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Seite Das Thema TCPL Dienstag, . Februar „Wir sind nicht ausländerfeindlich“ Die ablehnende Haltung der Schweizer zur Zuwanderung sorgt in Brüssel für Kritik und Unverständnis. Ist das Votum auch ein Signal für die Europawahlen im Mai? Von Kathrin Streckenbach „Furchtbar,“ sagt Veronika Boss. Die Schweizerin schüttelt den Kopf, als sie auf die Volksab- stimmung zur Zuwanderung an- gesprochen wird. „Wir können noch gar nicht abschätzen, was das für Folgen haben wird.“ Die 43-Jährige pendelt jeden Morgen von Zürich in die Ge- meinde Weinfelden im Kanton Thurgau. 57,8 Prozent haben dort laut schweizerischem Bun- desamt für Statistik für die Initia- tive der national-konservativen Schweizer Volkspartei (SVP) „Gegen Masseneinwanderung“ gestimmt. „Ich glaube, die Politi- ker haben die Ängste der Bevöl- kerung nicht richtig ernst ge- nommen“, sagt Boss. Angst vor Lohndumping und Arbeitslosigkeit Mit 50,3 Prozent insgesamt hatten die Schweizer sich am Sonntag überraschend dafür ausgesprochen, die Zuwande- rung von Ausländern generell zu begrenzen. Nach Vorstellungen der Initiative sollen die Kantone künftig eine Höchstzahl von Zu- wanderern festlegen. Die Regie- rung in Bern muss das Anliegen innerhalb von drei Jahren um- setzen. „Das heißt aber nicht, dass wir Schweizer ausländerfeindlich sind“, sagt Beat, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen möchte. „Wir wollen es nur re- gulieren, damit es nicht über- hand nimmt.“ Der 34-Jährige ist Filialleiter in einer Metzgerei und setzt neben den Schweizern auch auf deutsche und österreichische Kunden. „Sie sind sehr offen“, sagt er. „Und sie bringen Geld.“ Bei der Zuwanderung hält Beat eine Begrenzung aber für sinnvoll. Sonst drohten der Schweiz negative Folgen Lohndumping, steigende Arbeitslosigkeit. Um rund 80 000 Menschen wächst die Schweiz jährlich durch die Einwanderer. „Ich möchte, dass die Bundesräte die Abstimmung ernst nehmen und darauf reagieren“, sagt Beat. Ein paar Meter hinter ihm steht Franziska Baumann am Bahnhof, um sie herum hasten Menschen zum Zug. Die junge Mutter ist ebenfalls für eine Zu- wanderungsbegrenzung. „Ich finde das gut“, sagt die 28- Jährige aus Bischofszell. „Wie viele Schweizer haben keinen Job, wie viele sitzen auf der Stra- ße?“ Vor möglichen wirtschaft- lichen Folgen für ihr Land hat sie keine Angst. „Da habe ich mir noch keine Gedanken ge- macht“, sagt sie. „Das Wissen, dass viele in der Schweiz so denken, finde ich ganz schlimm“, sagt Sara. Die Eltern der 26-Jährigen kommen aus Italien, sie selbst ist in der Schweiz geboren – ebenso wie ihre Freundin Nadia. Ihren Nachnamen wollen die beiden nicht nennen. Wenn sie mitei- nander reden, kann man das Schweizerdeutsch kaum he- raushören. Sie würden manch- mal auch als Ausländer wahrge- nommen, sagt Nadia. Direkte Anfeindungen hätten sie aber nicht erlebt. Die Schweiz hat mit 23 Pro- zent einen besonders hohen Ausländeranteil. Zum Ver- gleich: In der Bundesrepublik liegt er bei etwa 9 Prozent. Die Deutschen stellen mit rund 300 000 Menschen einen großen Teil der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz. Rund 56 000 Grenzgänger aus Baden-Württemberg pendeln zudem täglich in die Eidgenos- senschaft, um dort zu arbeiten. Eine davon ist Anna Alt. Die Saarländerin ist für die Liebe an den Bodensee gezogen und arbeitet in der Schweiz als OP- Schwester. Jeden morgen fährt sie von Meersburg aus mit der Fähre nach Konstanz und weiter nach Münsterlingen – eine gute halbe Stunde brauche sie dafür, sagt sie. Sie fühle sich wohl in der Eid- genossenschaft, mit ihren Kolle- gen komme sie gut aus. „Ich glaube auch nicht, dass sie mit „Ja“ gestimmt haben.“ Das Er- gebnis der Volksabstimmung habe sie überrascht, sie habe noch nie negative Reaktionen darauf bekommen, dass sie Deutsche sei. „Ich kann das gar nicht verstehen.“ Ressentiments wie es sie auch in Deutschland gibt Oliver Römlein sieht das Er- gebnis eher als Bestätigung sei- ner Erfahrungen der letzten Jah- re. Der IT-Spezialist steht am frühen Morgen am Bahnhof in Konstanz und raucht eine Ziga- rette. Mit seinen Schweizer Kol- legen komme er zwar sehr gut aus, in den vergangenen Jahren habe er aber auch negative Er- lebnisse in der Schweiz gehabt, sagt der 45-Jährige. „Das sind die gleichen Ressentiments gegen Ausländer, die es auch in Deutschland gibt.“ Die EU hat mit Kritik und Un- verständnis auf das Schweizer Votum zur Zuwanderung re- agiert. Bei einem Treffen in Brüs- sel äußerten sich mehrere Außenminister sehr besorgt. „Man kann die Freizügigkeit nicht verramschen,“ sagte der luxemburgische Ressortchef Jean Asselborn. Die italienische Ressortchefin Emma Bonino re- sümierte: „Die Auswirkung ist eher beunruhigend.“ „Ich glaube, dass die Schweiz sich mit diesem Ergebnis eher selbst geschadet hat“, sagte Bun- desaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Faire Bezie- hungen bedeuteten auch, dass man bereit ist, die vielen Vortei- le aus einer solchen Beziehung ebenso zu tragen wie Lasten oder Nachteile, die sich daraus ergeben könnten. dpa Guy Montavon: „Ich bin schockiert“ Intendanten aus der Schweiz prägten und prägen die Theaterlandschaft in Thüringen nach der Wende Von Henryk Goldberg „Ich bin“, sagte Guy Montavon gestern dieser Zeitung, „scho- ckiert.“ Und verweist darauf, dass die Einschränkung der Freizügig- keit von EU-Bürgern die Bezie- hung der Schweiz zur EU belas- tet, denn das entsprechende Ab- kommen bildet die Geschäfts- grundlage dieser Beziehung. Nun gelte es, auf allen Ebenen, denen der Wirtschaft wie denen der Diplomatie, zu klären, wie mit diesem knappen Votum um- zugehen sei, wie die Schweiz die zur Verfügung stehenden drei Jahre nutzt, um ein entsprechen- des Gesetz zu formulieren. Hoff- nungen setze er auch auf den Be- such des Schweizer Bundesprä- sidenten bei der deutschen Bun- deskanzlerin. Diesen letzten Satz hat wohl der Schweizer Generalkonsul in Thüringen gesagt, Montavon be- sitzt, wenn er will, diplomati- sche Fähigkeiten und Tugenden. Diese kommen ihm auch bei sei- nem eigentlichen Job zugute, seit 2002 hat er die Generalin- tendanz des Theaters Erfurt in- ne, das er mit Umsicht, Konse- quenz und eben auch diplomati- schem Geschick leitet. Der mehrsprachige Monta- von ist von Haus aus so etwas wie ein Kosmopolit, so wie die französische Schweiz, er kommt aus Genf, grundsätzlich als welt- offener gilt wie ihr deutschspra- chiger Teil. Überdies ist Oper, stärker als Schauspiel, durch die Universalität der Musik weniger national geprägt als das Schau- spiel, Montavon hat in vielen Ländern inszeniert und ist Mit- glied in einer Vielzahl interna- tionaler Gremien. Wenn er, trotz dieses Votums, „das ein schlechtes Licht auf die Schweiz wirft“, darauf besteht, „die Schweiz ist nicht ausländer- feindlich“, so steht er mit seiner Persönlichkeit für einen be- stimmten, weltoffenen Typus des Schweizer Citoyens. Es sind überhaupt Schweizer, die die Thüringer Theaterland- schaft nach der Wende maßgeb- lich geprägt haben. Montavon hat die Abwicklung des Erfurter Schauspiels nicht zu verantwor- ten, aber er hat das Haus, nach- dem die Stadt diese immer noch schandbare Entscheidung traf, profiliert und in seiner neuen Struktur etabliert. Kulturpolitik war das Haupt- geschäft des anderen Schwei- zers, der hier maßgeblich und nachhaltig gearbeitet hat. Ste- phan Märki, der nun das Haus in seiner Heimatstadt Bern leitet, hat dem Nationaltheater Wei- mar in harten kulturpolitischen Kämpfen die Eigenständigkeit bewahrt, das ist, was bleiben wird von ihm. Und seine deutsche Auffüh- rung des „Wilhelm Tell“ auf dem Schweizer Heiligtum Rütli war nachgerade eine Demonstration von übernationaler Koopera- tion – schließlich hat der Deut- sche Schiller den Schweizern die poetische Geburtsurkunde ihres Landes geschrieben. Aber es sind eben nicht nur diese Schweizer, die ihr Votum abgaben. Doch, sagt Guy Mon- tavon, wenn auch nur 17 000 Stimmen mehr den Ausschlag gaben – „das ist Demokratie und man muss sich dem stellen“. a Redaktion dieser Seite: Britta Hinkel Der Intendant des Theaters Erfurt, Guy Montavon, wurde im Januar zum Schweizer Honorarkonsul ernannt. Zur Feier im Theater Erfurt kam auch der Schweizer Botschafter in Deutschland , Tim Guldimann (links). Archiv-Foto: Alexander Volkmann Das DNT Weimar führte unter der Regie von Stephan Märki Schillers „Wilhelm Tell“ auf dem Rütli am Vier- waldstätter See auf. Archiv-Foto: Roland Obst Das sagen Thüringer und Schweizer Mathias Jäger (36) aus Ilmenau lebt seit knapp zehn Jahren in Thun und arbeitet bei einem Bauunternehmen: Es macht mich etwas traurig, dass meine Mitmenschen so ab- gestimmt haben. Wir haben hier nie Probleme gehabt – egal, ob bei der Suche nach Jobs oder bei Ämtergängen oder im Kinder- garten, auch nicht bei der Ge- burt unserer Kinder. Wir haben hier sehr viele nette Menschen kennengelernt und bei manchen ist auch eine wirkliche Freund- schaft entstanden. Susanne Wuttke aus Ilmenau (31) arbeitet seit zweieinhalb Jahren bei einem großen Sport- artikelhersteller in Zürich: Das Leben ist gut hier, außer- dem liebe ich die Natur und die Berge, fahre gerne Ski. Die Stim- mung, die mit dem Volksent- scheid erzeugt wurde, finde ich nicht gut. Die Plakate waren schon heftig. Vieles, was hier ganz normal plakatiert wurde, würde in Deutschland schlicht als Fremdenfeindlichkeit be- zeichnet werden. Matthias Bach aus Sülzfeld bei Meiningen wohnt seit 2010 in Haslen, Kanton Glarus: Wir fühlen uns als Thüringer sehr gut hier aufgenommen, man wird auf der Straße gegrüßt. In den Städten sieht das schon ganz anders aus. Bei uns gibt es vor allem Tamilen, Portugiesen und Italiener. Ganz schlimm ist es in den Großstädten. In Zürich oder Basel hörst du in einem Supermarkt kaum noch Deutsch. Das ist natürlich ein Argument für die SVP. Franziska Riediger (35) aus Er- furt arbeitet als Pflegefachfrau im Spital von Graz und ist seit zehn Jahren in der Schweiz: Es ist schade, wie die Schweizer sich entschieden haben und ich kann das nicht nachvollziehen. Gerade im Pflegebereich und im medizinischen Bereich braucht es ausländisches Personal. Ich bedauere, dass sich die Schwei- zer nun so dagegen wehren. Carsten Blechschmidt aus Mühlhausen arbeitet seit 2011 als Busfahrer bei den Ver- kehrsbetrieben Zürich: Die Abstimmung unter den Schweizern war emotional sehr hochgeputscht, vor allem die SVP haute in die gleiche Kerbe, wie das in Deutschland auch mitunter geschieht. Ich erlebe mitunter in meinem Job auch Vorbehalte und Beleidigungen insbesondere von Jugendlichen. Andererseits kann ich mich da- durch gut in die Menschen hi- neinversetzen, die in Deutsch- land ausgegrenzt werden. Manuela Müller (28) aus Deu- na im Eichsfeld kam nach acht Jahren als Verkäuferin in einem Baumarkt bei Bern jetzt zurück nach Thüringen: Dass die Abstimmung so extrem ausfällt, hätte ich nicht gedacht und bin schon etwas verblüfft. Die Schweiz braucht doch die Deutschen. In einigen Berei- chen beträgt deren Anteil so um die 30 Prozent. Ich wäre gern noch in der Schweiz geblieben, aber Familie und Freunde zogen mich zurück. IHK-Hauptgeschäftsführer Gerald Grusser: Zu den Grundprinzipien des europäischen Binnenmarktes gehören auch offene Grenzen. Durch das Votum werden je- doch neue Hürden errichtet, die für beide Seiten – die EU und die Alpenrepublik – Nachteile brin- gen. Der Zugang zum EU-Bin- nenmarkt für Schweizer Firmen sowie die Zuwanderung von Fachkräften aus der EU sind die Hauptfaktoren für den Kon- junkturboom in der Schweiz. „Die EU muss den Volksentscheid akzeptieren“ Matthias Estermann stammt aus Sömmerda und ist Präsident eines Vereins für Deutsche in der Schweiz in einem Land entscheiden darf, dann muss man das auch außerhalb akzeptieren. Die Schweiz ist das einzige Land, was sich gekonnt gegen die EU wehrt und als Land funktioniert. Sprechen Sie inzwischen Schwyzerdütsch? Das kann ich schwätze. Ich bin ja auch mit einer Schwei- zerin verheiratet. Sind drei Jahre für die Um- setzung des Volksentschei- des eine angemessene Zeit? Bei den Deutschen hat sich die Zahl von 45 000 Einwan- dere pro Jahr auf 25 000 so- wieso heruntergefahren. Jetzt kommen auch immer mehr, die nicht positiv sind für die Schweizer Wirtschaft. send Einwanderern pro Jahr aus. Heute kommen hundert- tausend. Das ist einfach zu viel. Und die Kriminalitäts- rate ist auch gestiegen. Zu viele haben ihre Jobs verlo- ren, weil sie gegen Zuwande- rer ausgetauscht wurden. So entstehen Ängste. Wo sind die Deutschen be- sonders präsent? Im Gesundheitsbereich stel- len Mediziner und Pfleger bis zur Hälfte. Auf dem Bau sind es viele Handwerker. Wie empfinden es die Schweizer, dass die Euro- päische Union so scharf auf diesen Volksentscheid re- agiert hat? Die empfinden das als extre- me Frechheit. Wenn das Volk Hauen zu viele Deutsche in der Schweiz zu sehr auf den Pudding? Das war keine Abstimmung gegen Deutsche. Das war eine Abstimmung gegen Massenein- wanderung. Vor zwölf Jahren wurde das schon mal gefragt – man ging damals von zehntau- nommen und den dritten Platz belegt. Die Schweiz kenne ich inzwischen besser. Warum sind Sie in die Schweiz gegangen? Ich habe dann in Hamburg auf Versicherungsfachmann umgesattelt und bin 2004 in die Schweiz, weil ich ein luk- ratives Angebot hatte. Sie haben 2008 den Verein „Deutsche in der Schweiz“ aus der Erfahrung heraus gegründet, dass Sie am An- fang ziemlich alleine da- standen. Wie viele Mitglie- der haben Sie heute? Nicht ganz sechshundert. Wie viele Einwanderer hat der Verein bisher betreut? Zweitausend Minimum. Von Wolfgang Suckert Können Sie das Ergebnis dieses Volksentscheids ver- stehen? Das kann ich gut. Viele ha- ben gesagt, dass sie die Aus- länder nicht brauchen. Vor al- lem in den ländlichen Regio- nen wurde einer Beschrän- kung der Zuwanderung zuge- stimmt. Dort, wo eigentlich kaum Ausländer leben. Sie kennen Thüringen gut? Nö, aber ich habe anderthalb Jahre bei Robotron in Söm- merda als Mechaniker für Bü- romaschinen gelernt. Aufge- wachsen bin ich in Schlan- stedt bei Halberstadt. In Erfurt habe ich damals auch an DDR-Meisterschaf- ten im Sportschießen teilge- Matthias Estermann () Foto: privat

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  • Seite Das Thema TCPL Dienstag, . Februar

    „Wir sind nicht ausländerfeindlich“Die ablehnende Haltung der Schweizer zur Zuwanderung sorgt in Brüssel für Kritik und Unverständnis. Ist das Votum auch ein Signal für die Europawahlen imMai?

    Von Kathrin Streckenbach

    „Furchtbar,“ sagt VeronikaBoss. Die Schweizerin schütteltdenKopf, als sie auf dieVolksab-stimmung zur Zuwanderung an-gesprochen wird. „Wir könnennoch gar nicht abschätzen, wasdas für Folgen habenwird.“Die 43-Jährige pendelt jeden

    Morgen von Zürich in die Ge-meinde Weinfelden im KantonThurgau. 57,8 Prozent habendort laut schweizerischem Bun-desamt fürStatistik fürdie Initia-tive der national-konservativenSchweizer Volkspartei (SVP)„Gegen Masseneinwanderung“gestimmt. „Ich glaube, die Politi-ker haben die Ängste der Bevöl-kerung nicht richtig ernst ge-nommen“, sagt Boss.

    Angst vor LohndumpingundArbeitslosigkeit

    Mit 50,3 Prozent insgesamthatten die Schweizer sich amSonntag überraschend dafürausgesprochen, die Zuwande-rung vonAusländern generell zubegrenzen. Nach Vorstellungender Initiative sollen die Kantonekünftig eineHöchstzahl vonZu-wanderern festlegen. Die Regie-rung in Bern muss das Anliegeninnerhalb von drei Jahren um-setzen.„Dasheißt aber nicht, dasswir

    Schweizer ausländerfeindlichsind“, sagt Beat, der seinenNachnamen lieber nicht nennenmöchte. „Wir wollen es nur re-gulieren, damit es nicht über-hand nimmt.“Der 34-Jährige ist Filialleiter

    in einer Metzgerei und setztneben den Schweizern auch aufdeutsche und österreichischeKunden. „Sie sind sehr offen“,sagt er. „Und sie bringenGeld.“Bei der Zuwanderung hält

    Beat eine Begrenzung aber fürsinnvoll. Sonst drohten derSchweiz negative Folgen –Lohndumping, steigendeArbeitslosigkeit.Um rund 80 000 Menschen

    wächst die Schweiz jährlichdurch die Einwanderer. „Ichmöchte, dass die Bundesräte dieAbstimmung ernst nehmen unddarauf reagieren“, sagt Beat.Ein paar Meter hinter ihm

    steht Franziska Baumann amBahnhof, um sie herum hastenMenschen zum Zug. Die jungeMutter ist ebenfalls für eine Zu-wanderungsbegrenzung.„Ich findedas gut“, sagt die 28-

    Jährige aus Bischofszell. „Wieviele Schweizer haben keinenJob, wie viele sitzen auf der Stra-ße?“ Vor möglichen wirtschaft-lichen Folgen für ihr Land hatsie keine Angst. „Da habe ichmir noch keine Gedanken ge-macht“, sagt sie.„Das Wissen, dass viele in der

    Schweiz so denken, finde ichganz schlimm“, sagt Sara. DieEltern der 26-Jährigen kommenaus Italien, sie selbst ist in derSchweiz geboren – ebenso wieihre Freundin Nadia. IhrenNachnamen wollen die beidennicht nennen. Wenn sie mitei-nander reden, kann man das

    Schweizerdeutsch kaum he-raushören. Sie würden manch-mal auch als Ausländer wahrge-nommen, sagt Nadia. DirekteAnfeindungen hätten sie abernicht erlebt.Die Schweiz hat mit 23 Pro-

    zent einen besonders hohenAusländeranteil. Zum Ver-gleich: In der Bundesrepublikliegt er bei etwa 9 Prozent.Die Deutschen stellen mit

    rund 300 000 Menschen einengroßen Teil der ausländischenBevölkerung in der Schweiz.Rund 56 000 Grenzgänger ausBaden-Württemberg pendeln

    zudem täglich in die Eidgenos-senschaft, umdort zu arbeiten.Eine davon ist Anna Alt. Die

    Saarländerin ist für die Liebe anden Bodensee gezogen undarbeitet in der Schweiz als OP-Schwester. Jeden morgen fährtsie von Meersburg aus mit derFährenachKonstanzundweiternach Münsterlingen – eine gutehalbe Stunde brauche sie dafür,sagt sie.Sie fühle sich wohl in der Eid-

    genossenschaft, mit ihren Kolle-gen komme sie gut aus. „Ichglaube auch nicht, dass sie mit„Ja“ gestimmt haben.“ Das Er-

    gebnis der Volksabstimmunghabe sie überrascht, sie habenoch nie negative Reaktionendarauf bekommen, dass sieDeutsche sei. „Ich kann das garnicht verstehen.“

    Ressentimentswie es sieauch inDeutschland gibt

    Oliver Römlein sieht das Er-gebnis eher als Bestätigung sei-ner Erfahrungen der letzten Jah-re. Der IT-Spezialist steht amfrühen Morgen am Bahnhof in

    Konstanz und raucht eine Ziga-rette. Mit seinen Schweizer Kol-legen komme er zwar sehr gutaus, in den vergangenen Jahrenhabe er aber auch negative Er-lebnisse in der Schweiz gehabt,sagt der 45-Jährige. „Das sinddiegleichen Ressentiments gegenAusländer, die es auch inDeutschland gibt.“Die EU hat mit Kritik undUn-

    verständnis auf das SchweizerVotum zur Zuwanderung re-agiert. Bei einemTreffen inBrüs-sel äußerten sich mehrereAußenminister sehr besorgt.„Man kann die Freizügigkeit

    nicht verramschen,“ sagte derluxemburgische RessortchefJean Asselborn. Die italienischeRessortchefin Emma Bonino re-sümierte: „Die Auswirkung isteher beunruhigend.“„Ich glaube, dass die Schweiz

    sich mit diesem Ergebnis eherselbst geschadet hat“, sagte Bun-desaußenminister Frank-WalterSteinmeier (SPD). Faire Bezie-hungen bedeuteten auch, dassman bereit ist, die vielen Vortei-le aus einer solchen Beziehungebenso zu tragen wie Lastenoder Nachteile, die sich darausergeben könnten. dpa

    Guy Montavon: „Ich bin schockiert“Intendanten aus der Schweiz prägten und prägen die Theaterlandschaft in Thüringen nach der Wende

    Von Henryk Goldberg

    „Ich bin“, sagte Guy Montavongestern dieser Zeitung, „scho-ckiert.“Und verweist darauf, dass die

    Einschränkung der Freizügig-keit von EU-Bürgern die Bezie-hung der Schweiz zur EU belas-tet, denn das entsprechende Ab-kommen bildet die Geschäfts-grundlage dieser Beziehung.Nun gelte es, auf allen Ebenen,denen der Wirtschaft wie denender Diplomatie, zu klären, wiemit diesem knappen Votum um-zugehen sei, wie die Schweiz diezur Verfügung stehenden dreiJahre nutzt, um ein entsprechen-desGesetz zu formulieren.Hoff-nungen setze er auch auf denBe-such des Schweizer Bundesprä-sidenten bei der deutschen Bun-deskanzlerin.

    Diesen letzten Satz hat wohlder SchweizerGeneralkonsul inThüringen gesagt,Montavon be-sitzt, wenn er will, diplomati-scheFähigkeitenundTugenden.Diese kommen ihm auch bei sei-nem eigentlichen Job zugute,seit 2002 hat er die Generalin-tendanz des Theaters Erfurt in-ne, das er mit Umsicht, Konse-quenz und eben auch diplomati-schemGeschick leitet.Der mehrsprachige Monta-

    von ist von Haus aus so etwaswie ein Kosmopolit, so wie diefranzösische Schweiz, er kommtausGenf, grundsätzlich als welt-offener gilt wie ihr deutschspra-chiger Teil. Überdies ist Oper,stärker als Schauspiel, durch dieUniversalität derMusik wenigernational geprägt als das Schau-spiel, Montavon hat in vielenLändern inszeniert und ist Mit-

    glied in einer Vielzahl interna-tionalerGremien.Wenn er, trotz dieses Votums,

    „das ein schlechtes Licht auf dieSchweiz wirft“, darauf besteht,„die Schweiz ist nicht ausländer-feindlich“, so steht er mit seinerPersönlichkeit für einen be-stimmten, weltoffenen Typusdes Schweizer Citoyens.Es sind überhaupt Schweizer,

    die die Thüringer Theaterland-schaft nach derWende maßgeb-lich geprägt haben. Montavonhat die Abwicklung des ErfurterSchauspiels nicht zu verantwor-ten, aber er hat das Haus, nach-dem die Stadt diese immer nochschandbare Entscheidung traf,profiliert und in seiner neuenStruktur etabliert.Kulturpolitik war das Haupt-

    geschäft des anderen Schwei-zers, der hier maßgeblich und

    nachhaltig gearbeitet hat. Ste-phanMärki, dernundasHaus inseiner Heimatstadt Bern leitet,hat dem Nationaltheater Wei-mar in harten kulturpolitischenKämpfen die Eigenständigkeitbewahrt, das ist, was bleibenwird von ihm.Und seine deutsche Auffüh-

    rung des „WilhelmTell“ auf demSchweizer Heiligtum Rütli warnachgerade eineDemonstrationvon übernationaler Koopera-tion – schließlich hat der Deut-sche Schiller den Schweizerndie poetische Geburtsurkundeihres Landes geschrieben.Aber es sind eben nicht nur

    diese Schweizer, die ihr Votumabgaben. Doch, sagt Guy Mon-tavon, wenn auch nur 17 000Stimmen mehr den Ausschlaggaben – „das ist Demokratie undmanmuss sich dem stellen“.

    a Redaktion dieser Seite:BrittaHinkel

    Der Intendant des Theaters Erfurt, Guy Montavon, wurde im Januar zum Schweizer Honorarkonsul ernannt. Zur Feier im Theater Erfurt kam auch derSchweizer Botschafter in Deutschland , TimGuldimann (links). Archiv-Foto: Alexander Volkmann

    Das DNTWeimar führte unter der Regie von StephanMärki Schillers „Wilhelm Tell“ auf dem Rütli am Vier-waldstätter See auf. Archiv-Foto: RolandObst

    Das sagenThüringer undSchweizer

    Mathias Jäger (36) aus Ilmenaulebt seit knapp zehn Jahren inThun und arbeitet bei einemBauunternehmen:Es macht mich etwas traurig,dass meine Mitmenschen so ab-gestimmt haben. Wir haben hiernie Probleme gehabt – egal, obbei der Suche nach Jobs oder beiÄmtergängen oder im Kinder-garten, auch nicht bei der Ge-burt unserer Kinder. Wir habenhier sehr viele nette Menschenkennengelernt undbeimanchenist auch eine wirkliche Freund-schaft entstanden.

    Susanne Wuttke aus Ilmenau(31) arbeitet seit zweieinhalbJahren bei einemgroßenSport-artikelhersteller inZürich:Das Leben ist gut hier, außer-dem liebe ich die Natur und dieBerge, fahre gerne Ski. Die Stim-mung, die mit dem Volksent-scheid erzeugt wurde, finde ichnicht gut. Die Plakate warenschon heftig. Vieles, was hierganz normal plakatiert wurde,würde in Deutschland schlichtals Fremdenfeindlichkeit be-zeichnetwerden.

    Matthias Bach aus Sülzfeld beiMeiningen wohnt seit 2010 inHaslen, KantonGlarus:Wir fühlen uns als Thüringersehr gut hier aufgenommen,manwirdauf derStraße gegrüßt.In den Städten sieht das schonganz anders aus. Bei uns gibt esvor allem Tamilen, Portugiesenund Italiener. Ganz schlimm istes indenGroßstädten. InZürichoder Basel hörst du in einemSupermarkt kaum nochDeutsch. Das ist natürlich einArgument für die SVP.

    Franziska Riediger (35) aus Er-furt arbeitet als Pflegefachfrauim Spital von Graz und ist seitzehn Jahren in der Schweiz:Es ist schade, wie die Schweizersich entschieden haben und ichkann das nicht nachvollziehen.Gerade im Pflegebereich und immedizinischen Bereich brauchtes ausländisches Personal. Ichbedauere, dass sich die Schwei-zer nun so dagegenwehren.

    Carsten Blechschmidt ausMühlhausen arbeitet seit 2011als Busfahrer bei den Ver-kehrsbetriebenZürich:Die Abstimmung unter denSchweizern war emotional sehrhochgeputscht, vor allem dieSVP haute in die gleiche Kerbe,wie das in Deutschland auchmitunter geschieht. Ich erlebemitunter in meinem Job auchVorbehalte und Beleidigungeninsbesondere von Jugendlichen.Andererseits kann ich mich da-durch gut in die Menschen hi-neinversetzen, die in Deutsch-land ausgegrenztwerden.

    Manuela Müller (28) aus Deu-na im Eichsfeld kam nach achtJahren als Verkäuferin ineinem Baumarkt bei Bern jetztzurück nachThüringen:Dass die Abstimmung so extremausfällt, hätte ich nicht gedachtund bin schon etwas verblüfft.Die Schweiz braucht doch dieDeutschen. In einigen Berei-chen beträgt deren Anteil so umdie 30 Prozent. Ich wäre gernnoch in der Schweiz geblieben,aber Familie und Freunde zogenmich zurück.

    IHK-HauptgeschäftsführerGeraldGrusser:Zu den Grundprinzipien deseuropäischen Binnenmarktesgehören auch offene Grenzen.Durch das Votum werden je-doch neue Hürden errichtet, diefür beide Seiten – die EUund dieAlpenrepublik – Nachteile brin-gen. Der Zugang zum EU-Bin-nenmarkt für Schweizer Firmensowie die Zuwanderung vonFachkräften aus der EU sind dieHauptfaktoren für den Kon-junkturboom in der Schweiz.

    „Die EU muss den Volksentscheid akzeptieren“Matthias Estermann stammt aus Sömmerda und ist Präsident eines Vereins für Deutsche in der Schweiz

    in einem Land entscheidendarf, dann muss man dasauch außerhalb akzeptieren.Die Schweiz ist das einzigeLand,was sich gekonnt gegendie EU wehrt und als Landfunktioniert.

    Sprechen Sie inzwischenSchwyzerdütsch?Das kann ich schwätze. Ichbin ja auch mit einer Schwei-zerin verheiratet.

    Sind drei Jahre für die Um-setzung des Volksentschei-des eine angemessene Zeit?Bei den Deutschen hat sichdie Zahl von 45 000 Einwan-dere pro Jahr auf 25 000 so-wieso heruntergefahren. Jetztkommen auch immer mehr,die nicht positiv sind für dieSchweizerWirtschaft.

    send Einwanderern pro Jahraus. Heute kommen hundert-tausend. Das ist einfach zuviel. Und die Kriminalitäts-rate ist auch gestiegen. Zuviele haben ihre Jobs verlo-ren, weil sie gegen Zuwande-rer ausgetauscht wurden. SoentstehenÄngste.

    Wo sind die Deutschen be-sonders präsent?Im Gesundheitsbereich stel-len Mediziner und Pfleger biszur Hälfte. Auf dem Bau sindes vieleHandwerker.

    Wie empfinden es dieSchweizer, dass die Euro-päische Union so scharf aufdiesen Volksentscheid re-agiert hat?Die empfinden das als extre-me Frechheit.Wenn das Volk

    Hauen zu viele Deutsche inder Schweiz zu sehr auf denPudding?Das war keine Abstimmunggegen Deutsche. Das war eineAbstimmung gegen Massenein-wanderung. Vor zwölf Jahrenwurde das schon mal gefragt –man ging damals von zehntau-

    nommen und den drittenPlatz belegt. Die Schweizkenne ich inzwischen besser.

    Warum sind Sie in dieSchweiz gegangen?Ich habe dann in Hamburgauf Versicherungsfachmannumgesattelt und bin 2004 indie Schweiz, weil ich ein luk-ratives Angebot hatte.

    Sie haben 2008 den Verein„Deutsche in der Schweiz“aus der Erfahrung herausgegründet, dass Sie am An-fang ziemlich alleine da-standen. Wie viele Mitglie-der habenSie heute?Nicht ganz sechshundert.

    Wie viele Einwanderer hatderVerein bisher betreut?ZweitausendMinimum.

    VonWolfgang Suckert

    Können Sie das Ergebnisdieses Volksentscheids ver-stehen?Das kann ich gut. Viele ha-ben gesagt, dass sie die Aus-ländernicht brauchen.Vor al-lem in den ländlichen Regio-nen wurde einer Beschrän-kung der Zuwanderung zuge-stimmt. Dort, wo eigentlichkaumAusländer leben.

    Sie kennenThüringen gut?Nö, aber ich habe anderthalbJahre bei Robotron in Söm-merda alsMechaniker für Bü-romaschinen gelernt. Aufge-wachsen bin ich in Schlan-stedt beiHalberstadt.In Erfurt habe ich damalsauch an DDR-Meisterschaf-ten im Sportschießen teilge-

    Matthias Estermann ()Foto: privat