Shopperverhalten im Umbruch

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GfK SE Consumer Panels │Consumer Experiences August 2013 Shopper-Verhalten im Umbruch die Entstehung eines neuen FMCG Shopper-Typen

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GfK SE Consumer Panels │Consumer Experiences

August 2013

Shopper-Verhalten im Umbruch – die Entstehung eines neuen FMCG Shopper-Typen

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Die GfK ist eines der größten Marktforschungsunternehmen weltweit. Ihre mehr als 11.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erforschen, wie Menschen leben, denken und konsumieren. Dabei setzt die GfK auf permanente Innovation und intelligente Lösungen. So liefert die GfK in über 100

Ländern das Wissen, das Unternehmen benötigen, um die für sie wichtigsten Menschen zu verstehen: ihre Kunden.

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Shopper-Verhalten im Umbruch – die Entstehung eines neuen FMCG Shopper-Typen

Dr. Robert Kecskes ______________________

August 2013

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Inhalt 1. Das Ende des Mengenwachstums ………………………………………… 6

2. Der Rückgang stationärer FMCG Shopping Trips ……………………….. 8

3. Die Entstehung eines neuen Shopper-Typen..………………………….... 27

4. Die Verknüpfung von physischer und virtueller Welt …………………….. 37

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1. Das Ende des Mengenwachstums

Seit einigen Jahren ist für den FMCG-Einzelhandel ein Rückgang der gekauften Mengen zu

beobachten. So wurde zwischen 2006 und 2011 zwei Prozent weniger Menge abgesetzt und

zwischen 2011 und 2012 waren es noch einmal knapp ein Prozent (Abbildung 1). Dieser Rückgang

ist nicht auf den Bevölkerungsrückgang in Deutschland zurückzuführen, denn die dadurch

verlorenen Konsummengen werden durch den Gegentrend der Zunahme von Haushalten mehr als

kompensiert. Tatsächlich haben wir in Deutschland die paradox erscheinende Situation einer Bevöl-

kerungsabnahme bei gleichzeitiger Zunahme der Anzahl der Haushalte. Dies liegt natürlich daran,

dass die Haushalte immer kleiner werden und der Anteil von Ein- und Zwei-Personenhaushalten

deutlich zunimmt. Es lässt sich nun zeigen, dass zwei Ein-Personenhaushalte, die die gleiche sozio-

demographische Struktur aufweisen wie ein Zwei-Personenhaushalt, einen um ca. 14% höheren

Mengenkonsum haben. Der Mengenrückgang hat also andere Gründe.

Abbildung 1: Veränderung der Absatzmengen der FMCG-Einzelhändler (Lebensmitteleinzelhandel inklusive Drogeriemärkte)

Quelle: GfK Consumer Scan

Neben steigenden Lebensmittelpreisen ist für den Mengenrückgang ein gesellschaftlicher Trend

verantwortlich, den wir als Flexibilisierung bezeichnen. Die hohen Flexibilitätsanforderungen, die

heute vor allem, aber nicht nur, an die jüngeren Erwerbstätigen gestellt werden, führen dazu, dass

sie immer weniger Zeit für Routinehandlungen wie zum Beispiel den Einkauf von Gütern des

täglichen Bedarfs haben. Damit sinken die Einkaufslust und die Einkaufsfrequenz, was wiederum

dazu führt, dass weniger Impulskäufe am „Point of Sale“ stattfinden. Aber auch gesellige, private

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Treffen mit Freunden, Nachbarn oder Verwandten werden dadurch seltener, denn es ist inzwischen

ein logistisches Problem, die Personen zu einem bestimmten Datum zusammenzubekommen.

Der Mengenrückgang im FMCG-Einzelhandel ist aber nicht gleichbedeutend mit einem Rückgang

des Konsums. Der Großteil der Einkäufe beim FMCG-Einzelhändler wird für den privaten Konsum

zu Hause gekauft. Dieser Konsum geht aufgrund der Flexibilisierungsanforderungen an die erwerbs-

tätigen Menschen tatsächlich deutlich zurück. Doch er wird vor allem außer Haus verlagert. Heute

essen und trinken die Menschen viel mehr außer Haus, in Kantinen, Mensen, (Schnell-) Restaurants

oder direkt auf der Straße als noch vor zehn Jahren. Das Mittagessen zu Hause findet immer

seltener statt, vor allem in der Woche. Nun könnte eingewendet werden, dass die Erwerbstätigen

doch schon immer tagsüber an ihrem Arbeitsplatz waren und nicht zu Hause zu Mittag gegessen

haben. Dies ist völlig richtig, doch waren es zunächst vor allem die Männer, die mittags nicht zu

Hause waren, sind es durch die zunehmende Berufstätigkeit der Frau heute eben auch viele

Frauen. Und weil diese Doppelverdiener-Haushalte häufig auch Kinder haben – heute eher ein als

zwei oder drei – findet auch das heimische Mittagessen der Kinder in der Woche nur noch selten

statt. Ganztagsbetreuungen in Kindergärten und Schulen bieten den Kindern in der Woche in der

Regel das Mittagessen an.

Die Händler haben auf diese Trends reagiert, zum Beispiel mit „Convenience“-Konzepten. Und auch

der mit den Trends verbundenen qualitative Wandel, wie sich wandelnden Bedürfnisse und Anfor-

derungen an Waren und Händler, wurde von einigen Händlern erfolgreich aufgenommen. Diese

durchaus erfolgreichen Konzepte beziehen sich jedoch ausnahmslos auf den stationären Handel.

Hinsichtlich des Online-Handels besteht zwar Einigkeit darüber, dass man sich hier platzieren muss,

doch ebenso gemeinsam ist die Unsicherheit, wie dieses geschehen kann. Viele Konzepte und

Ideen wurden als Piloten schon getestet, so richtig gezündet haben sie noch nicht.

Mit dieser kleinen Broschüre möchten wir die Diskussion weiter voran bringen. Wir haben dabei die

feste Überzeugung, dass ein erfolgreicher FMCG e-Commerce auftritt nur dann wahrscheinlich ist,

wenn das stationäre Einkaufsverhalten verstanden wird. Dieses – genau wie das heute schon zu

beobachtende e-Commerce Verhalten – wiederum lässt sich nur verstehen, wenn es im Kontext des

gesellschaftlichen Wandels betrachtet wird. Aus diesem Verständnis lassen sich dann Ideen für den

e-Commerce Auftritt ableiten.

Daher werden wir uns zunächst dem stationären Einkaufsverhalten zuwenden und einige

Erklärungen des Wandels aus den gesellschaftlichen Trends ableiten. Dann wenden wir uns dem

Aufstieg eines neuen Shoppertypen zu, um schließlich einige Grundätze und praktische Ideen für

den e-Commerce Handel abzuleiten.

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2. Der Rückgang stationärer FMCG Shopping Trips

Die Bevölkerung in Deutschland hat immer weniger Lust, Fast Moving Consumer Goods (stationär)

einzukaufen. Grund hierfür ist nicht ein zunehmendes Desinteresse an den Produkten, denn die

Ansprüche an Produktqualität steigen seit einigen Jahren wieder, es geht vielmehr um den Akt des

Einkaufens selbst. Sagten 2006 ein Viertel aller Haushaltsführer, dass ihnen das Einkaufen lästig

sei, waren es 2012 ein Drittel (siehe Abbildung 2). Somit ist in Deutschland der Anteil an Haus-

halten, denen das stationäre Einkaufen von FMCG lästig ist, um gut 30% gestiegen.

Entstrukturierung, Flexibilisierung und Digitalisierung erhöhen den Zeit-

stress und verstärken die Unlust an unerlässlichen Routinehandlungen

wie den stationären Einkauf von Gütern des täglichen Bedarfs

Die zunehmende Unlust erklärt sich aus der Beschleunigung des gesellschaftlichen Lebens. Ent-

strukturierungsprozesse und Flexibilisierungsanforderungen, gepaart mit einer rasanten Entwicklung

von elektronischen, digitalen und damit vernetzten Kommunikationsmöglichkeiten, deren Ent-

wicklungsgeschwindigkeit weit schneller voranschreitet als die Fähigkeiten der individuellen Verar-

beitungskapazitäten, sind die Treiber für die zunehmende Unlust, Güter des täglichen Bedarfs

stationär einzukaufen. Die Nicht-Synchronität von Ausbreitung der Kommunikationsvielfalt und der

Entwicklung weiterer kognitiv notwendiger Verarbeitungskapazitäten führt dazu, dass wir keine Zeit

mehr haben, obwohl wir sie im Überfluss gewinnen.1 Zeitstress wird damit zu einem breite

Bevölkerungsschichten umschließenden Phänomen. Vor allem jüngere Menschen klagen über zu

wenig Zeit (für sich und andere). Wie wir in der GfK Studie „Auf der Suche nach einem kohärenten

Qualitätsversprechen“ zeigen konnten, ist dieser Zeit- und auch der damit verbundene Sozialstress

ein Grund, für die stark zunehmende Qualitätsorientierung, die sich u.a. in einer zunehmenden

Frischeorientierung und der Suche nach mehr Natürlichkeit äußert.

1 Vgl. Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstruktur in der Modernen. Frankfurt am Main, 2005.

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Abbildung 2: Entwicklung der Einkaufslust bezogen auf den stationären FMCG Handel (Zustimmung in Prozent)

Quelle: GfK ConsumerScan

Auf der anderen Seite schmälert der zunehmende Zeitstress aber die Lust, notwendige, habi-

tualisierte Handlungen auszuführen. Ein FMCG-Einkauf muss halt sein, wenn man nicht verdursten

oder verhungern will. Leider – aus Sicht der zeitknappen Haushalte – haben befristete Haltbar-

keitsdaten für Nahrungsmittel und Platzrestriktionen in der Küche und im Badezimmer zur Folge,

dass in einem relativ kurzen Turnus die Einkaufstätigkeit wiederholt werden muss. Und wenn der

Einkauf keinen besonderen Erlebniswert aufweist und auch keine Ungeduld besteht, ein geliebtes

Produkt endlich (wieder) zu kaufen, dann wird der Einkaufsakt nicht nur notwendig, sondern auch

zur Routine. Nun sind aber Routinehandlungen in den seltensten Fällen aufregend. Vor dem

Hintergrund zunehmender Zeitrestriktionen werden sie als zunehmend belastend empfunden und

steigern die Unlust an der Ausführung der Handlung.

Eine Folge dieses strukturellen Wandels ist der Rückgang der stationären Shopping Trips (Abbil-

dung 3)2; sie sind zwischen 2003 und 2012 von durchschnittlich 270 auf durchschnittlich 220 Trips

gesunken, d.h. um -19%. Werden die Haushaltsführenden nach ihrem Lebensalter differenziert,

zeigt sich, dass die jüngeren Lebenswelten, die schon 2006 die wenigsten Shopping Trips

2 Ein Shopping Trip ist der Besuch eines Händlers. Werden an einem Tag zwei Händler aufgesucht, handelt es sich um zwei

Shopping Trips. Shopping Trips sind damit nicht zu verwechseln mit der Anzahl der Einkaufstage, die niedriger ist.

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aufwiesen, bis 2012 noch einmal am stärksten reduziert haben (Abbildung 4). Konkret bedeutet

dies, dass die Shopper generell und die jüngeren Shopper im Speziellen immer seltener am „Point

of Sale“ anzutreffen sind. Handel und Hersteller müssen sich vor diesem Hintergrund fragen,

inwieweit bei „Point of Sale“ Verkaufsmaßnahmen jüngere Shopper überhaupt noch erreicht werden.

Abbildung 3: Durchschnittliche Anzahl Shopping Trips der Haushalte 2003 bis 2012

Quelle: ConsumerScan

Werden junge Shopper-Haushalte am Point of Sale überhaupt noch

erreicht?

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Abbildung 4: Entwicklung der Anzahl Shopping Trips nach jungen, mittelalten und älteren Shoppern

Wie stark die zunehmenden Flexibilisierungsanforderungen und Entstrukturierungsprozesse das

stationäre FMCG-Einkaufsverhalten beeinflussen, zeigt auch eine multivariate statistische Analyse

von Einflüssen auf die Häufigkeit der Shopping Trips von Haushalten. In die Analyse gingen fünf

Dimensionen als Einflussfaktoren auf die Shopping Trips ein: Sozio-demographie, Moral, Raum,

Promotion und Entstrukturierung. Die Analyse kommt vor dem Hintergrund des Rückgangs der

Shopping Trips zu dem überraschenden Ergebnis, dass viele gesellschaftliche Trends die Anzahl

der Shopping Trips eigentlich erhöhen sollten. Neben der abnehmenden Haushaltsgröße wirken nur

die den Zeitstress erhöhenden Trends negativ auf die Anzahl der Shopping Trips. Aber wir wollen

die Trends und ihre Einflüsse auf die Shopping Trips im Einzelnen betrachten. Das Gesamtergebnis

der multivariaten Regressionsanalyse ist am Ende dieses Abschnitts in Abbildung 10 zusammen-

gefasst.

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Sozio-demographie

Über demographische Entwicklungen muss nicht mehr viel geschrieben werden. Allen ist inzwischen

der Prozess der Alterung der deutschen Gesellschaft bekannt. Damit verbunden ist natürlich auch

eine Abnahme der Haushaltsgrößen, denn ältere Menschen leben in der Regel in Ein- bis Zwei-

Personenhaushalten, während jüngere Menschen häufiger in Zwei-Personenhaushalten und

größeren Haushalten leben. Allein dadurch verringert sich im Zuge der Alterung der Gesellschaft die

durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland.

Festzuhalten ist aber, dass in Deutschland seit Jahren die Anzahl der Haushalte schneller zunimmt

als die Abnahme der Bevölkerungszahl. Dies deutet an, dass neben der Alterung der Gesellschaft

weitere Faktoren die abnehmende Haushaltsgröße erklären. Und schaut man sich die Daten

genauer an, stellt man fest, dass die Anzahl an Ein-Personenhaushalten auch in den jüngeren

Altersgruppen zunimmt. Vor allem die Altersgruppe, die voll im Erwerbsleben steht, weist einen

deutlichen Zuwachs der Lebensform „alleinlebend“ auf. Dies muss nicht bedeuten, dass die

Personen partnerlos leben. Immer häufiger lebt man, zumindest temporär, vom Partner räumlich

getrennt. Die Lebensform ist im anglo-amerikanischen Sprachraum als „Living Apart Together“

(LAT) bekannt.

Die Anzahl kleiner Haushalte steigt nicht nur aufgrund der Alterung der

Gesellschaft, auch das räumlich getrennte Zusammenleben („Living

Apart Together“) wird weiter zunehmen.

Beide Trends, Alterung und Zunahme der Ein-Personenhaushalte in den voll erwerbstätigen Alters-

gruppen, zeigen sich deutlich in unseren Prognosen der Entwicklung der Familienlebenswelten, die

wir auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes erstellt haben (Abbildung 5). Die Haushalte,

in denen keine Haushaltsmitglieder mehr im Erwerbsleben stehen, nehmen stark an quantitativer

Bedeutung zu, während die Familien mit Kindern an Gewicht verlieren. Zunehmen wird aber auch

die Gruppe der „Berufstätig Alleinlebenden“. Genau dies ist die Bevölkerungsgruppe, in denen die

Lebensform „Living Apart Together“ zu finden ist.

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Abbildung 5: Prognose der Entwicklung der Familienlebenswelten bis 2025

Ältere Menschen gehen häufiger einkaufen, kleinere Haushalte weisen

weniger Shopping Trips auf.

Die sozio-demographischen Entwicklungen haben (nach statistischer Kontrolle der weiteren Ein-

flussfaktoren) gegenläufige Effekte auf die Shopping Trips. Die Analyse zeigt, dass mit zunehmen-

dem Alter die Anzahl der Shopping Trips steigt und mit abnehmender Haushaltsgröße die Anzahl

der Shopping Trips abnimmt. Der demographische Trend der Alterung der Gesellschaft führt also zu

einer Zunahme der stationären Shopping Trips, die Abnahme der Haushaltsgröße senkt die Anzahl

der Trips.

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Ethik und Konsum

In den Analysen für das 32. Unternehmergespräch der GfK Consumer Panels im Januar 2013

konnten wir einen Trend nachweisen, den wir in Anlehnung an die wissenschaftlichen Analysen von

Nico Stehr3 „Moralisierung der Märkte“ genannt haben. Damit gemeint ist eine Zunahme ethischer

Kriterien bei der Kaufentscheidung für FMCG. Deutlich wird dieser Trend zum Beispiel in der

Zunahmen des „Lifestyle of Health and Sustainability“ (LOHAS). Im den GfK Verbraucherpanels wird

die Verbundenheit mit diesem Lebensstil seit 2007 ermittelt. Wir unterscheiden in dieser Typologie

vier LOHAS-Typen: die LOHAS-Kerngruppe, die LOHAS-Randgruppe, die Indifferenten und die

Unbedachten. Von der LOHAS-Kerngruppe bis zu den Unbedachten nimmt die Zentralität des

Lebensstils ab. Während für die LOHAS-Kerngruppe Themen wie Ursprünglichkeit, Nachhaltigkeit

und soziale Gerechtigkeit einen sehr hohen Stellenwert im Einkaufsverhalten einnehmen, spielen

diese Inhalte bei den Unbedachten so gut wie keine Rolle. Gleichzeitig will die LOHAS-Kerngruppe

aber ebenso wenig wie die anderen Gruppen auf Genuss verzichten.

"Von unterschiedlichen Niveaus ausgehend, ist in ganz Europa eine

Stärkung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Ernährungsindustrie

und im Lebensmittelhandel zu beobachten." David Bosshart, 2011: The Age of

Less. Murmann Verlag: Hamburg (Dr. David Bosshart ist Geschäftsführer des Gottlieb-Duttweiler-

Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft in Rüschlikon/Zürich)

Die Typologie ist hinsichtlich des faktischen Kaufverhaltens von Nahrungsmitteln, Getränken und

Drogeriemarktprodukten äußerst trennscharf, d.h. in allen Bereichen und Warengruppen sind die

LOHAS die Träger von Natur-, Regional- und Sozialkonzepten. Im Zeitvergleich nimmt nun vor allem

der Anteil der LOHAS-Kerngruppe deutlich zu (Abbildung 6). Betrug der Anteil 2007 noch knapp

10% stieg er bis 2012 auf gut 14%. Dies ist ein Indikator der „Moralisierung der Märkte“. Es gibt

weitere Indikatoren, wie die zunehmende Bedeutung regionaler und frischer Produkte.

3 Nico Stehr: Die Moralisierung der Märkte. Frankfurt am Main, 2007.

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Abbildung 6: Die Zunahme der LOHAS-Kerngruppe

Quelle: GfK ConsomerScan

Verbunden mit dem „Lifestyle of Health and Sustainability” ist die Achtung der endlichen Ressour-

cen. Dies führt zum Beispiel dazu, dass die LOHAS-Kerngruppe bestrebt ist, möglichst nichts an

eingekauften Lebensmitteln wegschmeißen zu müssen. Es wird lieber einmal mehr eingekauft als zu

viel. Damit müsste aber mit der „Moralisierung der Märkte“ die Anzahl der Shopping Trips

zunehmen. Und tatsächlich zeigt unsere Analyse, dass kritische Ökologen und Menschen, die

möglichst keine Lebensmittel wegschmeißen möchten, häufiger einkaufen als Menschen, denen

diese „ethischen Aspekte“ weniger wichtig sind. Mit der „Moralisierung der Märkte“ haben wir es also

mit einem gesellschaftlichen Trend zu tun, der die Anzahl der stationären Shopping Trips eigentlich

erhöhen sollte.

Mit der „Moralisierung der Märkte“ steigt die Anzahl der stationären

Shopping Trips, da pro Einkaufsakt nicht mehr eingekauft wird als

tatsächlich benötigt.

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Urbanität

Im Ländervergleich ist in Deutschland die Dichte an Lebensmitteleinzelhändlern und Drogerie-

märkten mit am höchsten. Sehr viele Menschen können einen Lebensmittelhändler und

Drogeriemarkt zu Fuß erreichen. Diese Dichte hat sich in den letzten Jahren tendenziell weiter

erhöht. Heute erreicht ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland innerhalb von fünf Minuten

Fahrzeit 6,2 FMCG-Einzelhändler (Lebensmitteleinzelhändler inklusive Drogeriemärkte). Innerhalb

von zehn Minuten Fahrzeit sind es 28 Geschäfte. Für einen großen Teil der Bevölkerung ist es also

möglich, schnell einmal etwas einkaufen zu gehen, sei es der gewöhnliche Einkauf oder das

Nachkaufen von vergessenen Produkten. Allein aufgrund dieser Dichte an Einkaufsstätten sollte die

Anzahl der Shopping Trips relativ hoch sein.

Aber natürlich variiert die Einkaufsstättendichte auch in Deutschland. Im ländlichen Raum ist es sehr

viel unwahrscheinlicher, einen stationären Händler in der Nachbarschaft zu finden als im städtischen

Raum. Vor allem in den inzwischen teilweise bevölkerungsentleerten, strukturschwachen Gebieten

in Ostdeutschland kommt man ohne Auto kaum noch aus. Dort ist es nicht möglich, einmal schnell

etwas nachzukaufen.

Die Kehrseite einer „Bevölkerungsentleerung“ von strukturschwachen, ländlichen Regionen ist die

Dynamik einer weiteren Urbanisierung in Deutschland. Laut Institut der Deutschen Wirtschaft weisen

in Deutschland die Ballungsräume fast ununterbrochen steigende Einwohnerzahlen auf, während

ländliche Gegenden permanent an Bevölkerung verlieren.4 Und das Berlin Institut für Bevölkerung

und Entwicklung geht in einer Prognose bis zum Jahr 2025 davon aus, dass dieser

Urbanisierungstrend anhält.5 Die stark steigenden Immobilien- und Mietpreise in den deutschen

Ballungsgebieten sind hierfür deutliche Indikatoren.

Schließlich gaben in einer Untersuchung des Unternehmens immowelt6 im Jahr 2012 65% der

Kleinstadt- und Landbewohner mit Kindern an, sich einen Umzug in die Großstadt vorstellen zu

können. Im Jahr 2009 konnten es sich hingegen nur 40% vorstellen. In der gleichen Studie konnte

gezeigt werden, dass auch ein nicht unerheblicher Anteil der über 50jährigen Land- und

Kleinstadtbewohner meint, im Alter sei man in der Großstadt besser aufgehoben. 90% gaben als

Grund hierfür kürzere Wege, z.B. zum Einkaufen an. Die Urbanisierung hat in den letzten Jahren

also in Deutschland weiter zugenommen und wird dies wohl auch in Zukunft tun. Selbst die

4 http://www.iwkoeln.de/de/infodienste/iwd/archiv/beitrag/27780; download: 03.06.2013

5 31. Unternehmergespräch Kronberg 2012 , Wertschöpfung statt Mengenwachstum – Die neuen Bausteine des Konsums.

Eine Publikation von GfK Consumer Panels Deutschland und GfK Verein, Mai 2012 6 http://presse.immowelt.de/studien/urbanisierungsstudie-2012/gesamtreport-urbanisierungsstudie-2012/artikel/studie-zur-

urbanisierung-in-deutschland-2012.html; download: 03.06.2013

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Hypothese eines „back to the city movements“ der Babyboomer-Generation, des Ruckzuges in die

Städte nachdem die Kinder den Haushalt verlassen, ist nicht allzu gewagt.

Vor diesem Hintergrund – und dem oben beschriebenen zunehmenden Zeitstress, zu dem auch das

urbane Leben beiträgt – ist es nicht mehr überraschend, dass mehr und mehr Einkäufe in den

Nahbereich verlagert werden (Abbildung 7). Vor allem die LEH-Vollsortimenter profitieren hiervon.

Wir werden etwas später noch sehen, dass sie hierfür auch einiges getan haben. Insofern sind die

LEH-Vollsortimenter die Profiteure und Treiber der Verlagerung von Einkäufen im Nahbereich. Doch

an dieser Stelle soll der Nachweis der Verlagerung der Einkäufe in den Nahbereich ausreichen. Die

sich gegenseitig verstärkenden Mechanismen werden später noch einmal aufgenommen.

Abbildung 7: Die Verlagerung der Shopping Trips in den Nahbereich (Umsatzanteile nach Ent-fernungszone, in Prozent)

Quelle: GfK ConsumerScan

Die Analyse der raumbezogenen Einflüsse auf die Anzahl der Shopping Trips zeigen, dass die

Anzahl der Shopping Trips mit zunehmendem Urbanisierungsgrad und dem Einkauf im Nahbereich

zunimmt. Menschen, die in Großstädten leben weisen signifikant mehr Shopping Trips auf als

Mensch, die auf dem Land Leben. Und mit zunehmenden Einkäufen im Nahbereich nimmt auch die

Anzahl der Shopping Trips zu. Mit den gesellschaftlichen Trends „Urbanisierung“ und „Einkäufe im

Nahbereich“ haben wir es wiederum mit Entwicklungen zu tun, die zu einer Zunahme an Shopping

Trips führen.

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Promotion

Promotion, kommuniziert über Handzettel, sind die stärksten Treiber von zusätzlichen Shopping

Trips. Dies zeigt auch unsere Analyse; je höher die Bedarfsdeckung über Promotion bei den Haus-

halten, desto mehr Shopping Trips. Es gibt sie wirklich, die Promotion-Hopper, die die Einkaufs-

stätten wechseln, um möglichst preisgünstig einzukaufen. Allerdings scheint ihr Anteil rückläufig,

denn seit 2008 stimmen immer weniger Haushaltsführende der Aussage zu, dass sie bei einem

besonders günstigen Angebot in Geschäften kaufen, in denen sie normalerweise nicht einkaufen.

Stimmten 2008 noch 61% zu, waren es 2012 nur noch 55%. Damit deutet sich ein Trend zu einer

stärkeren Loyalität zur erstpräferierten Einkaufsstätte an. Wir werden hierauf weiter unten noch

einmal zurückkommen.

Promotion sind nach wie vor der stärkste Treiber zusätzlicher sta-

tionärer Shopping Trips.

Die Promotionumsätze nehmen nun schon seit Jahren zu (Abbildung 8). Lag der Umsatzanteil der

Promotion 2001 noch bei knapp 9%, stieg er bis 2012 auf 19% an, eine Steigerung von 124%! In

Bezug auf die Shopping Trips heißt dies, dass diese eigentlich zunehmen sollten.

Abbildung 8: Entwicklung der Promotionumsätze (Prozent am Gesamtumsatz)

Quelle: GfK ConsumerScan

Damit haben wir bis zu dieser Stelle der Analyse der Treiber von Shopping Trips mit Ausnahme der

Entwicklung der Haushaltsgröße nur Trends gefunden, die die Anzahl der Shopping Trips erhöhen

sollten. Und trotzdem nimmt die Anzahl der Shopping Trips seit Jahren ab. Hierfür ist ein Zusam-

menspiel von zunehmenden Flexibilisierungsanforderungen und Entstrukturierungsprozessen auf

Seiten der Shopper und der Ausweitung der Sortimente durch den Handel verantwortlich. Auf dieses

Zusammenspiel von Nachfrage und Angebot, das letztlich den Rückgang der Shopping Trips erklärt,

wird im Folgenden eingegangen.

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Zeitstress

Der zunehmende Zeitstress als gesellschaftlicher Trend wird in der Regel mit der Digitalisierung in

Verbindung gebracht. Die Entwicklung der Informationstechnologie verläuft schneller als die

Entwicklung der menschlichen Verarbeitungskapazitäten. Damit erfinden wir permanent neue

Instrumente, die uns helfen sollen, Zeit zu sparen, die uns aber faktisch immer stärker unter

Zeitdruck setzen.

Doch auch in der „klassisch analogen Welt“ sehen wir Entwicklungen, die den Zeitstress erhöhen.

Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Mann und Frau (Abbildung 9) hat zur Folge, dass in immer

mehr partnerschaftlichen Haushalten mit und ohne Kinder, beide erwachsene Haushaltsmitglieder

berufstätig sind. Gepaart mit der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitszeiten macht dies die

Planung des Tagesablaufs immer schwieriger. Leben Kinder mit im Haushalt, kommt die soge-

nannte Verinselung der Aktionsräume der Kinder erschwerend hinzu. Mehr und mehr Aktionsräume

von Kindern verteilen sich über Orte, die wie Inseln verstreut liegen. Der Kindergarten liegt in einem

anderen Viertel als der Turnverein und die frühkindliche Musikerziehung befindet sich in einem

dritten Stadtviertel. Solang das Kind noch nicht selbst von Insel zu Insel fahren kann, müssen die

Eltern als Chauffeure fungieren. Sind beide Elternteile aber berufstätig, wird dies zu einer logis-

tischen Herausforderung.

Aber nicht nur die Erwerbstätigkeit nimmt zu, auch die „flexibilisierten“ Erwerbsformen nehmen an

Bedeutung zu. Laut der Bundesagentur für Arbeit hat sich der Anteil der geringfügig Beschäftigten

im Nebenjob („Zweitjob“) an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigen von vier Prozent im Jahr

2003 auf neun Prozent im Jahr 2012 erhöht und damit mehr als verdoppelt.7

Schließlich trägt auch das urbane Leben zum Gefühl des gehetzt seins bei. Schon Anfang des

letzten Jahrhunderts beschrieb Georg Simmel in seinem noch heute lesenswerten Essay „Die

Großstädte und das Geistesleben“ wie immer neue Reize, denen die Stadtbewohner pausenlos

ausgesetzt sind, die Menschen unter Stress setzen. Heute, im Zeitalter der Beschleunigung,

Flexibilisierung und Digitalisierung hat sich die permanente Reizung des Nervensystems der Städter

weiter verstärkt und führt zu einen Gefühl, nie etwas abgeschlossen zu haben, dem Hauptgrund für

Zeitstress.8

7 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/arbeitsmarkt-der-trend-geht-zum-zweitjob-11914500.html; download: 03.06.2013

8 Byung-Chul Han: Bitte Augen schließen. Auf der Suche nach einer anderen Zeit. Berlin 2013

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Abbildung 9: Entwicklung des Anteils Erwerbstätiger zwischen 15 und 65 Jahren an der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren nach Geschlecht [in %]

Quelle: Mikrozensus Deutschland, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2013, Stand: 14.05.2013

Die Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen und der Zeitstress wirken negativ auf die Anzahl der

Shopping Trips. Erwerbstätige und Menschen, die über Zeitstress klagen, gehen signifikant seltener

einkaufen als Menschen, die nicht erwerbstätig sind und Menschen, die nicht über Zeitstress klagen.

Erinnert werden soll hier noch einmal daran, dass es sich bei dem Ergebnis um das Resultat einer

multivariaten Analyse handelt, bei der u.a. das Lebensalter kontrolliert wird. Der negative Effekt von

Erwerbstätigkeit und Zeitstress kann nicht auf das Alter der Menschen zurückgeführt werden. Die

Aussage lautet: vergleichen wir Menschen gleichen Alters, gleichen Einkommens, die in gleich

großen Haushalten im selben urbanen Raum leben, dann geht die erwerbstätige/zeitgestresste

Person seltener einkaufen als die nicht-erwerbstätige/nicht-zeitgestresste Person.

Zunehmende Berufstätigkeit, Zunahme der Zweitjobs, „Verinselung“ der

Aktionsräume von Kindern, alles Trends, die die Haushalte vor Heraus-

forderungen der Zeitlogistik stellen.

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Zwischenfazit: Treiber der stationären Shopping Trips

Die Ergebnisse der Analyse der Treiber von Shopping Trips aus Perspektive der Nachfrageseite

sind in Abbildung 10 noch einmal zusammenfassend dargestellt. Interessant ist, dass nur ein

gesellschaftlicher Trend eindeutig negativ auf die Shopping Trips wirkt; der zunehmende Zeitstress.

Die „Moralisierung der Märkte“, die „Urbanisierung“ und die zunehmenden Promotion wirken

dagegen positiv auf die Anzahl Shopping Trips. Der sozio-demographische Wandel wirkt schließlich

zum einen steigernd – die Alterung der Gesellschaft – und zum anderen dämpfend – die Abnahme

der Haushaltsgrößen. Die den Zeitstress antreibenden Flexibilierungs- und Entstrukturierungs-

prozesse scheinen damit so schnell vor sich zu gehen, dass sie die gegenläufigen Effekte auf die

Anzahl der Shopping Trips mehr als kompensieren.

Abbildung 10: Treiber der Shopping Trips

Prozesse der Entstrukturierung von Tages- und Wochenabläufen und

der damit verbundene Zeitstress, sind auf Seiten der Shopper die

Hauptgründe für den Rückgang von Shopping Trips.

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Der Handel

Die Nachfrageseite ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht der Handel,

der diesen Trend der zunehmenden Zeitrestriktionen der Menschen aufgenommen hat und den

Rückgang der Shopping Trips dadurch von Seiten des Angebots verstärkt. Der FMCG-Einzelhandel

hat auf den Trend der Einkaufsunlust reagiert und sein Sortiment erweitert (Abbildung 11), so dass

der „einkaufsunwillige“ Shopper nun alles während eines Einkaufsaktes bei einem Händler erhalten

kann. So wurden Backstationen und Metzgereien integriert – klassische Domänen des Fachhandels.

Vor allem der LEH-Vollsortimenter, der klassische Nahversorger, war hier in den letzten Jahren sehr

aktiv. Die Anzahl seiner Warengruppen hat er zwischen 2007 und 2012 um fast 10% erweitert.

Zudem wurden die eigenen Händlermarken preislich (Preiseinstieg) und qualitativ (Mehrwert) so

platziert, dass sowohl preisaffine als auch qualitätsorientierte Shopper angesprochen wurden. Und

es wurden in der Kommunikation verstärkt ethische Inhalte transportiert, sodass sich auch die

wachsende Gruppe der LOHAS beim Einkauf in den LEH-Vollsortimentern gut fühlen kann. Für viele

Menschen mit unterschiedlichen Ansprüchen an den Handel ist es dadurch nicht mehr notwendig,

die langen Wege zum SB-Warenhaus auf sich zu nehmen, sie finden das gesamte Angebot an

günstigen und an qualitativ hochwertigen Produkten jetzt auch bei ihren Händler im Nahbereich.

Abbildung 11: Sortimentserweiterung im Handel zwischen 2007 und 2012

Quelle: GfK ConsumerScan

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Wir hatten schon gesehen, dass die FMCG-Einkäufe im Nahbereich vor allem bei den LEH-

Vollsortimentern zunehmen (siehe Abbildung 7). Wie eine Analyse der Shopping Missions nach-

weist, handelt es sich bei den zunehmenden Einkäufen im Nahbereich nicht um „kleine Trips“. Vor

allem in den LEH-Vollsortimentern und in den Drogeriemärkten nimmt die relative Umsatzbedeutung

von Großeinkäufen deutlich zu, während die Bedeutung von Kleineinkäufen ebenso deutlich

abnimmt (Abbildung 12). Der Nahversorger wird damit mehr und mehr zum Vollversorger und damit

zum Konkurrenten der SB-Warenhäuser. Durch die Einbettung in die Wohngebiete und durch einen

kohärenten Dreiklang des Marketings von Händlermarke, Ethik und besten Preis gelingt es den

LEH-Vollsortimentern Rewe und Edeka die emotionale Bindung der Shopper zu stärken, während

es den SB-Warenhäusern, denen allein aufgrund des hohen Flächenbedarfs eine Einbettung des

Geschäfts in die Wohnnachbarschaft nicht möglich ist, sehr viel schwerer fällt, diese Bindung aufzu-

bauen.

Ein Erfolgsfaktor der LEH-Vollsortimenter ist ihre Einbettung in die

Wohnnachbarschaft. Durch die Aufladung mit funktionalen, ethischen

und emotionalen Inhalten entsteht eine enge Beziehung zwischen

Händler und Nachbarschaft.

Bevor wir jedoch diese Entwicklungen näher interpretieren, ist zum Verständnis der Shopping

Missions eine kurze Erläuterung notwendig. Basis der Shopping Missions sind die individuellen

Shopping Trips. Jeder Trip wird einer der sechs möglichen Missions zugeordnet. Ein Kleineinkauf

liegt vor, wenn Produkte aus maximal drei Warengruppen im Einkaufskorb liegen und der

Promotionanteil dieser Produkte nicht höher ist als der übliche Promotionanteil der Einkäufe des

Haushalts in der betreffenden Vertriebsschiene. Beim Rosinenpick liegen ebenfalls Produkte aus

maximal nur drei Warengruppen im Einkaufskorb, doch ist der Promotionanteil dieser Produkte

höher als der übliche Promotionanteil der Einkäufe des Haushalts in der betreffenden

Vertriebsschiene. Beim Frischeeinkauf liegen maximal sieben Warengruppen im Einkaufskorb und

der Umsatzanteil von Frischeprodukten im Einkaufskorb liegt bei mindestens 40%.

Versorgungseinkäufe liegen vor, wenn Produkte aus vier bis elf Warengruppen im Einkaufswagen

liegen. Die Unterscheidung von unüblichem und Routine-Versorgungskauf findet durch die

Betrachtung von Einkaufsstätte, Bonsumme und Wochentag statt. Wenn der Shopper bei zwei der

drei Kriterien seinen üblichen Routinen folgt, handelt es sich um einen Routine-Versorgungskauf.

Weicht er dagegen bei mindestens zwei der drei Kriterien von seinem üblichen Einkaufsverhalten

Page 24: Shopperverhalten im Umbruch

24

ab, dann handelt es sich um einen unüblichen Versorgungskauf. Ein Großeinkauf liegt

schließlich dann vor, sobald Produkte aus zwölf und mehr Warengruppen im Einkaufswagen liegen.

Abbildung 12: Die Entwicklung der Umsatzbedeutung der Shopping Missions zwischen 2008 und 2012 nach Vertriebskanal

Interessant ist, dass bei den beiden größten LEH-Vollsortimentern das stärkere Gewicht der

Großeinkäufe nicht zu einer Abnahme der Anzahl der Einkaufsakte führt. Im Gegenteil, die Anzahl

der Einkaufsakte nimmt zu. Da aber die Einkaufsfrequenz je Käufer nicht zunimmt, lässt sich dies

nur durch einen Gewinn an neuen Käuferhaushalten erklären. Da auf der anderen Seite die

Rückgänge der Anzahl Einkaufsakte mit Ausnahme Kaufland bei den SB-Warenhäusern am größten

sind, deutet vieles darauf hin, dass eine zunehmende Anzahl an Haushalten ihre Großeinkäufe nicht

mehr (nur) im SB-Warenhaus tätigt, sondern (auch) im räumlich näheren LEH-Vollsortimenter,

dessen Produktauswahl inzwischen breit genug für einen Großeinkauf ist. Zudem haben die beiden

großen LEH-Vollsortimenter sich in den letzten Jahren als Dachmarken positioniert, die sowohl die

Bedürfnisse qualitativ anspruchsvoller und ethisch-orientierter Shopper als auch die Bedürfnisse

sehr preissensibler Käufer ansprechen.

Abnehmende Shopping Trips bei relativ häufigerem Aufsuchen des Nahversorgers, bei dem dann

öfter Großeinkäufe getätigt werden, lassen auf eine zunehmende Fokussierung der Shopper auf

wenige Einkaufsstätten schließen. Damit sollte dann auch die Loyalität zu dem erstpräferierten

Händler zunehmen. Und tatsächlich zeigt sich im Zeitverlauf dieser Trend. So sinkt pro Haushalt die

durchschnittliche Anzahl im Jahr besuchter LEH-Einkaufsstätten. Und umgekehrt steigt die durch-

schnittliche Bedarfsdeckung über die erstpräferierte Einkaufsstätte im LEH (Abbildung 13).

Page 25: Shopperverhalten im Umbruch

25

Der Wettbewerb unter den Händlern um den „first choice“-Shopper hat damit in den letzten Jahren

stark zugenommen. Als erfolgreich erwies sich eine holistische Kommunikation – vor allem von

Drogeriemärkten und LEH-Vollsortimentern – aus dem Dreiklang des Aufbaus der Händlermarke mit

ethischem Image und guten Preisen. In dieser Kommunikation spielen die eigenen Marken –

Preiseinstiegs- und Mehrwert-Handelsmarken – eine zentrale Rolle.

Aber auch ohne holistische Kommunikation ist es möglich, mit einem gezielten Einsatz seiner

Handelsmarken im Markt zu wachsen, wie es einige SB-Warenhäuser und Discounter zeigen. Damit

aber gewinnt die (Neu-) Gewichtung von Handelsmarken und Herstellermarken im stationären

Handel zunehmend an Relevanz.

Abbildung 13: Die Fokussierung der Haushalte auf weniger Händler nimmt zu

Quelle: GfK ConsumerScan

Das Verhältnis von Preiseinstiegs-, Mehrwerthandelsmarken, Mitte-

und Premiummarken, verbunden mit gezielter Promotion wird für den

Erfolg des stationären Händlers immer wichtiger.

Page 26: Shopperverhalten im Umbruch

26

Das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage

Zusammenfassend lässt sich bis hierhin festhalten, dass die gesellschaftlichen Trends einen

Wandel des Shopperverhaltens bewirken. Zeitstress führt zu Einkaufsunlust und vermindert die

Anzahl der individuell durchgeführten Shopping Trips. Gleichzeitig werden neue Ansprüche an den

Händler gestellt. Dies sind vor allem ethische Ansprüche, die sich auch in den zunehmenden

Bedürfnissen nach Regionalität, Frische und Natur äußern. Beide Bedürfnisse – Zeitersparnis beim

Einkauf bei hoher (ethischer) Qualität der Produkte und damit des Händlers selbst – plus der

Wunsch nach guten (nicht billigen!) Preisen, wurden von den beiden großen LEH-Vollsortimentern

erfolgreich aufgenommen. Ihre Position als Nahversorger hat zudem den strukturellen Vorteil, dass

sie stärker als SB-Warenhäuser als Nachbarschaftshändler (Thema Regionalität-Ethik) wahrge-

nommen werden und dass die räumliche Nähe zu den Wohnorten den Shoppern hilft, Zeit zu sparen

(Thema Zeitstress-Raum).

Ein kohärenter Dreiklang aus Händler als Dachmarke, einem mora-

lisch-ethischem positiven Image und fairen Preisen bei gleichzeitiger

Einbettung in die Wohnnachbarschaft machen Wachstum auch in

Zeiten von stationärer Einkaufsunlust möglich.

Damit werden durch die LEH-Vollsortimenter viele Bedürfnisse, die sich heute auf den stationären

FMCG-Einkauf beziehen – große Auswahl, gute Preise, hohe Qualität, ethische Ansprüche,

räumliche Nähe – erfüllt. Die SB-Warenhäuser haben es dagegen schon strukturell schwerer, da sie

in der Regel nicht in der Nachbarschaft integriert sind. Aufgrund ihrer reinen Verkaufsfläche liegen

sie häufiger am Rand oder abseits der Wohnnachbarschaft. Zudem wirken zu große

Verkaufsflächen mit zu breitem Angebot in der Regel nicht ent-, sondern belastend. Schließlich

schafft der Versuch einer rein instrumentellen Entlastung durch Menge keine emotionale Beziehung,

sondern verstärkt eher die Einkaufsunlust.

Page 27: Shopperverhalten im Umbruch

27

3. Die Entstehung eines neuen Shopper-Typen

Die Analysen einiger Aspekte des stationären Einkaufs haben gezeigt, dass Reichweiten- und

Umsatzsteigerungen auch in Zeiten des Endes des Mengenwachstums und in einer Zeit

zunehmenden Zeitstresses und zunehmender stationärer Einkaufsunlust möglich sind.

- Die Bereitstellung eines Sortiments, das Großeinkäufe möglich macht,

- die Einbettung des Händlers in einen nachbarschaftlichen Kontext,

- die richtige Zusammenstellung des Sortiments von Preiseinstieg bis zu Premium,

- die Verankerung des Händlers als Dachmarke mit einem ethischen Image und einem Gefühl

des „aufgehoben seins“

sind Faktoren, die eine starke Bindung des Shoppers zum stationären Händler aufbauen. Es ist

damit das Zusammenspiel der Befriedigung von stärker materialistischen Bedürfnissen wie

Sortiment und Preise mit eher post-materialistischen Bedürfnissen wie Einbettung in den nachbar-

schaftlichen Kontext und ethischen Fragen, das die Loyalität der Menschen zum Händler steigert.

Die Befriedigung nur einer Dimension, nur günstig oder nur ethisch, ist nicht ausreichend.

Allerdings kann auch bei zunehmender Loyalität die Einkaufsfrequenz nicht erhöht werden. Auch bei

heute sehr erfolgreichen stationären Händlern ist damit das baldige Ende des Wachstums

abzusehen. Erschwerend kommt die zunehmende Konkurrenz durch Online-Händler hinzu. Doch

sollte der Online-Vertriebskanal für die etablierten stationären Händler weniger eine Gefahr als eine

Chance sein, das langsam an eine Grenze geratene stationäre Geschäft zu ergänzen.

Im Bereich FMCG steckt e-Commerce, das Kaufen via Internet, zwar noch in den Kinderschuhen,

aber schon heute lässt sich relativ klar bestimmen, wohin es in Zukunft gehen wird, die

Wachstumstendenzen sind deutlich zu erkennen. Vor allem, wenn man ins Ausland schaut. Aber

auch in Deutschland gewinnt der Kanal langsam an Bedeutung.

In einer von der GfK durchgeführten internationalen Studie wurde im Rahmen der Analyse von

Online-Käufen ein Shopper-Typ identifiziert, der sich in allen Ländern – auf unterschiedlichen

Niveaus – ausbreitet. In einer vertiefenden Studie in Deutschland wird dieser Shopper-Typ als

„Multi-Channel Shopper“ bezeichnet. Dieser Shopper-Typ ist von seiner quantitativen Bedeutung

heute noch relativ selten, doch weist sein Einkaufsverhalten alle Anzeichen eines kommenden

Trends auf. Daher lohnt es sich, diesen Shopper-Typen genauer zu betrachten, denn es ist der

Shopper-Typ der Zukunft. Heute sind es nur sechs bis acht Prozent aller Haushaltsführenden in

Deutschland, doch in naher Zukunft werden sie den Standard des Einkaufsverhaltens darstellen.

Nicht nur, weil jüngere Haushaltsführende „nachwachsen“, sondern auch, weil sich das FMCG-Kauf-

verhalten dieses Shopper-Typen in Form der Diffusion von Innovation auch in ältere, weniger e-

Commerce affine Haushaltstypen ausweiten wird. Was zeichnet den Multi-Channel Shopper aus?

Page 28: Shopperverhalten im Umbruch

28

Die Multi-Channel Shopper

Wir haben den neuen Shopper-Typen den Namen „Multi-Channel Shopper“ gegeben, weil für diesen

Shoppertypen online wie offline Einkaufskanäle wichtig sind und weil der Shoppertyp alle digitalen

Zugangskanäle – stationäre wie mobile – überdurchschnittlich zur Kommunikation, zur Informations-

suche und zum Einkaufen nutzt. Vor allem aber ist es der Shoppertyp mit den höchsten Online-

FMCG-Ausgaben. Diesen Shoppertypen zu kennen, heißt einen Eindruck von der Zukunft des

FMCG e-Commerce zu erhalten. Abbildung 14 gibt ein zusammenfassendes Bild des Multi-Channel

Shoppers.

Abbildung 14: „Paint a Picture“ des Multi-Channel Shoppers

Der Multi-Channel Shopper ist der jüngste Online-Shoppertyp, 47% der Haushaltsführenden sind

jünger als 40 Jahre. Daher überrascht es auch nicht, dass es der innovativste Shoppertyp ist. Die

Haushalte sind offen für neues, sowohl in Bezug auf FMCGs als auch in Bezug auf digitale

„Devices“ und „Gadgets“. So ist der Anteil der Smartphone- und Tablet-Nutzer in dieser Gruppe am

höchsten. Vor allem das Tablet wird verstärkt für die Suche nach und den Kauf von Produkten

genutzt. Ebenfalls nicht überraschend ist, dass die durchschnittliche Anzahl an stationären Shopping

Trips am geringsten ist. Überraschend ist jedoch, dass die geringe Anzahl an Shopping Trips nicht

Page 29: Shopperverhalten im Umbruch

29

mit der Unlust am stationären Einkaufen erklärt werden kann; während die Anzahl der stationären

Shopping Trips am geringsten ist, haben die Multi-Channel Shopper überdurchschnittlich Spaß am

stationären Einkauf (Abbildung 16).

Warum also die geringeren Anzahl Shopping Trips? Den Multi-Channel Shoppern fehlt ganz einfach

häufig die Zeit zum stationären Einkauf. Im GfK ConsumerScan Panel benutzen wir eine Zeitstress-

Skala um das Ausmaß der Zeitrestriktionen zu messen. Diese Zeitstress-Skala wird gebildet durch

den Grad der Zustimmung bzw. der Ablehnung folgender Aussagen:

- Die täglichen Anforderungen lassen mir kaum Freizeit übrig

- Ich habe tagtäglich einfach zu viele Aufgaben zu erledigen

- Ich würde gern mehr Zeit und weniger Hektik in meinem Tagesablauf haben

- Ich finde, dass meine Freizeit zu knapp ist

Abbildung 15 zeigt deutlich, dass die Multi-Channel Shopper am stärksten über Zeitknappheit

(Zeitstress) klagen; 42% der Multi-Channel Shopper fühlen einen sehr starken oder starken

Zeitstress, unter allen Onlinern sind es nur 27% (und würde man die Multi-Channel Shopper aus

dem Total herausrechnen, wäre der Wert noch etwas niedriger).

Abbildung 15: Zeitstress der Multi-Channel Shopper

Dieser starke Zeitstress ist der wichtigste Grund für den Online-Einkauf, die Multi-Channel Shopper

verbinden mit dem Online-Einkauf Zeitersparnis (vgl. Abbildung 16). Das Internet als Einkaufskanal

hat für sie damit zunächst einen stark entlastenden Nutzen.

Page 30: Shopperverhalten im Umbruch

30

Abbildung 16: Shopping Trips, stationäre Einkaufslust und Online-Einkaufsgrund

Zeitersparnis heißt beim Multi-Channel Shopper aber nicht unbedingt „schneller“ einkaufen, sondern

geplanter und seltener. Vor und während des seltenen FMCG-Einkaufs informiert sich der Multi-

Channel Shopper über viele Kanäle. Online sind die Multi-Channel Shopper vor ihren Einkäufen

bedeutend aktiver als andere Shopper. 60% der Multi-Channel Shopper vergleichen online Preise,

unter allen Onlinern (Haushaltsführung) sind es nur gut 30%. Und es wird sich in der Gruppe der

Multi-Channel Shopper häufig digital über Erfahrungen mit Produkten ausgetauscht. Immerhin 26%

der Multi-Channel Shopper nutzen dazu Foren und Produkt-Communities. Unter allen Onlinern sind

es nur sechs Prozent.

Für den Bereich Körperpflege haben wir gefragt, welche Informationsquellen (Touchpoints) vor

einem Kauf genutzt werden. Die fünfstufige Skala verlief von „nie“ bis „sehr häufig“. In der Abbildung

17 sind die Anteile derjenigen aufgelistet, die die jeweilige Informationsquelle nutzen. Deutlich wird

sofort, dass die Kurve der Multi-Channel Shopper durchgehend über der Kurve für alle Befragten

verläuft. Multi-Channel Shopper nutzen damit jeden Touchpoint – online wie offline Touchpoints –

vor einem Kauf von Körperpflegeprodukten häufiger als der Durchschnitt aller Onliner (Basis:

Haushaltsführung). Damit sind zumindest für Körperpflegeprodukte die Multi-Channel Shopper über

alle Touchpoints – neue, digitale genauso wie alte, physische – vor einem Besuch des Händlers

sehr gut zu erreichen.

Page 31: Shopperverhalten im Umbruch

31

Abbildung 17: Die Touchpoints vor einem Kauf von Körperpflegeprodukten

Der Online-Kanal ist damit für den Multi-Channel Shopper auch für FMCGs ein Einkaufskanal, der in

der näheren Zukunft weiter an Relevanz gewinnen wird. Fast 60% von ihnen können sich schon

heute vorstellen, in Zukunft alles nur noch online einzukaufen. Klingt wie der kommende Online-

Shopper und nicht wie der kommende Multi-Channel Shopper. Doch hier taucht eine Paradoxie auf,

die mit ausschließlich quantitativem Material nicht sichtbar wird. Daher greifen wir hier auf die

Ergebnisse einer qualitativen GfK Studie zurück. Diese hat zwar die „Digital Natives“ im Fokus und

damit eine Generation, die noch keine eigenen Haushalte gegründet hat, doch zeigt die Studie,

welche Bedürfnisse in den nächsten Jahren stärker „auf den Markt drängen“. Die Multi-Channel

Shopper sind Vorboten dieser kommenden Generation. In der Studie konnte gezeigt werden, dass

der Einkauf für die „Digital Natives“ am Erlebnis orientiert ist. Der Prozess des Einkaufens erfüllt für

sie soziale Bedürfnisse. In der Studie heißt es:

„Betrachtet man den idealen Einkauf für die Digital Natives, so zeigt sich, dass dieses Ideal meist am Erlebnis orientiert ist. Der Prozess des Einkaufens erfüllt zuallererst wichtige soziale Bedürfnisse und macht das Produkt mit allen Sinnen erlebbar. Der Spaß beim Einkaufen selbst, Wohlfühlen im Laden sowie das Im-Mittelpunkt-Stehen der eigenen Person (Egozentrismus) machen dieses Erlebnis dabei aus.

Page 32: Shopperverhalten im Umbruch

32

Das Einkaufsergebnis ist in dieser Idealvorstellung meist zweitrangig, spielt aber bei einem nutzenorientierten Einkauf eine größere Rolle. Hier kommt es dann vor allem auf Faktoren wie Convenience, Verfügbarkeit und Schnelligkeit an.“

9

Obwohl also 60% der Multi-Channel Shopper sich vorstellen können, in Zukunft alles nur noch

online einzukaufen, sind ihnen physische Erfahrungen und soziale Erlebnisse beim Einkauf

ebenfalls wichtiger als anderen Shoppertypen. Faktisch sind die Multi-Channel Shopper die

flexibelsten Menschen. Dies betrifft alle Bereiche des Lebens, und damit eben auch den Einkauf von

Lebensmitteln und Drogeriemarktprodukten. Sie nutzen alle Kanäle und tauschen sich über diese

hinsichtlich ihrer Erfahrungen aus. Kurz: sie üben eine starke Kontrolle aus und weisen ein hybrides

Shopper-Verhalten auf (Abbildung 18).

Abbildung 18: Der Multi-Channel Shopper mit starker Kontrolle und hybridem Verhalten

Quelle: GfK ConsumerScan

Der Shopper der Zukunft wird die Funktionalität des Online-Kaufes mit

der Sozialität des stationären Kaufes verbinden wollen.

9 GfK SE, Psychologie: Wie ticken „Digital Natives“? Nürnberg, September 2012

Page 33: Shopperverhalten im Umbruch

33

„Vireality“

Sich vorstellen können, alles online zu kaufen und trotzdem physische Erfahrungen/Erlebnisse zu

machen, dieser vermeintliche Widerspruch ist nur aufzuklären, wenn wir die Multi-Channel Shopper

noch etwas näher kennenlernen. Als jüngster Shopper-Typ gehören sie der flexiblen Generation an,

einer Generation, an die Anforderungen gestellt werden, mobil zu sein, sich nicht festzulegen, sich

nicht zu stark an etwas oder jemanden zu binden, um schnell Änderungen vornehmen zu können.

Ihr weiterer Lebensweg ist viel weniger determiniert als es noch in den älteren Generationen der Fall

war. Die meisten jungen Menschen der flexiblen Generation wissen heute nicht, wie ihre weitere

Biographie Aussehen und wo sie enden wird. Kontinuität und Linearität biographischer Verläufe

gehen verloren, stattdessen springt man von Punkt zu Punkt anstatt einem Pfad zu Folgen. Der

Sozialwissenschaftler Zygmunt Bauman spricht von einer pointillistischen Biographie, deren

Verständlichkeit und Ordnung erst – wenn überhaupt – am Ende der biographischen Karriere

Konturen zeigt. Eine biographische Voraussicht ist kaum noch möglich, denn das Leben, individuell

wie gesellschaftlich, wird zu einer Abfolge von Gegenwart, eine Verknüpfung von Augenblicken, die

mehr oder weniger intensiv erlebt werden.10

Ein Ankommen ist nicht mehr möglich und die

Sicherheit über das, was als Nächstes kommt, geht verloren. Der Verlust der Sicherheit führt dazu,

ständig noch ein wenig besser, schlauer, schöner zu werden, als Vorbereitung des nächsten

Schritts, dessen Richtung jedoch noch gar nicht bekannt ist. Aber man muss gewappnet sein. Nichts

verspricht Dauer und Bestand.11

Einige nennen es lebenslanges Lernen, aber es hat wenig mit

Lernen im Sinne von tieferer Erkenntnis zu tun, sondern eher etwas mit oberflächlicher Fitness.

Daher nennen wir es permanente Inszenierung.

Dieses flexibilisierte Leben, das nach jeder Entscheidung weitere Optionen offen hält, die einen

Fragen lassen, ob a) die getätigte Entscheidung die richtige war und b) welcher Schritt als nächstes

gegangen werden soll (ob sogar ein temporärer „Rückschritt“ notwendig ist), ist sehr anstrengend.

Entscheidung, Zweifel, weitere Suche lassen einen „Erschöpfungsstolz“ zu, wie Stephan Grünewald

schreibt12

, doch vor allem entwickelt sich ein starkes Bedürfnis nach biographischer Sicherheit. In

kurzen, klaren Worten hat Nina Pauer es so ausgedrückt: „Wenn wir ehrlich sind, haben wir nämlich

mittlerweile überhaupt keine Lust mehr auf Suchen. Wir wollen endlich finden. Wir wollen zur Ruhe

kommen. Uns endlich einmal entscheiden.“13

Oder noch kürzer: es geht um das Ankommen.

Dies letzte Zitat drückt aus, dass sich als Folge permanenter Inszenierung ein Bedürfnis nach Ruhe

und Ursprünglichkeit in der flexiblen Generation breit macht. Dieses Bedürfnis zeigt sich auch in der

10 Siehe dazu Zygmunt Baumann: Leben als Konsum. Hamburg 2009, S. 46f.

11 Vgl. Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft. Berlin 2013.

12 Stephan Grünewald: Die erschöpfte Gesellschaft.

13 Nina Pauer: Wir haben keine Angst. Frankfurt am Main 2011, S. 78f.

Page 34: Shopperverhalten im Umbruch

34

zunehmenden Bedeutung von Familien- und Gemeinschaftswerten und dem Bedürfnis nach mehr

sozialer Anerkennung14

, speziell in der jüngeren Generation. Die Wiederentdeckung traditioneller

Werte ist allerdings kein zurückfallen in einen Konservatismus, dem Wunsch nach einem Zurück „in

die gute alte Zeit“. Die flexible Generation lebt diesen Konflikt von Inszenierung und Authentizität

aus. Die jungen Menschen wissen, welche Anforderungen im öffentlichen Raum an sie gestellt

werden und dass sie diesen nicht entkommen können. Parallel dazu wird aber in einem privaten

Raum versucht, zu entschleunigen, soziale Nähe zu finden, Ursprünglichkeit zu entdecken (siehe

Abbildung 19). „Sharing economy“ und „urban gardening“ sind nur zwei Trends, die diesem Versuch

Ausdruck verleihen. Einem Versuch die Vita activa und die Vita comtemplativa parallel zu leben, die

eine im öffentlichen, die andere im privaten Raum. Dementsprechend versuchen viele der Multi-

Channel Shopper einen „Lifestyle of Health and Sustainability“ (LOHAS) zu leben.

Abbildung 19: Öffentliche Inszenierung und das Bedürfnis nach Authentizität im privaten Raum

Quelle: GfK Consumer Panels

Wie wenig dabei auf die physisch erlebbaren Lebensbereiche verzichtet werden kann, zeigen die

Ergebnisse unserer Analysen zum Sozialstress. Sozialstress wird hier verstanden als das Fehlen

von physischen Kontakten zu anderen Menschen. Wie zur Ermittlung des Zeitstress, haben wir zur

Ermittlung des Sozialstress eine Skala aus der Zustimmung/Ablehnung zu fünf Aussagen gebildet:

14 Vgl. Peter Wippermann und Jens Krüger: Werte-Index 2012.

Page 35: Shopperverhalten im Umbruch

35

- Ich würde gern in meiner Freizeit mehr unternehmen

- Es gibt oft Zeiten, zu denen ich zu viel allein bin

- Ich wünsche mir mehr gemeinsame Aktivitäten mit Anderen

- Ich bekomme zu wenig Anerkennung für meine Leistung

- Ich bedaure, dass sich unsere Familie nicht öfter zu gemeinsamen Anlässen (Weihnachten,

Geburtstag usw.) trifft

Unsere Hypothese war, dass die älteren Menschen am stärksten unter dieser Art von Sozialstress

leiden. Umso überraschter waren wir, als sich zeigte, dass es häufiger die jungen Menschen sind,

die Sozialstress wahrnehmen. Und so sind es auch die Multi-Channel Shopper, die am häufigsten

über Sozialstress klagen (Abbildung 20). Während 47% der Multi-Channel Shopper sehr starken

oder starken Sozialstress empfinden, sind es unter allen Onlinern nur 32% (jeweils Haushalts-

führung). Damit sind es diejenigen mit den meisten Kontakten in den digitalen sozialen Netzwerken,

die sich über zu wenig soziale Anerkennung und zu wenig gemeinsame Aktivitäten beklagen. Die

virtuelle Welt der Interaktionen ist also kein Ersatz für die physische Welt, allenfalls eine Ergänzung.

Abbildung 20: Sozialstress der Multi-Channel Shopper

Wir hatten gesagt, dass die Multi-Channel Shopper die Shopper der Zukunft sein werden. Doch

obwohl viele von ihnen es sich vorstellen können, bald nur noch online einzukaufen, weisen die

Analysen zu den Anforderungen an die Generation und ihren Bedürfnissen auf ein anderes

Shopperverhalten hin. Die Multi-Channel Shopper werden mit einer Ausweitung ihrer Online-

Einkäufe, die ohne Zweifel stattfinden wird, weiter auch die stationären Händler (auf)suchen, denn

Page 36: Shopperverhalten im Umbruch

36

physische Erlebnisse und soziale Interaktionen werden mit der Ausweitung „kalter“ Online-Einkäufe

nicht unwichtiger, sondern wichtiger.

Damit haben wir es wiederum mit einer Paradoxie zu tun: mit zunehmendem Gewicht der Online-

Einkäufe wird der stationäre Handel bei den Shoppern (wieder) an Bedeutung gewinnen. Letzterer

Kanal ist nicht mehr alternativlos und kann daher verlassen werden. Gleichzeitig aber wird seine

Bedeutung als Bestandteil unseres täglichen Lebens, unseres Aktionsraumes und Interaktions-

raumes wieder virulent. Alles immer Dagewesene wird erst dann vermisst, wenn es verschwunden

ist. Nun wird der stationäre Handel nicht verschwinden.

Das Bedürfnis nach echten sozialen Kontakten auch beim Shoppen, wird jedoch die Online-

Einkäufe nicht eindämmen. Um zu wachsen, muss der Handel beide Welten zusammenbringen. Wir

bezeichnen dieses Zusammenbringen als „vireality“, reale und virtuelle Welt müssen ineinander

greifen. Dies gilt für den eben beschriebenen neuen Shopper-Typen und es gilt für die quantitativ so

mächtige Gruppe der älteren Haushalte, denn in zehn Jahren werden alle Haushalte in Deutschland

privaten Online-Zugang haben, auch die dann über 70jährigen. Sie wegen des Aufstiegs des neuen

Shopper-Typen zu vernachlässigen wäre fahrlässig. Ein paar Ideen der Verbindung von physischer

und virtueller „Shopper Welt“ werden im abschließenden Teil angerissen.

Page 37: Shopperverhalten im Umbruch

37

4. Die Verknüpfung von physischer und virtueller Welt

Die Heranführung der jungen Multi-Channel Shopper und der älteren Shopper an den FMCG e-

Commerce wird im Detail sehr unterschiedlich sein müssen, hat jedoch für den heute stationären

Händler in beiden Fällen die gleiche Grundvoraussetzung, die wir als „physische Einbettung“

bezeichnen. Aufgrund seiner räumlichen Verortung hat der stationäre Handel beste Chancen, sich

im e-Commerce Markt zu etablieren, denn die physische Einbettung ist im Kampf um Online-

Marktanteile ein deutlicher Wettbewerbsvorteil. Allerdings nur, wenn die Verknüpfung von

physischer Einbettung und virtueller Relevanz gelingt. Was ist also mit „physischer Einbettung“

gemeint?15

Wir hatten den derzeitigen Erfolg der LEH-Vollsortimenter auch mit seiner räumlichen Verankerung

in der Wohnnachbarschaft erklärt. Der LEH-Vollsortimenter ist schnell zu erreichen und hat

inzwischen ein Sortiment, das Großeinkäufe ermöglicht. Zudem gibt es dort günstige und qualitativ

hochwertige Handelsmarken und Premiummarken, die häufig zum Sonderangebot zu haben sind.

Neben diesen eher funktionalen Argumenten für das Aufsuchen eines Händlers, haben die beiden

großen LEH-Vollsortimenter zudem an einem ethisch-moralischen Dachmarkenimage gearbeitet

und damit eine an Werte orientierte emotionale Bindung zu den Menschen aufgebaut.

Diese Bindung lässt sich durch konkrete Nachbarschaftsaktionen ausbauen. Soziales nachbar-

schaftliches Engagement des Händlers kann starke Bindungen zu den Bewohnern fördern. Aber

auch schon Sticker-/Sammelbildtauschaktionen in den Räumlichkeiten des stationären Händlers

können diesen Effekt haben. Hier treffen sich die Kinder und die Eltern der Nachbarschaft, um die

gesammelten Sticker zu tauschen. Der Händler wird damit Teil der aktiven sozialen Nachbar-

schaftsinteraktion. Man lernt sich kennen, spricht miteinander und vielleicht entstehen neue

Bekanntschaften oder Freundschaften. Der Besuch des Händlers wandelt sich damit von einem

funktionalen Verhalten, dem Einkaufsverhalten, zu einer sozialen Handlung, den Austausch mit

anderen. Der Händler wird zumindest temporär zur funktionalen und sozialen Bereicherung. Er

bettet sich physisch in die Nachbarschaft ein.

Ein sehr schönes Beispiel einer starken (temporären) lokalen Einbettung des Händlers ist die

Sticker-Aktion eines Rewe Händlers in Rhede. Dieser hat auf den Stickern die Konterfeis aller

15 Das Konzept der „Einbettung“ ist in der Wirtschaftstheorie nicht neu, firmiert allerdings unter dem englischen Begriff

„embeddedness“, der folgendermaßen definiert werden kann: „in der relationalen Wirtschaftsgeographie verwendeter Begriff für die Einbettung ökonomischer Aktivitäten in soziokulturelle Beziehungssysteme bzw. eines Unternehmens in sein soziokulturelles Umfeld.“ (zitiert aus Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Embeddedness, online im Internet: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/9040/embeddedness-v6.html. Gundlegend der Aufsatz von Mark Granovetter: Economic Action and Social Structure. The Problem of Embeddedness. American Journal of Sociology, 91/1985, S. 481-510.

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Fußballer des VFL Rhede abbilden lassen, sodass nicht national bekannte Stars gesammelt

wurden, sondern die Spieler des lokalen Fußballvereins. Ergebnis: „Obwohl die örtlichen Balltreter

nie über die Oberliga hinausgekommen waren, veranstalteten die Konsumenten in dem

münsterländischen Ort einen regelrechten Run auf die eigens produzierten Lokalhelden-Sticker in

Sammeltüten. … Im Rewe-Markt und drumherum kam es nach Aktionsbeginn zu manch

ungewöhnlich-originellem Dialog: ‚Ich hab Deinen Vadder!‘. ‚Ich hab Dich‘ – ‚Cool, tauschst Du

mich?‘ oder Ähnliches war da zu hören.“16

Diese sozial-räumliche Einbettung schafft strukturelle Vorteile für den stationären FMCG Händler

gegenüber reinen Online-Händlern im Wettbewerb um e-Commerce Marktanteile, denn durch die

Einbettung wird Vertrauen gebildet und das Vertrauen in den Händler ist die Basis für ein erfolg-

reiches Online-Geschäft. Sie muss sich nicht auf den nachbarschaftlichen Kontext am Wohnort der

Menschen beschränken; ebenso denkbar – und für hoch mobile, flexible Bevölkerungsgruppen

mindestens ebenso wichtig – ist die sozial-räumliche Einbettung am Arbeitsplatzkontext und an

räumlichen Knotenpunkten der Mobilität. Hier mit der Bereitstellung von Konsum- und Erlebnis-

welten die Bedürfnisse der jeweiligen Verfassung zu befriedigen, hilft das Kerngeschäft am Wohnort

der Menschen zu stärken. Wird das multi-stationäre Konzept mit der digitalen Welt verbunden,

betreiben wir mobiles Verfassungsmarketing. Wie dies geschehen kann, wird gleich klarer.

So paradox es klingen mag, der Erfolg der stationären FMCG Händler

im e-Commerce Markt geht nur über das „Prinzip der Lokalität“.

Betrachtet man die heutigen Online-Auftritte der stationären Händler – und vor allem der FMCG

Händler – erhärtet sich die Hypothese, dass anscheinend von vielen Händlern die reale, stationäre

und die virtuelle Welt als zwei vollständig separate Erlebniswelten gesehen werden. Natürlich gibt es

heute online Hinweise auf den nächsten stationären Shop und umgekehrt wird stationär auf die

Internetadresse verwiesen. Als Bestandteile eines zusammenhängenden Erlebnisraums, in dem an

den verschiedenen Touchpoints (Kanälen) unterschiedliche Bedürfnisse einer Erlebniswelt erfüllt

werden müssen, um erfolgreich zu sein, werden stationärer und digitaler Touchpoint aber

anscheinend nicht gesehen. Um online erfolgreich zu sein, müssen daher zunächst die heutigen und

– als Kür – die kommenden Bedürfnisse der Menschen ermittelt werden, um dann in einem

16 Lebensmittel Zeitung.net, http://www.lebensmittelzeitung.net/business/themen/messen-events/Salescup_959_14774.html,

download 24.07.2013.

Page 39: Shopperverhalten im Umbruch

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ganzheitlichem Verständnis zu prüfen, wie diese über die unterschiedlichen Kanäle befriedigt

werden können.

Nun bleibt dieses Erfordernis ein Allgemeinplatz, wenn es nicht mit Ideen gefüllt wird. Daher hier

abschließend ein paar Anregungen. Beginnen wir mit der flexiblen Generation: Wir haben bei der

Analyse des neuen Shopper-Typen gesehen, dass der stationäre Händler weiter von großer

Bedeutung bleibt, da diesen Shoppern ein physischer Erlebnisraum wichtig ist. Vor allem Zeitstress

macht für sie aber den Online-Kanal attraktiv. Im Internet kennt er sich aus und nutzt die neusten

technischen Innovationen, wie – Stand heute – Smartphones und Tablets. Der Multi-Channel

Shopper zeichnet sich aber noch durch weitere wichtige Merkmale aus. So verlagert er zum Beispiel

mehr und mehr seines FMCG-Konsums außer Haus. Vor allem das Mittagessen, aber teilweise

auch das Frühstück werden immer häufiger nicht mehr zu Hause zubereitet und konsumiert,

sondern außerhalb der eigenen Wohnung. Das kann in der Kantine sein oder im Restaurant –

inklusive Schnellrestaurant und Imbiss – oder auf der Straße (‚to go‘). Häufig muss es dabei sehr

schnell gehen (‚convenience‘), aber das Essen sollte doch ein gewisses Qualitätsniveau nicht unter-

schreiten und möglichst frisch und gesund sein. Ein Händler, der mit seinen stationären Filialen

versucht, diese Bedürfnisse zu befriedigen, wird viele dieser flexiblen Menschen ansprechen.

Die jungen, hoch flexiblen, jungen Menschen im erwerbsfähigen Alter treten verstärkt in den Städten

des Landes auf und verbringen dort tagsüber – aufgrund der Arbeitsstellen – und abends – aufgrund

ihrer kulturellen Präferenzen – viel Zeit im innerstädtischen Raum. Auf den Wohnort dieser

Menschen bezogene Konzepte sind hier zwar weiter sehr wichtig, doch aufgrund des großen

Aktionsraumes und der dadurch am Wohnort relativ kurz verbrachten Zeit, ist es zudem wichtig

ihnen am Arbeitsort und an den wichtigsten Mobilitätsknotenpunkten ebenfalls Angebote zu

machen. Das „Prinzip der Lokalität“ muss zur Erreichung dieser flexiblen Generation durch den

Plural ersetzt, also zum „Prinzip der Lokalitäten“ werden.

Es wurde schon von der Verinselung der Aktionsräume von Kindern gesprochen, im Prinzip haben

wir es hier mit einer ähnlichen Verinselung des modernen Stadtmenschen zu tun. Auf jeder der

Inseln dominieren andere Bedürfnisse. Daher können wir die Aufgabe der stationären Bedürf-

niserfüllung als sozial-räumliches Inselmarketing bezeichnen, das auf die jeweilige Verfassung auf

den Inseln fokussiert. Dieses erfolgreiche Inselmarketing muss heute bzw. in der nahen Zukunft

durch die Verbindung zur digitalen Welt ergänzt und zum mobilen Verfassungsmarketing ausgebaut

werden. Es geht um eine ganzheitliche Betreuung dieser modernen, städtischen Menschen durch

den Händler. Und eine ganzheitliche Betreuung verknüpft die physische mit der virtuellen Welt.

Für den Einkauf des Konsums am Wohnort bleibt der flexiblen Generation häufig wenig Zeit. Nun

könnte es eine Entlastung für diese Menschen sein, wenn an wohnortfernen Inseln, zum Beispiel

dort, wo tagsüber gegessen wird, digitale Touchpoints eingerichtet werden, mit denen der Einkauf

für den eigenen Haushalt vorgenommen werden kann. So könnten zum Beispiel in Restaurants und

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Bistros Tablets zu Verfügung gestellt werden, mit denen während der Mittagspause die Einkäufe

online getätigt werden können. Diese Einkäufe werden in einen Einkaufswagen deponiert, der

täglich weiter gefüllt und dann am Wochenende, Freitag und Samstag, in der Filiale am Wohnort

abgeholt werden können.

Während der Mittagspause steht der „frame“ auf Speisen und Getränke. Damit ist eine Verbindung

zur Bestellung von Nahrungsmittel für den privaten Konsum hergestellt. Während auf das bestellte

Essen gewartet wird, kann über das Tablet der Online-Einkauf beim Händler stattfinden. Wenn

einem zum Beispiel nach der Bestellung eines Nudelgerichtes einfällt, dass man zu Hause keine

Nudeln mehr vorrätig hat, werden diese schnell beim Händler online geordert und in den Warenkorb

für den stationären Wocheneinkauf gelegt. Dieser Vorgang kann bis zum Abholtermin beim

stationären Händler zu jeder Zeit und von allen Orten mit Online-Zugang wiederholt werden. Am

Ende der Woche kann sich der Shopper dann seine gesammelten Bestellungen in der Filiale seines

Wohnortes abholen. Eine ausgedruckte Liste der Produkte des Warenkorbes hilft ihm bei der

Ergänzung der Einkäufe während seines Besuches in der stationären Filiale.

Der zeitgestresste Shopper wird dadurch stark entlastet. Seine wichtigsten Einkäufe hat er schon

während der Woche getätigt, er muss sie nur noch in seiner Filiale abholen. Dadurch spart er am

Wochenende erheblich Zeit, die zur Verlängerung der Mußezeit genutzt werden kann. Durch das

Abholen der Waren in der stationären Filiale besteht zudem die Möglichkeit, doch noch vergessene

Produkte schnell noch nachzukaufen. Dafür wird aber kein großer Einkaufswagen mehr notwendig

sein, ein kleiner Korb reicht aus. Extra eingerichtete Kassen für Online-Besteller könnten die

Wartezeit an der Kasse zur Bezahlung der „Nachkäufe“ minimieren.

Der neue Shopper-Typ, den wir oben als Multi-Channel Shopper bezeichnet haben, kann somit alle

entlastenden Annehmlichkeiten des Online-Kaufes mit den sozialen Aspekten des Kaufes beim

stationären Händler verbinden. Die Attraktivität der Online-Bestellung kann für ihn noch gesteigert

werden, wenn für die Online-Bestellung jeden Tag ein Sonderangebot des Tages ausgewiesen wird,

das nur zu dem bestimmten Tag als Sonderangebot gekauft werden kann, aber wenn es online

bestellt wurde, erst am Wochenende abgeholt werden muss. Bei diesen Angeboten des Tages sollte

es sich natürlich um Produkte handeln, die für die Zielgruppe des modernen, flexiblen Menschen

hoch attraktiv sind.

Dies ist nur eine Idee der Ansprache der jungen, flexiblen Generation. Natürlich muss hier noch

weiter ins Detail gegangen werden – hinsichtlich der Verbreitung der Tablets, des Ladens einer App

zum Bestellen vom eigenen, privaten Tablet und der Bezahlmodalitäten bei Bestellung –, das Bei-

spiel sollte aber veranschaulicht haben, wie physische und digitale Welt einen Erlebnisraum bilden

und ineinandergreifen sollten, um sowohl den stationären als auch den Online-Handel voranzu-

bringen.

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Die Hinführung der älteren, nicht mehr erwerbstätigen Bevölkerung zum e-Commerce muss

dagegen anders ansetzen, vor allem, wenn wir über die über 70jährigen sprechen. Wie bei der

flexiblen Generation müssen wir zunächst Klarheit darüber gewinnen, was die ältere Generation

auszeichnet und auszeichnen wird. Zunächst einmal werden in Deutschland immer mehr Menschen

im Alter von 70+ leben und allein aufgrund dieser quantitativen Zunahme, wird der Nahversorger

immer wichtiger. Der sozial-räumliche Kontext der Wohnnachbarschaft ist zentraler Aktionsraum der

über 70jährigen, da innerhalb dieses Kontextes die meiste Zeit verbracht wird. Die Stärkung nach-

barschaftlicher Beziehungen ist für diese Generation daher sehr wichtig. Die Knüpfung eines

nachbarschaftlichen Hilfeleistungsnetzwerkes bietet ihnen Geborgenheit.

Im Gegensatz zur flexiblen Generation haben die älteren Haushalte Zeit, sie benötigen den Internet-

kanal nicht, um Zeit zu sparen. Für sie sind physische Entlastungen beim Einkauf sehr viel wichtiger.

Ein Service, der die zunächst noch stationär getätigten Einkäufe in die Wohnungen der älteren

Menschen bringt, würde für viele Haushalte der älteren Generation sicher sehr attraktiv sein. Dieser

Service sollte nachbarschaftlich organisiert sein, sodass er zur Stärkung des nachbarschaftlichen

Hilfeleistungsnetzwerkes beiträgt. So könnte der Händler zusammen mit lokalen Institutionen wie

der ansässigen Kirchengemeinde diesen Service aufbauen. Sobald der Service nicht nur die älteren

Bewohner entlastet, sondern auch diejenigen, die die Einkäufe bringen, aus der Nachbarschaft

stammen, sind die Nutzer des Services eher bereit für den Service etwas zusätzlich zu zahlen. Ein

in dieser Art funktionierender Service würde das Vertrauen der älteren Menschen in den Händler

festigen.

Heute verfügt ein erheblicher Anteil der über 70jährigen über keinen privaten Internetzugang. In

zehn Jahren werden aber fast alle der dann über 70jährigen über einen Internetzugang verfügen.

Trotzdem werden viel stärkere Unsicherheiten bei der Nutzung des Internets als Transaktionskanal

vorherrschen als bei der jungen, flexiblen Generation. Ein starkes Vertrauen in den Online-Händler

ist damit Grundvoraussetzung für den Online-Kauf. Der Bring-Service der stationären Einkäufe baut

dieses Vertrauen auf. Hat es sich verfestigt, kann darauf hingewiesen werden, dass der gesamte

Einkauf von zu Hause durchgeführt werden kann, wenn ein Internetzugang vorhanden ist. Der

Bezahlvorgang müsste in diesem Fall gar nicht online stattfinden, denn da die Einkäufe weiter

angeliefert werden, weiter von anderen Bewohnern der Nachbarschaft, könnte die Bezahlung bar

oder mit ec-Karte stattfinden.

Auch diese Idee zur Heranführung älterer, über 70jähriger Menschen an Online-Einkäufen soll nur

illustrieren, wie stationärer Handel und digitale Einkäufe verknüpft werden können und sollten, vor

allem, wenn es um Güter des täglichen Bedarfs geht. Nur durch die Überwindung der inzwischen

künstlichen Trennung von physischer und virtueller Welt können die FMCG Online-Einkäufe zu

einem ähnlich habitualisierten Verhalten werden, wie es die stationären Einkäufe sind.

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In dieser Reihe außerdem erschienen:

2012

Auf der Suche nach einem kohärenten Qualitätsversprechen. Die junge, flexible Generation zwischen öffentlicher Inszenierung und privater Authentizitätssuche

Weitere Informationen bei:

Dr. Robert Kecskes

Manager Strategic Customer Development

Consumer Panels │ Consumer Experiences

Tel.: 0211 / 93 65 32 10

[email protected]