Sieben Mal stand die Erde am Abgrund - pim.uzh.ch · Resten sich die Schreibkreide bildete. Erst...

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Sonntag | Nr. 3 | 24. Januar 2010 Seite 47 WISSEN Erdbeben, Artenschwund, Klimaerwär- mung – überall lauern Katastrophen. Heinz Furrer nimmt es gelassen. «Die Welt wird nicht untergehen», sagt der gestandene Forscher. Er glaubt auch nicht, dass das Leben dadurch ver- schwinden wird, «aber vielleicht der Mensch». Natürlich hat Naturwissen- schafter Furrer Mitgefühl mit Opfern von Unglücken und macht sich Sorgen wegen der Klimaerwärmung. Doch er hat eben auch diesen professionellen Blick. Als Paläontologe beschäftigt er sich sehr oft mit vergangenen Umwelt- katastrophen, die sich in ihrer Dramatik jeglicher Vorstellungskraft entziehen. «Massenaussterben gehören zur Na- tur», sagt Furrer, während er durch das Paläontologische Museum der Uni Zü- rich führt. Als Kurator hat er zusammen mit Fachkollegen das aktuelle Wissen zu den verschiedenen Massenaussterben der letzten 540 Millionen Jahre für eine Ausstellung zusammengetragen. Es ist der Zeitraum, in dem sich das Leben von Mehrzellern zu komplexen Wesen wie uns Menschen entwickelte. Davor exis- tierten zwar einfache Lebensformen, doch hinterliessen sie nur spärliche Spu- ren. Zu eigentlichen Massenaussterben, bei denen das Leben am Abgrund stand, kam es laut den Zürcher Paläontologen sieben Mal. «Wir reden von einem sol- chen Ereignis, wenn mindestens 50 Pro- zent der bekannten Gattungen ausstar- ben», erklärt Furrer. DAS LETZTE MARKANTE und mit Sicher- heit auch das bekannteste Massenaus- sterben fand am Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren statt. Damals ver- schwanden nicht nur die bis dahin äus- serst erfolgreichen Saurier, sondern auch 50 Prozent aller im Meer lebenden wirbellosen Tiere. Obwohl die Saurier aus heutiger Sicht die unbestrittenen Stars sind, interessieren sich Paläontolo- gen mindestens so stark für die bis zu zwei Meter grossen Ammoniten. Diese urtümlichen Meereswesen hatten ein meist spiraliges Kalkgehäuse, dank dem sie im Wasser schweben konnten. Weil die Ammoniten weltweit in grosser Vielfalt vorkamen und ihre Scha- len gut erhalten blieben, findet man von ihnen besonders viele Fossilien. Den For- schern ermöglicht dies, die Entwicklung genau zu verfolgen. Beispielsweise stell- ten sie fest, dass die Ammoniten vor ih- rem endgültigen Ende vor 65 Millionen Jahren drei Massenaussterben nur knapp mit ein paar wenigen Arten überstan- den. Aus diesen entstand jedoch jedes Mal innert kürzester Zeit neue Vielfalt. Das Massensterben vor 65 Millionen Jahren hinterliess eine scharfe Grenze in den Gesteinsschichten. Beispielsweise durch die vorher massenhaft auftreten- den planktonischen Algen, aus deren Resten sich die Schreibkreide bildete. Erst nach einigen Zehntausend Jahren lagerten sich wieder solche kalkigen Mi- krofossilien ab. Die Suche nach den Ursachen des Aussterbens der Dinosaurier und ihrer Zeitgenossen ist ein Dauerbrenner. Fur- rer beobachtet, dass in der Paläontolo- genzunft immer wieder neue Trends auftreten; inzwischen existieren über 100 Theorien. Eine geht beispielsweise davon aus, dass sich die Saurier wegen ihrer Grösse die eigene Nahrung weg- frassen und dann verhungerten. Andere Schuldige waren abwechslungsweise Vi- ren, Meteoriten und – seit wenigen Jah- ren – Vulkane. Diese gelten heute als hauptverantwortlich. Eine 3500 Meter dicke Schicht aus Vulkangestein in Indien zeugt von massi- ver Vulkanaktivität während rund einer halben Million Jahre. Staubpartikel, Schwefel- und Koh- lendioxid sorgten für Klimaturbulenzen und eine Ver- sauerung der Meere. Mitten in dieser schwierigen Phase schlug zu allem Überfluss ein Asteroid mit 10 Kilometern Durch- messer auf der heutigen Halbinsel Yu- catán in Mexiko ein. «Das war für die Sau- rier der Todesstoss», so Furrer. DIES WAR WAHRSCHEINLICH das einzige Mal, dass ein Einschlag eines Asteroiden an einem Massenaussterben direkt be- teiligt war. Lange Zeit hat man die Aus- wirkungen solcher Ereignisse über- schätzt. Nachdem immer mehr Ein- schlagstellen entdeckt wurden, musste man eingestehen, dass die meisten Aste- roiden nur lokal Verwüstung anrichte- ten. Furrer ist sowieso der Meinung, dass bei Massenaussterben immer meh- rere Umweltkatastrophen zusammen- kommen müssen. So auch beim gröss- ten Aussterbeereignis der Erdgeschichte vor 250 Millionen Jahren. Damals lösch- ten vermutlich gewaltige Vulkanausbrü- che im heutigen Sibirien rund 95 Pro- zent aller Arten aus. Schon vorher hat- ten plattentektonische Bewegungen zur Bildung eines einzi- gen grossen Superko- ninents namens Pan- gäa geführt, was das Klima ebenfalls ver- änderte und zu ei- nem massiven Ab- senken des Meeres- spiegels führte. Durch die Katastrophe ver- schwanden ganze Tiergruppen wie die ehemals weit verbreiteten Trilobi- ten vollständig. Von anderen wie den Ko- rallen, Seelilien und Seeigeln überlebten nur einzelne Arten. Aus heutiger Sicht unvorstellbar. Doch das hat vor allem da- mit zu tun, dass sich die Katastrophe vor 250 Millionen Jahren wie alle grossen Aussterben über Hunderttausende Jahre erstreckte. Hier kommt die erdgeschicht- liche Perspektive von Heinz Furrer wieder zum Zug: Auf geologische Zeiträume hochgerechnet, findet zurzeit nämlich das achte Massenaussterben statt. Dies- mal durch menschliche Aktivität. «Beun- ruhigend», gesteht Furrer, diesmal ohne Paläontologen-Brille. Sonderausstellung «Massenaussterben und Evolution», bis 5. September 2010 im Paläontologischen Museum Zürich, www.zm.uzh.ch Forscher haben ein immer klareres Bild davon, was bei den grossen Massenaussterben der Erdgeschichte genau passiert ist. VON FELIX STRAUMANN . Sieben Mal stand die Erde am Abgrund Mehrere dramatische Umweltkatastrophen löschten beinahe alles Leben auf der Erde aus Bei der letzten grossen Umweltkatastrophe verschwanden nicht nur Saurier wie Tyran- nosaurus rex (oben), sondern auch die sehr erfolgreichen Ammoni- ten (unten). . PEINLICHE PANNE beim Welt- klimarat IPCC: Für eine im jüngsten Weltklimabericht von 2007 veröffentlichte Pro- gnose zum raschen Ab- schmelzen der Himalaja-Glet- scher gibt es keine ausrei- chenden Belege. Schon bis zum Jahr 2035 könnten dort die Eismassen vollständig ver- schwunden sein, heisst es in einem Kapitel des Klimabe- richts. Zudem werde im glei- chen Zeitraum weltweit die Gesamtfläche aller Gletscher von derzeit 500 000 Quadrat- kilometer auf wahrscheinlich 100 000 Quadratkilometer schrumpfen. Vergangene Woche teilte der IPCC mit, dass für diese Prognosen keine wissen- schaftliche Grundlage existie- re. Dies gelte für die Schmelz- rate ebenso wie für den Zeit- punkt, an dem die Gletscher komplett verschwunden sein könnten. Seither ist eine hefti- ge Diskussion darüber ent- brannt, wie diese Falschinfor- mationen in den 2000 Seiten starken Bericht gelangen konnten. «Das Datum 2035 ist schon beinahe abstrus. Nie- mand konnte diesen Wert wirklich ernst nehmen», sagte Georg Kaser, Gletscherforscher von der Universität Innsbruck, gegenüber Spiegel Online. Im Sommer liege die Nullgrad- grenze im Himalaja im Durch- schnitt bei 5000 Meter über Meer. Damit die Gletscher voll- ständig abschmelzen, müsste sie auf über 8000 Meter stei- gen, so der Glaziologe. Das werde in den nächsten Jahr- hunderten nicht passieren. KASER IST EINER der führen- den Autoren des IPCC-Be- richts und hatte auf den Feh- ler hingewiesen, allerdings zu spät. «Das war nach den offiziellen Begutachtungs- prozessen, kurz vor der Drucklegung», sagte Kaser. Entgegen den Vorgaben, dass in die IPCC-Berichte ei- gentlich nur in Fachjourna- len publizierte wissenschaft- liche Studien Eingang finden dürfen, ist im Bericht die Umweltorganisation WWF als Quelle vermerkt. Der WWF wiederum bezog sich offenbar auf spekulative Aus- sagen eines indischen Glet- scherforschers im populär- wissenschaftlichen Magazin «New Scientist». Wahrscheinlich stecken im Weltklimabericht noch mehr Fehler drin, vermutet der Hamburger Klimafor- scher Hans von Storch. «Wenn nur ein bis zwei Prozent der Aussagen falsch sind, dann wäre das ja schon hervorra- gend. Einfach, weil es norma- le Menschen sind, die das ma- chen», sagte er der Nachrich- tenagentur DPA. Andere Forscher strei- chen hervor, dass der IPCC normalerweise sehr sorgfältig arbeite, was sich an der Tatsa- che zeige, dass in den 20 Jah- ren, seit es solche Berichte ge- be, nun erstmals ein grober Fehler aufgetaucht sei. Der Weltklimarat IPCC selber be- tont, dass trotz der Panne die Gesamtaussage des Berichts gültig bleibt. Die Gletscher in Asien und Lateinamerika schmelzen demnach im 21. Jahrhundert schneller als zu- vor. Da sie eine wichtige Rolle beim Wasserhaushalt spiel- ten, könne es dadurch zu Wasserknappheit und verän- derten Schmelzwasserfluten im Frühjahr kommen. DASS DIE Klimaforscher nicht völlig daneben liegen, zeigen auch neuste Temperaturmes- sungen. Die eben veröffent- lichten Daten des Nationalen Klimadatenzentrums (NCDC) der USA zeigen, dass von den zehn wärmsten Jahren der vergangenen 130 Jahre neun im letzten Jahrzehnt waren. Zum gleichen Schluss kommt auch die Weltwetter- organisation WMO. 2009 war dabei das fünftwärmste Jahr seit Messbeginn 1850. Für die Südhalbkugel war 2009 laut Nasa sogar das wärmste je ge- messene Jahr. FELIX STRAUMANN Grober Fehler im Bericht des Weltklimarats sorgt für Ärger Der Gletscherschwund im Himalaja wurde im UNO-Klimabericht von 2007 massiv überschätzt BILDER: FOTOLIA.COM, HO INSERAT

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Sonntag | Nr. 3 | 24. Januar 2010Seite 47 WISSEN

Erdbeben, Artenschwund, Klimaerwär-mung – überall lauern Katastrophen.Heinz Furrer nimmt es gelassen. «DieWelt wird nicht untergehen», sagt dergestandene Forscher. Er glaubt auchnicht, dass das Leben dadurch ver-schwinden wird, «aber vielleicht derMensch». Natürlich hat Naturwissen-schafter Furrer Mitgefühl mit Opfernvon Unglücken und macht sich Sorgenwegen der Klimaerwärmung. Doch erhat eben auch diesen professionellenBlick. Als Paläontologe beschäftigt ersich sehr oft mit vergangenen Umwelt-katastrophen, die sich in ihrer Dramatikjeglicher Vorstellungskraft entziehen.

«Massenaussterben gehören zur Na-tur», sagt Furrer, während er durch dasPaläontologische Museum der Uni Zü-rich führt. Als Kurator hat er zusammenmit Fachkollegen das aktuelle Wissen zuden verschiedenen Massenaussterbender letzten 540 Millionen Jahre für eineAusstellung zusammengetragen. Es istder Zeitraum, in dem sich das Leben von

Mehrzellern zu komplexen Wesen wieuns Menschen entwickelte. Davor exis-tierten zwar einfache Lebensformen,doch hinterliessen sie nur spärliche Spu-ren. Zu eigentlichen Massenaussterben,bei denen das Leben am Abgrund stand,kam es laut den Zürcher Paläontologensieben Mal. «Wir reden von einem sol-chen Ereignis, wenn mindestens 50 Pro-zent der bekannten Gattungen ausstar-ben», erklärt Furrer.

DAS LETZTE MARKANTE und mit Sicher-heit auch das bekannteste Massenaus-sterben fand am Ende der Kreidezeit vor65 Millionen Jahren statt. Damals ver-schwanden nicht nur die bis dahin äus-serst erfolgreichen Saurier, sondernauch 50 Prozent aller im Meer lebendenwirbellosen Tiere. Obwohl die Saurieraus heutiger Sicht die unbestrittenenStars sind, interessieren sich Paläontolo-gen mindestens so stark für die bis zuzwei Meter grossen Ammoniten. Dieseurtümlichen Meereswesen hatten einmeist spiraliges Kalkgehäuse, dank demsie im Wasser schweben konnten.

Weil die Ammoniten weltweit ingrosser Vielfalt vorkamen und ihre Scha-len gut erhalten blieben, findet man vonihnen besonders viele Fossilien. Den For-schern ermöglicht dies, die Entwicklunggenau zu verfolgen. Beispielsweise stell-

ten sie fest, dass die Ammoniten vor ih-rem endgültigen Ende vor 65 MillionenJahren drei Massenaussterben nur knappmit ein paar wenigen Arten überstan-den. Aus diesen entstand jedoch jedesMal innert kürzester Zeit neue Vielfalt.

Das Massensterben vor 65 MillionenJahren hinterliess eine scharfe Grenze inden Gesteinsschichten. Beispielsweisedurch die vorher massenhaft auftreten-den planktonischen Algen, aus derenResten sich die Schreibkreide bildete.Erst nach einigen Zehntausend Jahrenlagerten sich wieder solche kalkigen Mi-krofossilien ab.

Die Suche nach den Ursachen desAussterbens der Dinosaurier und ihrerZeitgenossen ist ein Dauerbrenner. Fur-rer beobachtet, dass in der Paläontolo-genzunft immer wieder neue Trendsauftreten; inzwischen existieren über100 Theorien. Eine geht beispielsweisedavon aus, dass sich die Saurier wegenihrer Grösse die eigene Nahrung weg-frassen und dann verhungerten. AndereSchuldige waren abwechslungsweise Vi-ren, Meteoriten und – seit wenigen Jah-ren – Vulkane. Diese gelten heute alshauptverantwortlich.

Eine 3500 Meter dicke Schicht ausVulkangestein in Indien zeugt von massi-ver Vulkanaktivität während rund einerhalben Million Jahre. Staubpartikel,

Schwefel- und Koh-lendioxid sorgtenfür Klimaturbulenzenund eine Ver-sauerung derMeere. Mittenin dieserschwierigen Phaseschlug zu allem Überfluss einAsteroid mit 10 Kilometern Durch-messer auf der heutigen Halbinsel Yu-catán in Mexiko ein. «Das war für die Sau-rier der Todesstoss», so Furrer.

DIES WAR WAHRSCHEINLICH das einzigeMal, dass ein Einschlag eines Asteroidenan einem Massenaussterben direkt be-teiligt war. Lange Zeit hat man die Aus-wirkungen solcher Ereignisse über-schätzt. Nachdem immer mehr Ein-schlagstellen entdeckt wurden, mussteman eingestehen, dass die meisten Aste-roiden nur lokal Verwüstung anrichte-ten.

Furrer ist sowieso der Meinung,dass bei Massenaussterben immer meh-rere Umweltkatastrophen zusammen-kommen müssen. So auch beim gröss-ten Aussterbeereignis der Erdgeschichtevor 250 Millionen Jahren. Damals lösch-ten vermutlich gewaltige Vulkanausbrü-che im heutigen Sibirien rund 95 Pro-zent aller Arten aus. Schon vorher hat-

ten plattentektonische Bewegungenzur Bildung eines einzi-

gen grossen Superko-ninents namens Pan-gäa geführt, was dasKlima ebenfalls ver-änderte und zu ei-nem massiven Ab-

senken des Meeres-spiegels führte.

Durch die Katastrophe ver-schwanden ganze Tiergruppen

wie die ehemals weit verbreiteten Trilobi-ten vollständig. Von anderen wie den Ko-rallen, Seelilien und Seeigeln überlebtennur einzelne Arten. Aus heutiger Sichtunvorstellbar. Doch das hat vor allem da-mit zu tun, dass sich die Katastrophe vor250 Millionen Jahren wie alle grossenAussterben über Hunderttausende Jahreerstreckte. Hier kommt die erdgeschicht-liche Perspektive von Heinz Furrer wiederzum Zug: Auf geologische Zeiträumehochgerechnet, findet zurzeit nämlichdas achte Massenaussterben statt. Dies-mal durch menschliche Aktivität. «Beun-ruhigend», gesteht Furrer, diesmal ohnePaläontologen-Brille.

Sonderausstellung «Massenaussterbenund Evolution», bis 5. September 2010 imPaläontologischen Museum Zürich,www.zm.uzh.ch

Forscher haben ein immerklareres Bild davon, was bei dengrossen Massenaussterben derErdgeschichte genau passiert ist.

VON FELIX STRAUMANN

.

Sieben Malstand die Erdeam AbgrundMehrere dramatische Umweltkatastrophen löschtenbeinahe alles Leben auf der Erde aus

Bei der letzten grossenUmweltkatastropheverschwanden nicht

nur Saurier wie Tyran-nosaurus rex (oben),

sondern auch die sehrerfolgreichen Ammoni-

ten (unten).

.

PEINLICHE PANNE beim Welt-klimarat IPCC: Für eine imjüngsten Weltklimaberichtvon 2007 veröffentlichte Pro-gnose zum raschen Ab-schmelzen der Himalaja-Glet-scher gibt es keine ausrei-chenden Belege. Schon biszum Jahr 2035 könnten dortdie Eismassen vollständig ver-schwunden sein, heisst es ineinem Kapitel des Klimabe-richts. Zudem werde im glei-chen Zeitraum weltweit dieGesamtfläche aller Gletschervon derzeit 500 000 Quadrat-kilometer auf wahrscheinlich100 000 Quadratkilometerschrumpfen.

Vergangene Woche teilteder IPCC mit, dass für diesePrognosen keine wissen-schaftliche Grundlage existie-re. Dies gelte für die Schmelz-rate ebenso wie für den Zeit-punkt, an dem die Gletscherkomplett verschwunden seinkönnten. Seither ist eine hefti-ge Diskussion darüber ent-brannt, wie diese Falschinfor-mationen in den 2000 Seiten

starken Bericht gelangenkonnten.

«Das Datum 2035 istschon beinahe abstrus. Nie-mand konnte diesen Wertwirklich ernst nehmen», sagteGeorg Kaser, Gletscherforschervon der Universität Innsbruck,gegenüber Spiegel Online. ImSommer liege die Nullgrad-grenze im Himalaja im Durch-schnitt bei 5000 Meter überMeer. Damit die Gletscher voll-ständig abschmelzen, müsstesie auf über 8000 Meter stei-gen, so der Glaziologe. Daswerde in den nächsten Jahr-hunderten nicht passieren.

KASER IST EINER der führen-den Autoren des IPCC-Be-richts und hatte auf den Feh-ler hingewiesen, allerdingszu spät. «Das war nach denoffiziellen Begutachtungs-prozessen, kurz vor derDrucklegung», sagte Kaser.

Entgegen den Vorgaben,dass in die IPCC-Berichte ei-gentlich nur in Fachjourna-len publizierte wissenschaft-

liche Studien Eingang findendürfen, ist im Bericht dieUmweltorganisation WWFals Quelle vermerkt. DerWWF wiederum bezog sichoffenbar auf spekulative Aus-sagen eines indischen Glet-scherforschers im populär-wissenschaftlichen Magazin«New Scientist».

Wahrscheinlich steckenim Weltklimabericht nochmehr Fehler drin, vermutetder Hamburger Klimafor-scher Hans von Storch. «Wennnur ein bis zwei Prozent derAussagen falsch sind, dannwäre das ja schon hervorra-gend. Einfach, weil es norma-le Menschen sind, die das ma-chen», sagte er der Nachrich-tenagentur DPA.

Andere Forscher strei-chen hervor, dass der IPCCnormalerweise sehr sorgfältigarbeite, was sich an der Tatsa-che zeige, dass in den 20 Jah-ren, seit es solche Berichte ge-be, nun erstmals ein groberFehler aufgetaucht sei. DerWeltklimarat IPCC selber be-

tont, dass trotz der Panne dieGesamtaussage des Berichtsgültig bleibt. Die Gletscher inAsien und Lateinamerikaschmelzen demnach im 21.Jahrhundert schneller als zu-vor. Da sie eine wichtige Rollebeim Wasserhaushalt spiel-ten, könne es dadurch zuWasserknappheit und verän-derten Schmelzwasserflutenim Frühjahr kommen.

DASS DIE Klimaforscher nichtvöllig daneben liegen, zeigenauch neuste Temperaturmes-sungen. Die eben veröffent-lichten Daten des NationalenKlimadatenzentrums (NCDC)der USA zeigen, dass von denzehn wärmsten Jahren dervergangenen 130 Jahre neunim letzten Jahrzehnt waren.Zum gleichen Schlusskommt auch die Weltwetter-organisation WMO. 2009 wardabei das fünftwärmste Jahrseit Messbeginn 1850. Für dieSüdhalbkugel war 2009 lautNasa sogar das wärmste je ge-messene Jahr. FELIX STRAUMANN

Grober Fehler im Bericht desWeltklimarats sorgt für ÄrgerDer Gletscherschwund im Himalaja wurde im UNO-Klimabericht von 2007 massiv überschätzt

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