Selbsthilfe_01_2010

16
SELBSTHILFE SELBSTHILFE MITGLIEDER- VERSAMMLUNG 09. April 2010 Verband Angehöriger und Freunde psychisch Kranker Poste Italiane Spa - Spedizione in abbo- namento postale - D.L. 353/2003 (Conv: in L. 27/02/2004, n. 46) art. 1, comma 2, DCB Bolzano Reg. 3.7.1995, n. 17/95, Nr. 1/2010

description

Zeitung des Verbandes Angehöriger und Freunde psychisch Kranker - Bozen (Italien)

Transcript of Selbsthilfe_01_2010

Page 1: Selbsthilfe_01_2010

SELBSTHILFE

SELBSTHILFE

MITGLIEDER- VERSAMMLUNG 09.April2010

Verband Angehöriger und Freunde psychisch Kranker

Poste Italiane Spa - Spedizione in abbo-namento postale - D.L. 353/2003 (Conv: in L. 27/02/2004, n. 46) art. 1, comma 2, DCB Bolzano Reg. 3.7.1995, n. 17/95, Nr. 1/2010

Page 2: Selbsthilfe_01_2010

2

SELBSTHILFE

IMPRESSUM

Dritteljährliche Informationsschrift des Verbandes Angehöriger und Freunde psychisch Kranker

Eintragung beim Tribunal Bozen: Nr. 17/95 R. St. vom 3.7.1995

Herausgeber:Verband Angehöriger und Freunde psychisch KrankerG.-Galilei-Str. 4/a39100 BozenTel. 0471 260 303 Fax 0471 408 [email protected]

Verantwortlich für den Inhalt:Prof. Carla Leverato

Redaktion:Martin Achmüller, Lorena Gavillucci, Margot Gojer, Laura Kob, Carla Leverato, Alessandro Svettini

Übersetzung:Martin Achmüller, Margot Gojer, Carla Leverato, Carmen Premstaller

Bilder:Archiv, Martin Achmüller, Margot Gojer, Brigitte Gutgsell, Magda-lena Hofer, Carmen Premstaller

Layout:Carmen Premstaller

Druck:Karo Druck, Frangart

Die Redaktion dankt allen, die durch verschiedene Beiträge zur Veröffentlichung dieser Ausgabe beigetragen haben. Sie behält sich das Recht vor, Kürzungen an den Texten vorzunehmen.

Inhaltsverzeichnis

Editorial

„AllesistimWandel...“

DaseigeneWohlbefindenunddasderanderen indenVordergrundstellen

BoykottdesEhrenamtes?

AusfürSelbsthilfe

IstWeiterbildungVeränderung?

Redemituns... Fortbildung

Zuhörecke Ein guter Rat

OrdentlicheMitgliederversammlung2010

DiesozialeGenesung(Recovery) voneinerschwerenpsychischenErkrankung

NationaleKonventionderUNOüberdieRechte vonMenschenmitBehinderung

EngagierteuchimVorstanddesVerbandes Neuwahlen der Verbandsgremien im Jahr 2010

VonunserenLesern!

DieIdeewäregut...

Seite3

Seite4

Seite5

Seite7

Seite7

Seite8

Seite9

Seite10

Seite 11

Seite 13

Seite 14

Seite14

Seite15

Seite16

gefördert von der Stadtgemeinde Bozen

gefördert von der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol Assessorat für Sozialwesen

Wir wollen

mit-denkenmit-fühlenmit-tragen

mit all jenen, die bei dem Zugunglück im Vinschgau

einen lieben Menschen verloren habenoder auf andere Weise

eine Grenzerfahrung erleben mussten.

Page 3: Selbsthilfe_01_2010

EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser!Carla Leverato

Das eigene Wohlbefinden unddasderandern indenVordergrundstellen

K ann man mit 21 Jahren bereits alt sein?

Kann sein, wenn wir dabei an einen Verband denken. Aber... alt in wel-chem Sinne?

Der Großteil der Mitglieder ist seit der Gründung des Verbandes dabei: das sind somit die „alten“ Mitglieder. Viele von ihnen haben die „Lebens-mitte“ bereits überschritten. Aber sie sind es, die die Erinnerung an die ausgefochtenen Kämpfe, an die er-reichten Ziele, an die überwundenen Schwierigkeiten… bewahren und weitertragen.

Aber die Zeiten ändern sich. Die Si-

tuation der Erkrankten hat sich verän-dert, so wie auch die Strukturen, die Bedingungen und die Gesellschaft im Wandel sind. In der heutigen Zeit, in der sich alles sehr schnell entwickelt, müssen die Vorstellungen ständig an-gepasst werden.

Und deshalb muss der Verband ver-suchen, sich zu „verjüngen“.

Nur wie? Vor welche neue Heraus-forderung wird der Verband gestellt, werden wir alle gestellt, wenn wir mit der Zeit gehen wollen?

Wenn der Verband psychisches Leiden besser verstehen und besser kennen will, um zielgerichteter inter-venieren zu können, muss er sein Au-genmerk verstärkt auf die damit ver-bundenen Lebenssituationen lenken.

Dafür ist ein ständiger Austausch mit den Mitgliedern notwendig. Sie sind die Ansprechpartner für den Verband. Nur sie können sagen, was sie von den Diensten brauchen, was verbessert werden muss und welche Bedürfnisse die Familien haben.

Gesprächspartner wären auch die jungen Angehörigen, Eltern von Kin-dern oder Jugendlichen. Aber wo sind sie? Warum kennen sie den Ver-band nicht? Warum erreichen sie die Informationen nicht?

Die Möglichkeiten sind viele: weil ihnen niemand davon erzählt, nicht einmal die Dienste. Vielleicht denken sie, sie bräuchten keine Hilfe, oder sie haben das Problem noch nicht er-

kannt oder akzeptiert. Es kann auch sein, dass sie die Situation unterschät-zen oder sich schämen. Es gibt sicher noch viele weitere Gründe.

Aber wer muss etwas tun? Wir alle natürlich. Aber was?

Wir können aus dem Schatten her-vortreten, die Scham und Angst über-winden.

Wir können die Familien, von denen wir wissen, dass sie in schwierigen Situationen stecken, respektvoll und vorsichtig darauf ansprechen.

Wir können Lehrer, Nachbarn, Pries-ter und Pfarrgemeinde, Freunde an-sprechen und sie um Hilfe bitten, ihnen Informationen geben und so Sensibilisierungsarbeit leisten.

Wir selbst können eine Veränderung herbeiführen und die Menschen per-sönlich unterstützen, die es brauchen, und so ein soziales Netz der Solidarität knüpfen, welches über die Grenzen einer Selbsthilfegruppe hinausgeht.

Wir können wachsen, stärker wer-den und lernen, was wir tun müs-sen, damit es uns besser geht. Die Weiterbildungsmöglichkeiten fehlen sicher nicht, ebenso wenig wie ein „Stützpunkt“, damit wir alle mutig, entschlossen und solidarisch unser eigenes Wohlbefinden und das der anderen in den Vordergrund stellen.

Und das kostet uns nichts: zumindest kein Geld.

Page 4: Selbsthilfe_01_2010

SELBSTHILFE

„Alles ist im Wandel...“Luce

W ie sieht die aktuelle Lage der Angehörigen von psychisch

Erkrankten aus? Hat sich die Einstel-lung geändert? Eröffnen sich neue Visionen?

Unser Verband hat in den 20 Jahren, in denen er präsent ist, vieles angebo-ten für jene, die jeden Tag mit einer „leidenden Seele” konfrontiert sind: Unterstützung, Information, Weiter-bildung, Auseinandersetzungen und vor allem das Gefühl, „nicht mehr al-lein zu sein”.

Auch bei den Diensten hat sich vieles gebessert: mehr Zentren, mehr Kompetenz, mehr Anpassung an die Bedürfnisse, mehr wirksame Ange-bote.

Und was hat sich in dieser Zeit der großen und enorm schnellen Umwäl-zungen an der Mentalität der Men-schen geändert? Technologie und Migration sind wohl die zwei Hauptfaktoren einer „Kulturrevolution” und einer neuen „Iden-titätsbestimmung” von Mensch und Gesell-schaft.

Das „Anders-Sein” und der Umgang damit, die soziale und kulturelle Integration beschäf-tigen nicht mehr nur die Fachleute, sondern jeden einzelnen in unserer Gesell-schaft.

Wir beginnen uns bewusst zu wer-den, dass die Verschiedenheiten zu erkennen und anzuerkennen sind, dass sie Chancen und Ressourcen darstellen; doch wir erleben genau-so Ablehnung und Ängste, die auch übertrieben werden und bis zu For-men von Aggressivität und Rassismus führen.

Es entstehen widersprüchliche Situationen: es gibt viel mehr Mög-lichkeiten zum Kontakt mit „den anderen” und zum Kennenlernen von Neuem; zugleich ist eine Häufung von Konflikten vorgezeichnet. Und wer nicht auf dem laufenden bleibt

mit neuen Technologien, neuen Spra-chen, neuen Kompetenzen, neuen Umgangsformen, wird fast automa-tisch zum Außenseiter – einzelne Menschen gleich wie ganze Völker.

Als Einzelperson und vor allem als Angehö-rige eines psychisch Erkrankten erlebe ich alles als positiv, was Begegnung, Aus-tausch, Kennenler-nen, Wissen und da-mit eine Öffnung des Geistes begünstigt, das Leben erleichtert, die Lebensqualität verbessert. Wenn „Anders-Sein” vermehrt wahrgenom-men und akzeptiert wird, dann werden auch die Vorurteile gegen (psychisch)

Erkrankte und die Barrieren um sie her-um vermindert wer-den. Darüber kann ich mich freuen.

Zugleich beobachte ich aber mit großer Un-ruhe die Zunahme von Gewalt, teilweise aus Unwissen, teilweise gesteuert, besonders gegen „die anderen”, die Minderheiten: Aus-

länder, Menschen mit Beeinträchti-gungen oder mit Anpassungsschwie-rigkeiten, Homosexuelle, Zigeuner, psychisch Erkrankte, Andersgläubige

– ähnelt es nicht den Zuständen im Faschismus und Nationalsozialismus?

Und da Mediziner und Soziologen ganz klar eine starke Zunahme der

psychischen Krank-heiten voraussagen, liegt die Gefahr nahe, dass die besonders verletzlichen, empfind-samen, weniger sta-bilen Menschen, also gerade die psychisch Erkrankten, einem weit höheren Risiko der sozi-alen Ausgrenzung ent-gegengehen. Vielleicht kann man es als „tech-nologische Inkompe-tenz” bezeichnen, weil

sie weniger Zugang zu einer Welt haben, die virtuell für alle anderen zu-gänglich ist. Technologisch nicht auf der Höhe zu sein, kann immer leich-ter bedeuten, mit dem Alltag nicht mehr allein zurechtzukommen, sozial ausgegrenzt zu werden. Gehen diese Menschen einem Ghetto entgegen?

Zurück zur einleitenden Frage: ich bleibe bei der Aussage, dass sich vieles gebessert hat, dass Angehörige von psychisch Erkrankten weit mehr Hilfe und Unterstützung erhalten als früher. Doch es gilt, sehr wachsam zu sein, dass auf der Ebene der Ethik, der Werte des einzelnen die Verbes-serungen erhalten bleiben, und dass alle Veränderungen den Menschen und seine Rechte weiterhin respek-tieren.

!Das „Anders-Sein” und

der Umgang damit, die soziale und kulturelle

Integration beschäftigen nicht mehr nur die Fach-

leute, sondern jeden einzelnen in unserer

Gesellschaft.

!Wenn „Anders-Sein”

vermehrt wahrgenom-men und akzeptiert

wird, dann werden auch die Vorurteile gegen

(psychisch) Erkrankte und die Barrieren um sie herum vermindert

werden.

Page 5: Selbsthilfe_01_2010

SELBSTHILFE

W ir sind auf dem Weg. Auf den Straßen des Lebens. Ein

bisschen wie die Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela.

Jeden Morgen stehen wir auf: manchmal voll Freude auf die Neuigkeiten des bevorstehenden Tages, andere Male nur mit Mühe, vielleicht auch mit Sorge vor dem lan-gen, ja stundenlangen Wanderweg, der uns zu überfordern scheint…

Unterwegs treffen wir auf Menschen: einige in unserem Rhythmus, andere sind langsamer. Einige mögen wir, an-dere sind lästig. Ab und zu überholt uns jemand, dann wieder hält jemand an, und ein paar kehren um. Und so manche Zeit sind wir auch allein un-terwegs.

Selbsthilfe

Das eigene Wohlbefinden und das der andern in den Vordergrund stellen Carla Leverato

So ähnlich könnte es uns auch in ei-ner Selbsthilfegruppe ergehen.

Jeder muss sich selbst zum ersten Schritt durchringen. Diese Entschei-dung ist wohl die schwerste. Das Ziel liegt in weiter Ferne, aber wir haben es klar vor Augen: unser Wohlbefin-den und das der anderen. Das ist un-ser Recht. Aber es erfordert auch un-seren Einsatz.

Die Einsamkeit macht Angst, wird unerträglich; und zugleich ist es so anstrengend, mit den anderen in ei-ner Gruppe zu sein. Warum geht es in einer Selbsthilfegruppe leichter? Wohl deshalb, weil sich alle in einer sehr ähnlichen Situation befinden, ver-gleichbare Belastungen und Schwie-

rigkeiten erlebt haben... und weil alle das Recht haben, sich trotzdem wohl zu fühlen.

Wer in der Gruppe sprechen will, wird merken, dass man ihm zuhört, ihn versteht... dass er vertrauen kann, sich anvertrauen, sich fallen lassen... und wird somit nicht mehr allein sein.

In den allerersten Selbsthilfegrup-pen (den Anonymen Alkoholikern), galt der Spruch:

„Dualleinkannstesschaffen,aberduschaffstesnichtallein“.

Wer eine (wahre) Selbsthilfegruppe nicht kennt, verspürt oft Angst vor Enttäuschung, vor Beurteilung, vor der Überforderung, sich nicht nur das eigene Leiden, sondern auch das der anderen aufzubürden... und aus die-sem Grund geschieht der erste Schritt oft nicht.

Doch eine wirksame Gruppe beruht

nicht auf dem gegenseitigen Vorjam-mern. Vielmehr ist es ein Aufbruch zu „einem gemeinsamen Weg, das ei-gene Wohlergehen wiederzufinden oder erst zu entdecken“.

Man arbeitet nicht an dem, was ein ungutes Gefühl hinterlässt, sondern an den eigenen Fähigkeiten und Stär-ken. Wir können Kräfte in uns selbst entdecken, können Strategien und Lösungen finden, um besser und vor allem mit mehr Selbstvertrauen mit den belastenden Situationen umge-hen zu können.

Und gerade darin unterstützen die Selbsthilfegruppen. Gemeinsam ent-wickelt man mehr Kraft und gibt sie weiter. Die Erfahrungen des Einzelnen bauen mit an konkreten, umsetzbaren Lösungen. So etwas kann man nicht in Büchern lernen, nicht in Einrich-tungen, nicht einmal von „Experten“.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet die Selbsthilfe-

Page 6: Selbsthilfe_01_2010

SELBSTHILFE

gruppen als eine äußerst wirksame Möglichkeit, den einzelnen Menschen und die Gesellschaft zu ändern und ihre Verantwortung und ihren Ein-satz für ein größeres Wohlbefinden zu wecken.

Diese Gruppen verändern Gesell-schaft und Kultur, indem sie aus der Isolierung und der Beziehungs- verarmung herausführen. Wer mit an-deren in Kontakt tritt, verringert sei-ne Ängste, weil er sie gar nicht mehr

als so fremd empfindet. Gegensei-tiges Zuhören und Helfen kann zum Lebensstil werden, den wir auswei-ten können – von der Familie an die Arbeitsstelle und in die Nachbar-schaft.

Wenn wir die Augen offen halten für den, der im Moment eine kleine Unterstützung bräuchte (in der Grup-pe oder außerhalb), wenn wir unsere Weggefährten nicht vergessen, son-dern mit ihnen in Kontakt bleiben, wenn wir die gute Erfahrung einer gegenseitigen Hilfe weitergeben und uns dazu auch einfach spontan etwas einfallen lassen, dann werden wir ein wirkliches, wichtiges, wirksames Netz der Solidarität schaffen.

Wie Patch Adams sagt, muss man sich um die Menschen kümmern, um die bestmöglichen Resultate zu erzielen.

Unser Verband unterstützt und betreut folgende Gruppen für Angehörige:

Bei Bedarf und auf Wunsch der Gruppe werden Psychotherapeuten, Ärzte, Sozialassistenten, Psychologen, Theologen usw. zu den Treffen hinzu-geholt.

Durch den Zusammenschluss im Verband verschaffen sich die Ange- hörigen ein Mitspracherecht gegen-über den professionell Tätigen, der Öffentlichkeit und der Politik.

Sterzing

Meran

Bruneck

St.Ulrich

BozenLeifers

Kaltern

Page 7: Selbsthilfe_01_2010

SELBSTHILFE

0122

0122

J ahre lang stand Ingeborg Forcher im Krankenhaus Schlan-

ders als Ansprechperson unbürokra-tisch für psychisch Erkrankte und ihre Angehörigen zur Verfügung. Mona-tlich wandten sich gut 10 - 15 Perso-nen mit ihren Problemen an sie; sie schätzten ihre wertvollen Tipps und aus eigener Erfahrung erprobten Rat-schläge und waren dankbar für dieses Angebot.

Irgendwann wurde ihr aus schwer nachvollziehbaren Gründen diese ehrenamtliche Tätigkeit untersagt. Als sie sich dagegen wehrte, versprach

man ihr sogar auf höchster politischer Ebene eine „Aussprache“ mit allen Beteiligten. Das Versprechen wurde nicht eingehalten, im Gegenteil man legte ihr erneut nahe, sich die Tätig-keit aus dem Kopf zu schlagen - eine Zusammenarbeit mit ihr sei nicht denkbar. Damit wird die Möglichkeit, psychisch Erkrankte und ihre Ange-hörigen in ihrer Hilflosigkeit aufzu-fangen, von den zuständigen Stellen boykottiert, in krassem Gegensatz zu dem derzeit so stark propagier-ten Projekt „UFE“ („utenti e famili-ari esperti“ – Miteinbeziehung der

„Erfahrenen“ in die Betreuung psychisch Erkrankter).

Und das geschieht 2010, im europä-ischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung!

Als Verband der Angehörigen und Freunde psychisch Kranker wollen wir für diese wertvolle Arbeit ein ganz herzliches „Vergelt‘s Gott“ an Ingeborg Forcher aussprechen und dazu eine klare Bitte und die Aufforderung an alle Verantwortlichen entsprechende Hilfsangebote für die Angehörigen zu schaffen, weil der Bedarf ganz offen-sichtlich besteht.

Boykott des Ehrenamtes?Unser Leserbrief in der Tageszeitung „Dolomiten“

W as Ingeborg Forcher im ge-samten Vinschgau geleistet

hat, war keine „Selbsthilfe“: sie hat die Menschen aufgefangen, die sich mit der belastenden Diagnose „psychi-sche Erkrankung“ auseinandersetzen mussten - Betroffene wie Angehörige, Hilflose wie Verzweifelte. Ihnen gab sie freiwillig und unentgeltlich Hil-festellung für den Alltag: ein Kampf gegen das fehlende Selbstvertrauen, ein Kampf gegen den Bürokratismus, ein Kampf gegen Vorurteile, oft ein Kampf gegen das Umfeld.

Das Leben - ein Kampf? Aussichts-los bei so vielen Gegnern; leichter zu ertragen und durchzustehen, wenn andere Menschen zur Seite stehen, mit-denken, mit-fühlen, mit-tragen. Und gerade so etwas geschieht oft in Selbsthilfegruppen.

Dafür hatte Ingeborg Forcher viele Anregungen, die das Krankenhaus-personal gar nicht geben konnte. Der „psychiatrische Alltag“ im Kran-kenhaus hat mit dem Alltagsleben des psychisch Erkrankten wenig ge-meinsam. Bester Beweis dafür ist die Tatsache, dass die Patienten und ihre Angehörigen häufiger vom Putzper-sonal auf die Beratungsmöglichkeit

aufmerksam gemacht wurden als vom medizinischen Personal.

Selbsthilfegruppen entstehen als „Selbst-Hilfe“, als Ergänzung zur me-dizinischen Behandlung, als Stärkung der Betroffenen im Umgang mit der Erkrankung. Dementsprechend ent-stehen sie auch nicht von den Struk-turen, erst recht nicht in „engster Zusammenarbeit“ - im Gegenteil: die wissen meistens viel zu wenig davon, sehen sie eher als Rivalen, fürchten

um ihre Kompetenz, müssten den All-tag der Erkrankten und ihre Angehö-rigen mit einbeziehen.

Und genau diese „Sozialarbeit“ - be-zeichnenderweise stand der Raum der Sozialassistentin zur Verfügung - wurde Ingeborg Forcher jetzt entzo-gen, weil sie aufzeigte, dass auch an-dere Sichtweisen gelten können. Die versprochene „Aussprache“ gab es nicht: heißt das „engste Zusammenar-beit“ mit den Verbänden?

Aus für SelbsthilfeMartin Achmüller

Page 8: Selbsthilfe_01_2010

SELBSTHILFE

W er leidet oder sich in einer Stresssituation befindet, hat

nur einen einzigen Wunsch: einen Ausweg zu finden!

Und in so einer Situation glaubt man, es gäbe nur eine einzige Möglichkeit: dass sich alle andern rundherum än-dern. Nur die anderen.

Das wäre wahrscheinlich die ein-fachste Lösung. Ganz sicher wäre es eine, die dem Leidenden nicht noch mehr Stress bringt, nicht noch mehr Energie kostet, denn Energie hat er sowieso schon keine mehr.

Und noch weniger Lust, sich selbst zu ändern. „Ich bin ja nicht der Grund für mein Leiden“, denkt er.

Darin liegt viel Wahrheit, und die Wahrheit versteckt sich überall, und meist ist es schwer, sie zu finden.

Ein erster Schritt zur Besserung – und nur darum geht es – ist der, die Situation genau zu analysieren, sich damit zu konfrontieren. Aber allein ist das sehr schwierig, es tut weh, und so braucht es jemanden, der uns beglei-tet, der uns zuhört.

Das ist der Beginn jeder guten Wei-terbildung, aber gleichzeitig auch das, was am meisten Angst macht.

Weiterbildung

Ist Weiterbildung Veränderung?Carla Leverato

Und das ist auch der Grund, weshalb sich jene, die es am meisten bräuch-ten, so schwer dazu aufraffen können, der Angst entgegen zu treten.

Erst in einem zweiten Mo-ment wird ihnen klar, dass solche Situationen nicht verändert, sondern nur akzeptiert werden können.

Konkret bedeutet das, zu akzeptie-ren, dass ein Familienmitglied an ei-ner psychischen Erkrankung leidet. Es bedeutet nicht, so zu tun, als ob dies nicht belastend wäre, nicht schmerz-haft, manchmal unerträglich, und erst recht nicht, so zu tun, als ob man froh darüber wäre, dass es so gekommen ist.

Ich will damit nicht sagen, dass man alles ertragen und sich aufopfern muss. Akzeptieren bedeutet nur, sich bewusst machen, dass es ist, wie es ist.

Und? Ist es wirklich so, dass niemand etwas tun kann, ist es unausweichlich, dass es allen weiterhin schlecht ge-hen muss?

Bei einer Weiterbildung ist es ein-facher, mit Hilfe der anderen zu ver-stehen, dass es mehrere Sichtweisen gibt, dass es andere Zugänge zum Problem gibt.

Schön kann es sein, uns selbst bes-ser kennen zu lernen, um zu ent- decken, dass wir über große Ressour-cen verfügen. Sie haben es uns er-laubt, bis jetzt durchzuhalten.

Aber wir können nicht alles allei-ne schaffen, wir alle brauchen je-manden.

Wieso haben wir Angst, um Hilfe zu bitten? Wieso glauben wir, immer nur geben und nie nehmen zu dürfen? Wieso möchten wir den anderen die Genugtuung und die Freude verweh-ren, etwas für uns tun zu dürfen?

Ist es die Angst, schwach zu sein oder zu entdecken, dass wir nicht so unentbehrlich sind, wie wir dachten?

Eine Weiterbildungsgruppe beinhal-tet eine besondere Ressource, uns zu akzeptieren mit all unseren Stärken und unseren Grenzen.

Wir müssen es schaffen, unsere Ängste zu überwinden und uns selbst besser kennen zu lernen. Wir müssen den Teilnehmern und den Referenten unser Vertrauen entgegenbringen. Wir müssen Geduld haben und nicht sofort Resultate erwarten. Uns muss bewusst werden, dass wir uns auf dem Weg befinden, den wir gehen müssen.

Die anderen haben keine Wunder-mittel für unsere Probleme.

Das wir uns irgendwann klar werden. Dann erscheint alles um uns herum in einem anderen Licht, ohne dass wir uns zu übermenschlichen Anstren-gungen zwingen.

Und wer lernt, sein Verhalten zu än-dern, ändert nicht die Situation, wohl aber seine Art, die Dinge zu sehen......und so geht es ihm und seinem Um-feld besser!

Page 9: Selbsthilfe_01_2010

9

SELBSTHILFE

Welchen Sinn soll es haben, wenn wir Angehörigen von Menschen mit psy-chischer Erkrankung eine Fortbildung besuchen?

Fortbildungen haben für jeden Teil-nehmer einen anderen Zweck. Für die einen kann ein Gedankenaustausch im Vordergrund stehen, andere finden Bestätigung für ihren bisherigen Ein-satz, für einen Dritten sind Neuigkeiten wichtiger.

Neuigkeiten auf dem Gebiet der Psych-iatrie? Wie sollen wir die umsetzen?

Nicht medizinische Forschung, son-dern die Betreuung der Patienten steht im Vordergrund. Gerade die Rolle der Angehörigen erlangt zunehmend mehr Bedeutung.

Und wenn uns die Fachkräfte nicht „dranlassen“?

Dann gibt es einmal den Zusammen-schluss der Angehörigen zu Verbän-den, die ihre Interessen vertreten. Noch wirkungsvoller ist freilich das, was An-gehörige im Alltag umsetzen können. Da gibt es neue Erkenntnisse, neue Sichtweisen, neue Möglichkeiten…

…die aber von den Angehörigen mit psychischen Problemen nicht akzep-tiert werden…

…und wo man gerade deshalb einen anderen Weg suchen kann, der für die Betroffenen und die Angehörigen leich-ter zu verwirklichen ist. Es ist vergleich-

bar mit einer Partnerschaft. Wenn man jahrelang in einer Beziehung lebt, dann gibt es eingefahrene Verhaltens-weisen, an die man sich gewöhnt hat. Eine Änderung könnte oft recht hilfreich sein.

Wer soll sich dann ändern?

Nicht so sehr der Mensch. Das macht immer Schwierigkeiten. Vielmehr das Gespräch und der Umgang miteinan-der, das Zuhören, die Art der Kommuni-kation… Nicht alle gewohnten Muster sind angenehm oder hilfreich, sie kön-nen auch unbewusst sehr stören.

Also doch Änderung?

Nein, zunächst einmal hinterfragen und bewusst werden, dann vielleicht neue Wege suchen.

Und das soll mit einer Weiterbildung gelingen?

Das hängt natürlich von dem ab, der

sie leitet, aber auch von der Bereitschaft der Teilnehmer. Offenheit für andere und anderes ist die Grundvorausset-zung für eine Verbesserung. Es muss ja bei weitem nicht alles geändert wer-den.

Dann müssten aber beide Gruppen teilnehmen, die Angehörigen und die Betroffenen?

Es gibt viele Stimmen, die eine solche „gemischte“ Veranstaltung ablehnen. Es wäre sicher ein viel intensiveres Seminar, eine weit größere Herausfor-derung vor allem für die Veranstalter. Die Teilnehmer müssten nach rigo-rosen Kriterien „ausgewählt“ werden (Diagnose, Zustand, Betreuungskrite-rien…), und die möglichen Ziele wären ganz klar zu definieren.

Und was denken Sie über eine solche Weiterbildung?

Ein „Pilotprojekt“ wäre sicherlich inter-essant.

Rede mit uns... Weiterbildung

Martin Achmüller

Basta un pizzico di sale!Das Salz in der Suppe!

für den Verband Angehöriger und Freunde psychisch Krankerper l‘Associazione Parenti ed Amici di Malati Psichici5 ‰

Denken Sie an uns!Steuernummer: 00736190216DANKE für Ihre Unterschrift auf Ihrer Steuererklärung!

Page 10: Selbsthilfe_01_2010

10

SELBSTHILFE

W eit oben in den Bergen, am Rand einer Grünfläche lebte ein

Mensch, der von allen als sehr weise bezeichnet wurde.Er wohnte in einer Hütte, die nur das Notwendigste bot: ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl und einen Herd. Die meiste Zeit saß er vor seiner Hütte. Rund um die Uhr kamen Menschen zu ihm, suchten für die verschiedensten Probleme bei ihm Rat. Alle empfing

ZuhöreckeEin guter Rat

er mit einem Lächeln. Einzige Bedin-gung war, dass sie allein den Weg zu ihm hinaufstiegen.

Und alle waren langsam unterwegs. Irgendwann kamen sie bei dem Wei-sen an… Bei der Rückkehr erinnerten sie sich an den steinigen Weg, den Rhythmus ihrer Schritte, den Duft der Blumen, den Gesang der Vögel, an ein vorbeihuschendes Tier… Vom weisen Mann selbst erinnerten sich einige an die Augen, einige an den weißen Bart, andere an die Stim-me oder sonst ein Merkmal…, aber niemand an die Frage, die er gestellt hatte, und niemand an die Antwort. Und doch war niemand von der Be-gegnung enttäuscht.

Denn sie hatten alle entdeckt, dass unsere Wahrheit nur in uns selbst liegt. Niemand anderes weiß, was für uns gut ist, niemand hat ein Rezept für unser Glück. Warum suchen wir

dann Rat bei anderen? Vielleicht, weil wir manchmal durcheinander sind und deshalb meinen, die Lösungen unserer Probleme nicht allein zu fin-den? Darum suchen wir sie bei an-deren, bei denen wir sie nicht finden können, und nicht in uns selbst.Heißt das, dass uns niemand helfen kann? Sie können uns nur helfen, unsere Wahrheit zu finden, wenn sie wirklich zuhören, uns vorsichtig be-gleiten, auf uns eingehen… und uns damit helfen, auf unsere Gefühle zu achten und sie auszudrücken.Erst dann, wenn uns jemand wirklich zugehört hat, kann es sinnvoll sein, eine Meinung, eine andere Sichtwei-se, eine Erfahrung zu hören, freilich nur als Angebot, als Möglichkeit.

Carla Leverato

WereinProblemhat,hatauchdieFähigkeiten,

eszulösen.

W andern Sie gerne? Haben Sie Spaß mit anderen?

Eine Bewohnerin des „Grieserhofs“ in Bozen sucht eine Begleitperson,um ca. einmal pro Woche eine Berg-wanderung unternehmen (zusam-men mit dem CAI) zu können. So kann die soziale Integration geför-dert werden!

Wir unterstützen die Suche! Interessierte können sich entwe-der beim „Grieserhof“ - Frau Bacher, Tel. 0471 283 447 oder im Büro des Verbandes, Tel. 0471 260 303 melden.

Wanderfreudige Begleitperson gesucht

Page 11: Selbsthilfe_01_2010

11

SELBSTHILFE

B ei der diesjährigen Mitglieder-versammlung des Verbandes

im Festsaal der Gemeinde Bozen sprach man erneut von „recovery“; Dr. Alessandro Svettini verglich die-sen Genesungsweg in seinem kurzen Einführungsvortrag folgendermaßen: wie eine Stadt nach einem Erdbeben, wie ein Baum nach einem Blitzschlag kann ein Mensch nach einer schweren Krankheit wieder zu Kräften kommen, wieder aufblühen und weiterwach-sen.

Es entsteht etwas Neues, Eigen-ständiges, Eigenverantwortliches. Es ist sinnvoll, dass die Betroffenen und ihre Angehörigen zuversichtlich und tatkräftig auf diese Ziele hinarbeiten. Von dieser Hoffnung und diesem Ein-satz der Mitglieder ist unser Verband getragen.

auch die mangelhafte Zusammenar-beit der einzelnen Einrichtungen (8 Bezirksgemeinschaften und dazu ver-schiedene öffentliche Träger für eine Bevölkerung, die zahlenmäßig dem Bezirk einer Großstadt entspricht); es kommt öfters vor, dass Plätze in geschützten Wohnungen frei sind, aber aus bürokratischen, finanziellen Gründen nicht vergeben werden.

Vor großen Hindernissen steht nach wie vor die Kinder- und Jugend- psychiatrie. Aufgezeichnet wurde auch die Tatsache, dass psychisch Erkrankte von einer Kostenübernah-me von Privatversicherungen ausge-schlossen sind.

Mitgliederversammlung 2010 Lorena Gavillucci

Alessandra Masiero, Vorstandsmitglied, präsentiert das Programm für 2010

Selbst bei schweren Störungen, die schon in der Jugend begin-nen - erklärte Dr. Svettini - kann manches verloren gegan-gen sein, aber anderes besteht noch, und wie-der anderes hat zu Veränderungen in uns selbst geführt.

Und vielleicht haben wir alle neue Erfahrungen ge-macht. Das ist unsere Aufgabe: Hoffnung auf-bauen statt Re-signation, und den Menschen im Auge be-halten, nicht die Krank-heit.

Zwei Müt-ter berich-teten von den Erfah-rungen ih-rer Kinder mit dem Recovery-Prozess. Man verspürte bei beiden die Freude darüber, dass der jeweilige Sohn sein Leben wieder in die Hand nimmt, neue Ziele und neue Visionen vor Augen hat.

Gesprochen wurde auch von der Ar-beitseingliederung. Sie ist von großer Bedeutung für die Selbständigkeit, das Selbstwertgefühl und für die so-zialen Kontakte.

Auch wenn die Wirtschaftskrise ein großes Problem darstellt, müsste die öffentliche Hand viel energischer eingreifen: eine Lösung kann nicht nur den „Sozialgenossenschaften“ über-tragen werden. Erschwerend wirkt

Siglinde Jaitner - Präsidentin

Page 12: Selbsthilfe_01_2010

12

SELBSTHILFE

Enttäuschend war die geringe Prä-senz der Vertreter der öffentlichen Dienste. Wir hatten einige persönlich zu einer ausführlichen Diskussion ein-geladen; wenige waren der Einladung zwar gefolgt, jedoch haben alle die Versammlung bereits vor der Diskus-sion verlassen. Ist dies das Ergebnis unseres Einsatzes?

Zu erwähnen bleibt noch „das Üb-liche“: der Tätigkeitsbericht und der Jahresabschluss des Jahres 2009 wur-den ebenso einstimmig genehmigt wie der Haushaltsvoranschlag und das Tätigkeitsprogramm für das lau-fende Jahr 2010: der „Stützpunkt“ als Beratungsstelle, die Selbsthilfegrup-pen, die Vertretungen in verschie-denen Gremien im In- und Ausland, die so geschätzten Ferienaktionen sowie die Winter- und Sommer- olympiaden für die Mitglieder.

E in Lichtblick war die Ankün-digung von Dr. Basso, Lei-

ter des „Grieserhofs“, dass noch in diesem Jahr die Errichtung des Rehabilitationszentrums in der Fa-genstraße in Bozen (an Stelle des Grieserhofs) gestartet werden soll - auch Dank unseres Drängens bei den Politikern.

Freilich wird sich die Fertigstellung wohl bis ins Jahr 2014 hinziehen. Und dann wird die Frage des Personals auftauchen... denn im Bereich des So-zialen und der Gesundheit lässt sich doch am leichtesten einsparen, oder?

Dr. Alessandro Svettini, Vorstandsmitglied

Errichtung des Reha-Zentrums in der Fagenstraße

Page 13: Selbsthilfe_01_2010

1�

SELBSTHILFE

Ist es möglich, aus einer schweren psychischen Erkrankung heraus-zukommen und wieder aktiv an der Gesellschaft teilzunehmen? Ist eine „soziale Gesundung“ möglich? Die Geschichte von David gibt uns ein konkretes Beispiel.

S ein Weg beginnt am psychiatri-schen Rehabilitationszentrum

„Gelmini“ in Salurn. Sobald sich sein Zustand deutlich besserte, kam er in die geschützte Werkstatt nach Neu-markt. Heute ist er Angestellter der Sozialgenossenschaft „Aquarius“ und arbeitet als Kellner in einer Bar.

Doch damit noch nicht genug: er erzählte sogar von seiner Erfahrung, von Krankheit und Heilung vor den Teilnehmern des 10. Weltkongresses „Psychosoziale Rehabilitation“ in Bangalore in Indien - in englischer Sprache.

Seine Stellungnahme war sehr wichtig und ermunternd. Er zeigte auf, dass sein Genesungsweg aus einer schweren psychischen Krank-heit auch für viele andere möglich sein kann. Auch andere Menschen haben diesen Genesungsweg, diese „recovery“ durchgemacht und sind jetzt in zufrieden stellender Weise mit einer sinnvollen Arbeit in die Gesell-schaft eingebunden.

SIE KONNTEN IHRE „IDENTITÄT“ ALS PSyCHISCH KRANKE HINTER SICH LASSEN

Die Erfahrungen all dieser Menschen stellen eine äußerst wichtige Ressour-ce dar für die Erforschung psychischer Erkrankungen und ihrer Verläufe.

Die italienische Studie über „reco-very“ will über persönliche Berichte herausfinden, welche Faktoren den Genesungsweg günstig beeinflusst haben oder welche ihn behindert haben.

Das bedeutende Forschungsprojekt, das kurz vor dem Abschluss steht, wurde beim Kongress in Bangalore vom nationalen Koordinator der Stu-die, Dr. Alessandro Svettini, vorge-stellt. Er ist Leiter des psychiatrischen Reha-Zentrums „Gelmini“ in Salurn.

DIE WICHTIGE ARBEIT DER SOZIAL-GENOSSENSCHAFT „AqUARIUS“

Beim selben Kongress stellte auch Frau Dr. Fernanda Mattedi die Sozialgenossenschaft „Aquarius“ vor, die Menschen mit psychischer Erkran-kung in die Arbeitswelt eingliedert (hauptsächlich Pflege von Grünanla-gen, Arbeit bei Reinigungsdiensten, in Bars und Mensen).

Sozialgenossenschaften beschäfti-gen mindestens 30% Mitarbeiter mit Einschränkungen und haben als Ziel, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und in die Gesellschaft zu in-tegrieren, indem sie Arbeitsmöglich-keiten auf dem freien Markt anbieten.

Sie haben im Vergleich zu privaten Firmen steuerliche und bürokratische Begünstigungen.

Ein psychiatrischer Patient, der eine „geschützte“ Arbeit ausüben kann, wird zuerst als Praktikant aufgenom-men. Dann kommt er in die normale Arbeitswelt, allerdings immer noch in einem „beschützten“ Status.

Später kann er als abhängiger Arbei-ter angestellt werden und schließlich, wenn er die Ziele der Wiedereinglie-derung der Genossenschaft erreicht hat, sich am freien Markt eine Arbeit suchen.

ARBEITSEINGLIEDERUNG IST VOLLER HINDERNISSE

Natürlich ist die Wiederein- gliederung in die Arbeit für psych-iatrische Patienten nach wie vor lang und voller Hindernisse. Es hat sich aber konkret gezeigt, dass es möglich ist.

Die soziale Genesung (Recovery) von einer schweren psychischen ErkrankungEine persönliche Geschichte beim 10. Weltkongress über psychosoziale Rehabilitation in Bangalore (Indien)Alessandro Svettini

Eigenschaften eines effizienten Dienstes, der tatsächlich auf Genesung orientiert ist(Samsha, 2005)

1. selbstbestimmend2. individuellundaufdenMenschenabgestimmt�. Empowerment�. ganzheitlich�. Schwankungenunterworfen�. andenStärkenorientiert�. Unterstützung durch Menschen mit gleichen Erfahrungen�. Respekt9. Verantwortung10. Hoffnung

Page 14: Selbsthilfe_01_2010

1�

SELBSTHILFE

I m Jahr 2003 beging man das In-ternationale Jahr der Behinderung.

Man richtete das Augenmerk auf die Vielfältigkeit, den Reichtum und si-cher auch die Problematik, mit einer Beeinträchtigung oder Behinderung zu leben. Daraus entstand die UNO-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung. Diese Konvention wurde vom italienischen Parlament nach langer Verzögerung am 3. März 2009 übernommen.

Nationale Konvention der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderung Lorena Gavillucci

Aus dem Sanitätsbetrieb von Cata-nia kommt jetzt die Meldung einer konkreten Umsetzung der Richtlinien der ICF - International classification of health and functional disability: 32 Jugendliche mit schweren Psychosen und Persönlichkeitsstörungen wur-den in die Arbeit eingegliedert.

Die ICF als neue Klassifizierung des Wohlbefindens erlaubt eine vergleich-bare, übereinstimmende Bewertung auf internationaler Ebene, auch für die

Umsetzung von Leben und Arbeit im Alltag. Sie ermöglicht gleiche Chan-cen und bessere Zugänglichkeit, weil mehr Wert auf die persönlichen Fähig-keiten gelegt wird als früher, und so die Arbeit eine andere Geltung in der Gesellschaft erhält. Alle Einrichtungen sollten die Konvention den nötigen Stellenwert geben und sie korrekt anwenden, und besonders die Ange-hörigenverbände sollten sich daran orientieren.

D ie Tätigkeit des unseres Verban-des Angehöriger und Freunde

psychisch Kranker liegt in der politi-schen Vertretung, Beratung und Un-terstützung der psychisch Erkrankten und deren Angehöriger.

Dazu gehört auch die Ver-netzung mit Fachleuten, po-litischen Gremien,

Institutionen und Organisationen, die im psychischen und sozialen Bereich tätig sind. Sensibilisierung und Auf-klärung zum Abbau der Vorurteile, Intervention zur Verbesserung der psychosozialen Dienstleistungen ge-hören ebenfalls zu seinem Aufgaben-gebiet. Weiterbildung für Angehörige

wird bei Selbsthilfegruppen und Schulungen sowie mittels

Publikationen auf-gegriffen.

Interessieren Sie sich für Fra-

g e n

rund um’s „Angehörig-sein“? Oder kennen Sie vielleicht jemanden, der sich dafür einsetzen möchte - egal ob jung oder alt?

Wir suchen (für die Neuwahlen der Verbandsgremien im Jahr 2011) en-gagierte Frauen und Männer für die ehrenamtliche Tätigkeit in unserem Vorstand. Besonders die Aufgaben-gebiete: politische Vertretung, Öf-fentlichkeitsarbeit, aber auch andere Ressourcen sind gefragt und willkom-men.

Diese ehrenamtliche Tätigkeit bie-tet viel Freiraum für eigene Ideen. Der Arbeits- und Zeitaufwand richtet sich nach den persönlichen Interes-sen und vorhandenen Kapazitäten. Monatlich findet eine gemeinsame Sitzung statt.

MeldenSiesich!

Für weitere Auskünfte stehen Ihnen gerne die Mitarbeiterinnen

der Geschäftsstelle, Tel. 0471 260303, [email protected] zur Verfügung.

Engagiert euch im Vorstand des Verbandes!Neuwahlen der Verbandsgremien im Jahr 2011

Page 15: Selbsthilfe_01_2010

1�

SELBSTHILFE

Die Reaktion auf das The-ma „Die vergessenen Kinder– Kinder von psychisch erkranktenEltern“ in unserer letzten Ausgabewar sehr erfreulich. Mehrere Leserhaben uns daraufhin ihre Erfah-rungen als Söhne und Töchter vonElternmiteinerpsychischenErkran-kung zugeschickt, die wir hier ger-ne zusammengefasst wiedergeben.AlleBerichtesprechenvonHoffnungundvonstarkemOptimismus.

U ns schrieben Söhne und Töchter, die von klein auf in sehr kom-

plizierten und schwierigen Familien- verhältnissen lebten, wo das Leid den Tagesablauf bestimmte und jede mögliche Zukunftsvision überschat-tete. Die Zeiten waren andere: die Familien wa-ren den traurigen und belastenden Ereignissen ausgeliefert; es wurde we-nig miteinander gespro-chen, um Auseinander-setzungen zu vermeiden, besonders mit Außenstehenden; der Alltag der Kinder war von der Angst vor neuerli-chen schlimmen Ereignissen geprägt. Aber bis heute ist das Stigma gegen-über Menschen mit psychischen Er-krankungen noch stark präsent.

Ein ausschlaggebender Mo-ment für alle ist jener, wo man beginnt, die Krankheit zu erkennen und anzuer-kennen, wo man ihr einen Namen gibt. Wenn man die Krankheit besser kennen lernt, kann man die schwerwiegenden Befürchtungen abschwächen oder ausschalten:

“Die Mutter lebte in zwei verschie-denen Welten, bis zur Diagnose war es schwierig.”

„Es war ganz normal, dass der Vater so ist, wir kannten ihn gar nicht anders.“„Wir wussten, dass der Vater krank war und krank bleiben würde.“

„Die Krankheit wurde bei meinem Vater erst im Seniorenalter erkannt. Die Dia-gnose löste Mitleid und Verständnis für ihn in uns aus. Danach ha-ben wir alles mit anderen Augen gesehen.“

Vor allem gelingt es, Schuldgefühle und Scham anderen gegenü-ber abzubauen:

„Uns wurde bewusst, dass unsere Familie keine Schuld traf, genau-so wie auch mein Angehöriger nichts für sein gewalttätiges Verhalten konnte.“

„Viel Schmerz wurde vermieden, nach-dem alle verstanden hatten, dass man

darüber sprechen muss.“

„Wenn dir die anderen zu-hören und dich unterstüt-zen, verflüchtigt sich die Scham.“

„Zuerst hatte ich Angst, dass man die Schuld in meinem Gesicht lesen könnte, ich hatte Angst, niemals davon loszu-kommen.“

Auch wenn jeder Mensch – vom Cha-rakter her, seiner

Mentalität, sei-ner kulturellen Herkunft, seinen Erfahrungen – anders mit der Situation umgeht, geht

aus allen Erlebnisberichten hervor, wie wichtig das Vertrauen in die Rol-le der Fachkräfte ist, und wie wertvoll

und hilfreich therapeu-tische Gespräche sind:

„Es hätte mir geholfen, dar-über sprechen zu können. Auch heute noch verspüre ich dieses Bedürfnis.“

„Ich hätte professio-nelle Hilfe und Schutz

gebraucht.“

Hilfe kann entweder von einem Fami-lienmitglied kommen oder von einer Fachperson, die in akuten Krisensi-tuationen intervenieren müssen. In bestimmten Fällen kann dies auch ein Anwalt sein.

Die Wichtigkeit des Gesprächs mit den eigenen Kindern findet sich in allen Berichten wieder:

„Redet mit euren Kindern darüber, wie ihr euch fühlt! Geht zum Therapeuten, bleibt nicht alleine!“

“Wer Kinder hat, muss sich helfen las-sen, er muss verstehen, dass er seinen Kindern nur so großes Leid ersparen kann.“

Von unseren Lesern!

Lasst euch helfen, es gibt immer einen

Ausweg.”

Ich weiß, es gibt schwarze Tage, aber

heute weiß ich warum, und ich weiß auch, dass

schlussendlich die Sonne wieder scheinen wird.“

Page 16: Selbsthilfe_01_2010

1�

SELBSTHILFE

„Man muss einfach über alles offen sprechen.“

“Mit den Kindern muss man sprechen, ohne alles zu bagatellisieren, man muss versuchen, auch an sie zu denken. Auch sie brauchen Hilfe.“

„Nach der Diagnose habe ich meinen Kin-dern mehr Aufmerksamkeit geschenkt, ich entdeckte und fand Wege, meine Be-schwerden zu verringern und schlimmen Momenten entgegenzutreten.“

Schlussendlich geht es immer darum, sich besser zu fühlen und dafür zu sorgen, dass sich die anderen besser fühlen, sich und andere zu informie-

ren und die Beziehung zur Ursprungs-familie wiederherzustellen oder zu-mindest zu verbessern.

Man sucht nach Werten, nach Erfahrungswerten, auch in tragischen Situ-ationen. Man möchte soziale Beziehungen auf-bauen, pflegen und die Wunden heilen lassen.

“Wir sind weder schuld noch verant-wortlich.”

Aber „es ist nicht einfach, an sich selbst zu denken, wenn man sich um jemand anderen kümmert“.

Je mehr ich über die Krankheit spreche, je

mehr ich darüber lerne und es vertiefe, umso besser fühle ich mich.“

So riskiert man, niemanden zu ha-ben, der sich um einen selbst küm-

mert. Aber besonders, um Kindern und Jugend-lichen helfen zu können, braucht es „Vertrauen in die eigenen Stärken, man muss die Angst überwin-den, selbst zu erkranken“. Das beste ist, sich hel-fen zu lassen, sich nicht zu verstecken, sich nicht

entmutigen zu lassen.

Auch die schwierige Erfahrung des psychischen Leids ist, wie fast alle Dinge des Lebens, kein Einzelfall und wird von vielen Personen geteilt.

A m 22. April fand eine Tagung zur „Anvertrauung von psychisch

Kranken an Gastfamilien“ statt. Die Kosten dafür wären sehr viel

niedriger als die Unterbringung in Strukturen. Seit fast drei-ßig Jahren „bastelt“ man an dieser Idee im Landtag herum; es gibt 7 Beschlüs-se der Landesregierung zu diesem Thema, und es gibt insgesamt 7 Men-schen mit psychischen Problemen, die in dieser Art in Gastfamilien unter-gebracht wurden. Sogar die Behördenvertreter mussten eingestehen, dass „sehr wenig ge-schehen war“.

Zwei Referenten berichteten aus gut vergleichbaren Ein-zugsgebieten, dem Bodenseeraum und dem Trevisanischen; ein Referent

zeigte die Modellprojekte aus dem italienischen Staatsgebiet auf.

Wichtigstes Ergebnis daraus war, dass man Gastfamilien am ehesten über andere Gastfamilien findet, nicht

über gesteuerte Werbekampagnen. Betont wurde die Bedeutung der Rah-menbedingungen und die Orientierung am „Sozialraum“ für eine richtige Auswahl der Gastfamilien.

Noch klarer formu-liert: Gastfamilienwünschen und brau-chen Begleitung,Entlastung und Aner-kennung. Meine kon-krete Gegenfrage dazu: Wie sieht es damit beiden „Herkunftsfami-lien“ aus? Ich weiß sehr

wohl um die entsprechenden Be-

mühungen unseres Verbandes, weiß aber von der öffentlichen Hand nichts von „Begleitung durch ein Fachteam“, von „Entlastung“ (auch finanziell), von ehrlicher „Anerkennung des famili-ären Engagements für die Herkunfts-familien“.

Eine letzte Kritik: der Großteil der psychisch Erkrankten braucht keine Anvertrauung an Gastfamilien, auch nicht eine „Versorgung“ in Strukturen, sondern eine gute Unterstützung,Erleichterung und Begleitung fürdenAlltag – damit würde man nicht 7 Betroffenen helfen, sondern wahr-scheinlich einer Zahl um die 20.000 – jedenfalls lauten so die Zahlen, die zum Welttag der psychischen Gesund-heit bekannt gegeben wurden.

Die Idee wäre gut...Martin Achmüller

„Sekundärprävention“oder

verbesserte „Primärbetreuung“?