

für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte

·Existenzgründungsberatung, Finanz beratung und betriebs wirtschaftliche Beratung

·Statistische, zeitnahe Vergleichs zahlen der ärztlichen Fachbereiche

Niederlassungen23795 Bad Segeberg

Bahnhofstraße 1-3, Tel.: 04551 90843-0E-Mail: [email protected]

22083 HamburgHumboldtstraße 53, Tel.: 040 2714169-0

E-Mail: [email protected], www.BUST.de

Scio_4c_95x125 09.04.09 12:56 Seite 1

DassolltenSiein2010inAngriffnehmen:

R Richten Sie eine regelmäßige, kurze Teambesprechung ein. Übergeben Sie die Leitung Ihrer Führungs-kraft und vermeiden Sie es, dominant aufzutreten. Das Protokoll sollte abwechselnd von jedem einmal übernommen werden und spätestens nach drei Tagen fertig sein.

R Gründen Sie ein Regionales Praxisnetz (RPN) oder beleben Sie das RPN Ihrer Region. Suchen Sie sich dafür drei bis zehn gleichgesinnte Kollegen. Die Gründung sollte kurzfristig erfolgen. Danach laden Sie die Kollegen der Region ein, beizutreten.

R Vollenden Sie Ihr Qualitätsmanagement so, dass Sie wenigstens den gesetzlichen Anforderungen ge-nügen – auch wenn Sie vieles davon als bürokratischen Unsinn empfinden. Teile des QM sind durchaus sinnvoll, den Rest abarbeiten, ohne sich weiter zu ärgern. Schade um die Energie, Hauptsache erledigt!

R Besprechen Sie zu Jahresanfang mit Ihren Mitarbeiterinnen, von welchen Patienten Sie sich gerne tren-nen möchten, da sie regelmäßig für ein Stimmungstief sorgen. Diesen Patienten (es sind meist nicht mehr als ein oder zwei) sollte man nahe legen, sich einen anderen Arzt zu suchen. Ansage: Wir passen wohl nicht zusammen …

R Besprechen Sie mit Ihrer Familie, was die sich von Ihnen in 2010 wünscht und erarbeiten Sie gemein-sam, wie Sie das schaffen können.

R Eliminieren Sie in Ihrem Praxisalltag die klassischen Zeitfresser. Das sind oft die vielen kleinen Routine-tätigkeiten, die Sie gar nicht bemerken: überflüssige Wege im Ablauf, überflüssige Gespräche. Auf den Tag verteilt ergibt das eine Stunde und mehr, in der Woche fünf Stunden.

R Wählen Sie eine realistische, legale Tätigkeit für Zusatzeinnahmen, die Ihnen möglichst auch Spaß ma-chen sollte: Igel-Leistung, Kooperation mit einem Krankenhaus usw., die Sie ab sofort gemeinsam im Team professionell umsetzen wollen. Setzen Sie sich Ziele!

R Beginnen Sie den Verkauf Ihrer Praxis zu planen, wenn Sie innerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre in den Ruhestand gehen wollen. Um die Praxis gut verkaufen zu können, müssen Kosten und Einnahmen im Gleichgewicht sein, potenzielle Käufer hospitiert haben und Schwachpunkte (z. B. zu wenig Igel-Leistungen, Organisationschaos) ausgeglichen worden sein.

R SCio-ExPERTENTiPPvonPraxisberaterinGabrielePrahl

PraxisberaterinGabrielePrahl

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Page 14: Scio IV/IX

SCHWERPUNKT.

Kollektivverträge: … sind grundsätzlich eine

sinnvolle Basis, um die gesundheitliche Versor-

gung der GKV-Versicherten zu realisieren. Für die

einzelnen Krankenkassen aber muss und wird die

Gestaltungs- und Vertragsfreiheit erweitert wer-

den – durch Selektivverträge. Davon erhoffen wir

uns, mit Ärzten, die besondere Anstrengungen un-

ternehmen, höhere Qualitätsstandards umsetzen

oder überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen zu

können.

MVZ:… sind eine sinnvolle neue Versorgungsform

und ein gutes Angebot, das hohe Qualität mit Ver-

sorgungssteuerung und Transparenz verbindet.

Daneben sollte das „alte“ Kassenarztsystem aber

nicht aufgegeben werden. Auch Ärztenetze kön-

nen vergleichbare Strukturen schaffen.

HausarztzentrierteVersorgung:… Es darf natür-

lich nirgendwo eine Monopolstellung der Anbieter

geben. Daher muss die Hausarztzentrierte Ver-

sorgung nach Paragraf 73 b SGB V selektiv und

ohne Zwang zu gestalten sein. Nur so können das

Leistungsangebot für Patienten „mit Leben erfüllt“

und mehr Qualität, höhere Wirtschaftlichkeit sowie

bessere Versorgungsergebnisse erreicht werden.

KVen:… Die Funktion der Kassenärztlichen Ver-

einigungen muss gestärkt und weiterentwickelt

werden. Es liegt im Interesse der Versicherten,

wenn die zentralen ordnungspolitischen Auf-

gaben – wie Sicherstellung, gut organisierter

Notfalldienst, ausreichende Flächenpräsenz und

Einheitlichkeit – in öffentlich-rechtlichen Struk-

turen realisiert werden. Für die Entwicklung,

Qualitätssicherung und Abrechnung von Selek-

tivverträgen können auch die Kassenärztlichen

Vereinigungen wichtige Dienstleistungen für die

Ärzteschaft übernehmen.

AngebotsinduzierteNachfrage:… prägt den me-

dizinischen Bereich. So führen neue diagnostische

und therapeutische Verfahren häufig zum Aufbau

zusätzlicher Kapazitäten, die ein ungebremstes

Mengenwachstum hervorrufen. Für eine wirtschaft-

liche Versorgung gilt, dass nicht alles, was machbar

ist, auch medizinisch sinnvoll ist. Systematische

Wirksamkeitsnachweise und Transparenz medizini-

scher Leistungen sind erforderlich, damit Patienten

informierte und rationale Entscheidungen treffen

können.

DMP:… müssen ausgebaut werden, weil in einer

„alternden“ Gesellschaft die Zahl chronisch Kran-

ker weiter steigen wird. Die Versorgungsstrukturen

müssen dieser Entwicklung angepasst werden.

Unterversorgung: … ist in einzelnen ländlichen

Regionen möglich, aber nicht unabwendbar. Auf

jeden Fall aber eine Herausforderung für alle Be-

teiligten. KV, Kassen und Politik sind gefordert,

geeignete Instrumente und Mittel zur Verfügung

zu stellen, um einer drohenden ärztlichen Unter-

versorgung entgegenzuwirken.

Kassensterben: … Die Zahl der Krankenkassen

wird auch im Jahr 2010 weiter abnehmen. Wie

viele am Ende des Jahres noch bestehen werden,

ist schwer vorherzusagen. In den nächsten acht

bis zehn Jahren könnten aber letztlich noch 30

bis 50 Krankenkassen übrig bleiben, da unter den

Bedingungen des Gesundheitsfonds schon eine

gewisse Kassengröße wichtig ist. Und erst recht,

wenn man Versorgung gestalten möchte. Dafür

sind 15 Prozent, besser noch 20 oder 25 Prozent

Marktanteil wünschenswert.

PKV: … Die Abgrenzung zwischen gesetzlicher

und privater Krankenversicherung ist ökonomisch

nicht sinnvoll und verteilungspolitisch ungerecht.

Eine ordnungspolitisch sinnvolle Lösung besteht

darin, die umfassende Absicherung medizinisch

notwendiger, angemessener und wirtschaftlicher

Leistungen („Krankenvollversicherung“) – inklusive

der Absicherung des medizinischen Fortschritts –

ausschließlich der Gesetzlichen Krankenver-

sicherung und das darüber Hinausgehende („Zu-

satzversicherungen“ wie z. B. Einzelzimmer und

Chefarztbehandlung) der Privaten Krankenver-

sicherung zu übertragen.

«Wasfälltihnenein,HerrWortmann?»

ThomasWortmannistVorsitzender des Barmer

Landesverbandes Nord für die Bundesländer Schles-

wig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern.

… zu diesen Stichworten:

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Page 15: Scio IV/IX

SCHWERPUNKT.

DerTrendzurÜberwindungderGrenzen zwischen

allen Dienstleistern im Gesundheitssystem wird noch

zunehmen. Das schafft mehr Transparenz für Patien-

ten und Versicherte in einem wettbewerblichen Sys-

tem von Ärzten, Krankenhäusern, Krankenkassen und

anderen Leistungserbringern. Grundsätzlich halte ich

eine enge Kooperation zwischen niedergelassenen

Ärzten und Krankenhäusern für sinnvoll und notwen-

dig. Diese Zusammenarbeit darf auch in der aktuellen

Diskussion um die „Fangprämien“ nicht in Verruf ge-

raten.

Für Kliniken kommt es in den nächsten Jahren darauf

an, medizinische, pflegerische und verwaltungstech-

nische Prozesse zu optimieren. Oberstes Ziel bleibt,

die Qualität der medizinischen Leistungen zu verbes-

sern. Dreh- und Angelpunkt dürfte dabei das Versor-

gungsmanagement sein.

Im Vordergrund stehen hier qualitätsorientierte Ko-

operationen, der Aufbau standardisierter Behand-

lungspfade sowie Steuerungsmechanismen, die die

Abläufe zwischen den Beteiligten regeln. Zwar wer-

den Kliniken – je nach Region und Versorgungsdichte

– weitere MVZ gründen, um ihr ambulantes Leis-

tungsangebot auszubauen. Im Gegensatz zu Mitbe-

werbern sehen wir für eine Großstadt wie Hamburg

mit der vorhandenen exzellenten Versorgungsstruktur

im ambulanten Bereich jedoch keinen Bedarf an MVZ:

Bei uns steht die vertrauensvolle Kooperation mit den

niedergelassenen Kollegen im Mittelpunkt. In solchen

Allianzen werden sich gemeinsam entwickelte und

abgestimmte qualitativ hochwertige Versorgungsan-

gebote zum wesentlichen Wettbewerbsvorteil entwi-

ckeln.

AbgestimmteVersorgungsangebotealsWettbewerbsvorteil

Dr.med.ManiRafii, Vorsitzender des Direktoriums Schön-Klinik Hamburg Eilbek

«Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten in Kliniken und Praxen wird

an Bedeutung gewinnen. Beide Seiten können davon profitieren»

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16 IV | MMIX

SCHWERPUNKT.

DassteigendeAlter und die verbesserten medizinischen Möglichkeiten

schaffen einen Finanzierungsbedarf, der von den etablierten Systemen

so nicht mehr zu leisten ist. Ohne nachhaltigen Wechsel der Systematik

werden wir in den nächsten Jahren einen zunehmenden Mangel durch ra-

tionierende Maßnahmen bewältigen und ertragen müssen. Diese rationie-

renden Maßnahmen sind schon heute in Ansätzen zu erkennen. Die Zahl

der Verwaltungsvorgänge in einer normalen Arztpraxis hat ein Ausmaß

erreicht, das die eigentliche Hinwendung und Zuwendung zum Patienten

fast in den Hintergrund drängt. Inzwischen ist es nicht mehr maßgeblich, ob

der Patient ein Heilmittel wie Massagen oder Krankengymnastik benötigt,

vielmehr muss sein Beschwerdebild in eine viele Seiten lange Tabelle pas-

sen. Nur wenn es passt, ist es möglich, dem Patienten eine entsprechende

Verordnung auszustellen.

Noch problematischer wird es, wenn der Patient ein Arzneimittel verordnet

bekommen soll. Früher ist man der Diagnose gefolgt, hat ein der Diagnose

entsprechendes Arzneimittel ausgesucht und verordnet. Inzwischen über-

steigt die Geldmenge, die für Arzneimittel aufgewandt wird, die Menge

des ärztlichen Honorars. Deshalb suchen die Krankenkassen ihr Heil in

Rabattverträgen. Wer viel verkauft, soll auch gerne Rabatt geben, nur: Bei

den Rabattverträgen der Krankenkassen mit den Herstellern von vorwie-

gend generischen Arzneimitteln gibt es kein einheitliches System.

Der Wildwuchs im Rabattvertragsbereich macht es für den verordnenden

Arzt schwer bis unmöglich, die aktuelle Situation noch zu überblicken.

Allein die Betriebskrankenkassen hatten zumindest zeitweise bis zu

1.600 Rabattverträge gleichzeitig geschlossen – da ist es in der täglichen

Praxis unmöglich, den Überblick zu behalten. Die von der Gesundheitspo-

litik geschaffene gesetzliche Regelung, alternativ nur noch die Substanz

zu verordnen, ist aus berufsethischer Sicht und aus dem Haftungsrecht

heraus hochgradig zweifelhaft. Also muss

weiterhin das Präparat korrekt mit Namen,

Darreichungsform und Packungsgröße ver-

ordnet werden. Das Problem kann sich aber in

den nächsten zwei Jahren radikal lösen, wenn

durch den massiven Eingriff in den Markt viele

kleine und mittelgroße Anbieter vom Markt

verschwunden sind und nur noch einige wenige

den Markt bestimmen – dann allerdings ohne

Rabattverträge und nur noch zu Preisen, die

unsere Budgets so belasten, dass wir häufig

gar nichts mehr verordnen können.

WildwuchsbeiRabattverträgen

ChristophMeyer, Vorstandschef der Q-Pharm AG

Fragen zum Honorar 2010 an KVSH-Vorstand Dr. Ralph Ennenbach: 5

BestesBeispielfürabgeliefertenWahnsinn

Scio:Wie groß wird der Anteil sein, den die Ärzte in Schleswig-Hol-stein von der Gesamtsteigerung auf Bundesebene erhalten?

Dr.RalphEnnenbach:Auf alle Kassenärztlichen Vereinigungen entfällt 2010 der identische Anteil in Höhe von knapp 2,0 Prozent im Bereich der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung. Ferner wird ein Anstieg in-folge der Leistungsmengenentwicklungen bei den extrabudgetären Leis-tungen hinzukommen. Wie sich die Honorarsituation in Schleswig-Hol-stein genau entwickeln wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen.

Ist absehbar, dass bestimmte Fachgruppen stärker leiden als andere?Nach wie vor führen die jetzigen Vorgaben zur Honorarverteilung

dazu, dass Fachgruppen wie die Orthopäden, Augenärzte und Urologen stärker betroffen sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um konser-vative Betätigung handelt. Ab Mitte des Jahres wird es zu einem Umbau der Systematik generellerer Art auf Bundesebene kommen. Deren Aus-wirkungen sind derzeit nicht vorhersagbar. Es ist für mich ohnehin zu be-zweifeln, ob ein neues zentralistisches System die Lösung bringen kann.

Welche weiteren Entwicklungen für das Honorarjahr 2010 sind schon heute absehbar?

Zu hoffen bleibt eine generelle Modifikation des Sachleistungssystems. Da habe ich eine klare Erwartungshaltung an die neue Bundespolitik da-hingehend, dass sie mit der gesellschaftlichen Einstellung aufräumt, dass für uferlose Erwartungen auch uferlose Gelder zur Verfügung stehen. Die Unwahrheit dieser Aussage lastet dann nur auf den Ärzten und das ist so ungefähr das Schlimmste, was man einem Berufsstand – den man ja eigentlich umwerben will – antun kann.

Was sollte der einzelne Arzt beachten?Es wird eine EDV-Hilfe zur Kodierung geben, welche Anfang

nächsten Jahres erprobt werden soll. Wichtig ist, mindestens alle Diagno-sen anzugeben, die mit dem Behandlungsanlass – und sei es im Zweifel nur indirekt – im Zusammenhang stehen. Der Faktor Morbidität spielt bei der Honorierung ärztlicher Leistungen eine wichtige Rolle. Darum muss auch die Dokumentation der Diagnosen so präzise wie möglich sein.

Wie lautet Ihre persönliche Einschätzung zum Honorarsystem? Das Bewusstsein dafür, dass das System an seine Grenzen gestoßen

ist, dürfte nunmehr nach dem Wahlausgang vorhanden sein. Wir werden auch weiterhin das Bundeshonorarsystem umsetzen und dabei das beste Beispiel für den abgelieferten Wahnsinn abgeben. Ich würde mir eine an-dere Rolle wünschen, aber immerhin liefern wir den Beweis dafür, wohin ein zentrales Gesundheitssystem führt: Nivellierung, Tristesse, Bürokra-tie und am Ende auch „Rationierung“.

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scio. Magazin rund um das ärztliche Leben

POLITIK.

Das Universitätsklinikum Hamburg Eppen-dorf (UKE) hat sich im Wettbewerb mit seinen Mitbewerbern auf Hochleistungsmedizin spe-zialisiert und sich so im norddeutschen Markt positioniert. Diese Spezialisierung erforderte einen Paradigmenwechsel in der universitären Krankenversorgung von „Wir können und ma-chen alles“ zu „Was wir machen, machen wir besser als die anderen“. Die Spezialisierung auf die Versorgung schwer-kranker Patienten macht eine abgestimmte sektorübergreifende Behandlung erforderlich, da der Patient im Anschluss an die Rehabi-litation im ambulanten Bereich in der Regel weiterhin behandlungsbedürftig ist. Die sektor-übergreifende Abstimmung gelingt mit einem Netzwerk von Partnern in der ambulanten, stationären und rehabilitativen Versorgung. Dafür gibt es Beispiele: Die Facharztklinik Hamburg hat im Oktober 2008 ihren Standort auf das UKE-Gelände verlegt, um Synergien auch in der Krankenversorgung realisieren zu können. Seit November 2008 betreibt die AZH GmbH ein Ambulantes Operationszentrum am

Standort UKE. Niedergelassene Ärzte können die Ressourcen des Zentrums für eigene ambu-lante Operationen nutzen. Das RehaCentrum Hamburg GmbH wird Anfang 2010 seine Tore mit einem stationären und ambulanten Reha-angebot auf dem UKE-Gelände öffnen. Im

Mittelpunkt aller Überlegungen des UKE zu Netzwerkstrukturen, Kooperationen und Mo-dellen Integrierter Versorgung steht der Patient, der eine qualitativ hochwertige abgestimmte Versorgung erwarten darf, die transparent und patientenorientiert umgesetzt wird.

Hochleistungsmedizin im Netzwerk: Integrierte Versorgung im UKEDas UKE setzt auf Netzwerke, um Versorgung mit dem Patienten im Mittelpunkt  zu gestalten. Dabei sind niedergelassene Ärzte als Partner willkommen.  

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… für Psychose-Erkrankte:

Im Zentrum dieses Modells steht die Gesunderhaltung des Patienten. Das UKE

und die Kooperationspartner übernehmen die medizinische und finanzielle Ver-

antwortung für die Gesamtbehandlung der psychiatrischen Patienten. Für einen

langfristigen Therapieerfolg ist die Kontinuität der Behandlung außerordentlich

wichtig, um den Patienten bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen, Rück-

fälle zu verhindern und den Verbleib in ihrem stabilisierenden sozialen Umfeld zu

fördern. Die Behandlungskontinuität wird durch einen Bezugstherapeuten und

eine enge Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Psychiatern gesichert. Ein

eigens implementiertes Team für die Behandlung im häuslichen Umfeld schließt

darüber hinaus die bisher bestehende Versorgungslücke zwischen „ambulant“

und „stationär“ und behandelt den Patienten „vor Ort“ unter Einbeziehung seiner

Angehörigen. Die Qualitätssicherung erfolgt durch engmaschige Untersuchungen

und zeigt eine signifikant bessere Lebensqualität der Patienten, die integriert im

Netzwerk behandelt werden. Das Modell erhielt 2008 den Krankenhaus-Innova-

tionspreis der Rheinischen Fachhochschule.

… Herzpatienten:

A. In Kooperation mit der DAK versorgen das Universitäre Herzzentrum des UKE,

niedergelassene Kardiologen sowie kooperierende Rehabilitationseinrichtun-

gen kardiologisch erkrankte Patienten. Durch eine sektorübergreifende Be-

handlung mit abgestimmten Behandlungsprozessen und einer gemeinsamen

Dokumentation der Ergebnisse erhalten die Patienten eine qualitätsgesicherte

Behandlung.

B. Kern eines weiteren Versorgungskonzeptes ist eine telemedizinische Alarmie-

rung durch ein Implantat, die einen möglichen Erkrankungsrückfall frühzeitig

erkennen hilft und damit dem Patienten stationäre Aufenthalte erspart.

… Schlaganfallpatienten:

Nach einem Schlaganfall ist eine sorgfältige Patientennachsorge wichtig, um das

Risiko weiterer Schlaganfälle zu senken. Zusammen mit der DAK hat das UKE

ein innovatives, leitlinienbasiertes Nachsorgekonzept für Patienten mit akutem

Schlaganfall realisiert. Neurologen des UKE, niedergelassene Ärzte sowie speziell

ausgebildete Krankenschwestern sorgen dafür, dass der Patienten engmaschig

betreut und nach aktuellen medizinischen Standards und den neuesten wissen-

schaftlichen Erkenntnissen behandelt wird.

text | Susanne Quante & Gunda Ohm foto | Jörg Wohlfromm

R NEUE SERIE: SO LEbEN wIR INTEgRIERTE VERSORgUNg

Netzwerke statt abgeschotteter Sektoren: Die Ge-sundheitsversorgung in Hamburg und Schleswig-Holstein ist geprägt durch die Zusammenarbeit von Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und anderen Partnern. In einer neuen Serie stellt Scio vor, wie die Krankenhäuser im Norden die Integrierte Versorgung im Alltag umsetzen und welche Modelle sie anbieten.

R INTEgRIERTE VERSORgUNgSmODELLE DES UKE

Susanne Quante (links) und Gunda Ohm sind im UKE für Modelle zur Integrierten Versorgung verantwortlich.

Page 18: Scio IV/IX

IV | MMIX

POLITIK.

«Trend stoppen – oder Deutschland wird seine führende Rolle in der Labormedizin verlieren.»Immer schneller dreht sich das Fusionskarussell im Labormarkt. Von einst fast 400 Laboratorien in Deutschland sind nur noch rund 90 nachgeblieben. Scio sprach mit dem Bundesvorsitzenden des Verbandes der Laborärzte, Dr. Andreas Bobrowski aus Lübeck, über die Folgen der Entwicklung.

interview | Dirk Schnack foto | Jörg Wohlfromm

geht und der gerade für die Häuser der Maximalversorgung so wichtige unmittelbare Kontakt zwischen Labormedizinern und klinisch tätigen Kollegen deutlich erschwert wird. Ausdruck dieser Entwicklung sind die in den vergangenen Jahren zu beobachtenden Ausbrüche von Kranken-hausinfektionen und die damit verbundenen umfangreichen und kosten-intensiven Hygienemaßnahmen. Viele Fälle hätten durch eine ortsnahe und unmittelbar verfügbare Labormedizin vermieden werden können. Hinzu kommt, dass labormedizinische Abteilungen in den Krankenhäu-sern auch die transfusionsmedizinische Versorgung in vielen Regionen absichern. Darüber hinaus ist mit einer deutlichen Verschärfung der Aus-bildungssituation bei einem ohnehin schon bestehenden Mangel an gut ausgebildeten Laborärzten zu rechnen. Ich befürchte, dass Deutschland seine führende Rolle in der Laboratoriumsmedizin verlieren wird, wenn diese Entwicklung nicht gestoppt wird.

Scio: Herr Dr. Bobrowski, Konzerne drängen auf den Labormarkt. Was macht ausgerechnet den deutschen Labormarkt so attraktiv für ausländische Konzerne?Dr. Andreas Bobrowski: Der Kostendruck auf die niedergelassenen La-borärzte hat eine hocheffiziente und perfekt durchorganisierte labor-medizinische Versorgung in Deutschland bewirkt. Wir haben weltweit eines der niedrigsten Kostenniveaus. Es ist den unternehmerischen und organisatorischen Fähigkeiten deutscher Laborärzte zu verdanken, dass wir rund 84 Mio. Einwohner zeitnah und mit hoher Qualität versorgen können. Ausländische Investoren und Laborketten haben vor allen Din-gen Interesse an einer Übernahme dieses Organisationsvorsprungs, um damit in die angrenzenden europäischen Märkte vorzudringen und nicht so sehr an einer zusätzlichen Generierung von Gewinnen in Deutsch-land. Dies gilt übrigens auch für die in Deutschland tätigen Laborketten, die vor allen Dingen im osteuropäischen Raum tätig sind und dort die Versorgung der Bevölkerung mit labormedizinischen Leistungen sicher-stellen.

Die Zahl der Laboratorien ist stark rückläufig. Ist die Konzentration schädlich für den Wettbewerb?Die rückläufige Zahl von Laborstandorten in Deutschland ist nicht unbe-dingt durch eine Wettbewerbssituation verursacht, sondern hat ihre Wur-zeln vielmehr im Jahre langen Mittelabfluss aus dem Labor zu anderen Arztgruppen. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im KV-System kommt es immer wieder zu Entscheidungen, die nicht nur eine flächendecken-de Versorgung der Bevölkerung mit Laborleistungen bedrohen, sondern auch den in der Region tätigen Laboratorien ihre Existenzgrundlage entziehen. Ein Beispiel ist die Reduktion der Vergütung laborärztlicher Arbeit durch Absenkung der GOP 12220 von 65 auf 40 Punkte bei einer ohnehin schon bestehenden strengen Budgetierung dieser EBM-Ziffer. Dies hat zur Folge, dass für den ärztlichen Teil der labormedizinischen Arbeit nur noch ca. 33.000 Euro pro Jahr und Arzt zur Verfügung stehen. Ein Honorar also, das nur noch die Hälfte der von der KBV als notwendig angesehenen ärztlichen Vergütung beträgt. Hinzu kommt die finanziell schwierige Situation der Krankenhäuser in Deutschland. Auch hier ist meist der erste Reflex der Verwaltungen, angebliche Kostenverursacher wie die Laboratorien auszugliedern und an größere Laborbetriebe zu vergeben. Dabei wird zu selten berücksichtigt, dass mit diesem Schritt laborärztliche Expertise unwiederbringlich für die Kliniken verloren

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R ZUR PERSON

Dr. Andreas Bobrowski (53) ist seit 2005 erster Vorsitzender des Berufsver-

bandes Deutscher Laborärzte (BDL) und Vorsitzender des Landesverbandes

in Schleswig-Holstein. Der Laborarzt und Diplom-Chemiker ist in Lübeck nie-

dergelassen, wo er 2005 eine laborärztliche Gemeinschaftspraxis gegründet

hat. Neben seinem Amt im Berufsverband engagiert sich Bobrowski seit Jah-

ren als Kreisstellenleiter und Abgeordneter in der KV Schleswig-Holstein, wo

er als Sprecher des fachärztlichen Ausschusses die Interessen aller Fachärzte

vertritt. Bobrowski ist verheiratet und widmet seine Freizeit dem Pferdesport.

«Es ist den unternehmerischen undorganisatorischen Fähigkeiten deutscher Laborärzte zu verdanken, dass wir rund 84 Mio.Einwohner zeitnah und mit hoher Qualitätversorgen können.»

Page 19: Scio IV/IX

scio. Magazin rund um das ärztliche Leben

POLITIK.

Müssen wir um die Qualität im Laborbereich fürchten?Wir haben im stationären und im ambulanten Bereich einen hohen Qualitätsstandard, mehr als 90 Prozent aller Laboratorien sind akkre-ditiert und zertifiziert. Diese Qualität wird jedoch schlecht vergütet und deshalb schwer zu halten sein. Obwohl der Berufsverband Deut-scher Laborärzte der KBV eine Kostenstudie vorgelegt hatte, nach der ein Finanzierungsdefizit von circa 16 Prozent im Laborbereich besteht, wurden zum Anfang des Jahres 2009 die Leistungen des Speziallabors um circa 8 Prozent abgewertet. Derzeit werden die Defizite nur durch die wesentlich arztgerechtere Vergütung im PKV-Bereich aufgefangen, sodass unser Augenmerk bei einer Neuorientierung der Vergütungs-systeme auf die GOÄ gerichtet ist, die derzeit von der Bundesärzte-kammer neu bewertet wird. Hier gilt es, die allgemeine Wertschöpfung der Laboratoriumsmedizin für das Gesamtsystem deutlich zu machen. Die kann aber nur in vollem Umfang wahrgenommen werden, wenn laborärztliche Arbeit auch zukünftig in der GOÄ ausreichend finanzi-ell abgebildet ist. Die von der PKV geplante Öffnungsklausel für pri-vatärztliche Laborleistungen wird von uns abgelehnt. Hinzu kommt im GKV-Bereich der quasi komplette Wegfall der Ver-gütung für den Probentransport und die Befundrückübermittlung seit dem 1. April 2009. Seit diesem Zeitpunkt erfolgt der auch vormals nur unzureichende vergütete Transport labormedizinischer Proben quasi zum Nulltarif. Dies gilt auch für hochinfektiöse und empfindliche Materialien.

Welche Folgen hat die Entwicklung für die Mitglieder von Laborgemeinschaften?Zum vierten Quartal 2008 wurde die Direktabrechnung für Laborge-meinschaften in Deutschland eingeführt. Als Folge kam es zu Schlie-ßungen von Laborgemeinschaften, weil die Versorgung von den ansäs-sigen Laborarztfachpraxen übernommen wurde. Positiv ist allerdings zu vermerken, dass der vorher bestehende Verdrängungswettbewerb auf diesem Sektor seit Einführung der neuen Abrechnungsregeln quasi zum Stillstand gekommen ist, sodass auch die noch am Markt tätigen Laborgemeinschaften derzeit zusammen mit den Laborfachärzten die Versorgung mit allgemeinen Laborleistungen flächendeckend sicher-stellen können. Ich erwarte aber einen weiteren Rückgang der Labor-gemeinschaften, weil die monetären Defizite dieser Einheiten durch die derzeit im EBM festgeschriebenen Kostensätze bei steigenden Reagenz- und Personalkosten ständig zunehmen.Die großen Laborkonzerne streben Direktverträge mit den Krankenkassen an. Was kommt über diese Veränderung auf uns zu?Noch haben wir keine Direktverträge mit flächendeckendem Charak-ter im fachärztlichen Versorgungsbereich. Die weitere Entwicklung hängt auch von der zukünftigen Finanzierung fachärztlicher und insbesondere laborärztlicher Leistungen im Kollektivvertrag ab. Erst wenn die oben skizzierten Tendenzen sich fortsetzen und eine flä-chendeckende Versorgung mit Laborleistungen im niedergelassenen Bereich in Deutschland unmöglich machen, wird man daran denken müssen, direkt mit den Kostenträgern in Verbindung zu treten. Der-zeit gibt es solche Kontakte durch den Berufsverband Deutscher La-borärzte nicht.

Sie sind berufspolitisch engagiert – was kann man gegen die Entwicklung unternehmen?Für mich gehören berufspolitisches Engagement und ärztliche Tätigkeit unmittelbar zusammen. Wenn auch künftig eine ärzt-

lich geprägte, in den Regionen präsente Labormedizin in Deutschland möglich sein soll, müssen neben den oben schon beschriebenen Ver-besserungen der laborärztlichen Vergütungssituation vor allen Dingen Kassen und KBV ihre Politik zur Grenzkostenfindung im Labor ein-stellen. Darüberhinaus müssen die strukturpolitischen Defizite in der Labormedizin abgebaut werden. Hierzu gehört neben einer Beendi-gung des preisorientierten Wettbewerbs auf dem Gebiet der Klinik- laboratorien auch eine Einschränkung der Selbstzuweisung von Laborleistungen durch andere Facharztgruppen. Der BDL drängt hier-bei nicht nur auf eine grundsätzliche Einführung von Überweisungen im Sinne des Vier-Augen-Prinzips. Wir fordern auch die Einhaltung der vorge-gebenen Qualitätsstandards durch die Vorgaben der Bundesärztekammer, da nur so auch für unser Fach freiberufliches und ärztliches Handeln, ori-entiert an den medizinischen Erfordernissen, umgesetzt werden kann. Für den Berufsverband Deutscher Laborärzte wird es in den nächsten Jahren wichtig sein, seine Mitglieder – und dies gilt vor allen Dingen für die jünge-ren Kollegen – für berufspolitische Arbeit zu interessieren, um die unbefrie-digende Präsenz von Kollegen aus unserem Fach in den ärztlichen Gremien zu verbessern. Nur wenn uns dies gelingt, werden wir auch zukünftig unsere spezifische fachärztliche Verantwortung für das Gesamtsystem übernehmen können.

«Hier gilt es, die allgemeine Wertschöpfungder Laboratoriumsmedizin für dasGesamtsystem deutlich zu machen.»

«Hierzu gehört neben einer Beendigung despreisorientierten Wettbewerbs auf dem Gebiet der Kliniklaboratorien auch eine Einschränkungder Selbstzuweisung von Laborleistungen durch andere Facharztgruppen.»

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Page 20: Scio IV/IX

CHEFSACHE.

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Speziell operative Fächer sind von starken Prämienerhöhungen betroffen

20 IV | MMIX

Was würden Sie sagen, wenn Ihnen Ihr Versicherer mitteilt, dass sich die

Prämie für Ihre Berufshaftpflichtversicherung zur nächsten Fälligkeit mehr als

verdoppeln wird? Und sollten Sie die höhere Prämie nicht akzeptieren, wird Ihr

Vertrag aufgekündigt.

Genauso ist es kürzlich einem Urologen ergangen, der lange Jahre bei einer

Versicherungsgesellschaft versichert war. Ein Mitbewerber hatte deren recht

umfangreichen Arzthaftpflichtbestand übernommen und beginnt nun ab der

Fälligkeit 01.11.09 damit – aufgrund des in den vergangenen Jahren stark gestie-

genen Schadenaufwandes – ca. ein Drittel aller Verträge neu zu ordnen.

Noch stärker davon betroffen sind die operativ ausgerichteten Fächer

Orthopädie, Chirurgie und Gynäkologie. Aufgrund der ohnehin höheren

Nettoprämien tut eine solche Erhöhung besonders weh. Wer bislang

ca. 6.300 EUR pro Jahr zahlte, bekommt eine neue Tarifprämie von fast

14.700 EUR genannt.

Begründet wird der gestiegene Schadenaufwand z. B. mit einem geän-

derten Patientenverhalten und neuen Diagnoseverfahren. Dabei steigt

nicht etwa die Anzahl der Schäden, sondern die Höhe des einzelnen

Schadens aufgrund einer patientenfreundlichen Rechtsprechung, des

medizinischen Fortschritts und steigender Pflege- und Therapiekosten.

Auch den Berufsverband der plastischen Chirurgen hat es getroffen.

Der bisherige Rahmenvertrag wurde aufgekündigt. Die Konditionen

eines neuen Vertrages sollten um ein Vielfaches höher ausfallen als

bisher, woraufhin der Berufsverband nahezu gezwungen war, für seine

Mitglieder eine günstigere Alternative am Markt zu finden. Dieses ist

ihm zwischenzeitlich auch gelungen. Trotzdem müssen die Mitglieder

zukünftig eine Verdopplung der bisherigen Prämie hinnehmen.

Verständlicherweise ist die Verunsicherung der betroffenen Ärzte groß.

Speziell Verträge, die in der Vergangenheit schadenbelastet waren,

sind alternativ nur schwer oder gar nicht bei einem anderen Versiche-

rer einzudecken. Die oben beschriebene Übernahme des einen Versi-

cherers und die Tatsache, dass dessen Mutterkonzern zukünftig die

Heilwesenhaftpflichtsparte ausschließlich nur noch über den Tarif einer

Tochtergesellschaft abwickelt, hat dazu geführt, dass der Markt der Heil-

wesenversicherer noch kleiner geworden ist, als er ohnehin schon war.

Wie sollte man sich nun als einzelner Arzt oder als größere Kooperati-

onsform in der geschilderten Situation verhalten? Als Empfehlung kann

ich nur aussprechen, möglichst frühzeitig zu agieren und nicht erst ab-

zuwarten, bis ein entsprechendes Schreiben des Versicherers in die Pra-

xis kommt. Denn dann wird die Zeit zu handeln manchmal sehr knapp.

1.) Fragen Sie Ihren Versicherer konkret nach der Prämie, die Sie ab der

nächsten Fälligkeit zahlen sollen.

2.) Beschreiben Sie Ihr Behandlungsspektrum – speziell die operative

Ausrichtung – auf dafür vorgesehenen Fragebögen und verlangen

Sie eine individuelle Einschätzung Ihres zu versichernden Risikos.

3.) Verhandeln Sie bei einer längeren Schadenfreiheit einen gesonder-

ten Rabatt.

4.) Nutzen Sie für die Patientenaufklärung spezielle Bögen von Diomed

oder proCompliance. Einige Versicherer gewähren daraufhin einen

Rabatt von bis zu 20 Prozent.

5.) Versichern Sie sich innerhalb einer Gemeinschaftspraxis beim glei-

chen Versicherer und fordern Sie auch hierfür einen Rabatt ein.

Allerdings kommt es natürlich nicht ausschließlich auf die Versicherungs-

prämie an. Von entscheidender Bedeutung ist ebenso eine unabhängige

und seriöse Beratung. Das Vertrauen in den eigenen Versicherungsmak-

ler und dessen Kompetenz ist überaus wichtig. Ein guter Makler sollte

immer am Puls der Zeit sein und den Versicherungsmarkt nach guten und

günstigen Alternativen sondieren. Achten Sie darauf, dass Ihre Interessen

im Vordergrund stehen und nicht die des Maklers. Suchen Sie sich einen

Dienstleister, der sich auf Ihre Berufsgruppe spezialisiert hat.

FAzIt: Der Markt bietet derzeit noch günstige Haftpflichtprämien an. Wann

auch diese Mitbewerber sich den steigenden Schadenaufwendungen

stellen und ihre Prämien nach oben anpassen müssen, bleibt abzuwar-

ten. Bewahren Sie sich, solange es geht, einen Liquiditätsvorteil und

nutzen Sie diesen für wichtige unternehmerische Entscheidungen.

Berufshaftpflicht kann teuer werden

Frank Scheinpflug (36) ist Vorstand

der promedis ag in Melsdorf/Kiel

Page 21: Scio IV/IX

CHEFSACHE.F

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Fehler in der Mitarbeiterführung können zu Fehlzeiten führen.

Unsere Arbeitsunfähigkeitsdaten belegen, dass der Anteil der Arbeitsaus-

fälle wegen psychischer Erkrankungen kontinuierlich zunimmt. Auch beim

Personal in Arztpraxen liegt der Krankenstand hierfür bei rund 11 Prozent.

Die betroffenen Mitarbeiter fehlen in den Arztpraxen im Durchschnitt fast

40 Tage lang. Die Folgen sind höhere Kosten, negative Auswirkungen auf

das gesamte Betriebsklima und massive Arbeitsverdichtung in den Praxen.

Mit Aktivitäten im betrieblichen Gesundheitsmanagement lassen sich diese

Faktoren positiv beeinflussen.

Einen entscheidenden Einfluss hat das Führungsverhalten des Chefs – es

bestimmt in höchstem Maße das Wohlbefinden, die Motivation sowie die

Ausfallzeitenrate der Mitarbeiterinnen. Umfragen zeigen, dass schlechtes

Führungsverhalten neben Zeitdruck und Sorgen um den Arbeitsplatz zu den

relevantesten Faktoren zählt, die zu psychischen Fehlbelastungen führen

können. Das Problem: Die meisten Führungskräfte, auch Praxischefs, sind

sich dieser Verantwortung oft nicht bewusst. Sie schätzten ihren Einfluss

auf das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen als eher gering ein. Sie vertre-

ten oft die Meinung, dass sich jeder Beschäftigte selbst um seine Gesund-

heit kümmern sollte.

So motivieren Sie Ihre Mitarbeiter

Heike thomsen ist bei der Barmer Nord verantwortlich für Gesundheitsmanagement.

tipp 1: Pflegen Sie einen offenen Umgang mit Ihren Beschäftigten.

tipp 2: Informieren Sie zeitnah und binden Sie ihre Mitarbeiterinnen

in Entscheidungen ein.

tipp 3: Gehen Sie großzügiger mit Lob und Anerkennung um.

tipp 4: Bieten Sie Mitarbeiterinnen, die sich auffällig anders verhalten

als sonst, Ihre Hilfe an.

tipp 5: Lassen Sie Kritik an Ihrem Führungsstil zu und gehen Sie

konstruktiv damit um.

tipp 6: Ermuntern Sie Ihre Mitarbeiterinnen zu gesundheitsbezogenen

Aktivitäten und gehen Sie mit gutem Beispiel voran.

tipp 7: Formulieren Sie Ihre Erwartungen an die Beschäftigten klar

und eindeutig.

tipp 8: Halten Sie „Ihren Leuten” wo immer möglich den Rücken frei.

tipp 9: Verzichten Sie auf internen Formalismus im Umgang mit den

Angestellten, persönliche Gespräche tragen zur Motivation bei.

Neun tipps für die Motivation im Praxisteam

Page 22: Scio IV/IX

22 IV | MMIX

SprechStunde.

Einige Ärzte arbeiten nach Praxisschluss im ärztlichen Notfalldienst und machen Hausbesuche – ein lukrativer Nebenverdienst, der für manche Patienten lebensrettend ist. Wir haben einen Arzt einen Abend lang bei seinen Einsätzen in Hamburg begleitet.

Bahar sieht blass aus. Sie liegt auf ihrem Bett im ersten Stock eines Einfamilienhauses in Ham-burg-Duvenstedt und hält sich den schmerzenden Bauch. „Brechdurchfall“ hat Dr. Thorsten Münch,

53, bereits auf dem Display des Einsatzfahrzeuges gelesen. Und dass es sich um ein 19-jähriges Mädchen handelt.54 Minuten zuvor hatte Bahar die 228022 gewählt, die Tele-fonnummer des Ärztlichen Notfallfalldienstes in Hamburg. Die Mitarbeiter in der Leitstelle klären die Beschwerden ab und entscheiden dann, wie dringend die Versorgung ist – ob innerhalb von 30 Minuten, einer oder zwei Stunden ein Arzt vor Ort sein muss, ob eine telefonische Beratung ausreicht, ob der Patient in einer der beiden Notfallpraxen versorgt oder ein Rettungswagen vorbeigeschickt werden muss.Bahars Fall wurde als „normal“ eingestuft, er leuchtet grün im Display. 120 Minuten hat Thorsten Münch also Zeit, um zu ihr zu fahren. Der Facharzt für Allgemeinmedizin hat an diesem Abend von 19 bis 24 Uhr Rufbereitschaft im Bezirk Nordost. Gemeinsam mit einer Rettungsassistentin vom Fahrdienst G.A.R.D., die den 3er-BMW mit den orange-farbenen Streifen steuert, kommt er um 19:27 Uhr bei dem Mädchen an. Beide folgen der Patientin in ihr Zimmer im ersten Stock, sie hat seit 36 Stunden Durchfall, Glieder-schmerzen und sich zweimal erbrochen. Münch fragt nach Kontakten und Speisen, misst die Temperatur, 37,9 Grad, und tastet den Bauch ab. „Na, da ist ja ordentlich Orches-ter im Darm“, sagt er. „Aber der Blinddarm kann drinnen bleiben, wahrscheinlich ein Magen-Darm-Virus.“ Er gibt der Patientin eine Spritze gegen die Übelkeit, Tipps für ei-

ne Schonkost und empfiehlt ihr bei Schmerzen und wegen der leicht erhöhten Temperatur Paracetamol-Zäpfchen. Der Durchfall habe schon nachgelassen, sagt Bahar. Falls er zunähme, empfiehlt Münch noch ein allgemein bekanntes Durchfallmittel. Währenddessen fragt die Rettungsassistentin nach der Ver-sichertenkarte und füllt die Formulare aus, die Quittung für die Praxisgebühr, den Notdienstbericht für den Hausarzt und die Krankenkasse. Nach zehn Minuten sitzen die beiden wieder im Auto und melden sich bei der Zentrale: Gibt es einen weiteren Einsatz für Wagen 634? Ja, gibt es: ein 31-jäh-riger Mann in Poppenbüttel. Die Rettungsassistentin setzt den Einsatzwagen in Bewegung.500 Ärzte arbeiten in Hamburg im fahrenden Notfalldienst, 95 Prozent von ihnen sind niedergelassen, die meisten als Hausärzte. Im Jahr werden rund 120.000 Patienten in den Notfallpraxen und im fahrenden Dienst behandelt. 16 Ärzte sind unter der Woche zeitgleich im fahrenden Dienst einge-setzt, am Wochenende bis zu 21. „Viele subventionieren ihre Praxis mit den Einnahmen“, sagt Münch. 60 Euro erhalten die Ärzte pro Einsatz, Privatpatienten werden selbst abge-rechnet. Organisiert wird die flächendeckende Versorgung von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). „Seit dem 1. Juli 2007 arbeiten wir mit dem Dienstleister G.A.R.D. und nicht mehr mit dem Unternehmen Taxi Hamburg zusam-men“, sagt Melanie Vollmert von der KV Hamburg. „Da-von profitieren sowohl Ärzte als auch Patienten.“ Bei den Hausbesuchen wird der Arzt seitdem von einem fahrenden Rettungsassistenten begleitet, der im Notfall auf Anweisung Unterstützung leisten kann. Die Fahrzeuge sind mit einer medizinisch-technischen Ausrüstung, einem Bordcomputer und GPS ausgestattet.

Vom harmlosen einsatz bis zum Schlaganfall: eine nacht im hamburger notfalldienst

dr. thorsten Münch ist ein erfahrener Arzt im Notfall-dienst. Regelmäßig versorgt er Patienten auf den Ein- sätzen quer durch Hamburg.

text | Daniela Stohn fotos | Jörg Wohlfromm

So funktioniert der kassenärztliche BereitschaftsdienstIn Schleswig-Holstein ist der Notfalldienst etwas anders organisiert als in Hamburg. Die Patien-

ten rufen die einheitliche Notrufnummer 01805-119292 an. Von der zentralen Leitstelle in Bad Se-

geberg, in der auch ein Arzt sitzt, werden sie in eine der 28 wohnortnahen Anlaufpraxen in den

24 Notdienstbezirken weitergeleitet oder ein Arzt wird zum Hausbesuch geschickt. Die Anlauf-

praxen sind an Krankenhäuser mit Regelversorgung angeschlossen. Die Ärzte erhalten 50 Euro

pro Stunde. 1.141 zugelassene Vertragsärzte nahmen im August in Schleswig-Holstein am Be-

reitschaftsdienst teil, 739 davon am fahrenden Dienst. Über 260.000 Anrufe gehen im Jahr ein.

Page 23: Scio IV/IX

scio. Magazin rund um das ärztliche Leben

Dr. Thorsten Münch, ein energiegeladener Mann in Jeans und schwarzem Hemd, hält die Zusammenarbeit mit G.A.R.D. für einen großen Fortschritt: „Das Unternehmen ist gemeinnützig, kann an-ders kalkulieren als selbstständige Taxifahrer und ist dadurch preis-werter. Außerdem bietet es eine bessere Leistung und Ausstattung, denn die Ärzte haben einen echten medizinisch qualifizierten Mitar-beiter dabei, wenn sie wollen, nicht nur einen Fahrer. Sie können uns Ärzte im Notfall mit zahlreichen Handgriffen, im Normalfall beim Ausfüllen der Formulare und weiteren organisatorischen Maßnah-men unterstützen. Dadurch haben wir mehr Zeit für den Patienten.“ Leider, meint er, nähmen Umfragen unter der Ärzteschaft zufolge rund zehn Prozent der Kollegen den Rettungsassistenten nicht mit zu den Patienten. Hier, meint Münch, müsse noch Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit die Ärzte den Vorteil der neuen Regelung erkennen. Einen weiteren Qualitätsanstieg soll eine standardisierte Datenerfassung bringen, die bis Ende des Jahres eingeführt werden soll. Die Mitarbeiter der Leitstelle beantworten dann bei einem An-ruf einen Fragebogen am Computer. Mit wenigen gezielten Fragen soll so ermittelt werden, was dem Patienten fehlt und wie dringend der Fall ist.Um 19:53 Uhr kommt das Notfall-Team im Heidelerchenweg in Poppenbüttel an. Der Patient hat Fieber, Husten, Schnupfen. Im Dis-play steht: eventuell Kontakt mit einem H1N1-Patienten. Also ruft Thorsten Münch an, bevor er das Haus betritt, denn bei Verdacht auf Schweinegrippe muss er einen Schutzkittel und Maske vor dem Gesicht tragen. Er gibt aber Entwarnung: Einen direkten Kontakt zu einem H1N1-Infizierten hatte der Patient nicht, eher einen unwahr-scheinlichen Kontakt der dritten Reihe. Der 31-jährige Jurastudent sieht blass aus, hat sich aber für den Arztbesuch extra angezogen. Wieder misst Münch Fieber: 38,2 Grad. Roter Rachen, Mandeln un-auffällig, kein Ausschlag, keine Knoten, Kreislauf stabil, die Lunge ist frei. „Ein grippaler Infekt“, sagt der Arzt und empfiehlt Paracetamol

SprechStunde.

Bilder einer nacht im notdienst: Gemeinsam mit einer Rettungs-assistentin versorgt Dr. Thorsten Münch Kinder und Erwachsene – mal sind es Bagatellen, mal schwerwiegende Erkrankungen.

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24 IV | MMIX

SprechStunde.

und Ruhe. „Keine echte Grippe?“, fragt der Patient, fast ein bisschen enttäuscht. „Dann würden Sie jetzt wahrscheinlich nicht so dort stehen“, antwortet Münch. „Lieber einmal um-sonst kommen als einmal zu wenig“, meint die Mutter des Patienten zum Abschied.Thorsten Münch stimmt diesem Spruch im Stillen zu. Er macht den Job seit 25 Jahren, neben seiner Arbeit in der ei-genen Praxis in Hamburg-Lemsahl. Früher ist er 15-mal im Monat zu Einsätzen gefahren, was zu einer starken Belastung für die Familie führte. Ganz verzichten kann er auf die Ein-sätze aber aus finanziellen Gründen nicht, er hat sie auf drei im Monat beschränkt. „In den sozialen Brennpunkten“, sagt er, „gibt es deutlich mehr Einsätze als in gut situierten Wohngebieten.“ Münch hat schon viel erlebt bei seinen Einsätzen: Er wurde be-schimpft, mehrmals ist er einer Prügelei nur knapp entkom-men. Sein ungewöhnlichster Einsatz ist elf Jahre her: Damals wurde er auf den Kiez gerufen, in das Hinterzimmer einer einschlägigen Kneipe. Dort lag ein Mann reglos am Boden, mit einer Plastiktüte auf dem Kopf, überall lagen Tabletten, ein Projektor warf Pornovideos an die Wand. „Er war tot, und sein Penis fehlte“, sagt Thorsten Münch. „Später stellte sich heraus, dass er in eine Ofenklappe masturbiert hatte, mit einer Plastiktüte auf dem Kopf. Die Ofenklappe fiel her-unter und schnitt den Penis ab. Der Mann wurde ohnmäch-tig und erstickte unter der Tüte.“Oder der Bauarbeiter, grobschlächtig, 150 Kilo schwer. Er klagte über Kopfschmerzen, am Hinterkopf war eine kleine Wunde. Münch hatte ein komisches Gefühl, schickte ihn ins Krankenhaus. Die Diagnose: Ein Bolzen steckte im Gehirn – der Mann hatte nichts bemerkt. 90 Prozent der Fälle sind jedoch ganz normale Krankheiten. Auch der dritte Fall an diesem Abend gehört in diese Kate-gorie: ein vierjähriger Junge aus Sasel mit Ohrenschmerzen. „Mittelohrentzündung“, diagnostiziert Münch nach Blicken in Hals und Ohren. Er verschreibt ein Antibiotikum, nach Rücksprache mit der Mutter, erklärt verschiedene Behand-lungsansichten der Ärzte. Nasentropfen und Paracetamol haben die ausnahmsweise mal aufgeklärten Eltern im Haus.Warum die harmlosen Fälle – wie auch der vierte Fall, ein Mann mit Rückenschmerzen – nicht auf den nächsten Mor-gen vertröstet werden, wenn die Hausarztpraxis wieder ge-öffnet ist? „Wir sind eine Luxusgesellschaft, die Anspruchs-haltung der Patienten ist enorm und ihr medizinisches Grundwissen schlecht“, sagt Münch. Und warum sollten der Junge und der Rückenpatient warten bis zum nächsten Tag,

obwohl sie Schmerzen hätten? Einige Ärzte im fahrenden Notdienst kritisieren, dass die Leitzentrale kaum einen Anrufer abweist. Münch hält da-gegen: „Wir arbeiten nach dem Grundsatz: Der Patient hat mehr, als er denkt. Ich fahre im Zweifel lieber hin und schaue mir den Patienten an. Es gibt Menschen, die haben Kriege erlebt und können sehr viel aushalten. Selbst im Notfall wür-den sie keinen Rettungswagen rufen, wegen der vermeintli-chen Peinlichkeit. Natürlich gibt es viele Banalitäten: Pati-enten, die den Notdienst aus Bequemlichkeit anrufen, alte Menschen, die allein sind und Kontakt brauchen. Psychische Erkrankungen nehmen einen Großteil der Fälle ein. Oft hat man das Gefühl ausgenutzt zu werden, wenn die Patienten gerade heraus erklären, zu faul gewesen zu sein, zum Haus-arzt zu gehen.“Wie recht er jedoch mit seiner Devise hat, lieber einmal zu-viel hinzufahren, zeigt sein fünfter und letzter Fall an diesem vergleichsweise ruhigen Abend. Um 23:02 Uhr geht ein Ein-satz auf dem Display ein, eine 66-jährige Frau im Altenheim Hospital zum Heiligen Geist in Poppenbüttel mit Muskelzu-ckungen und Fieber. Der Fall ist als normal eingestuft, keine Dringlichkeit also. Münch untersucht die Frau. Sie leidet an Epilepsie, Diabetes, Bluthochdruck und hatte schon einen Schlaganfall. Während Münch sie abhört, die Grundwerte untersucht, Blutdruck, Puls, Atmung, Zustand der Haut, Temperatur, verdreht sie plötzlich die Augen. Jetzt kommt Bewegung in das Team: Die Rettungsassistentin holt nach kurzer Anordnung den Notfallkoffer aus dem ein Stockwerk tiefer stehenden Fahrzeug. Münch legt schnell einen venösen Zugang. Dies müsse sofort geschehen, erklärt er, manchmal sind die Venen plötzlich weg, der Patient im Schock, dann wird’s kniffelig. Die linke Seite der Patientin ist gelähmt – Schlaganfall. Die Rettungsassistentin hat die Infusion bereits vorbereitet, sie legt ein EKG an, misst die Sauerstoffsättigung und aus dem frisch gestochenen Blutstropfen den Blut- zucker – der ist normal. Parallel ruft das Team den Rettungs-dienst der Feuerwehr und fordert ein Notarzteinsatzfahr-zeug nach.Um kurz nach Mitternacht steht Thorsten Münch wieder vor seinem Haus in Lemsahl, endlich Feierabend. Ob er mit seinen lebensrettenden Maßnahmen heute Schlimmeres ver-hindert hat, weiß er nicht. Er wird auch nicht erfahren, wie es der Frau geht, dazu sind es zu viele Kranke, die er betreut. „Aber der Fall zeigt, dass ein als harmlos eingestufter Einsatz sich schnell zum richtigen Notfall auswachsen kann“, sagt er. „Und dafür ist der ärztliche Notfalldienst schließlich da.“

R Zur perSOn

dr. thorsten Münch, Jahr-

gang 1956, ist Facharzt

für Allgemeinmedizin und

ausgebildeter Rettungs-

mediziner. Seit 1984 fährt

er regelmäßig nachts und

an Wochenenden im ärzt-

lichen Notfalldienst in

Hamburg und in Groß-

britannien. Seit 1993 leitet

er seine Hausarztpraxis in

Hamburg-Lemsahl. Die

Reform des Notfalldiens-

tes in Hamburg mit dem

Wechsel zu G.A.R.D. und

die standardisierte Daten-

erfassung in der Leitzen-

trale, die Ende des Jahres

eingeführt wird, hat er

maßgeblich miterarbeitet.

Er ist alleinerziehender

Vater von zwei Kindern.

Auch Ärzte im notdienst kommen nicht ohne Doku-mentation aus. Nicht immer ist dafür Zeit, manchmal geht es um Sekunden.

Page 25: Scio IV/IX

25scio. Magazin rund um das ärztliche Leben

CARTOON.

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IGR ZUR PERSON

Joscha Sauer Er kann rabenschwarz, hintergründig, absurd und manchmal auch herrlich sinnfrei: Joscha Sauer zeichnet seit neun Jahren bekloppte Yetis, lebensmüde Lemminge und schräge Gestalten aus der Medizin. Die Humorperlen des ge-bürtigen Frankfurters gibt es in Buchform beim Carlsen-Verlag und unter www.nichtlustig.de.

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26 IV | MMIX

MEINUNG.

Die ambulante Öffnung der Krankenhäuser nach § 116 b SGB V hat den entschiedenen Protest niedergelassener Ärzte hervorgeru-fen. Den Krankenhäusern, die die Möglich-keiten anbieten, wird inzwischen mit Zuwei-serboykott gedroht und Klageverfahren wer-den eingeleitet. Sind die Sorgen und Protes-te begründet?Zur Erinnerung sei zunächst einmal auf die Entwicklungen hingewiesen, die wir vor dem § 116 b SGB V hatten. In vielen – zumeist länd-lichen Regionen der Republik – gab es nach Ansicht der Politik und der Patientenverbän-de Versorgungslücken und Wartezeiten für bestimmte Erkrankungen. Die KVen hatten wieder einmal die mahnenden Hinweise der Öffentlichkeit und Politik nicht ernst genom-men und gingen – auf Druck der niedergelas-senen Ärzte – äußerst kleinlich mit Ermächti-gungen für Klinikärzte um. Noch heute ertei-len die KVen Ermächtigungen im Stile eines Königlich Preußischen Landgerichts nach der „Salamitaktik“ à la „darf es noch 10 Gramm weniger Ermächtigung sein:“ Mit den einge-schränkten Ermächtigungen konnten die Kli-nikfachärzte teilweise gar nichts anfangen; für die Patienten kommen irrwitzige Patienten-wege über viele Entfernungskilometer heraus, vom Hausarzt über den Facharzt zum er-mächtigten Arzt – usw.Da hat nun der Gesetzgeber die Nerven ver-loren und 2007 eine neue Regelung getrof-fen – den § 116 b SGB V. Gedacht hatte er

bei dieser Vorschrift sicherlich insbesondere an ländliche Regionen und weniger an über-versorgte Großstädte. In dieser Regelung liegt also das Problem, dass es auf die Regionen in Deutschland differenziert angewendet wer-den muss – und nicht nach dem Gießkan-nenprinzip. Führt wie an der Westküste – einem Klassiker für Unterversorgungsregi-onen – diese Regelung zu keinen größeren Problemen, so kann es in Kiel oder Hamburg unabgestimmt zu einem Verdrängungswett- bewerb kommen. Und darin liegt das Pro-blem.In Schleswig-Holstein hat die Landesregie-rung einen konsequenten Kurs gefahren – nämlich weitgehende Öffnung und Ver-pflichtung der Krankenhäuser zu Koopera-tionen mit den niedergelassenen Fachärzten. Die KVSH hat diesen Kurs zähneknirschend, aber konstruktiv begleitet. Trotzdem wird die Musik, die in der ambulanten Öffnung der Krankenhäuser drin ist, von vielen als Lärm – sprich Konfrontation – empfunden.In den Westküstenkliniken ergibt sich eine Win-win-Situation, weil die niedergelassenen Ärzte in vielen Bereichen gedeckelte Leistun-gen erbringen, die sie von der KV nicht mehr vergütet bekommen. Als Konsiliararzt für § 116 b SGB V erhalten sie eine finanzielle Beteiligung, sodass sie damit zusätzliche Vergütungsmöglichkeiten erhalten. Die Leistungen müssen allerdings in der Klinik erbracht werden.

Inzwischen hat das Westküstenklinikum Hei- de acht Ärzte in die Leistungserbringung nach § 116 b SGB V eingebunden. Von den 5.000 Leistungen des WKK nach § 116 b SGB V werden ca. 25 Prozent von niedergelassenen Ärzten erbracht. Dadurch hat § 116 b SGB V einen Nebeneffekt, den die Politik vermut-lich gar nicht eingeplant hatte. Die niederge-lassenen Fachärzte und Klinikkollegen arbei-ten partnerschaftlich mit den gleichen Räu-men, Geräten, dem gleichen Assistenzperso-nal und das für den Patienten wahrnehmbar an einer zentralen Stelle zusammen. Fachli-cher Austausch und gemeinsame Fortbildun-gen werden von allen als Qualitätsverbesse-rung empfunden. Die ewig Gestrigen hin-gegen betrachten diese Zusammenarbeit als Enteignung, Staatsmedizin, DDR-Poliklinik und den Untergang des Abendlandes – den es zu verhindern gilt.Geht es nicht vielmehr darum, partnerschaft-liche Auswege für die drohende Versorgungs- und Finanzkrise im Gesundheitswesen zu finden, die dem niedergelassenen Facharzt seine Selbstbestimmung erhält? Glaubt denn wirklich noch jemand, dass die Facharztdop-pelstruktur unangetastet erhalten bleibt? Wa-rum dann nicht schnelle vorzeigbare gemein-same Lösungen – unter Beachtung der der-zeitigen Gegebenheiten? Den Gegnern sei ge-raten, ihre Einstellung schnell noch einmal kritisch zu überdenken.

Wenn Kliniken ambulant versorgenZwischen sinnvoller Ergänzung und ungleichem Wettbewerb: Die ersten Wogen um den umstrittenen Paragrafen 116 b schlugen hoch. Je nach Region und Fachrichtung fürchten niedergelassene Ärzte aber auch heute noch, dass die Kliniken ein übermächtiger Konkurrent in der ambulanten Versorgung werden.

«Paragraf 116 b führt zu einer Win-win-Situation.»

Es geht um partnerschaftliche Auswege aus der Versorgungskrise.

Harald Stender istVerwaltungschef der

Westküstenkliniken Heide und Brunsbüttel, wo

seit Jahren über drohende Versorgungslücken

diskutiert wird.

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Page 27: Scio IV/IX

27scio. Magazin rund um das ärztliche Leben

MEINUNG.

Für bestimmte seltene Krankheiten oder für Krankheiten mit besonderem Verlauf, z.B. bei Kindern nach einer Herztransplantation, sind Spezialambulanzen in den Zentren medizinisch sinnvoll. Dort wird dann Expertise gebündelt. Patienten mit einem problematischen Verlauf werden seit Jahren von den niedergelassenen Ärzten und den Zentren in einem bewährten Versorgungsmodell gemeinsam versorgt. § 116 b SGB V sieht die „bedarfsunabhängi-ge Zulassung von Krankenhäusern zur am-bulanten Erbringung bzw. Behandlung hoch-spezialisierter Leistungen, seltener Erkran-kungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen vor“. In dem Katalog werden seltene Erkrankungen und Krankhei-ten mit besonderem Verlauf aufgezählt, aber auch das gesamte Fach der Kinderkardiologie und nicht seltene Krankheiten wie die Herz-insuffizienz der Erwachsenenmedizin. Die betroffenen Patienten wurden bisher durch niedergelassene Spezialisten hoch qualifiziert versorgt und persönlich betreut.Die niedergelassenen Vertragsärzte sind Re-gulierungen unterworfen wie der Budgetie-rung, also einer Honorarbegrenzung, sowie einer Leistungsbegrenzung. Sie haben eine personenbezogene Zulassung. Nur die von ihnen persönlich erbrachten ärztlichen Leis-tungen werden honoriert.Die Klinikzulassungen gemäß § 116 b sind dagegen nicht personenbezogen, sodass auch nicht spezialisierte Ärzte z. B. kinderkardio-

logische Leistungen erbringen können. Die Kliniken werden nicht der Budgetierung unterworfen, eine Leistungsbegrenzung be-steht nicht. Das wirtschaftliche Ungleichge-wicht und die Wettbewerbsverzerrung wer-den durch die Möglichkeit der Quersubven-tionierung innerhalb der Kliniken sowie die Finanzierung über Spenden verstärkt. Die bedarfsunabhängigen Zulassungen von Klinikambulanzen werden bei fehlender Budgetierung und fehlender Leistungsbe-grenzung zu einer Leistungsausweitung und zu einer Kostensteigerung im Gesundheits-system und somit zu Mehrkosten für die So-lidargemeinschaft führen. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit der ambulanten Leistungser-bringer, die kein wirtschaftliches Interesse an stationären Einweisungen haben, geht verlo-ren. Die Aufhebung der Trennung von ambu-lanten und stationären Leistungserbringern wird zu einer Zunahme der stationären Auf-nahmen führen. Es werden zukünftig z. B. die Neugeborenen mit Herz-Kreislauferkrankun-gen aus den Geburtskliniken in die Klinikam-bulanzen verwiesen und in den Ambulanzen weiter betreut. Diese Patienten erreichen die kinderkardiologischen Schwerpunktpraxen nicht mehr. Der gesetzlich verankerte Wettbe-werbsvorteil für die Kliniken wird so z.B. zum Zusammenbruch der wohnortnahen famili-enorientierten ambulanten kinderkardiologi-schen Versorgung durch niedergelassene Kin-derkardiologen führen.

Auswirkungen des § 116 b SGB V für die Pa-tienten und Angehörigen:• Verlust z. B. des bewährten integrativen Ver-

sorgungsmodells der wohnortnahen familien-

orientierten ambulanten kinderkardiologischen

Versorgung,

• längere Fahrwege,

• Verlust der Transparenz für die Patienten. Es

wird keine Transparenz der ambulanten Versor-

gung mehr bestehen, da die Trennung von am-

bulanten und stationären Leistungserbringern

aufgehoben wird, auch durch Zunahme der

Medizinischen Versorgungszentren der Klinik-

träger mit hausärztlichen Praxen als Ein- und

Zuweisungspraxen,

• Verlust der objektiven und klinik-neutralen

Beratung durch wirtschaftlich unabhängige

Ärzte bezüglich der Empfehlung einer Klinik

zur Durchführung von Operationen und Inter-

ventionen und Verlust der Wahlmöglichkeiten

für die Patienten,

• Verlust der engen persönlichen Beziehung zwi-

schen Patienten und deren Angehörigen wie

Eltern kranker Kinder und den behandelnden

Ärzten,

• Verlust der persönlichen Erreichbarkeit der be-

handelnden Ärzte außerhalb der Sprechzeiten

sowie an Sonn- und Feiertagen, z. B. für Eltern

mit schwer herzkranken Kindern,

• Verschlechterung der medizinischen Versor-

gung. In Klinikambulanzen werden auch nicht

speziell ausgebildete Ärzte Patienten, wie z. B.

herzkranke Kinder, untersuchen.

Scheinbar unversöhnlich standen sich im

vergangenen Jahr Krankenhäuser und nieder-

gelassene Ärzte in Hamburg gegenüber, als es

um Genehmigungen für die ambulante Versor-

gung durch Kliniken für ausgewählte Erkran-

kungen ging. In Schleswig-Holstein dagegen

einigte man sich weitgehend geräuschlos hin-

ter den Kulissen. Heute wird der Paragraf 116 b

in vielen Regionen in Norddeutschland gelebt

– aber die Sorgen vieler Praxisinhaber sind ge-

blieben. Trägt der Paragraf tatsächlich – wie

vom Gesetzgeber und Krankenhausverbänden

behauptet – zu einer sinnvollen Ergänzung der

Versorgung bei oder ist er ein Instrument, mit

dem Praxen übermächtige Konkurrenz beschert

wird?

R Schreiben Sie uns Ihre Meinung!Redaktion Scio, mediageno Verlags GmbH

Bahnhofstr. 1–3, 23795 Bad Segeberg

E-Mail: [email protected]

«Ungleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen Kliniken und Praxen.»

Bedarfsunabhängige Zulassungen führen zu Leistungs- ausweitungen und Kostensteigerungen im Gesundheitswesen.

Dr. Karl Robert SchirmerFacharzt für Kinder- und

Jugendmedizin mit den Schwerpunkten Kinder-

kardiologie und Sport-medizin, seit 1993 in

Hamburg niedergelassen.

R Info

Paragraf 116 b Absatz 2–5 SGB V: Eine Klinik darf hoch spezialisierte Leistungen für Patienten mit seltenen Erkrankungen und besonderen Krank-heitsverläufen erbringen, wenn ein entsprechender Antrag des Krankenhausträgers vom Land geneh-migt worden ist. Dabei soll die „vertragsärztliche Versorgungssituation“ berücksichtigt werden. Eine „einvernehmliche Bestimmung“ der Klinik soll mit allen bei der Krankenhausplanung Beteiligten „an-gestrebt“ werden – sie ist aber nicht vorgeschrieben. Das kann dazu führen, dass eine Genehmigung auch gegen den Widerstand der niedergelassenen Ärzte erteilt wird.

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28 IV | MMIX

HausbesucH.

text | Nicola Sieverling fotos | Jörg Wohlfromm

Ein Stadtteil ohne Pädiater: Diese Herausforderung war ganz nach dem Geschmack von Dr. Adnan Akbaba. Scio hat ihn beim Praxisstart beobachtet.

Steilshoop, die „Bronx an der Elbe“ – ein sogenannter Problemstadtteil im Nordosten. Hoher Ausländeran-teil und viele Arbeitslose, die sich zwischen den Häu-

serschluchten die Zeit vertreiben. Der Flur im dritten Stock des Hochhauses am Einkaufszentrum wirkt schmuddelig. Ein Ort weit jenseits der Gemütlichkeit. Grauer Linoleum und abgeschlagene weiße Wände strahlen Tristesse aus. Im Treppenhaus steht schon eine leere Schnapsflasche. Es ist ge-rade erst 9.30 Uhr. Unten am Hauseingang hängt ein hand-geschriebener Hinweis an der Ärztetafel. Er verkündet die Neueröffnung der Kinderarzt-Praxis am 7. September 2009. Eine Woche später als geplant für Dr. Adnan Akbaba. „Die Renovierung hat so lange gedauert. Ich habe selbst noch die Fenster geschrubbt, damit wir fertig werden“, sagt er beinahe etwas entschuldigend. Das mag man ihm kaum abnehmen, denn der erste Eindruck, der sich dem Praxisbesucher beim Öffnen der Tür bietet, ist wie eine farbenfrohe Explosion für die Augen. Von den Wänden strahlt es grün, gelb und orange. Die Stühle im Wartezimmer und die Tische in Kin-derhöhe setzen das bunte Farbenspiel fort. Der dunkle Holz-fußboden sorgt für einen warmen Kontrast. Tierbilder mit Mutter Giraffe und ihrem Nachwuchs sowie drei schlafen-den Kätzchen in der Hängematte bringen die Kinderaugen zum Staunen. Bei den kleinen Praxisbesuchern ist jedoch das Poster mit Hundebabys in verschiedenfarbigen Turnschuhen sitzend der Favorit. „Die hat alle meine Frau ausgesucht“, sagt der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. Etwas Fröhlichkeit kann der türkischstämmige Mann mit den sanften braunen Augen auch gut brauchen, denn in das „gol-

dene Nest“ hat sich Dr. Adnan Akbaba nicht gerade gesetzt. Sein Vorgänger hat die Praxis überarbeitet verlassen: Zu ge-ringe Bezahlung, zu hohe Arbeitsbelastung – da lohnte sich die Arbeit in Steilshoop nicht mehr. Neun Monate lang stand die Praxis leer. Neun Monate lang mussten die Eltern mit er-krankten Kindern oftmals lange Fahrten und Wartezeiten in benachbarte Stadtteile wie Bramfeld und Barmbek auf sich nehmen. Lokalpolitiker empörten sich über „Zwei-Klassen-Medizin“. Dann bewarb Akbaba sich und erhielt per Son-derbedarfszulassung von der KV das erhoffte grüne Licht. „Steilshoop – ein Stadtteil mit Charakter“ steht auf dem Banner an der Hochhauswand gegenüber von einem seiner zwei Behandlungszimmer. Die Botschaft wirkt irgendwie fehl am Platze für diese öde Gegend. Für den Kinderarzt ist es eher ein ermutigender Willkommensgruß. Er hat die ein-zige pädiatrische Praxis in einem Stadtteil mit 4.000 Kindern. Warum tut sich das ein Arzt mit der Option auf andere Perspektiven in schöneren Stadtteilen mit einem gesunden Anteil an Privatpatienten an? „Ich wollte auf jeden Fall dahin, wo ich Menschen mit Migrationshintergrund un-terstützen kann. Als Arzt genieße ich bei diesen Menschen hohes Ansehen und kann auch Einfluss beispielsweise in Er-ziehungsfragen nehmen“, lautet die überraschende Antwort. Als Sozialarbeiter könne er das nicht. Dr. Adnan Akbaba nennt ein Beispiel aus seiner Tätigkeit als Vertretung für eine Kinderarztpraxis in Neuwiedenthal. Da habe er einer türkischstämmigen Familie gut zureden können, die begabte Tochter auf eine weiterführende Schule zu schicken. „Es geht so viel menschliches Potenzial verloren. Das ist ein großer Verlust und dagegen möchte ich etwas machen“, ergänzt er und schaut seinem Gegenüber fest in die Augen. Das klingt beinahe zu bescheiden, um es zu glauben – hat Steilshoop einen „Anwalt der Kinder“ erhalten, der sich diesen hehren Zielen verschrieben hat?Erkältung, Bauchweh oder aufgeschlagene Knie – das Be-handlungsspektrum ist bei 4.000 Kindern breit gefächert. Wie im Taubenschlag geht es an diesem Vormittag in der neuen Praxis jedoch nicht zu. „Es ist erstaunlich ruhig“, sagt Kristine Gartz. „Aber das wird sich ganz schnell ändern, wenn sich hier herumgesprochen hat, dass es wieder einen Kinderarzt gibt.“ Die einzige Vollkraft im insgesamt vier-köpfigen Frauenteam hinter dem mit einem Froschmuster verzierten Empfangstresen muss es wissen: 15 Jahre lang hat sie die jeweiligen Kinderärzte in Steilshoop begleitet und de-ren wachsenden Frust erlebt, wenn nach 12-Stunden-Tagen das Budget am Ende doch nicht ausreichte.

R ZuR PeRsONDr. adnan akbaba (42) ist Sohn türkischer Gastarbeiter,

kam mit fünf Jahren nach Hamburg. Nach Abitur und Stu-

dium erwarb er Praxiserfahrungen in einer Kinderarztpraxis

in Wilhelmsburg und in einer Klinik bei Leipzig. Danach zog

es ihn nach Hamburg zurück, wo er drei Jahre im Kranken-

haus Mariahilf arbeitete und dort seinen Facharzt für Kin-

der- und Jugendmedizin machte. Als Vertretung arbeitete er

lange Zeit in einer Kinderarztpraxis in Neuwiedenthal, die er

gern übernehmen wollte. Die KV zog jedoch einen anderen

Bewerber vor. Durch einen Zeitungsbericht wurde Akbaba

auf die Versorgungslücke in Steilshoop aufmerksam. Er lebt

mit seiner ebenfalls türkischstämmigen Frau und seinen

Kindern in Hausbruch.

ein Kinderarzt wagt die existenzgründung in steilshoop

steilshoop ist nicht gerade ein Vorzeigeviertel für Hamburg. Hier kümmert sich Dr. Adnan Akbaba um die ambulante kinder-ärztliche Versorgung.

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Dafür ist Multi-Kulti-Kreativität gefordert. Die meisten Mütter, die mit ihren kranken Kindern kommen, sprechen nur türkisch – die Muttersprache ihres Kinderarztes, der seine meist kopftuchbedeckte Klientel wie alte Bekannte be-grüßt. So wie die junge Mutter mit ihrer dreijährigen Toch-ter, die an diesem Morgen zur Impfung gekommen ist. Ihre Nachfragen zum Impfpass beantwortet die 18-jährige Eylem. Die Türkin ist Kinderarzthelferin im ersten Jahr. Sprachbar-rieren gibt es dennoch. Bei der Untersuchung eines afrikani-schen Babys mit seiner englisch sprechenden Mutter kommt auch der Kinderarzt in Bedrängnis. Seine Sprachkenntnisse sind lückenhaft. Wie kann er der Mutter nachdrücklich er-klären, dass der aus vollem Halse schreiende Junge viel Flüs-sigkeit zu sich nehmen muss? Die fehlenden Worte macht Dr. Adnan Akbaba mit einer liebevollen Untersuchung wett. Sie ist einfühlsam und bedächtig. Immer wieder nimmt er das Kleinkind in den Arm und tröstet es. Bauchschmerzen tun eben weh. Der Arzt scheint in diesen Augenblicken alle Zeit der Welt zu haben.Zeit ist für Akbaba aber ein wertvolles Gut. „Ich muss in dieser Gegend an der Masse arbeiten“, sagt der Kinderarzt. Zehn Minuten, so habe er ausgerechnet, dürfe er sich ma-ximal mit einem kleinen Patienten aufhalten. Mindestens 1.500 kranke Kinder müssen es pro Quartal sein, damit die Praxis wirtschaftlich arbeiten kann. „Wenn uns die Patienten die Tür einlaufen, kann ich mir die Zeit, die ich mir jetzt noch nehme, einfach nicht mehr leisten“, sagt der Kinder-

arzt. Das klingt ernüchternd. Von Beginn an der finanzielle Druck im Nacken – und eine verantwortungsvolle Arbeit in einem Brennpunktviertel, das jeder andere Arzt mit be-triebswirtschaftlicher Ader meidet. Dazu eine Klientel, die im Gegensatz zu Erwachsenen bei Schmerzen oder Angst vor dem Arzt lauthals schreit, durch die Flure rennt und auch beim Spiel im Wartezimmer munter plappert. Kindergar-tenatmosphäre und Dauerstress in geballter Doppelladung. Der finanzielle Lohn dafür eher schmal. „Es geht mir nicht nur ums Geld. Ich will helfen“, bekräftigt Dr. Adnan Akbaba erneut. Außerdem müsse er ja nicht hungern, auch wenn er fünf Kilometer entfernt mehr Geld verdienen könne. „Ich kenne die Zahlen. Das Honorar reicht für meine Familie und mich.“ Teure Urlaube brauche er ohnehin nicht. „Die Eltern meiner Frau haben an der Mittelmeerküste eine kleine Wohnung. Da ist es traumhaft schön“, schwärmt der Kinderarzt. Stolz fügt er hinzu: „Hier war bislang ein weißer Fleck in Steilshoop. Zu meiner Eröffnung kamen Ärzte und Apotheker und haben mir gratuliert. Morgen kommt ein Kinderchirurg, der mich kennen lernen möchte. Die Leute freuen sich doch, dass ich hier bin.“ Dr. Adnan Akbaba hält kurz inne und ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Dann entschwindet er in das Behandlungszimmer. Die vierjährige Hanna hat seit Tagen Fieber und Husten. Die besorgten El-tern erhoffen sich Rat und Hilfe von dem neuen Kinderarzt. Der mit den bunten Wänden und den niedlichen Tierpos-tern im Hochhaus gleich neben ihrem Einkaufszentrum.

HausbesucH.

In der neuen pädiatrischen Praxis von Dr. Adnan Akbaba haben triste Töne keinen Platz. Die Steils-hooper Praxis besticht durch ihre helle und freundliche Atmosphäre.

«Ich wollte auf jeden Fall dahin, wo ich Menschenmit Migrationshintergrund unterstützen kann. Als Arzt genieße ich bei diesen Menschen hohes Ansehen und kann auch Einfluss beispielsweise in Erziehungsfragen nehmen.»

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Hauptsache Sport!Gar nicht so einfach: Man arbeitet 50 bis 60 Stunden in der Praxis und soll nebenbei auch noch den eigenen Körper fit halten, um gesund zu bleiben. Wie Ärzte es schaffen, trotz des Arbeitsstresses regelmäßig Sport zu treiben und sich dabei auch noch wohl zu fühlen.

text | Daniela Stohn

PRAXISSCHLUSS. FitneSS.

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«Bewegung ist die beste Medizin,um Krankheiten vorzubeugen.» Dr. Frank Busemann, Sportlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Präventivmedizin in Damp

Verschwitzt steht Dr. Peter Kühnelt im Zielbereich des Heldenlaufes in Hamburg-Blankenese. Geschafft, 21 Kilometer in 1:44,39 Stunden. „Das hat wirklich

Spaß gemacht“, sagt der niedergelassene Pneumologe mit Praxis in Wedel (Kreis Pinneberg) zufrieden. Dreimal pro Woche hat er für den Halbmarathon trainiert, immer mitt-wochs nachmittags, freitags abends und am Wochenende, jeweils zwischen 60 und 90 Minuten. „Klar muss man sich manchmal aufraffen, wenn man kaputt aus der Praxis nach Hause kommt“, sagt der 44-Jährige. „Aber laufen hat ja neben dem Herz-Kreislauf-Training auch einen Anti-Stress-Effekt. Danach bin ich meist ausgeglichen und entspannt.“ Der Wettkampf war für ihn ein persönlicher Test: Wie fit bin ich, wie weit kann ich mich überwinden? Auch im Winter will er weiterlaufen, denn er hat festgestellt: Wenn er regelmäßig Sport treibt, fühlt er sich besser. „Und wenn das Wetter mal nicht mitspielt, gehe ich an das Ruderergometer, das ich im Keller stehen habe“, so Kühnelt.Als Arzt ein gutes Vorbild zu sein, ist gar nicht so einfach: Da soll man, nach rund zehn Stunden in der Praxis, nach Fei-erabend auch noch seinen Körper fit halten. Schließlich, so empfehlen es viele Ärzte selbst ihren Patienten, hält Sport gesund. „Bewegung ist die beste Medizin, um Krankheiten vorzubeugen“, sagt Frank Busemann, Sportlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Präventivmedizin in Damp. „Ein Großteil der heutigen Zivilisationskrankheiten wie Adiposi-tas, Diabetes Typ II und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind durch Bewegung vermeidbar oder verbesserbar. Zudem lässt sich über Bewegung Stress abbauen, den Stoffwechsel ver-bessern und die Vitalität steigern.“Viele sportmedizinische Untersuchungen belegen, dass sportlich Aktive älter werden und seltener krank sind, sich besser fühlen und weniger gestresst sind. Besonders mo-derates Ausdauertraining ist eines der besten Präventions-mittel, um Krankheiten und Risikofaktoren zu verhindern. Doch noch immer ist ein großer Teil der Deutschen nicht oder nur unzureichend aktiv: 43,8 Prozent der Männer und 49,5 Prozent der Frauen zwischen 18 und 80 Jahren treiben gar keinen Sport, so die Deutsche Gesellschaft für Sportme-dizin und Prävention.Regelmäßige Bewegung hat nicht nur vorbeugende Effekte: Wer Sport macht, ist auch bei der Arbeit leistungsorientier-ter. Trainierte Menschen haben in Drucksituationen Vorteile: Sie erholen sich nach einem hektischen Arbeitstag wesent-lich schneller. Denn die hormonelle Stressregulation verbes-sert sich durch körperliches Training deutlich. Ein Körper,

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R WeLCHeR SPoRt füR Wen geeIgnet ISt

Jeder braucht den Sport, der zu ihm passt und den Alltag kompensiert. ehrgeizige Menschen sollten langsamere Sportarten wie nordic Walking oder

Schwimmen wählen, um sich zu entspannen. Andere Sportarten wie Badminton, tennis oder Beachvolleyball erfordern wiederum ein Mindestmaß an

Fitness und eignen sich deshalb nicht für Menschen, die viele Jahre inaktiv waren. Ob man gerne läuft, Radrennen fährt oder Yoga macht, hängt von der

Persönlichkeit ab: ist Harmonie wichtig oder sucht man Ruhe, Risiko oder Abwechslung? Will man Spaß oder lebenslange Gesundheit? Das sollte man sich

bewusst machen, bevor man sich für eine Sportart entscheidet – um langfristig dabei zu bleiben.

R WeLCHeR SPoRt PASSt zU IHnen?

AusdauersportVorteil: hoher Gesundheitsfaktor, mental entspan-

nend. nachteil: kann eintönig sein.

Für Ärzte, die zeitlich sehr belastet sind, aber

etwas für ihre Gesundheit tun wollen und den in-

neren Schweinehund überwinden können.

teamsportVorteil: hoher Geselligkeitsfaktor, feste Zeiten.

nachteil: zum teil Gelenk belastend, hohe Verlet-

zungsgefahr, man verpflichtet sich zur teilnahme.

Für Ärzte, die den Spaßfaktor brauchen, um am

Ball zu bleiben.

entspannungssportVorteil: positiv für die mentale Ausgeglichenheit.

nachteil: kein Herz-Kreislauf-training.

Für Ärzte, die sich abgehetzt und innerlich unru-

hig fühlen.

KraftsportVorteil: gut für die Haltung, entlastet die Gelenke,

findet im Studio unter Aufsicht statt, hoher Gesel-

ligkeitsfaktor.

nachteil: die Ausdauer wird nicht trainiert, oft ein-

tönig.

Gut für Ärzte, die Wert auf ihr Äußeres legen und

Probleme am Halteapparat haben.

R So übeRWInden SIe den InneRen SCHWeIneHUndgute Vorsätze nicht verschieben, sondern sofort angehen!Die Laufschuhe schon am Vorabend an die tür

stellen, den Wecker eine halbe Stunde früher pro-

grammieren, die Sporttasche immer griffbereit im

Kofferraum oder im Büro haben.

nicht übertreiben!Wer zu hart und zu oft trainiert, fühlt sich zer-

schlagen und kaputt, die Motivation sinkt. Besser:

moderat beginnen und langsam steigern. Gut

funktioniert das mit einem festen trainingsplan.

einen Sport mit Spaßfaktor suchen!Wer sich quält, wird langfristig nicht dabei bleiben.

Ausprobieren, was gut tut, und bei der Sache blei-

ben, und zwar bei einer. Gleichzeitig Diät machen,

mit dem Rauchen aufhören, schwimmen gehen

und Hanteltraining, das ist kaum zu schaffen. Also:

kleine Ziele setzen und diese auch durchhalten.

Mit einem freund verabreden!Zusammen machen viele Sportarten deut-

lich mehr Spaß, Unterhaltung lenkt von der

Anstrengung ab und lässt die Zeit schneller ver-

gehen. Und auch das Aufraffen fällt nicht mehr

so schwer. Wenn man weiß, dass ein Freund war-

tet, überlegt man sich sehr genau, ob man absagt.

R dIe HäUfIgSten AUSReden, WARUM HeUte KeIn SPoRt MögLICH ISt:Ich habe keine zeit. Alles eine Frage der Prioritätensetzung: Wer Sport

treiben möchte, kann ein Work-out einplanen wie

Kinobesuche oder Freunde treffen.

ich mache nicht oft genug in der Woche Sport –

dann bringt es doch nichts.

Falsch: Lieber wenig Sport als gar nicht!

Sport ist mir zu anstrengend.Falsch: Bei Ausdauersport kann man bequem noch

nebenbei reden und trotzdem das Herz-Kreislauf-

System trainieren. trainieren Sie, solange es ihnen

Spaß macht, und steigern Sie sich langsam, ohne

sich zu überanstrengen.

Sport ist langweilig.Das muss nicht sein! Verabreden Sie sich, legen Sie

einen bestimmten tag in der Woche fest. im Fit-

ness-Studio können Sie auf dem Laufband oder

dem Spinning-Rad zur Unterhaltung nebenher

Musik hören oder Fernsehen.

Ich habe keine Lust.Akzeptiert, aber es gibt überzeugende Gründe da-

gegen: Sport hält gesund, jung und straff, macht

leistungsfähig und fit. Wer dennoch keine Lust hat –

Spaziergänge und Gartenarbeit verschaffen auch

Bewegung.

der regelmäßig läuft oder springt oder schwimmt, meldet auch bei der Arbeit zuverlässiger, wann der Organismus zu ausgepowert ist – und wann stattdessen eine Pause oder Fei-erabend angesagt ist. Und: Wer sich fit hält, beugt Erschöp-fungszuständen vor, und zwar gleich doppelt, denn auch die Bewegung selbst hilft gegen Grübeleien und Sorgen.All das ist Ärzten natürlich bekannt. Aber viele handeln nicht danach. Oft werden zeitliche Belastung und Stress als Grund genannt. Busemann empfiehlt solchen gestressten Ärzten das Laufen als „einfachste Form der Bewegung“: „Man kann es überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit machen. Für Bewegungswillige mit orthopädischen Einschränkungen ist eher Schwimmen oder Radfahren empfehlenswert. Nordic Walking eignet sich hingegen für die sehr kontrollierte Be-lastung. Unter dem Strich muss ich aber sagen, dass man ei-nen Sport finden muss, der Spaß macht, da keiner gegen sein Naturell langfristig Motivation aufbaut.“

Ergänzend sollten ein leichtes Krafttraining zur Verbesse-rung der Haltemuskulatur und ein regelmäßiges Stretching zur Verbesserung der Beweglichkeit durchgeführt werden. Für mental sehr angespannte Menschen bieten sich auch Sportarten wie Golfspielen oder Yoga an.Dr. Martin van Bömmel, Kinderarzt mit Praxis in Hamburg-Othmarschen fährt jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Pra-xis und zu Hausbesuchen. Wegen der hohen Arbeitsbelas-tung hat er sich eine Sportart gesucht, deren zeitlicher Auf-wand übersichtlich ist. Montags, mittwochs und freitags steigt er außerdem nach Feierabend in seinem Keller auf das Fahrradergometer und strampelt eine halbe Stunde, bis ihm die Puste ausgeht. „Da ich den ganzen Tag mit dem Kopf ar-beite, finde ich es sehr entspannend, nach Feierabend mei-nen Körper auszupowern“, sagt van Bömmel. „Danach bin ich wieder fit – für meine Familie und den nächsten Arbeits-tag.“

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nach der Praxis: triathloner war noch niemals auf Hawaii. Aber seine Ausdauer und Leidenschaft werden Dr. Bernhard Bambas wohl auch noch auf die insel der Sehnsucht aller ironmen bringen. ein Besuch bei einem Augenarzt, der seine Freizeit dem Ausdauersport verschrieben hat.

text | Dirk Schnack fotos | Jörg Wohlfromm

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«Ich will wissen, wo meine Leistungsgrenze liegt.»

Dr. Bernhard Bambas, Augenarzt aus Bad Segeberg

R zUR PeRSon

bambas (46) ist schon als Jugendlicher er-folgreicher Leistungs-schwimmer gewesen. Heute trainiert er hauptsächlich Radfah-ren und Laufen. Der Augenarzt ist in Ge-meinschaftspraxis mit seiner Frau Carmen in der innenstadt von Bad Segeberg nieder-gelassen. Die beiden haben zwei Kinder und wohnen in Klein Rön-nau. Bambas ist Lan-desvorsitzender des Berufsverbandes der Augenärzte in Schles-wig-Holstein.

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Ein unbeschreibliches Gefühl. Die letzten Meter auf rotem Teppich, links und rechts davon Tribünen mit Tausenden von Zuschauern, die einem zujubeln.“

Wenn Dr. Bernhard Bambas vom Zieleinlauf des Ironman in Frankfurt erzählt, fangen seine Augen an zu leuchten. Und das ist nicht selbstverständlich, wenn man als Hobbysportler schon so viel erreicht hat wie Bambas. Als Jugendlicher war er Landesmeister im Schwimmen, während des Studiums begann er mit dem regelmäßigen Laufen. Er hat unzählige 10-Kilometer-Wettkämpfe, Halbmarathon-Distanzen und Marathonläufe absolviert. Irgendwann wird das Routine. Doch wenn der 46-jährige vom Ironman erzählt, spürt man sein inneres Feuer. 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilo-meter Radfahren und zum Abschluss die Marathondistanz von 42,195 Kilometer: Jede einzelne Disziplin des Triathlons würde einen normal trainierten Hobbysportler überfordern. Bambas hat diese Herausforderung vor drei Jahren in Frank-furt gemeistert. Nach elf Stunden und zwei Minuten war er am Ziel des Wettkampfs, aber nicht seiner Träume.Das heißt Hawaii. Auf der Insel findet jährlich der Klassiker aller Ironmen statt. Wer den Triathlon auf Hawaii absolviert hat, zählt zu den Besten. Doch die Qualifikation ist eine Aus-lese, gegen die jeder Marathon eine Lachnummer ist. Denn der Weg nach Hawaii führt nur über die kontinentalen Aus-scheidungswettkämpfe. Für Deutschland wird die begrenz-te Startzahl in Frankfurt vergeben. Um einen dieser raren Plätze zu erreichen, muss der Augenarzt noch viel Ausdauer beweisen. „Ich habe erst in vier Jahren eine Chance“, sagt Bambas. Denn in dem Jahr wird er 50 Jahre alt und startet in einer neuen Altersstaffel – und wäre der jüngste Jahrgang. Bei den austrainierten Triathleten macht ein Jahr Altersun-terschied viel aus. Bis dahin aber ist es ein weiter Weg. Alles muss stimmen, wenn ein Ironman gelingen soll. Am wichtigsten: Der Kör-per muss mitspielen. Bambas ist einer von denen, die von ernsthaften Verletzungen verschont geblieben sind in ihrer Sportlerkarriere. Eine achtwöchige Pause wegen Problemen mit der Achillessehne – mehr war bislang nicht. Die Diszip-lin, um den Körper vorzubereiten, bringt er mit. Zehn Stun-

dr. bernhard bambas in seiner augenärztlichen Praxis (oben) und bei den drei Disziplinen des triathlon: Schwimmen, Radfahren und Laufen. Alle drei Ausdauersportarten trainiert er in der nähe des Segeberger Sees.

«Mit Vorbereitung kann eigentlich jeder fünf Kilometer schaffen,

es muss nur langsam genug sein.» Dr. Bernhard Bambas

den Ausdauertraining pro Woche sind für ihn normal. In der Vorbereitung auf einen wichtigen Wettkampf schraubt er diese Zeit auf 15 Stunden hoch. Doch immer mehr trai-nieren bringt irgendwann kaum noch Verbesserungen. Bam-bas hat sein Training umgestellt auf mehr Intervalltraining und kürzere, belastende Einheiten. Auf Hobbyläufer wirkt sein Lauftraining deshalb wie ein Spurt, obwohl er dabei mehr Kilometer abspult als andere in der ganzen Woche. Und wenn er mit seinem Carbon-Rennrad über die Straßen rund um den Segeberger See fährt, sind Autofahrer verblüfft über die hohe Geschwindigkeit. Nur beim Schwimmen lässt Bambas es „etwas ruhiger“ angehen. Als früherer Leis-tungsschwimmer schafft er in dieser Disziplin ohnehin gute Zeiten. Um sich hier noch zu verbessern, wäre ein zu hoher Trainingsaufwand erforderlich.

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Bei seiner Frau Carmen und seinen Kindern Alina (14) und Johannes (11) stößt Bambas mit seiner Leidenschaft auf Verständnis. Er weiß aber auch, dass er ihnen viel ab-verlangt. Die Starterlaubnis für den Ironman in Frankfurt – und damit die Erlaubnis zur Ausweitung des ohnehin schon zeitraubenden Trainings – schenkte ihm seine Familie zum Geburtstag. Und er versteht es, mit seiner Leidenschaft an-zustecken. Beide Kinder sind Leichtathleten. In der Praxis motivieren Bernhard und Carmen Bambas die Mitarbei-ter zur Teilnahme an kleineren Sportveranstaltungen. „Mit Vorbereitung kann eigentlich jeder fünf Kilometer schaffen,

es muss nur langsam genug sein“, lautet seine Einstellung. Viele Patienten in der 1993 gemeinsam mit seiner Frau er-öffneten Praxis wissen, wie Bambas seine Freizeit verbringt. In einer Ecke des Arztzimmers hängen Fotos und Urkunden wichtiger Wettkämpfe. „Viele sprechen mich darauf an. Fast alle finden das gut – und man hat einen Aufhänger für ein Gespräch“, erzählt Bambas. Dafür lässt er sich auch gern

einmal von seinem ansonsten straff durchorganisierten Ar-beitsalltag ablenken.So akribisch wie der Praxisablauf ist auch sein Training geplant. Eine Hightech-Uhr am Armgelenk zeichnet alle wichtigen Körperwerte auf. Im heimischen Arbeitszimmer werden die Daten auf den Trainingsplan im Computer über-tragen. Bambas vergleicht anhand der Daten seine Form und kann sein Training bei Bedarf daran anpassen. Akribie, Disziplin, Unterstützung der Familie und sicherlich auch Talent haben ihm geholfen, sich im Laufe der Jahre im-mer weiter zu verbessern. Läufer wissen seine jüngst aufge-stellte Marathonbestzeit von drei Stunden und elf Minuten und seine 10-Kilometer-Zeit von 38 Minuten einzuordnen. Für Laien sind allein die bewältigten Distanzen schon un-vorstellbar. Doch es geht dem Augenarzt nicht um die Be-wunderung der Menschen und nicht um den Vergleich mit den anderen. „Ich will wissen, wo meine Leistungsgrenze liegt“, sagt Bambas. Deshalb kann er heute auch nicht sa-gen, wie sein Training eines Tages aussehen wird, wenn seine Leistung abfällt. Laufen, „nur“ um etwas für seine Gesund-heit zu tun, ist für ihn schwer vorstellbar. Vielleicht kommt er dann wieder dazu, das nachzuholen, was der Sport seit Jahren kaum zulässt: Lesen, und zwar Lektüre jenseits von Medizin- und Sportzeitschriften.

Wer einen triathlon bewältigen will, muss sein training detailliert planen. Oben Rechts: Zahlreiche Urkunden und Fotos in der Praxis bieten Bambas´ Patienten Gesprächsstoff.

«Viele sprechen mich darauf an. Fast alle finden das gut – und man hat einen Aufhänger für ein Gespräch.» Dr. Bernhard Bambas, Augenarzt aus Bad Segeberg

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VORSCHAU. KLEINANZEIGEN.

Carl Culemeyer ist nicht untätig!

Was, wenn der Arzt krank wird?

VORSCHAU AUF DIENÄCHSTE AUSGABE:

Im kommenden Heft hakt Carl Culemeyer wieder nach. Künf-tig geht der SCIO-Kolumnist auch Alltagsärgernissen nach.

Der Schwerpunkt im nächsten scio: Auch Ärzte werden krank. Wir berichten, welche Absicherungen für die Praxis sinnvoll sind.

Carl Culemeyer

2010Die Serie

geht weiter!

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