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Senioren mit Freude begrüßen Facetten einer seniorengerechten Zahnarztpraxis Ein Beitrag von Prof. Dr. Ina Nitschke MPH und Prof. Dr. Sebastian Hahnel, Leipzig Im Alltag einer allgemeinen zahnärztlichen Praxis werden an die dort praktizierenden Zahnärzte sowie deren Teams nicht nur von Kindern, Ju- gendlichen und jungen Erwachsenen Ansprüche gestellt, sondern auch von Senioren. Senioren sind eine sehr heterogene Patientengruppe, die unterschiedliche Bedürfnisse und Notwendigkei- ten mit sich bringt. Alle Dienstleistungserbringer, besonders auch diejenigen im medizinischen Bereich, sollten sich auf diese sehr heterogene Gruppe einstellen, was natürlich auch für Zahnmediziner gilt. Die heute in Deutschland lebenden Senioren unterscheiden sich aber nicht nur zahlenmäßig von denen vor 50 Jahren (Abb. 1), sondern auch durch den Um- stand, dass sie im Vergleich zu früheren Genera- tionen eine bessere orale Gesundheit aufweisen. Es sind nicht nur die zahnlosen Senioren, die die Zahnmediziner mit neuen Totalprothesen heraus- fordern, die sie erst im hohen Alter benötigen. Die heutigen Senioren haben oft noch eigene Zähne, die zu erhalten sind. Aus einer zahnärztlichen Be- handlung wird mit zunehmender Gebrechlichkeit eine zahnmedizinische Betreuung. Die Zahnärzte- schaft sollte die Versorgung der Senioren daher weiter in den Vordergrund rücken. Demografischer Wandel betrifft auch die zahnärztlichen Praxen Die achte Variante der 13. koordinierten Bevölke- rungsvorausberechnung, die in aktualisierter Fas- sung auf Basis des Jahres 2015 vorliegt, zeigt den demografischen Wandel in Deutschland. Die Zu- wanderungen in den Jahren 2014 und 2015 haben die Bevölkerung in ihrer Größe und Struktur verän- dert. Der Altersaufbau der Bevölkerung unterschei- det sich nun innerhalb der Bundesländer stark. So ist festzuhalten, dass der Altenquotient 1 mit 30 in Hamburg, 33 in Bayern und 43 in Sachsen und Sachsen-Anhalt stark variiert. Die Unterschiede zwischen Stadtstaaten, westlichen und östlichen Flächenländern sind erheblich (Tab. 1). Somit ist nachvollziehbar, dass die Gruppe der Senioren diejenige Altersgruppe ist, die vor der Praxistür stehen und umfangreiche zahnmedizi- nische Leistungen in der allgemeinen Hauszahn- arztpraxis abfragen wird. Die Ansprüche der 60- bis über 100-Jährigen sind hoch und stellen eine Herausforderung für das gesamte zahnmedi- zinische Team dar. Nur gemeinsam im Team wird es möglich sein, eine seniorengerechte Praxis auf- zubauen. Das Motto „Team = Toll, einer, der Alles macht“ gilt bei der Betreuung der Senioren nicht. Zahnmediziner, zahnmedizinische Fachange- stellte, Prophylaxeassistenten, Dentalhygieniker, zahnmedizinische Verwaltungsangestellte, Praxis- manager und Zahntechniker werden ihren Beitrag leisten müssen, wenn die Senioren ihrer funktio- nellen Kapazität beziehungsweise ihrer Gebrech- lichkeit entsprechend in die Praxis aufgenommen werden sollen. Seniorengerechte Praxis ohne Barrieren im Kopf Die oralen Krankheiten der Senioren unterschei- den sich nicht grundlegend von denen der Erwach- senen mittleren Alters, wobei die verschiedenen Facetten des Alterns die Senioren auch in der Zahnarztpraxis zu einer sehr heterogenen Gruppe machen. Schon allein die Altersdifferenz innerhalb der Gruppe der Senioren von rund 40 Jahren ver- deutlicht, dass es Unterschiede bezüglich der Be- dürfnisse und Notwendigkeiten gibt, die Mund- Abb. 1: Anteil der 80-Jährigen und Älteren an der deutschen Gesamtbevölkerung zwischen 1950 und 2050 [10] Quelle: http://esa.un.org/unpp 1 Der Altenquotient bildet das Verhältnis der Personen im Renten- alter (Anzahl der derzeit 65-Jährigen und Älteren) zu 100 Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jahre) ab. | BZB November 18 | Wissenschaft und Fortbildung 56

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Senioren mit Freude begrüßenFacetten einer seniorengerechten Zahnarztpraxis

E in Be i t rag von Pro f . Dr. Ina N i t schke MPH und Pro f . Dr. Sebast ian Hahnel , Le ipz ig

Im Alltag einer allgemeinen zahnärztlichen Praxis werden an die dort praktizierenden Zahnärzte sowie deren Teams nicht nur von Kindern, Ju-gendlichen und jungen Erwachsenen Ansprüche gestellt, sondern auch von Senioren. Senioren sind eine sehr heterogene Patientengruppe, die unterschiedliche Bedürfnisse und Notwendigkei-ten mit sich bringt.

Alle Dienstleistungserbringer, besonders auch

diejenigen im medizinischen Bereich, sollten sich

auf diese sehr heterogene Gruppe einstellen, was

natürlich auch für Zahnmediziner gilt. Die heute

in Deutschland lebenden Senioren unterscheiden

sich aber nicht nur zahlenmäßig von denen vor

50 Jahren (Abb. 1), sondern auch durch den Um-

stand, dass sie im Vergleich zu früheren Genera-

tionen eine bessere orale Gesundheit aufweisen.

Es sind nicht nur die zahnlosen Senioren, die die

Zahnmediziner mit neuen Totalprothesen heraus-

fordern, die sie erst im hohen Alter benötigen. Die

heutigen Senioren haben oft noch eigene Zähne,

die zu erhalten sind. Aus einer zahnärztlichen Be-

handlung wird mit zunehmender Gebrechlichkeit

eine zahnmedizinische Betreuung. Die Zahnärzte-

schaft sollte die Versorgung der Senioren daher

weiter in den Vordergrund rücken.

Demografischer Wandel betrifft auch die zahnärztlichen PraxenDie achte Variante der 13. koordinierten Bevölke-

rungsvorausberechnung, die in aktualisierter Fas-

sung auf Basis des Jahres 2015 vorliegt, zeigt den

demografischen Wandel in Deutschland. Die Zu-

wanderungen in den Jahren 2014 und 2015 haben

die Bevölkerung in ihrer Größe und Struktur verän-

dert. Der Altersaufbau der Bevölkerung unterschei-

det sich nun innerhalb der Bundesländer stark. So

ist festzuhalten, dass der Altenquotient1 mit 30 in

Hamburg, 33 in Bayern und 43 in Sachsen und

Sachsen-Anhalt stark variiert. Die Unterschiede

zwischen Stadtstaaten, westlichen und östlichen

Flächenländern sind erheblich (Tab. 1).

Somit ist nachvollziehbar, dass die Gruppe der

Senioren diejenige Altersgruppe ist, die vor der

Praxistür stehen und umfangreiche zahnmedizi-

nische Leistungen in der allgemeinen Hauszahn-

arztpraxis abfragen wird. Die Ansprüche der

60- bis über 100-Jährigen sind hoch und stellen

eine Herausforderung für das gesamte zahnmedi-

zinische Team dar. Nur gemeinsam im Team wird

es möglich sein, eine seniorengerechte Praxis auf-

zubauen. Das Motto „Team = Toll, einer, der Alles

macht“ gilt bei der Betreuung der Senioren nicht.

Zahnmediziner, zahnmedizinische Fachange-

stellte, Prophylaxeassistenten, Dentalhygieniker,

zahnmedizinische Verwaltungsangestellte, Praxis-

manager und Zahntechniker werden ihren Beitrag

leisten müssen, wenn die Senioren ihrer funktio-

nellen Kapazität beziehungsweise ihrer Gebrech-

lichkeit entsprechend in die Praxis aufgenommen

werden sollen.

Seniorengerechte Praxis ohne Barrieren im KopfDie oralen Krankheiten der Senioren unterschei-

den sich nicht grundlegend von denen der Erwach-

senen mittleren Alters, wobei die verschiedenen

Facetten des Alterns die Senioren auch in der

Zahnarztpraxis zu einer sehr heterogenen Gruppe

machen. Schon allein die Altersdifferenz innerhalb

der Gruppe der Senioren von rund 40 Jahren ver-

deutlicht, dass es Unterschiede bezüglich der Be-

dürfnisse und Notwendigkeiten gibt, die Mund-

Abb. 1: Anteil der 80-Jährigen und Älteren an der deutschen Gesamtbevölkerung zwischen 1950 und 2050 [10]

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1 Der Altenquotient bildet das Verhältnis der Personen im Renten-alter (Anzahl der derzeit 65-Jährigen und Älteren) zu 100 Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jahre) ab.

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gesundheit zu erhalten beziehungsweise wieder-

herzustellen. Auch das heutige Anspruchsverhal-

ten zwischen den betagten und hochbetagten Senio-

ren ist sehr unterschiedlich und wird sich mit dem

Eintritt der alternden Baby-Boomer-Generation in

das Rentenalter nochmals ganz anders darstellen.

Die nette 95-Jährige, die sich heute freut, wenn ihr

jemand bei der Behandlung die Hand hält, wird

sich wandeln. Die heute 60-Jährigen werden in

der Zukunft eher mit den Teams diskutieren, ob

die gut gemeinte streichelnde Hand etwas Über-

griffiges und damit zu unterlassen sei. Das Team

in der Seniorenzahnmedizin zu trainieren und in

den „Gero-Staffs“ gemeinsame Absprachen zu tref-

fen, ist wichtig, wenn die Zahnarztpraxis Senioren

willkommen heißen möchte.

Altersaufbau Deutschland 2015

Deutsche Bevölkerung im Jahr 2015 (gesamt 81,3 Millionen)

Insgesamtjünger als 20 Jahre[%]

20 bis 64 Jahre[%]

65 bis 79 Jahre[%]

80 Jahre und älter[%]

65-Jährige und Ältere je 10020- bis 64-Jährige (Altenquotient)Bundesland Millionen Anteil1

Baden-Württemberg

10,8 19,0 61,0 14,5 5,6 33

Bayern 12,8 18,4 61,5 14,7 5,4 33

Berlin 3,5 17,3 63,5 14,5 4,8 30

Brandenburg 2,4 16,3 60,2 17,3 6,2 39

Bremen 0,7 17,2 61,5 15,6 5,8 35

Hamburg 1,8 17,8 63,4 13,7 5,1 30

Hessen 6,1 18,4 61,1 15,0 5,6 34

Mecklenburg- Vorpommern

1,6 15,9 60,9 16,9 6,3 38

Niedersachsen 7,8 18,7 59,6 15,8 5,9 36

Nordrhein-Westfalen

17,6 18,5 60,7 15,0 5,9 34

Rheinland- Pfalz

4,0 18,0 60,8 15,2 6,0 35

Saarland 1,0 16,1 60,8 16,5 6,6 38

Sachsen 4,0 16,2 58,5 18,1 7,2 43

Sachsen- Anhalt

2,2 15,1 59,4 18,6 6,9 43

Schleswig-Holstein

2,8 18,3 58,9 17,0 5,8 39

Thüringen 2,1 15,8 59,8 18,0 6,5 41

Stadtstaaten 6,0 17,4 63,2 14,4 5,0 31

Flächenländer West

62,9 18,5 60,7 15,1 5,7 34

Flächenländer Ost

12,4 15,9 59,5 17,9 6,7 41

Deutschland 81,3 18,0 60,7 15,4 5,8 35

¹ Abweichungen von 100 % sind rundungsbedingt.

Tab. 1: Aufbau der deutschen Bevölkerung, nach Alter und Bundesland geschichtet. 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung nach Bundesländern, kontinuierliche Entwicklung bei schwächerer Zuwanderung (Variante 1, G1-L1-W1) [9].

Wissenschaft und Fortbildung | BZB November 18 | 57

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Eine seniorengerechte Praxis ist nicht gleichbedeu-

tend mit einer barrierearmen Praxis, wo nichts im

Weg steht, worüber jemand fallen könnte. Eine bar-

rierearme Ausstattung der Praxis sollte nicht ver-

wechselt werden mit der Barrierefreiheit im Kopf

aller Teammitglieder gegenüber den Eigenschaften

und Herausforderungen, die Senioren mit sich brin-

gen. Gerostomatologisches Wissen, Hilfsmittel, eine

gute und sichere Erreichbarkeit der Praxis sowie ein

professioneller Umgang sind Grundlagen für eine

gute zahnmedizinische Betreuung der heterogenen

Patientengruppe der Senioren und somit Grundlage

für eine seniorengerechte Praxis.

Was ist Seniorenzahnmedizin?Die Seniorenzahnmedizin (auch Gerostomatolo-

gie, Gerontostomatologie, Alterszahnheilkunde,

Alterszahnmedizin oder Alternszahnmedizin ge-

nannt) hat die Aufgabe, die älteren Menschen, also

nicht nur die älteren Patienten, vom Eintritt in

den Altersruhestand bis zum Tod in allen direkten

zahnmedizinischen Aufgaben und bei Fragestel-

lungen aus den angrenzenden Bereichen während

des Alterns zu begleiten, zu betreuen und wissen-

schaftlich die Herausforderungen aufgrund der

Alternsvorgänge aufzubereiten.

Die gerostomatologischen Therapieentscheidungs-

prozesse sind komplexer und damit in ihrer Ge-

staltung auch aufwendiger als bei allgemein-

medizinisch gesunden Patienten. Multimorbidität,

Polypharmazie, Malnutrition, geriatrisches Assess-

ment, gerostomatologischer Wohlfühlfaktor, Nach-

sorgekompetenz (siehe Kasten „Nachsorgekompe-

tenz“), zahnmedizinische funktionelle Kapazität,

Adaptationsrisiko, relativierter objektiver Behand-

lungsbedarf und Versorgungsdiagnose sind einige

Schlagwörter aus der Seniorenzahnmedizin, die

für Zahnärzte, die ältere Patienten behandeln, keine

Fremdwörter sein sollten.

Im Rahmen der Versorgungsdiagnose (siehe Kasten

„Versorgungsdiagnose“) sollte geklärt sein, wer der

Entscheidungsträger ist und welche Personen ne-

ben dem Patienten in den partizipativen Therapie-

entscheidungsprozess einbezogen werden sollten.

Der Weg zur partizipativen Therapieentscheidung

wird von den Betagten und Hochbetagten genauso

gewünscht wie von jüngeren Patienten, nur ist der

Entscheidungsfindungsprozess wesentlich aufwen-

diger. Trotz des Aufwands ist dieser Entscheidungs-

prozess mit den Senioren ausführlich zu durchlau-

fen, um am Ende eine gute Mitarbeit und möglichst

wenige Adaptationsprobleme zu bekommen. Hier-

zu ist es notwendig, sich schnell einen Überblick

über die Funktionalität, sprich, welche Fähigkeiten

der Patient zur Behandlung mitbringt, zu verschaf-

fen. Hierbei kann das Schema zur Festlegung der

Belastbarkeit des Patienten mithilfe der zahnärzt-

lichen Einschätzung zur zahnmedizinischen funk-

tionellen Kapazität des Patienten eine hilfreiche

Grundlage sein.

Die zahnmedizinische funktionelle Kapazität des Patienten einschätzenDie zahnmedizinische funktionelle Kapazität (ZFK)

beurteilt die Funktionsmöglichkeiten eines Patien-

ten unter dem zahnmedizinischen Blickwinkel.

Nachsorgekompetenz [6]

Die Nachsorgekompetenz beschreibt die Fähigkeit des Pa-

tienten (Eigen-Nachsorgekompetenz) oder einer anderen

Person aus seinem Umfeld (Fremd-Nachsorgekompetenz),

· die Mundhöhle und Zahnersatz zu reinigen und

· eine kontrollorientierte Inanspruchnahme einer zahnmedi-

zinischen Dienstleistung regelmäßig, auch engmaschig,

wahrzunehmen.

Der Zahnarzt sollte sich in seinem Anamnesegespräch da-

rüber klar werden, ob der Patient für die Nachsorge selbst

verantwortlich sein kann. Es wäre auch zu klären, wer bei

zunehmender Gebrechlichkeit die regelmäßige Reinigung

der Mundhöhle durchführen kann. Dazu wäre es wichtig

zu wissen, ob diese Person auch für das tägliche Ein- und

Ausgliedern von eventuell vorhandenem Zahnersatz trai-

niert werden könnte. Zur Nachsorgekompetenz gehört

auch die Klärung, wer für die Organisation und Durch-

führung von regelmäßigen, kontrollorientierten Besuchen

beim Zahnarzt zuständig sein könnte. Zur richtigen Zeit,

also bevor die Selbstverständlichkeiten des Alltags für den

Patienten schwierig und immer schwieriger werden, tut

der Zahnarzt gut daran, die Nachsorgekompetenz anzu-

sprechen. Ziel sollte dabei sein, Ansprechpersonen recht-

zeitig ausfindig zu machen, mit denen man ins Gespräch

kommen könnte. Wenn die eigene Nachsorgekompetenz

nachlässt, sollte im Rahmen der zahnmedizinischen Be-

treuung die Fremd-Nachsorgekompetenz bereits geklärt

und in der Patientendokumentation die Person (oder auch

Personen), Anschrift und Telefonnummern hinterlegt sein.

Das Stellen der Versorgungsdiagnose […] und die Er-

mittlung der Nachsorgekompetenz kann auch mithilfe

des Anamnesebogens geschehen.

| BZB November 18 | Wissenschaft und Fortbildung58

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Andere geriatrische Assessmentinstrumente, die

der Geriatrie in großer Zahl zur Verfügung stehen,

sind für die zahnmedizinischen Überlegungen nur

eingeschränkt nutzbar, da sie zum Beispiel andere

Funktionen abfragen als die, die im Rahmen der

zahnmedizinischen Betreuung benötigt werden.

Daher wurde ein Instrument für die zahnmedizi-

nischen Belange entwickelt, das den Anwender

anregen soll, seinen Patienten besonders unter

dem zahnmedizinischen Funktionsaspekt zu ana-

lysieren. Dabei werden die drei Parameter Thera-

piefähigkeit, Mundhygienefähigkeit und Eigen-

verantwortlichkeit besonders berücksichtigt. Je-

der Parameter wird getrennt in einer mehrstufigen

Einteilung nach der Belastbarkeit des Patienten

betrachtet. Daraus ergibt sich als Gesamtwert die

zahnmedizinische Belastbarkeit älterer und alter

Menschen in einer vierstufigen Einteilung. Der am

schlechtesten bewertete Parameter führt zur Fest-

legung der Belastbarkeitsstufe (BS), die dann Aus-

druck der ZFK (BS 1 bis 4) ist (Tab. 2).

Therapiefähigkeit Bei der Therapiefähigkeit eines betagten Menschen

ist vom Untersucher abzuschätzen, ob eine zahn-

ärztliche Behandlung wie bei einem allgemein-

medizinisch gesunden Patienten durchgeführt wer-

den kann oder ob und gegebenenfalls in welchem

Maße bei der Therapie wegen einer verringerten

Belastbarkeit Einschränkungen (z. B. Anzahl und

Länge der Behandlungstermine, Wahl des Behand-

lungskonzepts und des prothetischen Behandlungs-

mittels) zu erwarten sind (Tab. 3). Die finanzielle

Situation des Patienten hat auf die Festlegung der

BS keinen Einfluss. In den BS 1 und 2 wäre eine fest-

sitzend-abnehmbare Versorgung denkbar. Aller-

dings kann es notwendig und ratsam sein, bei Pa-

tienten der BS 2 den Behandlungsablauf auf meh-

rere Sitzungen zu verteilen und eine ausreichende

Nachsorge anzuschließen. Bei stark reduzierter The-

rapiefähigkeit (BS 3) würde sich der Untersucher für

eine partielle Kunststoffprothese mit gebogenem

Verankerungselement entscheiden, die ohne viel

Versorgungsdiagnose [5]

Die Versorgungsdiagnose in der Seniorenzahnmedizin be-

schreibt, unter welchen Umständen beziehungsweise wie

ein älterer Patient lebt. Sie ist für jeden älteren Patienten

zu erheben und wie der Anamnesebogen immer wieder

– mindestens einmal im Jahr – zu reevaluieren. Es wird

unterschieden zwischen dem häuslichen Leben oder dem

Leben in einer stationären Pflegesituation.

Das häusliche Leben wird dabei unterteilt in:

· allein lebend,

· mit Partner lebend,

· mit Kindern lebend und

· in einer Wohngemeinschaft lebend.

Des Weiteren soll geklärt werden, ob bei den zu Hause

Lebenden zurzeit pflegerische Unterstützung benötigt wird

und wer diese durchführt. Es ist zudem zu eruieren, ob der

Patient allein entscheidet oder ob andere Personen in den

partizipativen Therapieentscheidungsprozess einzubezie-

hen sind. Hier ist vor allem auch zu klären, ob eine gesetz-

liche Betreuung für den Patienten eingerichtet ist.

Beispiel einer Versorgungsdiagnose

Eine 88-jährige rüstige Patientin lebt zu Hause in ihrer

Eigentumswohnung im Haus ihrer Tochter und wird in

der Haushaltsführung durch die Tochter und ihren Schwie-

gersohn unterstützt. Eine pflegerische Unterstützung wird

momentan nicht benötigt. Zurzeit ist die Patientin sehr

selbstbestimmt, möchte aber trotzdem, dass die Tochter

in den Therapieentscheidungsprozess einbezogen wird. Der

Versorgungsstatus wurde im Anamnesebogen erfragt und

die Versorgungsdiagnose dann im Rahmen des Anamnese-

gesprächs durch den Zahnarzt gestellt.

Belastbarkeitsstufe Therapiefähigkeit Mundhygienefähigkeit Eigenverantwortlichkeit

BS 1 normal normalnormal

BS 2 leicht reduziert leicht reduziert

BS 3 stark reduziert stark reduziert reduziert

BS 4 keine keine keine

Tab. 2: Zahnmedizinische funktionelle Kapazität: vierstufige Einteilung der Belastbarkeit aufgrund der Beurteilung der drei Parameter Therapiefähigkeit, Mundhygienefähigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Innerhalb der beiden Parameter Therapiefähigkeit und Mund-hygienefähigkeit wird der Patient in einer vierstufigen Einteilung hinsichtlich seiner zahnmedizinischen Belastbarkeit betrachtet. Dabei ist die Stufe 1 die beste – normale Belastbarkeit –, die Stufe 4 die schlechteste Stufe – keine Belastbarkeit. Beim Parameter Eigenverant-wortlichkeit erfolgt eine Einteilung nur in drei statt vier Stufen: normal, reduziert oder gar nicht eigenverantwortlich [3].

Wissenschaft und Fortbildung | BZB November 18 | 59

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Aufwand (wenige, kurze Sitzungen) anzufertigen

ist. Wenn die Belastbarkeit sehr stark reduziert ist

(BS 4), kann in der Regel keine Neuanfertigung

durchgeführt werden. Kleine Reparaturen am alten

Zahnersatz sind denkbar, jedoch kann dem stark

eingeschränkten Senior keine weitreichende zahn-

ärztliche Therapie zugemutet werden.

Damit die Beurteilung der Therapiefähigkeit des

älteren Menschen unabhängig vom Mundbefund

standardisiert erfolgen kann, sollte sich der Be-

handler die Frage beantworten, welchen Therapie-

weg er bei seinem Patienten einschlagen würde,

wenn dieser im Oberkiefer zahnlos wäre und im

Unterkiefer nur noch zwei Zähne vorhanden wären.

Diese vom individuellen Zahnstatus unabhängige

Überlegung hilft dabei, die Schwierigkeiten bei der

Versorgung von zahnlosen Patienten nicht zu unter-

schätzen. Mit dem theoretischen Zahnstatus kann

die Therapiefähigkeit des älteren Patienten, beson-

ders des Zahnlosen, zuverlässig beurteilt werden.

MundhygienefähigkeitBei der Beurteilung der Mundhygienefähigkeit ist

die Frage zu beantworten, ob der ältere Mensch

einer individualprophylaktischen zahnmedizini-

schen Maßnahme folgen kann und ob er die mo-

torischen sowie kognitiven Fähigkeiten besitzt, die

Instruktionen zur Mundhygiene zu verstehen und

bei der täglichen Mund- und Prothesenhygiene

umzusetzen. Ist der Patient zum Beispiel seh- und

hörbehindert, gilt er bei der Mundhygienefähigkeit

als leicht reduziert belastbar. Hier sollten sich die

Aufklärungs- und Motivationsgespräche anders ge-

stalten, damit der Patient davon profitieren kann.

Bei stark reduzierter Mundhygienefähigkeit ist zu

klären, wer das Defizit aus dem eigenen Putzen wie

auffängt. Die Fremdputzer, beispielsweise Angehö-

rige, sollten instruiert und die Terminintervalle für

die professionelle Zahn- und Prothesenreinigung

verkürzt werden. Patienten, die ihre Mundhygiene

gar nicht mehr selbstständig durchführen können,

gelten als nicht belastbar, sodass der Zahnarzt seine

Therapie und Unterstützung zur Mundhygiene bei

ihnen ganz anders ausrichten müsste.

EigenverantwortlichkeitDas Kriterium Eigenverantwortlichkeit beschreibt,

ob der Senior in der Lage ist, die Entscheidung

zu treffen, einen Zahnarzt zur Kontrolle oder zur

Therapie aufzusuchen, und diesen Besuch dann

auch für sich selbst zu organisieren. Es ist ferner

zu prüfen, ob der Patient den Wunsch äußert, den

Zahnarzt aufzusuchen, aber den Besuch nicht selbst

organisieren kann (reduziert eigenverantwortlich),

oder ob er gar nicht mehr an seine Mundgesund-

heit und zahnmedizinische Versorgung denkt (nicht

eigenverantwortlich).

BelastbarkeitsstufeDie drei Kriterien Therapiefähigkeit, Mundhygiene-

fähigkeit und Eigenverantwortlichkeit sind jeweils

einzeln nach dem Anamnesegespräch vom Zahn-

Therapiefähigkeit Mundhygienefähigkeit Eigenverantwortlichkeit

· Risiko für allgemeinmedizinische Zwischenfälle

· Lernfähigkeit/ Umsetzung von Informationen

· kontrollorientiertes Besuchsverhalten

· Risiko Medikamenteninteraktion · Greiffähigkeit · Entscheidungsfähigkeit

· Transportfähigkeit · Putzkraft · Nachsorgekompetenz

· Umsetzbarkeit · Hilfe durch Fremdputzer/Dritte · Willensäußerung

· Lagerungseinschränkung · Sehvermögen · Erkennen von Problemen

· Nachsorgekompetenz · Nachsorgekompetenz · Organisationsfähigkeit

· Verständnis von Anweisungen/ Sachinhalten

· Überwachung der Mundhygiene · Verantwortungsträger

· Möglichkeit der Diagnostik · Kauf der Mundhygieneartikel · Vorhandensein eines Betreuers

· längere Mundöffnungsphasen · Handkraft · Koordination

· manuelle Geschicklichkeit

· Adaptationsfähigkeit

Tab. 3: Beobachtungshinweise für den Zahnarzt und sein Team zur Einschätzung der zahnmedizinischen funktionellen Kapazität des Patienten [4]

| BZB November 18 | Wissenschaft und Fortbildung60

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arzt abzuschätzen. Bei der Einstufung wird der

Zahnarzt nach etwas Übung feststellen, dass er

vergleichbare Situationen anhand der BS wieder-

findet. Er wird auch merken, dass gute kognitive

Fähigkeiten des Patienten ihn nicht mehr dazu

verleiten, gegebenenfalls dessen eingeschränkte

Therapie- oder Mundhygienefähigkeit zu über-

sehen. Die schlechteste Bewertung eines der drei

Parameter führt zur abschließenden Gesamtbewer-

tung. Es empfiehlt sich für den Behandler, diese

BS bei all seinen Entscheidungen im Hinterkopf zu

behalten, da sie die begrenzende Komponente in

der weiteren Behandlungsplanung sein sollte. Die

BS ist dann Ausdruck der ZFK des Patienten.

Gerostomatologischer WohlfühlfaktorUm die Inanspruchnahme zahnärztlicher Dienst-

leistungen durch die heterogene Patientengruppe

der Senioren aufrechtzuerhalten oder zu verbes-

sern, bietet es sich für den Zahnarzt und sein Team

an, den gerostomatologischen Wohlfühlfaktor sei-

ner Praxis zu überprüfen und gegebenenfalls anzu-

passen. Dieser Wohlfühlfaktor spielt neben einem

in Seniorenzahnmedizin ausgebildeten Zahnmedi-

ziner und einem gerostomatologisch geschulten

Praxisteam eine wichtige Rolle.

Zum gerostomatologischen Wohlfühlfaktor gehört

die Erreichbarkeit einer Praxis (Lage der Praxis; Fak-

toren, die den Transport von immobilen oder in

der Mobilität eingeschränkten Patienten erschwe-

ren oder behindern; Anbindung an öffentliche

Verkehrsmittel; ausreichend Parkmöglichkeiten in

der Nähe etc.). Rollstuhlfähige Treppenaufgänge,

das Vorhandensein eines Lifts, beidseitige Treppen-

geländer, sofern nötig, und ausreichende Beleuch-

tung führen dazu, dass eine Praxis als barrierearm

wahrgenommen wird – und diese Anforderung

nach Sicherheit beginnt bereits vor der Praxistür.

Wichtig ist, darauf zu achten, dass auch immobile

oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Patienten

einen guten Zugang erhalten (z. B. im Bereich der

Rezeption, in den Toiletten, im Warte- und Behand-

lungsraum). Glatte Bodenoberflächen oder auch

Teppichränder können Gefahrenstellen für Patien-

ten mit Gehhilfen, Rollstühlen und eingeschränk-

ter Bewegungsfähigkeit (z. B. Morbus Parkinson)

darstellen. Ziel ist es, dass die Überwindung, zum

Zahnarzt zu gehen, nicht so groß ist.

Des Weiteren sollte die Praxis Hilfsmittel parat ha-

ben, die den Umgang der Senioren mit dem Zahn-

arzt und umgekehrt erleichtern können (Abb. 2a

und b). Aufgrund der im Alter nachlassenden Seh-

funktion sollten Hinweisschilder, Anmeldungs- und

Anamnesebögen oder Aufklärungsformulare in

entsprechender Schriftgröße bereitgestellt werden.

Zusätzlich können universelle Lesebrillen zum Aus-

leihen bereitliegen. Eine seniorengerecht ausge-

rüstete Praxis kann auch durch das Vorrätighalten

von weiteren Hilfsmitteln wie einem konfektionier-

ten Hörgerät oder auch einer Kopfstütze für den

Rollstuhl profitieren.

Abschließend ist jedoch auch der Umgang mit den

Senioren wichtig. Ein guter Umgang bedeutet auch,

empathisch für die Situation der älteren Menschen

zu sein. Man sollte ihnen gegenüber offen sein,

auch wenn einem manchmal der Zeitdruck des

zahnärztlichen Alltags im Nacken sitzt. Eine persön-

liche Auseinandersetzung mit seinen eigenen Vor-

Abb. 2a und b: Hilfsmittel: Kopfstütze und Kopfkissen

Wissenschaft und Fortbildung | BZB November 18 | 61

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behalten gegenüber dem Älterwerden hilft, ausrei-

chend Zeit in die Betreuung von älteren Menschen

zu investieren. Nur, wenn man unvoreingenommen

auf die Senioren zugeht, wird man ältere Menschen

in ihren unterschiedlichsten Facetten kennenlernen

und eine Beziehung aufbauen können. Für diesen

eigenen Lernprozess sollte man sich ausreichend

Zeit nehmen, denn Empathie kommt nicht schnell

von heute auf morgen. Wichtig ist, die älteren Pa-

tienten in alltäglichen Situationen zu beobachten,

diese Situationen von außen zu betrachten und

anschließend kritisch zu hinterfragen, ob man

ausreichend Interesse gezeigt hat. Das Erlebte des

Älteren nachzuvollziehen und mitzufühlen ist dabei

ausschlaggebend. Das Hören mit den Ohren eines

älteren Menschen, das Sehen mit den Augen eines

Seniors und das Fühlen mit dem Herz eines Greises

stehen dabei im Vordergrund.

Sich mit seinem Team zum Seniorenzahnmediziner fortbildenDie Approbationsordnung sieht derzeit nicht vor,

dass eine Ausbildung der Zahnmedizinstudenten

auf dem Gebiet der Seniorenzahnmedizin an der

Universität stattfindet. Unter dem Hinweis auf

den demografischen Wandel und die Reduktion

der Kariesaktivität bei Kindern sollten die Studen-

ten im Studium grundsätzlich auf die speziellen

Aspekte der älteren, sehr heterogenen Patienten-

gruppe vorbereitet werden [1,2,7,8]. Der neue

Lernzielkatalog Zahnmedizin hält hierzu etwas

bereit, wobei erst die Zukunft zeigen wird, wie die

Seniorenzahnmedizin an den Universitäten ver-

treten sein wird.

Einige Zahnärzte haben bereits gemerkt, dass

der Satz: „Ältere Patienten haben wir doch schon

immer behandelt!“ eine ziemlich eingeschränkte

Abb. 3: Station „Taktilität“, Übung mit Tremor-handschuhen

Abb. 4a und b: Altersanzüge

Abb. 5: Lesen mit einer Simulationsbrille Abb. 6: Transport aus dem Rollstuhl in den Behandlungsstuhl

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Page 8: Senioren mit Freude begrüßen - bzb-online.de · gie, Gerontostomatologie, Alterszahnheilkunde, Alterszahnmedizin oder Alternszahnmedizin ge-nannt) hat die Aufgabe, die älteren

Sichtweise widerspiegelt. Zahnärzte sollten sich

ihre gerostomatologischen Fortbildungen daher

mit genauem Blick aussuchen. Unter bestimmten

Voraussetzungen kann auch der fortgebildete Spe-

zialist für Seniorenzahnmedizin erreicht werden.

Auf der letzten Jahrestagung der Deutschen Ge-

sellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ) im Mai

2018 in Magdeburg wurden nach der Prüfung acht

neue DGAZ-Spezialisten für Seniorenzahnmedizin

geehrt. In Deutschland sind auch einige Zahnärzte

mit ihren Teams als „Seniorengerechte Praxen“ von

der DGAZ zertifiziert.

Ein gutes Format für alle Mitglieder des Praxis-

teams ist die Teilnahme an einer Fortbildung mit

dem Gero-Parcours. Der mit dem Anliegen, das

Altern anfassbar beziehungsweise erlebbar zu ma-

chen, vorbereitete Parcours besitzt rund 19 Statio-

nen mit Themenkomplexen, die für die Betreuung

und den Umgang mit Senioren sensibilisieren und

je nach Ausbildungsstand der Anwender variiert

werden können. Es werden zahnmedizinische Fälle

mit ethischen Aspekten gelöst, die nonverbale

Kommunikation mit dem Patienten mittels Erken-

nung und Deutung von Emotionen und Demenz-

simulation eingeübt, Prophylaxekonzepte entwor-

fen, klinische Nahrungsergänzungen ausprobiert,

Transfertechniken vom Rollstuhl auf den zahnärzt-

lichen Behandlungsstuhl eingeübt und die Hilfs-

mittel aus der Pflege sowie die Ausrüstung für eine

mobile aufsuchende Betreuung getestet. Bei den

Stationen zu den Veränderungen der Sinneswahr-

nehmungen werden zahnmedizinische Aufgaben-

stellungen vorbereitet, die den Aufwand des Patien-

ten und seines betreuenden Umfelds verdeutlichen

sollen: Schwierigkeiten, wie das Heraussuchen der

Adresse einer Zahnarztpraxis oder die Verwendung

von Zahnzwischenraumbürstchen bei einem Hand-

tremor können mit einer Simulationsbrille für Au-

generkrankungen und einem Tremorhandschuh

verdeutlicht werden. Zudem können die Parcours-

teilnehmer durch einen Alterssimulationsanzug,

einen Hemiplegieanzug, Gelenkversteifungen,

Hörschutz und Simulationsbrillen körperliche Ein-

schränkungen erfahren (Abb. 3 bis 7).

Als besonders eindrücklich beschreiben die Teil-

nehmer des Gero-Parcours die simulierten Sinnes-

und Mobilitätseinschränkungen. Dies gipfelt laut

Aussagen einiger Zahnärzte darin, ihre Patienten

und deren Einschränkungen erstmalig verstanden

zu haben. Weitere Informationen zu dieser Fortbil-

dung können über eine Anfrage an ina.nitschke@

medizin.uni-leipzig.de angefordert werden.

FazitAbschließend kann festgestellt werden, dass die

Herausforderungen, die die Alterszahnmedizin mit

sich bringt, aus einem weitschweifenden Blickwin-

kel mit gerostomatologischem Wissen zum Wohle

unserer älteren Patienten angegangen werden soll-

ten. Die Teams, die sich in das Fachgebiet eingear-

beitet haben, haben sich oft sehr gestärkt und tre-

ten gemeinsam an, neben der zahnmedizinischen

Versorgung auch einen Beitrag zur Verbesserung

der Lebenswelt der Senioren zu leisten. Dies er-

höht sehr häufig auch die Zufriedenheit der Team-

mitglieder nachhaltig. Curricula zur Fortbildung

im Bereich der Seniorenzahnmedizin gestaltet

die Deutsche Gesellschaft für AlterszahnMedizin

(www.dgaz.org). Zwei Module mit jeweils vier Fort-

bildungstagen finden in Berlin und München in

Zusammenarbeit mit der Akademie der Praxis und

Wissenschaft (www.apw.de/curricula/curriculum-

alterszahnmedizin-pflege) statt.

Mit einem gerostomatologisch geschulten Praxis-

team macht es auch Freude, die Herausforderun-

gen als Team anzunehmen und die facettenreiche

Klientel der Senioren zufriedenzustellen. Die älteren

Patienten bedanken sich oft mit langjähriger Praxis-

treue für die altersgerechte zahnmedizinische Be-

treuung, die allgemein zahnärztlich tätige Kollegin-

nen und Kollegen leisten können.

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Ina Nitschke MPH

Universitätsklinikum Leipzig AöRDepartment für Kopf- und Zahnmedizin

Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und WerkstoffkundeLiebigstraße 12, Haus 1

04103 [email protected]

Literatur bei den Verfassern Es liegen bei den Autoren keine Interessenkonflikte vor.

Abb. 7: Demenzsimulation

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