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Shannon Delany Die Nächte des Wolfs Zwischen Mond und Verderben

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Shannon Delany Die Nächte des Wolfs

Zwischen Mond und Verderben

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Die Autorin

© N

ina

Gee Shan non Del any war schon

im mer fas zi niert von Ge schich te, My then, Le gen den und Par a­norma lem und schreibt schon seit ih rer Kind heit. Die ehe­ma li ge Leh re rin be treibt heu te, ne ben dem Schrei ben, eine Tier farm im länd li chen New York und liebt es, zu rei sen und mit Men schen über Gott und die Welt zu spre chen.

Wei te re lie fer ba re Ti tel bei cbt:Die näch te des Wolfs – Zwi schen Mond und Ver spre chen (38029)

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Shannon Delany

Die Nächte des WolfsZwischen Mond und Verderben

Aus dem Amerikanischen von Friedrich Pflüger

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cbt ist der Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House

Verlagsgruppe Random House FSC® N001967 Das für dieses Buch verwendete FSC®­zertifizierte Papier Holmen Book Cream liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

1. Aufl a geDeut sche Erst aus ga be Sep tem ber 2013Ge setzt nach den Re geln der Recht schreib re form© 2011 by Shan non Del anyDie ame ri ka ni sche Ori gi nal aus ga be er schienun ter dem Ti tel »Sec rets and Sha dows« beiSt. Mar tin’s Press LLC, New York© 2013 cbt Ver lag, Mün chenin der Ver lags grup pe Ran dom House GmbHAlle deutsch spra chi gen Rech te vor be hal tenDie ses Werk wur de im Auf trag vonSt. Mar tin’s Press LLC durch die Li te ra ri sche Agen turTho mas Schlück GmbH, 30827 Garb sen, ver mit telt.Über set zung: Fried rich Pflü gerLek to rat: Iv ana Ma rin ovicUm schlag bil der: Al amy (I. Glory/RF, Or gan ics image lib rary/Nic Mil ler);Getty i mages (Ar chi ve Pho tos/Den nis Halli nan); Istock pho to (Igor Djuro vic)Um schlag ge stal tung: init. Büro für Ge stal tung, Biel efeldkg · Her stel lung: kwSatz: Buch­Werk statt GmbH, Bad Aib lingDruck und Bin dung: GGP Me dia GmbH, Pöß neckISBN: 978­3­570­38030­7Prin ted in Germ any

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Für die zwei Jungs, die mich je den Tag da ran er in nern, was Lie be, Treue und Freund schaft wirk lich be deu ten –

mei nen Ehe mann Karl und mei nen Sohn Ja iden.In kei ner Spra che fin den sich Wor te, die voll stän dig

be schrei ben, was ihr bei de mir be deu tet.

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Pro log Vor et was mehr als ei nem Jahr

In ei ner schein bar ganz nor ma len Wohn ge gend au ßer halb von Far thing ton liegt Är ger in der Luft. Schnur ge ra de Geh­we ge und sorg sam ge trimm te Ra sen flä chen säu men die Rei­hen häu ser und die üb li chen Häuf chen Ei gen hei me. Es ist eine ru hi ge Ge gend, wo je der je den zu ken nen scheint. Aber manch mal trügt die ser Schein, denn nicht sel ten steckt hin­ter den Be woh nern ei ni ges mehr, als die Nach barn ver muten.

In ei nem sol chen un schein ba ren Gar ten hält ein Mann mit ei ner an ge bo re nen, fast tie risch an mu ten den Ge schmei­dig keit ab rupt inne. Wie sein äl te rer Sohn Max ist er hoch­ge wach sen mit brei ten Schul tern, da bei schlank wie Pietr, sein Jüngs ter, und vom Typ her dun kel wie alle Rusa kovas, mit ei nem leich ten Sil ber schim mer im Haar.

So jung ist der Va ter noch, und doch neigt sich sein Le­ben dem Ende. Nicht we gen der frag wür di gen Ent schei dun­gen, die er als jun ger Mann ge trof fen hat – und die sei ne Frau ver an lass ten, die Kin der un ter ih rem Fa mi li en na men auf zu­zie hen statt un ter sei nem – son dern weil An drei, so nor mal sein Um feld auch schei nen mag, sich in kei ne Norm fügt.

Er zö gert am Lat ten zaun, die sem Sinn bild für Glück und Er folg im ame ri ka ni schen Traum, der so oft un er füllt bleibt.

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Aber für ihn ist selbst ein hüb scher Zaun nichts wei ter als ein Kä fig. Wut ent brannt blickt er zum Nach bar haus hi nü ber, ei­nem schlich ten tau ben blau en Holz haus mit Ve ran da, wäh­rend sei ne Frau Tati ana ins Freie tritt und zü gig, leicht fü ßig den Ra sen über quert.

Sie ist rank und schlank wie ihre Toch ter Cathe rine, aber in ih rem vol len brau nen Haar flam men rote Sträh nen auf wie kup fer far be nes Wet ter leuch ten. Wie zur Fra ge neigt sie den Kopf und ihre Na sen flü gel be ben. Be sorgt zie hen sich ihre Au gen brau en zu sam men. Sie tritt ihm in den Weg, fleht: »Komm he rein«, und legt ihre Hand auf sei nen Arm.

Er schüt telt die Hand ab wie ein Hund den Re gen. Sein Ge sicht ist rot vor Zorn und er durch bohrt das Haus des Nach barn förm lich mit Bli cken. »Wie er dich im mer an­sieht …«

Sie er rö tet, als müs se sie sich da für schä men, ob wohl sie nichts für die Wir kung kann, die sie auf den Mann aus übt. Die ses Tier un ter ih rer mensch li chen Haut mit sei nen Kral­len und sei ner Ge schmei dig keit ist es, das man che Män ner reizt, sie be tört und ihre nie de ren Ins tink te weckt.

Am blau en Haus geht die Tür auf, der Mann tritt he raus und winkt ihr zu. Sein brei tes Grin sen ver sucht nicht ein mal, sei ne un an ge brach te Auf merk sam keit zu ver ber gen.

Die Son ne geht un ter, lässt an den Berg spit zen im Sü den je doch ei nen Schim mer wie eine Blut spur zu rück. Dies sind die ge fähr li chen Stun den, wenn die Haut den Wolf im In­nern kaum noch zu hal ten ver mag, wenn das Biest im mer un bän di ger aus der ver meint lich mensch li chen Brust her­vor drängt.

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»Ich wer de ihm das Herr rz herr rausrr rei ßen …«Fau chend setzt ihr Ehe mann über den Zaun hin weg. Nicht

zum ers ten Mal lässt es ein Mann am ge bo te nen An stand feh len, aber sie fürch tet, dass es die ses Mal nicht ohne Fol­gen bleibt.

Es ist ein Wett lauf, die brei te Ve ran da trep pe hi nauf bis zum Nach barn, der nicht be greift, dass er hi nein ge hen, die Tür ver rie geln und sich in ei nem Schrank ein schlie ßen soll te, dass er dort aus har ren soll te bis zum Mor gen und be ten, dass der Ver stand über die Ra se rei siegt.

Aber er steht nur da, breit bei nig und kampf be reit. »Run­ter von mei ner Ve ran da, Rusa kova«, zischt er.

Ein lä cher li ches Ge räusch ver gli chen mit dem, was aus An drei her vor bricht. Ein tie fes Knur ren ent ringt sich sei ner Brust, wäh rend er mü he los mit ei nem Satz die letz ten drei Stu fen nimmt.

Schon packt er den Mann, der sei ne Frau so un ver schämt an starrt, und blin de Wut er stickt sei ne Wor te. Ein Knur ren, ein Brül len – Wor te be deu ten nichts, wo sol che Ta ten spre­chen. Aus An dreis Ta ten spre chen Zorn, Ra che – blan ker Hass.

Der Mann er schlafft in sei nen Hän den, er hat sei ne An­griffs lust of fen bar ver lo ren, denn nun schreit er und schlägt pa nisch und un ge lenk nach An dreis Ge sicht, wel ches pul­siert, sich ver zieht. Sich ver wan delt …

Je mand er scheint am Fens ter, schiebt die Gar di nen zur Sei te. Das Ent set zen formt ih ren Mund zu ei nem »O«. Die Frau des Lüst lings – in sei nen Au gen eine graue Maus, die er miss ach tet, wenn er sie nicht ge ra de in al ler Öf fent lich keit

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demü tigt. Sie schiebt ih ren Sohn weg und der Vor hang fällt wie der vors Fens ter.

Hin ter dem Mann fällt klack end die Tür ins Schloss, mit ei nem sat ten Knall schnellt der Rie gel ins Schließ blech. Nun ist kein Rück zug mehr mög lich.

Tati ana schiebt sich zwi schen die Män ner, ächzt vor An­stren gung. »Auf hö ren«, drängt sie mit auf ge ris se nen Au gen.

Lich ter fla ckern in der rasch ein set zen den Däm me rung, tau chen das Wohn ge biet in Rot, Weiß und Blau und im mer lau ter schnei det das Heu len ei ner Po li zei si re ne in die Stil le der Vor stadt stra ßen.

»Wir sind noch nicht fer tig«, schnarrt An drei halb ab ge­wandt. Er wirft sich den Mann über die Schul ter, trabt um die Haus ecke in den baum be stan de nen Gar ten und wei ter in die Schat ten, die sich da hin ter be droh lich zu sam men zie hen.

Nach ei nem kur zen Blick zur Stra ße beißt Tati ana die Zäh ne zu sam men, folgt ih rem Mann und ver schwin det in der Dun kel heit.

Ein Hau fen Uni for mier ter stürmt auf die Ve ran da, wäh­rend sich ein Ge län de wa gen laut los am Haus vor bei schiebt und mit sei nen Schein wer fern Lö cher ins Dun kel sticht.

Im Haus der Rusa kovas drückt Cathe rine das Ge sicht an die Schei be, Pietr ist bei ihr. Viel aus rich ten kön nen sie nicht, denn bis zur ers ten voll stän di gen Ver wand lung der Zwil lin ge fehlt noch mehr als ein Jahr.

Al exi geht auf und ab, sich ver wan deln und los zie hen will er nicht. Er fährt sich mit zit tern den Fin gern durchs Haar, weist Cather ines Bit ten wie auch Piet rs Dro hun gen zu rück. Cathe rine fleht und schluchzt, bis von ih rer Stim me nur

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noch ein hoh les Fi epen üb rig ist. Am Fens ter lau fen ihre Trä nen he run ter und die Welt dort drau ßen scheint zu zer rin­nen. Pietr zieht sie weg und schließt sie still in sei ne Arme.

Und so hart nä ckig sich Al exi wei gert ein zu grei fen, wünscht er sich nichts sehn li cher, als jetzt bei sei nen El tern zu sein, die ihn adop tiert und sein Ge heim nis ge hü tet ha ben: dass er an ders ist als sei ne Ge schwis ter … ent setz lich er wei se nur ein ge wöhn li cher Mensch.

Der ein zi ge Rusa kova – der ein zi ge Wolf –, der hel fen könn te, ist nicht da. Max ver bringt auch die se Nacht wie der mit ir gend wel chen Mäd chen, durs tig nach so viel Le ben wie mög lich in der kur zen Zeit span ne, die ihm zu ge mes sen ist.

Im Wald nicht weit vom Gar ten ent fernt steht sich das tra gi sche Trio ge gen über. Tati ana hat vor Är ger in den röt­li chen Wolf spelz ge wech selt, um kreist die Wi der sa cher und ringt knur rend um ihre Auf merk sam keit. An drei lässt den Mann los und re det in keh li gem Rus sisch auf die be sorg te Wöl fin ein. Er möch te er klä ren, sucht nach ei ner Recht fer­ti gung, doch die lan gen spit zen Zäh ne er schwe ren das Spre­chen. Ver stört hält er inne, wäh rend sein Stoff wech sel – sei ne Wolfs na tur – die Subs tanz in sich auf saugt, die ihn so im Griff hat te.

Der Nach bar blickt um sich, denkt an Flucht. Sei ne Jeans sind feucht von Schlim me rem als den Trä nen, die ihm über das angst ver zerr te Ge sicht lau fen. Arg wöh nisch be äugt er die Wöl fe.

Plötz lich rich ten sich alle Au gen auf et was – je man den – im Schat ten. Die Wöl fin Tati ana heult auf an ge sichts des Ver rats und über die Lip pen des Lüst lings huscht wie der ein Lä cheln.

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Ein fei ner Strei fen Mond licht spielt auf dem Lauf ei ner Waf fe, die sich auf sie rich tet und lau ten An wei sun gen Nach­druck ver leiht. Die Wöl fin fügt sich und wen det sich seit­wärts. Ge hor sam ist nicht An dreis Sa che. Er setzt zum Sprung an, die Ver wand lung voll zieht sich mit ten in der Luft …

… An mut für ei nen Au gen blick …… fin det mit ei nem blen dend grel len Mün dungs blitz ein

jä hes Ende.Er stürzt, wird mit ei nem Äch zen, mit Sprit zern von Blut

aus der Luft ge ris sen, um sich nie wie der zu er he ben. Die kup fer ro te Wöl fin schnup pert am leb lo sen Kör per ih res Ge­fähr ten, ein ver zwei fel tes Win seln schnürt ihr die Keh le zu. Dann schöpft sie Kraft aus ih rer Wut, springt auf, um tot an sei ner Sei te zu fal len, bei ih rem Ge mahl …

Ihr Herz …Wie der fährt ein Mün dungs blitz durch die tin ten schwar ze

Nacht und sie tau melt zu Bo den, er schlafft.Still.Reg los.

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1Jetzt

»Nach dem töd li chen Au to un fall dei ner Mut ter hast du dich also um die Re ha bi li ta ti on ih rer ge dächt nis ge stör ten Mör de­rin ge küm mert, ei nen neu en Jun gen an der Schu le ken nen­ge lernt, dem du dei ne Zu nei gung nicht ge zeigt hast, um die Ge füh le ei ner Freun din nicht zu ver let zen. Dann hast du er­fah ren, dass der Jun ge von der CIA ge jagt wird – un ter an de­rem von ei ner Agen tin, die sich an dei nen Vater ran ma chen will –, und ge jagt wird er, weil er ein Wer wolf ist.«

Es ent stand eine lan ge Pau se. Ich ging ih ren Ab riss der Er­eig nis se noch ein mal durch und hak te in Ge dan ken all die Ab sur di tä ten ab, die mein Le ben in letz ter Zeit be stimmt hat­ten. »Sie ha ben die rus si sche Ma fia ver ges sen und auch die Schie ße rei, in die wir ge ra ten sind.«

Dr. Jones sah auf ihr Klemm brett und mein te: »Ja, das stimmt.« Sie mach te eine No tiz. »Nun, sieht aus, als wäre die Zeit schon um.« Sie ließ den Ku gel schrei ber kli cken und leg te ihn schließ lich auf dem gro ßen E ben holz schreib tisch ab. »Die se Ge schich te ist wirk lich fas zi nie rend.« Das wuss te ich selbst nur zu gut. »Aber.«

Ich setz te mich ge ra de hin, wo bei das Le der so fa knarzte, und be dach te sie mit mei nem über zeu gends ten Aber was?­

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Blick, den ich auf La ger hat te. Den Mund hat te ich mir längst fus se lig ge re det.

So un gern ich das auch zu ge be: Die Be ra tungs leh rer hat­ten recht. Es tat gut, sich ei nem un vor ein ge nom me nen Ex­per ten an zu ver trau en und sich al les von der See le zu re den. Ich war te te also ab und blick te sie er war tungs voll an. Aber konn te ja nicht al les sein, was sie nach mei ner um fang rei­chen Beich te zu sa gen hat te.

»Aber … wenn du den Ver lust dei ner Mut ter wirk lich über­win den möch test – und im Grun de geht es hier um nichts an de res –, dann wirst du dich der Re a li tät stel len müs sen.« Sie stand auf und ver zog den Mund.

Der Re a li tät stel len? Die hat te ich ihr doch haar klein ge­schil dert. So gar die Rusa kovas hat te ich preis ge ge ben, um mei nen im Schwin den be grif fe nen Ver stand nicht vol lends zu ver lie ren.

Ich konn te ein fach nicht an ders. Ich lach te, nein, ich prus­te te laut los.

Wie oft ich in den ver gan ge nen zwei Mo na ten, seit ich Pietr Rusa kova kann te, die Wahr heit ge sagt hat te, konn te ich an ei ner Hand ab zäh len. Und die Lü gen? Der Aus druck Ü ber hand neh men ge wann beim blo ßen Ver such, die Über­sicht zu be hal ten, eine ganz neue Be deu tung.

Aber dass man mich nun, da ich end lich rei nen Tisch mach te, so aufl au fen ließ? Das hat te ich nicht er war tet.

Zwin kernd mein te sie: »Jetzt mal im Ernst, Jes sica. Die Rus sen ma fia? Ge heim agen ten? Wer wöl fe?« Sie lach te. »Viel­leicht soll te ich es wie an de re Psy chi a ter ma chen und dir ein­fach et was Neu ar ti ges mit ei nem schi cken Na men ver schrei­

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ben. Ich will dich aber nicht mit Me di ka men ten ab spei sen, son dern dir hel fen, da mit es dir bes ser geht. Ich will, dass du wie der Halt fin dest.«

»Sie glau ben mir nicht.«»Mei ne Er fah rung sagt mir, dass du mich an der Nase he­

rum führst. Die meis ten Kin der ma chen beim ers ten Be such ent we der gleich ganz dicht oder sie spa ren den Kern des Prob­lems aus. Du da ge gen« – sie schiel te auf ihr Klemm brett – »bist He raus ge be rin der Schü ler zei tung und um Ein fäl le be­stimmt nicht ver le gen. Also hast du den an de ren Weg ein ge­schla gen und dei ne Kre a ti vi tät spie len las sen. Das ehrt dich, aber ich habe da eine hohe To le ranz schwel le.« Sie senk te die Stim me und zau ste die Ecken ih rer No tiz zet tel. »Muss man ja auch, wenn man mit Kin dern ar bei tet«, mur mel te sie. »Dei ne über bord en de Fan ta sie ist auch nicht schlim mer als bei an­de ren Tee na gern.«

»Ich habe ei nen Men schen um ge bracht.« Gott im Him­mel, hör te sie denn nicht zu bei all den No ti zen, die sie sich mach te?

»Ja, Jes sica, das hast du be reits ge sagt. Aber wo ist dann die Lei che, mei ne Lie be? Je mand müss te doch zu min dest Spu ren von dem von dir ge schil der ten Blut bad ge se hen ha ben. Wa­rum hat nichts da rü ber in den Zei tun gen ge stan den?«

»Das habe ich doch schon ge sagt. Die Agen ten ha ben ein …« Ich kau te auf der Lip pe. Wa rum fie len mir nie die pas sen den Wör ter ein, wenn ich sie brauch te? »Ein Rei ni­gung steam hin be or dert.«

»Die Agen ten, ver ste he.« Sie mal te mit den Fin gern Gän­se füß chen in die Luft. »Ein schließ lich«, sie schlug die Blät­

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ter auf ih rem Klemm brett um, »Wanda, un se rer Bib li o the­ka rin.«

»Bib li o the ka re wer den ge ne rell un ter schätzt«, gab ich zu­rück. »Und ja, sie ar bei tet an der Aus kunft und sie ist eine schwer be waff ne te Ge heim agen tin.«

»Selbst ver ständ lich.« Dr. Jones lä chel te noch im mer. »Also. Ein falls reich, und weil du wahr schein lich bei vie len Bü chern die Leih frist über zo gen hast vol ler kre a ti ver Ver­dachts mo men te ge gen Bib li o the ka re. In te res sant.«

Ich wuss te gar nicht, was ich dazu noch sa gen soll te. Ich hat te ihr wirk lich al les er zählt.

»Wie auch im mer. Es sind ja dei ne Kran ken ver si che rungs­bei trä ge, und es steht dir frei, sie an dei ne Hirn ge spins te zu ver schwen den.«

Sie dreh te sich weg und sah aus dem Fens ter – das Ge­spräch war zu Ende. Ich stand auf, häng te mir die Ta sche über die Schul ter und ging ge nau so ver wirrt zur Tür hi naus, wie ich he rein ge kom men war.

Ich hat te die neu en Um stän de ei gent lich als Nor ma li tät an neh men wol len. Re gel mä ßi ge Be ra tungs ge sprä che. Mein Le ben ohne Mut ter. Kei ne Schie ße rei en mehr mit der rus si­schen Ma fia. We nig Kon takt mit der CIA. Und eine Art Be­zie hung zu ei nem Wer wolf, der noch im mer mit mei ner geis­tig la bi len Freun din Sa rah zu sam men war, weil wir be fürch­te ten, an sons ten ih ren Rück fall in die Psy cho se aus zu lö sen.

Okay, mei ne neue Nor ma li tät un ter schied sich doch ziem­lich von dem, was an de re für nor mal hiel ten, aber bes ser krieg te ich es eben nicht hin.

Im mer hin kam ich jetzt wie der zum Rei ten, er le dig te das

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Nö ti ge auf der Farm und für die Schu le und ar bei te te für die Schü ler zei tung.

Und ich hat te mei ne Freun din nen. Amy hielt mir den Rü­cken frei, und So phia, nun, sie ließ sich je den falls so oft bli­cken, dass ich wuss te, dass ihr et was an mir lag – oder von den Tra gö di en fas zi niert war, die mich zu ver fol gen schie nen. Und dann war da noch Sa rah – schön und en gel haft und mit der ma ßen ein ge schränk tem Er in ne rungs ver mö gen, dass man sich in ih rer Ge gen wart bei na he si cher füh len konn te.

Hof fent lich.Auch Derek (der Star un se rer Foot ball­Mann schaft)

such te nun mei ne Nähe, zeig te sich häu fig und lä chel te mich in ei ner Wei se an, die mein Herz ra sen ließ. Ich war Ti ta nic-mä ßig (also wie das Schiff ge gen den Eis berg) in ihn ver knallt ge we sen. Jah re lang.

Nun, bis Pietr auf tauch te und al les an ders wur de.Je den falls hät te mei ne neue Nor ma li tät ganz pri ma sein

kön nen. Nicht per fekt, aber ak zep ta bel. Fast ver nünf tig.Die Leu te im ag gres si ons min dernd beige far ben ge stri che­

nen War te zim mer ver steck ten sich hin ter Zei tun gen und Zeit schrif ten, die schon so alt wa ren, dass die Le ser da mit eher ihre Ge schichts kennt nis se auf frisch ten, als dass sie was Neu es er fuh ren.

Alle au ßer ei ner Per son.Cathe rine Rusa kova wink te mir, stand auf und folg te mir

aus dem War te zim mer. Ei gent lich war sie un schein bar wie ein Schat ten im Dun keln, an de rer seits aber kaum zu über se­hen, wenn sie es nur woll te.

Wie jetzt zum Bei spiel.

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Mit ei nem Kli cken schloss sich hin ter mir die Tür. »Hal lo, Cat.« Wie soll te ich mich ver hal ten? Dass mir Piet rs Zwil­lings schwes ter auf den Fer sen war – Wer wolf Num mer zwei –, war neu.

Ihre man del för mi gen, von dich ten Wim pern ge säum ten Au gen fun kel ten un wahr schein lich blau. Ihr aus drucks vol les Ge sicht mit den ho hen Wan gen kno chen war eher das ei ner ar cha i schen Göt tin als das ei nes Wer wolf.

Gut mög lich al ler dings, dass die ar cha i sche Göt tin man­cher orts gleich zei tig Wer wöl fin war …

Die Rusa kovas wa ren glei cher ma ßen groß, kräf tig und gut aus se hend, in ih ren Zü gen misch ten sich Ele ganz und Bru ta­li tät aufs Vor teil haf tes te. Seit ich ge se hen hat te, was aus ih­nen wur de – was sie in Wahr heit wa ren –, konn te ich ih nen nicht mehr in die Au gen se hen, ohne den Schat ten der Bes­tie da rin wahr zu neh men, eine An deu tung, die hin ter dem strah len den Lä cheln lau er te.

»Priv jet«, be grüß te mich Cat. »Ich hat te kei ne Ah nung, dass du zu ei ner Psy chi a te rin gehst, bis es mir dei ne Schwes­ter er zählt hat«, räum te sie ein, wo bei das sanft ge roll te R ih rer Mut ter spra che den Wor ten eine be son de re Fär bung ver lieh.

Nett. Da wa ren also ein paar klä ren de Wor te mit An na­belle Lee an ge sagt. Manch mal war sie ein fach viel zu hilfs­be reit. Nur nicht zu mir.

»Weiß Pietr das auch?«, frag te Cat.Ich schüt tel te den Kopf. Das war eine Sa che, die ich ihm

bis lang nicht hat te er zäh len kön nen. Es re de te sich ein fach leich ter über die Schu le und über Bü cher als da rü ber, dass

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man aus schwer wie gen den Grün den in psy chi at ri scher Be­hand lung war.

»In An be tracht der Um stän de hal te ich das für ver nünf­tig.« Sie lä chel te, und ich un ter drück te das Schau dern, das mich über lief. Im mer hin konn te sich die ses hüb sche Lä cheln im Hand um dre hen in ein teufl i sches Raub tier ge biss ver wan­deln, wann im mer sie das woll te. »Du hast in letz ter Zeit wirk lich ziem lich viel Schreck li ches mit an se hen müs sen.«

Ich blieb ne ben ei ner Topf pflan ze ste hen, die aus sah, als könn te sie et was Was ser ver tra gen – oder eine an stän di ge Be er di gung. »Aber?«

»Was aber?«»Ich un ter hal te mich wirk lich für mein Le ben gern mit dir,

Cat, aber wa rum bist du hier?«Sie leg te den Kopf schräg und mus ter te mich aus den Au­

gen win keln. »Nur sehr sel ten er fährt je mand au ßer halb un­se rer Fa mi lie die Wahr heit über uns, Jes sie. Und man könn te leicht ner vös wer den bei dem Ge dan ken, dass eine sol che Per son et was aus plau dern könn te.«

»Ich möch te nie man den ner vös ma chen.« Ich be kam feuch te Hän de. Ner vös war ein Ad jek tiv, das ich kei nem Mit­glied ei ner Wer wolf fa mi lie mit all zu gro ßem Be ha gen an ge­hef tet sah.

»Und ge nau des halb bin ich ge kom men«, er klär te Cat. »Um die Sa che bes ser zu ver ste hen, be vor die Jungs da hin­ter kom men. Du bist für un se re Fa mi lie näm lich sehr wich tig, Jes sie. Da habe ich kei ner lei Zwei fel.«

»Weil ich die Mat rjoschka auf be kom men und den An hän­ger ge fun den habe?«

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»Da.«Ich ließ sie nicht aus den Au gen und war te te. »Und?«Sie seufz te. »Und we gen dem, was in dei nen Tee blät tern

zu le sen war.« Sie schüt tel te den Kopf und das Lä cheln ver­flüch tig te sich. »Ich muss dich fra gen, was …«

»Al les, Cathe rine. Ich habe ihr al les haar klein er zählt.«Fast fei er lich trat sie ei nen Schritt zu rück. »Über die CIA?«»Ja.«»Die Rus sen ma fia?«»Ja.« Mir stie gen Trä nen in die Au gen und droh ten über­

zu lau fen.»Und Wer wöl fe, Jes sie? Hast du er zählt, du hät test Wer­

wöl fe ge se hen?«»Ja!«, press te ich her vor, kniff die Au gen zu und er in ner te

mich an die ent setz li chen Bil der, die ich in letz ter Zeit in so vie len Fil men ge se hen hat te – wenn sich der Wer wolf ver­wan delt und dem Op fer die Keh le auf reißt.

Ich hielt den Atem an.Nichts ge schah.Ich schlug die Au gen wie der auf. Cathe rine blick te mich

er war tungs voll an. Das war für Raub tie re nicht au ßer ge wöhn­lich. Sie mus ter ten ihre Beu te.

»Es tut mir leid, Cathe rine. Ich muss te ein fach re den … muss te es ein fach je man dem er zäh len …«

Ihre Fin ger zuck ten leicht.Wie der kniff ich die Au gen zu sam men und war mehr als

ge fasst da rauf, die Ein ge wei de he raus ge ris sen zu be kom men. Fei ge hat te ich ihre Fa mi lie ver ra ten, um mein biss chen Ver­stand zu ret ten. Ich ver dien te es nicht an ders.

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»Was tust du denn da?«, spru del te es aus ihr he raus. Sie stand so dicht bei mir, dass ihr Atem wie eine war me Bri se über mein Ge sicht strich.

»Ich war te.«»Und auf was?«, frag te sie.»Den Tod?«, quietsch te ich und schlug vor sich tig ein Au­

gen lid auf – ge nau so, wie ich mir fast alle Wer wolf fil me an sah.

Sie lach te.Mein Herz poch te hef tig ge gen die Rip pen.Sie pack te mich so schnell, dass ich mir fast in die Ho sen

mach te. Sie hielt mich fest um armt und flüs ter te: »Du bist ein wahr haft selt sa mes Mäd chen, Jes sie Gill man sen.«

Sag te die Wer wöl fin.»Du soll test dir bes ser nicht die se schau der haf ten Hor ror­

fil me an se hen.«»Wo her weißt …? Ja, klar. An na belle Lee.«»Sie sorgt sich um dich.«»Ha.«»Du weißt ge nau, dass wir kei ne Hol ly wood­Ge schöp fe

sind.«»Vom Ver stand her schon.« Kei ne Hol ly wood­Ge schöp fe,

aber da für die Ab kömm lin ge ei nes er staun lich er folg rei chen wis sen schaft li chen Ex pe ri ments der UdSSR aus den ers ten Jah ren des Kal ten Kriegs.

Cat nick te. »Und glaubt die Ärz tin, was du sagst?«»Kein Wort.«»Aus ge zeich net.« Sie grins te spitz bü bisch. »Dann kannst

du ihr jetzt die Wahr heit sa gen, ohne dass es ir gend wel che

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Kon se quen zen hat.« Sie trat zu rück, spiel te mit ih ren kur zen dunk len Lo cken und hielt die fun keln den Au gen fest auf mich ge rich tet. »Will sie dir Me di ka men te ver schrei ben?«

»Nein. Sie ist da von über zeugt, dass ich auch ohne che mi­sche Un ter stüt zung bei Ver stand blei be.«

»Du bist ein echt cle ve res Mäd chen!« Sie warf die Hän de in die Luft. »Dei ne Me tho den sind ziem lich ab ge fah ren, aber sie funk ti o nie ren. Oh.« Sie kniff sich ins Ohr. »Dein Va ter ist un ter wegs. Der soll te mich hier bes ser nicht se hen.«

»Cat!«, rief ich, als sie schon in ei nen an de ren Kor ri dor ab bog. »Ich muss mit dir über Pietr re den …«

Sie nick te. »Ich kom me. Heu te Nacht. Sperr die Oh ren auf.«

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2Dad kam tat säch lich den Gang ent lang ge lau fen. Dass Cat da von wuss te, hät te mich nicht über ra schen dür fen – das Wa rum und das Wie wa ren aber schon merk wür dig.

Wenn ein Kind der Rusa kovas drei zehn wur de, dann ge­scha hen selt sa me Din ge mit ihm – selt sa mer als die Haa re, die sich bei ge wöhn li chen Tee na gern an den ab ar tigs ten Stel­len breit mach ten. So wur de bei spiels wei se ihr Ge hör sehr viel emp find li cher. Mit vier zehn Jah ren schärf te sich ihr Ge­ruchs sinn um ein Viel fa ches. Im Lauf des fünf zehn ten Le­bens jahrs wur den sie un ge mein stark und ge wandt, und im sech zehn ten ver such ten ihre Kör per, all mäh lich mit den wil­den Mu ta ti o nen fer tig zu wer den, die sich in ih nen voll zo gen.

Dann, vor ei ner gu ten Wo che, wur den die Zwil lin ge Pietr und Cat sieb zehn. Dass sich die bei den mit Er rei chen des sieb zehn ten Ge burts tags ver än dert hat ten, wäre eine maß­lo se Un ter trei bung.

Kei ner von uns leb te seit dem sein ge wohn tes Le ben.»Oh, Jes sie!«, rief Dad und klapp te sein Handy zu. Er warf

nur ei nen kur zen Blick auf mei ne von un ge wein ten Trä nen ge rö te ten Au gen, schlang die Arme um mich, hob mich vom Bo den und drück te mir mit ei nem lan gen Seuf zer die Luft aus den Lun gen. »Die ers ten paar Mal wird es am schwers ten sein«, sag te er und setz te mich wie der ab.

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Er strich mir das Haar aus dem Ge sicht. »Ge hen wir. Du siehst müde aus.« Er leg te mir die Hand auf den Rü cken und schob mich den Kor ri dor hi nun ter und aus dem Ge bäu de hi naus.

Er öff ne te die grü ne Bei fah rer tür, die ir gend wie zum blau en, mit Rost fle cken über sä ten Äu ße ren des Trucks da zu ge hör te, und setz te sich ans Steu er. Brül lend er wach te der Mo tor zum Le ben und Dad dreh te das los plär ren de alte Ra dio lei ser.

»Müs sen wir die sen Sen der hö ren?«»Ist doch nichts dran aus zu set zen«, er wi der te er.»Die spie len nur Zeug aus den Acht zi gern.«»Ich sag’s noch mal …«, aber dann ver kniff er es sich und

zwin ker te mir statt des sen zu. »Li vin’ on a prayer«, sag te er und nick te in Rich tung Ra dio.

Von ei nem Ge bet le ben – tat ich das nicht prak tisch Tag für Tag?

Mom und Dad wa ren voll auf die Rock bands der Acht zi ger mit den wil den Wu schel köp fen ab ge fah ren. Jetzt wo Mom nicht mehr da war, klam mer te er sich noch ver bis se ner an all das, was sie ge teilt hat ten. Au ßer wenn Wanda sich an ihn ran schmiss.

Würg.Ich un ter drück te die sen Ge dan ken nach Kräf ten, ver sank

in den Sitz pols tern und starr te aus dem Fens ter. Drau ßen zog Junct i ons Main Street vor bei. Von den bei na he nack­ten Bäum chen, an de nen die letz ten gel ben und oran ge nen Blät ter trot zig in der stei fen Herbst bri se we del ten, be kam ich so gut wie nichts mit. Ein Käl te ein bruch hielt Junct ion fest im Griff. Vor ei ner Wei le hat ten wir uns noch über die

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viel zu frü he Hal lo ween­De ko ra ti on mo kiert, aber nun, da das Laub und die Tem pe ra tu ren fie len, pass te es ei gent lich ganz gut.

Der Drei uhr zug pfiff schrill und das Ge rat ter der Wag gons drang über die we ni gen wirk lich be leb ten Stra ßen zü ge der In nen stadt ge dämpft he rü ber.

Dad bog bei McMil lan’s auf den Park platz ein. »Ich geh nur schnell Milch und Brot ho len«, er klär te er und stell te den Mo tor ab.

»Bei Skip per’s ist es aber bil li ger«, wand te ich ein.Sein Blick brach te mich auf der Stel le zum Schwei gen.

Nie mals wür de er dort wie der hin ge hen. Skip per’s teil te sich den Park platz mit dem ört li chen Vi deo ver leih. Und ge nau vor der Vi de o thek hat te ich am Abend des 17. Juni ge war­tet, dass Mom mich ab holt.

Das war der Abend, an dem Sa rah bei ei ner ver bo te nen Spritz tour in Moms Wa gen ge kracht war und sie da bei ge tö­tet hat te. Dad ver gab Sa rah ihre Dumm heit und ak zep tier te ziem lich un wirsch die neue klein lau te Sa rah (er staun lich, wie ein schwe res Kopf trau ma ei nen Cha rak ter ver bes sern konn te), wo bei er mei nem Bei spiel folg te.

Der Un fall ort selbst ließ ihn je doch nicht los – dazu ver­än der te er sich zu we nig. Der As phalt und die um lie gen den Ge bäu de be schwo ren ein fach zu vie le Er in ne run gen he rauf. Ich wuss te das. Auch für mei ne Alb träu me hat ten sie oft den Hin ter grund ge bil det.

Bis sie von den leb haf ten Bil dern der Nacht nach dem Ge burts tag der Rusa kova­Zwil lin ge ab ge löst wor den wa ren.

Seit dem Un fall hat te mei ne Fa mi lie sich ein gu tes Stück

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auf ge rap pelt. Oft hat te ich aber Zwei fel, dass wir uns je mals weit ge nug auf rap peln wür den.

Auf der Heim fahrt ver such te ich, die de ko rier ten Schau­fens ter nicht zu be ach ten – die Ske let te und Leucht spin nen in ih ren Po ly es ter net zen, die ganz Junct ion da ran er in ner ten, dass Hal lo ween im mer nä her he ran kroch.

Ge nau wie mein Ge burts tag. Noch ein Fest ohne mei ne Mut ter.

Dad, der alte Char meur, moch te mich für müde hal ten, aber mei ne Ge dan ken ras ten un ent wegt, so dass ich beim Ver such zu schla fen nie mals Ruhe ge fun den hät te. Zu Hau se an ge­kom men, schrieb ich so fort die No ti zen der Un ter richts stun­den vom Frei tag ins Rei ne. Na, fast ins Rei ne. Ich mar kier te die wich tigs ten Punk te, pack te die Hef te weg und ging zur Kop pel hi naus.

Auf ei nem Pfer de rü cken konn te ich ein fach bes ser den ken.Rio, mei ne kas ta ni en brau ne Stu te, wie her te ei nen Gruß

und stürm te auf den Zaun zu, um zu prü fen, ob ich wohl still ste hen blieb.

Ob ich ihr ver trau te.Sie flog he ran, schleu der te mit den Hu fen Erd bro cken in

die Höhe, mit ge bläh ten Nüs tern und wil dem Blick.Ich blieb lo cker und mit er ho be nem Kopf ste hen und mus­

ter te sie mit kaum ver hoh le ner Be lus ti gung. Rut schend kam sie zum Ste hen, dass un ter den Huf ei sen der Dreck nur so weg spritz te.

»Rio!«, ta del te ich.Sie schüt tel te die Mäh ne und drück te mir die Schnau ze an

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die Brust, so dass mir nichts an de res üb rig blieb, als ihr über den schlan ken Na sen rü cken zu strei cheln und ihre kla ren Au gen zu be wun dern.

Wenn es je man den gab, dem ich trau en konn te, dann war es Rio. Pfer de lo gen nicht.

»Auf geht’s«, sag te ich und schob ihr das Zaum zeug über den Kopf. Ich stieg auf eine Zaun lat te, sie kam he ran und blieb wie fest ge na gelt ste hen, als ich »al lez hopp« rief und auf stieg.

Ohne Sat tel spür te ich schon Be we gun gen, die Rio nur er­wog – je des Mus kel zu cken, je der Ge dan ke er reich te mich so­fort. Dazu muss te nichts aus ge spro chen wer den. Wenn sie ein Ohr zur Sei te dreh te, schnaub te oder mit dem Huf scharr te, wuss te ich so fort, was sie dach te oder auf dem Her zen hat te.

Wenn mein Le ben be son ders in Auf ruhr war, war ich bei Rio nie mals im Un kla ren. Bei mei nen Hun den Hun ter und Mag gie war ich da ge gen sel ten im Kla ren, aber da für wa ren sie stets für mich da.

Rio und ich dreh ten ein paar Run den auf der Kop pel – nichts Be son de res, nichts Auf re gen des, nur eine ge mäch li che Stei ge rung zu den raum grei fen den Schrit ten ei nes sau be ren Ga lopps, schon schweif ten mei ne Ge dan ken …

»Ho!« Ich zog die Zü gel straff. »Ent schul di ge, mei ne Schö ne.« Für ein paar Mi nu ten gin gen wir im Schritt und ich ver such te, all die Ge dan ken aus mei nem Kopf zu be kom­men. Es klapp te nicht. Selbst das rhyth mi sche Schla gen der Hufe konn te Piet rs Ver hal ten nicht aus mei nem Be wusst­sein ver trei ben.

Seit sei nem sieb zehn ten Ge burts tag hat te sich Pietr merk­

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lich zu rück ge zo gen. Wir hat ten uns da rauf ge ei nigt, dass er sich wei ter hin mit Sa rah tref fen und sie da bei all mäh lich von sich ent wöh nen sol le, um sich dann mir zu zu wen den. Wenn Pietr nicht aus hei te rem Him mel Schluss mach te, was Sa­rah be stimmt ver letzt wenn nicht kom plett zum Aus ras ten ge bracht hät te, dann war das nicht nur klü ger, son dern auch ir gend wie hu ma ner.

Bei der hu ma nen Me tho de kam ich mir aber noch mehr als Lüg ne rin vor. Pietr hat te mich dann und wann in ei ner dunk len Ecke mit ei nem Kuss über rascht, sich mei ne Hand ge schnappt und mei ne Fin ger be wun dert oder mir ein fach lan ge, atem lo se Mo men te in die Au gen ge se hen.

Das war al les vor sei ner ers ten Ver wand lung ge we sen.Seit her hat te es kaum ein Dut zend ver trau li cher Au gen bli­

cke mit ihm ge ge ben. Und mit Sa rah ging es of fen bar auch nicht rich tig vor wärts.

Nach wie vor te le fo nier te er oft mit mir – und streu te mit Vor lie be et was Rus sisch in die Un ter hal tung ein. Dass hara-scho »gut« be deu te te und pos ch alu sta »bit te«, wuss te ich be­reits, ich konn te auch Kaf fee be stel len oder, falls nö tig, nach der Toi let te fra gen. Konn te ich aber Ky ril lisch le sen? Kein Stück. Für mich war das noch im mer nichts als ein ma le ri­sches Ge krit zel.

Eine Wen dung al ler dings blieb er mir schul dig, und an die­ser lag mir am meis ten – aber nicht, weil ich da mit hau sie ren ge hen woll te. Wie man »ich lie be dich« auf Rus sisch sag te, woll te er mir ein fach nicht ver ra ten. Klar, on line hät te ich das schon raus be kom men, aber aus sei nem Mund klan gen die Wor te ein fach schö ner. Viel leicht mein te er, wenn er sie

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nicht aus spre chen konn te, dann soll te ich sie auch nicht ken­nen. Das war al les so komp li ziert.

Ich ließ Rio an hal ten und glitt von ih rem Rü cken. Ich führ te sie zum Stall, lös te be hut sam das Zaum zeug und rieb sie mit ei nem Tuch ab. Die Tür zu ih rer Box stand of fen, es sah nach ei ner kal ten Nacht aus und ich ließ ihr die Wahl.

»Gu tes Mäd chen«, be ru hig te ich sie. »Glaub mir. Es liegt an mir, nicht an dir«, sag te ich halb iro nisch und hat te doch Angst, die se Wor te von Pietr zu hö ren, wenn ich den Ab­stand zwi schen uns noch grö ßer wer den ließ.

Ich wusch das rest li che Ge schirr ab und sor tier te es zum Trock nen in den Stän der ge ra de als die letz ten Son nen strah­len wie Glut an den ja gen den Wol ken leck ten. Ob wohl der Wind die kah len Äste der Bäu me vor dem Haus schüt tel te, ließ ich das Fens ter über dem Spül be cken ei nen Spalt weit of fen, um Cather ines Zei chen nicht zu ver pas sen.

Ein Heu len feg te um die Farm und ich zuck te beim Ab­trock nen der Hän de hef tig zu sam men.

Nur der Wind.Wie der ein Heu len. Ich ging zur Tür. Dies mal ver lor es

sich im Ra scheln des tro cke nes Laubs, das über die Ve ran da tanz te. Seuf zend nahm ich mei ne Ja cke vom Ha ken.

»Wo hin gehst du?«Ich mach te vor Schreck ei nen Satz. Hin ter mir stand An­

na belle Lee. Sie hat te so ru hig in ih rem neu es ten Buch ge­le sen, dass ich sie am Tisch gar nicht mehr wahr ge nom men hat te.

»Ei nen Spa zier gang ma chen. Ist ein schö ner Abend.«

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Der Wind ließ das Haus er zit tern und An na belle Lee riss sich für ei nen kur zen Blick, der eben so leicht zu le sen war wie der von Rio, von At las Shrugged los. Sie glaub te mir nicht. Nicht das kleins te biss chen. »Ist Pietr dort drau ßen? War tet er auf dich?«

»Was? Wer?« Mist! Wo war Dad über haupt? Konn te er uns viel leicht auch hö ren?

Sie setz te das Buch ab. »Dad ist wie der los zur Fab rik. Eine Ma schi ne ist ka putt und ver teilt Scho ko la de über die gan ze An la ge. Zum Glück ist nie mand ver letzt. Kein Blut, aber eine Mords sau e rei, hat er ge sagt.«

»Hmm. Blood and Cho co late. Tol les Buch. Aber kei ne pas­sen de Ge schmacks rich tung für die Fab rik.« Ach sel zu ckend schlüpf te ich in die Ja cke.

»Dad hat dich auf die Wan ge ge küsst, be vor er ging. Das kannst du doch nicht ver ges sen ha ben.«

Beim Be rüh ren der Stel le kam mir das Schmir geln sei ner Nach mit tags stop peln vage in Er in ne rung.

Sie zog die Brau en noch dich ter zu sam men. Für ihre zwölf Jah re war An na belle Lee blitz ge scheit – Men schen al ler dings wa ren ihr oft ein Rät sel. Häu fig er wisch te ich sie da bei, wie sie mich an starr te, als be trach te sie mich un ter dem Mik­ros kop.

Als un ter su che sie mich. Ich konn te nur hof fen, dass sie aus mei nen Feh lern ge nug lern te, um ei ge ne zu ver mei den. »Du willst wirk lich spa zie ren ge hen?«

»Ja.«»Al lein?«»Ja.«

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Die Haus tür ächz te un ter dem Druck der nächs ten Sturm­böe.

»So was be lebt«, be teu er te ich, schlang mir den Schal um den Hals und krön te das Gan ze mit ei ner di cken Woll müt ze.

»Gut. Ich geh ins Bett.«Ich war kaum drau ßen auf der Ve ran da, als ich Cather ines

heu len den Ruf ver nahm. Wie hat te ich mich nur sor gen kön­nen, den Wind mit dem schwin gen den Ton zu ver wech seln, mit dem sie die Welt be hex te, wenn sie die Wolfs haut trug.

Ich folg te dem Ton den klei nen Ab hang hin ter un se rem Haus hi nun ter bis zum Wald rand, wo sich das Dun kel ver­dich te te und wie fri sches Laub um die herbst lich kah len Baum kro nen leg te.

»Cathe rine?«Im Wald ver stumm te je des Ge räusch.Der Wind leg te sich.Das Zit tern der we ni gen Blät ter an den Äs ten er starb und

mir kroch un ge ach tet der Schich ten von Klei dung eine ei­si ge Käl te den Rü cken hoch.

»Cathe rine?«, flüs ter te ich von Schat ten ein ge hüllt. Stock­steif stand ich da und kam zu dem Schluss, dass die ses je dem ge sun den Men schen ver stand wi der spre chen de Ver hal ten sehr rasch für mei ne Ent fer nung aus dem Gen pool sor gen wür de – falls Dar win recht hat te.

Wenn ich mich wei ter mit Wer wöl fen he rum trei ben woll te, muss te ich drin gend mei ne Über le bens chan cen ver­bes sern. Ich fass te in die Ta sche und ließ mei nen glat ten ver­trau ten Trost stein aus Pi eter sit durch die Fin ger glei ten. Die voll kom me ne Stil le zerr te an mei nen Ner ven. »Cat?« Wo

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moch te sie bloß sein? Arg wöh nisch und mit auf ge ris se nen Au gen späh te ich ins Dun kel.

Da stand ich also völ lig ver wirrt in ei nem Wald, der im Dun keln jede Ver traut heit ver lo ren hat te, und rief ein Raub­tier zu ei nem Plausch he ran – jep – in der Ka te go rie wür de ich de fi ni tiv durch fal len.

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3Cathe rine!«

Zu ei nem an stän di gen Schrei war nicht mehr ge nug Luft in mei ner Lun ge, nach dem ich zu Bo den ge schleu­dert wor den war. Die Wöl fin stand mit glän zen den Lef zen und schmal zu sam men ge zo ge nen, blut rot leuch ten den Au­gen über mir. Schwe re, mit dich tem se pia brau nem Pelz be­deck te Vor der pfo ten drück ten in mei ne Ma gen gru be und dau men lan ge Kral len pik ten durch Ja cke und Hemd bis auf die Haut.

»Ca aat«, keuch te ich.Sie öff ne te das Maul und prä sen tier te eine ein drucks vol le

Rei he von Reiß zäh nen. In die sem gei fern den Ge biss lau er te der Tod, und mein Herz setz te vor Schreck aus, als sie sich he run ter beug te. Die Hit ze ih res Atems schmerz te. Ich schloss die Au gen.

Sie war ein Wer wolf. Ein Höl len hund, eine Bes tie, ein Ge stalt wand ler – ein Alb traum, der mir mü he los den Kopf he run ter rei ßen konn te.

In Fil men gin gen sol che Be geg nun gen nie gut aus.Sie knurr te – ein Ge räusch, das wie Press luft ge häm mer an

mir zerr te.Dann leck te sie mich ab.Ein di cker, schlabb ri ger Hun de kuss auf die Wan ge. Sie

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sprang auf, jaul te wie ein ver spiel ter Wel pe und stell te sich, be reit zur Ver wand lung, auf die Hin ter läu fe.

Ich saß mit ver schränk ten Ar men am Bo den. »Nicht lus­tig, Cat.«

»Was?«, frag te sie, die Au gen schein hei lig ge wei tet.»Dich so an zu schlei chen …«Sie leg te den Kopf schief.»So … als …«»Wöl fin?«, frag te sie.Ich nick te. Hef tig.»Aber eine Wöl fin bin ich doch im mer«, ent geg ne te sie.

»Ich bin obo rot.«»Obor­was?«»Obo rot. Ver wan delt.« Sie lä chel te reu mü tig. »Darf ich

denn kei nen Spaß ha ben als das, was ich nun ein mal sein muss?«

Ich stöhn te. »Kön nen wir uns viel leicht da rauf ei ni gen, dass du mich nicht an springst? Oder zer fleischst? Oder …«

Hell klang ihr La chen zwi schen den Bäu men. »Jes sie. Glaub mir, ich wür de dich nie ver let zen. Kei ner von uns.« Sie ließ sich auf die Knie nie der und mach te es sich dann im Laub be­quem – hier drau ßen fühl te sie sich of fen sicht lich zu Hau se.

Ich ließ die Schul tern sa cken und starr te auf mei ne Hän de, die schlaff in mei nem Schoß la gen. »Pietr ist mir ge gen über ver let zend – er ver wirrt mich völ lig.«

»Er ist ein Jun ge, schon ver ges sen?«»Rich tig. Ganz im Ge gen satz zu dir. Ap ro pos – ist dir nicht

kalt? Wo sind dei ne Klei der?« Ich ver mied es, sie di rekt an­zu se hen – nackt, wie sie ganz in mei ner Nähe lag.

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»Oh. Iswin ite. Ent schul di ge, Jes sie. Mit der Ver wand lung steigt die Kör per tem pe ra tur. Al exi meint, wir wür den sehr viel ef fek ti ver von der ae ro ben zur an ae ro ben Zell at mung wech seln. Hat et was mit der un ter schied li chen Durch läs sig­keit der Memb ra nen der Mi toc hond rien bei euch und bei uns zu tun …« Sie gähn te de mons t ra tiv und we del te da bei mit der Hand vor dem Mund.

»Oh.«»Fin dest du mei ne Nackt heit an stö ßig?«Wie soll te ich er klä ren, dass nie mand an ih rer Nackt heit

An stoß neh men konn te? Sie war ja prak tisch eine le ben dig ge wor de ne, klas sische grie chi sche Sta tue. Das Ein zi ge, das ernst haft An stoß nahm, war mein Selbst wert ge fühl.

»In Eu ro pa ist Nackt sein nichts Be son de res«, ver si cher te sie. »Was ich dort al les ge se hen habe …« Ihre Au gen fun kel­ten. »Aber wir sind so an ders hier, praw da?«

Rus sisch­ame ri ka ni sche Wer wöl fe wa ren an ders – ganz egal, wo sie wa ren. Aber sie hat te recht. »Da. Praw da. Das ist wahr.«

Sie ki cher te. »Die Jungs tra gen ihre Klei dung im Maul mit sich he rum, aber ich las se mei ner Na tur lie ber frei en Lauf. Au ßer dem fin de ich den Ge schmack von Jeans stoff nicht be­son ders pri ckelnd.« Ach sel zu ckend füg te sie an. »Und meis­tens bin ich vor der Rück ver wand lung längst zu Hau se.«

Ich zog den Reiß ver schluss mei ner Ja cke bis zum Hals und schlang die Arme um die Knie. An ge sichts der vor mir aus ge­brei te ten Ma kel lo sig keit un ter zog ich mei ne ei ge nen weib li­chen Rei ze ei ner Neu be wer tung. »Dann stimmt das gar nicht, dass ihr ge wis ser ma ßen aus eu rer Klei dung ex plo diert?«

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Sie lach te. »Wäre ziem lich spek ta ku lär, oder? Aber auf Dau er ziem lich kost spie lig.« Sie zog die Nase kraus, lehn te sich nä her und hielt die Hand vor, da mit die Eu len und Ka­nin chen nichts mit be ka men. »Es heißt, Max sei ein mal aus sei nen Sa chen ex plo diert, aber un ter völ lig an de ren Um stän­den …«, sie kniff ein Auge zu, »… wenn du weißt, was ich mei ne.« Sie war te te ab, wie ich re a gier te, und re kel te sich ge nüss lich im fah len Mond licht.

Ich blin zel te.»Ich woll te dir nicht zu nahe tre ten, Jes sie«, mein te sie und

seufz te me lo dra ma tisch. »Ich könn te mich wie der ver wan­deln, was aber un se re Ge sprächs qua li tät stark be ein träch ti gen wür de.« Sie grins te. »Und wenn ich im Wolf spelz ein Eich­hörn chen wit te re, dann Gna de uns Gott. Mei ne Auf merk­sam keits span ne ist dann näm lich … schlicht weg be schis sen.«

»Ist schon okay, Cat. Ich komm schon klar.«»Aber die Au gen bit te hier her«, neck te sie und deu te te

auf ihr Ge sicht.»Sehr lus tig«, mur mel te ich. »Also.«»Da. Also. Was stellt mein klei ner Bru der also an, das dich

so ver wirrt und ver letzt?«»Ach … er küsst mich nur noch ganz sel ten. Er nimmt

nicht ein mal mehr mei ne Hand … Es ist, als wäre al les ver­pufft.«

»Ver pufft?« Sie neig te ver wun dert den Kopf zur Sei te und das Lä cheln ver schwand. »Die Jungs ha ben’s nicht leicht mit der Ver wand lung. Ihr Hirn tickt nicht rich tig, das Kom mu­ni zie ren fällt ih nen schwer. Schau dir Max an: fast acht zehn und so be scheu ert.«

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Ich muss te ki chern und sie lä chel te wie der.»Das Wolfs hirn und das Hirn ei nes Jun gen ar bei ten nicht

gut zu sam men. Wir Mäd chen rei fen da deut lich schnel ler. Un ser Hirn – und un se re Emo ti o nen – sind beim Wech sel schon viel aus ge wo ge ner. Jungs mit sieb zehn sind Bies ter, ob sie nun Wöl fe sind oder nicht.« Sie rümpf te die Nase. »Er tut sich schwer mit der Ver wand lung. Er muss sich erst da­ran ge wöh nen, dass du ihn so siehst, wie er ist. Und da ran, wer er ist.«

»In Sa rahs Ge sell schaft scheint ihm das leich ter zu fal len.«Cat lach te. »Das lässt sich leicht vor täu schen, wenn kei ne

Ge füh le im Spiel sind.«»Wirk lich? So ein fach ist das? Ihm liegt nichts an Sa­

rah, und des halb« – ich hol te Luft, um mei ne Stim me et­was in den Griff zu be kom men – »kann er lie be voll mit ihr um gehen?«

»Ers tens ist nichts bei uns ein fach, Jes sie. Wir sind rus­si sche Ame ri ka ner. Da sind wir schon per De fi ni ti on kom­plex.«

Dem konn te ich nicht wi der spre chen.Sie beug te sich noch nä her und er griff mei ne Hand. »Zwei­

tens be deu tet lie be voll für dich nichts an de res als ver liebt, praw da?«

Ich nick te.»Du liest die Ge füh le mei nes Bru ders ein fach falsch. Er ist

nicht in Sa rah ver liebt. Er hat sie im Au gen blick am Hals. Das hast du ihm al ler dings selbst ein ge brockt, als du dei ne Ge­füh le für ihn ver leug net hast«, schalt sie. »Jetzt sei we nigs tens ge dul dig, bis er sich da raus ma növ riert hat.«

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Be schämt dach te ich da rü ber nach. »Und au ßer dem muss er wahr schein lich ver ar bei ten, was in je ner Nacht vor ge­fal len ist«, räum te ich ein. »Und das ist erst recht nicht so leicht.«

Sie nick te und ließ mei ne Hand los. Wir wa ren in je ner Nacht zu Mör dern ge wor den. Ob Not wehr oder nicht – an un se ren Hän den kleb te Blut.

»Viel leicht macht er sich Vor wür fe, weil er dich in sol che Ge fahr ge bracht hat.«

»Er konn te ja nicht wis sen, was al les pas sie ren wür de.«»So läuft das aber nicht bei ei nem schlech ten Ge wis sen.

Da ist es völ lig egal, ob wir et was hät ten ver hin dern kön­nen. Auf dem Prin zip sind gan ze Welt re li gi o nen auf ge baut.«

Ich schwieg.»Pietr kommt da ganz nach un se rem Va ter. Und er weiß

das. Va ter war ein lei den schaft li cher Mensch, der mit dem Her zen dach te. Das hat ihn das Le ben ge kos tet. Und jetzt wis­sen wir, dass Mut ter des we gen ge schnappt wur de.« Sie blick te zum Him mel und sah für ei nen Au gen blick den ja gen den Wol ken nach. Dann leck te sie sich die Lip pen, wand te sich wie der zu mir und sah mir schwer mü tig ins Ge sicht.

»Cat, es tut mir so leid.«»Das weiß ich doch, Jes sie«, sag te sie und ihre Au gen

schim mer ten, »aber den Schul di gen eben nicht. Sie hal­ten un se re Mut ter fest und ihr bleibt nicht mehr viel Zeit.« Sie schau der te und be hielt nur mit Mühe die Fas sung. »Die Jungs – viel leicht las sen sie sich auf ech te Bin dun gen gar nicht ein. Sie wol len nicht en den wie ihr Va ter.«

»Dann wer den Pietr und ich …«

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»Zu sam men kom men. Da bin ich mir si cher.«»Hast du das auch in den Tee blät tern ge le sen?«, spot te te

ich.»Njet«, er wi der te sie vol ler Weh mut. »Nur in mei nen Träu­

men. Aber du musst es mir glau ben, Jes sie. Pietr ist durch­einan der. Und er hat Angst.«

Ich muss te la chen. Die Er in ne rung an Pietr, der im Wolfs­pelz rus si sche Ma fi o si tö te te, war noch zu frisch in mei nem Ge dächt nis, für die Vor stel lung, er könn te Angst ha ben. Vor ir gend et was.

»Glaub mir, Jes sie. Du hast ihn doch schon ängst lich er­lebt.« Sie hef te te ihre leuch ten den Au gen auf die mei nen. »Steh ihm bei. Er braucht dich jetzt mehr denn je. Nur ge­mein sam kön nen wir un se re Mut ter be frei en.«

Mist. Sie hat te ja so recht und zwar mit al lem. In der Nacht nach sei nem Ge burts tag – bei sei ner ers ten wirk li chen Ver­wand lung – war er au ßer sich ge we sen vor Angst. Nicht vor der Ver wand lung, son dern da vor, was ich wohl da nach von ihm hal ten wür de. Und wenn wir nicht alle zu sam men ar bei te ten, wie woll ten wir, eine Hand voll Teen ager, es mit der CIA auf­neh men und eine viel zu schnell al tern de Wer wöl fin be frei en?

Für ei nen Mo ment sehn te ich mich nach ganz ba na len Teen ager­Prob le men. Mit Pi ckeln könn te ich fer tigwer den. Auch mit fet ti gem Haar – nur her da mit. Re gel schmer zen, die mich in die Knie ge hen lie ßen?

Okay, das viel leicht nicht ge ra de. Aber das hier?»Al les in Ord nung?« Ich hat te die Fra ge noch nicht be­

en det, als sie schon wie der zur Wöl fin wur de und im Ge hölz ver schwand.

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Ich ging wie der zum Wald rand und wei ter in Rich tung Haus.

Ein Ra scheln im Ge büsch ließ mich rück wärts stol pern. »Ist da je mand?«

Ge dämpf te Ge räu sche. Stie fel auf tro cke nem Laub. »Wer ist da?«, krächz te ich lei se und has te te die An hö he hi nauf.

Ein Funk ge rät knarzte. Kaum zehn Me ter von mir ent fernt. »Al pha an Bra vo, hast du sie?«

Mist. Wen woll ten sie ha ben? Ich leg te ei nen Zahn zu, nur weg von dem Ge räusch.

»Ne ga tiv. Der Wolf ist aus der Schlin ge ge schlüpft.« Das Knar zen wur de lei ser und die Stie fel stapf ten da von.

Und jag ten mei ne Freun din.So war das nicht aus ge macht.Atem los rann te ich nach Hau se, schnapp te mir das Te le­

fon und rief die Rusa kovas an.»Allo?« Max.»Ist Cat zu Hau se?«»Da, Jes sie. Grad ist sie ge kom men.«»Gib sie mir mal.«»Ganz schön her risch«, schnaub te er. »Jetzt weiß ich, was

du an ihr magst«, war er vom Hö rer ent fernt zu ver neh men.»Allo, Jes sie?«»Sie ja gen dich.«»Da.«»Wa rum hast du mir das nicht ge sagt?«»Was hät te das ge nutzt? Sie su chen nach ei nem Vor wand,

ei nen von uns fest zu neh men.«»Das könn ten sie gar nicht, wenn du ein fach hier her kom­

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men wür dest – und zwar als du selbst. Max hät te dich her fah­ren kön nen.«

»Ich war als ich selbst da.« Cats Ak zent wur de stär ker. Das Te le fon ra schel te, wech sel te in eine an de re Hand.

Ich stöhn te. »Wa rum gibst du ih nen Ge le gen heit, dich zu schnap pen?«

»Wir sind nun ein mal, wer wir sind, Jes sie«, dröhn te Max am an de ren Ende der Lei tung. »Und wenn sich die CIA nicht an un se re Ab ma chun gen hält, dann sol len sie erst mal ver su chen, uns zu schnap pen.«

Es klick te in der Lei tung, be vor ich die pas sen de Ant wort bei sam men hat te. Dass sich mir der Ma gen zu sam men zog, be wies, dass mir Al exi als An füh rer der Fa mi lie Rusa kova fehl te. Bei den Voll blut­Rusa kovas hat te er we gen sei ner Ver bin dun gen zur Rus sen ma fia schon lan ge ei nen schwe ren Stand, aber er war noch im mer ver nünf ti ger als Max ge we­sen. Als die Wöl fe Pietr, Cat und Max aber da hin ter ka men, dass sie jah re lang an der Nase he rum ge führt wor den wa ren und Al exi gar nicht ihr leib li cher Bru der war …

Da än der te sich al les.

In die ser Nacht rang ich mit dem Schlaf. Als mir schließ­lich die Au gen doch zu fie len, spul te mein Ge hirn wei ter die bru ta len Sze nen aus mei ner Er in ne rung ab. Ich fand mich auf der Wie se im al ten Park wie der, in je ner Nacht, als Pietr sieb zehn wur de.

Die Nacht, in der er zum Wolf wur de.Der Ge län de wa gen ras te auf die Lich tung und Blät ter und

Ku geln spritz ten in alle Rich tun gen.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Shannon Delany

Die Nächte des Wolfs - Zwischen Mond undVerderbenBand 2

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 448 Seiten, 12,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-570-38030-7

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Erscheinungstermin: August 2013

Nur der Mond kennt das Geheimnis ihrer Liebe! Zwar kennt Jess nun als Einzige das dunkle Geheimnis um Pietrs Herkunft, doch einegemeinsame Zukunft kann es für die beiden nicht geben. Den Werwölfen rennt die Zeit davon,ihr Dasein ist flüchtig. Und dann sind da noch Jess' Schuldgefühle, die Eifersucht – die sieschließlich in Dereks Arme treiben. Aber Derek ist nicht der, der er vorgibt zu sein, und seineLiebe raubt ihr jegliche Lebenskraft. Pietr kann und will sie nicht aufgeben … Und was ist mit derProphezeiung seines Clans? Liegt in Jess' Blut die Rettung vor ihrem tödlichen Fluch?