Shiatsu und TCM. Über die Zusammenarbeit von … · Die Traditionelle Chinesische Medizin im...

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Shiatsu: Konkurrenz oder Partnerschaft? Seite 1 von 35 Dr. Eduard Tripp (www.shiatsu‐austria.at) Shiatsu und TCM. Über die Zusammenarbeit von TCM‐Ärzten und Shiatsu‐Praktikern Dr. Eduard Tripp „Gesundheit ist ein Weg, der sich bildet, wenn man ihn geht und gangbar macht.” (Heinrich Schipperges, Medizinhistoriker, 1918 – 2003) TEIL 1: EINFÜHRUNG UND ÜBERSICHT Nur eine Placebo‐Wirkung? Die Traditionelle Chinesische Medizin im Westen Ost und West – Shiatsu im Wandel Gemeinsame Grundlagen und Ansätze Unterschiedliche Schwerpunkte Shiatsu verändert das Gesundheitsverhalten Soziale Netze und Zusammenarbeit TEIL 2: GRUNDLAGEN UND IMPLIKATIONEN Gesundheit und Krankheit Prävention und Gesundheitsförderung Salutogenese Ganzheitliches und reduktionistisches Handeln Eine Krankheit haben oder krank sein Individuelle und kollektive Schicksalsbewältigung Ich und Es und Ich und Du. Formen der Begegnung Die Traditionelle Chinesische Medizin als ganzheitliche Alternative Ganzheitlichkeit im Osten, Individualismus im Westen Placebo und Placebo‐Wirkungen Shiatsu. Ursprung und Wesen Vertrauen stärken und Loslassen lernen Unmittelbare Begegnung Stärkung des inneren Kerns

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ShiatsuundTCM.ÜberdieZusammenarbeitvonTCM‐ÄrztenundShiatsu‐Praktikern

Dr.EduardTripp

„Gesundheit isteinWeg,dersichbildet,wennmanihngeht und gangbar macht.” (Heinrich Schipperges,Medizinhistoriker,1918–2003)

TEIL1:EINFÜHRUNGUNDÜBERSICHT

NureinePlacebo‐Wirkung? DieTraditionelleChinesischeMedizinimWesten OstundWest–ShiatsuimWandel

GemeinsameGrundlagenundAnsätze UnterschiedlicheSchwerpunkte ShiatsuverändertdasGesundheitsverhalten

SozialeNetzeundZusammenarbeit

TEIL2:GRUNDLAGENUNDIMPLIKATIONEN

GesundheitundKrankheit

PräventionundGesundheitsförderung Salutogenese

GanzheitlichesundreduktionistischesHandeln EineKrankheithabenoderkranksein

IndividuelleundkollektiveSchicksalsbewältigung IchundEsundIchundDu.FormenderBegegnung

DieTraditionelleChinesischeMedizinalsganzheitlicheAlternative GanzheitlichkeitimOsten,IndividualismusimWesten PlaceboundPlacebo‐Wirkungen

Shiatsu.UrsprungundWesen VertrauenstärkenundLoslassenlernen

UnmittelbareBegegnung StärkungdesinnerenKerns

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ErgänzungundUnterstützung

KonkurrenzundvermeintlicheKonkurrenz

TheEffectsandExperienceofShiatsu:ACross‐EuropeanStudy

Shiatsu‐PraktikaimKrankenhaus

SynergiennutzenundBerührungsängsteabbauen

GegenseitigerNutzenzumWohlederPatienten

QuellenundLiteraturhinweise

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TEIL1:EINFÜHRUNGUNDÜBERBLICK

Dass die Traditionelle ChinesischeMedizin (TCM) wirkt, ist unbestritten. Studien und Erfahrungen

zeigen nachweislich die Wirksamkeit von chinesischen Heilmitteln und Akupunkturbehandlungen.UnddennochistdieAkupunktur,wieauchandereganzheitlicheTherapieansätzeinderÖffentlichkeitin eine Art Erklärungsnotstand gegenüber der wissenschaftlich begründeten Evidence Based

Medicine geraten. Sie hinterfragt kritisch, welche Aspekte der Behandlung die Wirksamkeit derNadelbehandlungausmachen.

NureinePlacebo‐Wirkung?

In diese Richtung geht die Diskussion der GERAC‐Studien (German Acupuncture Trials). Das nichtsignifikant bessere Ergebnis der Verum‐Akupunktur gegenüber Placebo‐Nadelbehandlungen wird

sogardahingehendausgelegt,dassdieWirksamkeitderAkupunktur inunspezifischenFaktorenwiebeispielsweise demNadelreiz liegt, vor allemaber, wie Der Spiegel im Juni 2007 schreibt, in ihrerInszenierungals„Super‐Placebo“(seltsamerweisenichthinterfragtwirddabeiallerdings,mitwelcher

wissenschaftlichenBegründungmanbeidenuntersuchtenKopf‐,RückenundKnieproblemengutenGewissens konventionelle medizinische Behandlungen anbieten kann, wenn selbst die Placebo‐Akupunkturdeutlicherfolgreicherist).

Placebo‐WirkungenhabeneinenschlechtenBeigeschmack,weckenAssoziationenvon„eingebildet“

und „nicht wirklich“. Gerade hier aber haben sich in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch diemoderne Hirnforschung, viele neue Erkenntnisse aufgetan. Die wichtigste, für Manche wohl auchunbequeme Erkenntnis ist, dass Placebo‐Anwendungen ganz reale, auch hirnphysiologisch

nachweisbareAuswirkungenzeigen.Dazukommt,dasseskeinedefinitiveVorhersagbarkeitgibt,wieein gesetzter Reiz oder eine Behandlung verarbeitetwird.Das Ergebnis ist „offen“,was aber nichtbedeutet, dass es beliebig ist, was man tut und wie man es tut. Aufgehoben ist nur die aus der

klassischen Physik hergeleitete Ursache‐Wirkung‐Beziehung undwir müssen uns daran gewöhnen,dass wir es nur mit Wahrscheinlichkeiten zu tun haben. Professionelle und verantwortungsvolleBehandlung bedeutet deshalb, dass man versucht, die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten

Reaktionzuerhöhen.

Genau das haben Experimente zur Placeboforschung gezeigt. Je naheliegender man gewisseReizantworten macht, desto häufiger kommt es zur erwarteten und gewünschten Reaktion –wenngleichmandiese,wieschongesagt,nichterzwingenkann.DasSetting,dieInformationen,die

gegebenwerden, so genannteUmgebungsvariablen generell unddie Qualität der therapeutischenBeziehung beeinflussen maßgeblich die Wahrscheinlichkeit der Auswirkungen von Interventionen.DazukommendieVorerfahrungen,ErwartungenundÄngstedesPatientenwieauchZuversichtund

ÜberzeugungaufSeitendesbehandelndenArztes.Esmachtdeshalb einengroßenUnterschied,obder Patient durch den Arzt und dessen Umgang mit ihm Vertrauen in die Wirksamkeit einer

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Behandlung gewinnen kann – oder eben nicht. Und da sich die Reaktionen des Patienten nicht

vorhersagen lassen,bewegtmansichmitderBehandlung ineinemweitenFeldvonMöglichkeiten.DasreichtvongewünschtenErgebnissendurchanundfürsichunwirksameBehandlungsmethodenund‐mittel(z.B.bewussteingesetztePlaceboswieMilchzucker)bishinzuVerschlechterungendurch

alswirksamnachgewieseneMethodenundBehandlungstechniken.

ImGesundheitsbereichspiegeltsichdieVeränderungdeswissenschaftlichenWeltbildesauchindenDefinitionen vonGesundheitundKrankheitwider.Dasheute gängigebiopsychosozialeModellundWeiterentwicklungen wie etwa die Theorie der Organischen Einheit heben die Trennung von

körperlichen,psychischenundmentalenVorgängenaufundsprechenzunehmendvoneinerIdentitätvonLeibundSeele(GehirnundGeist),die lediglichzweiEbenenunseresVerstehenswiderspiegeln.EineTrennungzwischenphysischenInterventionenundanderenEinflussgrößen,dieheuteteilweise

unter den Begriffen der Placebowirkungen, Umgebungsvariablen oder therapeutische Beziehungabgehandeltwerden,verliertunterdiesenAnnahmenihreSinnhaftigkeit.

DieTraditionelleChinesischeMedizinimWesten

TrotzallerVorbehalte,diederTraditionellenChinesischenMedizinentgegengebrachtwerden,hatsieimWestenindenletztenJahreneinegroßeVerbreitungerfahren.Siehat,ummitPaulUnschuldzu

reden, den Nerv der Zeit getroffen. In einer Zeit, in der sich die Technik und unpersönlicheUntersuchungen mehr und mehr zwischen Arzt und Patient geschoben haben, entstand einezunehmende Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit. Eine solche Ganzheitlichkeit verspricht die TCM,

verspricht dem Patienten als Mensch wahrgenommen zu werden in allen Dimensionen seinerkörperlichen,seelischenundsozialenbishinzurspirituellenExistenz.

NunaberunterscheidetsichdieTCMimWestenvonderheuteinChinaausgeübtenTCMunddiesewiederum von der Heilkunde der Vergangenheit. Nachdem die traditionelle Medizin in China zu

Beginndes20.JahrhundertsaufeinemTiefpunktangelangtwarundsogarinGefahrgeriet,verbotenzuwerden,wurdeindenFünfziger‐biszurMittederSechzigerjahreausdemErbedertraditionellenMedizineinKernherausgefiltert,derzentralehistorischeVersatzstückeaufderGrundlagemoderner

westlicher Logik vereinte (Paul Unschuld, 2003). Abergläubische und von unserem heutigenKenntnisstand offensichtlich falsche und unsinnige Ansichten wurden dabei herausgefiltert undzugleichmehrundmehrElementewestlicherMedizinindieStudienplänederZhongyi(„Chinesische

Medizin“) eingefügt. Grundlegende Widersprüche zum westlichen Denken wurdenherausgenommen.ZieldieserStrategiewares,dastraditionelleErbeallmählichzuverwestlichenunddurch die wissenschaftliche Legitimierung tatsächlich wirksamer Praktiken der Arzneikunde und

NadeltherapieineineakzeptableErgänzungdermodernenMedizinüberzuführen.

Die bei uns imWestenpraktizierte Traditionelle ChinesischeMedizin unterscheidet sich aber nichtnur von der historisch in China praktizierten Heilkunde, sondern auch von der heute in Chinaangewandten Traditionellen Chinesischen Medizin. Etwas überzeichnet formuliert hat die TCM in

EuropanurwenigmitderhistorischpraktiziertenHeilmethodezutun,sondernist,wiePaulUnschuldes formuliert, ein Kunstprodukt mit Elementen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin.

Gewachsen ist sie aus dem Bedürfnis der Patienten (und Behandler) nach Ganzheitlichkeit,

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Natürlichkeit und einer Medizin, die nicht aggressiv und technisch ist, sondern den Menschen in

seiner Ganzheit von Körper, Seele und Geist wieder in den Mittelpunkt der Behandlung stellt.ZugleichgibtsiedemPatientenwiederSinnundBestimmungundweistihmeinenbedeutungsvollenPlatzinderWelt,jaimkosmischenGefügezu.

Balancieren, Energien ausgleichen, Harmonisieren, in Fluss bringen und die Selbstheilungskräfte

anregen,sindwichtigeAspektederneugestaltetenTraditionellenChinesischenMedizin imWesten.DiesegrenztsichdamitvomKriegderkonventionellenMedizingegendievielfältigenKrankheitenab,wo gleichsam als Kollateralschaden der Mensch an den Nebenwirkungen aggressiver und

belastender Behandlungen leidet. Es gilt (auch) die Gesundheit zu fördern, indem Erwartungen,BedürfnisseundHoffnungender Patientenerfülltwerden.Dieswird vonderWissenschaftaberalssituative Variablen, therapeutische Beziehung oder eben – abwertend und geringschätzend – als

Placebo‐Effekteeingestuftwerden.

OstundWest.ShiatsuimWandel

UnterschiedezwischenOstundWestfindensichauchinderGeschichtedesShiatsu.Unterschiede,diezumTeilsoweitgehen,dassGlynAdams(2002)ineinemVergleichzwischendemShiatsuinJapanunddeminGroßbritannienzumSchlusskommt,dassinvielenBereichendasShiatsuimWestennicht

sosehrvonjapanischenoderauchchinesischenQuellengeprägtist,alsvielmehrvonKonzeptendesNew Age, von Ganzheitlichkeit und Verwirklichung eines individuellen, freien und authentischenSelbst.

In vielem von dem, was Shiatsu im Westen ausmacht, insbesondere auch in seinem Bild in der

Öffentlichkeit (und für die Öffentlichkeit) spiegeln sich – ähnlich wie im Bild der TCM als „sanfteAlternative“zurSchulmedizin–die BedürfnissederMenschen in unsererGesellschaftundunsererZeit.AlleinschondasAmbiente,indemShiatsustattfindet,solldemKlientenvermitteln,dashierein

Ort der Genesung, derHeilungundGanzheitlichkeit ist, in demderMenschmit Körper, Seele undGeistimZentrumderBehandlungsteht.DieinunserenAugenasiatischeGelassenheitausstrahlendeAtmosphäre, Naturmaterialien, Pflanzen im Behandlungsraum, Räucherstäbchen und Duftlampen,

Zimmerbrunnen, eventuell eine entspannende Musik und ähnliches mehr sollen eine bestimmteAtmosphäreschaffen.Siesollenvermitteln,dassmanandiesemOrtEntspannungfindet,ZentrierungundGesundheit.

GemeinsameGrundlagenundAnsätze

Shiatsu,inJapaneinGesundheitsberuf,inÖsterreicheinGewerbe,unddieTraditionelleChinesische

Medizin haben viele Gemeinsamkeiten. Da sind vor allem der Hintergrund der Behandlungs‐ undDiagnostikverfahren, das energetische Verständnis des Menschen sowie die Konzepte derDisharmoniemuster, ihrer Diagnostik, ihrer Auswirkungen und ihrer Auflösung. Und auch im

VerständnisderGanzheitlichkeitdesMenschenundseinerEinbettungindenKosmosherrschteinegrundsätzlicheÜbereinstimmung.IndieserHinsichthabenShiatsuundTCMeinenähnlichenAnsatz.

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SiehabeneinähnlichesVerständnisvonGesundheitundKrankheitundverheißendenMenschen,die

ihre Methoden in Anspruch nehmen, eine Harmonisierung ihrer Energien, eine Förderung ihrerSelbstheilungskräfteundeinZurückfindeninihrepersönlicheMitte,dieErfüllungundSinnbedeutet.

Gerade diese Ähnlichkeit in Hintergrund und Ansatz bedeuten aber nicht nur eine (mögliche)Konkurrenzsituation, sondern machen ein Miteinander von Shiatsu und TCM interessant und

lohnend. TCM‐Arzt und Shiatsu‐Praktiker sprechen eine, zumindest in weiten Bereichen gleicheSprache, die Sprache der Traditionellen Chinesischen (Fernöstlichen) Medizin. Und sie haben eingrundsätzlich gleiches Verständnis, welche Behandlungsstrategie bei welchem Disharmoniemuster

anzuwendenist.

Für den Shiatsu‐Praktiker bietet sich deshalb (wenn eine medizinische Behandlung sinnvoll underforderlich erscheint) die Einbeziehung eines TCM‐Arztes an. Beim TCM‐Arzt kann er sich sichersein, dass die Behandlung auf ähnlichen Prinzipien beruht, so dass er sein Shiatsu optimal

unterstützendaufdie Behandlungserfordernisse der TCM‐Behandlung einstellen kann.UndaufderanderenSeitekanneinKlient–vorallemwenneindirekterKontaktzwischenTCM‐ArztundShiatsu‐Praktikerbesteht–zusätzlicheUnterstützungdurchdieShiatsu‐Behandlungerhalten.Dasallerdings

setzt voraus, dass Arzt und Shiatsu‐Praktiker „teamfähig“ sind, dass Verständnis für den jeweilsanderenZugangdaistundkeineVorurteileundBerührungsängsteeinschränkendwirken.

UnterschiedlicheSchwerpunkte

Trotz vieler Gemeinsamkeiten unterscheiden sich TCM und Shiatsu zugleich aber auch in vielenBereichen,habenandereSchwerpunkteundStärken.BeiShiatsustehtdieStärkungundFörderung

vonRessourcenimVordergrund.ÜberdieAuflösungvonenergetischenBlockadendurchkörperlicheInterventionen (z.B. verweilender und rhythmischer Druck) werden die Fähigkeiten des Klientengestärkt, denHerausforderungen seines Lebens und eventuell auch einer bestehenden Erkrankung

besserbegegnenzukönnen,umGesundheitundWohlbefindenzuerlangen.

EinwesentlichesMerkmalvonShiatsuistseineBerührungs‐undBegegnungsqualität,inwelcherderEmpfangende Partner ist und die Behandlung dialogisch mitbestimmt. In der Sprache des ShiatsuwirddiesdurchdieBetonungdesHaraausgedrückt,wobeiHaradas japanischeWort fürBauch ist

undsinngemäßalsZentrumderLebensenergieunddesinnerenWissensverstandenwerdenkann.

Weiterhin typisch für Shiatsu ist, dass es ohne Öl oder Cremen ausgeführt wird. Bei der Shiatsu‐Behandlung bekleidet bleiben zu können (eine bequeme Kleidung ist allerdings erforderlich), gibtvielenKlientenSicherheitundSchutz–eineSicherheit,diesiedarinunterstützt,sichfallenzulassen

undderBehandlunganvertrauenzukönnen.

AngenehmerlebteBerührunginderMassagebehandlungbewirkt,dassOxytocinausgeschüttetwird.NachfolgendeStresssituationenwerdendadurchruhigerundentspannterbewältigt.AbernichtnurkurzfristigeWirkungen könnendurchShiatsuhervorgerufenwerden, sondernauch langfristigeund

tiefgreifendeVeränderungen.SolcheVeränderungenbetreffenz.B.denZugangzumeigenenKörperunddasVerständnisseinerFunktionenundFunktionsweisen.UndauchinnereStrukturen(auch im

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Sinne von stabilenundharmonischenbiologischen Rhythmen) können gestärktwerdenunddamit

diebiologisch‐psychischenVoraussetzungenfürLebensbewältigungundGesundheit.

ShiatsuverändertdasGesundheitsverhalten

Zudem verändert sich, wie die jüngst abgeschlossene europaweite Dreiländer‐Studie zu Shiatsu(2007) belegt, das Gesundheitsverhalten von Shiatsu‐Empfangenden. Klienten, die regelmäßigShiatsu erhalten, sind insgesamtbeschwerdefreier undbenötigenweniger konventionelleMedizin.

Zugleichaber suchensievermehrtUnterstützungdurch komplementärmedizinischeMethodenwiedieTCM.

SozialeNetzeundZusammenarbeit

NetworkingistheutezueinemwichtigenBegriffgeworden.DurchdieschwächerwerdendensozialenundkollektivenKohäsionskräfteundZwängeobliegtesmehrundmehrdemEinzelnen,sichsoziale

und zunehmend auch berufliche Netze zu gestalten. Während es früher viel häufigerselbstverständlich war einen Beruf lebenslang auszuüben, oft sogar in nur einer Firma, steigt inunsererZeitdieZahlderbefristetenundeingeschränktenBeschäftigungsverhältnisse.Arbeitnehmer

sind zunehmendnur nochprojektbezogenoder zeitlich begrenzt in einer Firma tätig, habendafüraber oft mehrere, parallel ausgeübte Beschäftigungen. Bedingt durch diese Arbeitszeitmodelleunterliegen sie einem anderen Arbeitsrhythmus, der unter Umständen auch – gewollt oder nicht

gewollt – beschäftigungsfreie Zeiten mit sich bringt – und Unsicherheit. In einer solchen, oftbelastendenSituationerweisensichsozialeNetzwerkealssehrhilfreich.

ÄhnlicheEntwicklungenzeigensichauchinderMedizin.HeutegibteskaummehrdeneinenArzt,zudemmanmitnahezuallenBeschwerdengeht,sondernmehrere,manchmalaucheineVielzahlvon

Spezialisten, die im besten Fall miteinander vernetzt sind, zusammen und nicht gegeneinanderarbeiten.Praxisgemeinschaften,aberauchandereFormendesMiteinander, sindhierModelle,diesich mehr und mehr etablieren und auch zunehmend gewerbliche gesundheitsbezogene Berufe

miteinbeziehen – aus der Erfahrung heraus, dass Bewegungstherapien ebenso wieErnährungsberatungundShiatsuunterstützendwirkenundBehandlungserfolgestabilisieren,vielfachsogarnochverstärkenkönnen.

Bei manchen Patienten, die durch eine chinesische Pharmako‐ oder Nadelbehandlung wieder

beschwerdefrei sind und keine Behandlung mehr benötigen würden, erscheint eine weitereBetreuung durch einen Shiatsu‐Praktiker sinnvoll, um dem Wiederauftreten der Beschwerdenentgegen zuwirkenoderdenZeitraumbis zuderenWiederauftretenzu verlängern.Hier kannder

Shiatsu‐Praktiker den Klienten/Patienten erfolgreich begleiten, seine Lebensbewältigungunterstützenund–wenneswiedernotwendigist,weildieBeschwerdeneineärztlicheInterventionerfordern–wiederzumTCM‐Arztweiter‐bzw.zurückverweisen.

Ein anderes Beispiel einer guten Zusammenarbeit zumWohle des Patienten zeigt sich, wenn der

Shiatsu‐Praktiker, zu dem ein Klient mit Beschwerden kommt, diesen motiviert, einen TCM‐Arzt

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aufzusuchen(generellwirdeineärztlicheAbklärung insolchenFällenvomBerufsverbandals„state

oftheart“fürprofessionellesShiatsubetrachtet)unddiesersich,solangeeserforderlichist,parallel(oder vorübergehend auch ausschließlich) einer ärztlichen Behandlung unterzieht, um dann dieweitere energetische Balancierung und Unterstützung wieder durch die Shiatsu‐Behandlung zu

erfahren.

Kurzzusammengefasstlässtsichsagen,unddasbestätigtsichinderkonkretenPraxisimmerwieder,dass die Zusammenarbeit von TCM‐Arzt und Shiatsu‐PraktikerVorteile fürAllemit sich bringt.DerTCM‐ArztprofitiertvonderStabilisierungundmanchmalsogarVerbesserungseinerBehandlungen,

derShiatsu‐PraktikerdurchdieSicherheitdermedizinischenAbklärungundderoptimalenBetreuungdes Patienten/Klienten, die sich auchpositiv auf das Vertrauen in die Professionalität des Shiatsu‐Praktikersauswirkt.UndderPatient/KlientgewinntdurcheineguteundganzheitlicheBetreuungund

erlebtnebenbeidieVorzügederKooperationvonverschiedenenBerufsgruppen–ganzimSinnederTraditionellen Chinesischen Medizin, die die Verbundenheit von Allen mit Allem als wichtigesGrundprinzipdesKosmosbetrachtet.

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TEIL2:GRUNDLAGENUNDIMPLIKATIONEN

GesundheitundKrankheit

War das Verständnis von Gesundheit und Krankheit lange Zeit stark von eindimensionalen

Betrachtungen geprägt (z.B. die WHO‐Definition 1948 oder die Definition von Gesundheit alsAbwesenheitvonKrankheit),

GesundheitalsIdeal

Health is the state of complete physical, mental and

socialwell‐beingandnotmerely theabsenceofdiseaseorinfirmity.(WHO,1948)

NegativbestimmungvonGesundheit

Gesundheit bedeutet die Abwesenheit von Krankheit.Wenn Symptome oder Beschwerden vorliegen, wird

jemandalskrankbezeichnet.

so wird Gesundheit zunehmend multidimensional betrachtet und auch Aspekte vonSelbstverwirklichung und Sinnfindung ebenso wie der Zugang und die Nutzung von Ressourcen

einbezogen.HervorgegangenausStudienzurallgemeinenSystemtheorieund ihrerAnwendungaufdieBiologie(LudwigvonBartalanffy,1901bis1972),PaulA.Weiss,1898bis1989),

BiopsychosozialesGesundheitsmodell

Neben körperlichem Wohlbefinden (z.B. positivesKörpergefühl, Fehlen von Beschwerden und

Krankheitszeichen)undpsychischemWohlbefinden(z.B.Freude, Lebenszufriedenheit) umfasst Gesundheit auchLeistungsfähigkeit, Selbstverwirklichung und

Sinnfindung.

Abhängig ist Gesundheit auch vomVorhandensein, vonderWahrnehmung und vom Umgang mit Belastungen,

von Risiken und Gefährdungen durch die soziale undökologischeUmweltsowievomVorhandensein,vonderWahrnehmung,Erschließungund Inanspruchnahmevon

Ressourcen.

verstehtdasbiomedizinischeGesundheitsmodelldiegesamteNaturalseinhierarchischgeordnetesKontinuum von immer komplexeren, größeren Einheiten. Jedes Niveau in dieser Hierarchierepräsentiert eine Ganzheit, ein organisiertes dynamisches System, und jedes System weist

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Qualitäten und Beziehungen auf, die für dieses Organisationsniveau typisch sind. Nichts existiert

isoliertundjedesSystemwirddurchdieSystemebeeinflusst,vondenenesTeil ist.AlleEbenenderOrganisation sindmiteinander verbunden,was dazu führt, dassÄnderungen auf einer Ebene auchÄnderungenaufanderenEbenenbewirken.

EinMensch,seinErlebenundVerhaltenwirdalseinGanzes,eineGanzheitbetrachtet,esgibtkeine

Trennung zwischen Psyche und Soma (George L. Engel, 1976). Er ist aus SubsystemenzusammengesetztunddiesenSubsystemen(z.B.Nervensystem,Organsysteme)übergeordnet.

BestimmteEigenschaften,diesichausdemZusammenspielderSubsystemeherausbildenundnichtaufderenisolierteEigenschaftenzurückgeführtwerdenkönnen,werdenalsemergentbezeichnet,so

z.B.geistigePhänomene.SiesindbestimmtunderzeugtvonphysiologischenundphysikochemischenEreignissen, zugleich aber charakterisiert durch Eigenschaften, die unterscheidbar sind von derNeurophysiologieundnichtaufsiereduziertwerdenkönnen.

BiopsychosozialesModellinAnlehnunganA.Goodman

undJ.W.Egger

„materielleWelt“ „geistigeWelt“

BiographieGesellschaft,Nation

Kultur,SubkulturGemeinde,GemeinschaftFamilie

2‐Personen‐BeziehungPerson(physischeGestalt Person(subjektiveundbeobachtbares Erfahrung)

Verhalten)OrganeGewebe

OrganellenMoleküleAtome

SubatomareTeilchen

DasModellderIdentitätvonmentalenundpsychischenProzessen,dasA.Goodman(1991)aufgreift,beruht imWesentlichenaufderTheorievonSpinozader IdentitätvonLeibundSeele (Gehirnund

Geist), derzufolge Gehirnprozesse und Geisteszustände ein und dasselbe sind, nur verschiedeneArtendesVerstehenseinesanundfürsichgleichenPhänomens.

BehandlungvonKörper,SeeleundGeist

In der klinischen Praxis gibt es keineNotwendigkeit für

die Trennung zwischen physiologischer undpsychologischer Behandlung. Beide sind in der Lage,

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Änderungen im Organismus zu erzeugen, die sowohl

physischerwiepsychischerNatursind.

Die Frage ist vielmehr, unter welchen BedingungenwelcherAnsatzmaximaleffizient ist. (A.Goodman, J.W.Egger)

PräventionundGesundheitsföderung

ParalleldazuentwickeltesichderAnsatzderPräventionvombiomedizinischenRisikofaktorenmodell,indem–statistischerhobene–RisikofaktorenalsbeginnendeErkrankungenaufgefasstwerden,dieeszuvermeidengilt,

BiomedizinischesRisikofaktorenmodell

Statistische Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren

(z.B. Tabakkonsum, Übergewicht, Bluthochdruck) undbestimmten Erkrankungen weisen auf eine erhöhteErkrankungswahrscheinlichkeit hin, vor allem dann,

wennmehrereRisikofaktorenzusammentreffen.

hin zu einem Programm für Gesundheitsförderung, wie es in der Ottawa‐Charta der WHO 1986festgehalten ist. Gesundheit wird nun nicht mehr vorrangig als Ziel, sondern vor allem als Mittel

betrachtet, dasMenschen befähigt, ihr individuelleswie auch gesellschaftliches Leben positiv underfüllendzugestalten.

ProgrammzurGesundheitsförderung(Health

Promotion)

Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, denMenschen ein höheresMaß an Selbstbestimmungüberihre Gesundheit zu ermöglichen und sie zu einer

StärkungihrerGesundheitzubefähigen.

Um ein umfassendes, körperliches, seelisches undsoziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig,dasssowohlEinzelnealsauchGruppenihreBedürfnisse

befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungenwahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umweltmeisternbzw.verändernkönnen.(WHO,1986)

Risikofaktoren, wie sie im biomedizinischen Modell definiert werden, führen zu Vorschriften, dieüberAppelleanVernunftundEinsicht(gesundheitlicheAufklärung)vermitteltwerden.WissenaberführtnichtautomatischzueinemverändertenVerhalten,

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5StufenderVerhaltensänderung

Gesagtistnichtgehört.

Gehörtistnichtverstanden. Verstandenistnichteinverstanden. Einverstandenistnichtdurchgeführt.

Und durchgeführt ist noch lange nicht beibehalten.(KonradLorenz)

auch dann nicht, wenn mit Abschreckung und Angsterzeugung vor zukünftigem Schaden an die

Gefühle und Einstellungen der Menschen appelliert wird (z.B. drastische Darstellung derAuswirkungenvonRauchen).

Präventive Maßnahmen im Sinne der Ottawa‐Charta betonen einen positiven Gesundheitsbegriff,der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung ermöglicht, und zielen auf die aktive und

selbstverantwortlicheBeteiligungvonLaienanderHerstellunggesundheitsfördernderBedingungen.Gesundheit soll in der alltäglichenUmwelt derMenschen geschaffenwerden, dortwo sie spielen,lernen,arbeitenundlieben.GesundheitsförderungliegtdamitnichtnurinderVerantwortlichkeitdes

Einzelnen, sondern auch in der Verantwortlichkeit sozialer Systeme, gesundheitsförderndeBedingungenzuschaffen.

7KriterienderGesundheit

‐ einstabilesSelbstwertgefühl,

‐ einpositivesVerhältniszumeigenenKörper,‐ dieFähigkeitzuFreundschaftundsozialen Beziehungen,

‐ eineintakteUmwelt,‐ einesinnvolleArbeitundgesunde Arbeitsbedingungen,

‐ GesundheitswissenundZugangzurGesundheits‐ versorgungund

‐ einelebenswerteGegenwartunddiebegründete HoffnungaufeinelebenswerteZukunft.(WHO)

Salutogenese

Das vonAaron Antonovsky (1923bis 1994) entwickelte Konzept der Salutogenese verzichtet völligauf eine Definition von Gesundheit und beschreibt vielmehr ein Kontinuum mit den Polen

Gesundheit/körperliches Wohlbefinden und Krankheit/körperliches Missempfinden. VölligeGesundheitistfürMenschendabeigenausowenigzuerreichenwievölligeKrankheit.JederMensch,selbstwenner sichalsganzgesunderlebt,hatauchkrankeAnteile,und–aufderanderenSeite–

solangeeinMenschamLebenist,sindauchnochTeileanihmgesund.

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Anstatt vorrangig krankmachende Einflüsse zu bekämpfen und das Interesse auf spezifische

Symptome zu richten, setzt der salutogenetische Ansatz wesentlich auf eine Stärkung vonRessourcen, um den Organismus gegen schwächende und krankmachende Einflüssewiderstandsfähigerzumachen–undaufdiesemWegzurGesunderhaltung,aberauchzurGenesung

vonMenschenbeizutragen.

Pathogenese:WieentstehenKrankheiten?Prävention: Wie kann die Entstehung von Krankheiten

verhindertwerden? Salutogenese:WieentwickeltsichGesundheit? Gesundheitsförderung: Wie lässt sich die Entwicklung

vonGesundheitfördern?

EinenherausragendenEinfluss,obMenschenSchwierigkeitenbewältigenoderkrankwerden,bildetim salutogenetischen Modell das Kohärenzgefühl (sense of coherence), die Grundhaltung desMenschen der Welt und seinem eigenen Leben gegenüber. Von dieser Grundhaltung hängt es in

einem hohen Maß ab, wie gut er in der Lage ist, vorhandene Ressourcen zum Erhalt seinerGesundheitundseinesWohlbefindenszunutzen.

Kohärenzgefühls(senseofcoherence)

‐ EinegrundlegendeLebenseinstellung,dieausdrückt,

in welchem Ausmaß jemand ein allesdurchdringendes, überdauerndes und zugleichdynamisches Gefühl der Zuversicht hat, dass seine

innere und äußere Erfahrenswelt vorhersagbar istundeinehoheWahrscheinlichkeitbesteht,dasssichdieAngelegenheitensogutentwickeln,wiemansie

vernünftigerweiseerwartenkann.‐ Eine globale Orientierung, die das Ausmaß

ausdrückt, in dem jemand ein durchdringendes,

überdauerndes und dennoch dynamisches GefühldesVertrauenshat,dasserstensdieAnforderungen

aus der inneren oder äußeren Erfahrenswelt imVerlauf des Lebens strukturiert, vorhersagbar underklärbar sind und dass zweitens die Ressourcen

verfügbar sind, die nötig sind, um denAnforderungen gerecht zu werden. Und drittens,dass diese Anforderungen Herausforderungen sind,

dieInvestitionenundEngagementverdienen.

DasLeben verstehtAntonovskyals reißendenFluss, andemniemandsicheramUfer entlang geht,weshalbesnicht(ausschließlich)sinnvollist,MenschenmithohemAufwandausdenStromschnellen

und Strudeln zu retten, vielmehr sollteman sich auchGedankendarübermachen,wie jemandeinguterSchwimmerwird.Einsolcherwirdmanleichter,folgtmandemAnsatzderSalutogenese,wenn

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man dieWelt als zusammenhängend und sinnvoll erleben kann. Eine solche Grundhaltung beruht

darauf,dieWelt„zuverstehen“,sichdenAnforderungendesLebensgewachsenzufühlenunddasLeben und damit auch seine Probleme als sinnvoll zu erleben, als Wert für den einzusetzen sichlohnt.

GefühlvonVerstehbarkeit(senseofcomprehensibility)

BeschreibtdieFähigkeiteinesMenschen,EindrückeundErlebnisse als geordnete Informationen verarbeiten(„verstehen“)zukönnen.

GefühlvonBewältigbarkeit(senseofmanageability)

Beschreibt die Überzeugung eines Menschen, dass er

geeignete Ressourcen zur Verfügung hat, um denAnforderungen zubegegnen,wozu auchder Glaube andie Hilfe andererMenschen oder einer höherenMacht

gehört.

GefühlvonSinnhaftigkeit(senseofmeaningfulness)

Beschreibt das Gefühl eines Menschen, dass dieAufgabenundProblemeeswertsind,dassmanEnergiein sie investiert, sich für sie einsetzt – letztlich dass sie

als (willkommene) Herausforderungen erlebt werdenundnichtalsLasten,derenmansichentledigenmöchte.

Kohärenzgefühl, sich selbst als Verstehender und Handelnder in einer mit Sinn erfüllten Welt zu

verstehen,schafftRessourcenundKompetenzenfürdieBewältigungvonErkrankungenebensowiefürdieGesundheitsförderung.

WirkmechanismendesKohärenzgefühls

‐ Das Kohärenzgefühl wirkt direkt auf verschiedeneSysteme des Organismus (z.B. Zentrales

Nervensystem, Immunsystem, Hormonsystem),indem es eine Situation als gefährlich, ungefährlich

oderwillkommenbewertet.‐ Das Kohärenzgefühl mobilisiert vorhandene

Ressourcen,diezueinerSpannungsreduktionführen

und damit indirekt auf die Systeme derStressverarbeitungwirken.

‐ Das Kohärenzgefühl schafft ein höheres Potential,

sich gezielt für gesundheitsfördendeVerhaltensweisen (z.B. gesunde Ernährung,

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Bewegung, Arztbesuch) zu entscheiden und

gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen zuvermeiden.

GanzheitlichesundreduktionistischesHandeln

Ganzheitlichkeit bedeutet die Betrachtung des Menschen als lebendiges System mit körperlicher,

geistiger und seelischer Dimension, das in seinem Zusammenspiel eine Einheit bildet undeingebunden ist in ein soziales, ökonomisches und ökologisches Umfeld. Als „offenes System“(LudwigvonBertalanffy,theoretischerBiologeundSystemtheoretiker,1901–1972)hatderMensch

(wiederum aus untereinander vernetzten und miteinander kommunizierenden Subsystemenbestehend)durchlässigeGrenzenzurUmwelthin, so dasseraufdieUmwelt einwirktundzugleichvonderUmweltbeeinflusstwird.

Neben seiner Individualität ist der Mensch also immer auch ein Bezogener, der untrennbar von

seinem Umfeld ist, auch im Sinne der fernöstlichen Philosophie untrennbar verbunden mit demKosmos,derzugleichUrsprungundZielseinerBestimmungist.

MultifaktoriellintegriertesModell

DergesamteOrganismusfunktioniertalskomplexesund

dynamisches Kommunikationssystem, welches demInformationsaustausch zur Regulation seines eigenenVerhaltensunddesVerhaltensseinerKomponentenwie

Gene,ZellenoderOrganedient.(HerbertWeiner,1990)

DerGanzheitlichkeitstehtderreduktionistischeAnsatzgegenüber,derdaszuuntersuchendeSystemnichtalsGanzesmitseinenWechselwirkungenmitdemAußenzuverstehensucht,sondernüberdasInnere. Das System wird dabei künstlich in Teile zerlegt (und damit das ursprüngliche

Beziehungssystem zerstört), um anschließend aus den Eigenschaften von Teilen (oder Teilen vonTeilen)dieAufgabenunddasMiteinanderderTeileimGesamtsystemzuverstehen.

Ausgehend vom Umgang mit Maschinen wird die reduktionistische Sichtweise auch auf lebende

SystemeübertragenundderMenschalsSummeseinerBestandteilebetrachtet.DasGanzeaber,soder österreichische PhilosophChristian von Ehrenfels (1890), istmehr als die Summe seiner Teile.Eine umfassende Erklärung von Phänomenen ist deshalb – so wichtig für manche Fragen und in

manchenBereichen(z.B.Notfall‐undIntensivmedizinoderChirurgie)derReduktionismusauchist–aufdemreduktionistischenWegdeshalbnichtzuerreichen.

Reduktionismus

Die reduktionistische (analytische) Herangehensweiseversucht ein System über das Innen, über die

Eigenschaften von Teilen (oder Teilen von Teilen) zuverstehen. Das ursprüngliche Beziehungssystem

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(Ganzheit,Verbundenheit)wirddabeizerstörtundnicht

berücksichtigt.

Als aristotelische Kausalprinzipien akzeptiert derReduktionismus nur die causa materialis(Materialursache)unddiecausaefficiens(Wirkursache).

Ganzheitlichkeit

Die ganzheitliche (systemische) Herangehensweise

versuchteinSystemüberseinVerhaltenalsGanzheitzuverstehen.ÜberdieinnerenWechselwirkungenhatmandadurchabernurhypothetischeVorstellungen.

Als Kausalprinzipien akzeptiert die Ganzheitlichkeit

zusätzlichzurcausamaterialis(Materialursache)unddercausa efficiens (Wirkursache) auch die causa formalis(Formursache)unddiecausafinalis(Zweckursache).

Im ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit und Krankheit wird die Vorstellung von derMachtäußerer Eingriffe zugunsten komplexer, sich gegenseitig beeinflussender Lebens‐Zusammenhängeaufgegeben. Das Symptom bildet nur einen Teil des gesamtenMusters (Disharmoniemuster). Der

ganzheitlichenMedizin geht es daher weniger um einen Eingriff von außen, als vielmehr um eineinnereSteuerung,umdieWiederherstellungeinesnatürlichenGleichgewichtszustandes.

EineKrankheithabenoderkranksein

EinweitverbreitetesVerständnisvonErkrankungenist,dasseszumeinendengesundenMenschengibt und zumanderendie krankhafteVeränderung. Krankheitenhaben so kaumetwasmit uns als

gesunde Menschen zu tun. Dies ist unter Umständen durchaus tröstlich, denn während wirinsgesamtgesundsind,istnurein(kleiner)Teilvonunskrank.Wir„haben“eineKrankheit.

Krankheiten sind Feinde, die von außen kommen, uns bekämpfen und im Krankheitsfallüberwältigen.SiewerdenvonderMedizin„benannt“,unddieDiagnostik stecktdasHandlungsfeld

ab,damitgegendenFeinddiegeeignetenStrategienundWaffenentwickeltundeingesetztwerdenkönnen. In diesem reduktionistischen ZugangderwissenschaftlichenMedizin spiegelt sich zugleichauch die Reduktion des krankenMenschen selbst. Er fühlt sich durch seine Erkrankung reduziert,

gestörtinseinen„normalen“Lebensprozessen,nichtmehr„ganz“.ErempfindetSchmerz,fühltsich„entfremdet“,„außersich“undtrenntsich,soPeterHeintel(1992),gleichsamaufineinSubjekt,dassich seiner ehemaligen Gesundheit erinnert, und in einen „objektiv“ gestörten „körperlichen“

Zustand. Wegen seiner körperlichen Störung sucht er Hilfe und ist offen für Interventionen vonaußen.

Andererseits sindwir krank, fühlenwir uns als ganze Person krank, seltennur in Teilen.DurchdieTrennungzwischenunsalsgesundeMenschenundderKrankheitverhindernwiraberdieKrankheit

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als eigene zu akzeptieren, als besondere FormundAusdruck unserer Subjektivität, als Hinweis auf

unsselbst.Dauerhaft,sokritisierendieAnhängerganzheitlicherAnsätzedeshalb,kannniemandvon„außen“geheiltwerden.ZurHeilunggehörtdieHereinnahmederKrankheitinunsselbst,inKörper,SeeleundGeist.

EineKrankheithaben(reduktionistischeBetrachtung)

Krankheiten sind Feinde, die von außen kommen, uns

bekämpfenundimKrankheitsfallüberwältigen.

DieMedizin diagnostiziert die Erkrankung, benennt sie,steckt das Handlungsfeld ab und setzt geeignete

StrategienundWaffengegendenFeindein.

Kranksein(ganzheitlicheBetrachtung)

KrankistderMenschimmeralsGanzes.DieKrankheitisteinebesondereFormundAusdruckseinerIndividualität.DasSymptomstelltnureinenTeildesgesamtenMusters

dar.

Ziel der Behandlung ist die Regulation derKörperfunktionen, die Wiederherstellung einernatürlichenBalance.

DerganzheitlicheAnsatzgehtdavonaus,dassauchjedeErkrankungAusdruckunsererIndividualitätin ihrenvielenErscheinungsformen ist.Gesundsein isteinZustand,krankseineinanderer.Undsowie es „leichtere“ und „schwerere“ Krankheiten gibt, gibt es auch „gesündere“ und „weniger

gesunde“ Lebenszustände, die ein Spektrum von Funktionstüchtigkeit bis hin zu erfülltemGlücksempfindenaufweisen.

IndividuelleundkollektiveSchicksalsbewältigung

Naturwissenschaftliche Medizin gilt weltweit. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, von kulturellen,sozialenund religiösenNormenunabhängige Parameter, BefundeundDiagnosenzu erstellen.Und

entsprechend wird eine so diagnostizierte Erkrankung standardisiert (unabhängig vomgesellschaftlichenundsozialenUmfeld)behandelt.ImUnterschieddazuwarundistjedetraditionelleMedizinengmitder jeweiligenKulturverbunden,eingebettet in ihreVorstellungenundWerte.Auf

diesen Kontext kann und will sie nicht verzichten, weil „Krankheitsursachen“ in mannigfachensozialenundbiologischenBedingungenanzusiedelnsind.

Krankheit und Leid, die aus unseren biologischen Bedingungen herrühren, gehören kollektiv zumWesendesMenschen,zugleichabersindsieauchdasSchicksaljedesEinzelnen.Dasgesellschaftliche

undkulturelleUmfeldbestimmtdabeidasVerhältniszwischendiesenbeidenPolen.Sogibtesmehr„Wir‐bezogene“, „kollektiv ausgerichtete Kulturen“ mit weitgehender Entlastung von der

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SelbstbewältigungdesSchicksalsaufdereinenSeitedesKontinuumsundaufderanderenSeite„Ich‐

bezogene“Kulturen,indenendiePerson,dieIndividualitäteinewesentlichgrößereRollespielt.Hierwerden bedeutsame Teile an das Ich delegiert, womit das Individuum aber viel von seinemgesellschaftlichenRückhaltundseinerkollektivenEinbindungverliert.DasLeid,dasallenzukommt,

musssovorallemalleinbewältigtwerden.

Wir‐bezogeneKulturen

Entlasten das Individuum weitgehend von derSelbstbewältigung seines Schicksals durch

gesellschaftlichenRückhaltundkollektiveEinbindung.

Ich‐bezogeneKulturen

Dem Individuum wird eine wesentlich größereVerantwortung für sein Schicksal übertragen. Das Leidmussvonallenweitgehendalleinbewältigtwerden.

LetztlichgibteskeineAnleitung,keinRezept,umdiesenWiderspruchinunszubewältigen.DerRiss,

dermittendurchuns hindurchgeht,muss jeweils vonuns selbst und individuell bewältigt werden.Krankheitwurzelt,sobetrachtet,auchinschlechterodermisslungenerBewältigungdieserDifferenz.

Hohe Anforderungen der Individualisierung und Differenzierung führen zu einer potentiellenÜberforderungdesMenschenundfördernaufdieseWeisedieEntstehungvonErkrankungen.

BehandlungbedeutetdeshalbauchkommunikativeArrangementszusetzen,indenenderBehandlermitleben, mitleiden, sich mitfreuen und Anteil nehmen kann und damit Heilungs‐ und

Gesundungsprozesse in Gang setzt.Das Ziel der Interventionen ist es, das Individuum, dessen Leiddarinbesteht, seinenAnschlussandiegrößereWirklichkeitunddamitandenkollektivenRückhaltderGesellschaftverlorenzuhaben,wiederzuihrzurückzuführen.

IchundEsundIchundDu.FormenderBegegnung

Immer sind wir Teil eines größeren Ganzen, eingebettet in die sozialen und gesellschaftlichen

Strukturen, die uns umgeben. Diesen Zusammenhang und Zusammenhalt verlieren wir allerdingsumso mehr, je mehr wir autonome Gestalter unseres Schicksals werden, je mehr wir Individuenwerden,diewirunsselbstverwirklichenkönnenundletztlichauchverwirklichenmüssen.Damitsind

wir in eine Dialektik geworfen, die von Martin Buber (1923) als Ich‐Es‐ und Ich‐Du‐Beziehungbeschriebenwird.

Ich‐EsbezeichnetdieBeziehungzwischeneinemMenschenunddenObjekten,dieihnumgeben.DerMenscherfährtaufdieseWeisedieWelt,schafftsichWissenüberDingeundLebewesen.Ererfährt

etwas über sie und geht mit ihnen um, nimmt aber innerlich nicht Anteil an ihnen, ist von denObjektenseinerErfahrunggetrennt.

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Ich‐Du hingegen beschreibt dieWelt als Begegnung. Das Gegenüber ist kein Objekt, sondernman

steht in unmittelbarer Beziehung mit ihm. Die Beziehung zum Du ist unmittelbar, nichts stehtzwischendenBeiden,diesichbegegnen.

Ich‐Es‐Beziehung

Beschreibt die Welt des Wissens, die Welt der Dinge,Objekte und Lebewesen, die uns umgeben. Sie hat

Zusammenhang inRaumundZeit, istüberschaubarundwirkönnenplanendundhandelndaufsieeinwirken.

Ich‐Du‐Beziehung

Beschreibt dieWelt der Begegnung, der unmittelbaren

Beziehung mit dem Gegenüber. Nichts sonst istgegenwärtig,esgibtnurdieGegenwart,dasSein.

Ich‐DuistSein,istGegenwart,Ich‐EsistErfahrung,istVergangenheit.DemSeinbegegnenwir,wennes uns in diesem Augenblick möglich ist, als unserem Gegenüber ganz und ausschließlich. Nichts

sonst istgegenwärtig,dochkönnenwir indieserGegenwartnichtaufDauer leben.DieBegegnungwirdwieder Erfahrung, wird Teil unsererWelt desWissens, dieWelt derObjekte – eineWelt, die

einigermaßenzuverlässigist,ZusammenhanginRaumundZeithatundüberschaubarist.Wirkönnenin ihrhandelnundauchplanendundhandelndaufsieeinwirken.ProblematischistdieseFormderWeltzubegegnennurdann,wennsiedasLebenzudominierenbeginntundwirnichtmehrwirklich

in Beziehung treten, nicht mehr an einer unmittelbaren Wirklichkeit teilhaben oder teilhabenkönnen.

DieTraditionelleChinesischeMedizinalsganzheitlicheAlternative

Angesichts der Erfahrung menschlicher Verletzlichkeit in einer Zeit, in der Chemie, Physik undTechnik indenschrecklichenVerdacht gerieten,nichtgeeignet zusein,dieanstehendenProbleme

derMenschenzulösen,jageradezuimGegenteilzerstörerischzuwirken,wurdedasausgehende20.Jahrhundert zunehmend von einer Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit bestimmt. Energiekrisen,Naturzerstörung,ChemieindenLebensmittelnundaggressiveMethoden inderMedizinführtenzu

einer zunehmenden Hinwendung zunaturheilkundlichenMethoden, die denMensch als Ganzheit,natürlich eingebunden in die ihn umgebende Welt, wieder in den Mittelpunkt stellen ‐ Sinnvermittelndwirkenundsicheiner„kaltenApparatemedizin“entgegenstellen.

In derwestlichenMedizin hat sich die Technik zunehmend zwischen Arzt und Patient geschoben.

Und obwohl damit ein ungeheurer Fortschritt im Erkennen von Erkrankungen verbunden ist,vermissen vieleMenschendenArzt, der sie persönlich behandelt unddabei auch ihr persönlichesSchicksalinBetrachtzieht.DerArztistvielfachzueinemHandwerkergeworden,derInfusionengibt,

Medikamente verschreibt undUntersuchungen verordnet. Vonder Körperlichkeit undnicht seltenauch von der Gefühlswelt seiner Patienten hat er sich damit nicht selten entfremdet. Wurde ein

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PatientvornichtallzulangerZeitinderUntersuchungnochganzselbstverständlichberührt,sogeht

esheutevielmehrdarum,BefundezulesenundLaborwertezu interpretieren.DerdirekteKontaktzwischen Arzt und Patient trat zunehmend in den Hintergrund. Die daraus resultierende„Apparatemedizin“ aber macht vielen Menschen Angst und fördert ihr Streben nach einer

Alternative.GanzheitlichkeitwurdesonichtnurzueinemSchlüsselbegriffderEsoterikunddesNewAge,sondernauchderAlternativmedizin,derGesundheitsvorsorgeundderFreizeitindustrie,diedenMenschendasGefühlgeben(wollen),inihrerGesamtpersönlichkeitangesprochenzuwerden.

Esoterik

Bedeutet wörtlich „das innere, verborgene odergeheime Wissen“ und wird heute meist alsSammelbegriff für ein breites Spektrum von

Weltanschauungen verwendet, die die spirituelleEntwicklungdesIndividuumsbetonen.

GemeinsamistallendiesenLehren,dasssiedieExistenzvon Phänomenen bejahen, die außerhalb der

nachweisbarenWissenschaftliegen.

NewAge

DerBegriffdesNewAgewurdeum1970imUmfeldderHippie‐Bewegung allgemein bekannt und wurdezunächst synonym mit dem Begriff des

„Wassermannzeitalters“ verwendet. Die damitursprünglich verbundenen astrologischen Vorstellungentraten dann allerdings bald in den Hintergrund. Heute

stehtNewAgeoftsynonymfürEsoterik.

Als eine Alternative zur technischen und damit unpersönlichen und entfremdet erlebten MedizinbietetsichdieTraditionelleChinesischeMedizinan.InihrdrängtsichnichtsUnpersönlicheszwischen

Arzt und Patient.Die körperliche Befundungundmanuelle Behandlung sind Teil der traditionellenAusbildung und es werden natürliche Behandlungsmethoden und Produkte angewendet. Zugleichauch gibt die fernöstliche Medizin wieder Orientierung in einer immer unüberschaubarer

gewordenen Welt. Gesund zu werden bedeutet im Verständnis der TCM in einem nicht zuvernachlässigbaren Ausmaß auch, seine Einstellung zum Leben zu verändern. Es geht darum zuverstehen, wie die bisherige Lebensweise und die bisherige Lebenseinstellung zu genau jenem

misslichen Zustand geführt haben, weshalbman den Arzt jetzt aufsucht. Heilung braucht deshalbnicht nur medizinische Maßnahmen, sondern oft auch eine Veränderung des Lebensstils, desUmgangsmitsichundderWelt.

GanzheitlichkeitimOsten,IndividualismusimWesten

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Alles,auch jedemedizinischeAnwendung, ist immer ineinenspezifischenKontexteingebettetund

von gesellschaftlichen, kulturellen und weltanschaulichen Bedingungen geprägt. So wird imtraditionellen fernöstlichen Gesundheitsverständnis Krankheit weniger als individuelles Schicksalverstanden,vielmehralsfamiliäreAngelegenheitfürdiesichdiegesamteFamiliedieVerantwortung

teilt. Im Westen hingegen ist das Leben durch ein deutlich größeres Ausmaß an Individualitätgeprägt,weshalb Krankheit undGesundheit auchwesentlich stärker in die EigenverantwortlichkeitderMenschenfallen.

DasKonzeptdes individuellen,freienSelbsthatseineWurzeln imantikenGriechenland,dochselbst

nochinderRenaissancewurdedasSelbstalseingebettetineinevorgegebeneOrdnungverstanden,geprägtvonderTraditionundkontrolliertvonäußerenAutoritäten.DerEinzelnewurdekeineswegsals autonomangesehen, nochwurde ihmdie Freiheit desAusdrucks undder Selbstverwirklichung

zugestanden. Das Ziel der individuellen Verwirklichung, das dieMenschen unserer Kultur und Zeitheute zunehmend prägt, ist eine relativ neue und vor allem auf die westliche Welt bezogeneZeitströmung,inderMenschennichtmehrsosehrnachäußerenMoralvorstellungenleben,sondern

ausinnererreflexiverOrganisationdeseigenenSelbst.

Individualismus

Process of global redefinition of persons as completewholes rather than as subordinate parts of localised

groupsorcommunities.(R.Robertson,1962)

Während Gesundheit und Krankheit in China und Japan in einem hohenMaß eingebettet sind insoziokulturelleMitverantwortlichkeiteninnerhalbdersozialenBeziehungenundjedeHeilungdaher

aufdenBeziehungenzumBehandler,zudenArbeitskollegenundzurFamilieberuht,tritt‐alsFolgedes stärkeren Individualismus im Westen – die Arbeits‐ und familiäre Welt zugunsten der Arzt‐Patient‐Beziehung indenHintergrund.Undzugleich liegtdamitdieVerantwortung fürGesundheit,

KrankheitundHeilungineinemdeutlichgrößerenAusmaßbeimEinzelnen.

GanzheitlichesMenschenbilddesNewAge

Abounded,uniquemoreorlessintegratedmotivationalandcognitive universe,adynamiccentreofawareness,

emotion, judgement and action organised into adistinctive whole and set contrastively both againstother such wholes and against its social an natural

background.(C.Geertz,1984)

PlaceboundPlacebo‐Wirkungen

AlsPlacebokannmanallesbetrachten,waseinenpositivenEffektaufdasBefindenhat,ohnedassdies auf einem geprüften medizinischen Wirkstoff oder einer überprüften Methode basiert.JedemedizinischeoderpsychologischeZuwendung vermagdieSelbstheilungskräfte des Körpers zu

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aktivieren.Erwartungshaltungenkönnen,wiesichheuteauchneurophysiologischnachweisenlässt,

Mechanismen inGangbringen,die jenenähneln,dievonArzneimittelnaktiviertwerden,bewirkenalso nachweisbare, reale Veränderungen im Körper. Und selbst wissenschaftlich nachweisbarepharmakologischeWirkungenkönnendurchdenPlacebo‐EffektinihrGegenteilverkehrtwerden.So

wurdeineinerStudieschwangerenFrauengesagt,sieerhielteneinMittelgegenihreÜbelkeit,wasdazuführte,dassdiemeistenFrauensichdadurchdeutlichbesserfühlten–inWirklichkeithattensiejedocheinMittelerhalten,daszuErbrechenführt.

Placebo bedeutet „ich werde gefallen“ und ist das

Anfangswort der römisch‐katholischen Seelenandachtfür Verstorbene: „Placebo Domino in regione vivorim“

(ich werde dem Herrn wohlgefällig sein im Lande desHerrn). Im12. JahrhundertnanntemandieseHandlungkurz Placebo, und im 14. Jahrhundert hat sich die

Bedeutung in eineabschätzigegewandelt:SoschimpftemannunKriecherundSpeichellecker.VermutlichrührtedasvomBerufsstandderPlacebo‐Kantorenher,dieden

TrauergesanggegenGeldvortrugen.

Als das Wort in die Medizin einging, behielt es seinenabfälligenBeiklangundmanbezeichnetedamit–soeineDefinitionvon1811–alleArtenvonArzneien,diemehr

zum Zwecke der Gefälligkeit als des therapeutischenNutzensverschriebenwerden.

Viele Studien belegen heute, dass es oftmals nicht die Methode der Behandlung ist, sondern die

Behandlungansich,diezuHeilungundBesserungführt.BekanntgewordensindinjüngererZeitdieErfahrungendesOrthopädenBruceMoseley(VeteransAffairsMedicalCenterinHouston,Texas),derPatienten mit mittelschwerer Knie‐Arthrose – ausgewählt nach dem Zufallsprinzip – entweder

arthroskopischoperierte (Glätten rauerOberflächen, Entfernen von lockeremGewebeund Spülendes Kniegelenks) oder eine Scheinoperation durchführte – mit dem Ergebnis, dass sich keineUnterschiedeimBehandlungserfolgzeigten.

Schon der Anblick von Tabletten wirkt auf Patienten. Blaue Pillen haben eine einschläfernde und

gelbe eine anregende Wirkung. Rote Tabletten wirken auf das Herz. Generell wirkenMarkentabletten besser als Generika (nachgeahmte Produkte). Eine viermalige Einnahme isteffektiver als eine nur zweimalige, und größere Kapseln versprechen eine stärkere Wirkung als

kleinere.NochstärkeralsPillenund ZäpfchenwirkenSpritzenundchirurgischeEingriffe.Sogar einnichteingeschalteterHerzschrittmacheristdeutlicheffektiveralsPlacebo‐Pillen.

Bei denmeisten Erkrankungen, sowird geschätzt, trägt

der Placebo‐Effekt zu 30 bis 40 Prozent zum Nutzenmedizinischer Maßnahmen bei. Elaine und ArthurSharipo vermuten, dass die Fähigkeit, positive

ErwartungeninGenesungumzusetzen,sichimLaufeder

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Evolution im Erbgut der Menschen verankert hat. Wer

mit dieser Fähigkeit geboren wurde, hatte einenÜberlebensvorteil, denn Interaktionen zwischen PatientundHeilerkönnendieSelbstheilungskräftesehreffektiv

wecken.

Besonders wirksam scheint aus dieser Sicht, so der Spiegel im Juni 2007, das Procedere derAkupunktur,umdieSelbstheilungskräftedesMenschenzubeeinflussen.TedKaptchukundKollegen

vonderHarvardMedicalSchool inBostonverglichenScheinakupunktur („falsche“Punkteund keinwirklicher Stich) mit Placebo‐Tabletten bei schmerzhaften Sehnenscheidenentzündungen. DabeizeigtensichdiefalschenNadelnerheblicheffektiveralsdiePlacebo‐Medikation.

Offensichtlich ist die Wirkung von Placebos an die – durchaus unbewussten – Erwartungen des

Patienten gekoppelt. Glaubt er nicht an eine Wirkung, so hilft die Scheinmedikation, dieScheinbehandlungnicht.FernergehtdieWirkungeinesPlacebos ineinerbestimmtenSituationnurineinedefinierteRichtung–indieRichtungderErwartungen.DieWirkungvonPlacebosberuhtaber

nicht nur auf dem Vertrauen in die Autorität des Arztes, sondern auch auf früheren positivenErfahrungenoder der rationalenNachvollziehbarkeit einer Behandlung (auchdann,wenn sie nichtaufwissenschaftlichen Erkenntnissenberuht). Es ist allerdings ein Fehlglaube, dass Placebos keine

Nebenwirkungen hätten. So klagen PatientInnen durchaus über typische Nebenwirkungen. SogarEntzugserscheinungenlassensichbeimAbsetztenderScheinmedikamentebeobachten.

Auffällig ist, dass Placebos am zuverlässigsten bei Leiden helfen, auf deren Symptome sich Stressdirekt auswirkt. Das gilt über Depressionen und Angstzustände hinaus auch für Schmerzen und

andereBeschwerden,diesichbeiAufregungverschlechtern,wiebeispielsweiseAsthmaodermäßigerhöhterBlutdruck.HierkönntedieWirkungdesPlacebos,sowirdvermutet,aufderMinderungderBesorgnisumdieErkrankungberuhen.NachweislichnämlichbeeinträchtigenStress‐Situationendas

Immunsystem,eserhöhtsichderCortisol‐SpiegelimBlutunddieAbwehrkraftsinkt.

Aus der Sicht der Komplexitätstheorie nimmt Information eine zentrale Rolle im Prozess derSelbstorganisation komplexer Systeme ein, wobei Information sowohl überMaterie (z.B. Infusion,Medikament, chirurgischer Eingriff) als auch über Energie (z.B. optische oder akustische Wellen,

taktile oder geschmackliche Signale) vermittelt wird. Für das komplexitätstheoretischeVerständnisvon Placebosmuss das Ursache‐Wirkungsprinzip (eine bestimmte Ursache hat eine immer gleicheWirkung) erweitert werden mit der Bedeutung, die der jeweiligen Ursache erteilt wird.

Jedes Lebewesen erteilt allem, was es in seiner Umgebung wahrnimmt, und besonders jedemZeichen (Information), das es aus der Konstruktion seiner Lebenswelt heraus aktiv oder passivaufnimmt, eineBedeutung.UnddieseBedeutungserteilung,d.h. InterpretationderZeichen, istein

grundlegenderVorgang,derüberdieEntfaltungeinerWirkungentscheidet.

Jede zwischenmenschliche und therapeutischeIntervention und die dadurch ausgelöste Wirkung

enthalten sowohl einen physiko‐chemischen Anteil alsauch einen Anteil, der sich durch dieBedeutungserteilungergibt.

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EinestarkeundanhaltendeWirkungergibtsichdeshalb

vor allem dann, wenn die physiko‐chemische WirkungunddieWirkungderBedeutungserteilungindiegleicheRichtungweisen.

Shiatsu.UrsprungundWesen

Shiatsu und die Traditionelle Chinesische Medizin entstammen dem gleichen weltanschaulichenHintergrund.Shiatsuhat sichausderTraditionellenChinesischenMedizin, insbesondereausTuina,der manuellen Therapie innerhalb der TCM, herausentwickelt. Trotz seiner noch relativ kurzen

Geschichte–seineGeburtsstundeliegtzuBeginndes20.JahrhundertsinJapan–hatShiatsubereitsvieleEntwicklungenundVeränderungenerfahren.ZunächstinAbgrenzungzurTuinaentstandenundmiteinerdeutlichenHinwendungundEinbeziehungmodernerwestlicherBehandlungskonzepte,kam

es später zu einer verstärkten Reintegration von Ansätzen fernöstlicher Medizin. Und mit derAusbreitung derMethode nach Amerika und Europa ergaben sichweitere Entwicklungen, so dassmanheute,nach einer etwadreißigjährigenGeschichte vonShiatsu inEuropadurchaus voneinem

europäischenShiatsusprechenkann,dassichinmanchenAspektenvondeminJapanunterscheidet.

Shiatsu

Eine eigenständige, in sich geschlossene Form dermanuellen,ganzheitlichenKörperarbeit.

Shiatsu hat seinen Ursprung in fernöstlichen

Heilmethoden,derenGrundlagedieVorstellungvonderExistenz einer allen Lebewesen innewohnenden,dynamischenLebensenergie(Ki,Qi)ist.Shiatsuistdabei

auchvonwestlichenGesundheitskonzeptenbeeinflusst,die sich an einer ganzheitlichen Betrachtung desMenschen orientieren.Gesundheit und Wohlbefinden

eines Menschen in seiner Körper‐Seele‐Geist‐Einheitsind Zustände harmonisch‐dynamischer

Ausgewogenheit. Dies zeigt sich im gleichmäßigenFließenundderausgeglichenenVerteilungderEnergieinden Meridianen und im gesamten Organismus.

(ÖsterreichischerDachverbandfürShiatsu)

Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal von Shiatsu zu anderen Methoden ist seineBegegnungsqualität,inderderEmpfangendePartnerderBehandlungistundaufvielfältigeWeisedieBehandlunggleichsamdialogischmitbestimmt.AusgedrücktwirddieserZugangdurchdieBetonung

desHara(japanischesWortfürBauch)alsZentrumderLebensenergieunddesinnerenWissens.

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Damit die Shiatsu‐Begegnung in gewünschter Weise stattfinden kann, ist Achtsamkeit und

Selbstgewahrsein auf Seiten des Shiatsu‐Praktizierenden eine unabdingbare Voraussetzung.Ausgebildet werden diese Fähigkeiten durch Schulung der Wahrnehmung wie auch durchSelbsterfahrunginnerhalbderAusbildung.

Allgemeine Wirkungen, sieht man von den spezifischen Wirkungen der Behandlung von Tsubos

(Akupunkturpunkten)undMeridianenab,liegenunterandereninderMöglichkeit,dasVertrauendesKlientenzusichundzurWeltzustärken,LoslassenundEntspannenzufördernundüberdieStärkungdes inneren, psychophysischen Kerns die Grundlage für die Erhaltung physischer und psychischer

Gesundheitzuunterstützen.

VertrauenstärkenundLoslassenlernen

DiefrühestenErfahrungender letztlichallumfassendenVerbundenheitmitderWeltmachenwir imMutterleib. In dieser Lebensphase erwerben wir die Basis des, ummit Bela Grunberger (1976) zusprechen, „erhebend‐erhabenen“ Gefühls, in dem es keineBedürfnisse undnichts außerhalb oder

getrenntvonunsgibt.MitderGeburtkommteszueinerradikalenVeränderung.Wirwerdenineine„unzulängliche“ Welt hinein geboren, in eine Welt voller Bedürfnisse, Notwendigkeiten undSchwierigkeiten. Allein aus uns heraus sind wir unfähig zu überleben. Es bedarf der Fürsorge und

Bemutterung, die aber nie in gleicher Weise vollkommen ist wie die vorgeburtliche Existenz, nievollkommenseinkann,weildasnachgeburtlicheLebendurchBedürfnisspannungund‐befriedigunggeprägtist.

Sind unsere frühen Erfahrungen hinlänglich gut, erleben wir unser Umfeld versorgend, verlässlich

undeinfühlsam.WirgewinnenVertrauenzurWeltundemotionaleEinbindungindieWelt,werdenTeil der Welt. Wenn wir uns aber in unserem Umfeld ungeborgen fühlen, werden wir der Weltgegenübermisstrauischundablehnend.

VertrauenistakzeptierteAbhängigkeit.(DietrichRössler)

DiesegrundlegendeEinbindungindieWelterfolgtsehrfrühinunseremLeben,zueinemZeitpunkt,indemwirnochnichtüberdieMöglichkeitenderSpracheverfügen.WirmachendieseErfahrungen

vorallemkörperlich, imdirektenKontaktmitunserenBetreuungs‐undBezugspersonen.Unddiesefrühen Erfahrungen werden in der körperlichen Berührung des Shiatsu angesprochen. Stimuliert,wenn eine entsprechende Basis besteht, und gefördert, wenn Defizite vorhanden sind. Achtsam

umsorgtzuwerden,willkommenzuseinundTeileinerWeltzusein,diewohlwollendundlebenswertist,kannso–ganznonverbal–erfahrenwerden.

EntsprechendangewendetstärktShiatsudieErfahrungbedingungslosangenommenundunterstütztzu werden. Sich fallen lassen zu können, sich anzuvertrauen, ist eine Qualität, die Menschen in

Notsituationen – und um solche handelt es sich vor allem bei schweren und chronischenErkrankungen–geradezu„verlernt“haben.EineErfahrung,diesieauchkaummehrmachen,wederin ihremsozialenUmfeld,dashäufigüberfordert ist,noch inderBehandlungssituation,dievielfach

durch invasive und aggressive Behandlungsmethoden gekennzeichnet ist. So hilfreich eine

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Nadelbehandlungbeispielsweiseauchist,soistsiedennochimmeraucheineaggressiveHandlung–

undnichtjederPatienthatdieKraftunddieentsprechendeVerfassung(auchVorerfahrung),diesen„Angriff“positivundunterstützendzuerleben.

Nicht nur in der Apparatemedizin, auch in der Behandlung durch den TCM‐Arzt ist der Patientdefacto häufig weniger Partner als vielmehr Objekt, Objekt der Untersuchung und Objekt der

Behandlung– imschlimmstenFallerlebtersichalsOpfer.Menschen,denenesanpositiver Ich‐Du‐Beziehung im Sinne Bubers fehlt, an einem unmittelbar positiven Zugang zurWelt (einem positiv‐erfüllten Sein mit der Welt), profitieren auch in der Weise von Shiatsu‐Sitzungen, dass sie hier

wenigerObjektalsvielmehrPartnersind–unddieseErfahrunghilftihnenauchinderAnnahmeundVerarbeitungärztlicherBehandlungen.

UnmittelbareBegegnung

ReneSpitzhatschonindenFünfziger‐Jahrendes20. Jahrhundertsaufgezeigt,dassdieprimäreArtundWeisedesSäuglingsdieWeltzuerfahrenundmitihrzukommunizierenandersist,alswirsie(im

Normalfall) als Erwachsene kennen. Diese frühe Form der Wahrnehmung und Kommunikationbezeichnet Spitz als coenästhetisch. Hier stehen, ähnlichwie in der Shiatsu‐Begegnung,Haut‐ undKörperkontakt,Schwingung,Rhythmus,SpannungundEntspannung,Körperhaltung,Temperaturund

Stimmlage im Vordergrund – letztlich die glatte (unwillkürliche) Muskulatur und das AutonomeNervensystem.

ImLaufeunsererEntwicklungallerdingstrittdiecoenästhetischeErlebnisweltindenHintergrund,dieunterscheidende(diakritische)WahrnehmungmitihrerBetonungderquergestreiften(willkürlichen)

Muskulatur,desZentralenNervensystems,deslogischenDenkensundderoptischenWahrnehmungwird dominierend. Dennoch, wenngleich vielfach verborgen, bleibt die coenästhetische Welt alsinnererBereichdesErlebensvonentscheidenderBedeutungfürunserLeben.

StärkungdesinnerenKerns

Shiatsu hat das Potential, den inneren, psychophysischen Kern der behandelten Menschen zu

stärken.Wärme,RhythmusundKonstanzbildendabei,soderAnsatzvonG.Bartl (1984,1989),diewesentlichenQualitäten,dieinderfrühenLebenszeitdesSäuglingsaufgefülltwerdenmüssen,damiteinesolideGrundlage fürdieharmonischeReifungundEntwicklunggegeben ist –unddamitauch

guteVoraussetzungenfüreinepsychischeundphysischeGesundheit.

Durch seinen körperlich‐emotionalen Zugang stärkt Shiatsu Wärme (durch die zugewandte undachtsame Berührung), Rhythmus (durch den Rhythmus der Arbeit, die Stärkung körpereigenerRhythmen) und Konstanz (durch das im Kern gleich bleibende Setting und die gleichbleibend

achtsame Behandlung). Damit unterstützt manmit Shiatsu – ganz unspezifisch und zugleich dochsehrspezifisch–selbstregulativeVorgänge,dieGesundheitundEntwicklungfördern.

Wärme

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Die adäquate Erfahrung von Wärme (weder Mangel

noch Überangebot), die die Mutter (Bezugsperson)aufgrundihrerLiebeundZuneigungvermittelt, lässtdasKind zugleich auch emotionale Wärme und

Geborgenheit erfahren und bildet die frühe Basis fürVertrauen in die Welt und für Genussfähigkeit im

späterenLeben.

Rhythmus

EinverlässlicherundadäquaterRhythmusgibtSicherheitund Halt und ermöglicht das Wahrnehmen von FormundGrenzen, insbesondereauchdieWahrnehmungder

eigenen Körpergrenzen. Rhythmus und Wärmezusammenschließlich,gleichsamFormundInhalt,bildendie Basis für das Gewahrwerden und Erleben des

eigenenKörpersunddesseninnereVorstellung.

Konstanz

KonstanzoderVerlässlichkeitfestigtdieErfahrungenvonWärmeundRhythmus,machtsie imInnerenbeständig.Urvertrauen entwickelt sich und bildet die stabile

Grundlage der weiteren Entwicklung. Letztlichermöglicht das Erleben von Beständigkeit, komplexeemotionale Beziehungen (Bindungen) einzugehen und

positivzubewältigen.

ErgänzungundUnterstützung

Als ergänzendes und unterstützendes Angebot zur ärztlichen Behandlung kann ein Klient aufvielfacheWeisevonShiatsu‐Behandlungenprofitieren.

‐ Die Anregung des Flusses des Qi durch die Arbeit an Meridianen und Tsubos

(Akuupunkturpunkten)unterstütztdieWirkung vonBehandlungenund gleichtDysbalancenimOrganismusaus.

‐ DieachtsameundunterstützendeBerührunghilftdemKlienten,wiederRuhezufindenundVertrauen zur Welt – insbesondere wenn die medizinischen Behandlungen invasiv und

mitunterauchnochdurchmangelndesEinfühlungsvermögenbegleitetsind.

‐ AngenehmerlebteBerührungenbewirken–unddasgiltnachweislich fürMassagen–,dassdas Hormon Oxytocin ausgeschüttet wird und nachfolgende Stressreaktionen ruhiger undentspannterbewältigtwerden.AuchsteigendieWertedesStresshormonsCortisolweniger

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an. Rückwirkend stabilisiert die Ausschüttung von Oxytocin auch jene Bindungen, die zu

seinerProduktiongeführthaben,indemesdieBereitschafterhöht,Vertrauenzuschenken.

‐ DieachtsameundunterstützendeBerührung inderShiatsu‐BehandlunghilftdemKlienten,über eine Entspannung, Harmonisierung und Vitalisierung seines Körpers zu einem gutenKörpergefühl und einem „gesunden“ Verhältnis zu seinem Körper zurückzufinden, denn

geradedasVerhältniszumeigenenKörperistbeischwerenErkrankungenwiez.B.Krebsoftmassiv beeinträchtigt, ist der Körper dochunberechenbar undnoch dazuderOrt, an demsich über lange Zeit unbemerkt und unmerklich der „Feind“, die Krankheit, ausbreiten

konnte.

‐ ShiatsufördertdasVerständnisdesKlientenvonsichundseinemKörperunddamitdieaktiveGesundheitsvorsorgeüberdieErfahrungvonharmonischenKörperfunktionen.

‐ Shiatsu hilft dem Klienten, über die einfühlsame Vermittlung von Wärme, Rhythmus undKonstanz seinen inneren, psychophysischen Kern zu stärken und schafft dadurch innere

Stärke und ein größeres Potential, den Herausforderungen des Lebens ebenso wie einerErkrankungundihrerBehandlungzubegegnen.

KonkurrenzundvermeintlicheKonkurrenz

In Japan istShiatsuTeildesGesundheitssystemsund versteht sichalsMethodedurchausgeeignet,Erkrankungenzubehandeln. InÖsterreichjedochistShiatsueinklardefiniertergewerblicherBeruf.

Seine Gesundheit fördernde und Krankheiten vorbeugende Wirkung beruht auf einemressourcenorientierten Gesundheits‐ und Krankheitsverständnis. Nicht die Behandlung vonErkrankungen ist das Ziel von Shiatsu, sondern die Stärkung gesunder und Gesund erhaltender

Aspekte,vonRessourcenimSinnederSalutogenese.

NaturgemäßgibtesdamitauchÜberschneidungenzwischenderTraditionellenChinesischenMedizinund Shiatsu, beispielsweise im Bereich von so genannten „Befindlichkeitsstörungen wieKopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schlafstörungen oder Verdauungsstörungen, denen keine

organischeVerursachungzugrundeliegt.

KrankheitundBefindlichkeitsstörung

Eine Krankheit ist eine heilbare oder unheilbareSchädigung eines Organsystems im Körper. Die

Befindlichkeitsstörung dagegen zeigt keine eigentlicheErkrankung eines Organs, die Person fühlt sich jedochunwohl oder krank. Sie ist eine Einschränkung des

körperlichenoderseelischenWohlbefindens,diekeinenmedizinischenKrankheitswerthat.

UnterderVielzahlderkonventionellenundalternativenBehandlungsansätzeindiesemBereichkann

auch Shiatsu hilfreich sein, kann Beschwerden lindern oder ganz auflösen. Nicht zu vergessen ist

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dabei der generelle, unspezifische Faktor der Zuwendung undWertschätzung, der inMedizin und

Forschung manchmal nur geringschätzig als „nur Placebowirkung“ abgewertet wird. Dabei ist zubeachten,dassessichnichtumeineunbeabsichtigteNebenwirkunghandelt,sondernumeinhöchstwirksamesAgens,dasseineWirkungmittlerweileauchinderHirnforschungunterBeweisgestellthat

und einen nicht vernachlässigbaren Teil der Heilwirkungen sowohl konventioneller wie auchalternativer Behandlungsmethoden ausmacht. Überraschend ist die Wirkung von Zuwendung undinsbesondere körperlicher Berührung nicht, denktman beispielsweise an die Untersuchungen von

René Spitz, der gezeigt hat, dass fehlendeBerührung von Säuglingen zu Erkrankungenbis hin zumTodführenkann.

In einerkritischen InterpretationderdeutschenGERAC‐StudienzurAkupunktur, inderdie„echte“Akupunktur vergleichsweise nur geringfügig besser abschneidet als die „Placebo‐Akupunktur“,

postulierte der Spiegel im Juni 2007, dass die großen Erfolge der Akupunkturbehandlungen – fastdoppelt so erfolgreichwie die Behandlungmit konventionellerMedizin – auf der InszenierungderNadelbehandlungals„Super‐Placebo“beruhen.

FüreinbeängstigendesKonkurrenzdenkenbestehtallerdingsaufbeidenSeitenkeineNotwendigkeit,

weder für den Arzt noch für den Shiatsu‐Praktizierenden. Sicherlich wird der Eine vielleicht dieNadelbehandlungbeiRückenbeschwerdenvorziehen,einAndererhingegendieAkupunkturfürchtenund sich lieber auf die Matte beim Shiatsu‐Praktiker legen oder sich Übungsanleitungen beim

Physiotherapeuten holen. Generell kann man wohl davon ausgehen, dass sich Patienten „ihre“Methode und „ihre“ Behandler auswählen und dass jeder Behandler letztlich „seine“ Zielgruppeanspricht.

Verantwortungsvolles Behandeln geht immer davon aus, dass der Klient/Patient und seine

Bedürfnisse undBeschwerden im Zentrumder Behandlung stehen.Das bedeutet immer auch, alleMöglichkeiten auszuschöpfen, die vertretbar sind, um Menschen zu helfen. Mit Blick auf denärztlichenBehandlerbedeutetdiesausmeinerSichtauch,dasunterstützendePotentialvonShiatsu‐

BehandlungeninBetrachtzuziehen.

TheEffectsandExperienceofShiatsu:ACross‐EuropeanStudy

Um die Wirkungen und Erfahrungen von Shiatsu‐Empfangenden zu quantifizieren, gab derEuropäischeDachverbandfürShiatsu(ESF)imHerbst2005eineDreiländerstudieinAuftrag,dieEnde2007 abgeschlossen wurde. Durchgeführt wurde die Studie in Form einer longitudinalen

Kohortenstudie in Österreich, Spanien und Großbritannien. Insgesamt 948 Shiatsu‐Empfangendehaben teilgenommen, und 633 (67 %) haben alle vier Fragebögen in einem Zeitraum von vierMonatenausgefüllt.

WasdieErwartungenderanderStudieteilnehmendenKlientenbetrifft,sowarendiesinsbesondere:

Energiearbeit,

StärkungdesSelbstwertgefühls, EntspannungundStressreduktion,

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Beschwerdefreiheit,

LinderungvonspezifischenSymptomen, emotionaleHilfeundUnterstützungund StärkungderBewusstheitvonKörperundGeist.

Bei allen Beschwerden der Versuchspersonen zeigten sich in der Untersuchung signifikante

Verbesserungen,insbesondere

beiSpannungundStressundbei BeschwerdenvonMuskulatur,GelenkenundKörperbereichen(inklusive

HaltungsbeschwerdenundRückenprobleme).

GenerellzeigtensichzudemWirkungenwie:

VerbesserungderallgemeinenGesundheit,

VertrauenindieeigeneGesundheit, VerbesserungderHaltung, besseresVerständnisdereigenenPerson,

geändertesVerständnisdeseigenenKörpers, bessereFähigkeitmitSituationenumzugehenundmenschlichzureifen.

Geändert hat sich auch der Umgang der Shiatsu‐

EmpfangendeninHinblickauf ihrGesundheitsverhalten,wozu neben Änderungen im Lebensstil auchKonsultationenbeiTCM‐Ärztenzählen. (TheEffectsand

ExperienceofShiatsu,2007)

Shiatsu‐PraktikaimKrankenhaus

IneineähnlicheRichtungweisenauchErfahrungenvonShiatsu‐PraktikaimKrankenhaus,wiesievonmanchenShiatsu‐Schulenangebotenwerden. ImLandesklinikumWeinviertel,StandortKorneuburg,

wodie Shiatsu‐AusbildungenAustria (www.shiatsu‐austria.at) seitHerbst 2006 Shiatsu‐Praktika fürangehende Shiatsu‐Praktizierende anbietet, zeigen sich, obwohl es sich dabei nur umBehandlungsserienvonjeweilszehnSitzungenhandelt,generellpositiveErgebnisse.

Viele Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Verspannung, Menstruationsbeschwerden,

Rückenbeschwerden, Schlafstörungenu.ä.m. haben sichmerklich gebessert.DieBeweglichkeit derBehandelten hat zugenommen und ihr Körperbefinden hat sich positiv verändert. Von manchenKlientenwurdeaucheineSteigerungihrerLeistungsfähigkeitfestgestellt.

SynergiennutzenundBerührungsängsteabbauen

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AnstellevonKonkurrenzodervermeintlicherKonkurrenzkannZusammenarbeitSynergienschaffen,

die sich positiv auf den Gesundheitszustand und die Prävention von Erkrankungen bei denPatienten/Klientenauswirken.

Von Seiten der Shiatsu‐Praktizierenden bedeutet die Zusammenarbeit mit anderen BerufsgruppenwieÄrztenoderPsychotherapeuteneineoptimalereBetreuungderKlienten(esmachteinfachmehr

Sinn,gemeinsamaneinemStrangzuziehen–unddannauchnochindiegleicheRichtung),undeineEntlastung, weil Shiatsu‐Praktizierendenaturgemäß aufGrundder fehlendenAusbildung in diesenBereichen manche Probleme von Klienten nicht (genügend) erkennen und abschätzen können.

Entlastet durch diese „Arbeitsteilung“ aber können sie ihre Qualitäten voll und ganz einbringen:SpezialistenzuseinfürEnergie‐undKörperarbeit,SpezialistenfürBegegnunginderBerührung.

Notwendigerweise bedarf es dazu eines Abbaus von eventuell vorhandenen Vorurteilen undBerührungsängsten (aufbeidenSeiten).VorurteileaufSeitenderMediziner, sicherlichnicht immer

unberechtigt, sind wohl auch durch den Umstand bedingt, dass es im „alternativen Graubereich“viele selbsternannte „Heiler“ gibt, die sich oft mehr durch Ignoranz und Selbstüberschätzung alsdurch umfassendes Wissen und verantwortungsvolles Handeln auszeichnen. Dem aber wirkt der

Österreichische Dachverband für Shiatsu (www.shiatsu‐verband.at) entgegen, der für hoheprofessionelleAusbildungsstandardsundderenKontrolleeintritt.

Ein wichtiger Faktor, der solchen Tendenzen entgegenwirkt, ist der Dialog zwischen Ärzten undShiatsu‐Praktizierenden und die konstruktive Zusammenarbeit, in der sich – getragen von

gegenseitigerWertschätzung–einvertieftesVerständniszuGunstenderKlientenentwickelnkann.

Auf Seiten der Shiatsu‐Praktizierenden ist mitunter auch das Vorurteil zu finden, dass Ärzte keinVerständnis und keine Offenheit für alternative Zugänge haben, allemwas „Nicht‐ärztlich“ ist vonvornherein misstrauen und nur von sich und ihrenMethoden überzeugt sind – oftmals auch zum

NachteilvonPatienten.Auchhierkann,nebenderAusbildung,dieeinersolchenPolarisierungkeinenRaum gibt, der Dialog zwischen Ärzten und Shiatsu‐Praktizierenden die Kluft überbrücken und diespezifischeVerantwortungklarmachen,diedieBerufsausübungdesArztesmitsichbringt.

Und so ganz nebenbei gibt die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen zum Wohle des

Patienten/KlientenaucheinModellfürdenUmgangmitGesundheitundKrankheit:Vernetzungstattder Grundeinstellung, dass die eigene Methode der einzig richtigeWeg sei, und – ganz im SinnemodernerGesundheitstheorien–vielfältigeRessourcennutzen,sichUnterstützungholen,wennsie

benötigtwirdundverfügbarist.

GegenseitigerNutzenzumWohlederPatienten

Wie die schon angeführte Dreiländer‐Studie zu Shiatsu auch statistisch nachweist, nimmt dieInanspruchnahmevonTCMinfolgevonShiatsu‐Behandlungenzu.DemliegenverschiedeneUrsachenzugrunde, deren wichtigste wohl die ist, dass Shiatsu‐Praktizierende durch ihre Ausbildung in den

GrundlagenundDiagnostikverfahrenderTCMeinVerständnisdafürerwerben,wannsicheineTCM‐Behandlung–ergänzend,vielleichtsogarvorübergehendalternativ–alsgünstigerweisenkönnte.

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WirdeinShiatsu‐Praktikerbeispielsweisekontaktiert,umdieRegenerationeinesKlientenzufördern

undseineVitalitätzustärken,sokönntedieenergetischeEinschätzungdurchdenShiatsu‐GebendendeutlicheHinweiseaufeineSchwächedesVerdauungsapparatesverbundenmitinnererFeuchtigkeitergeben(nebenanderendiagnostischenHinweisenzeigtsicheinedeutlichgeschwolleneZungemit

Zahnabdrücken).SeinWissenumdieMöglichkeitenderTCMhierpharmakologischoderauchdurchNadelung deutliche und rasche Besserung zu erzielen, veranlasst den professionell arbeitendenShiatsu‐Praktiker, seinem Klienten die Unterstützung durch einen TCM‐Arzt nahezulegen.

Insbesonderedann,wennderKlientVertrauenzumShiatsu‐PraktikerhatundweilderTCM‐Arzt imgleichenSystemarbeitet, klapptdie „Überweisung“erfahrungsgemäßgut.Voraussetzungdafür ist,wie schon weiter oben angeführt, dass keine Vorurteile oder Berührungsängste dem entgegen

stehen.

Andererseits zeigt sich durchaus auchdie heilsameAuswirkung von achtsamerBerührung, die denPrinzipien der fernöstlichen Heillehren folgt. Behandlungserfolge von Nadel‐ und/oderPharmakotherapienkönnendurchShiatsustabilisiert,javielfachsogarnochverstärktwerden.Inden

vertraut und verlässlich werdenden Shiatsu‐Sitzungen gewinnt der Klient zunehmend Sicherheit,lernt sich anzuvertrauen und fallen zu lassen – Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihn bei derBewältigungseinerBeschwerdenunterstützen,vorallemaberauchdieärztlicheBehandlungleichter

annehmenlassen.

Inmanchen Fällen kann der Shiatsu‐Praktiker sogar einwichtiges Bindeglieddarstellen, damit sichein Patient einer wichtigen, unter Umständen sogar lebenswichtigen und lebenserhaltendenBehandlungunterzieht.VonderMedizin,vorallemvonderSchulmedizin traumatisierteMenschen

suchenvielfachihrHeil inalternativenZugängenzudenen–aus ihrerSicht–auchShiatsugehörenkann.DasVertrauen,dassichzwischenShiatsu‐GebendenundShiatsu‐Empfangendenaufbaut,kanndieBrückebilden,aufderdieArzt‐ und/oder Krankenhausphobieüberwundenwerden kann.Auch

hieristderTCM‐Arztdie„logischeAdresse“fürdieWeitervermittlung.

Das klassische Behandlungskonzept der Traditionellen Chinesischen Medizin (bei dieser AussagebezieheichmichaufschriftlicheQuellenundÄußerungenvonmirpersönlichbekanntenTCM‐Ärzten)ist die Behandlungsserie, in der intensiv chinesische Heilmittel und/oder Akupunktur angewendet

werden.VonmanchenAusnahmenabgesehen (wiez.B. von langdauerndenEinnahmevonGinsengzurStärkunggeschwächteroderalterMenschen)wirddieDauermedikationeherseltenangewendetund ist auch nicht immer unbedenklich in Hinblick auf Schadstoffbelastungen und Toxizität der

Pharmaka.

Bei Patienten, die durch chinesische Pharmako‐ oder Nadeltherapie wieder beschwerdefreigewordensindundeigentlichkeineBehandlungmehrbenötigen,kanneineweitereBetreuungdurchden Shiatsu‐Praktiker mitunter allerdings dennoch sinnvoll sein, um einem Wiederauftreten der

BeschwerdenentgegenzuwirkenoderaberdenZeitraumbiszuihremWiederkommenzuverlängern.HierkannderShiatsu‐PraktikerdieRessourcendesKlienten/Patientenunterstützenund–wennes

wiedernotwendigist–zumTCM‐Arztzurückverweisen.

Generell zeigt die Zusammenarbeit von TCM‐Ärzten und Shiatsu‐Praktikern in der Praxis positiveAuswirkungen.Patienten/Klienten,dieaufdieseWeisebetreutwerden,äußernsichsehr zufrieden

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überdieumfassendeundeffektiveBehandlung.Alsgünstigerweistsichdabei,dassShiatsuunddie

Traditionelle Chinesische Medizin denselben Hintergrund haben und sich trotz ihrerunterschiedlichen Herangehensweisen gut ergänzen: Die Kombination von TCM‐ und Shiatsu‐Behandlungen, die ihr jeweils ganz spezifisches Wirkungsspektrum entfalten, trägt ein großes

Potential in sich, das sich zum Wohle und zur Gesundung bzw. Gesunderhaltung desPatienten/Klientenentfaltenkann.

DerVortragistauchveröffentlichtunterhttp://www.shiatsu‐austria.at/magazin/magazin_109.htm.

QUELLENUNDLITERATURHINWEISE

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