SIE & ER im Gespräch

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12 SIE & ER im Gespräch Eva Gritzmann und Denis Scheck über den kleinen Unter- schied beim Essen und Trinken Frau Gritzmann, herr scheck, wie sind sie überhaupt auf die- ses ema gekommen? sIE & Er: am anfang unseres Buchs stand ein spiel. Wir kennen uns aus der schule und sind über die Jahre oft gemeinsam essen gegan- gen. Eines tages haben wir in restaurants aus einer laune heraus zu wetten begonnen, ob ein bestimmtes Gericht, ein bestimmtes Getränk von einer Frau oder von einem Mann be- stellt wurde. Wir haben diese Feldforschung dann intensiviert, sind in Discounter, supermärkte und Feinkostläden gegangen und haben einfach mal in ruhe beobachtet, was wirklich in die Einkaufskörbe wandert. anschließend haben wir mit Köchen, hirnforschern und anderen schlauen Menschen gesprochen. Und wir waren ja gewissermaßen schon länger am ema dran: Im lauf unserer lebens haben wir schließlich jeweils an die 50.000 Mahlzeiten zu uns genommen – Er ganz offenbar einige mehr als sIE. Das ist das schöne an diesem ema: hier darf sich endlich mal jeder als Experte fühlen. Ist Fleisch wirklich das Gemüse des Mannes? Wir begegnen auf unseren speisezetteln den gesellschaftlichen

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Eva Gritzmann und Denis Scheck über den kleinen Unterschied beim Essen und Trinken

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SIE & ER im Gespräch Eva Gritzmann und Denis Scheck über den kleinen Unter-schied beim Essen und Trinken

Frau Gritzmann, herr scheck, wie sind sie überhaupt auf die-ses Thema gekommen?

siE & Er:am anfang unseres Buchs stand ein spiel. Wir kennen uns ausder schule und sind über die Jahre oft gemeinsam essen gegan-gen. Eines tages haben wir in restaurants aus einer laune heraus zu wetten begonnen, ob ein bestimmtes Gericht, ein bestimmtes Getränk von einer Frau oder von einem mann be-stellt wurde. Wir haben diese Feldforschung dann intensiviert,sind in Discounter, supermärkte und Feinkostläden gegangenund haben einfach mal in ruhe beobachtet, was wirklich in dieEinkaufskörbe wandert. anschließend haben wir mit köchen,hirnforschern und anderen schlauen menschen gesprochen.Und wir waren ja gewissermaßen schon länger am Themadran: im lauf unserer lebens haben wir schließlich jeweils andie 50.000 mahlzeiten zu uns genommen – Er ganz offenbar einige mehr als siE. Das ist das schöne an diesem Thema:hier darf sich endlich mal jeder als Experte fühlen.

ist Fleisch wirklich das Gemüse des mannes?

Wir begegnen auf unseren speisezetteln den gesellschaftlichen

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rangordnungen vergangener zeiten. Diese prägen auch ganzentscheidend den Geschmack der Geschlechter. Wie immer,wenn man seinem früheren selbst begegnet, muss das nicht unbedingt ein schöner anblick sein. männer essen in der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhundertsdoppelt so viel Fleisch wie Frauen. kennen sie eine anderesäugetierart mit derart unterschiedlichem Ernährungsverhal-ten? Gemüse galt lange als Frauenessen, während Fleisch als»Energiespender« in erster linie dem jagenden, kämpfenden,schwerstarbeit verrichtenden mann vorbehalten blieb.

Was hat sie bei ihren recherchen am meisten überrascht?

Dass murmeltiere nicht nur süß aussehen, sondern auch gutschmecken. Dass männer viermal so viel alkohol trinken wieFrauen. Und dass eine Frau, um ihre zugehörigkeit zur Ober-schicht zu demonstrieren, keinen zobel und keinen Ferraribraucht, sondern einfach eine säuferleber.

Welche kulinarischen klischees über männer und Frauenstimmen tatsächlich?

schon in der Fragestellung nach den Geschmacksunterschie-den zwischen mann und Frau liegt ja eine vielen unbewussteagenda. Daran haben auch Jahrzehnte von gender studieswenig geändert. Wir könnten ja auch nach unterschiedlichenErnährungsgewohnheiten von Großen und kleinen, Blau-

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oder Grünäugigen oder von Blonden und schwarzhaarigen fra-gen. Unser Buch ist ein versuch, misstrauen gegen simple ant-worten auf komplizierte Fragen zu wecken. außerdem wollenwir gern ein paar neue klischees in die Welt setzen. zum Bei-spiel das Gritzmann-scheck-Theorem: Dass man dort am bes-ten isst, wo am wenigsten musikberieselung stattfindet.

Worin liegt ihrer meinung nach der Grund für die unter-schiedlichen Geschmäcker der Geschlechter?

Wir werden zu männern und Frauen, weil wir uns wie männerund Frauen ernähren. Genetik und morphologie liefern ihrenteil der Erklärung – aber die kulturellen und soziologischenaspekte sind die spannenderen.

Was haben gute literatur und gutes Essen gemeinsam?

mehr als man denkt. Beide erfordern auf der seite von Produ-zenten wie von konsumenten jene gesteigerte Form der auf-merksamkeit, die man landläufig liebe nennt.

Wo überall haben sie für dieses Buch recherchiert?

Wir waren in Garküchen in china, bei durchgeknallten sup-penkaspern in chicago und bei sterneköchen wie Johannamaier, Jean-claude Bourgueil, Ferran adrià oder vincentklink. Genauso haben wir aber mit der metzgermeisterin und

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dem Gemüsehändler um die Ecke gesprochen und uns bei derWurstbude und dem Pizzabäcker nebenan umgesehen.

Wie viel haben sie bei den recherchen zu oder abgenommen?

sagen wir so: Wir sind für dieses Buch durch dick und dünngegangen …

Was muss sich ändern?

Wir sollten vielleicht einmal darüber nachdenken, ob wir wirk-lich in einem land leben wollen, in dem jeder Deutsche proJahr an die 70 tiefkühlpizzen verzehrt. Esserziehung ist wichtig,auch der aufbau von aromenbibliotheken. in kindergärten,krankenhäusern und altenheimen muss endlich anders gekochtwerden. man darf sich auch fragen, inwieweit die Ernährungim Gefängnis teil der strafe sein soll. Das Elend unserer su-permärkte und Discounter muss stärker ins visier genommenwerden. immer mehr menschen wird ja allmählich klar, dassmit unserem Fleischkonsum etwas nicht stimmt. schließlichmüssen mann und Frau in Deutschland begreifen, dass wir fürlebensmittel mehr Geld ausgeben sollten. Das alles ergibt sichaber fast von allein, wenn wir uns der biologischen und kul- turellen Determiniertheit unseres individuellen Geschmacks bewusst werden. Dann kann man vielleicht auch einfach mehrüber sich selbst lachen, was ja immer eine gute idee ist.