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Sebastian Boller Kooperation in der Schulentwicklung

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Sebastian Boller

Kooperation in der Schulentwicklung

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VS RESEARCH

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Sebastian Boller

Kooperation in derSchulentwicklungInterdisziplinäre Zusammenarbeit in Evaluationsprojekten

VS RESEARCH

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Dissertation Universität Bielefeld, 2007

1. Auflage 2009

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009

Lektorat: Christina M. Brian / Ingrid Walther

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany

ISBN 978-3-531-16127-3

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Meinen Eltern und Anja

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Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Abbildungen ............................................................................. 11 Verzeichnis der Abkürzungen ............................................................................ 13 Vorwort............................................................................................................... 15 I Theoretische Rahmung im Kontext von Evaluation,

Kooperation und Schulentwicklung ................................................ 19 1 Schulinterne Evaluation. Theoretische und konzeptionelle

Perspektiven........................................................................................ 30 1.1 Evaluation. Konjunktur eines Paradigmas .......................................... 30 1.2 Begriffliche Annäherung und historische Entwicklungslinien

von Evaluation .................................................................................... 35 1.3 Verfahren, Methoden und Anwendungsfelder schulinterner

Evaluation ........................................................................................... 39 1.3.1 Selbstevaluation als schulinterne Evaluation ...................................... 41 1.3.2 Formative und summative schulinterne Evaluation ............................ 46 1.3.3 Lehrerforschung als Konzept schulinterner Evaluation ...................... 49 1.4 Schulinterne Evaluation zwischen Programmatik,

Zweckrationalität und Bedeutungslosigkeit. Problembereiche und Erklärungsansätze ........................................................................ 54

1.5 Zwischenfazit ...................................................................................... 68 2 Organisationstheoretische Überlegungen zur Struktur von

Schule als „lernende Organisation“ .................................................... 70 2.1 Organisation und Steuerung im Kontext gesellschaftlicher

Ungewissheit. Zum ambivalenten Verhältnis von Einzelschulentwicklung und Kontextsteuerung .................................. 71

2.2 Schulentwicklung als Organisationsentwicklung. Zum Verständnis von Schule als „lernende Organisation“.......................... 76

2.2.1 Organisationsentwicklung und Schulentwicklung. Versuch einer begrifflichen Annäherung .......................................................... 77

2.2.2 Die Perspektive der „lernenden Schule“ ............................................. 85 2.3 Menschenbild und Geschichte der Organisationsentwicklung............ 94 2.4 Kritik und Perspektiven der Organisationsentwicklung...................... 96 2.5 Zwischenfazit ...................................................................................... 98

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3 Kooperation in der Organisation Schule. Eine Problemperspektive .................................................................. 100

3.1 Kooperation in Schulentwicklungsprozessen.................................... 101 3.2 Kulturen, Entwicklungsphasen und Rollen in Teamprozessen ......... 111 3.2.1 Teamkulturen .................................................................................... 114 3.2.2 Entwicklungsphasen von Teams ....................................................... 118 3.3 Der Sozialkonstruktivismus und seine Implikationen für

schulische Kooperation ..................................................................... 120 3.3.1 Organisationen als soziale Konstruktionen ....................................... 123 3.3.2 Die Relativität objektiver und subjektiver Wirklichkeiten.

Handeln, Kommunikation und Interaktion in Kooperationsprozessen ................................................................. 125

3.4 Zwischenfazit .................................................................................... 127 4 Zwischenresümee und Konkretisierung der Untersuchungsfragen ... 130 II Empirische Analyse der Rahmenbedingungen, Prozesse und

Strukturprobleme kooperativer schulinterner Evaluation ......... 139 5 Das Oberstufen-Kolleg als Gegenstand der Untersuchung ............... 140 5.1 Rahmenbedingungen, Ziele und Streitpunkte des

Oberstufen-Kollegs als „lernende Organisation“. Ein institutionshistorischer Abriss zu Entwicklung und Identität einer Versuchsschule......................................................................... 143

5.2 Kooperative schulinterne Evaluation im Oberstufen-Kolleg. Ein interdisziplinärer Evaluationsansatz ........................................... 165

5.3 Die Analyse von Evaluationsprozessen als Gegenstandsbereich der Studie. Das Beispiel Evaluation der Basiskurse im Oberstufen-Kolleg............................................................................. 173

5.3.1 Literacy und Allgemeinbildung. Förderung von Basiskompetenzen als Aufgabe der gymnasialen Oberstufe............. 174

5.3.2 Ziele, Konzeptionen und Organisationsformen der Basiskurse im Oberstufen-Kolleg............................................................................. 180

6 Methodologische Planung und methodische Durchführung der

Untersuchung .................................................................................... 185 6.1 Beobachtungsperspektive und Teilnahmeperspektive.

Konsequenzen für die eigene Untersuchung..................................... 190

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6.2 Stichprobenziehung, Fallerschließung und Fallkonstruktion. Ein interpretativer Zugang ................................................................ 195

6.3 Entwicklung und Einsatz der Forschungsinstrumente ...................... 198 6.3.1 Dokumentenanalyse .......................................................................... 198 6.3.2 Problemzentriertes Interview ............................................................ 200 6.4 Datenerhebung .................................................................................. 203 6.5 Datenauswertung. Ein kombinierter Ansatz...................................... 206 6.5.1 Dokumentenanalyse .......................................................................... 209 6.5.2 Qualitative Inhaltsanalyse ................................................................. 210 6.5.3 Dokumentarische Methode ............................................................... 215 6.6 Beschreibung von Stichprobe und Datenmaterial ............................. 216 6.7 Fragestellung und Richtung der Analyse .......................................... 219 7 Kooperative schulinterne Evaluation. Die Fälle ............................... 221 7.1 Fall 1 ................................................................................................. 221 7.1.1 Strukturelle und organisationale Einbettung des

Evaluationsprojekts........................................................................... 222 7.1.1.1 Fallhistorie und bisheriger Arbeitsprozess des Evaluationsteams..... 223 7.1.1.2 Institutionelle und personelle Rahmung des Evaluationsprojekts..... 225 7.1.2 Anlage, Instrumente und Ziele des Evaluationsprojekts ................... 226 7.1.2.1 Die diagnostische Ebene des Evaluationsprojekts. Feststellung

und Entwicklung fachlicher Kompetenzen ....................................... 227 7.1.2.2 Die Prozess- und Akteursebene des Evaluationsprojekts.

Feedbackbasierte Unterrichtsentwicklung ........................................ 228 7.1.3 Fallspezifische Strukturmuster in der Kooperation von Lehrern

und Evaluatoren ................................................................................ 229 7.1.4 Entwicklungsschritte und Kooperationsphasen ................................ 246 7.1.5 Weiterführende Interpretationsansätze zum Kooperationsprozess.... 253 7.2 Fall 2 ................................................................................................. 256 7.2.1 Strukturelle und organisationale Einbettung des

Evaluationsprojekts........................................................................... 256 7.2.1.1 Fallhistorie und bisheriger Arbeitsprozess des Evaluationsteams..... 258 7.2.1.2 Institutionelle und personelle Rahmung des Evaluationsprojekts..... 261 7.2.2 Anlage, Instrumente und Ziele des Evaluationsprojekts ................... 263 7.2.2.1 Die diagnostische Ebene des Evaluationsprojekts. Feststellung

und Entwicklung fachlicher Kompetenzen ....................................... 264 7.2.2.2 Die Prozess- und Akteursebene des Evaluationsprojekts.

Feedbackbasierte Unterrichtsentwicklung ........................................ 266 7.2.3 Fallspezifische Strukturmuster in der Kooperation von Lehrern

und Evaluatoren ................................................................................ 267

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7.2.4 Entwicklungsschritte und Kooperationsphasen ................................ 284 7.2.5 Weiterführende Interpretationsansätze zum Kooperationsprozess.... 288 7.3 Fallvergleich ..................................................................................... 294 7.3.1 Gemeinsamkeiten in den fallspezifischen Strukturmustern .............. 296 7.3.2 Gegensätze in den fallspezifischen Strukturmustern......................... 301 III Resümee und Perspektiven. Kooperative schulinterne

Evaluation zwischen Anspruch und Wirklichkeit........................ 311 8 Struktur- und Handlungsprobleme kooperativer schulinterner

Evaluation ......................................................................................... 313 9 Gelingensbedingungen kooperativer schulinterner Evaluation......... 326 10 Das Verhältnis von schulinterner Evaluation, Kooperation und

Schulentwicklung. Schlussfolgerungen und Konsequenzen ............. 336 10.1 Kooperative schulinterne Evaluation. Ein Evaluationskonzept

für Regelschulen?.............................................................................. 336 10.2 Konsequenzen für die Forschung...................................................... 339 10.3 Ausblick ............................................................................................ 343 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 351 Anhang.............................................................................................................. 377

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Verzeichnis der Abbildungen Abb. 1: Die Transformation des Oberstufen-Kollegs: Zeitleiste institutioneller Entwicklungsphasen................................................... 145 Abb. 2: Teamstruktur kooperativer schulinterner Evaluation am Oberstufen-Kolleg ........................................................................ 194 Abb. 3: Auswertungsverfahren und Fallkonstruktion als Kombination aus Dokumentenanalyse, Qualitativer Inhaltsanalyse und Dokumentarischer Methode .............................................................. 207 Abb. 4: Ablauf der zusammenfassenden Inhaltsanalyse als dreischrittiger Prozess ............................................................................................... 212 Abb. 5: Übersicht zu den in die Untersuchung einbezogenen Daten und Datenformen....................................................................................... 218 Abb. 6: Gelingensbedingungen kooperativer schulinterner Evaluation .......... 327

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Verzeichnis der Abkürzungen

Abb. Abbildung

bzw. beziehungsweise

ca. circa

CERI Centre for Educational Research and Innovation

d.h. das heißt

ebd. ebenda

et al. et altera (und andere)

etc. et cetera (und so weiter)

f. folgende

ff. fort folgende

Fako Fachkonferenz (Fachgruppe, Fachschaft) einer Schule

FEP Forschungs- und Entwicklungsplan und/ oder Forschungs- und Entwicklungsgruppe

ggf. gegebenenfalls

Hervorh. Hervorhebung

Hrsg. Herausgeber/innen

IGLU Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung

INIS Internationales Netzwerk Innovativer Schulsysteme

ISP Institutioneller/s Schulentwicklungs-Prozess/Programm

KL Kollegleitung (des Oberstufen-Kollegs)

LAU Lernausgangslagenuntersuchung (Hamburg)

LIS Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg

NPM New Public Management

OE Organisationsentwicklung

OECD Organisation for Economic Co-operation and Development

OS Oberstufen-Kolleg

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PISA Programme for International Student Assessment

PQM Pädagogisches Qualitätsmanagement

resp. respektive

SchiLF Schulinterne Lehrerfortbildung

s.o. siehe oben

s.u. siehe unten

Tab. Tabelle

TIMSS Third International Mathematics and Science Study

u.a. unter anderem

UFO Unterrichtsforscher/innen

usw. und so weiter

vgl. vergleiche

WL Wissenschaftliche Leitung (des Oberstufen-Kollegs)

z.B. zum Beispiel

zit. nach zitiert nach

z.T. zum Teil

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Vorwort

Die Zahl der Veröffentlichungen zu den Themen Evaluation und Schulentwick-lung und zur Bedeutung schulischer Kooperation für Innovationsprozesse ist in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen. Die mittlerweile große Band-breite unterschiedlicher Konzepte, Verfahren, Projekte und Erkenntnisse sowie die mit diesem Themenfeld verbundene bildungspolitische Dynamik machen den Versuch, sich einen Überblick über den Stand der Diskussion zu verschaffen, zu einem aufwändigen Unternehmen.

Ein wenig klarer stellt sich die Situation dar, wenn man den Fokus auf den Bereich schulischer Spezialkontexte richtet: Innerhalb des Schulsystems haben Einrichtungen mit Versuchsauftrag vielfältige Erfahrungen mit der eigenen In-novationsfähigkeit. Einen Teil dieses Erfahrungsschatzes zu heben und ihn für den schulpädagogischen und schulpraktischen Diskurs nutzbar zu machen ist Ziel dieser Arbeit: Am Oberstufen-Kolleg Bielefeld, einer Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen, standen Lehrkräfte im Zuge einer umfassenden Neuausrichtung des versuchsschulischen Profils vor der Aufgabe, curriculare Innovationen zu entwickeln, in den schulinternen Schulentwicklungsprozess einzubringen und prozessbegleitend zu evaluieren. Unterstützt wurden sie dabei von forschungsmethodisch speziell ausgebildeten Personen, die mit ihnen in Teams zusammenarbeiteten. Die Perspektiven beider Akteursgruppen wurden in einer Organisationsform zusammengebracht, die hier als kooperative schulinter-ne Evaluation bezeichnet wird und eine Sonderform schulischer Evaluation dar-stellt.

Die vorliegende Untersuchung nimmt die Erfahrungen der mehrjährigen Entwicklungs- und Evaluationstätigkeit der beteiligten Akteure zum Anlass, um nach den Verläufen, Problembereichen und Gelingensbedingungen kooperativer schulinterner Evaluation zu fragen und diese Erkenntnisse in die Debatte um künftige Wege in der Schulentwicklung einzubringen. Auf der Basis von Doku-mentenanalysen und einer Interviewstudie wird gezeigt, dass eine kooperative,

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d.h. auf der Integration unterschiedlicher Akteurs- und Statusgruppen basierende und auf das Ziel der Schulentwicklung ausgerichtete schulische Evaluation zwar ein ambivalentes und spannungsreiches Unterfangen darstellt, die damit verbun-dene Erweiterung der Blickwinkel der Akteure jedoch auch Chancen für die Schule als multiprofessionelle Organisation bietet.

„Kommunikation ist ein liebender Kampf“ (Jaspers 1962). Dieser auf den Philosophen Karl Theodor Jaspers zurückgehende und vom Organisations- und Schulentwickler Wilfried Schley zu „Kooperation ist ein liebender Kampf“ (Schley 2006) abgewandelte Satz wurde für mich im Laufe meiner Forschungs-tätigkeit am Oberstufen-Kolleg zum Inbegriff eines als komplex erlebten Ent-wicklungsprozesses. So empfand ich die Bewältigung meiner Doppelrolle als Mitarbeiter der Wissenschaftlichen Einrichtung Oberstufen-Kolleg einerseits und Forschender innerhalb eines Teilbereichs der Versuchsschule andererseits als nicht immer leicht zu bewältigende Herausforderung. Das Austarieren von Nähe und Distanz wurde zwar mitunter zu einem Balanceakt, führte jedoch schluss-endlich zu produktiven Ergebnissen. Allen, die diesen spannungsreichen Prozess in irgendeiner Form unterstützt und gefördert haben, gilt mein großer Dank.

Besonders danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Josef Keuffer für die fundier-te fachliche Betreuung und die ermutigende Art, mit der er mir immer wieder Vertrauen in das Projekt gegeben hat. Auch die wohlwollende Unterstützung durch Herrn Prof. Dr. Uwe Sander und der von ihm eingebrachte ‚versuchsschul-fremde’ Blick haben diese Arbeit in hohem Maße bereichert. Beide haben mir in allen Phasen mit Gesprächen und Informationen geholfen und mich mit vielen wertvollen Hinweisen und Kommentaren inspiriert und ermuntert.

Verschiedene Personen haben sich Zeit genommen, meine Aufzeichnungen durchzusehen und mir hierzu Rückmeldung zu geben. Für die konstruktiven und inspirierenden Kommentare sei herzlich gedankt Christiane Henkel, Dr. Alex Hessling, Dr. Gabriele Klewin, Dr. Maria Kublitz-Kramer, Prof. Dr. Hans-Günter Rolff, Elke Rosowski, Anja Siekmann und Dr. Thea Stroot. Für die ge-duldige und sorgfältige Durchsicht und Korrektur des Manuskripts möchte ich Dr. Marlene Müller danken.

Ferner möchte ich all jenen meinen Dank aussprechen, die bereit waren, meine Untersuchung durch ein Interview oder sonstige Informationen zu unter-stützen. Ohne das mir entgegen gebrachte Vertrauen hätte diese Studie nicht realisiert werden können.

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Dem Kollegium des Oberstufen-Kollegs sei recht herzlich für Interesse, Of-fenheit und Anregungen gedankt.

Zu nennen sind ferner all jene Personen, denen ich im Rahmen der Untersu-chung begegnet bin und die meine Gedanken mit kritischen und konstruktiven Kommentaren bereichert und inspiriert haben. Meiner Familie und meinen Freunden möchte ich dafür danken, dass sie mir in dieser Zeit den Rücken ge-stärkt haben.

Bielefeld, im September 2008 Sebastian Boller

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„Nur Individuen können weise sein, Institutionen sind im günstigsten Fall gut konzipiert“

Peter Sloterdijk

I Theoretische Rahmung im Kontext von Evaluati-on, Kooperation und Schulentwicklung

Evaluation als normatives gesellschaftliches Leitparadigma hat Hochkonjunktur: Kein Modellprojekt, kein innovatives Forschungs- oder Entwicklungsvorhaben kommt mehr ohne den durch Evaluation zu erbringenden Wirkungsnachweis aus. Angesichts weit reichender und vielschichtiger Ökonomisierungs- und Rati-onalisierungszwänge ist Evaluation mittlerweile zu einem mythischen Zauber-wort avanciert. Dabei wird von Evaluation in einer rationalisierten Welt viel erwartet: Komplexität soll reduziert, Wirkungen sollen empirisch begründet, entscheidungsrelevantes Wissen produziert, Kosten-Nutzen-Relationen überprüft und wie auch immer geartete Qualität entwickelt und gesichert werden. Infolge des in alle gesellschaftlichen Teilbereiche hineinwirkenden Evaluationsbooms ist ein expandierender Wirtschaftssektor entstanden, der spezialisierte und komple-xe evaluationsbezogene Dienstleitungen und Produkte anbietet. Vor diesem Hintergrund ist Evaluation bereits als „modernes Ritual“ (vgl. Schwarz 2006) in einer von den ambivalenten Folgen der Rationalisierung durchdrungenen Welt etikettiert worden.

Seit sich die deutsche Schullandschaft in einer Phase vielschichtigen Wan-dels befindet, spielt Evaluation auch in der Debatte um Qualität von Schule und Unterricht eine immer wichtigere Rolle. Infolge der Ergebnisse der vergleichen-den Schulqualitäts- und Innovationsforschung und vor dem Hintergrund der durch TIMSS, PISA, IGLU und andere Schulleistungsstudien evozierten Krise traditioneller Steuerungssysteme wurde im Laufe der 1990er Jahre in Einzel-schule, Schulaufsicht und Schulforschung begonnen, mit unterschiedlichen Ver-

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fahren interner und externer Evaluation zu experimentieren, um ihre Tauglichkeit als Innovations- und Steuerungsinstrumente zu ergründen. Die Rede von Evalua-tion im Schulwesen kann als Antwort auf die zeitliche Parallelität der Aufde-ckung von Qualitätsmängeln im Schulwesen, die Verknappung der Finanzmittel im Sozial- und Bildungssektor und die Einführung neuer Management- und Steuerungssysteme im öffentlichen Sektor (NPM) verstanden werden (vgl. Hen-se 2006). Obwohl Schulen mittlerweile vielfach zu Evaluation verpflichtet sind und in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an Verfahren und Konzepten an-gewandt und erprobt wurden, sind längst nicht alle Fragen ihrer praktischen Umsetzung und institutionellen Verankerung beantwortet. Die Komplexität pä-dagogischer und organisationaler Prozesse, die Unterschiedlichkeit der Aus-gangssituationen und Anforderungen sowie meist nicht optimale Rahmenbedin-gungen in den Schulen führen nicht selten zu dem Ergebnis, dass Erfolge und ‚Wirkungen’ von Evaluation überschätzt und aus Einzelstudien vorschnell ver-einfachende ‚Lösungsvorschläge’ abgeleitet und auf andere Kontexte übertragen werden.

Hintergrund und zugleich Voraussetzung des Evaluationsbooms in den Schulen ist die bildungspolitisch und schulpädagogisch geführte Debatte um künftige Entwicklungslinien des Schulsystems. Mit wohlklingenden programma-tischen Schlagworten soll eine Richtungsänderung der schulischen Steuerung und – damit verbunden – eine Verlagerung der Verantwortung für Schulentwick-lung eingeleitet werden: Aufgrund der in nationalen und internationalen Schul-leistungsvergleichsstudien nachgewiesenen Systemschwächen und Steuerungs-schwierigkeiten wird fortan weniger das schulische Gesamtsystem als vielmehr die Einzelschule als Ort schulischer Innovation begriffen (vgl. Moser 1999; Rolff 1991). Regulierende Eingriffssteuerung soll zunehmend einer „Steuerung auf Abstand (...) nach dem Kontextmodell“ (Holtappels/ Rolff 2004, 59) weichen. Neben interner und externer Evaluation sollen nun weit gefasste und für alle Schulen verbindliche outputorientierte Bildungsstandards und zentrale Leis-tungstests ein Auseinanderdriften der Einzelschulen in Folge der zunehmenden Autonomisierung verhindern, Zielorientierung ermöglichen und ein gewisses Maß an Vergleichbarkeit herstellen (vgl. Ahnen 2005; Altrichter 2006; Klieme et al. 2003). Als Konsequenz des häufig nur unzureichend ausbuchstabierten Ver-hältnisses von externer Kontrolle und interner Qualitätssicherung sind Schulen faktisch mit den curricularen, institutionsbezogenen und juristischen Rahmen-vorgaben der Schulaufsicht (z.B. Zentralabitur, Kernlehrpläne, Kerncurricula)

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konfrontiert und sollen sich gleichzeitig durch kritische Überprüfung ihrer eige-nen Leistungsfähigkeit kontinuierlich und eigenverantwortlich weiterentwickeln. Diese ‚Mischstrategie’ stellt ein schwieriges und widersprüchlich anmutendes Unterfangen dar, bei dem Evaluation maßgeblich die Rolle des Normierungsin-struments spielt. Dessen unmittelbare Folgen betreffen die Schulen, ohne dass sie ihrer Organisationsstruktur nach darauf vorbereitet sind.

Ein Blick in die mittlerweile umfangreiche Schulentwicklungsliteratur zeigt, dass besonders Selbstevaluation als Variante schulinterner Evaluation im Rah-men der so genannten „Ermöglichungsstrategie“ (Altrichter 2006, 6) der 1990er Jahre eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung autonomer werdender Einzelschu-len spielte (vgl. Bildungskommission Nordrhein-Westfalen 1995; Moser 1999; Rolff 1995a, 1995b). Das hinter der neuen Steuerung stehende Paradigma impli-ziert jedoch weitaus mehr als lediglich die Verbesserung von Unterricht durch die Lehrkräfte: Schulen und damit ganze Lehrerkollegien sollen als „lernende Organisationen“ (vgl. Argyris/ Schön 2002; Senge 1996) ein erweitertes Profes-sionalitätsverständnis entwickeln, das sie in die Lage versetzt, sich in einen um-fassenden selbstreflexiven Lern- und Entwicklungsprozess zu begeben, der es ihnen ermöglichen soll, ihr Profil zu schärfen, selbstständig und kritisch die Erreichung von Zielen zu überprüfen und Organisationsabläufe zu optimieren (vgl. Burkard 1998). Doch gerade hierin besteht nach Terhart (2002) das Prob-lem: „Wie kann man ein System aktivieren, das zwar das Lernen der Schüler zu organisieren hat – selbst aber in großen Teilen meint, nicht lernen zu müssen?“ (ebd., 108). Die Lehrer1 empfinden die partiell gewährten Freiräume, die Verla-gerung der Verantwortung für Schulentwicklung in die Schulen und die von Seiten der Wissenschaft, Organisationsberatung und Schulaufsicht proklamierten Möglichkeiten des organisationalen Lernens teilweise durchaus als willkommene Freiheit und Herausforderung, mitunter jedoch auch als Anforderung, als Druck und erzwungene Entwicklungsaufgabe (vgl. Strittmatter 1997). Die für schuli-sche Evaluation charakteristischen Problembereiche, Widerstände und Vorbehal-te lassen sich folglich durch die ambivalenten und mitunter widersprüchlichen Begründungs- und Anwendungszusammenhänge und die bislang nur schwach ausgeprägte „Evaluationskultur“ (Harsch/ Schröder 2005, 31) in den Schulen erklären. Hinzu kommt, dass Evaluation neben einschlägigen Kompetenzen auf

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit ausschließlich die männliche Form

von Berufsbezeichnungen verwendet. Lehrerinnen, Evaluatorinnen usw. sind hierbei eingeschlos-sen. Zitate aus der verwendeten Literatur sind von dieser Regelung ausgenommen.

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Seiten der Beteiligten immer auch bestimmte strukturelle Rahmenbedingungen voraussetzt, welche in den Schulen jedoch (noch) nicht auf breiter Basis vorhan-den sind (vgl. Müller 2002). Dies gilt nicht zuletzt für innerschulische Koopera-tionsbeziehungen, die einen entscheidenden Einfluss auf organisationale Innova-tionen und die Leistungsentwicklung der Schüler ausüben (vgl. Aurin 1990; Fullan 2000; Schley 1998a). Angesichts des hohen Stellenwerts von Kooperation und Teamarbeit kann es kaum überraschen, dass Evaluation und Schulentwick-lung inzwischen regelmäßig mit Maßnahmen der Personalentwicklung in Ver-bindung gebracht und mit Unterrichts- und Organisationsentwicklung zu Ver-bundsystemen verknüpft werden (vgl. Rolff 2007a). Untersuchungen zur Koope-rationspraxis in Lehrerkollegien (vgl. z.B. Liermann 2004; Popp 1998; Rüegg 2000) erbringen jedoch regelmäßig übereinstimmend das Ergebnis, dass syste-matische Kooperation, sofern sie überhaupt praktiziert wird, aufgrund der spezi-fischen Strukturprinzipien der Organisation Schule und der spezifischen Charak-teristika des Lehrerhandelns vielfach spannungsreich, komplex und konflikthaft verläuft – zumal dann, wenn sie auf die Evaluation unterrichtlichen Handelns zielt (vgl. Bastian 2007).

Die Schwierigkeiten bei der Durchführung und Verstetigung von Evaluati-onsaktivitäten in den Schulen haben dazu geführt, dass verstärkt über die Einbe-ziehung schulexterner Akteure in das innerschulische Qualitätsmanagement diskutiert wird (vgl. Altrichter 2006; Böttcher/ Brohm 2005). Hierzu trägt nicht zuletzt auch die Erkenntnis bei, dass nachhaltige evaluationsbasierte Schulent-wicklung Kooperation, Teamarbeit, lokale Netzwerke und schulische Unterstüt-zungssysteme benötigt, die den organisationalen Wandel strukturieren und festi-gen (vgl. Hense 2006; Jäger 2004). So verweist beispielsweise der von Acker-mann und Rahm geprägte Begriff „kooperative Schulentwicklung“ auf die Po-tenziale schulübergreifender und überinstitutioneller Kooperationsbeziehungen in Schulforschung und Schulentwicklung. Derartige Ansätze begreifen systema-tische Reflexionsanlässe in der Kooperation zwischen Lehrkräften, Universitä-ten, Forschungsinstituten und Lehrerbildungseinrichtungen als Voraussetzung, um ein „neues Verständnis von Schulentwicklung“ (Ackermann/ Rahm 2004, 8) zu entwerfen. Die im Vermittlungsprozess zwischen den unterschiedlichen Ebe-nen entstehenden Widersprüche, Dilemmata und Unwägbarkeiten werden dabei weniger als zu minimierende Störungen, sondern vielmehr als notwendige und produktive Prozesse bei der Lösung komplexer schulischer Forschungs- und Entwicklungsaufgaben betrachtet (vgl. Rahm et al. 2006). In diesem Sinne imp-

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liziert kooperative Schulentwicklung – ähnlich die der hier zur Diskussion ge-stellte Ansatz der kooperativen schulinternen Evaluation – „Chancen für die mehrperspektivische Bearbeitung von gemeinsamen Themen und Problemfel-dern, aber es ist die Frage, wie die jeweiligen Institutionen mit dieser Möglich-keit umgehen“ (Ackermann/ Rahm 2004, 8).

Die empirische Befundlage zu den Chancen und Grenzen des Umgangs un-terschiedlicher Akteure im Kontext der Einzelschulentwicklung und zum Ein-fluss externer Akteure auf innerschulische Innovationsprozesse muss jedoch als unzureichend bezeichnet werden. Bei den vorliegenden Studien handelt es sich meist um Einzelfallbeschreibungen, die Kooperationsprozesse aus Sicht von Lehrkräften und externen Akteuren mit überwiegend positivem Verlauf be-schreiben (vgl. z.B. Altrichter/ Posch 1999; Bastian et al. 2002; Buhren/ Rolff 1996; Buschek 1996; Döpp 1998; Kemnade 2003; Fichten et al. 2006). Die Stär-ke dieser Analysen liegen in der Möglichkeit, Rückschlüsse auf strukturelle, organisationale und soziale Aspekte von Kooperationsprozessen zwischen Leh-rern und schulexternen Partnern in der Einzelschule und den damit verbundenen Möglichkeiten und Restriktionen zu ziehen. Allerdings lassen diese Fallbe-schreibungen häufig einen übergeordneten theoretischen Rahmen vermissen, weshalb die Reichweite ihrer Aussagen begrenzt ist. Mitunter handelt es sich auch um selbstreflexiv und prozessorientiert angelegte Selbstbeschreibungen, die über das Erkenntnisniveau von ‚Erfahrungsberichten’ nicht hinaus kommen.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen einführenden Erörterun-gen für die Erkenntnisperspektive der vorliegenden Studie ziehen? Vereinfacht ausgedrückt basiert das Grundprinzip schulinterner Evaluation auf dem Gedan-ken, durch die datengestützte Analyse und Reflexion des schulischen Status-quo ließe sich die pädagogische und organisationale Praxis verbessern. Gleichzeitig hat jedoch jeder durch Evaluation evozierte Innovationsimpuls nicht intendierte Folgen bzw. ‚Nebenwirkungen’ auf der schulischen Strukturebene und der Handlungs- bzw. Interaktionsebene (vgl. Rolff 2002; Wischer 2003). Evaluation kann also nicht als ‚Allheilmittel’ für schulische Problemlagen angesehen wer-den, sondern ist differenzierter, in ihrer Janusgesichtigkeit zu betrachten. Die exemplarische Illustration einiger Facetten des ambivalenten und vielschichtigen Charakters schulischer Evaluation ist ein wesentliches Ziel dieser Untersuchung.

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Gegenstand, Zielsetzungen und Herangehensweise der Untersuchung

Die Frage, wie Schulen mit Versuchsauftrag die eigene institutionelle Weiter-entwicklung gestalten, ist in jüngerer Zeit verstärkt ins Blickfeld von Forschung geraten. Mittlerweise liegen eine Reihe von Untersuchungen vor, die sich – bei jeweils unterschiedlichen Akzentuierungen – mit den Bedingungen, dem Ver-lauf, den Problemen sowie den Besonderheiten und Gelingensbedingungen von Schulentwicklungsprozessen an Versuchsschulen befassen (vgl. z.B. Demmer-Dieckmann 2005; Wischer 2003; Herzmann 2001; Koch-Priewe 2000). Um über bisherige Befunde hinausgehende Erkenntnisse zu schulinternen Evaluationspro-zessen zu erhalten, werden im Rahmen dieser Arbeit Ergebnisse bisheriger Stu-dien zu Innovationsprozessen an Regel- und Versuchsschulen aufgegriffen und mit den Schulentwicklungserfahrungen einer traditionsreichen Versuchsschule in Beziehung gesetzt. Am Beispiel der schulinternen Evaluation am Oberstufen-Kolleg Bielefeld, einer seit 30 Jahren bestehenden Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen, werden die strukturellen und sozialen Bedingungen eines spezifischen schulinternen Evaluationsansatzes in den Blick genommen: Der Ansatz der kooperativen schulinternen Evaluation basiert auf einer verpflichten-den Zusammenarbeit von Lehrkräften der Versuchsschule Oberstufen-Kolleg und Evaluatoren der Wissenschaftlichen Einrichtung Oberstufen-Kolleg. Beide Gruppen stehen vor der Aufgabe, neue Unterrichtsformen zu entwickeln und zu evaluieren und die Ergebnisse ihrer Arbeit in den Schulentwicklungsprozess einzubringen. Aus dieser Aufgabe resultieren für Lehrer und Evaluatoren weit reichende Anforderungen an die Anbahnung und Ausgestaltung der innerschuli-schen Kooperationsprozesse. Wie lassen sich unter diesen Ausgangsbedingungen evaluationsbezogene Kooperationsprozesse realisieren, welche Problembereiche entstehen dabei und welche Modalitäten der Kooperation entwickeln die Akteu-re? Auf welche Weise bearbeiten die Akteure die sich in diesem Kooperations-modell erhöhende soziale und strukturelle Komplexität?

Die vorliegende qualitative Studie lässt sich als explorativ, rekonstruktiv und hypothesengenerierend ausgerichtete Beschreibung und Analyse kooperativ angelegter Evaluations- und Schulentwicklungsprozesse charakterisieren: Aus-gehend von einem umfassenden institutionellen Innovationsauftrag werden am Beispiel zweier Evaluationsprojekte aus dem Oberstufen-Kolleg Entwicklungs-verläufe, Kooperationsprozesse, Struktur- und Handlungsprobleme rekonstruiert und mit dem übergeordneten Thema Schulentwicklung in Beziehung gesetzt. Das Erkenntnisinteresse der Untersuchung ist folglich auf die methodischen,

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prozess-, organisations- und ergebnisbezogenen Implikationen kooperativer schulinterner Evaluation gerichtet.

Da die Untersuchung handelnde Individuen und ihre sozialen Bedeutungs-strukturierungen im Kontext von schulinterner Evaluation und Schulentwicklung thematisiert, geht sie dezidiert von den subjektiven Wahrnehmungs- und Sicht-weisen der Akteure aus, d.h. die einzelnen Lehrer und Evaluatoren stehen mit ihren subjektiven Wahrnehmungen und Wirklichkeitskonstruktionen im Mittel-punkt des Forschungsinteresses. Die Hinwendung zum kontextbezogen handeln-den Subjekt verspricht in diesem Zusammenhang eine Erweiterung des Blick-winkels über rein technisch-rationale Modelle von Schulentwicklung hinaus in Richtung eines akteurszentrierten und konstruktivistischen Verständnisses orga-nisationalen Wandels (vgl. Kieser 1999). Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich durch die empirische Analyse von Evaluationsprozessen typische Problem-bereiche identifizieren und rekonstruieren lassen, die zum Zwecke eines vertie-fenden Verständnisses der dabei ablaufenden sozialen und organisationalen Pro-zesse mit den aus dem Schulentwicklungsdiskurs bekannten empirischen Befun-den verglichen werden können.

Ausgehend von der Frage nach den organisationalen und personellen Be-dingungen kooperativer schulinterner Evaluation verfolgt die Untersuchung vier forschungsleitende Hauptfragestellungen, die in Kapitel 1 bis 3 um theoretische Perspektiven erweitert und in Kapitel 4 in weiterführende Unterfragestellungen ausdifferenziert werden:

1. Welche zentralen Strukturmerkmale weist kooperative schulinterne Evalua-tion als Sonderform schulinterner Evaluation auf?

2. Wie gestaltet sich die Umsetzung kooperativer schulinterner Evaluation unter jeweils gegebenen Bedingungen und wie verhalten sich die beteiligten Akteure?

3. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sich kooperative schulin-terne Evaluation realisieren lässt?

4. Welchen Einfluss üben ‚schulfremde’ Akteure auf evaluationsbezogene Kooperationsprozesse aus?

Die grundlegende thematische Einordnung der Untersuchung ergibt sich aus ihrer Orientierung an der mittlerweile umfangreichen Literatur- und Datenbasis

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zu Verlauf und Prozessbedingungen schulinterner Evaluation (vgl. Hense 2006; Holtappels/ Rolff 2004; Holtappels 2003; Müller 2002; Wischer 2003). Ein wei-terer Anknüpfungspunkt besteht zu einer besonderen Form der Schulentwick-lungsforschung, nämlich empirischen Untersuchungen von Schulentwicklungs-prozessen an Versuchsschulen (vgl. Koch-Priewe 2000, Tillmann/ Wischer 1998; Wischer 2003; Demmer-Dieckmann 2005; Döpp 1990).2 Als theoretische Folie zur Interpretation der empirischen Daten dienen zwei Konzepte: Organisa-tionsentwicklung (OE) (vgl. Bormann 2002; Holtappels/ Rolff 2004; Senge 1996) gibt den Bezugs- und Möglichkeitsrahmen für das organisationale Han-deln der befragten Akteure vor; der Sozialkonstruktivismus (vgl. Berger/ Luck-mann 1969) fungiert als Theoriefolie zur Rekonstruktion und Interpretation der Kooperationsprozesse und der sich dabei abzeichnenden fallstrukturellen Cha-rakteristika.

Gliederung und Fortgang der Untersuchung

Die Arbeit gliedert sich in insgesamt zehn Kapitel und besteht aus der themati-schen Trias (kooperative) schulinterne Evaluation, Schulentwicklung und schuli-sche Kooperation. Die Kapitel sind den Teilbereichen theoretische Rahmung (Teil I), empirische Analyse (Teil II) und Zusammenfassung (Teil III) zugeord-net. In den Kapiteln 1 bis 4 des ersten Teils der Arbeit werde ich zunächst die für diese Untersuchung grundlegenden Themenkomplexe schulinterne Evaluation, Schul- bzw. Organisationsentwicklung und die Frage nach den Bedingungen evaluations- bzw. schulentwicklungsbezogener Kooperation begrifflich und konzeptionell bearbeiten und aufeinander beziehen.

Kapitel 1 thematisiert Ansätze, Verfahren und typische Problembereiche schulinterner Evaluation. Ausgehend von der These eines in alle gesellschaftli-chen Lebensbereiche hineinwirkenden Evaluations- und Rationalisierungspara-digmas werde ich die Hintergründe schulischer Evaluation näher erörtern. Dabei wird auf die Herkunft des Konzepts, seine Ziele, Verfahrensweisen und Metho-den einzugehen sein. Auch werden die Diskrepanz zwischen bildungs- bzw. schulpädagogischer Programmatik einerseits und der tatsächlichen Verankerung

2 Aufgrund der konzeptionellen, theoretischen und räumlichen Nähe orientiert sich diese Untersu-

chung besonders an bisherigen Forschungen zu den Bielefelder Versuchsschulen Oberstufen-Kolleg und der Laborschule. An geeigneten Stellen werde ich jedoch auch Untersuchungen aus anderen reformpädagogischen Kontexten heranziehen.

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evaluativen Handelns in den Schulen und den damit verbundenen Spannungs-momenten andererseits behandelt.

Kapitel 2 ist dem zweiten Themenfeld, Schul- bzw. Organisationsentwick-lung, gewidmet. Hier werden Entwicklungslinien und neuere Tendenzen in der schulischen Steuerung problematisiert und es wird näher auf die Bedeutung des Konzepts der OE für Schule als lernende Organisation eingegangen. Auch hier werden zentrale Begrifflichkeiten erläutert und mit den eingangs formulierten Untersuchungsfragen in Beziehung gesetzt.

Kapitel 3 führt in den dritten zentralen Themenkomplex der Arbeit ein: schulische bzw. organisationale Kooperationsprozesse im Kontext von Evaluati-ons- und Schulentwicklungsprozessen. Die Frage nach den Bedingungen inter-disziplinären kooperativen Arbeitens in der Schule wird aus sozialkonstruktivis-tischer Perspektive betrachtet und es werden Kooperationsmodelle und Erklä-rungsansätze für auftretende soziale und strukturelle Komplikationen entwickelt und diskutiert.

In Kapitel 4 fasse ich schließlich die zentralen Erkenntnisse des theoreti-schen Teils überblicksartig zusammen und konkretisiere das Erkenntnisinteresse mit Blick auf die aufgeworfenen Fragen.

Kapitel 5 des zweiten Teils führt das Oberstufen-Kolleg als Gegenstand der Untersuchung ein, wobei zum besseren Verständnis der empirischen Ergebnisse einige wichtige institutionshistorische Entwicklungslinien nachgezeichnet wer-den. Bedeutsam ist hierbei das im Oberstufen-Kolleg realisierte Modell der ko-operativen schulinternen Evaluation als Sonderform schulinterner Evaluation. Die Basiskurse als thematischer Bezugspunkt der Kooperation werden unter Rückgriff auf die Debatte um Förderung basaler Kompetenzen in der gymnasia-len Oberstufe vorgestellt.

Kapitel 6 ist der Darstellung der methodologischen Planung und der metho-dischen Durchführung der Studie gewidmet. Dabei werde ich u.a. auf den Pro-zess der Datenerhebung und -auswertung eingehen und die Zusammensetzung der Stichprobe darstellen. Hierzu gehören ebenfalls die Aufarbeitung meiner eigenen Rolle im Untersuchungsfeld und die Reflexion im Hinblick auf das Problem der Beobachter- und Teilnehmerperspektive.

Aufbauend auf den theoretischen und methodischen Grundlagen werden in Kapitel 7 die Ergebnisse der eigenen empirischen Analyse kooperativer schulin-

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terner Evaluation am Oberstufen-Kolleg vorgestellt und diskutiert. Mit Fokus auf die kooperative Evaluationspraxis am Oberstufen-Kolleg werden Prozesse, Spannungsmomente sowie Struktur- und Handlungskonflikte dieser Evaluations-form rekonstruiert.

Kapitel 8 des dritten Teils fasst schließlich die zentralen Erkenntnisse der Studie nochmals überblicksartig zusammen und diskutiert sie mit Blick auf die eingangs formulierten Untersuchungsfragen.

Aufbauend auf den Untersuchungsergebnissen werden in Kapitel 9 persona-le und organisationale Gelingensbedingungen für kooperative schulinterne Eva-luation definiert und mit Erkenntnissen zu Evaluations- und Schulentwicklungs-prozessen an Regelschulen in Beziehung gesetzt.

Kapitel 10 dient der Einbettung der Untersuchungsergebnisse in den schul-pädagogischen Diskurs. Hierbei werden einerseits Möglichkeiten für einen Ein-satz kooperativer schulinterner Evaluation im Regelschulbereich kritisch disku-tiert. Andererseits werden weiterführende Forschungsfragen aufgeworfen. Ab-schließend skizziere ich zwei mögliche Entwicklungsrichtungen, die sich aus der Studie ergeben.

Im Zusammenhang mit Zielsetzung und Anlage der Untersuchung sind mehrere Prämissen zu treffen. Auch wenn die Aufarbeitung und Analyse eines Schulentwicklungsprozesses an einer Versuchsschule aus der Perspektive eines in diesem Feld tätigen und forschenden Akteurs spannungsreich anmuten mag, wird hier der Versuch unternommen, auf der Grundlage der subjektiven Sicht-weisen und Wahrnehmungen der in den Interviews befragten Akteure Erkennt-nisse zu gewinnen, die für den schulpädagogischen Diskurs relevant sind. Es kann und soll jedoch in dieser Arbeit nicht um die kritische Beurteilung der Leis-tungen einer Versuchsschule oder einzelner Personen dieser Einrichtung gehen. Vielmehr werden Verlaufsprozesse einzelner Projekte in einem klar umrissenen Arbeitsbereich der Einrichtung rekonstruiert und Erklärungsansätze für den Ver-lauf schulischer Entwicklungsprojekte herausgearbeitet. Darüber hinaus geht es in der vorliegenden Untersuchung ausdrücklich nicht um einen fachdidaktisch-unterrichtlichen Zugang zum Themenfeld. Angestrebt wird vielmehr eine Abs-trahierung von der Ebene fachlicher bzw. fachdidaktischer Fragestellungen auf die ‚überfachliche’ bzw. strukturelle Ebene organisationalen Wandels unter Ein-beziehung der subjektiven Sichtweisen unterschiedlicher Akteursgruppen. Damit grenzt sich die Studie gleichzeitig von Untersuchungen zur Schulqualitäts- und

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Schulwirkungsforschung ab, da es in diesem Zusammenhang nicht um die Erfas-sung der Qualität von Schule auf der Grundlage von Indikatoren, Standards oder Effekten geht. Stattdessen eröffnet die Arbeit eine neue Perspektive auf Verlauf, Rahmenbedingungen und Problembereiche interdisziplinärer evaluationsbezoge-ner Kooperation: die einer kooperativen schulinternen Evaluation.

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1 Schulinterne Evaluation. Theoretische und konzeptionelle Perspektiven

Ausgangs- und Bezugspunkt der Untersuchung zur evaluationsbezogenen Ko-operation ist die Debatte um schulinterne Evaluation und Schulentwicklung und deren Realisierungsbedingungen. Fokussiert wird dabei besonders auf die Frage nach Rahmenbedingungen und Strukturproblemen interdisziplinärer Kooperati-onsprozesse im Zusammenhang mit schulinterner Evaluation. In den folgenden Kapiteln beschäftige ich mich mit dem ersten der drei zentralen Themenkomple-xe, der schulinternen Evaluation. Hierzu werde ich zunächst auf die im Einfüh-rungskapitel aufgeworfene Grundproblematik, die gesellschaftliche Konjunktur des Evaluationsparadigmas, eingehen und hieraus Folgen für das Schulsystem ableiten. Um die Debatte um Evaluation von und in der Schule auf eine theoreti-sche Basis zu stellen, werde ich danach auf grundlegende Implikationen des Begriffs Evaluation eingehen und einige historische Entwicklungslinien von Evaluation als angewandter Sozialwissenschaft im Bildungswesen skizzieren. Diese Ausführungen bilden die Grundlage für den anschließenden systemati-schen Überblick über Verfahren, Methoden und Anwendungsfelder schulinterner Evaluation. Dabei werde ich der Frage nachgehen, welche Konzepte schulinter-ner Evaluation bislang vorliegen und was man über deren Realisierungsbedin-gungen und Handlungsfolgen weiß. Bevor die zentralen Ergebnisse des Kapitels nochmals zusammengefasst werden, gehe ich in Kapitel 2.4 auf bereits bekannte Problembereiche und Schwierigkeiten bei der Realisierung schulinterner Evalua-tion ein. Die Ausführungen dienen also der Vorbereitung des empirischen Teils der Arbeit und führen detaillierter in die gegebene Thematik ein. Das Kapitel schließt mit einer kurzen Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse.

1.1 Evaluation. Konjunktur eines Paradigmas

Wie aus den bisherigen Ausführungen deutlich geworden ist, wird der theoreti-sche Bezugsrahmen der Untersuchung durch das Zusammenspiel von schulinter-

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ner Evaluation, Kooperation und Schulentwicklung konstituiert, dem ich am Beispiel von zwei Evaluationsprojekten des Oberstufen-Kollegs nachgehen wer-de. Die gewählte Untersuchungsperspektive bewegt sich somit im Kontext unter-schiedlicher theoretischer Konzepte. Ausgangspunkt der Untersuchung ist also eine zentrale Grundannahme der Schulforschung, nämlich die Hypothese, dass schulinterne Evaluation „ein Verfahren [darstellt], das Schulentwicklungsprozes-se fortlaufend unterstützen und erleichtern kann, gleichsam als eine Art ‚Werk-zeug’ der Schulentwicklung“ (Burkard 1998, 88). Mit Aussagen wie dieser wird häufig pauschal eine Linearität zwischen den Bestrebungen von Schulen, durch die Sammlung, Analyse und Bewertung von Daten über die eigene Leistungsfä-higkeit, die Auseinandersetzung mit eigenen Stärken und Schwächen und den hierauf basierenden Bemühungen um eine selbstständige und kontinuierliche institutionelle Weiterentwicklung („Schulentwicklung“) unterstellt, die so in der Schulpraxis jedoch nur selten vorhanden ist. Den häufig unterstellten Potenzialen des ‚Werkzeugs’ schulinterne Evaluation stehen Forschungsdesiderate zu sinn-vollen Einsatzmöglichkeiten, typischen Verlaufsformen und Handlungsfolgen gegenüber – dies betrifft Regelschulen und Versuchsschulen gleichermaßen.

Evaluation bzw. evaluatives Denken als Ausdruck einer auf Ökonomisie-rung und Rationalisierung ausgerichteten Lebensweise hat als technisches und normatives Paradigma in diversen Ausgestaltungen und Modellen Eingang in nahezu alle gesellschaftlichen Lebensbereiche gefunden (vgl. Schwarz 2006). Mittlerweile finden sich in Unternehmen, Verwaltung, Bildungssystem (v.a. Schulen, Hochschulen), Gesundheitswesen sowie in vielen pädagogischen Fel-dern (v.a. Sozialpädagogik/ Soziale Arbeit) jeweils bereichsspezifische Ausprä-gungsformen von Evaluation. Evaluation soll dabei – je nach Handlungsfeld – der Qualitätssicherung und -entwicklung, der Rechenschaftslegung sowie der Qualifizierung von Mitarbeitern dienen oder entscheidungsrelevantes Wissen bereitstellen. Zunehmende Budgetierung, Finanzknappheit der öffentlichen Kas-sen und – damit verbunden – steigender Legitimationsdruck haben zur Konjunk-tur des Paradigmas beigetragen. Das Grundprinzip Evaluation kann als einer der einflussreichsten und am nachhaltigsten wirkenden Trends in der Schulland-schaft betrachtet werden und stellt ein zentrales Prinzip des New Public Mana-gements dar (vgl. Heinrich 2007). Mittlerweile ist ein eigener Dienstleistungs-sektor entstanden: Im deutschsprachigen Raum haben sich eine Reihe von Insti-

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tuten und Fachverbänden3 gegründet, Schulen und Hochschulen werden im Sin-ne der Marktorientierung zunehmend als Dienstleister betrachtet und müssen die Qualität ihrer Arbeit nachweisen. Mittlerweile kommt keine staatlich geförderte Maßnahme mehr ohne die obligatorische „Begleitforschung“ aus. So ist Brügel-manns (2006) Einschätzung zuzustimmen, dass Evaluation „kein (nur) techni-sches Problem, sondern ein Politikum“ (ebd., 6) darstellt.

Das deutsche Bildungssystem hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrere wellenartige Evaluationskonjunkturen und – vergleichbar mit dem in den 1980er Jahren in den Vereinigten Staaten zu beobachtenden Trend – eine starke Expan-sion, Ausdifferenzierung und Professionalisierung des Evaluationsbereichs erlebt (vgl. Wottawa/ Thierau 1998). Dabei hat beispielsweise die Evaluationsdebatte der 1990er Jahre andere Hintergründe und Zielsetzungen als der Evaluations-boom der 1970er Jahre: Während es heute meist um Steuerung, Kostensenkung und Controlling geht, fand die Diskussion in den 1970er Jahren im Kontext breit angelegter pädagogischer Reformbestrebungen und umfassender Bildungsinno-vationen statt (vgl. Bauer 2004). War Evaluation damals v.a. mit pädagogischen Hoffnungen und Visionen verbunden, so hat sie heute einen weitaus pragmati-scheren und normativeren Impetus.

Im Schulsystem lässt sich das evaluative Paradigma besonders in der seit den Ergebnissen nationaler und internationaler Vergleichsstudien entstandenen Debatte um Bildungsstandards (Outputorientierung als Globaltrend), schulische Qualität (Schulprogrammarbeit, Selbstevaluation, Schulinspektionen etc.) und der Fokussierung auf Schülerleistungen nachweisen. In der Vergangenheit wurde häufig, wenn von Evaluation die Rede war, pauschal von positiven Wirkungen auf die Leistungen der Schüler und des Schulsystems ausgegangen. Dieser ange-sichts vorliegender und tendenziell eher ernüchternd stimmender Forschungser-gebnisse naiv anmutende (Zweck-) Optimismus hat sich in den vergangenen Jahren zwar relativiert, findet sich jedoch noch immer – z.B. im Zusammenhang mit den in einer Reihe von Bundesländern durchgeführten zentralen Leistungs-tests. Dennoch: Über die tatsächlichen Wirkungen von Evaluation in Schule und Unterricht ist wenig bekannt, da die faktischen Effekte evaluativen Handelns im Sinne einer Wirkungsanalyse bislang meist nur vereinzelt erfasst bzw. gemessen und quantifiziert wurden: Stamm (2003) untersuchte beispielsweise die Folgen

3 Zu nennen sind beispielsweise der 1997 gegründeten Fachverband „DeGEval-Deutsche Gesell-

schaft für Evaluation“, Institute wie z.B. „Univation“ oder die Kommission für Bildungsorganisa-tion, Bildungsplanung, Bildungsrecht der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft.

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von Evaluation und ging der Frage nach, auf welche Weise Evaluationsergebnis-se rezipiert und genutzt werden und wie es gelingen kann, Evaluationsergebnisse in verändertes Handeln zu überführen. Mit Blick auf den hohen Anspruch, der mit dem Leitparadigma Evaluation verbunden wird, kommt sie zu folgendem Ergebnis:

„Die Nutzbarmachung von Evaluationswissen, die über die Schaffung wirksamer Wege und auch über die Schaffung wirksamer Nutzung erleichtert werden könnte, bleibt (...) ein ungeklärtes, schwieriges und nicht gerade verlässliches Geschäft, in erster Linie dort, wo sie mit Hoffnungsszenarien der Veränderung verbunden wird und in der Verbesserung pädagogischer Selbstreflexions- und Entfaltungsfähigkeit der Akteure ein wesentliches Ziel sieht“ (Stamm 2003, 357).

Mögliche Gründe hierfür liegen in erster Linie in den mit Wirkungsanalysen verbundenen methodischen Problemen: Die Isolierung einzelner Wirk- bzw. Einflussfaktoren und der eindeutige Nachweis von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen erweisen sich als äußerst komplex. Hinzu kommen Mängel bei der Definition der Kriterien für Erfolg bei schulischen Evaluationsprojekten und häufig starke Vorbehalte bei Schlüsselpersonen in den Schulen. Trotz der skizzierten Probleme wird die Debatte um Evaluation im Schulsystem program-matisch und mitunter wenig reflektiert geführt; man hofft auf wirksame Effekte. Obgleich die in den 1990er Jahren geführte Debatte um schulische und schulin-terne Evaluation – dabei spielte der verhältnismäßig junge Ansatz der Selbsteva-luation durch Lehrkräfte eine maßgebliche Rolle – in der Tendenz abebbte bzw. sich stärker auf Konzepte externer Evaluation (v.a. vergleichende Leistungsstu-dien, Schulinspektionen) konzentrierte, unterstellen Vertreter der Bildungsadmi-nistration, Schul- bzw. Organisationsberater sowie mitunter Wissenschaftler nach wie vor lineare Wirkungsmodelle bei der Schulentwicklung. Derartig opti-mistisch und rationalistisch geprägte Einschätzungen vernachlässigen die fakti-schen Struktur- und Handlungskonflikte, die bei Evaluations- und Innovations-prozessen auftreten können.

Derzeit ist nicht absehbar, dass sich der Trend zu externer Evaluation, Qua-litätssicherung und Rechenschaftslegung abschwächen wird. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Ihre Bedeutung in allen gesellschaftlichen Bereichen und v.a. auch in den Feldern Schule und Hochschule kann sogar noch zunehmen. Insgesamt führte die ‚empirische Wende’ in den Erziehungswissenschaften dazu, dass sich Stimmen, welche diesen Trend und die mit ihm verbundenen Folgen für die Entwicklung des Schulsystems einer differenzierten Kritik unterziehen,