Seminar2 HP Leistungsbeurteilung ET...Dazu ein Beispiel: In der Verordnung zur Leistungsbeurteilung...
Transcript of Seminar2 HP Leistungsbeurteilung ET...Dazu ein Beispiel: In der Verordnung zur Leistungsbeurteilung...
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 1
Elisabeth Thoma, BRG Körösistraße Graz
Leistungsbeurteilung
Zum Begriff LeistungIn der Gesellschaft ist Leistung nicht einfach physikalisch als Arbeit in der
Zeiteinheit definiert, sondern das Ergebnis von Zuschreibungen aufgrund von
individuellen Fähigkeiten und Anstrengungen. Damit diese Zuschreibungen
nicht ein Willkürakt von Mächtigen bleiben, müssen sie reguliert werden. Man
bezeichnet daher als Leistung eines Menschen ein Handeln oder ein
Handlungsergebnis, die sich auf einen Gütemaßstab beziehen.
Vor dem Aufschwung des Bürgertums war die Herkunft das Hauptkriterium für
die Zuweisung von Positionen und Gütern, heute erscheint den meisten
Mitgliedern unserer Gesellschaft die Verteilung der Güter nach dem
Leistungsprinzip als selbstverständlich und gerecht. Was jemand besitzt und inder Gesellschaft gilt, soll ein Ergebnis seiner persönlichen Leistung, also seiner
individuellen Fähigkeit und Anstrengung sein. Die Verteilung der Güter nach
dem Leistungsprinzip wäre aber unmenschlich jenen gegenüber, die aus
verschiedenen Gründen keine Leistung erbringen können (z.B. Kranke, Alte,
Schwache, Kleinkinder...). Das Leistungsprinzip wird daher zwangsläufig durch
das Sozialprinzip ergänzt, wonach die Güter gemäß den Bedürfnissen verteilt
werden. Nach Weiss (1989) ist der Leistungsbeitrag des erwachsenen,
leistungsfähigen Menschen zum gesellschaftlichen Leben also einerseits eine
sachliche Notwendigkeit, weil die hochspezialisierte Industriegesellschaft auf
den Leistungsbeitrag des Einzelnen angewiesen ist. Er ist andererseits auch einesittliche Forderung, weil es in hohem Maße unsozial wäre, wenn ein
leistungsfähiges Individuum von der Arbeit anderer leben würde, anstatt selbst
einen Beitrag zu leisten, damit das Sozialprinzip für tatsächlich Bedürftige
verwirklicht werden kann. Güter an Bedürftige kann man erst verteilen, wenn
sie zuvor geschaffen wurden.
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 2
Entwickelte Gesellschaften sind um ihrer Selbsterhaltung willen darauf
angewiesen, dass die Heranwachsenden sich jene Kenntnisse, Fähigkeiten und
Fertigkeiten aneignen, die zur erfolgreichen Bewältigung gesellschaftlicher
Anforderungen benötigt werden. Das Niveau der gesellschaftlichen Entwicklung
ist unmittelbar abhängig vom verfügbaren Potenzial an Qualifikationen.
Demnach haben nach Fend (1980) Schulen als gesellschaftliche Einrichtungen
den Zweck, Leistungsvermögen herzustellen und die Reproduktion und
Erneuerung der Gesellschaft zu sichern. In diesem Sinne wird auch die Aufgabe
der österreichischen Schule im Schulorganisationsgesetz formuliert (SchOG §2),
wonach die Schule an der Entwicklung der Anlagen der Jugend mitzuwirken hatund die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen
Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu
erziehen hat. Die jungen Menschen sollen zu gesunden, arbeitstüchtigen,
pflichttreuen und verantwortungsbewussten Gliedern der Gesellschaft
herangebildet werden.
Die Leistungsbeurteilung als ProzessDer Sinn der Leistungsbeurteilung besteht darin ein einfaches
Orientierungsmaß, z.B. eine Kennzahl, für das Ergebnis von Lernprozessen zu
erhalten. Die Leistungsbeurteilung in der Schule kann man sich alsmehrschrittigen Prozess vorstellen, bei dem die Ebenen: Lernen, Leistung
feststellen und Leistung beurteilen durchlaufen werden.
Der Grundgedanke dieser Gliederung soll am folgenden Beispiel aus dem Fach
Mathematik und anhand einer grafischen Darstellung verdeutlicht werden:
Schritte: Beispiel:
• Festlegung der
Unterrichtsziele, deren
Erreichung beurteilt werden
soll
Quadratische Gleichungen lösen
können
• Aufgabenformulierung
einschließlich eines Maßstabes,
Löse 0743 2 =−+ xx mit Hilfe
einer Lösungsformel (8 Punkte).
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 3
der die Abweichung vom Ziel
messen soll.
2 Punkte: Formel anschreiben
3 Punkte: Koeffizienten einsetzen
3 Punkte: Berechnen der Lösungen
• Aufgabenbearbeitung durch
den Schüler
137
684164
21
2,1
−==
+±−=
xx
x
• Leistungsfeststellung 5 Punkte: Vorzeichenfehler beimBerechnen der Lösungen.
• Leistung beurteilen Note: „Befriedigend“
Lernen
Inhalte Methoden Personale Kompetenz Soziale Kompet.
Fach Thema Fertigkeiten Fähigkeiten
T R e f l e k t i e r e n R A
NS
P Leistung A beurteilen
Leistung feststellen R E individuell Gruppe N
L.Profil Bemühen (Einsatz) Z Fortschritt
Auf der Ebene des Lernens geht es um die Festlegung der Unterrichtsziele,deren Erreichung beurteilt werden soll. Auf dieser Ebene gilt es zu entscheiden,
was gelernt werden soll, welche Kompetenzen erworben, welche Ziele erreicht
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 4
werden sollen. Je nach Aufgabe der Schule, des Schultyps und des Faches sind
Richtungen anzugeben, in der ein Lernfortschritt angestrebt wird, dabei werden
die Richtungen auf unterschiedliche Lernbereiche abzielen wie z.B. Erwerb
fachlicher, methodischer, personaler und sozialer Kompetenzen. Im Unterricht
in Mathematik geht es um das Erreichen fachspezifischer Ziele wie z.B.
mathematisches Wissen und Können, Anwenden von Mathematik, ....;
methodischer Ziele wie z.B. Argumentieren-Darstellen-Interpretieren als
allgemeine mathematische Fähigkeiten, Reflektieren über mathematische
Arbeitsweisen usw. aber auch um Ziele, die im Bereich der
Persönlichkeitsentwicklung stehen wie z.B. Selbstständigkeit, Entwicklungkritischen Denkens, Angstbewältigung, Selbsteinschätzung, ... sowie um Ziele
im Bereich der Sozialentwicklung wie z.B. Kommunikationsfähigkeit,
Konfliktbewältigung, Umgang mit Normen, um einige zu nennen.
Auf der Ebene der Leistungsfeststellung geht es um das Formulieren von
Aufgabenstellungen und das Festlegen eines geeigneten Maßstabes, anhand
dessen das Abweichen der erbrachten Leistung vom Ziel festgestellt werden
kann. Für die Lehrperson mag das im Bereich der fachlichen und methodischen
Kompetenzen noch einfach sein, ist aber meines Erachtens im Bereich der
personalen und sozialen Kompetenzen schon erheblich schwieriger.
Es gilt also Leistungen zu erheben und anhand eines Maßstabes quantitativ zumessen. Die Leistungen resultieren aus verschiedenen Phasen des Unterrichts,
umfassen ein kürzeres oder längeres Zeitintervall, zielen auf Fähigkeiten oder
auf ein Bemühen ab, ergeben sich aus unterschiedlichen Sozialformen, werden
in schriftlicher, mündlicher, praktischer oder graphischer Form erbracht usw.
Das Messen der erbrachten Leistung kann nach verschiedenen Maßstäben
erfolgen z.B. Punkte, verbale Beschreibungen (wie z.B. erreicht/nicht erreicht),
Zeichen (wie z.B. +, ∼ -), Prozentangaben oder andere Skalen und sich an
unterschiedlichen Normen orientieren:a) am Leistungsstand (Ist): „Der Schüler hat 32 von 48 Punkten erreicht“ oder
b) am innerhalb eines Zeitintervalls gemessenen Leistungszuwachs (Ist →→ Ist):
„Die Schülerin hat weitere Lernziele erreicht“ oder
c) an einem Bemühen / Einsatz: „Wie A sich anstrengt, da kann ich nur..“ oder
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 5
d) an einer Mischung dieser Normen: „B hat noch immer so viele Fehler (a),
aber gegen die erste Schularbeit (b)“, „viel besser ist die Leistung nicht (b),
aber sie macht jede Hausübung, bringt Materialien mit (c).“
Die Feststellung von Leistungen kann vielfältigen Zwecken dienen: zur
Rückmeldung von Lernerfolgen, zur Einschätzung von Fähigkeiten, zur
Kontrolle von Lernprozessen oder auch als Grundlage für die
Leistungsbeurteilung verwendet werden.
Schließlich werden auf der Ebene der Leistungsbeurteilung bestimmtefestgestellte Leistungen auf einen Gütemaßstab bezogen, d.h. einem qualitativen
Maßstab zugeordnet. Nach §14 der Verordnung für die Leistungsbeurteilung
gibt es dafür fünf Beurteilungsstufen von „Sehr gut“ bis „Nicht genügend“.
Dabei sind z.B. Leistungen mit „Befriedigend“ zu beurteilen mit denen der
Schüler die nach Maßgabe des Lehrplanes gestellten Anforderungen in der
Erfassung und in der Anwendung des Lehrstoffes sowie in der Durchführung
der Aufgaben in den wesentlichen Bereichen zur Gänze erfüllt; dabei werden
Mängel in der Durchführung durch merkliche Ansätze zur Eigenständigkeit
ausgeglichen.“
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 6
Beurteilungsstufen (§14)
a)Erfassung und Anwendungdes Lehrstoffesb)Durchführung derAufgaben
c)Eigen-ständigkeit
d)selbstständigeAnwendungdes Wissensund Könnens
Nichtgenügend
a), b) werden nicht einmal inden wesentlichen Bereichenüberwiegend erfüllt
GenügendAnforderungen werden in denwesentlichen Bereichenüberwiegend erfüllt.
BefriedigendAnforderungen werden in denwesentlichen Bereichen zurGänze erfüllt
Mängel bei b)durch merklicheAnsätze bei c)ausgeglichen
Gut a) und b) in über dasWesentliche hinausgehendemAusmaß erfüllt
merklicheAnsätze
mit Anleitung
Sehrgut
Anforderungen werden inweit über das Wesentlichehinausgehendem Ausmaßerfüllt
muss deutlichvorliegen
mussvorliegen
Als wichtige Voraussetzungen für einen zufriedenstellenden
Beurteilungsprozess erscheinen mir
• die Klarheit über die inhaltlichen Anforderungen und die Transparenz derBeurteilungskriterien für alle Betroffenen. Dies wird z.B: auch im
allgemeinen Teil des Lehrplans der AHS gefordert: „Klar definierte und
bekannt gemachte Bewertungskriterien für alle sollen Anleitung zur
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 7
Selbsteinschätzung sein und Motivation, Ausdauer und Selbstvertrauen der
Schüler und Schülerinnen positiv beeinflussen“ (Lehrplan AHS, 2.Teil Punkt
9). „Die Lehrerinnen und Lehrer haben ihr Gesamtkonzept der Rückmeldung
und Leistungsfeststellung den Schülerinnen und Schülern sowie den
Erziehungsberechtigten in geeigneter Form bekannt zu geben“ (Lehrplan
AHS, 3.Teil Punkt 4)“. Sowohl die Lehrperson als auch die Schüler/innen
und nicht zuletzt die Eltern sollen wissen, auf welche Bereiche und Ziele das
Lernen gerichtet und wer wofür verantwortlich ist. So wird z.B. die
Lehrperson die Verantwortung für das Aushandeln der Ziele übernehmen,
während die Schüler/innen die Verantwortung dafür tragen, sich in denLernprozess einzulassen und die Eltern dafür sorgen, dass ihr Kind in einem
gedeihlichen Umfeld wachsen kann.
• Ebenso scheint mir eine Trennung zwischen dem Lernprozess und derFeststellung und Beurteilung von Lernergebnissen wichtig und sinnvoll. Es
sollten Freiräume geschaffen werden, in denen die Lehrperson sich
ausschließlich auf die Förderung des Lernprozesses konzentriert und sich
nicht gleichzeitig mit der Bewertung von Lernergebnissen beschäftigt, wie es
etwa bei der Mitarbeit im Unterricht gefordert wird.
In Österreich werden die Unterrichtsziele sowie die Leistungsfeststellung und
Leistungsbeurteilung durch Gesetze und Verordnungen (z.B. zu den Lehrplänen
für AHS im Bundesgesetzblatt BGBl. II Nr.133/2000, zur Leistungsbeurteilung
BGBl. 371/1974, 472/1986, 255/1989 und 133/1998) in formaler Hinsichtrelativ detailliert geregelt. Dies hat zur Folge, dass für die Leistungsbeurteilung
einerseits eine Reihe von allgemeinen Rahmenbedingungen einzuhalten sind,
andererseits aber innerhalb eines Faches sehr viel Freiraum für individuelle
Gestaltungsmöglichkeiten von Leistungsfeststellungen und deren Beurteilungen
gegeben sind. Dazu ein Beispiel: In der Verordnung zur Leistungsbeurteilung
steht bei der Leistungsfeststellung Schularbeit, dass „mindestens zwei Aufgaben
mit voneinander unabhängigen Lösungen zu stellen“ sind. Demnach muss die
Lehrperson bei einer Schularbeit zwei Aufgaben mit voneinander unabhängigen
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 8
Lösungen formulieren, die Schularbeit kann aber auch z.B. aus 40
Einzelaufgaben bestehen.
Ein gewisser Freiraum ergibt sich auch dadurch, dass innerhalb der Gesetze und
Verordnungen nach Posch (Vortrag im Rahmen von PFL 1988/90) eine
Hierarchie herrscht, innerhalb derer sich die Verbindlichkeiten ändern. So ist
z.B. ein Gesetz verbindlicher als eine Verordnung oder das allgemeine
Bildungsziel einer Schulart verbindlicher als die Bildungs- und Lehraufgabe
eines Unterrichtsgegenstandes.
Hierarchie der Schulgesetze und -verordnungen
Statusder Regelung
GesetzGesetz undVerordnung
Verordnung
Gegenstandder Regelung
gesamtesBildungswesen
die Schulartder Unterrichts-
gegenstand
ZieldimensionBildungsziel
der österr. Schule(SchOG §2)
Allg. Bildungszielder Schule
Bildungs- undLehraufgabe
des Gegenstandes
inhaltlicheDimension
Schularten(SchOG)
Unterrichtsgegenständeder Schule Lehrstoff
methodischeDimension
Gestaltungschulischer Arbeit(z.B. SchUG �17)
Allg. DidaktischeGrundsätzeder Schule
DidaktischeGrundsätze
des Gegenstandes
In meiner langjährigen Berufspraxis als Lehrerin und Ausbildnerin mache ich
immer wieder die Erfahrung, dass von den Freiräumen, die der Gesetzgeber
eröffnet, nur zum Teil Gebrauch gemacht wird. Oft werden Erfahrungen aus der
eigenen Schulzeit in die Berufspraxis tradiert oder andere manifestierte
Praktiken übernommen. Sehr häufig erschöpfen sich z.B. die
Aufgabenstellungen bei Schularbeiten in Mathematik in einem Bearbeiten von
Rechenaufgaben, viel seltener findet man Aufgaben, die z.B. das
Argumentieren, Interpretieren oder Begründen von Sachverhalten erfordern, wie
es der Lehrplan vorsieht. Ähnliches gilt für bestimmte Sozialformen im
Unterricht: Da Lehrer/innen selbst oft wenig oder schlechte Erfahrungen im
Verbindlichkeit sinkt
Verbindlichkeit sinkt
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 9
Umgang mit z.B. Gruppenarbeit im Mathematikunterricht machten, wird diese
Sozialform selten oder gar nicht eingesetzt.
Sehr nachdenklich im Zusammenhang mit der Leistungsbeurteilung machen
mich der Umgang und Gebrauch von Ziffernnoten. Für die Bewertung der
Leistungen der Schüler/-innen sieht der Gesetzgeber fünf Beurteilungsstufen
(Noten) vor: Sehr gut, Gut, Befriedigend, Genügend und Nicht genügend. Diese
Stufen stellen eine Rangskala dar, bei der unterschiedliche Anforderungen
gestellt werden. Erbringt z.B. der Schüler/die Schülerin Leistungen, mit denen
die gestellten Anforderungen in den wesentlichen Bereichen überwiegend erfülltwerden, so sind die Leistungen mit „Genügend“ zu bewerten. Diese verbalen
Beschreibungen werfen einerseits an sich schon eine Reihe von Fragen auf: Was
ist der wesentliche Bereich bei der Erfassung und Anwendung des Lehrstoffes?
Was ist der wesentliche Bereich bei der Durchführung von Aufgaben? Wann
gelten die gestellten Anforderungen in den wesentlichen Bereichen als
überwiegend erfüllt? Woran zeigt sich ein merklicher Ansatz zur
Eigenständigkeit? Andererseits ist es erlaubt, diesen Beurteilungsstufen
Ziffernnoten zuzuordnen. Ist es aber auch zulässig, diese Ziffern als Zahlen zu
deuten, diese Zahlen als äquidistant zu betrachten und mit diesen Zahlen z.B.
arithmetische oder gewichtete Mittelwerte zu berechnen oder gar die Häufigkeit
der Noten einer Normalverteilung anzupassen?
Zur Zeit scheint es mir, dass meine kritische Auseinandersetzung mit der
Leistungsbeurteilung mehr Fragen aufwirft, als dass sie zufriedenstellende
Antworten liefert. Aber das ist wohl das Schicksal einer Aktionsforscherin.
In einer von Petri und Scheiflinger (2000) durchgeführten Untersuchung am
Zentrum für Schulentwicklung, Abteilung Evaluation und Schulforschung,
wurde festgestellt, dass die Mehrzahl der Schüler/-innen, Lehrer/-innen und
Eltern mit dem gegenwärtigen System der Leistungsbeurteilung durch Benotung
der Ergebnisse von schriftlichen und mündlichen Prüfungen sowie mit derBerücksichtigung der „Mitarbeit im Unterricht“ im Wesentlichen zufrieden ist.
Die Note gibt eine gute Orientierung und ist eine verlässliche Kennzahl im
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 10
Gegensatz zur verbalen Beurteilung, die die Eltern eher verunsichern. Man hält
sie für unentbehrlich und nimmt gewisse damit verbundene Mängel und
psychische Belastungen in Kauf.
Deutliche Kritik am Notensystem allerdings üben in der immer wieder
aufkommenden Diskussion Kolleg/-innen und auch namhafte Pädagog/-innen:
Sie weisen auf bedenkliche Schwächen hin und zeigen Möglichkeiten der
Ergänzung zu den Noten auf. Kritik wird z.B. am System der Ziffernnoten
geübt, weil der Lernende aus der Note z.B. nichts über Details seiner
Lernerfolge und Lernlücken entnehmen kann (Mangel an diagnostischer
Funktion). Am gegenwärtigen System der Leistungsbeurteilung wird z.B. auchbemängelt, dass es sich allein auf das erworbene Wissen bezieht. Mindestens
ebenso wichtige Fähigkeiten – sogenannte Schlüsselqualifikationen – die für
eine erfolgreiche Lebensführung im privaten, beruflichen und gesellschaftlichen
Bereich von großer Bedeutung sind – bleiben unberücksichtigt. Das mag zwar
faktisch vielleicht noch überwiegend der Fall sein, wird aber z.B. bereits
rechtlich im allgemeinen Teil des AHS-Lehrplans berücksichtigt: „Im Rahmen
der Bestimmungen der Leistungsbeurteilung sind auch Methodenkompetenz und
Teamkompetenz in die Leistungsbeurteilung so weit einzubeziehen, wie sie für
den Unterrichtserfolg im jeweiligen Unterrichtsgegenstand relevant sind.“
(Lehrplan AHS, 2.Teil Punkt 9)
Funktionen der LeistungsbeurteilungAuf die Frage: „Wozu Leistungsbeurteilung?“ findet man in der Literatur
verschiedene Antworten. Weiss (1989) unterscheidet im Wesentlichen zwischen
folgenden Funktionen:
a) Berechtigungsfunktion (Selektions- oder prognostische Funktion): Die
Berechtigungen, die von der Schule erteilt oder verweigert werden
(Berechtigung zum Aufsteigen in die nächsthöhere Klasse, Berechtigung
zum Besuch von bestimmten Schultypen, Zugang zur Universität) sind für
den jungen Menschen von großer Bedeutung. Sie entscheiden über denRangplatz in der Gesellschaft und sind für die weitere berufliche und
persönliche Entwicklung von größtem Einfluss.
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 11
b) Berichtsfunktion (Kontroll- oder diagnostische Funktion): Leistungsbeur-
teilungen berichten über den Leistungsstand eines Schülers/einer Schülerin.
Der Grad der Zielerreichung bzw. der Verarbeitungsstand beim Schüler/bei
der Schülerin wird diagnostiziert. Rückmeldungen über den erzielten
Lernerfolg an die Eltern und an den Schüler selbst sind für den Verlauf eines
Lernprozesses wichtig. Allerdings ist die Rückmeldung in Form von
Ziffernnoten im Hinblick auf die Berichtsfunktion eingeschränkt, weil sie
z.B. keine Auskunft über die zugrundeliegenden Ursachen bei schlechten
Lernerfolgen gibt. Problematisch mag auch gelten, dass der Bericht Elternhäufig zu unangemessenen Erziehungsmaßnahmen veranlasst.
c) Pädagogische Funktion: Noten können dazu beitragen, die erforderliche
Lernmotivation zu erhalten. Allerdings besteht durch das System der
Belohnungen und Bestrafungen im Rahmen der Leistungsbeurteilung die
Gefahr, dass das natürliche Lernbedürfnis (intrinsische Lernmotivation)
gestört und zu extrinsischen Formen hin verlagert wird. Der Schüler/die
Schülerin lernt dann nicht mehr, weil er/sie lernen will, sondern weil er/sie
Lob einheimsen oder Tadel vermeiden will. An diesem unerfreulichen
Wandel tragen die Eltern eine erhebliche Mitschuld, weil sie sich nicht um
die sachliche Einschätzung der Leistungen bemühen, sondern der Note eineeinseitige Wertschätzung beimessen. Der Schüler/die Schülerin lernt für gute
Noten, weil anderes nicht zählt.
Weiterentwicklungen und Veränderungen im Bereich der Leistungsbeurteilung
sollten nach Möglichkeit besser als bisher gewährleisten, dass die oben
genannten Funktionen erfüllt sind. Solche Weiterentwicklungen finden sich
gegenwärtig im Rahmen von Schulversuchen aber auch als Pilotprojekte im
Rahmen des Regelunterrichts. Die Initiative dazu geht großteils von den an der
Basis Betroffenen – den Lehrer/-innen aus.
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 12
Interessante Ideen zur Leistungsbeurteilung:
u Dimensionierte Notengebung:
Innerhalb verschiedener Leistungsdimensionen (z.B. kognitive, affektive,
psychomotorische Leistungen) werden Fähigkeiten formuliert (z.B.
Strukturieren, Eigeninitiative, Genauigkeit) und ein Maßstab festgelegt
(z.B. Skala von eins bis fünf), dem die erbrachten Leistungen zugeordnet
werden. Aus dem so entstehenden Leistungsprofil wird eine Gesamtnote
als arithmetisches oder gewichtetes Mittel berechnet.
MaßstabDimensionen Fähigkeiten
1 2 3 4 5
Dimension A Fähigkeit 1 x
Fähigkeit 2 x
usw.
Dimension B Fähigkeit k x
usw.
usw.
Fähigkeit n x
Note als arithmetisches Mittel = in21 f )f ...... f .(fn1
+++ ... Maßstabswert
Note als gewichtetes Mittel = in21
nn2211 g g....gg
fg ...... fg fg++++++
... Gewicht
Kollegen an meiner Schule, die diese Art der Leistungsbeurteilung
einsetzen, berichten, dass ihnen dabei z.B. das EXCEL-Programm gute
Dienste leistet.
Der Vorteil der dimensionierten Notengebung liegt in der
Nachvollziehbarkeit der Beurteilung und der Bewusstmachung von
Dimensionen und Gewichtungen. Nachteilig scheint mir, dass durch diese
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 13
Art der Quantifizierung eine Scheinsicherheit entsteht und die Schüler/-
innen diese Notengebung eher unkritisch akzeptieren.
u Schülerbeteiligung:
Lernziele wie Eigenständigkeit, Urteilsfähigkeit oder Selbstverantwortung
erfordern nicht nur offenes selbst gesteuertes Lernen sondern auch
adäquate Beurteilungsformen. Die Beteiligung der Schüler/-innen am
Beurteilungsprozess kann dabei in unterschiedlichen Bereichen erfolgen:
z.B. bei der Auswahl der Ziele:
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 14
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 15
Am Schuljahresbeginn bekommt jeder Schüler/jede Schülerin eine Liste
mit Lernzielen (vgl. HITLISTE) und reiht sie nach Wichtigkeit. Er/sie
wählt z.B. zwei Hauptziele für das Semester aus und berichtet in
regelmäßigen Abständen über seinen/ihren Lernfortschritt (vgl. MEINE
LEISTUNGEN, letzte Zeile), dabei unterstützt ihn die Lehrperson mit
Feedbacks.
bei der Formulierung eigener Fragen:
Von Schüler/-innen
formulierte Fragen gebeneinen tieferen Einblick in
das, was sie denken.
Dabei muss die Qualität
der Fragen bewertet
werden, um Trivialitäten
zu vermeiden. Die
Mitschüler/-innen können
dazu eingebunden
werden.
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 16
bei der Einschätzung des Leistungsstandes:
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 17
bei der Einschätzung des Lernfortschrittes:
bei der Lernzielkontrolle:
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 18
u Kern- und Erweiterungsstoff:
Laut Notendefinitionen sind Leistungen mit „Befriedigend“ zu beurteilen,
mit denen der Schüler die nach Maßgabe des Lehrplanes gestellten
Anforderungen in den wesentlichen Bereichen zur Gänze erfüllt. Es liegt
daher nahe, zwischen dem wesentlichen Bereich – also dem Kernstoff –
und anderen Bereichen des Lehrstoffes – dem Erweiterungsstoff – zu
unterscheiden. Der Jahresstoff wird eingeteilt in
KERNSTOFFFundamentumsziele
ERWEITERUNGSSTOFFAdditumsziele
Basiswissen Selbstständig angewandtes undselbstständig erarbeitetes Wissen
• Spiralprinzip: das muss man wissen, um in der nächsten Klasse darauf aufbauen zu können
• schwierige komplexe Aufgabe• mathematisches Rätsel• Beweis• neuartige Aufgabenstellung
Zieloperationalisierung: z.B. Mathematik 1.KlasseZeichne einen Würfelschrägrissmit 4 cm Kantenlänge!1. Beschrifte die Eckpunkte!2. Gib die Anzahl der Kanten an!3. Gib die zu AB parallelen
Kanten an!4. Gib die zu ADEH parallelen
Seitenflächen an!
Ein Paket hat die Form eines Würfelsmit 24 cm Kantenlänge.Berechne, welche Schnurlänge fürdas Verpacken insgesamt nötig ist.Für die Masche braucht manzusätzlich 16 cm.
Ein weiteres Beispiel zur Differenzierung zwischen den Zielen des Kern-
und Erweiterungsstoffes im Fach Physik findet man beim vorhergehenden
Thema zur Schülerbeteilung unter Auswahl der Ziele, Abbildung: Meine
Leistungen in Physik. Hier entsprechen die Mindestanforderungen dem
Kernbereich und der Rest dem Erweiterungsbereich.
Ein Modell, das die Einteilung des Lehrstoffes in Kern- und
Erweiterungsbereich als grundlegende Idee hat und das ich in meinem
Unterricht realisiere, ist die lernzielorientierte Beurteilung, die ich Ihnen im
Folgenden vorstellen werde.
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 19
LernzielOrientierte Beurteilung (LOB) in Mathematik
An der Idee und Umsetzung der lernzielorientierten Beurteilung arbeite ich seit
1987 zusammen mit meinem Kollegen Mag. Hansjörg Kunze und meiner
Kollegin Mag. Sabine Höfert. Was wir erreichen wollten, war im Wesentlichen:
mehr Klarheit in den inhaltlichen Anforderungen, eine größere Transparenz der
Beurteilungskriterien und damit Übertragung von Eigenverantwortung für das
Lernen an die Schüler/-innen. Für mich war auch die Entschärfung der
Schularbeitensituation im Fach Mathematik im Hinblick auf Stress und Angst
ein besonderes Anliegen. Die Schularbeit sollte nur eine der möglichen
Leistungsfeststellungen zum Nachweis des Erreichens von Zielen sein.
Inzwischen habe ich dieses Modell in meinen beiden Fächern, Mathematik und
Physik, erprobt, immer wieder evaluiert und verbessert. Schüleräußerungen wie:„In Mathematik da weiß ich, worauf ich hinarbeite“ oder „LOB macht mir
weniger Stress, weil ich viel Verbesserungsmöglichkeiten habe“, ermutigen mich
einerseits, diese Art der Leistungsbeurteilung weiterhin einzusetzen.
Andererseits gibt es aber auch noch Verbesserungsbedarf und damit
Entwicklungsarbeit zu leisten wie z.B. im Bereich der Schülermitbestimmung,
der Formen von Leistungsfeststellungen oder des Aushandelns von
Lernzielkatalogen.
Was ändert sich für die Schüler/-innen mit LOB?
Ä Der Schüler/Die Schülerin kennt die K- und E-Ziele und weiß, was er/sie für
welche Note schaffen muss.
Zu Beginn jedes Semesters wird einerseits ein Lernzielkatalog erstellt, der
sich aus Zielen zum Kern- und Erweiterungsstoff zusammensetzt und
andererseits ein Aktivitätenplan erstellt, aus dem ersichtlich ist, welche
Leistungen zur Erreichung einer bestimmten Beurteilungsstufe zu erbringen
sind. Die Schüler/-innen haben die Möglichkeit ihre Erfahrungen und
Meinungen zu den Lernzielen und zum Aktivitätenplan einzubringen und
mit mir Modifikationen auszuhandeln.
Auszug aus dem Lernzielkatalog der ersten Klasse:
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 20
K1 Aufgaben zum Kopfrechnen im Bereich der Dezimalzahlen
zusammenstellen und lösen können.
K3 Hausübungen bearbeiten und mindestens drei Hausübungen
präsentieren können.
K7 Dezimalzahlen (bis 2 Nachkommastellen) multiplizieren und
dividieren und die Richtigkeit des Ergebnisses durch eine
Überschlagsrechnung (Abschätzung) überprüfen können.
E Formeln zur Berechnung von Umfang, Flächen- und Rauminhalten
aufstellen können.
Ä Die Aufgabenstellungen bei der Schularbeit sind als K- bzw. E-Ziel
gekennzeichnet.
Der Schüler/die Schülerin kann individuell entscheiden, ob er/sie nur die
Aufgaben zu den K-Zielen, oder die Aufgaben zu den E-Ziele oder beide
bearbeiten möchte.
Ä Die Schularbeitennote hat keinen Einfluss auf die Gesamtbeurteilung.
Die Note spiegelt nur den momentanen Leistungsstand wider. Entscheidend
für die Semesternote ist das Ausmaß der erreichten Lernziele.
Schüler/innen, die alle K-Ziele erfüllen, erhalten die Beurteilung
“Befriedigend”. Werden die K-Ziele überwiegend erfüllt – für uns gilt dievereinbarte Regel 70%, so erfolgt eine Beurteilung mit “Genügend”. Strebt
ein/e Schüler/in eine bessere Note als “Befriedigend” an, so hat er/sie in
einem entsprechenden Ausmaß auch die E-Ziele zu erreichen. Dafür kann
der Schüler/die Schülerin verschiedenartige Leistungen erbringen, die
seine/ihre Eigenständigkeit und/oder das selbstständige Anwenden seiner
/ihres Wissens zeigen wie z.B. weiterführende Fragen, Forscherporträt,
Beweis u.Ä.
Ä Es gibt mehrere Möglichkeiten bzw. Chancen das Erreichen von Zielen
nachzuweisen.
Diese Möglichkeiten sind zeitlich fixiert z.B. bei der Schularbeit, nach den
Schularbeiten oder gegen Ende des Semesters. Schüler/-innen, die die
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 21
entsprechenden Lernziele bereits erbracht haben, arbeiten an E-Zielen und
verbessern so ihre Noten. Die Schüler/-innen entwickeln aber auch eigene
Ideen, wie sie das Nachholen von nicht erbrachten Lernzielen zeigen.
Ä Der Schüler/die Schülerin notiert in seinem/ihrem Aktivitätenplan, was
er/sie erreicht hat und kann diese Aufzeichnungen mit meinem Raster
vergleichen.
Dabei kann es auch vorkommen, dass Fehler in den Aufzeichnungen
auftreten.
Was ändert sich für die Lehrperson mit LOB?
Ø Zusammenstellen des Lernzielkatalogs und des Aktivitätenplans:
Das Aufteilen des Lehrstoffes in Kern- und Erweiterungsbereich sowie das
Formulieren von geeigneten Lernzielen empfinde ich als eine der
schwierigsten Aufgaben. Was mir bei dieser Entscheidung hilft, sind
Überlegungen wie: Was zur erfolgreichen Bewältigung der nächsten
Schulstufe nötig ist, muss Kernstoff sein. Zum Erweiterungsstoff könnte
das Verallgemeinern von Sachverhalten, über den Kernbereich
hinausweisende Stoffgebiete oder das Kombinieren von Kernbereichen
sein. Welches fundamentale Wissen soll langfristig gesichert werden?
Welche Erfahrungen habe ich gemacht? Welche Meinungen habenFachkolleg/-innen dazu? Welche Ziele scheinen mir persönlich wichtig,
welche nicht? Was ergibt sich aus dem Aushandelungsprozess mit den
Schüler/-innen? Letztlich ist die Entscheidung subjektiv und wird auch von
Jahr zu Jahr zu modifizieren sein.
Neben den fachlichen und methodischen Zielen versuche ich auch Ziele im
Bereich der personalen und sozialen Kompetenz anzusiedeln wie z.B. sein
Lernen steuern können, über förderliche und hemmende Bedingungen bei
einer Gruppenarbeit berichten können. Im Fach Mathematik stecken meine
Versuche dabei aber noch in den Kinderschuhen.
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 22
Ø Ausführliche Informationen an die Eltern am Elternabend:
Beim am Schulanfang üblichen Elternabend wird den Erziehungs-
berechtigten vor allem der Aktivitätenplan und besondere Schwerpunkt-
setzungen in den fachlichen und nicht fachlichen Kompetenzbereichen für
das laufende Schuljahr vorgestellt und erläutert. Für die Eltern der
Schüler/-innen, die mit der lernzielorientierten Beurteilung erstmalig in
Berührung kommen, wird ein zweiter Elternabend – meist gegen Ende
November - vereinbart, bei dem sie bis dahin gemachte Erfahrungen
austauschen und genauere Informationen erhalten können.
Erfahrungsgemäß dauert es einige Zeit, bis sich Eltern daran gewöhnthaben, dass Sie die Leistungen Ihrer Schützlinge nicht ausschließlich nach
den Schularbeitennoten wertschätzen, sondern nach dem Erreichensstand
der Lernziele.
Ø Unterrichtsarbeit:
Die Vermittlung des Kernstoffes erfolgt möglichst abwechslungsreich
(Frontalunterricht, selbstständige Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppen-
arbeit, u.a.), wobei die wesentlichen Inhalte von jedem Schüler/jeder
Schülerin auf einer Karteikarte bzw. in der Oberstufe auf einem Blatt für
die Maturamappe festgehalten werden. Mit dieser Lernkartei/Lernmappe
können sich die Schüler/-innen die Informationen zu den Kernbereichenimmer wieder in Erinnerung rufen. Die restliche Unterrichtszeit wird für
die Festigung des Kernstoffes, die Erarbeitung vom Erweiterungsstoff und
das Durchführen von Leistungsfeststellungen genutzt.
Durch die LOB muss die Lehrperson genau überlegen, was langfristig gesehen
die wesentlichen Bereiche des Lehrstoffes sind. Die Fokussierung auf der einen
Seite schafft aber andererseits genügend Freiraum für abwechslungsreiche
Unterrichtsaktivitäten. Das Abgeben von Verantwortung für die
Leistungsbeurteilung an die Schüler/-innen ist auch sehr entlastend. Der
erhebliche Mehraufwand mit der LOB kann allerdings als Nachteil gesehenwerden.
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 23
Evaluationsergebnisse zur lernzielorientierten Beurteilung:
Gegenwärtig wird die lernzielorientierte Beurteilung in verschiedenen
Schularten (Volksschule, Hauptschule, AHS) und mit unterschiedlicher
Breitenwirkung (ganze Schulen, Lehrergruppen, einzelne Lehrer/-innen)
angewendet. Die Modellschule in Graz war eine der ersten Schulen, die die
lernzielorientierte Beurteilung als eine der Schule profilgebende Innovation
entwickelte und auch unter wissenschaftlicher Betreuung evaluierte (Michaelis
1992). Erst vor kurzem wurde vom Zentrum für Schulentwicklung, Abteilung
Evaluation und Schulforschung (Stanzel-Tischler 2001), die wissenschaftliche
Evaluation eines Pilotprojekts zur lernzielorientierten Beurteilung veröffentlicht,an dem sieben verschiedene AHS in Wien beteiligt waren. Dabei wurden
Schüler/-innen aus 22 Klassen über alle Schulstufen und Unterrichtsfächer
gemischt einbezogen.
Auf zwei Befunde, die sich aus diesen Untersuchungen ergaben möchte ich kurz
eingehen. Der eine bezieht sich auf die Prüfungsangst. Bei dieser Frage gab die
überwiegende Mehrheit der Schüler/-innen an, dass sie durch die LOB weniger
Angst vor Schularbeiten hätten. Bei den befragten Eltern dachten sogar 84%,
dass die LOB die Schulangst vermindere.
Der andere bezieht sich auf die Übernahme von Verantwortung und die
Transparenz. Zwei Drittel der Lehrer/-innen stellten fest, dass es ihnen gelungen
sei, die Verantwortung der Schüler/-innen für das eigene Lernen zu steigern. DieLeistungsbeurteilung wurde für die Schüler /-innen nachvollziehbarer und sie
selbst hätten einen besseren Überblick über den Leistungsstand ihrer Schüler/-
innen.
Diese Befunde decken sich auch mit meinen eigenen Erfahrungen und darf zwei
Zitate dazu bringen. So meinte eine Kollegin, die ihre Leistungsbeurteilung auf
LOB umstellte: “Es war wieder eine riesengroße Erleichterung, dass die
Jahresnoten klar auf dem Tisch lagen.“ und eine Schülerin, die mit der LOB
schon einige Jahre Erfahrungen gesammelt hat: „In Englisch, da lern‘ ich für
die Schularbeit und dann ist wieder lang nix. In Mathe aber, da bin ich immer
dabei.“
Das Projekt machte aber auch sichtbar, dass Lernzielkataloge mit
unterschiedlich komplex formulierten Lernzielen eingesetzt wurden und die
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 24
Projektlehrer/-innen häufig die Absicht einer Veränderung ihrer
Lernzielkataloge äußerten. In diesem Bereich scheint noch viel
Entwicklungsarbeit nötig zu sein, die auf eine breitere Basis gestellt und
wissenschaftlich fundiert praxisorientiert betrieben werden sollte.
Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass die Leistungsbeurteilung
einerseits sehr unterschiedliche Funktionen zu erfüllen hat und andererseits ein
sehr komplexer und vielfältiger Prozess ist, der bei den Lernbereichen beginnt
und über die Leistungsfeststellung zu einer Leistungsbeurteilung führt. Die
wichtigsten Faktoren für diesen Prozess sind die Klarheit über die inhaltlichen
Anforderungen und die Transparenz der Beurteilungskriterien für alle
Betroffenen.
Literatur:
Bundesgesetzblatt II 133/2000: Änderung der Verordnung zu den Lehrplänen
der AHS
Eder F. (1997): Neue Lehrpläne – Folgerungen für die Leistungsbeurteilung. In:
Erziehung und Unterricht 1997, Heft 4, ÖBV Wien
Fend H. (1980): Theorie der Schule. München, Urban und Schwarzenberg
Fischer, R. und Malle, G. (1989): Mensch und Mathematik. Eine Einführung in
didaktisches Handeln und Denken. B.I. Wissenschaftsverlag, Mannheim-Wien-Zürich.
Jonak F. und Kövesi L. (1998): Das österreichische Schulrecht. ÖBV, Wien.
Michaelis, D. (Hrsg.) (1992): Was das kann ich auch? Leistungsbeurteilung und
integrative Pädagogik am Beispiel Modellschule Graz. Profil, München-
Wien.
Petri G. und Scheiflinger W. (2000): Probleme der Lernerfolgsfeststellung.
Dorrong, Graz.
Sacher W. (1994): Prüfen - beurteilen – benoten: theoretische Grundlagen und
praktische Hilfestellungen für den Primar- und Sekundarbereich.
Klinkhardt, Bad Heilbrunn.
PFL-Mathematik 2000-02, Seminar2, Leistungsbeurteilung (Vortrag) Seite 25
Schratz M. (2001): Methodenkoffer. Erste Hilfe zur Selbstevaluation. In:
Qualität entwickeln: Evaluieren. Jahresheft XIX/2001 aller
pädagogischen Zeitschriften des Friedrich Verlag. Seelze. S115.
Schulorganisationsgesetz
Stanzel-Tischler E. und Grogger G. (1999): Lernzielorientierte
Leistungsbeurteilung in Mathematik an drei Wiener AHS-Klassen. ZSE
Report Nr. 43, Abteilung II: Evaluation und Schulforschung, Graz
Stanzel-Tischler E. und Grogger G. (2001): Lernzielorientierte
Leistungsbeurteilung an Wiener AHS-Schulem. ZSE Report Nr. 51,
Abteilung II: Evaluation und Schulforschung, GrazStern T. (2001): Was hältst du davon? Selbsteinschätzung von Lernerfolgen. In:
Qualität entwickeln: Evaluieren. Jahresheft XIX/2001 aller
pädagogischen Zeitschriften des Friedrich Verlag. Seelze. S11ff.
Stern T. (2001): Beurteilungsmaßstäbe aushandeln. Erfahrungen mit einem
Notenvertrag. In: Qualität entwickeln: Evaluieren. Jahresheft XIX/2001
aller pädagogischen Zeitschriften des Friedrich Verlag. Seelze. S43.
Weiss1, R. (1989): Leistungsbeurteilung–Beurteilung in den Schulen–
Notwendigkeit oder Übel. Problemanalysen und Verbesserungs-
vorschläge. J&V, Wien-München.