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MAGAZIN FÜR INTERNATIONALE POLITIK, KULTUR UND ENTWICKLUNG Südwind Pdf-Edition thema Nr. 1-2 Februar 2011 Das gute Leben thema Nr. 1-2 Februar 2011 Das gute Leben Gerhard Pliessnig/pixelio.de, Dieter Schütz/pixelio.de, skeiwoker/pixelio.de. Montage: Sanja Jelic

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MAGAZIN FÜR INTERNATIONALE POLITIK, KULTUR UND ENTWICKLUNG

Südwind Pdf-Edition

thema Nr. 1-2 Februar 2011

Das gute Lebenthema Nr. 1-2 Februar 2011

Das gute Leben

Gerhard Pliessnig/pixelio.de, Dieter Schütz/pixelio.de, skeiwoker/pixelio.de. Montage: Sanja Jelic

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Die Begriffe Fortschritt, Entwick-lung und Wachstum haben sichderart hartnäckig als pseudo-religiöse Symbole in unsereWeltsicht eingegraben, dass

selbst die tiefen Krisen der letzten Jahrediese Grundpfeiler nicht wesentlich er-schüttern konnten. Auch wenn das Ge-bäude des Spätkapitalismus Risse be-kommen hat, wenn Wissenschaftler undGlobalisierungskritikerinnen ihre war-nenden Stimmen erheben: Medienleuteund Politiker bis hin zu Gewerkschafts-führern, Männer und Frauen, werdennicht müde, den Wachstumsfetisch wieein Mantra zu beschwören. Und wahr-scheinlich glauben sie auch selbst daranund betrachten das Wirtschaftswachs-

tum als einziges probates Mittel zur Lö-sung der aktuellen Probleme wie Armut,Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung usw.Die Steigerung des Bruttoinlandspro-dukts ist ihr einziges Leitbild, an ihmorientiert sich ihr Denken und Handeln.Wie einseitig und verfälschend dieserLeitindikator ist, wird schon seit Jahrenin Fachkreisen diskutiert. Es sind jedochStaaten aus dem so genannten Süden desErdballs, die vorzeigen, dass Alternativennicht nur denkbar, sondern auch um-setzbar sind.

Die indigene Vision menschlicherEntwicklung: „Wir, das souveräne VolkEcuadors, beschließen, … eine neueForm des zivilen Zusammenlebens in derVielfalt und in Harmonie mit der Natur

Liebe Leserin, lieber Leser!

Südwind, das Magazin für Internationale Politik, Kultur und Entwicklung, bringtseiner Leserschaft näher, was Globalisierung für die Regionen des Südens tat-

sächlich bedeutet, wie sie das Leben der Menschen in Nord und Süd prägt undwelche politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Fort- und Rück-schritte zu verzeichnen sind.

Über die aktuelle Berichterstattung hinaus gibt Südwind Monat für Monat ein„Thema“ vor. Unter diesem Titel wird auf zehn Magazinseiten komplexen relevan-ten globalen Fragestellungen in verständlicher Sprache und in einer Vielfalt journa-listischer Formen nachgegangen. Im Laufe der Jahre ist dadurch eine Art entwick-lungspolitisches Nachschlagewerk entstanden, auf das auch lange nach dem erstenErscheinen gerne zurückgegriffen wird.

Ausgewählte Südwind-Beiträge zum -„Thema“ veröffentlichen wir in einerSonderausgabe als pdf-file, um sie möglichst vielen Leserinnen und Lesern zugäng-lich zu machen.

Falls wir Ihr Interesse geweckt haben und Sie Lust auf mehr Südwind-Lesestoffverspüren, schicken wir Ihnen gerne ein Probeexemplar zu.Natürlich können Sie auch gleich ein Abonnement bestellen:nähere Infos dazu finden Sie auf der letzten Seite dieser Aus-gabe.

Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen

Dr. Irmgard KirchnerChefredakteurin Südwind-Magazin

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Das kleine Himalaya-Königreich Bhutan

hat schon seit Jahren die Steigerung des

geistigen und psychischen Wohlbefin-

dens seiner Bürger und Bürgerinnen zum

obersten Prinzip seiner Politik auserko-

ren. Die Andenstaaten Ecuador und Boli-

vien haben die alte indigene Tradition

des „Guten Lebens“ als Leitprinzip in ih-

re neue Verfassung aufgenommen. Auch

in den Industriestaaten des Nordens er-

fährt diese neue alte Weltsicht immer

mehr Zustimmung und Interesse.

Werner Hörtner

Sumaq Kawsay oderdas Bruttonationalglück

themaDas gute LebenRedaktion dieses Themas: Werner Hörtner

35 Politik für Glück. Im Süden wie im Norden erfährt diese neue alte Weltsicht immer mehr Zustimmungund Interesse.

39 Literatur- und Web-Tipps

40 Die Frauen und das Gute Leben. Die feministischeVision und Erfahrung stärken die Umsetzung desKonzepts.

42 Gemeinwohl-Ökonomie. Eine Alternative zu kapi-talistischer Markt- und zentraler Planwirtschaftbaut auf menschlichen Stärken und mehrheitsfähi-gen Werten auf.

43 Weniger ist mehr. Die Schwerpunktsetzung auf dieQuantität macht Menschen und den Planeten krank.

44 Literatur- und Web-Tipps

DAS GUTE LEBEN

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Ein anderer wesentlicher Unterschiedzwischen den beiden Weltsichten liegt imStellenwert der Ökonomie. Seit vielenJahrzehnten werden in den westlichenGesellschaften und ihren Nachahmerndie wirtschaftliche Aktivität, der freieMarkt, das Wirtschaftswachstum ver-herrlicht und als Grundlage für ein „gu-tes Leben“, für ein immer noch besseresLeben gesehen. Für andere Gesellschaf-ten stehen andere Aspekte des Lebens imVordergrund: das Wissen und die ge-meinsamen Erfahrungen, menschlicheWerte, die spirituellen Beziehungen zurUmwelt usw.

Wenige Monate nach Ecuador, im Jänner2009, wurde – nach langen und teilweiseblutigen innenpolitischen Auseinander-setzungen – in Bolivien mit einer Mehr-heit von 62 Prozent der abgegebenenStimmen eine neue Verfassung ange-

nommen. Und auch hier ist das Prinzipdes „Guten Lebens“ als konzeptuelle undrechtliche Leitlinie in die Magna Chartaaufgenommen. Neben der Erfüllung derGrundbedürfnisse wie Essen, Trinken,Wasser, Gesundheitsversorgung und Bil-dung spielt auch in der bolivianischenVerfassung die Beziehung zur Pachama-ma, zur Mutter Erde, als philosophisch-rechtliche Kategorie eine tragende Rolle.

aufzubauen, um das gute Leben zu errei-chen, das Sumaq Kawsay.“ Mit diesemeinfachen Satz beginnt die Präambel derneuen ecuadorianischen Verfassung, dieEnde September 2008 von zwei Drittelnder Wählerinnen und Wähler angenom-men wurde.

Dieses Sumaq Kawsay, das in der Einhei-mischensprache Kichwa so viel wie „gu-tes Leben“ bedeutet, hat jedoch mit un-serer an materiellen Genüssen orientier-ten Lebenseinstellung so gut wie nichtszu tun. Es ist vielmehr ein philosophi-sches Konzept der indigenen Völker derAndenregion, wo Wissen und Erfahrun-gen, soziale und kulturelle Anerkennung,spirituelle Werte in der Beziehung zwi-schen Gesellschaft und Umwelt, zwi-schen Menschen und Natur eine großeRolle spielen.

In einigen der folgenden Verfassungs-artikel wird die indigene Vorstellung des„Guten Lebens“ in einem zeitgemäßenrechtlichen Rahmen umgesetzt. Fort-schritt ist im indigenen Kontext immerzu denken als sozialer Fortschritt undnicht als eine Akkumulierung techni-schen Wissens und materiellen Wohl-stands wie bei uns. So ist in der Verfas-sung festgelegt, dass der Staat die Verant-wortung für die soziale Absicherung füralle Bürger und Bürgerinnen trägt unddass dieses Sozialversicherungssystemnicht privatisiert werden darf.

Auch die die Ökonomie betreffendenArtikel sollen der Umsetzung des SumaqKawsay dienen. Hier sind allerdings Kon-flikte vorprogrammiert, da die staatlichePolitik der Ressourcennutzung immerwieder in Widerspruch gerät zum indige-nen Interesse, den eigenen Lebensraumzu schützen und zu bewahren.

In der Verfassungspräambel wird derNatur und Pachamama, der Mutter Erde,gehuldigt, „von der wir ein Teil sind unddie für unsere Existenz von vitaler Be-deutung ist“. Der Staat verpflichtet sichzum Schutz der Artenvielfalt und derÖkosysteme, Gentechnik ist verboten.

„In den indigenen Gesellschaften exis-tiert das Konzept der Entwicklung nichtin der Form, wie es in westlichen Ansät-zen vorherrschend ist. Das heißt, die Ideeeines linearen Prozesses von einem Aus-

gangszustand zu einem späteren Zustandwird nicht geteilt und somit auch nichtdas Konzept von Unterentwicklung, dieüberwunden werden müsste.“ So um-reisst Alberto Acosta, ehemaliger Ener-gieminister und Präsident der Verfas-sunggebenden Versammlung Ecuadors,einen der grundlegenden Unterschiedezwischen dem indigenen und demabendländischen Weltbild.

Was heißt hier„gut leben“?

E in Slogan, der wie ein Allgemein-platz anmutet, erregt plötzlich

weltweites Aufsehen. Vielleicht ist esgerade die Unverbindlichkeit dieserFormulierung, die ihr so große At-traktivität verleiht? Wenn man sichdie verschiedenen Facetten dieses Be-griffes ansieht, so wird man schnellsehen, dass der Unterschied bei denverschiedenen Interpretationen desWörtchens „gut“ liegt. „Gut leben“bedeutet für die Manager ein vielstel-liges Bankkonto, auch wenn sie wederZeit noch Energie haben, ihr Geld ge-nüsslich auszugeben; unsere Bobosund Lohas verstehen darunter einmateriell gut abgesichertes Dasein,das sie mit gutem Gewissen genießenkönnen; für viele Menschen auf derganzen Welt bedeutet es eine Absi-cherung ihrer Grundbedürfnisse, dieihnen ein einigermaßen menschen-würdiges Leben erlaubt.

Doch nicht nur bei uns wird derAusdruck „gut leben“ verschiedeninterpretiert; ihm liegt auch ein we-sentlich anderes Verständnis in dertraditionellen indigenen Weltsichtund in der materiellen europäischenSichtweise zu Grunde.

Die Grüne Bildungswerkstatt Öster-reich hat das Konzept des „Guten Le-bens“ zum Jahresschwerpunkt für2010 ausgewählt. Die deutsche Zeit-schrift „Luxemburg“, ein Magazin fürGesellschaftsanalyse und linke Praxis,hat kürzlich eine lange Analyse des„Guten Lebens“ als Alternative zumNeoliberalismus, als gegenhegemoni-alen Prozess publiziert. Beide meinenwohl nicht genau dasselbe, doch nä-hern sie sich jenem Verständnis, dasin dem vorliegenden Themenschwer-punkt vertreten und ausführlich dar-gestellt wird: Das „Gute Leben“ alsein Weltbild, in dem der soziale Fort-schritt, die psychische Zufriedenheit,die spirituellen Werte im Mittelpunktstehen.

Auch wenn dieses Verständnis vom„Guten Leben“ in unseren Breiten-graden immer schon AnhängerInnenhatte, so sind es nunmehr Länder desso genannten Südens, die die Über-zeugung, dass Fortschritt und Ent-wicklung am kollektiven Wohlbefin-den der Menschen gemessen werdensollen und nicht am Bruttoinlands-produkt, in ihre politische Praxis um-setzen. Hier hätten unsere politischenund wirtschaftlichen Entscheidungs-trägerInnen noch ein großes Lernfeldvor sich. Werner Hörtner

Fortschritt ist im indigenen Kontext immer zu denken als sozialer Fortschritt und nicht

als eine Akkumulierung technischen Wissens und materiellen Wohlstands wie bei uns.

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Dazu gehört, dass die natürlichen Res-sourcen gemeinschaftliche Güter gesell-schaftlichen Eigentums sind und nichtprivatisiert werden dürfen.

Schon im September 2008 hatte Präsi-dent Evo Morales auf der UN-General-versammlung den Geist der neuen Ver-fassung in zehn Geboten zusammenge-fasst, die seiner Meinung nach geeignetsind, „den Planeten, die Menschheit unddas Leben zu retten“. Als zehntes Gebotnannte Morales das „Gute Leben“: „Wir,die indigenen Völker dieses Planeten,wollen einen Beitrag leisten für eine ge-rechte, vielfältige und ausgeglichene

Welt, die einschließt und nicht aus-grenzt.“

Für seine Verdienste um einen neuenUmgang mit der Natur und der Umweltwurde dem bolivianischen Präsidentenvon der UN-Generalversammlung imDezember 2009 der Titel „World Hero ofMother Earth“ verliehen.

David Choquehuanca ist AußenministerBoliviens und wie sein Freund Evo Mo-rales Angehöriger des Volkes der Ayma-ra. Er begann sich schon früh in derBauernbewegung zu engagieren, absol-vierte ein Philosophiestudium undunterrichtete ab 1990 selbst in La Paz aneiner Universität Geschichte und An-thropologie. Der Minister ist auch einerfahrener Kenner der Weltsicht der in-digenen Völker der Andenregion und ei-ner der Architekten des Artikels 8 der

neuen bolivianischen Verfassung, in demdie Werte und Ziele des „Guten Lebens“angeführt sind.

Der Mensch, auch wenn man ihn alsMitglied eines Kollektivs betrachtet, der

für das Gemeinwohl mitverantwortlichist, ist nicht die Krone der Schöpfung.Hier liegt wohl der größte Unterschiedder andinen Kosmovision zum christ-lich-abendländischen und auch zum kol-

lektivistischen asiatischen Weltbild. „Füruns, die wir einer Kultur des Lebens an-gehören, ist nicht das Silber am wichtig-sten oder das Gold und auch nicht derMensch – der kommt überhaupt erst anletzter Stelle. Am wichtigsten sind dieFlüsse, die Luft, die Berge, die Sterne, dieAmeisen, die Schmetterlinge“, sagt derbolivianische Außenminister.

Nicht Toleranz stehe im Mittelpunktdes Zusammenlebens, sondern der Res-pekt gegenüber der Mitwelt, der sichnicht nur auf die Menschen, sondernauch auf alle tierischen, pflanzlichen undmineralischen Lebewesen bezieht. Dennjedes Ding gilt als beseelt, die Schneckegenau so wie der Baum und der Stein.

Eine wichtige Rolle nimmt auch dieZusammengehörigkeit und die gegensei-tige Unterstützung innerhalb der lokalenGesellschaft ein, die zugleich eine plane-

tarische, eine Weltgesellschaft ist. Bei derVereidigung des neuen Kabinetts im Jän-ner 2010 erhob Außenminister Choque-huanca als Sprecher der Regierung dasPrinzip des „Guten Lebens“ zum Regie-

rungsprogramm: „Wir werden einen ein-heitlichen Willen der Veränderung aus-drücken, der unseren plurinationalenStaat mit Entschlossenheit auf den Wegdes Guten Lebens führt.“

Der ecuadorianische Wirtschafts-wissenschaftler Pablo Dávalosspricht davon, dass der Kapita-lismus und sein Fortschrittsden-ken eine der schlimmsten undtiefsten Krisen provoziert haben,

welche die Existenz der ganzen Mensch-heit auf der Erde gefährdet: „Der Tag wirdkommen, an dem das uralte Wissen derindigenen Völker die einzige Möglichkeitzeigen wird, den Planeten vor der Ver-wüstung des freien Marktes zu retten.“Die Wissenschaftler im Norden werdenzwar „herablassend darüber lächeln“,prophezeit der Ökonom, und die andineWeisheit als Anekdote der lateinamerika-nischen Politik abtun. Doch so rein indi-anisch, wie es vielleicht auf den erstenBlick anmutet, ist diese Kosmovision kei-neswegs. Auch in unseren Breitengradengibt es Denker und Wissenschaftlerinnen,�

das g ute leben thema

Die Philosophie des „Guten Lebens“ bedeutet einen völligen Paradigmenwechsel,

eine Gesamtalternative zu den Krisen des Kapitalismus und der Zivilisation.

Im ganzen Raum

des ehemaligen

Inka-Reiches fin-

den sich Statuen

der Pachamama,

der Mutter Erde.

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mühen, diejenigen Bedingungen zu för-dern, die das Streben nach Bruttonatio-nalglück ermöglichen.“

Diese nicht-ökonomischen Ziele um-fassen eine große Bandbreite sozialer,kultureller und ökologischer Aspekte.Das psychische Wohlbefinden der Bevöl-kerung ist eines der Hauptziele der Ent-wicklung á la Bhutan, deren Pfeiler dieFörderung einer ganzheitlichen Gesund-heit, eines kreativen Bildungssystems, ei-nes respektvollen Umgangs mit der Na-tur darstellen. Da die Kultur Bhutansstark buddhistisch geprägt ist, kommtauch spirituellen Haltungen und Akti-vitäten eine große Bedeutung zu, wieMeditation, Gebet, geistige Ausge-

glichenheit. Wichtig ist auch eine guteRegierungsführung, getragen von Effi-zienz, Ehrlichkeit und Qualität.

Zur Messung des Bruttonational-glücks wurden 72 Variabeln in neun Be-reichen ausgearbeitet, in der auch die

emotionale Seite menschlicher Erfah-rung, etwa die persönliche Wahrneh-mung von Gesundheit, von Zufrieden-heit und Sicherheit einen großen Stellen-wert einnehmen. In den Statistiken, dieauf einer Messung nach den Indikatorendes Bruttoinlandsprodukts beruhen, istdas kleine Himalaya-Königreich einesder ärmsten Länder der Welt.

die zum Konzept des Guten Lebens einNaheverhältnis entwickelt haben. Etwader in Wien geborene, vom Nationalsozi-alismus aus Österreich vertriebene Theo-loge und Philosoph Ivan Illich mit seinerradikalen Kritik am westlichen Entwick-lungsmodell. Oder der erst vor zwei Jah-ren an seinem 97. Geburtstag verstorbenenorwegische Philosoph und Tiefenökolo-ge Arne Naess. Der US-amerikanischeForstwissenschaftler Aldo Leopold (1887– 1948) gilt als Pionier der Ökologie undder Naturschutzbewegung; er hat schonab 1923 eine Ethik der Nachhaltigkeitentwickelt. Voraussichtlich im Mai 2011wird in Hamburg das zweite Aldo Leo-pold-Symposium veranstaltet.

Abendländische Wurzeln eines ande-ren Konzepts von Entwicklung kannman aber selbst in der Antike schon fin-den. Für Aristoteles war das Eu zen, das„gut leben“, an und für sich erstrebens-wert, worunter er sich ein tugendhaftesVerhalten in einem für die Mitmenschenund die Umwelt förderlichen Ausmaßvorstellte.

Bei Aristoteles und den abendländi-schen Denktraditionen des „Guten Le-bens“ werden aber auch grundlegendeUnterschiede zum indigenen Weltbilddeutlich: die dominante Rolle des Indivi-duums in Gesellschaft und Entwicklung,die Überlegenheit des Menschen über dieNatur und schließlich das Primat derMänner über die Frauen. Diese werdendem „Guten Leben“ der Männer unter-geordnet oder gar daraus ausgeschlossen,während in der indigenen Tradition dieGeschlechter komplementäre Polaritätensind, die sich kosmologisch in der Ord-nung der Natur spiegeln. Pachamama,die Mutter Erde, ist das lebensschaffendeweibliche Prinzip des andinen „GutenLebens“.

Das kleine Königreich Bhutan am Dachder Welt hat schon vor vielen Jahren er-kannt, dass ein tragfähiges Entwick-lungsmodell neben materiellen auchzahlreiche andere Elemente enthaltenmuss. Der damalige König Jigme SingyeWangchuck hat in den 1970er Jahren be-gonnen, seine Vorstellung eines „gutenLebens“ umzusetzen und ein Konzeptdes kollektiven Wohlbefindens ausgear-

beitet. An Stelle des Bruttoinlandspro-duktes als Maß der Entwicklung setzte erdas „Bruttonationalglück“ (Gross Natio-nal Happiness, GNH).

Kern dieses Konzepts ist die gleichge-wichtige Förderung von ökonomischenund nicht-ökonomischen Zielen, wie esin der neuen Verfassung des Landes ver-ankert ist: „Der Staat soll sich darum be-

Auf der Suche nach der Vermessung desGlücks: Es ist interessant zu beobachten,wie das alte indigene Konzept des „GutenLebens“ aus dem südamerikanischenAndenraum weltweit immer mehr An-klang findet und immer mehr in der Dis-kussion über die Indikatoren von Wohl-stand und Zufriedenheit an Bedeutunggewinnt. Das Bruttoinlandsprodukt alsGrundlage zur Messung des Wohlstandsist in den letzten Jahren immer mehr un-ter Beschuss geraten. Nicht nur in Fach-kreisen. Frankreichs Präsident NicolasSarkozy hat im Februar 2008 Nobelpreis-träger Joseph Stiglitz mit der Bildung ei-ner Kommission beauftragt, um „die Be-schränkungen des BIP als Indikator für

die Wirtschaftslage und den sozialenFortschritt“ zu untersuchen. Im Septem-ber 2009 hat die aus 25 Mitgliedern, dar-unter fünf Nobelpreisträger, bestehendeKommission ihren Abschlussbericht vor-gelegt und darin Empfehlungen zurWeiterentwicklung der statistischen Be-richterstattung in den Bereichen Wirt-schaft, Lebensqualität und Nachhaltig-keit/Umwelt präsentiert.

Die OECD, die Organisation für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung, arbeitet schon seit 2004 an ei-nem „Globalen Projekt zur Messung desFortschritts von Gesellschaften“. Damals

„Für uns kommt der Mensch erst an letzter Stelle. Am wichtigsten sind die Flüsse,

die Luft, die Berge, die Sterne, die Ameisen, die Schmetterlinge“,

sagt der bolivianische Außenminister David Choquehuanca.

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Bhutan hat wohl ein niedriges Bruttonational-

produkt, doch einen hohen Zufriedenheitsgrad in

der Bevölkerung. Rechts (mit gelbem Schulter-

tuch) Jigme Khesar Namgyel Wangchuck, seit vier

Jahren König des kleinen Himalaya-Reiches.

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wurde bei einem Treffen in Palermo eineKoordinationsgruppe gebildet, die seit-dem neue Referenzpunkte für Alternati-ven zum BIP diskutiert und ausarbeitet.

Ende Oktober 2009 veranstaltete dieOECD im Rahmen dieses Forschungs-projekts in Busan in Südkorea das dritte„Weltforum für Statistik, Wissen undRegeln“. An die 2.000 (!) Fachleute ausaller Welt diskutierten realitätsnahe In-dikatoren zur Messung des Wohlstandesder Bevölkerungen und überhaupt dieFrage, welche Faktoren nun für die Zu-friedenheit der Menschen ausschlagge-bend sind.

Genau einen Monat nach dem Treffenin Südkorea fand bei den Iguaçu-Wasser-

fällen in Brasilien die 5. InternationaleKonferenz zum Bruttonationalglückstatt. Mehrere hundert TeilnehmerInnentauschten ihre Meinungen und Erfah-rungen zum Thema aus. Es war nichtüberraschend, dass sie dabei bekräftig-ten, wie wichtig starke zwischenmensch-liche Verbindungen, Mitbestimmungüber das eigene Leben und Eingebun-densein in die Gemeinschaft, sinnvolleArbeit, grundlegende ökonomische Si-cherheit, Vertrauen in die Regierungs-führung und ähnliche Faktoren für dasGefühl der Zufriedenheit der Menschensind.

Die Zufriedenheits- bzw. „Glücks“-Forschung hat sich mittlerweile als neuerZweig der Sozial- und Wirtschaftswis-senschaften etabliert. Diesbezüglichnoch eine Anmerkung zu den Begriff-lichkeiten. Durch die Übersetzung von

„Happiness“ mit Glück hat sich die Be-zeichnung Glücksforschung eingebür-gert. Zutreffender erscheint jedoch derAusdruck Zufriedenheitsforschung. Inden Umfragen wird ja erhoben, wie zu-

frieden die Menschen mit diesem und je-nem Lebensbereich sind und nicht, obsie sich ganz allgemein glücklich fühlen.Das bhutanesische Konzept der „GrossNational Happiness, GNH“ wird aller-dings weiterhin mit Bruttonationalglückübersetzt.

Die Bewegung der Weltsozialforen, die2001 in Porto Alegre im südlichen Brasi-lien ihren Ausgang nahm, hat sich zurgrößten globalen zivilgesellschaftlichenInitiative für eine andere Welt entwickelt.„Un otro mundo es posible“, eine andereWelt ist möglich, so lautet ihr Leitspruch;und es war naheliegend, dass das indige-ne Konzept des „Guten Lebens“ in denDebatten dieser Bewegung einen starkenStellenwert einnehmen wird.

Beim Treffen in Belém in der Amazo-nasregion Anfang 2009 hatte das Weltso-zialforum einen Aufruf mit dem Leitsatz„Wir wollen nicht besser leben, wir wol-len gut leben!“ verabschiedet. Womitallerdings kein resignativer selbstbeschei-dender Rückzug auf eine Minimalvari-ante des Wohlstandes gemeint ist. DieVerneinung des „Besser Lebens“ stellt ei-ne bewusste politische Kampfansage andie Ideologie des Wachstums, der Akku-mulation materiellen Reichtums und deszunehmenden Verbrauchs von Güterndar. „Gut leben“ hingegen bedeutet, ge-gen die Vermarktung des Lebens zukämpfen, für die Verteidigung der „Mut-ter Erde“, gegen die Krisen des dominan-ten neoliberalen Systems, für eine Demo-kratisierung der Staaten und eine Huma-nisierung der Wirtschaft.

Die Philosophie des „Guten Lebens“bedeutet einen völligen Paradigmen-wechsel, eine Gesamtalternative zu denKrisen des Kapitalismus und der Zivilisa-tion, eine universelle Perspektive, die un-

ter anderem auf der Verteidigung der ge-meinsamen Güter beruht, der so ge-nannten „Commons“.

Das sind „Beziehungen zwischen sehrunterschiedlichen Gruppen weltweit undden Dingen, die sie brauchen, um sich zureproduzieren, um zu produzieren – Res-sourcen also, die niemand individuellhergestellt hat, auf die es einen kollekti-ven Zugriff geben muss: Wasser, Landoder Luft, aber auch Software-Codes, ge-netische Codes“. So definiert Silke Helf-rich, Romanistin und Publizistin aus Je-na, kurz die Gemeingüter. Sie referiertevergangenes Jahr beim Weltsozialforumin Porto Alegre und brachte die Thema-tik auf einen kurzen Nenner: „Gutes Le-ben heißt nicht Streben nach mehr Kon-sum, sondern nach Autonomie, Selbstbe-stimmung und vor allem Selbstentfal-tung.“

Durch die Einbindung des alten andi-nen Konzepts des „Guten Lebens“ in dieDiskussionen auf den Weltsozialforen er-hält diese indigene Kosmovision eine Ak-tualisierung, die es für viele Menschenauf der ganzen Welt interessant macht.Ihm können sich auch Leute anschlie-ßen, die sich in den letzten Jahrzehntenenttäuscht von linken Modellen sozialerTransformation abgewendet haben. Sokann das „Gute Leben“ der indianischenVölker aus den Anden zu einer universel-len Perspektive werden, die eine grundle-gende Antwort auf die zahlreichen Kri-sen findet, die unser Wirtschaftssystemund unsere politischen Systeme erschüt-tern. l

Josef Estermann: Andine Philosophie: eineinterkulturelle Studie zur autochthonen andinenWeisheit. IKO-Verlag, Frankfurt/M. 1999.

Martha Nussbaum: Gerechtigkeit oder das guteLeben. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1999.

Zu den Verfassungsprozessen in Lateinamerika(„nuevo constitucionalismo“) siehe die Nr.4/2009der in Wien erscheinenden ZZeeiittsscchhrriifftt „„JJuurriiddiikkuumm““.

Infos zur Gemeingüterdebatte:www.commonsblog.de

Silke Helfrich (Hg.): Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter. Oekom Verlag, München 2009, 288 Seiten.

Bericht der Stiglitz-Kommission: www.stiglitz-sen-fitoussi.fr/en/index.htm

Zum World Forum in Südkorea, Oktober 2009:www.oecdworldforum2009.org

EU-Kommission vom August 2009: www.beyond-gdp.eu/EUroadmap.html

Auf der Suche nach dem Guten Leben. Schwerpunkt-thema der Zeitschrift „Planet“, Wien 2010, www.gbw.at/schwerpunkt/2010-gutes-leben-fuer-alle

„Buen vivir“ als gegenhegemonialer Prozess. In derZeitschrift „Luxemburg“, Berlin, September 2010,www.zeitschrift-luxemburg.de/?p=1055

David Córtez: Zur Genealogie des indigenen „GutenLebens“ in Ecuador. In: H. Berger/L. Gabriel: Lateinamerikas Demokratien im Aufbruch, Man-delbaum Verlag, Wien, Oktober 2010.

Attac-Deutschland hat auf der Homepage eine Rubrikzum Thema „Buen Vivir“ eingeführt:www.attac-netzwerk.de/ag-lateinamerika/buen-

vivir/

Literatur- und Web-Tipps:

„Der Staat soll sich darum bemühen, diejenigen Bedingungen zu fördern, die das

Streben nach Bruttonationalglück ermöglichen.“ (Präambel der Verfassung von Bhutan)

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Das erste Jahrzehnt des 21. Jahr-hunderts erlebte einen großenFortschritt in der Formulierungvon Alternativen für eine bessere

Welt, für eine Lösung der globalen Kri-sen. In einer historischen Synthese blüh-ten alte Lebensweisheiten in einem neu-en Gewand auf, wie etwa das Konzept desGuten Lebens, des Buen vivir, in dem so-zialistische und feministische Utopien zuneuer Aktualität gelangen.

Was vor wenigen Jahren noch un-denkbar war, vollzieht sich jetzt in eini-gen Ländern und Regionen Lateinameri-kas: Soziale Organisationen und Regie-rungen entdecken in dieser Phase desÜbergangs erneut den Sozialismus unddas Gute Leben, wie es etwa die neuenVerfassungen von Bolivien und Ecuadorformulieren, und in beiden Fällen wirddeutlich, dass der Feminismus ein un-trennbarer Bestandteil dieser Verände-rungen ist*.

Diese bedeutsamen Entwicklungensind natürlich eingebettet in Diskussio-nen, Konflikte und Widersprüche, wie siederartigen strukturellen und zivilisatori-schen Prozessen eigen sind.

Was sich heute als Weichenstellungzwischen Leben und Kapitalismus dar-stellt, ist an und für sich keine neue Ent-deckung. Sie kann vielmehr auf eine lan-ge Geschichte von Visionen und desWiderstandes indigener Völker, der Frau-en und des Feminismus zurückblicken.Und in letzter Zeit auch auf kommunita-ristische Strömungen, auf ökumenische,solidarökonomische Bewegungen sowieauf ökologische Initiativen. Neu sind je-

doch einige faktische und politische Rah-menbedingungen. Einmal das große Aus-maß, das die Zerstörung von Umweltund Leben auf unserem Planeten erreichthat und das die Notwendigkeit eines Um-denkens unumgänglich macht. Ein weite-res neues und entscheidendes Element istdie gegenwärtige politische Möglichkeit,den Kapitalismus als Verursacher dieserSituation anzuklagen und eine Umwand-lung des ihm zugrunde liegenden Sys-tems und zivilisatorischen Modells ein-zufordern, was bis vor einigen Jahrendurch die totale neoliberale Hegemonieunvorstellbar war.

Es ist gerade diese Neuentdeckung desLebens als zentraler Kategorie, die dazugeführt hat, dass die uralte Weltsicht un-serer Vorfahren, wie sie sich, mit einigen

Nuancen, in allen Kulturen und Gesell-schaften unseres Planeten manifestierthat, eine neue Aktualität erfährt. In dersüdamerikanischen Andenregion ist die-se Kosmovision als Sumak Kawsay(Kichwa) oder Suma Qamaña (Aymara)bekannt, als Gutes Leben oder gut leben.Sie wird bereichert und erweitert durchalle jene Denkweisen und Praktiken, diedas Leben und seine Unversehrtheit inden Mittelpunkt ihrer existenziellen undsozialen Prozesse stellen.

Das Gute Leben stellt eine kollektive Er-rungenschaft dar, die aus dem Vollenschöpft, basierend auf einer harmoni-schen und ausgeglichenen Beziehungzwischen den Menschen und allen Lebe-wesen in einem System der Gegenseitig-

keit und der Ergänzung. Sie setzt die An-erkennung voraus, dass alle Lebewesenein Teil der Natur sind, dass wir von ihrund auch unter uns abhängen. Diese Per-spektive bedeutet einen völligen Bruchmit der Vorstellung von der zentralen Be-deutung und der Überlegenheit desmenschlichen Individuums und auchmit den Begriffen von Fortschritt undWohlstand kapitalistischen Zuschnitts.

Diese Vision des Guten Lebens tauchtnunmehr als Alternative auf, da sie genauauf diese Weichenstellung zwischen demLeben und dem Kapital abzielt. Siemacht die Herausforderung deutlich, diedarin liegt, die Wirtschaft und die Gesell-schaft neu zu organisieren mit dem Ziel,eine umfassende Reproduktion des Le-bens und nicht des Kapitals zu sichern.

Die Frauen und das Gute LebenDie feministische Vision und Erfahrung sind eine Stärke bei der Umsetzung des Konzepts vom Guten

Leben und werden umgekehrt von dieser indigenen Weltsicht im Denken und im Handeln bereichert.

Magdalena León T.

Bei einem Protest von

etwa 10.000 ecuado-

rianischen Indigenen

gegen ein neues

Wassergesetz halten

sie der Regierung ihre

eigenen Vorstellungen vom

Guten Leben entgegen.

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Feminismus und Gutes Leben: Trotz ihreruralten Wurzeln ist diese Kosmovisionnicht erstarrt, sondern hat sich unter derOberfläche mit einer Dynamik weiterent-wickelt, die auf emanzipatorische Prakti-ken des Zusammenlebens und der Sub-sistenz der verschiedenen Völker ausge-richtet ist. Ein zentraler Punkt dabei warund ist die von den Frauen konstruierteEthik der Sorge um das Leben. In konzep-tioneller und praktischer Hinsicht gibt eszahlreiche Überschneidungen zwischenFeminismus und Gutem Leben. Zum Bei-spiel im Bereich der Wirtschaft. Die femi-nistische Wirtschaftstheorie entstand und

entwickelte sich als kritische Perspektivegegenüber dem Kapitalismus und seinenAnsätzen, die die Ökonomie auf die Re-geln des Marktes reduzieren, die nicht-merkantilen oder subsistenzwirtschaft-lichen Prozesse ignorieren und die Bei-träge zum Schutz und zur Erhaltung desLebens nicht anerkennen.

Der feministische Ansatz, das Lebenund die Arbeit als zentrale ökonomische

Kategorien dem Kapital und der Akku-mulierung gegenüber zu stellen, ist fürden Aufbau des Guten Lebens von größ-ter Bedeutung. Erst durch eine erweiterteAuffassung von der Wirtschaft, die in ih-re Analyse alle Bereiche und Prozesse derArbeit, der Produktion und des Umlaufsvon Gütern und Dienstleistungen einbe-zieht, egal, ob sie nun in Geld und im ka-pitalistischen Markt gemessen werdenoder nicht, werden die Beiträge der Frau-en sichtbar – und gleichzeitig auch dasAusmaß der wirtschaftlichen Ungerech-tigkeiten, in deren Rahmen sie geleistetwerden.

Im Bereich der wirtschaftlichen Praxishaben die Frauen Dynamiken begün-stigt, die von den Prinzipien der Solida-rität, der Zusammenarbeit und der

Gegenseitigkeit geleitet werden. Diesnicht nur im Haushalt und im Pflegesek-tor, sondern bei vielen wirtschaftlichenTätigkeiten zur Schaffung von Überle-bensstrategien, bei denen sie an vorder-ster Stelle stehen.

In der feministischen Diskussion zwi-schen der Logik des Kapitals und der Lo-gik des Lebens ist die Sorge um das Le-ben und seine Nachhaltigkeit ein Schlüs-selelement. Im Fall der für das Fortbeste-hen der Menschheit so wichtigen Fürsor-ge handelt es sich um komplizierte Bezie-hungen und Prozesse der Arbeit, der Ge-

fühle und der Macht, um die mensch-lichen Bedürfnisse zu erfüllen.

Von besonderer Bedeutung sind dasWissen und die Geschicklichkeit, die dieFrauen über Jahrhunderte hindurch be-züglich der Lebens- und Produktionsbe-dingungen angehäuft haben: im Bereichder Landwirtschaft, der Ernährung, derGesundheit, des Kunsthandwerks. DieArbeit der indigenen Frauen als Wahre-

rinnen und Vermittlerinnen der Kulturkann nun im Zusammenhang von Femi-nismus und Gutem Leben neu gesehenund gewertet werden. Das gängige Bildvon den indigenen Frauen als den Ärm-sten, den Analphabetinnen, den Unter-drückten, gerät ins Schwanken, wennman z.B. ihre Kenntnisse und ihr Wissenin so strategischen Bereichen wie Saatgutund traditioneller Medizin in Betrachtzieht.

Der Schutz der Umwelt und der Naturführt uns zur Anerkennung des Prinzipsder gegenseitigen Abhängigkeit. DieMenschen hängen von der Natur ab, un-ser Überleben ist letztendlich unlösbarmit ihr verbunden. Heute ist der Zu-sammenhang von Biodiversität und kul-tureller Vielfalt, von uns Menschen und

den anderen Lebewesen offenkundig.Die Frauen nehmen hier eine führendeRolle ein, sowohl über die Arbeit als auchauf ritueller Ebene, besonders in Fällen,wo dem Wasser und der Erde ein gehei-ligter Status zugeschrieben wird.

Darüber hinaus führt die Konstruktiondes Guten Lebens zu einer Neuformulie-rung der Beziehungen zwischen Frauen,Natur und Kultur. Durch lange Zeit hin-durch kämpfte der Feminismus gegendie Einbindung der Frau in die Natur.Schließlich führt die Vorstellung, dasswir Frauen alles machen, weil es eben so

in unserer Natur liegt, weil es unsere vor-bestimmte Rolle ist, direkt zu den öko-nomischen und sozialen Ungleichheiten,zur fehlenden Anerkennung und Wert-schätzung der Beiträge der Frauen. Dochheute stellt sich dieses Verhältnis andersdar. Es hat sich für uns Frauen die Mög-lichkeit eröffnet, unsere Beziehung zurNatur von der Last der Unterwürfigkeitzu lösen und ihr vielmehr eine befreien-

de Dimension zu geben, eine Wiederbe-wertung unserer Erfahrungen undKenntnisse zur Erreichung eines andau-ernden Gleichgewichts in den Lebenszy-klen. l

Magdalena León T. ist eine feministische Ökonominaus Ecuador, Beraterin bei der Ausarbeitung derneuen Verfassung des Landes und Mitarbeiterinam Amerikanischen Sozialforum.Übersetzung von Werner Hörtner.

*) So stand zum Beispiel der kontinentale Kongressvon Vía Campesina, dem weltweiten Zusammen-schluss von Bewegungen von Bäuerinnen undBauern, der im vergangenen Oktober in der ecu-adorianischen Hauptstadt Quito stattfand, unterder zentralen Losung „Ohne Feminismus gibt eskeinen Sozialismus”.

Die Arbeit der indigenen Frauen als Wahrerinnen und Vermittlerinnen der Kultur kann nun im Zusammenhang

von Feminismus und Gutem Leben neu gesehen und gewertet werden.

Der „Nationalplan für das Gute Leben“ in der Sprache der Shuar, einer Ethnie aus dem ecuadorianischen Amazonasbecken, wird präsentiert.

Dieses Programm für 2009 bis 2015 wurde in die wichtigsten Indígena-Sprachen übersetzt.

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Die gute Nachricht: Was ein „GutesLeben“ ausmacht, ist nicht völligunterschiedlich von Breitengradzu Breitengrad, sondern mehr

oder weniger universal: Weltweithaben Menschen ähnlicheGrundbedürfnisse, aus denensich ähnliche Grundwerte – Ge-meinschaftswerte – ableiten.Im Zentrum des „Guten Le-bens“ stehen gute Beziehun-gen: Beziehungen zwischenden Menschen; Beziehungenzwischen den Menschen undihrer natürlicher Mitwelt; dieBeziehung der Menschen zusich selbst sowie die zum „gro-ßen Ganzen“.

Die modernen Natur- und So-zialwissenschaften haben mit ver-schiedenen Experimenten bestätigt,dass gelingende Beziehungen dassind, was Menschen am glücklichstenmacht und am stärksten motiviert. Des-halb sollte eine vernünftige Politik dasGelingen von Beziehungen in allen Le-bensbereichen fördern, auch in der Wirt-schaft.

Die „Gemeinwohl-Ökonomie“ folgtdieser Logik: Gelingende Beziehungenwerden zur Maxime des wirtschaftlichenHandelns. Das erfordert ein „Umpolen“der Systemweichen, die das Handeln derWirtschaftsakteurInnen lenken: Heutekonkurrieren die MarktakteurInnen umden maximalen Eigennutz. In der Ge-meinwohl-Ökonomie kooperieren dieUnternehmen mit dem gemeinsamenZiel der Gemeinwohlmaximierung.

Diese Ziel haben sich jedenfalls die At-tac-UnternehmerInnen gesetzt, die sichals Folge des Buches „Neue Werte für die

Wirtschaft“ gründeten und die darinenthaltene Grobskizze für eine alternati-ve Wirtschaftsordnung weiter entwickelthaben, bis im August 2010 als Frucht die-ser Arbeit die „Gemeinwohl-Ökonomie“erschien. Das Herzstück der Alternativeist die Gemeinwohl-Bilanz. Diese neueunternehmerische Hauptbilanz misst,wie human, sozial verantwortlich, ökolo-gisch nachhaltig, demokratisch und soli-darisch Unternehmen sich verhalten und

organisieren. Je besser die Ge-meinwohl-Bilanz, je höher die er-reichte „Gemeinwohl-Stufe“, destogrößer die rechtlichen Vorteile:

niedrigere Steuern, Zölle und Zinsen so-wie Vorrang beim öffentlichen Auftrag.Die „weichen“ Wert-Anreize werden mit„harten“ Rahmenregulierungen kombi-niert: Begrenzung der Einkommens- undVermögensungleichheit, Einführung ei-nes Maximal- und Mindesterbes sowiedie entscheidende Degradierung des Fi-nanzgewinns vom Zweck zum Mittel desunternehmerischen Strebens.

Gewinne sind nur noch erlaubt, wenn siedem Gemeinwohl dienen, zum Beispielfür soziale und ökologisch wertvolle In-vestitionen, Kreditrückzahlungen, be-grenzte Ausschüttungen an die Mitarbei-tenden oder Rückstellungen. Nicht mehrerlaubt hingegen ist die Verwendung vonGewinnen für feindliche Übernahmen,Investitionen auf den Finanzmärktenund die Ausschüttung an Personen, diedas Unternehmen nur besitzen, aber

nicht darin mitarbeiten. Die Gemein-wohl-Ökonomie bietet einen gedeih-lichen Rechtsrahmen für solidarische Be-

triebe. Wenn kooperatives, demokrati-sches und nachhaltiges Verhalten

rechtlich in Vorteil gestellt wird ge-genüber egoistischen, asozialenund verantwortungslosen Unter-nehmensstrategien, finden Ge-nossenschaften, Fairer Handelund selbstverwaltete Unterneh-men günstige Entwicklungsbe-dingungen vor.

Heute, ein halbes Jahr nachErscheinen des Buches, nähertsich die Zahl der unterstützen-

den Unternehmen 200, inDeutschland und in der Schweiz

beginnen die Vernetzungsaktivitä-ten, und in Frankreich erscheint im

April 2011 eine Übersetzung, „L’éco-nomie citoyenne“. Mit jedem Schritt,

den wir machen, wächst die Erkenntnis:Wir können die Wirklichkeit selbst er-schaffen. Indem wir einfach einen Schrittnach dem anderen machen.

Der nächste Schritt ist das Vorausgeheneiner Pioniergruppe, zumal Parlamentund Regierung die Gemeinwohl-Ökono-mie wahrscheinlich nicht so schnell be-schließen und die Unternehmen nichtzur Erstellung der Gemeinwohl-Bilanzverpflichten werden. Ende 2010 habensich 45 Unternehmen zur freiwilligen Er-stellung der Gemeinwohl-Bilanz ange-meldet. Sie setzen sich Anfang 2011 Bi-lanzziele und versuchen, diese bis zumBilanzstichtag am 1. Oktober 2011 um-zusetzen.

Am 6. Oktober geben auf einer inter-nationalen „Bilanzpressekonferenz“ ge-

schätzte 100 Pionier-Unternehmen ihreBilanzergebnisse bekannt. Sie legen Re-chenschaft darüber ab, ob bei ihnengleich viele Frauen wie Männer in denFührungspositionen sind; wie hoch dieEinkommensdifferenz zwischen Chef-Etage und Reinigungspersonal ist; ob esüberhaupt Chefs oder Basisdemokratieoder sogar statutarische Soziokratie gibt;ob die Produkte biologisch abbaubarsind; ob der ökologische Fußabdruck ge-

Ende 2010 haben sich 45 Unternehmen zur freiwilligen Erstellung der

Gemeinwohl-Bilanz angemeldet.

Die Wirklichkeit selbst erschaffen88 Prozent der Deutschen und 90 Prozent der ÖsterreicherInnen wünschen sich eine neue Wirtschaftsordnung.

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine Alternative zu kapitalistischer Markt- und zentraler Planwirtschaft.

Sie baut auf menschlichen Stärken und mehrheitsfähigen Werten auf.

Christian Felber

Zusammenhalt

und Zusammen-

arbeit sind

tragende Säulen

des Guten Lebens.

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Die Nachkriegsgeneration lebte da-für, dass es „unsere Kinder einmalbesser haben“. Unter den Rahmen-bedingungen des Kapitalismus bot

sich als Weg zu diesem „besseren Leben“die stetige Steigerung der Produktion an,was vermehrte Einkünfte, ein nie da ge-wesenes Angebot an Konsumgütern, einerasante technologische Entwicklung undeinen hohen Lebensstandard hervor-brachte. Das hatte aber verheerende Kon-sequenzen für den Planeten Erde: unge-bremsten Raubbau an den Ressourcenund Degradierung des Habitats. Die welt-weite Ungleichheit und die negativenAuswirkungen auf das Klima nahmenstetig zu, was zu Migrationsströmen, Ar-tensterben und Klimawandel führte. Diewestliche Gesellschaft als Motor dieserEntwicklung steht nun vor der dringen-den Herausforderung, das bisherige zivi-lisatorische Modell aufzugeben und einanderes, neues Modell zu entwickeln.

Das erweist sich aber als äußerstschwierig. Einerseits ist für viele einWirtschaftsmodell, das nicht auf Wachs-tum ausgerichtet ist, undenkbar und an-dererseits sind die Menschen nicht ge-

willt, sich mit weniger zufrieden zu ge-ben. Zu sehr ist internalisiert: „Ich will al-les – und das sofort!“ Im Kontext dieseskollektiven Bewusstseins der Wohl-standsgesellschaft scheint Veränderungpolitisch nicht durchsetzbar und daherunmöglich zu sein. Dabei zeigen ver-schiedene Indikatoren, dass es mit derLebensqualität – einem „Guten Leben“ –in dieser Gesellschaft nicht weit her ist.Viele Menschen sind überfordert. DasÜberangebot an Konsummöglichkeitenund der ständige Wettbewerbsdruck trei-ben so manchen ins Burnout. Zivilisa-tionskrankheiten wie Fettleibigkeit,Herz-Kreislaufbeschwerden und Krebssind massiv im Vormarsch. Der Klima-wandel lässt seine verheerenden Auswir-kungen auch im reichen Norden der Er-de spüren. Hinzu kommt, dass die Wohl-standsgesellschaften durch massive Mi-grationsbewegungen einem ungeheurenDruck von außen ausgesetzt sind. DieAufrüstung des Sicherheitsapparates isteine unmenschliche und einer demokra-tischen modernen Gesellschaft unwürdi-ge Antwort. Nationalismus und Ras-sismus finden in diesem Zusammenhangeinen gefährlichen Nährboden.

Ist das das Bild einer „entwickelten Ge-sellschaft“? Ist das ein „Gutes Leben“?Nach den Indikatoren des „Human De-velopment Index“ der UNO vielleichtschon – denn da geht es um die KriterienEinkommen, Bildung und Lebenserwar-tung, und daran gemessen, liegen westli-che Gesellschaften im Spitzenfeld. Aberist damit wirklich abgebildet, was GutesLeben ist? Müssen diese Indikatorennicht ergänzt werden mit der morali-schen und der spirituellen Dimension,wie der indische Ökonom Ratan Lal Ba-su meint?

Es braucht einen Neuanfang, einenParadigmenwechsel, eine gemeinsameSuche nach dem, was Gutes Leben hierund weltweit sein kann. In Österreich hatdie Grüne Bildungswerkstatt aus dieserSuche im Jahr 2010 einen Schwerpunktgemacht. Sie postuliert: „Das Nachden-ken über die Utopie eines guten Lebensfür alle bietet einen schönen und einfa-chen Gegenentwurf zum bekannten Bildder Ausgrenzung und der Konkurrenz.“Die Utopie des Guten Lebens für allewird prägnant im Kontrast zur bisheri-gen wirtschaftlichen Grundorientierungbenannt: „Nicht länger wäre Wirtschafts-

Weniger ist mehrDas Gute Leben für alle und die Wohlstandsgesellschaft: Die Schwerpunktsetzung

auf die Quantität macht Menschen und den Planeten krank.

Franz Helm

messen wird; ob sich die Beschäftigtendie Arbeitszeit selbst einteilen dürfen;oder ob das Unternehmen nach dem Toddes Gründers oder der Gründerin an dieBelegschaft vererbt wird. Die Bilanz wirdaus 40 – 50 Gemeinwohl-Kriterien beste-hen, maximal sind 1.000 Punkte erreich-bar.

Die Gemeinwohlfarben und -zahlensollen später auch auf allen Produktenaufscheinen, damit die KonsumentInneneine klare Informationsgrundlage für dieKaufentscheidung vorfinden. Wenn siemit dem Handy über den Strichcode fah-ren, haben sie die gesamte Bilanz vor sichauf dem Display.

Die PionierInnen sind nur ein„Strang“ der wachsenden Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung. Rund um siewächst ein Gemeinwohl-Bilanz-Berate-rInnen-Netzwerk, das den Unternehmensowohl bei der Erstellung der Bilanz alsauch den dafür nötigen Veränderungs-prozessen behilflich ist. Im „EnergiefeldGemeinwohl-Ökonomie“ engagierensich vornehmlich Studierende, die dieIdee in die Welt hinaustragen und aufdiese Weise einen Beitrag zum „GutenLeben“ leisten. Dieses erhält auch einformales Gefäß: Alle Stränge zusammenwerden demnächst im Verein der Freun-dinnen und Freunde der Gemeinwohl-Ökonomie gebündelt, der auch eine pro-fessionelle Infrastruktur aufbauen will.l

Christian Felber ist freier Publizist, Mitbegründervon Attac Österreich und Erfinder der„Gemeinwohl-Ökonomie“. Nähere Infos: wwwwww..ggeemmeeiinnwwoohhll--ooeekkoonnoommiiee..oorrgg

„Geiz ist geil“, sagen die Nimmersatten, die keine Ahnung haben von der Erfülltheit eines Lebens

in einer gerechten, vielfältigen und harmonischen Welt.

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�wachstum und das rastlose Mehr das Zielder Wirtschaftspolitik, sondern das guteLeben: Die Wirtschaft dient den Interes-sen der Menschen und nicht umge-kehrt.“ Aber auch die hier entworfeneUtopie erscheint einseitig wirtschaftlichbestimmt. Ethik im Sinn der Gerechtig-keit, der Solidarität und des Guten Le-bens für alle wird zwar eingefordert, abernicht begründet. Und die Notwendigkeit

einer Spiritualität, die eine solche Verän-derung der Sichtweise und der Praxismotivieren und bewirken könnte, bleibtunerwähnt.

Dieser Frage widmete sich im November2010 ein Symposium an der UniversitätInnsbruck. Dabei brachte der brasiliani-sche Theologe Paulo Suess das Gute Le-ben in Verbindung mit dem Rechten Le-ben, indem er sagte: „Es gibt kein gutesLeben unter privilegierten Bedingungen.Leben, das Menschen ausschließt, ist ebenauch für die Privilegierten kein gutes Le-ben, weil es moralisch betrachtet keinrechtes Leben ist.“ Dieses Gute Leben al-ler muss kulturell konstruiert werden,

und dazu braucht es auch den Beitrag derReligionen. Davon waren die Teilnehme-rInnen des Symposiums überzeugt. Reli-gionen haben das Potenzial, Verbindun-gen und Beziehungen herzustellen: Zwi-schen dem Schöpfer und den Geschöp-fen, zwischen Generationen und Völkern.

Genau darum geht es in der in vielfäl-tige Krisen geratenen Welt: Dass die Ver-bundenheit aller Geschöpfe und aller

Dinge neu wahrgenommen und bedachtund in diesem veränderten Bewusstseindie gemeinsame Zukunft auf dem Plane-ten gestaltet wird. Aus dieser Verbunden-heit erwächst die moralische Verpflich-tung, füreinander Verantwortung zuübernehmen. So kann der soziale Zu-sammenhalt der Gesellschaft gestärktund solidarisches Handeln über Landes-und Schengengrenzen hinaus verwirk-licht werden.

Ziel dieses solidarischen Handelns istnicht ein zählbares „Mehr“ oder ein „bes-seres“ Leben, sondern das „Gute Lebenaller“. Auf dem Symposium in Innsbruckpräzisierte Suess: „Das Gute Leben aller

ist ein kategorischer Imperativ nicht derQuantität, sondern der Qualität, der imPrinzip der Gleichheit seine Wurzeln hat.Wo es um die Qualität des Lebens geht,da ist das normative Ziel die Inklusionund Partizipation aller.“ Diesem Prinzipder Gleichheit aller widerspricht zutiefst,dass weltweit eine Milliarde Menschenhungern und weitere Milliarden imElend leben. In der Tradition der Befrei-ungstheologie geht es darum, sie in denMittelpunkt zu stellen, und zwar sowohlals Opfer einer menschengemachtenEntwicklung, die der Solidarität bedür-fen, als auch als LehrmeisterInnen einer„Zivilisation der Armut“, des Lebens undÜberlebens mit Wenigem. Sie haben dasPotenzial, westliche Sichtweisen vomGuten Leben zu korrigieren. Weniger istmehr – das müssen Menschen in west-lichen Wohlstandsgesellschaften in derderzeitigen Weltsituation unbedingt ler-nen. Will die Menschheit zukunftsfähigsein, muss sich zukünftige Entwicklungdaran ausrichten. l

Franz Helm gehört der katholischen Ordens-gemeinschaft der Steyler Missionare an. Er hatMissionswissenschaft studiert, in Brasilien gear-beitet und ist derzeit in der Bewusstseinsbildungund als Leiter des Jugendzentrums „Weltdorf“ in St. Gabriel bei Mödling tätig.

A ls Ergebnis langjähriger For-schungen – zuerst im Ge-

sundheitsbereich, dann im sozia-len Kontext – kam das britischeAutorenpaar zu folgendem Be-fund: Wenn wir anerkennen,dass ein noch höherer Lebens-standard uns kaum noch etwasnützen kann, dann müssten wirfolglich nach völlig neuen Wegensuchen, um unsere Lebensqua-lität zu verbessern. Und denUntersuchungen von Pickett undWilkinson zufolge ist der Abbauvon Ungleichheit der beste Wegzur Verbesserung unserer sozia-len Lebenswelt und damit auchunserer Lebensqualität. Mit an-deren Worten: Die sozialen Be-ziehungen verfallen umso mehr,je stärker eine Gesellschaft vonUngleichheit geprägt ist.

Ihre These von den schäd-lichen Auswirkungen der gesell-schaftlichen Ungleichheit über-trägt das Autorenpaar, wiederumbelegt durch zahlreiche Studien,auch auf andere Politikfelder.Demnach wirkt sich die Un-

gleichheit nicht nur auf diezwischenmenschlichen Bezie-hungen und das gegenseitigeVertrauen nachteilig aus, son-dern auch auf den sozialen Sta-tus der Frau, auf den gesell-schaftlichen Zusammenhang(Solidarität), auf die Spendenbe-reitschaft der Bevölkerung inkl.der Regierungen (Stichwort Ent-wicklungshilfe). Auch die schä-digenden Einflüsse auf die seeli-sche und körperliche Gesund-heit sind offenkundig.

Die in diesem Buch mit vielen Stu-dien belegten negativen Auswir-kungen von Ungleichheit auf dasGesellschaftsgefüge werden ei-nen aufmerksamen Beobachter,eine aufmerksame Beobachterindes Zeitgeschehens nicht überra-schen. Erstaunlich erscheint je-doch die Tatsache, dass die Pfle-ge von Freundschaften und sozi-alen Beziehungen zu den genauentgegensetzten Folgen führt. Siefördern das Prinzip der Gegen-seitigkeit, des Ausgleichs, der Zu-

sammenarbeit und der Anerken-nung der Bedürfnisse der Mit-menschen. Zu diesen Erkennt-nissen sind die Völker der süd-amerikanischen Anden mit ih-rem Konzept des „Guten Lebens“und viele andere indigene Völkerdes Planeten Erde schon vorJahrhunderten gekommen.

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Richard Wilkinson, Kate Pickett: GGlleeiicchhhheeiitt iisstt GGllüücckk.. WWaarruumm ggeerreecchhtteeGGeesseellllsscchhaafftteenn ffüürr aallllee bbeesssseerr ssiinndd.. Sachbuch. Aus dem Englischen vonEdgar Peinelt und Klaus Binder. Tolkemitt Verlag, Berlin 2010, 290 Seiten,1 19,90. Erhältlich nur beiZweitausendeins.

Die Gleichheit und das Gute LebenDie britischen Wissenschaftler Kate Pickett und Richard Wilkinson kamen bei ihren Forschungen

zu ganz ähnlichen Ergebnissen, wie sie die indigenen Andenvölker schon vor Jahrhunderten lebten.

Dem Prinzip der Gleichheit aller widerspricht zutiefst, dass weltweit eine Milliarde

Menschen hungern und weitere Milliarden im Elend leben.

Gutes Leben weltweit!Eine Veranstaltung desSüdwind-Magazins zum Thema.Das von indigenen Völkern in vielenRegionen ausgearbeitete und gelebteuralte Weltbild, in dem der sozialeFortschritt, die psychische Zufrieden-heit, die spirituellen Werte und dieHarmonie in der Beziehung zwischenMensch und Natur im Mittelpunktstehen, stellt das Schwerpunktthemain dieser Februarausgabe desSüdwind-Magazins dar.Mit: NNiiccoollee LLiieeggeerr,, Politikwissen-schaftlerin in Kombination mitRechts- und Wirtschaftswissenschaf-ten, seit 2007 Lehrbeauftragte an der Universität Wien. CChhrriissttiiaann FFeellbbeerr,, studierte Romani-sche Philologie und Spanisch in Wienund Madrid und widmete sich danndem Aufbau von Attac Österreich; inletzter Zeit Mitinitiator der Projekte„Demokratische Bank“ und „Gemein-wohl-Ökonomie“. WWeerrnneerr HHöörrttnneerr,, seit über zwanzigJahren Redakteur des Südwind-Magazins; betreute das Thema „GutesLeben“ in diesem Heft.

8. März 2011 um 19 Uhr,Hauptbücherei WienVeranstaltungssaal, 3. Stock, Urban-Loritz-Pl. 2a, Wien 7,Anschließend kleines Buffet

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Cornelia Krebs:

Ute Bock – Geschichte einer Flüchtlingshelferin

Molden Verlag, Wien 2010, 192 Seiten, gebunden

In Gesprächen mit der Ö1-Redakteurin Cornelia Krebs erzähltUte Bock in elf Kapiteln aus ihrem Leben:

lebhaft, oft ironisch, immer authentisch.

Ernährungssouveränität – Für eine andere Agrar-und LebensmittelpolitikMandelbaum Verlag, Wien 2011, 128 Seiten2013 sollen die europäischen LandwirtschaftsministerInnen eineneue gemeinsame Agrarpolitik beschließen. Seit Jahren stehtdiese im Kreuzfeuer der Kritik. Der Großteil der öffentlichenGelder fließt in die Hände von GroßgrundbesitzerInnen und an

die exportorientierte Lebensmittelindustrie. Die fortschreitende Industrialisierung undÜberproduktion in Europa zerstört die Landwirtschaft des Globalen Südens.

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