Sicher-heit und sicher morgen? Solidarität im Zeitalter präkerer Arbeit

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University Vienna Vienna Sicher-heit und sicher morgen? Solidarität im Zeitalter präkerer Arbeit Univ. Ass. Dr. Susanne Pernicka Universität Wien

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Vienna. Sicher-heit und sicher morgen? Solidarität im Zeitalter präkerer Arbeit. Univ. Ass. Dr. Susanne Pernicka Universität Wien. Vienna. Gliederung Geschichtlicher Rückblick seit dem 2. WK Empirische Befunde zum Wandel der Arbeitswelt Zukunftsperspektive – Solidaritäten im Wandel. - PowerPoint PPT Presentation

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Sicher-heit und sicher morgen?Solidarität im Zeitalter präkerer Arbeit

Univ. Ass. Dr. Susanne PernickaUniversität Wien

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Gliederung

• Geschichtlicher Rückblick seit dem 2. WK

• Empirische Befunde zum Wandel der Arbeitswelt

• Zukunftsperspektive – Solidaritäten im Wandel

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• Es ist kein Zufall, dass die Beziehung, die den sozialen Zusammenhalt und eine

bestimmte vom Staat verantwortete Sozialpolitik miteinander vereint – also eine

Neubelebung von Solidarität und Sozialstaat - nach dem zweiten Weltkrieg –

entstand (Robert Castel 2000).

• Menschliche Verluste, materielle Not, Wirtschaftskrise der 30er Jahre knüpften

soziale Bande > umfassendes Bekenntnis zum Wohlfahrtsstaat

(solidarische Versicherung gegen soziale Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit,

Alter, Mutterschaft, etc.).

• Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates, wie wir ihn heute kennen, ist durch eine

doppelt erzwungene Solidarität geprägt: erst eine Krise der Herrschenden (Kapital)

und Bedrohung (Kommunismus) einerseits und die Pflichtgemeinschaft in der

Sozialversicherung andererseits bildeten eine nachhaltige Basis dafür.

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„… das britische Volk soll dem Staat formell die Verantwortung dafür übertragen,

allzeit für ausreichend hohe Staatsausgaben zu sorgen, damit alle verfügbaren

Arbeitskräfte Großbritanniens beschäftigt sind.“

„Wenn Vollbeschäftigung nicht erreicht und gehalten werden kann, dann sind

auch keinerlei Freiheiten mehr garantiert, denn für viele werden sie keinerlei

Bedeutung haben.“ (William Beveridge 1943, brit. Ökonom)

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• Keynesianischer, Nachfrage steuernder Staat kaum noch mehrheitsfähig und nur

begrenzt realisierbar.

• Rückgriff auf Beschäftigung als Voraussetzung für die Wahrung des sozialen

Zusammenhalts und der individuellen Freiheit.

• Berufstätigkeit und Arbeit sind – selbst dort, wo sie unterbezahlt und potenziell

prekär verrichtet werden – identitätstiftend.

• Sie bilden die Basis für gesellschaftliche Integration, die Herausbildung von

Selbstwert und existenzieller Sicherheit.

• Arbeitslosigkeit kann zu sozialem Ausschluss, gesellschaftlicher Desintegration

und im schlimmsten Fall zu brutaler Gegenwehr (z.B. Paris 2005) führen.

• Armut, mangelnde Chancengleichheit, Perspektivenlosigkeit und Ausgrenzung

enthalten Keim für Solidaritäten, die sich – bei Fehlen alternativer

Ausdrucksformen - in negativer Weise gegen den Staat richten können. Seite 4/14

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Demonstration im Rahmen des Weltwirtschaftsforums, Salzburg 2001

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Gewerkschaftlicher Netto-Organisationsgrad in Österreich 1970-2003

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10

20

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50

60

1970-1975 1976-1980 1981-1985 1986-1990 1991-1995 1996-2000 2001-2003

53,2%1971

35,2%2003

Quellen: OECD, AIW Datenbank

Proletarier aller Länder vereinigt euch! (Kommunistisches Manifest 1848)

• Lohnarbeit und Ausbeutungsverhältnisse als ideologische Grundlage für gemeinsame Klassenidentität und Solidarität

• Organisationserfolge bis in die späten 1980er Jahre

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• Mythos einer einheitlichen Identität und homogenen Interessenlage vor allem

männlicher Vollzeit-Beschäftigter in der Industrie bis in die 1980er Jahre >

Gewerkschaftsmitglieder

• Gewerkschaftsidentität über „Normalarbeitsverhältnis“ ( = Vollzeit, unbefristet)

exkludierte sog. „Randgruppen“ (wie Frauen, MigrantInnen, Arbeitslose und

atypisch Beschäftigte).

• Die industrielle Massenproduktion des Fordismus, Vollbeschäftigung, kaum

Streikaktivitäten und gesellschaftliches Idealmodell von Familie (Vater als

Alleinverdiener) > stabile Bedingungen für Interessenvereinheitlichung der

Arbeitnehmer.

• Männerdominierende Sozialpartnerschaft und Kollektivverhandlungen als

politisch-institutionelle Manifestation des fordistischen Wohlfahrtsstaates in

Österreich

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Bruno Kreisky und Anton Benya beim ÖGB Bundeskongress 1987

ÖGB Archiv

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Postfordimus und neoliberale Disziplinierungsmacht

• Internationalisierung, sektoraler Wandel in Richtung Dienstleistungen,

erhöhte Frauenerwerbsbeteiligung und normative Subjektivierung (Martin

Baethge 1991) und Individualisierung (erhöhte Anspruchniveaus an

qualifizierte Arbeit) haben die Arbeitswelt nachhaltig verändert

• Bereits mehr als ein Drittel der Beschäftigten in atypischer Beschäftigung

(s. Grafik), die vielfach keine ausreichende Existenzgrundlage und soziale

Absicherung im Fall von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Mutterschaft bietet.

• Die Atypisierung und Präkarisierung wirkt auch für die (noch)

abgesicherten Stammbelegschaften und den Mittelstand bedrohlich und

disziplinierend „Ökonomie der Unsicherheit“ (Andreas Boes 2006), „Ökonomie

der Angst“

• Konkurrenzbeziehungen, Angst um den Job, Heterogenität der

Arbeitsbedingungen, Vereinzelung, etc. treten vielfach an die Stelle von

Solidarität und einheitlicher KlassenidentitätSeite 9/14

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University ViennaViennaAtypische Beschäftigung in Österreich im Jahr 2004

* Ohne Lehrlinge, **bis 12 Std./Wo ist eine Teilmenge der TeilzeitQuelle: Statistik Austria, Arbeitskräfteerhebung 2004, eigene Berechnungen, aus Pernicka/Stadler 2006

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  Gesamt Anteil an Beschäftigten in Prozent

Frauenanteil Männeranteil

Normalarbeitsverhältnis 2.259.300 60,3 33,90 66,1

(echte) Selbstständige 477.500 12,8 36,3 63,7

Teilzeit 802.300 21,4 85,1 14,9

bis 12 Stunden/ Woche** 146.000 3,9 79,0 21

Befristete Beschäftigung * 172.200 4,6 50,2 49,8

Leih-/Zeitarbeit 48.800 1,3 28,3 71,7

Freier Dienstvertrag 45.900 1,2 58,6 41,4

Neue Selbständige 46.300 37,6 62,4

Atypisch Erwerbstätige ges. 1.007.200 26,9 75 25

Erwerbstätige ges. 3.744.000 100 44,9 55,1

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Entwicklung der freien Dienstverträge in Österreich von 1998-2006

Quelle: BMWA

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5.000

10.000

15.000

20.000

25.000

30.000

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

gesamt

m

f

15.0521998

27.3722006

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Lohnquote (bereinigt) in Österreich 1976-2003

Quelle: Statistik Austria, VGR 1976-2003

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1976-1980 1981-1985 1986-1990 1991-1995 1996-2000 2001-2003

80,8%1978

67,8%2003

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• Beschäftigte erhalten wachsenden Anteil am Geschäftsrisiko, gleichzeitig sinkt Anteil an den gemeinsam erwirtschafteten Gewinnen.

• Neue Konfliktlinie zwischen einer mächtigen (!), aber unorganisierten und atomisierten Masse einerseits sowie mächtigen, hochgradig artikulierten Wirtschaftselite (Manager, etc.) andererseits (Colin Crouch 2004).

FAZIT: • Voraussetzungen für Organisierung, Mobilisierung und Solidarität haben sich gewandelt: Individualisierung, wachsendes Selbstvertrauen der Beschäftigten, wechselnde Identitäten, Selbstwahrnehmung als Unternehmer/in seiner/ihrer selbst, usw. führen NICHT zur Auflösung von Solidaritäten, sondern zurFRAGMENTIERUNG und HETEROGENISIERUNG der Solidaritäten.

• Gemeinsamkeiten und solidarische Beziehungen werden eher im engen Umfeld, in den eigenen Netzwerken gepflegt, hier können soziale Interaktionen stattfinden undwechselseitiges Vertrauen entstehen.

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Schlussfolgerungen – Solidarität heute und morgen?

> Kollektive Organisationen (Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, etc.) müssten sich

der Vielfalt und Heterogenität der Menschen öffnen; entsprechend ihrer

unterschiedlichen Lebensentwürfe und Identitäten Unterstützung/Begleitung anbieten

> Zentralisierung und Kontrolle (der Entscheidungsfindung, etc.) sollten

durch Dezentralisierung und Vertrauen in die Selbststeuerungspotenziale

der Mitglieder zumindest ergänzt werden.

> Selbstorganisierung (Euro Mayday, Attac, etc.) finanziell und organisatorisch

unterstützen, um die Entstehung neuer – eventuell auch widersprüchlicher –

Solidaritäten zuzulassen (diese sind nicht umfassend steuerbar)

Versuch eines institutionellen Brückenschlags: Finden und Aufzeigen von

Gemeinsamkeiten ALLER lohn- und honorarabhängigen Beschäftigten;

Den Mittelstand und Spitzenverdiener in die Pflicht nehmen,

um Existenzsicherung für ALLE zu erzielen (Umverteilung, bedarfsorientierte

Grundsicherung).