Seite 7 Überfall auf Gaza-HilfskonvoiWas macht des Köhlers Tun so gefährlich? Er hat Sorge zu...

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www.neues-deutschland.de Postvertriebsstück / Entgelt bezahlt Einzelpreise Ausland: Dänemark Mo-Fr 11,50 DKK/Sa 13,50 DKK; Österreich 1,60/1,80 EUR; Slowakei 1,70/1,90 EUR; Tschechien 61/66 CZK; Ungarn 470/550 Ft; Polen 6,60/7,00 PLN ISSN 0323-4940 65. Jahrgang/Nr. 124 Berlin-Ausgabe 1,40 Sozialistische Tageszeitung Dienstag, 1. Juni 2010* * EXTRA RABATT auf alle Produkte aus Europa gültig vom 26.5. bis 8. 6. 2010 nähere Information www.moebeloase.de A N Z E I G E Protest in Portugal Der Linksblock BdE gehört zu den Pfeilern der Protestbewegung gegen das Sparpro- gramm der Regierung Portugals. Nach Al- ternativen befragte ND den Linksblock- Koordinator Francisco Louçã. Seite 7 Zündstoff indigene Justiz Mit der neuen bolivianischen Verfassung ist die indigene Rechtssprechung offiziell erlaubt. Lynchjustiz hat darin de jure kei- nen Platz, in der Praxis findet sie indes nach wie vor statt. Seite 16 Zehn von 170 »Vom Eise befreit« lautete das Motto des 8. ND-Lesergeschichten-Wettbewerbs. In einer Beilage veröffentlichen wir die zehn von 170 Geschichten, die beim Abschluss- abend am 19. Mai vorgelesen wurden. Standpunkt Tritt zurück Von Gabriele Oertel Eigentlich wollte die Koalition am kommenden Wochenende in Mese- berg eine opulente Streichliste er- arbeiten. Nun muss sie sich viel- mehr hastig um das Stopfen eines Loches kümmern, das Bundesprä- sident Köhler gestern gerissen hat. Die Tatsache, dass er sowohl die Kanzlerin als auch ihren Vize erst kurz vor seinem sofort wirksamen Abgang informierte, deutet auf ein gestörtes Verhältnis zwischen Schloss Bellevue und Kanzleramt hin. Das Ex-Staatsoberhaupt – so dünnhäutig, kurzschlüssig oder kritikempfindlich er gestern auch gescholten wurde – hat der Regie- rungschefin mit beeindruckender Konsequenz die Brocken hinge- schmissen. Wohl auch, weil sie ihm den Rückhalt versagte, nach- dem er eine seit Jahren bekannte Wahrheit über das Verhältnis von Kriegen und Wirtschaftsinteressen offen ausgesprochen hatte. Merkel hatte mal wieder versucht, sich rauszuhalten, diesmal rächte es sich auf dem Fuße. Fest steht, es wird immer ein- samer um die Kanzlerin. Keine Woche nach der süffisanten An- kündigung des hessischen CDU- Ministerpräsidenten Roland Koch, ihr demnächst fernab der politi- schen Bühne ins Handwerk pfu- schen zu wollen, kommt Merkel ihr einstiger präsidialer Vorbote für eine konservative Koalition im Bund abhanden. All das dürfte das Dauerkriseln bei Schwarz- Gelb dramatisch verstärken. In 30 Tagen muss ein Nachfolgekandi- dat für Köhler gefunden werden. Mal sehen, wer bis dahin noch das Handtuch schmeißt. Unten links Ein Köhler hat es von jeher mit hei- ßen Eisen zu tun. Ohne ihn hätte es solche heißen Eisen jahrhundertelang überhaupt nicht gegeben. Erst das Produkt, das ein Köhler herstellt, sorgte bis weit in die Neuzeit hinein für die notwendige Hitze zur Eisen- verhüttung: Ein Köhler macht Kohle aus Holz. Das klingt so märchenhaft, als wolle einer Gold aus Stroh spin- nen. Ein Köhler indes ist kein Spinner und kein Rumpelstilzchen, sondern ein Handwerker mit erhöhtem Be- rufsrisiko. Zu seinem Berufsbild, so die Internet-Enzyklopädie Wikipedia, gehören Angstzustände, Schlafman- gel und Brandnarben. Was macht des Köhlers Tun so gefährlich? Er hat Sorge zu tragen, dass es im Meiler trotz größter Hitze stets nur schwelt, nie brennt. Er muss das Teufelswerk – aus Holz Kohle machen! – penibel überwachen. Denn wenn es lodert in der Köhlerei, dann sind Kohle, Holz und Meiler futsch. Wehe dem Köhler, dem das geschah. In Deutschland, so Wikipedia weiter, ist Köhler ein na- hezu ausgestorbener Beruf. mha Überfall auf Gaza-Hilfskonvoi Israelische Marineeinheit enterte Solidaritätsschiffe und tötete zahlreiche Passagiere Israel hat mit einem Angriff auf einen internationalen Schiffskonvoi mit Hilfsgütern für Palästinenser Bestür- zung und Proteste in weiten Teilen der Welt ausgelöst. Nach unterschied- lichen Angaben wurden bis zu 19 Menschen getötet und zahlreiche wei- tere verletzt, als die Flottille mit Kurs auf den Gazastreifen gewaltsam ge- stoppt wurde. Tel Aviv/Larnaka (dpa/ND). Bluti- ger Überfall im Mittelmeer: Die is- raelische Marine hat am Montag bei der gewaltsamen Erstürmung der internationalen Gaza-»Solida- ritätsflotte« mehr als zehn Aktivis- ten getötet. Ein israelischer Fern- sehsender sprach sogar von 19 to- ten Begleitern des Hilfskonvois. Darüberhinaus wurden Dutzende weitere verletzt, als Elitesoldaten in den Morgenstunden von Hub- schraubern und Kommandobooten aus die sechs Schiffe des Konvois mit Strickleitern enterten. Nach Angaben der Organisation Free Gaza ereignete sich der Vor- fall 75 Meilen (etwa 140 Kilometer) vor der israelischen Küste. Nach Darstellung der israelischen Ar- mee seien »gewaltbereite Aktivis- ten« für den blutigen Zwischenfall verantwortlich. Die Organisation Free Gaza bestritt hingegen, dass Aktivisten auf Soldaten geschossen oder die blutige Gewalt ausgelöst hätten. Sie verwiesen auf Video- aufnahmen von Bord des Schiffes. »Die Soldaten haben begonnen zu schießen, sobald sie an Bord ka- men«, sagte Audrey Bomse von Free Gaza. Auf dem angegriffenen Schiff, der »Marmara« aus der Türkei, befanden sich neben 570 anderen Begleitern auch die bei- den LINKE-Bundestagsabgeordne- ten Annette Groth und Inge Höger sowie weitere Prominente, darun- ter der schwedische Autor Hen- ning Mankell. Nach Angaben der israelischen Armee wurden bis zum Nachmit- tag zwei der sechs Schiffe in den Hafen von Aschdod in Israel ge- bracht. Dort will israelisches Mili- tär die Aktivisten überprüfen und verhören. Danach sollen sie abge- schoben werden. Falls sie dem nicht zustimmen, drohe ihnen eine Inhaftierung. Wer israelische Sol- daten verletzt habe, solle in Israel angeklagt werden. Die Bundesregierung äußerte sich »bestürzt« über die israelische Aktion. Außenminister Guido Wes- terwelle verlangte am Montag in einem Telefonat mit seinem israe- lischen Kollegen Avigdor Lieber- man eine »umfassende Untersu- chung«, wie Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Montag in Ber- lin mitteilte. Es gebe, so Wilhelm, Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des israelischen Einsatzes. Er er- klärte aber, jede Bundesregierung unterstütze vorbehaltlos das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Das Schicksal von bis zu zehn Bundes- bürgern, die auf der »Marmara« waren, müsse schnellstmöglich geklärt werden. Neben den beiden LINKE-Abgeordneten sind das un- ter anderem deren ehemaliger Kol- lege Norman Paech, der Vertreter der deutschen Sektion der Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges, Matthias Jochheim, sowie Nader el-Sakka von der Palästinensischen Gemeinde Deutschland. Israel hat eine Nachrichtensper- re verhängt. Bis zum frühen Abend war deshalb auch die Identität der Getöteten und Verletzten nicht be- kannt. Außerdem soll das israeli- sche Militär allen Passagieren die Telefone abgenommen haben, auch den Abgeordneten. Linksfraktionschef Gregor Gysi hat den Überfall gegen die interna- tionale Hilfsflotte für den Gaza- streifen als »unverantwortlich und verbrecherisch« bezeichnet. Dies dürfe man Israel nicht durchgehen lassen. Er forderte von Bundes- kanzlerin Angela Merkel und Wes- terwelle, dass sie sich »intervenie- rend einsetzen gegenüber der is- raelischen Regierung«. Die Bun- desregierung müsse das Ende der Gewalt gegenüber den Besatzun- gen der Schiffe sowie die unverzüg- liche Freilassung sämtlicher fried- licher Besatzungsmitglieder ein- fordern. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sprach von einem »Massa- ker« und »abscheulichen Verbre- chen«. Die türkische Regierung rief aus Protest ihren Botschafter aus Israel zurück. Athen brach Luftwaffenmanöver mit Israel in der Ägäis ab. Der UNO-Sicher- heitsrat wollte wegen des israeli- schen Vorgehens noch gestern Abend zu einer Dringlichkeitssit- zung zusammentreten. Auch Frie- densorganisationen und Kirchen in aller Welt haben den israeli- schen Angriff auf die Gaza-Hilfs- flotte scharf verurteilt. Radikalen Sparkurs angekündigt FDP-Haushaltsexperte Fricke stellt auch Steuerrabatt für Hotels in Frage Die Bundesregierung will strikt spa- ren – über das Wie hält die Diskussion in der Regierungskoalition an. Berlin (dpa/ND). Die schwarz-gel- be Koalition will trotz der Lichtbli- cke bei der Konjunktur schon im nächsten Jahr auf einen radikalen Sparkurs einschwenken. »Die Bundesregierung wird (...) auch im Jahr 2011 bereits mehr einsparen, als unbedingt erforderlich wäre«, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Montag in Berlin. Er begründete dies mit steigen- den Anforderungen an die Sanie- rung der Staatsfinanzen in den Folgejahren. Die Sparanstrengun- gen sollen gleichmäßiger verteilt werden. Durch günstigere Ent- wicklung der Wirtschaftslage und den robusten Arbeitsmarkt könn- ten die Staatskassen zunächst oh- ne härtere Einschnitte entlastet werden. »Klar ist aber (...), dass wir tiefgreifende Einsparungen werden vornehmen müssen«, be- kräftigte Wilhelm mit Blick auf die Vorgaben der Schuldenbremse und des EU-Stabilitätspaktes. Der Hauptakzent werde auf der Aus- gabenseite – also Einsparungen – liegen. Der Abbau von Subventio- nen werde auch eine Rolle spielen. Dagegen genießen Ausgaben für Bildung, Forschung und Innovati- onen laut Wilhelm einen besonde- ren Stellenwert. Warnungen aus dem Ausland, ein zu radikaler Sparkurs in Deutschland gefährde den Aufschwung der Weltwirt- schaft, wies Wilhelm zurück. Der saarländische Ministerprä- sident Peter Müller (CDU) sprach sich für die stärkere Belastung Besserverdienender aus. »Wenn alle Opfer bringen müssen (...), dann muss man bei denen begin- nen, die sich das eher leisten kön- nen als andere.« Die Diskussion über Einschnitte sei »nur zu beste- hen, wenn Signale gesetzt werden, dass Besserverdienende ihren so- lidarischen Beitrag leisten«. Dabei müsse auch über eine Anhebung der Einkommensteuer für diesen Personenkreis geredet werden. Das Wirtschaftsministerium wies den Vorstoß des FDP-Haus- haltsexperten Otto Fricke zurück, den umstrittenen Steuerbonus für Hotels möglicherweise wieder zu streichen. »Völlig abwegig sind Vorschläge über die Wiedereinfüh- rung des vollen Mehrwertsteuer- satzes für das Beherbergungsge- werbe«, sagte hingegen der Mittel- standsbeauftragte, Staatssekretär Ernst Burgbacher (FDP). Linkspolitiker: Anfangsverdacht für ein Kriegsverbrechen Seite 2 Das Ende einer Freundschaft Seite 2 Maritime Rambos Seite 8 Ein am Schauplatz des Überfalls entstandenes Bild – wiedergegeben vom türkischen TV-Kanal Cihan. Foto: AFP Köhler gibt nach Kritik Amt auf Bundesrepublik ohne Bundespräsident Berlin (AFP/ND). Bundespräsident Horst Köhler ist nach der Empö- rung über seine Äußerungen zu Bundeswehr-Einsätzen überra- schend zurückgetreten. Die Kritik an seinen Worten entbehre jeder Rechtfertigung, sagte Köhler am Montag in Berlin. Ein Nachfolger muss nun binnen 30 Tagen gewählt werden, die Amtsbefugnisse über- nimmt zunächst Bundesratspräsi- dent Jens Böhrnsen (SPD). Köhler hatte mit der Interview-Aussage für Empörung gesorgt, militärische Einsätze könnten auch den wirt- schaftlichen Interessen Deutsch- lands dienen. Köhler erklärte seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung auf einer kurzfristig einberufenen Presse- konferenz. Die Kritik an seinen Äu- ßerungen lasse den »notwendigen Respekt« vor dem höchsten Amt im Staate vermissen. Er hob erneut hervor, er habe sich keineswegs für Bundeswehreinsätze ausgespro- chen, die nicht vom Grundgesetz gedeckt seien. Er bedauere aller- dings, dass seine Äußerungen zu Missverständnissen hätten führen können. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie bedaure den Rücktritt »auf das Allerhärteste«. Köhler ha- be sie selbst erst um 12.00 Uhr da- rüber informiert, dass er zwei Stunden später zurücktreten wolle. Merkel versuchte nach eigenen An- gaben ebenso wie FDP-Chef Guido Westerwelle vergeblich, Köhler von seinem Rücktritt abzuhalten. Er bedauere den Schritt »aus vollem Herzen«, habe ihn aber zu respek- tieren, sagte der Außenminister und Vizekanzler. Nach Ansicht von SPD-Partei- chef Sigmar Gabriel hat auch der fehlende Rückhalt in der schwarz- gelben Koalition Bundespräsident Horst Köhler zum Amtsverzicht bewogen. »Horst Köhler war kein bequemer Bundespräsident, und das wollte er erklärtermaßen auch nicht sein«, sagte Gabriel am Mon- tag in Berlin. Für die Entscheidung über einen SPD-Kandidaten für das höchste Amt im Staat sei es noch zu früh. Die SPD könne »nicht aus dem Hut einen Kandi- daten zaubern«. Seite 3

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Protest in PortugalDer Linksblock BdE gehört zu den Pfeilern

der Protestbewegung gegen das Sparpro-

gramm der Regierung Portugals. Nach Al-

ternativen befragte ND den Linksblock-

Koordinator Francisco Louçã. Seite 7

Zündstoff indigene JustizMit der neuen bolivianischen Verfassung

ist die indigene Rechtssprechung offiziell

erlaubt. Lynchjustiz hat darin de jure kei-

nen Platz, in der Praxis findet sie indes

nach wie vor statt. Seite 16

Zehn von 170»Vom Eise befreit« lautete das Motto des

8. ND-Lesergeschichten-Wettbewerbs. In

einer Beilage veröffentlichen wir die zehn

von 170 Geschichten, die beim Abschluss-

abend am 19. Mai vorgelesen wurden.

Standpunkt

Tritt zurückVon Gabriele Oertel

Eigentlich wollte die Koalition amkommenden Wochenende in Mese-berg eine opulente Streichliste er-arbeiten. Nun muss sie sich viel-mehr hastig um das Stopfen einesLoches kümmern, das Bundesprä-sident Köhler gestern gerissen hat.Die Tatsache, dass er sowohl dieKanzlerin als auch ihren Vize erstkurz vor seinem sofort wirksamenAbgang informierte, deutet auf eingestörtes Verhältnis zwischenSchloss Bellevue und Kanzleramthin. Das Ex-Staatsoberhaupt – sodünnhäutig, kurzschlüssig oderkritikempfindlich er gestern auchgescholten wurde – hat der Regie-rungschefin mit beeindruckenderKonsequenz die Brocken hinge-schmissen. Wohl auch, weil sieihm den Rückhalt versagte, nach-dem er eine seit Jahren bekannteWahrheit über das Verhältnis vonKriegen und Wirtschaftsinteressenoffen ausgesprochen hatte. Merkelhatte mal wieder versucht, sichrauszuhalten, diesmal rächte essich auf dem Fuße.

Fest steht, es wird immer ein-samer um die Kanzlerin. KeineWoche nach der süffisanten An-kündigung des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch,ihr demnächst fernab der politi-schen Bühne ins Handwerk pfu-schen zu wollen, kommt Merkel ihreinstiger präsidialer Vorbote füreine konservative Koalition imBund abhanden. All das dürftedas Dauerkriseln bei Schwarz-Gelb dramatisch verstärken. In 30Tagen muss ein Nachfolgekandi-dat für Köhler gefunden werden.Mal sehen, wer bis dahin noch dasHandtuch schmeißt.

Unten links

Ein Köhler hat es von jeher mit hei-ßen Eisen zu tun. Ohne ihn hätte essolche heißen Eisen jahrhundertelangüberhaupt nicht gegeben. Erst dasProdukt, das ein Köhler herstellt,sorgte bis weit in die Neuzeit hineinfür die notwendige Hitze zur Eisen-verhüttung: Ein Köhler macht Kohleaus Holz. Das klingt so märchenhaft,als wolle einer Gold aus Stroh spin-nen. Ein Köhler indes ist kein Spinnerund kein Rumpelstilzchen, sondernein Handwerker mit erhöhtem Be-rufsrisiko. Zu seinem Berufsbild, sodie Internet-Enzyklopädie Wikipedia,gehören Angstzustände, Schlafman-gel und Brandnarben. Was macht desKöhlers Tun so gefährlich? Er hatSorge zu tragen, dass es im Meilertrotz größter Hitze stets nur schwelt,nie brennt. Er muss das Teufelswerk– aus Holz Kohle machen! – penibelüberwachen. Denn wenn es lodert inder Köhlerei, dann sind Kohle, Holzund Meiler futsch. Wehe dem Köhler,dem das geschah. In Deutschland, soWikipedia weiter, ist Köhler ein na-hezu ausgestorbener Beruf. mha

Überfall auf Gaza-HilfskonvoiIsraelische Marineeinheit enterte Solidaritätsschiffe und tötete zahlreiche Passagiere

Israel hat mit einem Angriff auf einen

internationalen Schiffskonvoi mit

Hilfsgütern für Palästinenser Bestür-

zung und Proteste in weiten Teilen

der Welt ausgelöst. Nach unterschied-

lichen Angaben wurden bis zu 19

Menschen getötet und zahlreiche wei-

tere verletzt, als die Flottille mit Kurs

auf den Gazastreifen gewaltsam ge-

stoppt wurde.

Tel Aviv/Larnaka (dpa/ND). Bluti-ger Überfall im Mittelmeer: Die is-raelische Marine hat am Montagbei der gewaltsamen Erstürmungder internationalen Gaza-»Solida-ritätsflotte« mehr als zehn Aktivis-ten getötet. Ein israelischer Fern-sehsender sprach sogar von 19 to-ten Begleitern des Hilfskonvois.Darüberhinaus wurden Dutzendeweitere verletzt, als Elitesoldatenin den Morgenstunden von Hub-schraubern und Kommandobootenaus die sechs Schiffe des Konvoismit Strickleitern enterten.

Nach Angaben der OrganisationFree Gaza ereignete sich der Vor-fall 75 Meilen (etwa 140 Kilometer)vor der israelischen Küste. NachDarstellung der israelischen Ar-mee seien »gewaltbereite Aktivis-ten« für den blutigen Zwischenfallverantwortlich. Die Organisation

Free Gaza bestritt hingegen, dassAktivisten auf Soldaten geschossenoder die blutige Gewalt ausgelösthätten. Sie verwiesen auf Video-aufnahmen von Bord des Schiffes.»Die Soldaten haben begonnen zuschießen, sobald sie an Bord ka-men«, sagte Audrey Bomse vonFree Gaza. Auf dem angegriffenenSchiff, der »Marmara« aus derTürkei, befanden sich neben 570anderen Begleitern auch die bei-den LINKE-Bundestagsabgeordne-ten Annette Groth und Inge Högersowie weitere Prominente, darun-ter der schwedische Autor Hen-ning Mankell.

Nach Angaben der israelischenArmee wurden bis zum Nachmit-tag zwei der sechs Schiffe in denHafen von Aschdod in Israel ge-bracht. Dort will israelisches Mili-

tär die Aktivisten überprüfen undverhören. Danach sollen sie abge-schoben werden. Falls sie demnicht zustimmen, drohe ihnen eineInhaftierung. Wer israelische Sol-daten verletzt habe, solle in Israelangeklagt werden.

Die Bundesregierung äußertesich »bestürzt« über die israelischeAktion. Außenminister Guido Wes-terwelle verlangte am Montag ineinem Telefonat mit seinem israe-lischen Kollegen Avigdor Lieber-man eine »umfassende Untersu-chung«, wie RegierungssprecherUlrich Wilhelm am Montag in Ber-lin mitteilte. Es gebe, so Wilhelm,Zweifel an der Verhältnismäßigkeitdes israelischen Einsatzes. Er er-klärte aber, jede Bundesregierungunterstütze vorbehaltlos das RechtIsraels auf Selbstverteidigung. DasSchicksal von bis zu zehn Bundes-bürgern, die auf der »Marmara«waren, müsse schnellstmöglich

geklärt werden. Neben den beidenLINKE-Abgeordneten sind das un-ter anderem deren ehemaliger Kol-lege Norman Paech, der Vertreterder deutschen Sektion der Ärztezur Verhütung eines Atomkrieges,Matthias Jochheim, sowie Naderel-Sakka von der PalästinensischenGemeinde Deutschland.

Israel hat eine Nachrichtensper-re verhängt. Bis zum frühen Abendwar deshalb auch die Identität derGetöteten und Verletzten nicht be-kannt. Außerdem soll das israeli-sche Militär allen Passagieren dieTelefone abgenommen haben,auch den Abgeordneten.

Linksfraktionschef Gregor Gysihat den Überfall gegen die interna-tionale Hilfsflotte für den Gaza-streifen als »unverantwortlich undverbrecherisch« bezeichnet. Diesdürfe man Israel nicht durchgehenlassen. Er forderte von Bundes-kanzlerin Angela Merkel und Wes-

terwelle, dass sie sich »intervenie-rend einsetzen gegenüber der is-raelischen Regierung«. Die Bun-desregierung müsse das Ende derGewalt gegenüber den Besatzun-gen der Schiffe sowie die unverzüg-liche Freilassung sämtlicher fried-licher Besatzungsmitglieder ein-fordern.

Palästinenserpräsident MahmudAbbas sprach von einem »Massa-ker« und »abscheulichen Verbre-chen«. Die türkische Regierungrief aus Protest ihren Botschafteraus Israel zurück. Athen brachLuftwaffenmanöver mit Israel inder Ägäis ab. Der UNO-Sicher-heitsrat wollte wegen des israeli-schen Vorgehens noch gesternAbend zu einer Dringlichkeitssit-zung zusammentreten. Auch Frie-densorganisationen und Kirchenin aller Welt haben den israeli-schen Angriff auf die Gaza-Hilfs-flotte scharf verurteilt.

Radikalen Sparkurs angekündigtFDP-Haushaltsexperte Fricke stellt auch Steuerrabatt für Hotels in Frage

Die Bundesregierung will strikt spa-

ren – über das Wie hält die Diskussion

in der Regierungskoalition an.

Berlin (dpa/ND). Die schwarz-gel-be Koalition will trotz der Lichtbli-cke bei der Konjunktur schon imnächsten Jahr auf einen radikalenSparkurs einschwenken. »DieBundesregierung wird (...) auch imJahr 2011 bereits mehr einsparen,als unbedingt erforderlich wäre«,sagte Regierungssprecher UlrichWilhelm am Montag in Berlin.

Er begründete dies mit steigen-den Anforderungen an die Sanie-rung der Staatsfinanzen in denFolgejahren. Die Sparanstrengun-gen sollen gleichmäßiger verteiltwerden. Durch günstigere Ent-wicklung der Wirtschaftslage undden robusten Arbeitsmarkt könn-ten die Staatskassen zunächst oh-

ne härtere Einschnitte entlastetwerden. »Klar ist aber (...), dasswir tiefgreifende Einsparungenwerden vornehmen müssen«, be-kräftigte Wilhelm mit Blick auf dieVorgaben der Schuldenbremseund des EU-Stabilitätspaktes. DerHauptakzent werde auf der Aus-gabenseite – also Einsparungen –liegen. Der Abbau von Subventio-nen werde auch eine Rolle spielen.

Dagegen genießen Ausgaben fürBildung, Forschung und Innovati-onen laut Wilhelm einen besonde-ren Stellenwert. Warnungen ausdem Ausland, ein zu radikalerSparkurs in Deutschland gefährdeden Aufschwung der Weltwirt-schaft, wies Wilhelm zurück.

Der saarländische Ministerprä-sident Peter Müller (CDU) sprachsich für die stärkere BelastungBesserverdienender aus. »Wenn

alle Opfer bringen müssen (...),dann muss man bei denen begin-nen, die sich das eher leisten kön-nen als andere.« Die Diskussionüber Einschnitte sei »nur zu beste-hen, wenn Signale gesetzt werden,dass Besserverdienende ihren so-lidarischen Beitrag leisten«. Dabeimüsse auch über eine Anhebungder Einkommensteuer für diesenPersonenkreis geredet werden.

Das Wirtschaftsministeriumwies den Vorstoß des FDP-Haus-haltsexperten Otto Fricke zurück,den umstrittenen Steuerbonus fürHotels möglicherweise wieder zustreichen. »Völlig abwegig sindVorschläge über die Wiedereinfüh-rung des vollen Mehrwertsteuer-satzes für das Beherbergungsge-werbe«, sagte hingegen der Mittel-standsbeauftragte, StaatssekretärErnst Burgbacher (FDP).

Linkspolitiker: Anfangsverdachtfür ein Kriegsverbrechen Seite 2Das Ende einer Freundschaft Seite 2Maritime Rambos Seite 8

Ein am Schauplatz des Überfalls entstandenes Bild – wiedergegeben vom türkischen TV-Kanal Cihan. Foto: AFP

Köhler gibtnach KritikAmt aufBundesrepublik ohneBundespräsident

Berlin (AFP/ND). BundespräsidentHorst Köhler ist nach der Empö-rung über seine Äußerungen zuBundeswehr-Einsätzen überra-schend zurückgetreten. Die Kritikan seinen Worten entbehre jederRechtfertigung, sagte Köhler amMontag in Berlin. Ein Nachfolgermuss nun binnen 30 Tagen gewähltwerden, die Amtsbefugnisse über-nimmt zunächst Bundesratspräsi-dent Jens Böhrnsen (SPD). Köhlerhatte mit der Interview-Aussage fürEmpörung gesorgt, militärischeEinsätze könnten auch den wirt-schaftlichen Interessen Deutsch-lands dienen.

Köhler erklärte seinen Rücktrittmit sofortiger Wirkung auf einerkurzfristig einberufenen Presse-konferenz. Die Kritik an seinen Äu-ßerungen lasse den »notwendigenRespekt« vor dem höchsten Amt imStaate vermissen. Er hob erneuthervor, er habe sich keineswegs fürBundeswehreinsätze ausgespro-chen, die nicht vom Grundgesetzgedeckt seien. Er bedauere aller-dings, dass seine Äußerungen zuMissverständnissen hätten führenkönnen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU)sagte, sie bedaure den Rücktritt»auf das Allerhärteste«. Köhler ha-be sie selbst erst um 12.00 Uhr da-rüber informiert, dass er zweiStunden später zurücktreten wolle.Merkel versuchte nach eigenen An-gaben ebenso wie FDP-Chef GuidoWesterwelle vergeblich, Köhler vonseinem Rücktritt abzuhalten. Erbedauere den Schritt »aus vollemHerzen«, habe ihn aber zu respek-tieren, sagte der Außenministerund Vizekanzler.

Nach Ansicht von SPD-Partei-chef Sigmar Gabriel hat auch derfehlende Rückhalt in der schwarz-gelben Koalition BundespräsidentHorst Köhler zum Amtsverzichtbewogen. »Horst Köhler war keinbequemer Bundespräsident, unddas wollte er erklärtermaßen auchnicht sein«, sagte Gabriel am Mon-tag in Berlin. Für die Entscheidungüber einen SPD-Kandidaten fürdas höchste Amt im Staat sei esnoch zu früh. Die SPD könne»nicht aus dem Hut einen Kandi-daten zaubern«. Seite 3