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Seite Das Thema TCPL Sonnabend, . Mai Auf den Wolf gekommen Mit dem Wolf hatte Wölfis in seiner 1235 Jahre langen Geschichte eher nichts zu tun. Nur im Dorfbewusstsein spielt das Raubtier eine große Rolle Von Frank Schauka „Ich hatte noch nie im Leben Glück gehabt“, sagt Wolfgang Weigand. Dann kam jener 13. Juni 2009. Der Ballon bewegte sich auf Wölfis zu. Dass Herr Weigand in der Gondel stand, die am späten Nachmittag bei Uelleben den Boden verlassen hatte, war purer Zufall. „Ich wollte bei dem Firmenfest nur ein Bierchen trinken; dann hatte ich diese Ballonfahrt gewonnen. Die Sicht war toll, es war glo- ckenklar, es war wunderbar.“ Nach zwei Stunden, der Trup- penübungsplatz bei Ohrdruf war soeben überquert, bereitete der Kapitän die Landung vor. „Bei Wölfis wollten wir runter- gehen. Ich blickte über die Brüs- tung und rief zu den anderen: Guck mal hier, das sind doch Wölfe. Das gibt’s doch nicht!“ Auch Ronny Kotwan konnte sehen, wie die Tiere über eine Wiese liefen und dann – nach et- wa 30 Sekunden – im Dickicht verschwanden. „Ich hatte das einfach abgetan und auch nicht weiter rumerzählt“, sagte er ges- tern. „Das war doch nichts Be- sonderes, dass da unten zwei Wölfe rumgehüpft sind.“ Dass dies heute in etwas ande- rem Licht erscheinen mag, liegt vielleicht nicht ganz unwesent- lich daran, dass kürzlich ein na- turbegeisterter Fotograf bei der Pirsch auf Orchideen einen Wolf ablichtete – nahe Wölfis. „Nein, nein“, wehrt Bürger- meister Thomas Reinhardt ab. „Wir werden den Wolf nicht ver- markten. Das wäre natürlich eine Attraktion für den Ort, und manch ein Gastwirt würde sich freuen. Aber was nützt das dem Wolf. Uns genügt es zu wissen, dass er da ist. Am besten ist es, ihm sein Gebiet zu überlassen und ihn zu ignorieren.“ Wölfis und der Wolf – das sind im Grunde zwei Welten. „Die Herleitung des Ortsnamens Wölfis, der in Deutschland nur ein einziges Mal vorkommt, ist eine der schwierigsten in ganz Ostdeutschland“, betont Orts- namenforscher Roland Fischer aus Ohrdruf. Nach seinen Stu- dien steht jedenfalls eines fest: „Der Ortsname Wölfis hat nichts mit dem Wolf zu tun.“ Legenden um Wölfe in Wölfis gibt es ebenfalls nicht. Und es war auch nicht in Wölfis, son- dern nebenan in Ohrdruf, wo seinerzeit, vor knapp 400 Jah- ren, mitten im Ort am Rasen- teich, ein Wolf ein Mädchen im jugendlichen Alter angegriffen und getötet hat. „Das ist durch das Kirchbuch von Gräfenhain belegt“, versi- chert Forscher Fischer mit gebo- tener wissenschaftlicher Vor- sicht. „Zudem ist verbürgt, dass Bürger von Ohrdruf von Wölfen angegriffen wurden.“ Das war im Dreißigjährigen Krieg. Der Tod ging massenhaft um, und so liegt die Annahme nicht fern, dass Wölfe auch die Toten fraßen und so die Scheu vor dem Menschen verloren ging. Das sind Fakten, doch die sind längst nicht alles. „Im Dorfbe- wusstsein von Wölfis spielt der Wolf eine große Rolle“, betont Bürgermeister Reinhardt. Die Kita in Wölfis heißt deshalb nicht Spatzennest oder Sonnen- blume, sondern, seit 2006: Klei- ne Wölfe. Und als 1991 der Wölfiser Ge- meinderat dem Ort – nach der wappenlosen DDR-Zeit ein Wappen geben wollte, fiel die Wahl auf einen Vorschlag mit Wolf, selbstverständlich. „Es gab auch Vorschläge ohne den Wolf als Wappentier“, erinnert sich der Bürgermeister. „Die ka- men aber gar nicht gut an.“ Typisch Wölfiser: Nachts ein Sofa auf dem Rücken Dabei wären Füchse, weil sie Gänse stehlen, und Elstern, weil sie diebisch sind, auch keine un- passenden Wappentiere gewe- sen. „Wölfis hat ja nicht nur den Beinamen ‚Das singende und klingende Dorf‘, sondern auch Räwerschhusen, auf Hoch- deutsch: Räubershausen“, scherzt Bürgermeister Rein- hardt. „Es gibt bei uns zwei Sprich- wörter: Was der Wölfiser um zwölfe sieht, das hat er mittags. Und: Wölfiser, die nachts schla- fen, sind faule Schweine.“ Legendär ist das Musterex- emplar des fleißig-nachtaktiven Wölfisers, der in den 60er-Jah- ren am Interhotel „Panorama“ in Oberhof mitbaute. „Die Anek- dote klingt merkwürdig“, sagt Reinhardt, „sie ist aber absolut wahr. Der Mann wurde nachts auf dem Weg von Oberhof nach Wölfis erwischt – mit einem Sofa auf dem Rücken. Er habe seiner Frau so sehr von den Sofas im Hotel vorge- schwärmt, dass er ihr mal eines zeigen wollte, erzählt er. Und dass er es am nächsten Tag zu- rückbringen wollte. Von Wölfis nach Oberhof: Das sind 15 Kilo- meter, bei 400 Metern Höhen- anstieg. Das ist Fleiß. Heutzutage gibt es den nicht mehr. „Wenn Sie jetzt ein geöff- netes Auto im Ort abstellen, ist es am Morgen noch da.“ Bürgermeister Reinhardt ist der Humor nicht abhanden ge- kommen – obwohl die Zeiten nicht leichter wurden. Die be- rühmten Narva-Werke, die in ihrem Werk in Wölfis die gesam- te Weihnachtsbaumbeleuch- tung für die DDR hergestellt hat- ten, gibt es seit Langem nicht mehr. Damit gingen auch etwa 150 Arbeitsplätze verloren. Arbeit bietet in Wölfis heute noch ein Hersteller von Groß- küchentechnik. Daneben gibt es kleinere Handwerksbetriebe: Schreiner, Tischler, Maurer, Zimmermänner. Die Gewerbesteuereinnah- men halten sich somit in Gren- zen. Hinzu kommt, dass Ent- scheidungen der hohen Politik das Leben in der Kommune manchmal zusätzlich erschwe- ren. Auch aus solchen Gründen liegt das Gemeindedefizit aktu- ell bei etwa 190 000 Euro. Als besonders belastend, sagt Bürgermeister Reinhardt, habe sich das Kita-Gesetz von 2010 ausgewirkt. „Um das Gesetz zu erfüllen, mussten wir drei Erzie- herinnen zusätzlich einstellen.“ Seither verfügt die Gemeinde über etwa 100 000 Euro weniger pro Jahr. Aber leicht war das Leben in dem „Armeteufeldorf“ nie. „Den Wölfisern ist nie etwas ge- schenkt worden“, weiß Heimat- forscher Fischer. „Wölfis hat die schlechtesten Bodenwerte weit und breit. Das liegt am Muschelkalkboden. Früher mussten die Wölfiser ihre Hausbrunnen bis zu 15 Me- ter in die Tiefe treiben, durch schwerstes Gestein. Auch die mit Steinen übersäten Äcker mussten sie ablesen.“ Der Schritt von solchen Strapazen zum singenden und klingenden Dorf liegt für den Forscher nicht fern. „Die Menschen suchen eben etwas, was jenseits des har- ten Alltags das Leben lebens- wert macht.“ Heute gibt es drei Blasorches- ter samt der „Kapelle ohne Na- men“ im Dorf, und die aus Wöl- fis stammende Band „EmaRo- cken“ hat 2013 beim „Thüringen Grammy“ sogar den Ehrenpreis für den besten eigenkomponier- ten Song erhalten. In den 15 Jahren, die Thomas Reinhardt nun als ehrenamtli- cher Bürgermeister amtiert, hat er vieles erlebt. Doch obwohl das Dorf in dieser Zeit etwa 400 Einwohner verlor, gibt er die Hoffnung nicht auf. „Vor einigen Jahren standen noch etliche Sterbehäuser leer, jetzt sind sie alle bewohnt“, be- richtet er. – Und wenn das nicht reicht? Schon einmal hatte Wöl- fis Glück, zuletzt vor etwa 500 Jahren. Aus der Nähe der Wach- senburg zog damals ein Herr Un- bereit der Name war Täu- schung – nach Wölfis. Bis heute, weiß der Heimatforscher, lautet der in Wölfis verbreitetste Name „Umbreit“. Wie tief der Wolf wirklich im Wölfiser Dorfbewusstseinsdi- ckicht steckt, könnte sich bald zeigen. „Ich muss meinen Leute wohl mal sagen, dass der Wolf eine Reproduktionsrate von 30 Prozent im Jahr hat.“ Bürger- meister Reinhardt strahlt. Die Thüringer Serengeti Wisente statt Panzer: Mutige Visionäre sehen in einigen Jahren Ökotourismus auf dem einstigen Truppenübungsplatz Ohrdruf Von Matthias Thüsing Eleonore Mühlbauer gerät mit Blick auf den Truppenübungs- platz Ohrdruf ins Schwärmen. „Seit über hundert Jahren gibt es hier keine wirtschaftliche Nut- zung mehr. Die Offenlandschaft ist Rück- zugsraum für eine Vielzahl von gefährdeten Arten. Und auch der Wald wurde komplett sich selbst überlassen. Was hier an seltenen Insekten im Totholz steckt, dürfte selbst in Thüringen seinesgleichen suchen.“ Die SPD-Umweltpolitikerin aus Arnstadt verfolgt seit Jahren den Plan, hier auf der Kreisgren- ze zwischen Ilmkreis und Gotha ein Naturreservat für wildleben- de Pferde- und Großrindrassen zu formen: Wisent, Heckrinder und Wasserbüffel könnten hier neben Wildpferden die Land- schaft offen halten. „Die Rück- kehr des Wolfs auf ausgerechnet dieser Fläche hilft uns hier unge- mein“, zeigt sie sich überzeugt. Denn zuletzt stand es um die Pläne nicht allzu gut. Die Bun- deswehr schießt und bewirt- schaftet den Platz zwar nicht mehr, will ihn als militärische Liegenschaft jedoch nicht ganz aufgeben. Das Kalkül dahinter ist einfach: Was einmal militä- risch entwidmet wurde, wird der Armee als Übungsgelände nie wieder zur Verfügung gestellt werden. Nur noch in Ohrdruf wird derzeit ein Areal von weni- gen Hektar mit einem Schieß- stand genutzt. Aus ökologischer Sicht wäre der aktuelle Zustand einer, mit dem der Naturschutz leben könnte. Der Wolf könnte hier ungestört leben und jagen, die Wildkatze ebenso. Fuchs und Hase könnten einander auf dem Gelände „Gute Nacht“ sagen. Dann und wann führe die Bun- deswehr im Jeep auf Patrouille vorbei. Ansonsten würde Ruhe herrschen. Doch die Naturschützer wol- len mehr. Wisente und Aueroch- sen als die Urahnen der nachge- züchteten Heckrinder bevölker- ten einst große Teile Mitteleuro- pas. Bis zu 20 Prozent der Flächen sollten die großen Wei- detiere im Mittelalter offen von Büschen und Wald gehalten ha- ben. Und auf genau diese Weise könnten wildlebende Herden den heutigen Truppenübungs- platz auch künftig wieder frei von Pflanzen halten, sagt etwa auch Edgar Reisinger von der Landesanstalt für Umwelt und Geologie. Geschützt ist die Fläche schon heute. Der Truppen- übungsplatz wurde in das euro- päische Schutzprogramm Natu- ra 2000 aufgenommen. Demzu- folge ist Deutschland verpflich- tet, die Lebensbedingungen für die jeweils bedeutsamen Arten- vorkommen zu bewahren. Alle sechs Jahre ist hierüber an die EU-Kommission Bericht zu er- statten. Der nächste Bericht steht 2015 an. Und schon heute deu- tet sich an, dass – trotz des Wolfs eine Veränderung zum Schlechten nach Brüssel gemel- det werden muss. Bei der Fotosafari Wildpferde beobachten Denn die Arbeit der Weiderin- der erledigten über die vergange- nen Jahrzehnte hinweg die Pan- zerketten. Die Landschaft blieb offen. „Nachdem die Bundes- wehr das Gelände nicht mehr nutzt, erobern sich die Büsche die Fläche zurück“, sagt Mühl- bauer. Zuletzt wurde zwar ver- sucht, mit Brandrodungen diese Entwicklung zurückzudrängen, doch Ende des Jahres zieht die Feuerwehr vom Übungsplatz ab. Dann wird der Landschafts- pflege auch diese Möglichkeit genommen werden. Wisente und Wildpferde könnten die Arbeit der Panzer fortsetzen. Nicht mehr die Bun- deswehr, sondern Touristen – so die Vision – würden bei Sonnen- aufgang in ihren Jeeps die Was- serstellen im Reservat ansteu- ern. Die Hoteliers und Gastro- nomen im Umland könnten – ähnlich wie im Hainich – von Ökotourismus und Fotosafari profitieren. Den Wolf würde die Entwicklung sicher nicht stören. Die Jäger haben schon immer halboffene Weidelandschaften zu ihren bevorzugten Jagdgrün- den gezählt. a Redaktion dieser Seite: Britta Hinkel Bürgermeister Thomas Reinhardt. Der Terracotta-Wolf aus der nahen Gartenzwergmanufaktur schmückt in der Regel seinen Schreibtisch. Foto: Frank Schauka Der Truppenübungsplatz Ohrdruf – hier ein Teil des Areals in Richtung Mühlberg. Foto: A. Volkmann Ortsnamensforscher Roland Fischer mit einer alten Flurkarten-Urkunde von Wölfis. Foto: Schauka D Der Wolf in Orts- und Straßennamen Thüringer Flurnamen mit dem Wort „Wolf“ Ortsnamen: e Bairoda-Wolfsberg e Wolfmannsgehau e Wolfsbehringen e Wolfsburg-Unkeroda e Wolferschwenda e Wolfmannshausen e Wolftal e Wolfersdorf e Wolfshain e Teichwolframsdorf e Wolfsgefärth e Wolfsberggemeinde e Wölferbütt e Wölfershausen e Wölfis Straßennamen: e Wolfsgarten (Waltershausen) e Wolfsstein (Elgersburg) e Wolfental, Wolfswiese (Brei- tenworbis) e Wolfskuhle (Buhla) e Wolfskuhle (Dingelstädt) e Am Wolfswege, Auf der Wolfsscheere, Wolfsweg (Geisleden) e Am Wolfsgrabenweg, Wolfs- graben (Gerbershausen) e Zum Wolfental (Großbart- loff) e Wolfstraße, Auf dem Wolfen- tale, Im Wolfental (Heiligen- stadt) e Wolfsanger (Heuthen) e Am Wolfsgraben, Nach dem Wolfsgraben (Hohengan- dern) e Am Wolfhagen, Am Wolfsie- chen, Am Fischwege, Bei Wolfsiechen (Leinefelde- Worbis) e Wolfsgasse (Lenterode) e Auf dem Wolfsberge, Wolfs- winkel (Sonnenstein) e Im Wolfstal, Wolfsberg, Am Wolfsanger (Eisenach) e Am Wolfsbrunnen (Erfurt) e In der Wolfsgrube (Ballstädt) e Sogenannter Wolfsacker (Emsetal) e Am Wolfsgraben (Eschenber- gen) e Wolfsgasse (Friedrichroda) e Am Wolfsgrund (Gotha) e Am Wolfsgalgen (Hörsel) e Am Wolfstal (Leinatal) e Im Wolfsholz (Ohrdruf) e Im Wolfstale (Arnstadt) e Im Wolfsbache (Dornheim) e Wolfsgrube (Suhl) e Der Wolfsgraben, Die Wolfs- grube (Gera) e Am Wolfsgraben (Berga) e Wolfswiese (Masserberg) e Wolfstal (Kloster Veßra) e Der Wolfsgraben (Selka) Truppenübungs- platz Ohrdruf THÜRINGEN Grafik: Andreas Wetzel

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    Auf denWolf gekommenMit demWolf hatte Wölfis in seiner 1235 Jahre langen Geschichte eher nichts zu tun. Nur im Dorfbewusstsein spielt das Raubtier eine große Rolle

    Von Frank Schauka

    „Ich hatte noch nie im LebenGlück gehabt“, sagt WolfgangWeigand. Dann kam jener 13.Juni 2009. Der Ballon bewegtesich auf Wölfis zu. Dass HerrWeigand in der Gondel stand,die am späten Nachmittag beiUelleben den Boden verlassenhatte, war purer Zufall. „Ichwollte bei dem Firmenfest nureinBierchen trinken; dannhatteich diese Ballonfahrt gewonnen.Die Sicht war toll, es war glo-ckenklar, eswarwunderbar.“Nach zwei Stunden, der Trup-

    penübungsplatz bei Ohrdrufwar soeben überquert, bereiteteder Kapitän die Landung vor.„Bei Wölfis wollten wir runter-gehen. Ich blickte über die Brüs-tung und rief zu den anderen:Guck mal hier, das sind dochWölfe. Das gibt’s doch nicht!“Auch Ronny Kotwan konnte

    sehen, wie die Tiere über eineWiese liefen und dann – nach et-wa 30 Sekunden – im Dickichtverschwanden. „Ich hatte daseinfach abgetan und auch nichtweiter rumerzählt“, sagte er ges-tern. „Das war doch nichts Be-sonderes, dass da unten zweiWölfe rumgehüpft sind.“Dass dies heute in etwas ande-

    rem Licht erscheinen mag, liegtvielleicht nicht ganz unwesent-lich daran, dass kürzlich ein na-turbegeisterter Fotograf bei derPirsch auf Orchideen einenWolf ablichtete – naheWölfis.„Nein, nein“, wehrt Bürger-

    meister Thomas Reinhardt ab.„WirwerdendenWolf nicht ver-markten. Das wäre natürlicheine Attraktion für den Ort, undmanch ein Gastwirt würde sichfreuen. Aber was nützt das demWolf. Uns genügt es zu wissen,dass er da ist. Am besten ist es,ihm sein Gebiet zu überlassenund ihn zu ignorieren.“Wölfis undderWolf – das sind

    im Grunde zwei Welten. „DieHerleitung des OrtsnamensWölfis, der in Deutschland nurein einziges Mal vorkommt, isteine der schwierigsten in ganzOstdeutschland“, betont Orts-

    namenforscher Roland Fischeraus Ohrdruf. Nach seinen Stu-dien steht jedenfalls eines fest:„Der Ortsname Wölfis hatnichtsmit demWolf zu tun.“Legenden umWölfe inWölfis

    gibt es ebenfalls nicht. Und eswar auch nicht in Wölfis, son-dern nebenan in Ohrdruf, woseinerzeit, vor knapp 400 Jah-ren, mitten im Ort am Rasen-teich, ein Wolf ein Mädchen imjugendlichen Alter angegriffenund getötet hat.„Das ist durch das Kirchbuch

    von Gräfenhain belegt“, versi-chert Forscher Fischermit gebo-

    tener wissenschaftlicher Vor-sicht. „Zudem ist verbürgt, dassBürger vonOhrdruf vonWölfenangegriffenwurden.“Das war im Dreißigjährigen

    Krieg. Der Tod ging massenhaftum, und so liegt die Annahmenicht fern, dass Wölfe auch dieToten fraßen und so die Scheuvor dem Menschen verlorenging.Das sindFakten, dochdie sind

    längst nicht alles. „Im Dorfbe-wusstsein von Wölfis spielt derWolf eine große Rolle“, betontBürgermeister Reinhardt. DieKita in Wölfis heißt deshalbnicht Spatzennest oder Sonnen-blume, sondern, seit 2006: Klei-neWölfe.Und als 1991 derWölfiser Ge-

    meinderat dem Ort – nach derwappenlosen DDR-Zeit – einWappen geben wollte, fiel dieWahl auf einen Vorschlag mitWolf, selbstverständlich. „Esgab auch Vorschläge ohne denWolf als Wappentier“, erinnertsich der Bürgermeister. „Die ka-men aber gar nicht gut an.“

    TypischWölfiser:Nachtsein Sofa auf demRücken

    Dabei wären Füchse, weil sieGänse stehlen, und Elstern, weilsie diebisch sind, auch keine un-passenden Wappentiere gewe-sen.„Wölfis hat ja nicht nur den

    Beinamen ‚Das singende undklingende Dorf‘, sondern auchRäwerschhusen, auf Hoch-

    deutsch: Räubershausen“,scherzt Bürgermeister Rein-hardt.„Es gibt bei uns zwei Sprich-

    wörter: Was der Wölfiser umzwölfe sieht, das hat er mittags.Und: Wölfiser, die nachts schla-fen, sind faule Schweine.“Legendär ist das Musterex-

    emplar des fleißig-nachtaktivenWölfisers, der in den 60er-Jah-ren am Interhotel „Panorama“inOberhofmitbaute. „DieAnek-dote klingt merkwürdig“, sagtReinhardt, „sie ist aber absolutwahr. Der Mann wurde nachtsauf demWeg von Oberhof nachWölfis erwischt –mit einemSofaauf demRücken.Er habe seiner Frau so sehr

    von den Sofas im Hotel vorge-schwärmt, dass er ihr mal eineszeigen wollte, erzählt er. Unddass er es am nächsten Tag zu-rückbringen wollte. Von WölfisnachOberhof: Das sind 15 Kilo-meter, bei 400 Metern Höhen-anstieg. Das ist Fleiß.Heutzutage gibt es den nicht

    mehr. „Wenn Sie jetzt ein geöff-netes Auto im Ort abstellen, istes amMorgen noch da.“Bürgermeister Reinhardt ist

    der Humor nicht abhanden ge-kommen – obwohl die Zeitennicht leichter wurden. Die be-rühmten Narva-Werke, die inihremWerk inWölfis die gesam-te Weihnachtsbaumbeleuch-tung für dieDDRhergestellt hat-ten, gibt es seit Langem nichtmehr. Damit gingen auch etwa150Arbeitsplätze verloren.Arbeit bietet in Wölfis heute

    noch ein Hersteller von Groß-

    küchentechnik. Daneben gibt eskleinere Handwerksbetriebe:Schreiner, Tischler, Maurer,Zimmermänner.Die Gewerbesteuereinnah-

    men halten sich somit in Gren-zen. Hinzu kommt, dass Ent-scheidungen der hohen Politikdas Leben in der Kommunemanchmal zusätzlich erschwe-ren. Auch aus solchen Gründenliegt das Gemeindedefizit aktu-ell bei etwa 190 000Euro.Als besonders belastend, sagt

    Bürgermeister Reinhardt, habesich das Kita-Gesetz von 2010ausgewirkt. „Um das Gesetz zuerfüllen, mussten wir drei Erzie-herinnen zusätzlich einstellen.“Seither verfügt die Gemeindeüber etwa 100 000 Eurowenigerpro Jahr.Aber leicht war das Leben in

    dem„Armeteufeldorf“ nie. „DenWölfisern ist nie etwas ge-schenkt worden“, weiß Heimat-forscher Fischer.„Wölfis hat die schlechtesten

    Bodenwerte weit und breit. Dasliegt am Muschelkalkboden.Früher mussten die Wölfiserihre Hausbrunnen bis zu 15Me-ter in die Tiefe treiben, durchschwerstes Gestein. Auch die

    mit Steinen übersäten Äckermussten sie ablesen.“ DerSchritt von solchen Strapazenzum singenden und klingendenDorf liegt für den Forscher nichtfern. „Die Menschen sucheneben etwas, was jenseits des har-ten Alltags das Leben lebens-wertmacht.“Heute gibt es drei Blasorches-

    ter samt der „Kapelle ohne Na-men“ im Dorf, und die aus Wöl-fis stammende Band „EmaRo-cken“hat 2013beim„ThüringenGrammy“ sogar den Ehrenpreisfür den besten eigenkomponier-ten Song erhalten.In den 15 Jahren, die Thomas

    Reinhardt nun als ehrenamtli-cher Bürgermeister amtiert, hater vieles erlebt. Doch obwohldas Dorf in dieser Zeit etwa 400Einwohner verlor, gibt er dieHoffnung nicht auf.„Vor einigen Jahren standen

    noch etliche Sterbehäuser leer,jetzt sind sie alle bewohnt“, be-richtet er. – Und wenn das nichtreicht? Schon einmal hatteWöl-fis Glück, zuletzt vor etwa 500Jahren. Aus der Nähe derWach-senburg zogdamals einHerrUn-bereit – der Name war Täu-schung – nachWölfis. Bis heute,weiß der Heimatforscher, lautetder inWölfis verbreitetsteName„Umbreit“.Wie tief der Wolf wirklich im

    Wölfiser Dorfbewusstseinsdi-ckicht steckt, könnte sich baldzeigen. „Ich muss meinen Leutewohl mal sagen, dass der Wolfeine Reproduktionsrate von 30Prozent im Jahr hat.“ Bürger-meister Reinhardt strahlt.

    Die Thüringer SerengetiWisente statt Panzer: Mutige Visionäre sehen in einigen Jahren Ökotourismus auf dem einstigen Truppenübungsplatz Ohrdruf

    VonMatthias Thüsing

    Eleonore Mühlbauer gerät mitBlick auf den Truppenübungs-platz Ohrdruf ins Schwärmen.„Seit über hundert Jahren gibt eshier keine wirtschaftliche Nut-zungmehr.Die Offenlandschaft ist Rück-

    zugsraum für eine Vielzahl vongefährdeten Arten. Und auchder Wald wurde komplett sichselbst überlassen. Was hier anseltenen Insekten im Totholzsteckt, dürfte selbst inThüringenseinesgleichen suchen.“Die SPD-Umweltpolitikerin

    aus Arnstadt verfolgt seit Jahrenden Plan, hier auf der Kreisgren-ze zwischen Ilmkreis undGothaein Naturreservat für wildleben-de Pferde- und Großrindrassenzu formen: Wisent, Heckrinderund Wasserbüffel könnten hierneben Wildpferden die Land-schaft offen halten. „Die Rück-

    kehr desWolfs auf ausgerechnetdieser Fläche hilft uns hier unge-mein“, zeigt sie sich überzeugt.Denn zuletzt stand es um die

    Pläne nicht allzu gut. Die Bun-deswehr schießt und bewirt-schaftet den Platz zwar nichtmehr, will ihn als militärischeLiegenschaft jedoch nicht ganzaufgeben. Das Kalkül dahinterist einfach: Was einmal militä-risch entwidmetwurde,wird derArmee als Übungsgelände niewieder zur Verfügung gestelltwerden. Nur noch in Ohrdrufwird derzeit ein Areal von weni-gen Hektar mit einem Schieß-stand genutzt.Aus ökologischer Sicht wäre

    der aktuelle Zustand einer, mitdem der Naturschutz lebenkönnte. Der Wolf könnte hierungestört leben und jagen, dieWildkatze ebenso. Fuchs undHase könnten einander auf demGelände „Gute Nacht“ sagen.

    Dann und wann führe die Bun-deswehr im Jeep auf Patrouillevorbei. Ansonsten würde Ruheherrschen.Doch die Naturschützer wol-

    lenmehr.Wisente undAueroch-sen als die Urahnen der nachge-züchteten Heckrinder bevölker-ten einst große Teile Mitteleuro-pas. Bis zu 20 Prozent derFlächen sollten die großen Wei-detiere im Mittelalter offen vonBüschen und Wald gehalten ha-ben. Und auf genau diese Weisekönnten wildlebende Herdenden heutigen Truppenübungs-platz auch künftig wieder freivon Pflanzen halten, sagt etwaauch Edgar Reisinger von derLandesanstalt für Umwelt undGeologie.Geschützt ist die Fläche

    schon heute. Der Truppen-übungsplatz wurde in das euro-päische Schutzprogramm Natu-ra 2000 aufgenommen. Demzu-

    folge ist Deutschland verpflich-tet, die Lebensbedingungen fürdie jeweils bedeutsamen Arten-vorkommen zu bewahren. Allesechs Jahre ist hierüber an dieEU-Kommission Bericht zu er-statten.Der nächste Bericht steht

    2015 an. Und schon heute deu-tet sich an, dass – trotz desWolfs– eine Veränderung zumSchlechten nach Brüssel gemel-detwerdenmuss.

    Bei der FotosafariWildpferde beobachten

    DenndieArbeit derWeiderin-der erledigtenüber die vergange-nen Jahrzehnte hinweg die Pan-zerketten. Die Landschaft blieboffen. „Nachdem die Bundes-wehr das Gelände nicht mehrnutzt, erobern sich die Büsche

    die Fläche zurück“, sagt Mühl-bauer. Zuletzt wurde zwar ver-sucht, mit Brandrodungen dieseEntwicklung zurückzudrängen,doch Ende des Jahres zieht dieFeuerwehr vomÜbungsplatz ab.Dann wird der Landschafts-

    pflege auch diese Möglichkeitgenommenwerden.Wisente und Wildpferde

    könnten die Arbeit der Panzerfortsetzen. Nicht mehr die Bun-deswehr, sondern Touristen – sodie Vision –würden bei Sonnen-aufgang in ihren Jeeps die Was-serstellen im Reservat ansteu-ern. Die Hoteliers und Gastro-nomen im Umland könnten –ähnlich wie im Hainich – vonÖkotourismus und Fotosafariprofitieren. DenWolf würde dieEntwicklung sichernicht stören.Die Jäger haben schon immerhalboffene Weidelandschaftenzu ihren bevorzugten Jagdgrün-den gezählt.

    a Redaktion dieser Seite:BrittaHinkel

    Bürgermeister Thomas Reinhardt. Der Terracotta-Wolf aus der nahenGartenzwergmanufaktur schmückt in der Regel seinen Schreibtisch. Foto: Frank Schauka

    Der Truppenübungsplatz Ohrdruf – hier ein Teil desAreals in RichtungMühlberg. Foto: A. Volkmann

    Ortsnamensforscher Roland Fischer mit einer altenFlurkarten-Urkunde vonWölfis. Foto: Schauka

    D

    Der Wolfin Orts- und

    StraßennamenThüringer Flurnamenmit demWort „Wolf“

    Ortsnamen:

    e Bairoda-Wolfsberge Wolfmannsgehaue Wolfsbehringene Wolfsburg-Unkerodae Wolferschwendae Wolfmannshausene Wolftale Wolfersdorfe Wolfshaine Teichwolframsdorfe Wolfsgefärthe Wolfsberggemeindee Wölferbütte Wölfershausene Wölfis

    Straßennamen:

    e Wolfsgarten (Waltershausen)e Wolfsstein (Elgersburg)e Wolfental,Wolfswiese (Brei-

    tenworbis)e Wolfskuhle (Buhla)e Wolfskuhle (Dingelstädt)e AmWolfswege, Auf der

    Wolfsscheere,Wolfsweg(Geisleden)

    e AmWolfsgrabenweg,Wolfs-graben (Gerbershausen)

    e ZumWolfental (Großbart-loff)

    e Wolfstraße, Auf demWolfen-tale, ImWolfental (Heiligen-stadt)

    e Wolfsanger (Heuthen)e AmWolfsgraben,Nach dem

    Wolfsgraben (Hohengan-dern)

    e AmWolfhagen, AmWolfsie-chen, AmFischwege, BeiWolfsiechen (Leinefelde-Worbis)

    e Wolfsgasse (Lenterode)e Auf demWolfsberge,Wolfs-

    winkel (Sonnenstein)e ImWolfstal,Wolfsberg, Am

    Wolfsanger (Eisenach)e AmWolfsbrunnen (Erfurt)e In derWolfsgrube (Ballstädt)e SogenannterWolfsacker

    (Emsetal)e AmWolfsgraben (Eschenber-

    gen)e Wolfsgasse (Friedrichroda)e AmWolfsgrund (Gotha)e AmWolfsgalgen (Hörsel)e AmWolfstal (Leinatal)e ImWolfsholz (Ohrdruf)e ImWolfstale (Arnstadt)e ImWolfsbache (Dornheim)e Wolfsgrube (Suhl)e DerWolfsgraben,DieWolfs-

    grube (Gera)e AmWolfsgraben (Berga)e Wolfswiese (Masserberg)e Wolfstal (Kloster Veßra)e DerWolfsgraben (Selka)

    Truppenübungs-platz Ohrdruf

    THÜRINGEN

    Grafik: AndreasWetzel