Selbstbestimmung und Teilhabe - medizinische und soziologische Sichtweisen

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Selbstbestimmung und Teilhabe Medizinische und soziologische Sichtweisen Sandra Meyer-Moock Institut für Community Medicine Universitätsmedizin Greifswald 8. Juli 2011, Berufsbildungswerk Greifswald

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Selbstbestimmung und Teilhabe

Medizinische und soziologische Sichtweisen

Sandra Meyer-MoockInstitut für Community Medicine Universitätsmedizin Greifswald 8. Juli 2011, Berufsbildungswerk Greifswald

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Zentrale Fragen:

Was versteht man unter

Selbstbestimmung und

Teilhabe?

Welche Maßnahmen können

dazu beitragen, dass

Selbstbestimmung und

Teilhabe gelingen?

SO BITTE NICHT!

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Gliederung

Selbstbestimmung und Teilhabe – Begriffsbestimmung Inklusion, Integration und Förderung in Sondereinrichtungen

Geschichtlicher Hintergrund Das Gesundheits- und Sozialversicherungssystems in Deutschland

Rechtlicher Rahmen Selbstbestimmung, Teilhabe, Rehabilitation und Behinderung

UN-Behindertenrechtskonvention

Diskussion

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Selbstbestimmung, Teilhabe und die Berufsbildungswerke

Im Mittelpunkt des Auftrages der Berufsbildungswerke stehen die TeilnehmerInnen.

Ihre berufliche Bildung sowie die Förderung ihrer persönlichen und sozialen Entwicklung mit dem Ziel der beruflichen Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt und ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (SGB IX § 1) ist die Aufgabe aller MitarbeiterInnen.

(Qualifizierungsverbund Mitte, Dezember 2010)

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Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft

„Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen […], um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken.“

(§1 SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen)

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Selbstbestimmung

Möglichkeit, nach freiem Willen über sein Leben zu entscheiden

Für sich selbst sorgen Sein Leben selbständig gestalten Unabhängig sein Eigene Entscheidungen treffen und nach ihnen handeln

Gegenteil: Fremdbestimmung, Unterdrückung

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Selbstbestimmung

Ausschnitt der

UN-Behindertenrechtskonvention in „Leichter Sprache“

(Screenshot der Internetseite des Deutschen Instituts für Menschenrechte)

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Selbstbestimmung

bereits Gedanke der Aufklärung – „Autonomiegedanke“

Nach Kant ist der Mensch grundsätzlich zur Selbstbestimmung fähig, da er über praktische Vernunft verfügt.

Praktische Vernunft zeichnet den Menschen aus und macht ihn zu einem rational handelnden Subjekt, aber ….

Gefahr für die Subjekthaftigkeit des Menschen besteht bei Krankheit und dauernder gesundheitlicher Beeinträchtigung (erworben oder angeboren).

Als Kranker oder Behinderter ist der Mensch weniger ein „vernünftiges“ sondern ein „bedürftiges“ Wesen.

Immanuel Kant1724-1804

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Selbstbestimmung

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Selbstbestimmung

Zentrale Leitlinie der Behindertenpolitik

§ 1 SGB IX § 9 Abs. 3 SGB IX:

„Leistungen, Dienste und Einrichtungen lassen den Leistungsberechtigten möglichst viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände und fördern ihre Selbstbestimmung.“

Umsetzung des Autonomiegrundsatzes Persönliches Budget

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Teilhabe

Gesellschaftliche Teilhabe (Partizipation)

insbesondere Teilhabe behinderter Menschen

Im Sozialrecht: Verankerung der Teilhabe im SGB IXIn der Philosophie: Begriff der IdeenlehreIn der Wirtschaft: Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Teilhaber eines UnternehmensIm Verfassungsrecht: Status in den GrundrechtenIn der Sicherheitspolitik: nukleare Teilhabe von Staaten ohne Atomwaffenbesitz

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Gesellschaftliche Teilhabe Teilhabe behinderter Menschen

Teilhabe: „Einbezogensein in eine Lebenssituation“

Behinderung: „Beeinträchtigung der Teilhabe als Wechselwirkung zwischen dem gesundheitlichen Problem einer Person und ihren Umweltfaktoren“

(WHO, 2001)

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Aspekte der Teilhabe behinderter Menschen

Soziale Inklusion Soziale Integration Förderung in Sondereinrichtungen

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Soziale Inklusion

Teilnahme am gesellschaftlichen u. wirtschaftlichen Leben „unter normalen Wettbewerbsbedingungen“

z.B. Teilnahme am Unterricht in der Regelschule, am Arbeitsleben, am politischen Leben

Stichwort: Barrierefreiheit

Verwirklichung von Teilhabe im Sinn von Inklusion durch eine Politik der Gleichstellung

Zentrale Bedeutung in der

UN-Behindertenrechtskonvention

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Beispiele:Rollstuhlfahrer können ohne fremde Hilfe an einer Veranstaltung teilnehmen, da der Veranstaltungsort ohne eine Treppe oder enge Türen erreichbar ist.

Blinde Menschen können ohne fremde Hilfe Informationen in Brailleschrift lesen oder als Tonaufnahme hören.

Kognitiv beeinträchtigte Menschen können Texte ohne Interpretationshilfen besser verstehen, wenn sie in „Leichter Sprache“ geschrieben sind.

In ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen können bei Wahlen per Briefwahl wählen oder sich beim Wahlvorgang helfen lassen.

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Soziale Inklusion und soziale Exklusion

Soziale Inklusion bedeutet keine soziale Exklusion bezogen auf:

Exklusion vom Arbeitsmarkt

Ökonomische Exklusion

Institutionelle Exklusion

Exklusion durch soziale Isolierung

Kulturelle Exklusion

Räumliche Exklusion

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Soziale Integration

Einbeziehung der behinderten Menschen, aber unter reduzierten Anforderungen oder mit Sonderbedingungen

z.B. verlängerte Bearbeitungszeiten bei Prüfungen für sehbehinderte Menschen

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Förderung in Sondereinrichtungen

Teilhabe ist auch in Sondereinrichtungen und bei Veranstaltungen ausschließlich für behinderte Menschen möglich

z.B. in Werkstätten für behinderte Menschen

„Paralympics“

Seit 2001 Tendenz zum inklusiven Unterricht

Logos for Beijing 2008

Paralympic Games

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Exklusion

Integration

Separation

Inklusion

A

DC

B

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Exklusion Integration

Separation Inklusion

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Geschichte des deutschen Gesundheitswesens und der Leistungsträger

Einführung von Gesundheitsleistungen

Einführung des Sozialversicherungssystem

Leistungsträger

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Industrialisierung

Einführung von Maschinen in den Produktionsprozess Veränderung der Arbeitsprozesse: Einführung der Arbeitsteilung Landflucht niedriges Lohnniveau

Soziale Leistungen – abgesehen von einem nur wenig entwickelten Fürsorgesystem – fehlten völlig.

Folgen

biologische Schäden (Unternährung, häufige Krankheiten, hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit, geringe Lebenserwartung)

moralische Schäden (Trunksucht, Neid, Verbitterung und sexuelle Verwahrlosung)

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Beginn

Gründung einer staatlich organisierten Sozialversicherung

Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung (1883)

Es gilt allgemeiner Versicherungszwang.Otto vonBismarck

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Das erste sozial- und gesundheitspolitische Gesetz in Deutschland:

„Preußisches Fabrikregulativ” 1839

Verbot der Arbeit von Kindern unter 9 Jahren

Unter 16 Jahren: Verbot der Nacht- und Sonntagsarbeit

Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf 10 Stunden

Friedrich Wilhelm IIIKönig von Preußen

1770-1840

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„Kaiserliche Botschaft” 1881

Wilhelm I

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„Kaiserliche Botschaft“ 1881

„... dass die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer

Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem Wege der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein

werde…”

Wilhelm I

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Beginn

Gründung einer staatlich organisierten Sozialversicherung

Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung (1883)

Es gilt allgemeiner Versicherungszwang.

Leistungen

vom Beginn der Krankheit an freie ärztliche Behandlung, Arznei sowie Brillen, Bruchbänder und ähnliche Heilmittel, Krankenhauspflege

bei Erwerbsunfähigkeit (heute: Arbeitsunfähigkeit) vom dritten Tag an ein Krankengeld

Die Krankenunterstützung endete spätestens mit Ablauf der 13. Woche nach Krankheitsbeginn.

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1839 Preußisches Fabrikregulativ

1881 Kaiserliche Botschaft

1883 Bismarcksche Sozialgesetzgebung 1883 Krankenversicherung 1884 Unfallversicherung 1889 Gesetzliche Rentenversicherung (ursprünglich: Alters- und

Invaliditätssicherung)

1911 Reichsversicherungsordnung RVO

… 1976ff Sozialgesetzbuch SGB 2001 SGB IX „Rehabilitation und Teilhabe behinderter

Menschen“

Bis heute gegliedertes Sozialversicherungssystem

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Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung – IAVG

Begründung der Strukturen der Rehabilitation in der Rentenversicherung

Lösung des Heilverfahrens von der Krankenversicherung Entscheidungen liegen nun bei den Versicherungsanstalten

„Ist ein Versicherter dergestalt erkrankt, dass als Folge der Erkrankung Erwerbsunfähigkeit zu besorgen ist, welche einen Anspruch auf reichsgesetzliche Invalidenrente begründet, so ist die Versicherungsanstalt befugt, zur Abwendung dieses Nachteils ein Heilverfahren in dem ihr geeignet erscheinenden Umfang eintreten zu lassen.“

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Rehabilitation

„rehabilitatio“ (lat.) „Wiedereingliederung in die volle Rechtsstellung

innerhalb der Gemeinschaft“ bereits vor 150 Jahren Verwendung des Begriffs

Rehabilitation als Bezeichnung der Wiederherstellung der Lebenstüchtigkeit gesundheitsgeschädigter Menschen unter besonderer Berücksichtigung der Wahrung der Menschenwürde

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Rehabilitation und gesellschaftliche Wiedereingliederung in die Gesellschaft berufliche Wiedereingliederung

früher: Kriegsopfer und Opfer von Infektionskrankheiten

heute: muskuloskelettale Erkrankungen, Neubildungen, psychische und Verhaltensstörungen, Herz-Keislauf-Erkrankungen

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Rehabilitation - Behinderung

1957 Gesetze zur Neuregelung der Rentenversicherung

Sozialrechtliche Grundlagen für gezielte Maßnahmen zur Rehabilitation und beruflichen Eingliederung behinderter Menschen

Grundsatz „Reha vor Rente“

1974 Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG)

1976 Sozialgesetzbuch I

§ 10 Teilhabe behinderter Menschen

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§ 10 Teilhabe behinderter Menschen

Menschen, die körperlich, geistig oder seelisch behindert sind oder denen eine solche Behinderung droht, haben unabhängig von der Ursache der Behinderung zur Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe ein Recht auf Hilfe, die notwendig ist, um

1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,

2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,

3. ihnen einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern,

4. ihre Entwicklung zu fördern und ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern sowie

5. Benachteiligungen auf Grund der Behinderung entgegenzuwirken.

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Rehabilitation - Behinderung

1957 Gesetze zur Neuregelung der Rentenversicherung

Sozialrechtliche Grundlagen für gezielte Maßnahmen zur Rehabilitation und beruflichen Eingliederung behinderter Menschen

Grundsatz „Reha vor Rente“

1974 Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG) 1976 Sozialgesetzbuch I

§ 10 Teilhabe behinderter Menschen

2001 Sozialgesetzbuch IX (ersetzt RehaAnglG) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

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Veränderung des Rehabilitationsbegriffs:

Rehabilitation: nur noch medizinische Rehabilitation

Berufliche Rehabilitation: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Soziale Rehabilitation: Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft

Wechsel von der Fürsorge zum Leitbild eines sich selbst bestimmenden, mündigen und eigenverantwortlich handelnden Patienten bzw. Rehabilitanden

Übergeordnetes Ziel :

Teilhabe am Leben in der Gesellschaft

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Gesetzliche Rahmenbedingungen - Übersicht

Sozialgesetzbuch IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Auszug)

Teil 1 (§§ 1-67): Regelungen für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen

Allgemeine Regelungen Medizinische Rehabilitation (§ 26 - § 32) Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 bis § 43) Unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen (§ 44 - § 54) Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 55 - § 59)

Teil 2 (§§ 68-160): Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen

(Schwerbehindertenrecht): Integrationsfachdienste (§ 109 - § 115) Integrationsprojekte (§ 132 - § 135) Werkstätten für Behinderte (§ 136 - § 144)

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Gesetzliche Rahmenbedingungen – Übersicht

Sozialgesetzbuch III – Arbeitsförderung, Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben

Sozialgesetzbuch XII – Sozialhilfe, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen

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SGB IX, Teil 1, Kapitel 1 – Allgemeine Regelungen

§ 1 Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft

Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen […], um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken.

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SGB IX, Teil 1, Kapitel 1 – Allgemeine Regelungen

§ 4 Leistungen zur Teilhabe – Abs. 1

Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

1.die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,

2.Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,

3.die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder

4.die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

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SBG IX, Teil 1, Kapitel 1 – Allgemeine Regelungen

§ 5 Leistungsgruppen

Zur Teilhabe werden erbracht

1.Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,

2.Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,

3.unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen,

4.Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

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SGB IX, Teil 1, Kapitel 1 – Allgemeine Regelungen

§ 9 Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten

(1) Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen. Dabei wird auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen […]

(2) Sachleistungen zur Teilhabe […]

(3) Leistungen, Dienste und Einrichtungen lassen den Leistungsberechtigten möglichst viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände und fördern ihre Selbstbestimmung.

(4) Die Leistungen zur Teilhabe bedürfen der Zustimmung der Leistungsberechtigten.

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Leistungen zur Teilhabe

Sachliche Leistungen für Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen Früher EingliederungshilfeRechtlich zurückzuführen auf Artikel 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

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SGB IX, Teil 1, Kapitel 4 – Leistungen zur medizinischen Rehabilitation

SGB IX, Teil 1, Kapitel 5 – Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben§ 33 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Auszug)

(1) Zur Teilhabe am Arbeitsleben werden die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.

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Fortsetzung – § 33 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Auszug)

(3) Die Leistungen umfassen insbesondere-Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung,-individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung,-berufliche Anpassung und Weiterbildung, -berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden,

(4) Bei der Auswahl der Leistungen werden Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen berücksichtigt. Soweit erforderlich, wird dabei die berufliche Eignung abgeklärt oder eine Arbeitserprobung durchgeführt;

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Fortsetzung – § 33 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Auszug)

(6) Die Leistungen umfassen auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit diese Leistungen im Einzelfall erforderlich sind, um die […] Ziele zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere

-Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung,-Aktivierung von Selbsthilfepotentialen,-Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen,-Training lebenspraktischer Fähigkeiten,-Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben…

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SGB IX, Teil 1, Kapitel 5 – Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

§ 35 Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation, Abs. 1

Leistungen werden durch Berufsbildungswerke, Berufsförderungswerke und vergleichbare Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ausgeführt, soweit Art oder Schwere der Behinderung oder die Sicherung des Erfolges die besonderen Hilfen dieser Einrichtungen erforderlich machen.

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UN-Behindertenrechtskonvention

Ziele

Abbau von Teilhabe-Barrieren für Menschen mit Behinderung

Echte Chancengleichheit in der Gesellschaft

Behinderung ist Ausdruck gesellschaftlicher Vielfalt („Diversität“)

Gesellschaftliche Vielfalt wird zur Norm erhoben

Paradigmenwechsel

Behinderung nicht mehr im Sinne eines Defizitansatzes als individueller Mangel, Fehler oder Krankheit,

sondern als Bestandteil der Normalität menschlichen Lebens

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UN-Behindertenrechtskonvention

Inklusion versus Integration

NICHT Anpassung des behinderten Mensch, um in der Gesellschaft dabei zu sein,

SONDERN Anpassung der gesellschaftlichen Strukturen

Einbeziehung der Behinderten von Anfang an

Wesentliche Rechte der UN-Konvention

Recht auf Leben und Schutz der Unversehrtheit der Person

Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung

Unabhängige Lebensführung und Teilhabe in allen Lebensbereichen

Zugang zu Bildung, Arbeitswelt und Gesundheitsversorgung

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X

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UN-Behindertenrechtskonvention

Weitere Umsetzung in Deutschland

Erarbeitung eines Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Konvention

Rede: Ursula von der Leyen

Diskussion

Sind die Anforderungen der UN-Konvention im deutschen Recht (SGB IX) bereits realisiert?

Kann die UN-Behinderrechtskonvention auch die „Barrieren im Kopf“ abbauen?

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„Es gibt in unserer Gesellschaft nicht deshalb Heilanstalten, weil Aufseher Psychiater und Pfleger einen Arbeitsplatz brauchen; es gibt sie deshalb, weil eine Nachfrage nach ihnen besteht.

Wenn alle Heilanstalten eines bestimmten Gebietes geleert und geschlossen würden, dann würden morgen Verwandte, Polizisten und Richter den Ruf nach neuen Anstalten anstimmen.

Und sie, die in Wahrheit die Klienten der Heilanstalt sind, würden nach einer Institution verlangen, die ihre Bedürfnisse befriedigt.“

(Erving Goffman, 1961

Asyle: über die soziale Situation psychatrischer Patienten und anderer Insassen)

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DiskussionVon der Schule bis zur Ausbildung:Ein inklusives Bildungssystem als Fluch oder Chance?

Was bedeutet ein radikales Aus für das Sonderschulwesen – von der frühkindlichen bis zur beruflichen Bildung?

Sollen alle Kinder und Jugendliche mit oder ohne Behinderung künftig die Regelschule besuchen bzw. eine reguläre Ausbildung absolvieren?

Welche Konsequenzen entstehen für eine Ausstattung der Schulen, die Qualifikation von Lehrern und Ausbildern?

Soll ein Wahlrecht ermöglicht werden?

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Diskussion: Berufliche Bildung

Inklusion im Ausbildungsprozess:

Weg oder Ziel?

Berufsbildungswerke als „Startrampe“ auf dem Weg zur Inklusion?

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Vielen Dank!