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Juristische Fachtexte zu Freihandelsabkommen Heft 3 JFF Siegfried Broß: TTIP, CETA, JEFTA Wie die neuen Freihandelsabkommen Rechtsstaat und Demokratie sowie die zwischenstaatlichen Beziehungen verändern

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Juristische Fachtexte zu Freihandelsabkommen Heft 3

JFF

Siegfried Broß: TTIP, CETA, JEFTA Wie die neuen Freihandelsabkommen Rechtsstaat und Demokratie sowie die zwischenstaatlichen Beziehungen verändern

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Professor Dr. Dr. h.c. Siegfried Broß:

TTIP, CETA, JEFTA

Wie die neuen FreihandelsabkommenRechtsstaat und Demokratie sowie die

zwischenstaatlichen Beziehungen verändern

Vortrag bei der gemeinsamen Veranstaltung der Urania Berlin e.V.und dem Berliner Netzwerk TTIP | CETA | TiSA stoppen!

am 11. Februar 2019 in Berlin

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Juristische Fachtexte zu Freihandelsabkommen

Siegfried Broß: TTIP, CETA, JEFTA. Wie die neuen Freihandelsabkommen Rechts-staat und Demokratie sowie die zwischenstaatlichen Beziehungen verändern.Vortrag bei der gemeinsamenVeranstaltung derUrania Berlin e.V. und demBerlinerNetzwerk TTIP | CETA | TiSA stoppen! am 11. Februar 2019 in Berlin. In: JuristischeFachtexte zu Freihandelsabkommen (JFF). Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 3.Berlin, Februar 2019.

Download unter:http://www.berliner-wassertisch.info/wp-content/uploads/2019/02/BROSS-JFF-2019.pdf

Impressum

Herausgeber:Berliner Wassertischc/o GRÜNE LIGA Berlin e.V.Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlinhttp://berliner-wassertisch.info

Satz und Layout:Johanna Söhnigen

ISSN 2366-7737

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1 Einführung

Siegfried BroßTTIP, CETA, JEFTA. Wie die neuen FreihandelsabkommenRechtsstaat und Demokratie sowie die zwischenstaatlichenBeziehungen verändern

1 Einführung

Zu grundlegenden Problemen im Zusammenhang mit Freihandels-abkommen habe ich 2015 wegen des geplanten TTIP-Abkommensder EU mit den USA des Öfteren und eingehend Stellung genom-men.1 Im Hinblick auf die in der Folgezeit abgeschlossenen Freihan-delsabkommen der EU mit Kanada (CETA) und nunmehr mit Japan(JEFTA) ist das Thema des heutigen Abends überaus reizvoll; denndie Freihandelsabkommen der Gegenwart sind darauf angelegt, an-erkannte rechtsstaatlich-demokratische Grundsätze, diemit Freihan-del im herkömmlichen Sinn nicht in unmittelbarem Zusammenhangstehen, an die aus Sicht der Wirtschaft erforderlichen Rahmenbedin-gungen anzupassen.

Aus diesem Grunde ist es geboten, die Entwicklung des Freihan-dels sowie die dadurch entstehende Art von Staatenverbindungenund ihre Wirkung auf schon bestehende Staatenverbindungen zu er-mitteln und abzuklären. Erst dann kann sachgerecht und angemessen

1Vgl. Rechtliche Beurteilung des TTIP. In: Juristische Fachtexte zu Freihandels-abkommen (JFF). Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 1, Berlin, Februar 2016;URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:109-1-8093896 u. Freihandelsabkommen,einige Anmerkungen zur Problematik der privaten Schiedsgerichtsbarkeit. In: Report derAbteilung Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 4, Januar 2015, URL:http://www.boeckler.de/pdf/p_mbf_report_2015_4.pdf, jeweils mit umfangreichen Nachwei-sen.

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beurteilt werden, welche Bedeutung, aber unter Umständen auchwelche Risikenmit demAbschluss der beiden zuletzt genannten Frei-handelsabkommen verbunden sind, sowie weiteren bestehenden, dieweniger beachtet werden und zukünftigen.

Im vergangenen Jahr hat die gesamte Problematik durchGerichts-entscheidungen und eine Entscheidung des Europäischen Parlamentszusätzliche Aktualität gewonnen. So hat der Europäische Gerichts-hof (EuGH) in seinemUrteil vom 6.März 2018 befunden,2 dass Schieds-gerichte zwischen Mitgliedstaaten der EU für Investorstreitigkeitenunzulässig sind.3 Des Weiteren hat der EuGH in Bezug auf die Un-abhängigkeit von Richtern die dafür nach europäischem Recht er-forderlichen Voraussetzungen in seinem Urteil vom 27. Februar 2018formuliert. Zum Umfeld der Freihandelsabkommen gehört auch einBeschluss des Europaparlaments vom 26. Januar 2018 zur gerichtli-chen Immunität internationaler Organisationen. In diesem Zusam-menhang werden etwa in Bezug auf die Europäische Patentordnungkritische Anmerkungen angebracht.4

Es ist unabdingbar, sich der Antwort auf die im Thema angeleg-te Fragestellung aus verschiedenen Richtungen zu nähern, weil seitJahrzehnten durch die in diesem Zusammenhang immer wieder ar-gumentativ ins Feld geführte ‚Globalisierung‘ das Gespür dafür ver-loren gegangen ist, wie die fortwährend neu gebildeten Staatenver-bindungen – wie z. B. die Europäische Patentorganisation, die Euro-päische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (EUROCONTROL)

2C-284/16, DVBl. 2018, S. 573, https://curia.europa.eu/jcms/jcms/p1_862701/de/ (pdf), vgl. auchhttp://berliner-wassertisch.info/eugh-20180306/.

3Vgl. hierzu: „Private Schiedsgerichte beschädigen den Staat“. Interviewmit Siegfried Broß. In: MIT-BESTIMMUNG, April 2018, http://t1p.de/mitbestimmung-2018-bross.

4Zur umfassenden Kritik an der Immunität von Staatenverbindungen vgl. Siegfried Broß: Wennrechtsstaatlich-demokratische Ordnungsrahmen stören oder hinderlich sind – Überlegungen zurEntstehung von Parallelwelten. In: Simplex Sigillum Veri. Festschrift für Wolfgang Krüger zum70. Geburtstag. Hrsg. v. Christian Hertel et al. München 2017, S. 533–544.

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2 Makroebene

oder die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) – sich auf das Ge-füge von Rechtsstaats-, Demokratie- und Sozialstaatsprinzip auswir-ken und wie die letzteren überhaupt ineinandergreifen und sich ge-genseitig beein�ussen.

Es ist vor allem dringend geboten, sich wegen eines so behaup-teten Harmonisierungs- oder Abstimmungszwangs zwischen beste-henden verschiedenen Vertragswerken der Bedeutung der Grund-und Menschenrechte und deren überwölbenden Ein�uss auf die insAuge gefassten Vertragswerke zu vergewissern. Es ist ein Irrtum,dass Zusammenschlüsse von Staaten von der Bindung an die Grund-und Menschenrechte befreien würden und dass die Grundsätze derRechtsstaatlichkeit, der Demokratie und des Sozialstaatsprinzips kei-neWirkung mehr entfalten und deshalb außer acht bleiben könnten.

Die gebotene objektive und klare Sicht gewinnt man nächst lie-gend, wenn man bei der geschilderten Ausgangslage eine Makro-und eine Mikroebene unterscheidet.

2 Makroebene

Zunächst ist vor Eingehen einer Staatenverbindung – um eine solchehandelt es sich auch bei der Verbindung von Staaten in Freihandels-abkommen – zu erwägen, ob und wenn ja mit welcher Tragweiteschon Staatenverbindungen für den Bereich des geplanten Vorha-bens bestehen. Es wäre verfehlt, sofort nur dahingehend zu überle-gen, welche Wirtschaftsabkommen in umfassenderem Sinn in Kraftsind. Vielmehr ist es bei den jetzt in Rede stehenden Freihandelsab-kommen mit internationaler Geltung wie JEFTA bei einer sachge-rechten Vorgehensweise unausweichlich, die Weltebene zu betrach-

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ten. Manmuss sich dem Problem stellen, dass mit demAbschluss vonso weit ausgreifenden Freihandelsabkommen alle außerhalb stehen-den Staaten diskriminiert werden, sie sind schlicht Außenseiter. In-soweit ist in jedem Freihandelsabkommen latent ein zumindest dis-kretes Aggressionspotenzial angelegt (nicht diskret, sondern äußerstundiplomatisch und wenig einfühlsam war seinerzeit im Jahr 2000die Erklärung der EU von Lissabon, sie wolle bis zum Jahr 2010 diestärkste Wirtschaftsmacht auf dem Globus sein). Die Vollendung desBinnenmarktes zum 1. Januar 1993 hatte eine den Freihandelsabkom-men vergleichbare Wirkung. Der europäische Binnenmarkt war mitden damaligen Mitgliedstaaten unterhalb der Ebene der Welthan-delsorganisation (WTO) neben NAFTA, dem Abkommen zwischenden USA, Kanada und Mexiko, die größte Freihandelszone der Welt.

Auch nach demAusscheiden von Großbritannien aus der EU um-fasst diese immerhin noch mehrere 100 Millionen Menschen. Diedurch die Freihandelsabkommen bewirkte Blockbildung von Staatenunterhalb der von den Vereinten Nationen repräsentierten Weltebe-ne hat eine fühlbareMarginalisierung dieserWeltebene zur Folge. ImHinblick darauf kann man sich nur schwerlich der Erkenntnis ver-schließen, dass die Weltebene der Vereinten Nationen durch bi- undmultilaterale Freihandelsabkommen geschwächt wird.

2.1) Gerade vor diesem Hintergrund müsste sich geopolitisch undgeostrategisch die Überlegung aufdrängen, dass sich die ausdrück-lich oder konkludent adressierten ‚Außenseiterstaaten‘ aufgerufenfühlen müssen, gegenläu�ge Entwicklungen zu initiieren. So lag mitder Ausdehnung der europäischen Integration (verstärkt durch dieparallele Ausweitung der NATO) nahe, dass damit Druck auf Russ-

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2 Makroebene

land ausgeübt wird. Dieser musste nahe liegend auf jener Seite zuÜberlegungen führen, wie dem politisch und strategisch wirksamzu begegnen ist. Nicht von ungefähr kam es nachfolgend zu Annä-herungen an die Volksrepublik China, etwa auch mit Manöverbe-teiligung. Es kam darüber hinaus zur Bildung von wirtschaftlichenGegenblöcken, beispielsweise in Gestalt der BRIC-Staaten, nunmehrunter Einschluss der Republik Südafrika: BRICS-Staaten.

2.2) Weitere umfassende und sehr di�erenzierte Überlegungen sindangezeigt und für eine sachgerechte Beurteilung unumgänglich. Sol-che weit ausgreifenden Vorhaben von Staatenverbindungen erfor-dern Verantwortungsbewusstsein der handelnden Akteure und einevon Drittinteressen freie Vorgehensweise mit Augenmaß und Dis-kretion. Folgtman dem, liegt eine Orientierung amOrdnungsrahmender Vereinten Nationen nahe. Es ist die Welt umspannende Staaten-verbindung, die nach dem unsäglichen Leid des Zweiten Weltkriegsmit nicht fassbaren Opfern an Menschenleben und persönlichen undstaatlichenVerwerfungen gegründetwurde. Ihr gehört dieweit über-wiegende Mehrzahl der Staaten als Mitglied an. Es ist nicht nur be-merkenswert, sondern geradezu erschütternd, dass der auf Weltfrie-den ausgerichtete Ordnungsrahmen der UN-Charta und ihrer Er-klärung der Menschenrechte untergraben wird durch die in Frei-handelsabkommen angelegte Übervorteilung von Staaten und derdamit in nicht geringem Umfang einhergehenden Vernachlässigungder Menschenrechte.

Allerdings wird durch die bisherige Entwicklung deutlich, dassdie Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen keine Gewährmehr für ‚ordnungsgemäße Zustände‘ im Miteinander der Völker

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und Staaten bieten. Im vorliegenden Zusammenhang ist nahe lie-gend das Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisa-tion (WTO) zu nennen. Daneben und ergänzend für diesen Bereichkommt dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kul-turelle Rechte wie auch der Einrichtung der Weltbank, der Einrich-tung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der UNESCO, demKinderhilfswerk der VereintenNationen und dem InternationalenWäh-rungsfonds (IWF) maßgebliche Bedeutung zu.

Vergegenwärtigt man sich vor diesem Hintergrund die grundle-gendenWerte der Europäischen Union nachMaßgabe des Art. 2 EUVwird man unwillkürlich nachdenklich, wenn man die von ihr ge-schlossenen und in der Zukunft betriebenen Freihandelsabkommenbetrachtet. Die grundlegendenWerte, auf die sich die Union gründet,sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleich-heit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte ein-schließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten mit einer Gesellschaft ge-meinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Tole-ranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen undMännern auszeichnet. Hierauf ist im Abschnitt III. Mikroebene desNäheren zurückzukommen.

Jedenfalls wird deutlich, dass die Freihandelsabkommen von ih-rer Zielrichtung her weder dieWeltebene noch die darunter liegendeEbene von Staaten in ihrem regionalen Umfeld und bestehenden tra-ditionellen Handelsbeziehungen im Sinne haben und mit dem Zieleines friedlichen Zusammenlebens von Staat und Gesellschaften zu�ankieren oder gar zu stützen vermögen. Sie werden bestimmt undin ihrer Substanz gelenkt von ausgeprägten wirtschaftlichen Inter-

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2 Makroebene

essen, dem dafür notwendigen reichlich rücksichtslosenWettbewerbund verfolgen letztlich die Erzielung von denMenschenrechten nichtangemessenen Vorteilen gegenüber den Vertragspartnern und denihnen anvertrauten Menschen sowie des weiteren gegenüber den‚Außenseitern‘. Die Entwicklungen innerhalb des Binnenmarktes derEuropäischen Union und des zu Recht von IWF, EU und OECD seitJahren beanstandeten enormen Handelsüberschusses der Bundesre-publik Deutschland im Verhältnis zu den Vertragspartnern bestäti-gen die formulierten Kritikpunkte.

Bei dieser Ausgangslage ist von vornherein ausgeschlossen, dassdie oberste Staatenebene der Vereinten Nationen ihre friedensstif-tende und friedenssichernde Wirkung und Funktion entfalten kann,solange auf der nächsten Ebene die Beziehungen der Staaten unter-einander – trotz entsprechender als Sicherung vorgesehener Insti-tutionen wie Weltbank, IWF und WTO – ausschließlich von wirt-schaftlichen Interessen und mit einem in der Sache selten überdeck-ten rücksichtslosen Wettbewerb beherrscht und geprägt wird. DieRückwirkung dieser den Umgang der Staaten untereinander negativbeein�ussenden Gegebenheiten auf die politische Ebene verhindert,dass ein angemessener Konsens auf der obersten Weltebene erzieltwerden kann.

2.3) Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Freihandelsabkom-men nicht als der ‚Stein des Weisen‘ für allgemeinen Wohlstand unddamit auch für die Stabilität der Gesellschaften, die eine wesentli-che Funktionsbedingung für die Wirkmächtigkeit von Rechtsstaatund Demokratie ist. Vielmehr bergen sie ein enormes Risikopotenzi-al in sich. Sie sind innerstaatlich geeignet, bestehende Wohlstands-

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gefälle zu verschärfen und damit die Stabilität von Gesellschaftenzu schwächen. Global betrachtet sind sie geeignet, bestehende Ge-gensätze zwischen denWeltregionen zu vertiefen. Diese Risiken undGefährdungen werden unter anderem am Verlauf der jüngst statt-gefundenenWeltklimakonferenz in Polen deutlich, aber auch an denversteckten Kämpfenweltweit umBodenschätze und die private Ver-sorgung von Menschen mit hygienisch einwandfreiemWasser.5 Die-se Probleme können nur – wenn überhaupt – von der Weltebene herbewältigt werden, nicht aber durch den fortwährenden Abschlussund die Ausbreitung von Freihandelsabkommen zwischen einzelnenStaaten und auch nicht durch eine große Staatenverbindung wie derEU.

DasAusmaß desGefährdungspotenzials durch Freihandelsabkom-men lässt sich an der Entwicklung des europäischen Binnenmarktesmit seiner Vollendung am 1. Januar 1993 sehr gut ablesen. Entge-gen den – allerdings nicht auf solider Grundlage – gehegten Erwar-tungen haben sich die Mitgliedstaaten der EU sehr stark auseinan-der entwickelt und diese negativen Strömungen wurden durch dieSpaltung der EUmit einer Teil-Währungsunion noch begünstigt. DieFinanzmarktkrise hat lediglich die Schwächen dieser Konstruktionaufgedeckt und nachhaltig ins Bewusstsein gerückt.

Die Union ist nach der Errichtung des Binnenmarktes von den inArt. 3 Abs. 1 EUV de�nierten Zielen weiter entfernt denn je. Durchdie unterschiedlichen Politiken in Mitgliedstaaten wie der Bundes-republik Deutschland mit dem erwähnten Handelsüberschuss gera-de auch innerhalb des Binnenmarktes werden die wesentlichen Zie-le der EU verfehlt: Keine nachhaltige Entwicklung Europas auf der

5https://www.weforum.org/reports/the-global-risks-report-2019.

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Grundlage von Preisstabilität und ausgewogenemWirtschaftswachs-tum, keine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirt-schaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, so-wie kein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Um-weltqualität. Gerade die jüngsten Verwerfungen in Frankreich wieauch die Armutsberichte in Mitgliedstaaten belegen, dass die Be-kämpfung von sozialer Ausgrenzung undDiskriminierungen und dieFörderung der sozialen Gerechtigkeit und sozialen Schutzes zumin-dest nicht ins Auge springen. Ebenso verhält es sich bei der Solidari-tät zwischen den Generationen, der Gleichstellung von Frauen undMännern sowie dem Schutz der Rechte des Kindes. Zudem tut sichdie EU schwer, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zu-sammenhalt sowie die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zufördern, wie es Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV verheißt.

Man kann sich unschwer vorstellen, dass schon bei den enormenDe�ziten und Unzulänglichkeiten der sehr großen Freihandelszonedes europäischen Binnenmarktes die in Rede stehenden Freihandels-abkommen weder die Weltebene noch die darunter liegende regio-nale Ebene der Staatenwelt zu stabilisieren vermögen. Es ist eher dieAnnahme gerechtfertigt, dass die Rivalitäten und Unsicherheiten imUmgang der Staaten untereinander zunehmen – ob mit oder ohneFreihandelsabkommen – und ein destabilisierendes Potenzial aufge-baut wird.

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3 Mikroebene

3.1) Mit dem Abschluss von Freihandelsabkommen ö�nen sich aufder unterhalb derWeltebene bestehenden Ebene, auf der sich die Ver-tragsstaaten von Freihandelsabkommen gegenübertreten, verschie-dene Problembereiche. Diese sind von den wesentlichen Struktur-merkmalen der Freihandelsabkommen abhängig. In Bezug auf dieschon genannten Abkommen TTIP, CETA und JEFTA standen dreigeplante Institutionen im Zentrum: Investorschutz, private Schieds-gerichte und regulatorische Zusammenarbeit (auch ‚regulatorischeKooperation‘ genannt).

3.1.1) Für die Beurteilung und Bewertung dieser Strukturelemente istzunächst vom Verhandlungsmandat für die EU-Kommission auszu-gehen. Dieses hat seine Grundlage in Art. 207 Abs. 3 EUV. Hiernachist für das Verhandeln und denAbschluss vonAbkommen imBereichder Handelspolitik die EU und innerhalb derselben die Kommissionzuständig. Allerdings lag schon in der Vergangenheit in dieser Hin-sicht einMissverständnis vor. Die Zuständigkeit der EU-Kommissionfür die gemeinsame Handelspolitik erstreckt sich nicht auf alle mög-lichen angestrebten vertraglichen Vereinbarungen. Vielmehr ist zufragen, was genau der Gegenstand von Handel im Sinne der im Ver-trag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgeleg-ten „gemeinsamen Handelspolitik“ (Art. 207 AEUV) ist. Es bestehtein Spannungsverhältnis zum EUVertrag, der eindeutig vorgibt, dass„[f]ür die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union [..] der Grund-satz der begrenzten Einzelermächtigung [gilt].“ (Art. 5 Abs. 1 S. 1 EUV).Das bedeutet, dass eine Zuständigkeit der Union wie die in Art. 207AEUV nicht alles und jedes deckt, was von der EU mit dem Etikett

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‚Handelspolitik‘ versehen wird. Das gilt auch für deren Organe wiedem Rat und dem Europäischen Parlament für die Bestimmung desRahmens für die gemeinsame Handelspolitik entsprechend Art. 207Abs. 2 AEUV. Keinesfalls dürfen sie außerhalb und ohne formellesVertragsänderungsverfahren über den Titel des Art. 207 AEUV diedemokratische Legitimation des EU-Vertrages unterbrechen.

Aus diesem Grunde sind vor allem die genannten drei Struktur-elemente Investorschutz, Schiedsgerichte und regulatorische Zusam-menarbeit im einzelnen dahingehend zu untersuchen, ob sie inner-halb der Zuständigkeit der EU ‚gemeinsame Handelspolitik‘ ange-siedelt sind und darüber hinaus, ob sie mit den Werten und Zielender Union gemäß Art. 2 und Art. 3 EUV überhaupt in Einklang ste-hen. Dem könnten vor allem zwei Überlegungen entgegenstehen:Zum einen, dass sie das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip spren-gen und des weiteren, dass die drei Strukturelemente prägend sindfür einen durch das Freihandelsabkommen begründeten neuen Teil-bundesstaat neben und innerhalb der Staatenverbindung EU, die des-sen Qualität selbst nicht aufweist. In der Kombination bewirken die-se drei Strukturelemente, dass der Rechtsstaat und die repräsenta-tive Demokratie innerhalb der Union und in ihren Mitgliedstaatenganz wesentlich ausgehöhlt werden und ihre Schutzfunktion für dasStaatsganze und die Menschen nicht mehr wirksam entfalten kön-nen. Die demokratische Legitimation dessen, was die EU unmittel-bar und über ihre Mitgliedstaaten in einem Freihandelsabkommenvereinbart hat, ist durch die in diesen übertragene De�nitionsho-heit bestimmter Bereiche auf private Schiedsgerichte, regulatorischeZusammenarbeit und die ‚Immunität‘ für den Investorschutz nichtmehr gegeben, sondern schlicht gekappt.

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3.1.2) Den von mir beanstandeten Institutionen wurde auf eine un-au�ällige und sehr diskrete Art in einem jahrzehntelangen Entwick-lungsprozess derWeg bereitet. Hieran haben die Politik, interessierteWirtschaftskreise, die häu�g nicht sehr fern stehende Wissenschaftsowie Vertreter rechtsberatender Berufe mitgewirkt. Dabei ist derÜberblick über die Gesamtproblematik verloren gegangen: über dasIneinandergreifen der weltweiten, durch multilaterale Verträge be-gründeten Ebene sowie der nach und nach gegründeten völkerrecht-lichen Institutionen unterhalb der Vereinten Nationen. Je mehr Insti-tutionen sich mit denselben Problembereichen beschäftigen, destogrößer ist das Risikopotenzial dafür, dass der Weg zum gemeinsa-men für die Staaten und für die Menschen angemessenen Ziel ausdem Blick gerät. Häu�g wird dieses durch die Eigeninteressen derInstitutionen – sei es auf sich bezogen, sei es imWettbewerb mit an-deren Institutionen – substituiert. Die Problematik soll an einigenBeispielen verdeutlicht werden.

3.1.2.1) Zunächst soll hierzu der durch die Einrichtung privater Schieds-gerichte �ankierte Investorschutz betrachtet werden. Deutschlandgilt als dessen ‚Er�nder‘. Gleichsam der Grundstein hierzu wurdein einem Vertrag vom 25. November 1959 zwischen Pakistan undDeutschland gelegt.6 Durch den sogenannten Investorschutz soll derSache nach der ausländische Investor im ‚Gastland‘ vor willkürli-cher Enteignung seiner Investition geschützt werden. Dieser Schutzsoll durch ein privates Schiedsgericht abgesichert werden, weil derVertragsstaat in justizieller Hinsicht nicht als zuverlässig angesehenwerden könne.

6https://investmentpolicyhub.unctad.org/IIA/mappedContent/treaty/1732 (Germany – PakistanBIT (1959)).

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Betrachtet man diese Konstruktion distanziert und mit der gebo-tenen Sachlichkeit, hätten schon seinerzeit Au�älligkeiten in rechts-staatlich-demokratischerHinsicht bemerktwerdenmüssen. Zunächstwerden durch einen so konturierten Investorschutz die ausländischenInvestoren im jeweils anderen Land aus der dort gültigen Rechts-ordnung herausgenommen. Dieser Maßnahme kommt materiell dieWirkung einer ‚Teilimmunität‘ des ausländischen Investors zu. Dassteht in direktem Widerspruch zu den Prinzipien von Rechtsstaatund Demokratie. Des weiteren bedeutet dies eine Bevorzugung desausländischen Investors und wirkt deshalb als eine Diskriminierungder nationalen Wettbewerber des jeweils anderen Staates. Diese un-terliegen der Rechtsordnung des Landes und damit den geltendenGesetzen und der rechtsprechenden Gewalt der zuständigen Gerich-te. Inländern ist der Weg zum Schiedsgericht verschlossen.

Weitere auf demRechtsstaats- undDemokratieprinzip beruhendeGesichtspunkte wurden übersehen. Nicht überzeugend ist es, wennman sich auf die Position zurück zieht, der Vertragspartner sei unzu-verlässig und deshalb seien solche Schutzklauseln unerlässlich, da-mit man in diesem Land eine wirtschaftliche Investition tre�en kön-ne. Hier hätte – und das gilt bis heute – vorrangig die Frage gestelltund beantwortet werden müssen, ob gerade mit Rücksicht auf diedurch die Vereinten Nationen und ihrer Menschenrechtserklärungwie auch in späterer Zeit durch die Europäische Menschenrechtskon-vention (EMRK) und dann die Europäische Grundrechtecharta ver-mittelten individuellen Schutzpositionen für Menschen und Unter-nehmenmit einem solchen Staat überhauptWirtschaftsbeziehungenaufgenommen werden dürfen. Zu denken ist daran, dass die Miss-achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf diese Weiseim internationalen Wirtschaftsverkehr ermöglicht und sogar ‚salon-

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fähig‘ wird. Zudem werden die Wirtschaftsunternehmen auf dieseWeise zu Beteiligten der Verletzungen von Rechtsstaats- und Demo-kratieprinzip. Durch diese ‚Aufweichung‘ wird ein nachhaltiger Bei-trag zur Schwächung der Vereinten Nationen und ihrer Unterorga-nisationen sowie im Prinzip aller friedensstiftenden und friedenssi-chernden Strukturen in der Welt geleistet.

Ferner wurde nie darüber nachgedacht, ob es sich bei den hierin Rede stehenden Investitionen um schützenswerte Positionen han-delt oder ob solche von vornherein abzulehnen sind, weil sie gegenelementare Grundsätze einer zivilisierten Staatenwelt verstoßen. Sowird unter anderem ein Grundziel der Charta der Vereinten Natio-nen in Art. 1 Nr. 3 übergangen. Dort ist neben anderem in der inter-nationalen Zusammenarbeit wirtschaftliche, soziale und humanitäreBetätigung unter Achtung und Stärkung der Menschenrechte undGrundfreiheiten gefordert. Des weiteren verstoßen solche Investitio-nen gegen Art. 55 der Charta über die „internationale Zusammenar-beit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet“ (Kapitel 9 der UN-Charta). Diese Charta stammt – auch das ist bemerkenswert – vom26. Juni 1945. Sie wurde unter dem unmittelbaren Eindruck der welt-weiten Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und noch vor der Ent-kolonialisierung großer Teile des Erdballs geschlossen, damit einefriedvolle Entwicklung im Umgang der Staaten miteinander initiiertwerde. Sie beruht maßgeblich auf der Erkenntnis, dass wirtschaftli-che Fehlentwicklungen zur Destabilisierung und Spaltung von Ge-sellschaften führen und damit der Wirksamkeit von Rechtsstaat undDemokratie die unabdingbare in sich ruhende Grundlage entzogenwird. Es muss nachdenklich stimmen und zeigt das Mangelhafte dergetro�enen Vereinbarungen zu Investorschutz und privater Schieds-gerichtsbarkeit, wennman den viele Jahre später liegendenAbschluss

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des Freihandelsabkommens zwischen der Bundesrepublik und Pa-kistan in Beziehung zu den Absichten und Bestimmungen der UN-Charta setzt.

An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass in keinerlei Rich-tung über andere rechtsstaatlich-demokratisch unbedenkliche Lö-sungen nachgedacht worden ist. Entgegen dem neuzeitlich häu�ggebrauchten Argument ‚alternativlos‘ hätte nicht ferngelegen, beidem Vertragsstaat darauf hinzuwirken, dass dieser gesetzliche undinstitutionelle Vorkehrungen tri�t, die sowohl Schutz vor den be-fürchtetenWillkürakten als auch die rechtsstaatlich-demokratischenGrundsätze sowie die Gleichbehandlung der nationalen Wettbewer-ber mit den ausländischen gewährleisten könnten. Mehr kann unterrechtsstaatlich-demokratischen Grundsätzen nicht erwartet und vorallem nicht gefordert werden. Mit der hier abgelehnten Konstruk-tion von Investorschutz und Schiedsgericht werden die Strukturenaufgegri�en und gestärkt, die man vorgeblich bekämpfen möchte.Es wird demgegenüber ein zusätzliches Risikopotenzial für die Er-ö�nung von Lobbyismus und Korruption gescha�en.

Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung dieses Komplexes begeg-nen allerdings noch andere Au�älligkeiten. Diese legen die Annahmenahe, dass von vornherein nicht ausreichend darüber nachgedachtwurde, was sich unter rechtsstaatlich-demokratischenGesichtspunk-ten für eine sachgerechte Vertragsgestaltung im internationalenWirt-schaftsverkehr und speziell in Bezug auf den Investorschutz anbietenkönnte. Eine sachgerechte Vertragsgestaltung hat insoweit zur Vor-aussetzung, dass der geltende Rechtsrahmen und die allgemein aner-kannten rechtsstaatlich-demokratischenGrundsätze beachtetwerden.So ergeben sich schon zahlreiche und grundlegende Verstöße gegen

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die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationenvom 10. Dezember 1948. Das folgt eingangs aus ihrem Art. 1 überFreiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und setzt sich fort mit weite-ren Verstößen, so gegen Art. 22 (soziale Sicherheit), Art. 23 (Recht aufArbeit mit gleichem Lohn), Koalitionsfreiheit sowie Art. 25 (sozialeBetreuung).

Kurz vorWeihnachten des vergangenen Jahres wurde zudem vonden Vereinten Nationen an den Internationalen Pakt über wirtschaft-liche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) vom 16. Dezember 1966(UN-Sozial-Pakt) erinnert. Diese Regelwerke erfassen vom zeitlichenGeltungsumfang her die in Rede stehenden Abkommen. Bemerkens-werterweise enthält der Bericht mehrere Ermahnungen gegenüberDeutschland, die dessen Verhalten auch auf dem europäischen Bin-nenmarkt und deshalb materiell rückwirkend die vereinbarten Frei-handelsabkommen betre�en.

3.1.2.2) Erste Ansätze für eine regulatorische Zusammenarbeit �n-den sich ebenfalls in dem Abkommen mit Pakistan aus dem Jahre1959. Diese sind in Art. 10 angelegt, wenn es heißt „Each Party shallco-operate with the other in furthering the interchange and use of[. . . ]“ Was in diesem Abkommen nicht enthalten ist und in den neu-zeitlichen Freihandelsabkommen nachgeholt wird, ist die strukturel-le Ausgestaltung und Institutionalisierung eines Gremiums, das ne-ben und außerhalb der für die Formung des demokratisch-parlamen-tarischenWillensbildungsprozesses zuständigen Staatsorgane agiert.Mit dem Verlust an Transparenz geht einher, dass die Ö�entlich-keit den Willensbildungsprozess nicht ohne Schwierigkeit beobach-ten und verfolgen kann.

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3.1.2.3) Die Schiedsgerichte zur Absicherung des Investorschutzes inder damaligen Struktur sind unter anderen Gesichtspunkten zu be-trachten. Sie bedeuten einen Systembruch im Völkerrecht. Im Völ-kerrechtsverkehr sind tauglicheAkteure nur Staaten und ihnen gleich-gestellte internationale Organisationen wie das Internationale Komi-tee vom Roten Kreuz. Mit der Erö�nung eines Verfahrens zum Schutzvon ausländischen Investitionen vor einem außerhalb der Staats- oderVölkerrechtsebene angesiedelten Gericht wird die Völkerrechtsord-nung verlassen; die beteiligten Staaten geben insoweit ihre Souve-ränität auf und ersetzen sie durch Schiedssprüche von privaten Ein-richtungen. Damit verletzen sie eklatant das Demokratieprinzip. Die-ses steht einer solchen Regelung entgegen. Die Staaten sind unterkeinerlei Gesichtspunkten befugt, ihre hoheitliche Stellung und Sou-veränität aufzugeben oder sonst in irgendeiner Hinsicht über sie zudisponieren. Diese Beurteilung ist unabhängig davon, ob eine Inves-torstreitigkeit zwischen Staaten ausgefochten wird oder ob – wie imFalle des Atomausstiegs – ein Unternehmen direkt die Schiedsklagegegen das ‚Gastland‘ erheben kann. Letztere Konstellation hat der-zeit besondere Aktualität wegen der Klage des EnergieunternehmensVattenfall gegen die Bundesrepublik beim Schiedsgericht der Welt-bank. Der schwedische Energiekonzern beruft sich hierbei auf den1994 in Lissabon unterzeichneten Energiecharta-Vertrag (ETC). Vat-tenfall verlangt von der Bundesrepublik eine Strafzahlung von 4,7Milliarden Euro wegen des 2011 von der Bundesrepublik beschlos-senen Atomausstiegs.7 Mit der Einrichtung solcher Schiedsgerichtewird eine neue autonome Rechtsordnung neben der jeweils nationa-len Rechtsordnung und in Bezug auf die EU auch gegenüber der Eu-

7http://t1p.de/energycharta-ICSID-Case-vattenfall; http://t1p.de/worldbank-ICSID-Case-vattenfall.

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ropäischen Rechtsordnung gescha�en. Es wird übersehen, dass aufdiese Weise eine völlig unabhängige Parallelwelt gescha�en wird,die neben der autonomen Rechtsordnung der Staatenwelt und denvon ihr gescha�enen Verbindungen agiert und weder ihrer Kontrol-le noch ihren legitimen und legalen rechtsstaatlich-demokratischenBindungen und Ein�ussnahmen unterworfen ist. Diese Parallelweltist geeignet und hat das Potenzial, durch ihre Schiedssprüche denrechtsstaatlich-demokratischenOrdnungsrahmen zu unterlaufen unddie demokratischen Strukturen der Staaten auszuhöhlen. Materiellbetrachtet gewinnen diese privaten Schiedsgerichte auf diese Wei-se die Stellung eines Verfassungsgerichts. Das folgt daraus, dass ih-re Schiedssprüche Bindungswirkung für die Beteiligten des Schieds-gerichts besitzen, aber darüber hinaus wegen der strukturellen Bin-dungswirkung für ganze Regelungsbereiche wie etwa im Falle desAtomausstiegs, aber auch bei Umweltstandards Gesetzgeber und Re-gierung der (eigentlich) repräsentativen Demokratie diesem Diktumunterliegen.

Wegen der umfassenden Bindung solcher Schiedssprüche erge-ben sichweitere Verstöße gegen rechtsstaatlich-demokratischeGrund-strukturen. Die Grundrechtsbindung auf der europäischen und dernationalen Ebene unterliegt nicht mehr der souveränen Kontrolledurch die hierfür berufenen Verfassungsgerichte der Mitgliedstaa-ten der EU und des EuGH. Zudem verletzen die EU und ihre Mit-gliedstaaten über solche Freihandelsabkommen ihre Verp�ichtungenaus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte undGrundfreiheiten (EMRK). Sie lagern den Schutz der Grund- und Men-schenrechte aus ihrer Rechtsordnung und ihren völkerrechtlichenBindungen in eine Parallelwelt aus, auf die sie dann keinen Ein�uss

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mehr haben. Der Sache nach ist dies gleichbedeutend mit einer bin-dungslosen Privatisierung des Grundrechtsschutzes.

Dieses De�zit kann wegen der bisher nicht bestehenden Anfech-tungsmöglichkeit solcher Schiedssprüche nicht behobenwerden. DieBehebung der aufgezeigten rechtsstaatlich-demokratischen De�zitewürde voraussetzen, dass das gesamte Verfahren durch ein gemein-sames Verfassungsgericht der Vertragsstaaten eines Freihandelsab-kommens ersetzt wird. Allerdings wäre selbst das keine tauglicheLösung, die den anerkannten rechtsstaatlich-demokratischen Anfor-derungen gerecht würde: Die in Bezug auf den Investorschutz als sol-chen beschriebenen rechtsstaatlichen Mängel, so vor allem die gege-bene Diskriminierung und die fehlende Eingliederung in die jewei-lige nationale Rechtsordnung insgesamt bleiben auch bei einer sol-chen Lösung aufrechterhalten.

3.1.2.4) Die erläuterten strukturellen De�zite des Investorschutzes inVerbindung mit einer privaten Schiedsgerichtsbarkeit hat der EuGHin einem Aufsehen erregenden Urteil vom 6. März 2018 (C-284/16,DVBl 2018,573 �.) – dem Achmea-Urteil – näher beleuchtet. Er hatdarauf hingewiesen, dass Art. 267 und Art. 344 des Vertrags über dieArbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einer Bestimmung in ei-nem internationalen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten derEU entgegenstehen, nach der ein Investor eines der Mitgliedstaa-ten ein Investorschutz-Verfahren gegen einen anderen Mitgliedstaatvor einem Schiedsgericht einleiten darf, dessen Gerichtsbarkeit sichdieser Mitgliedstaat unterworfen hat. Aus den Entscheidungsgrün-den ergibt sich, dass diese Beurteilung auf internationale Abkom-men zwischen Mitgliedstaaten der EU (vor deren Beitritt geschlos-

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sen) beschränkt ist. Dabei hat es nicht sein Bewenden. Die zentraleBedeutung kommt der allgemeinen Aussage zu, dass eine interna-tionale Übereinkunft die in den europäischen Verträgen festgelegteZuständigkeitsordnung und damit die Autonomie des Rechtssystemsder Union nicht beeinträchtigen darf. Die Autonomie des Unions-rechts, deren Wahrung der EuGH sichert, besteht sowohl gegenüberdem Recht der Mitgliedstaaten als auch gegenüber dem Völkerrecht.Wegen der Wächterrolle des EuGH über die europäischen Verträgekönnen weder die EU noch die Mitgliedstaaten einzeln oder gemein-sam außerhalb stehende Teilrechtsordnungen mit einer eigenständi-gen Gerichtsbarkeit wie der der Schiedsgerichte vereinbaren, wennMaterien betro�en sind, für die eine Unionszuständigkeit besteht.Das ist für den hier in Rede stehenden Bereich der internationalenWirtschaftsbeziehungen allerdings der Fall, wie aus dem bereits obenerwähnten Art. 207 AEUV folgt.

Eine weitere Entscheidung des EuGH entfaltet zusätzlich umfas-sendeWirksamkeit. In einem vorhergehendenUrteil vom 27. Februar2018 (C-64/16) hat der EuGH weit reichende Ausführungen zur Un-abhängigkeit der Gerichte und ihrer Mitglieder gemacht. Es ging umdie Kürzungen der Bezüge der Richter des portugiesischen Tribunalde Contas. Im Ausgangsrechtsstreit befand er, dass diese nicht ge-gen denGrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit verstoßen. Hin-sichtlich der Unabhängigkeit der Richter weist der EuGH darauf hin,dass für alleMitglieder der EU die nachfolgendenAnforderungen zurGewährleistung der Unabhängigkeit der Gerichte verbindlich sind.Der Begri� der Unabhängigkeit setzt hiernach unter anderem vor-aus, dass die betre�ende Einrichtung ihre richterlichen Funktionenin völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierar-chisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von ir-

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gendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten. AufdieseWeise ist ein Gericht vor Interventionen oder Druck von außengeschützt, die die Unabhängigkeit des Urteils seiner Mitglieder undderen Entscheidungen beein�ussen könnten.

Demwird die Bildung der Schiedsgerichte ebenfalls nicht gerecht,weil die Parteien diese zu gegebener Zeit bilden können und eine in-stitutionelle Unabhängigkeit – was auch eine auf Dauer angelegteInstitutionalisierung voraussetzt – nicht zu erkennen ist. Diese sub-stantiellen De�zite werden noch durch das regelmäßige Fehlen ei-ner Ö�entlichkeit wie überhaupt der fehlenden abstrakten Vorher-bestimmtheit des ‚gesetzlichen Richters‘ unterstrichen.

3.2) Die Zusammenhänge und die über die Jahrzehnte fortschrei-tende Fehlentwicklung werden durch eine nähere Betrachtung derStruktur der Europäischen Patentorganisation (EPO) und von EURO-CONTROL, der Einrichtung, die für die Überwachung des europäi-schen Luftraums zuständig ist, verdeutlicht.

Mit den nachfolgenden Darlegungen kann ich mich auf zahlrei-che frühereArbeiten seit etwa dem Jahr 2000 stützen. Seinerzeit hatteich im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgericht neben anderenStaatsmaterien auch die Zuständigkeit für Europarecht und konntedeshalb fachliche Erfahrung und vertieftes Wissen zur Beurteilungder hier in Rede stehenden Entwicklung einbringen. Gleichwohl darfman nicht daraus schließen, dass solche Kenntnis gefragt sein undman diese nutzbringend für das Gemeinwohl einsetzen könnte. Sieentsprach dem von vielerlei Strömungen entwickelten und fortwäh-rend gep�egten ‚mainstream‘ nicht nur nicht, sondern zeigte unbe-eindruckt Schwächen, Fehlentwicklungen und häu�g krasse Wider-

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sprüche zu den auf der europäischen und Weltebene in Kraft ste-henden Regelwerken auf – so vor allem häu�g die Geringschätzungoder völlige Missachtung der Menschen- und Grundrechte sowie dersozialen Gerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs.8

Ausgangspunkt für die Betrachtung der Europäischen Patentor-ganisation und von EUROCONTROL ist Art. 24 des Grundgesetzes.Nach dessen Abs. 1 kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte aufzwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Entgegen der Über-schrift ‚Kollektives Sicherheitssystem‘ betri�t Abs. 1 die verschiedens-ten internationalen Staatenverbindungen unter Einschluss der Bun-desrepublik Deutschland. Zu dem kollektiven Sicherheitssystem ver-hält sich dann Abs. 2 dieser Bestimmung. Des weiteren ist die Prä-ambel des Grundgesetzes in diesem Zusammenhang zu betrachten.Sie verhält sich dazu, dass die Bundesrepublik Deutschland sich inein vereintes Europa einfügt und dem Frieden der Welt dient. Allge-mein ist deshalb die Rede von der Europa- und Völkerrechtsfreund-lichkeit des Grundgesetzes. Diese Beurteilung unterstütze ich ohneEinschränkung. Allerdings lege ich größten Wert darauf, dass diebestehenden Regeln beachtet und Staatenverbindungen nur in Ab-stimmung mit den in Europa oder in der Welt bereits bestehendeneingegangen werden.

Die Gründung von Staatenverbindungen darf nicht dazu führen,dass Blöcke gebildet werden, die ‚Außenseiter‘ hervorrufen. Eine sol-che Gründung von Staatenverbindungen darf ferner nicht dazu füh-

8Beispielhaft seien hierzu neben den eingangs erwähnten Arbeiten im besonderen die nachfol-genden genannt, die sich unter anderem speziell mit der EPO und EUROCONTROL befassen:Bundesverfassungsgericht – Europäischer Gerichtshof – Europäischer Gerichtshof für Kompetenz-kon�ikte – Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom ausbrechenden Rechtsakt und vom Kooperations-verhältnis, VerwArch 92 (2001), 425; Rechtsschutzprobleme im Mehrebenensystem, VerwArch 97(2006), 332;Die Patenterteilungspraxis nach dem EPÜ – Erosion des Rechtsstaates?, GRURInt 2017,670; Broß/Lamping: Das Störpotenzial des rechtsstaatlich-demokratischen Ordnungsrahmens amBeispiel der europäischen Patentgerichtsbarkeit, GRURInt 2018, 907.

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ren, dass früher eingegangene und fortbestehende Bindungen imVer-hältnis zu anderen Staaten (z. B. über die höhere Weltebene der Ver-einten Nationen oder der Welthandelsorganisation) vernachlässigtoder die Gewährleistung der Menschenrechte und Grundfreiheitenausgeblendet werden. Das Argument, man müsse im Völkerrechts-verkehr Zugeständnisse machen und könne nicht auf derlei – ver-mutlich gemeint ‚Petitessen‘ – Rücksicht nehmen, geht fehl und ent-behrt jeglicher Legitimation.

Der Völkerrechtsverkehr und damit auch das Eingehen und dieGründung von Staatenverbindungen lebt letztlich allein von der Red-lichkeit, der Verlässlichkeit und der Vorhersehbarkeit in dem Sinne,dass die weltweit vereinbarten Grundlagen für Rechtsstaat und De-mokratie sowie soziale Ausgewogenheit nicht nur in Verlautbarun-gen angestrebt, sondern durch entsprechende vertragliche Verein-barungen sichergestellt und gelebt werden. Das wiederum setzt ent-sprechende Organisationsstrukturen und institutionelle Vorkehrun-gen voraus. Investorschutz, Schiedsgerichte und regulatorische Zu-sammenarbeit stehen dem entgegen, weil durch solche Vereinbarun-gen grundlegende Funktionsbedingungen für Rechtsstaat, Demokra-tie und Sozialstaat missachtet werden. Das werde ich anhand vonzwei Staatenverbindungen mit ganz unterschiedlichen Regelungsge-genständen außerhalb, aber den Freihandel begleitend, erläutern.

3.2.1) Betrachtet man unter diesen Gesichtspunkten zunächst die Eu-ropäische Patentorganisation, sind folgende Au�älligkeiten, die imZusammenhang mit der Einrichtung eines Patentgerichts der Euro-päischen Union stehen, nicht zu übersehen:

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Die Bundesregierung hat am 13. Februar 2017 den Entwurf einesGesetzes zu dem Übereinkommen über ein einheitliches Patentge-richt eingebracht (BTDrs. 18/11137). Nach der Eingangsbegründungsoll dieses Übereinkommen den Schlussstein der seit den sechzigerJahren des letzten Jahrhunderts angestrebten Reform des europäi-schen Patentsystems bilden. Mit dieser Reform sollen die Rahmen-bedingungen für die innovative Industrie im europäischen Binnen-markt durch einen besseren Schutz von Er�ndungen gestärkt wer-den. Sie sei von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung, da zukünf-tig ein �ächendeckender einheitlicher Patentschutz in Europa einge-richtet werde, der kostengünstig zu erlangen sei und der e�zient ineinem Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht durchgesetztwerden könne, das für alle teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten gelte.

Allerdings ist das am 5. Oktober 1973 unterzeichnete EuropäischePatentübereinkommen mit 38 Mitgliedstaaten immer noch von Be-stand. An dieses möchte sich das Übereinkommen zum EinheitlichenPatentgericht vom 19. Februar 2013 ‚anschließen‘. Das Übereinkom-men und das Europäische Patentübereinkommen bilden in Bezug aufdie von der EU-Seite teilnehmenden 25 Mitgliedstaaten für ihren ge-meinsamen Geltungsumfang eine Einheit.

Der damit gewünschte „Anschluss“ ist – zurückhaltend ausge-drückt – aus verschiedenen Gründen überraschend. Seit einigen Jah-ren kommt es innerhalb der Europäischen Patentorganisation we-gen der Struktur des Europäischen Patentamts zu mehr oder we-niger großen Turbulenzen. Die Spitze des Europäischen Patentamtshat versucht, dem zentralen Problem der fehlenden Gerichtsqualitätseiner Beschwerdekammern einschließlich der Großen Beschwerde-kammer mit einer ‚Reform‘ zu begegnen.

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Betrachtet man die vertraglich vereinbarte Struktur des Europäi-schen Patentamts, ergibt sich, dass dessen Präsident für alle Entschei-dungen hinsichtlich Organisation, Funktion, Aufgabenerfüllung undPersonal die letzte verantwortliche, aber auch die letztlich entschei-dende Stelle in der EPO ist. Demgemäß wurden ihm auch wichti-ge Befugnisse in Bezug auf die Spruchkörper und deren Besetzungübertragen. Zudem übt der Präsident des Europäischen PatentamtsDisziplinargewalt über die Mitglieder der Spruchkörper aus.

Diese Fehlleistungwird noch dadurch ‚überhöht‘, dass diese Staa-tenverbindung mit ‚Immunität‘ ausgestattet wird. Der Sache nachbedeutet dies, dass sich die Vertragsstaaten des Europäischen Patent-übereinkommens und die Mitgliedstaaten der EU ihrer Grundrechts-bindungen entledigen. Sie sichern diese Bindungslosigkeit über dieZuerkennung der Immunität gleichsam ab. Das ist unter rechtsstaat-lich-demokratischen Gesichtspunkten keinesfalls hinzunehmen. Im-munität darf in Bezug auf derartige Staatenverbindungen nur hin-sichtlich der speziell übertragenen Aufgabenerledigung eingeräumtwerden. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten nicht in die täglicheAufgabenerledigung und Art und Weise der Sachbehandlung ein-greifen dürfen. Dies ist nur über einvernehmliche generelle Regelun-gen sachgerecht und vertraglich abzusichern, damit ein störungsfrei-er Betrieb der Organe des EPA überhaupt möglich ist.

Anders stellt sich die Problematik wegen des dem Patentertei-lungsverfahren eigenenÜber-/Unterordnungsverhältnisses zwischendemAnmelder und der Erteilungsbehörde dar. Gemäß den allgemeingültigen und anerkannten rechtsstaatlich-demokratischenGrundsät-zen ist eine institutionelle Trennung der entscheidenden Behördevon den sie kontrollierenden Spruchkörpern unerlässlich. Die Unab-

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hängigkeit der kontrollierenden Gerichtsinstanz kann allerdings nurdurch eine institutionelle Trennung und Eigenständigkeit sicherge-stellt werden. Hieran fehlt es bei der Europäischen Patentorganisa-tion von Anfang an.

In diesem Zusammenhang ist der Hinweis geboten, dass sich dieMitgliedstaaten der EU und der Europäischen Patentorganisationwi-dersprüchlich, geradezu unredlich verhalten, wenn man etwa Polen,Ungarn und der Türkei für deren rechtsstaatswidrigen Umgang mitder Justiz schwere Vorwürfe macht, andererseits aber durch eklatan-te Fehlleistungen bei der Vertragsgestaltung im eigenenHaus grobenÜbergri�en im rechtsstaatlichen System und hinsichtlich der Indivi-dualrechtspositionen der Angehörigen des Europäischen PatentamtsTür und Tor ö�net.

Ein weiterer schwerer Konstruktionsmangel kommt hinzu. Per-sonalstreitigkeiten innerhalb der Europäischen Patentorganisationwerden an die Gerichtsbarkeit der InternationalenArbeitsorganisati-on (ILO) überwiesen. Diese steht außerhalb der Europäischen Paten-torganisation und ist im Hinblick auf die Mitgliedstaaten bindungs-los. Es führt kein Strang demokratischer Legitimation von den einzel-nenMitgliedstaaten zu dieser Gerichtsbarkeit. Auf dieseWeise entle-digen sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisationund die teilnehmenden Mitgliedstaaten der EU ihren originären Ver-p�ichtungen gemäß ihren nationalen Grundrechtskatalogen sowieder Europäischen Grundrechtecharta und der Europäischen Konven-tion zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Das istnicht hinzunehmen, weil es den genannten Regelwerken immanentist, dass sich die Staaten nicht durch die Bildung von Staatenverbin-dungen – zu welchem Zweck auch immer – ihren Verp�ichtungen

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zum Schutz der Grund- und Menschenrechte entziehen dürfen. Beidem Eingehen einer Staatenverbindung darf kein Vakuum hinsicht-lich des Grundrechtsschutzes entstehen. Vielmehr muss ein gleich-wertiges Äquivalent gescha�en werden. Ein solches kann darin be-stehen, dass ein Mitgliedstaat – bevorzugt das gastgebende Land derStaatenverbindung – mit dem Gerichtsschutz beauftragt wird. Aller-dings ist es vorzuziehen – zumal bei der Größe einer Staatenverbin-dung wie der der Europäischen Patentorganisation -, eine unabhän-gige interne Gerichtsbarkeit zu installieren. Auf diese Weise ist diedemokratische Legitimation der rechtsprechenden Gewalt gegebenund durch die organisatorische Trennung von Gerichtsbarkeit undVerwaltung die Unabhängigkeit der Spruchtätigkeit sichergestellt.

Im Hinblick auf das Übereinkommen über ein Einheitliches Pa-tentgericht ergibt sich ein spezielles zusätzliches Problem. Es schließtan das Europäische Patentübereinkommen an. Man hat sich das sovorzustellen, dass ein nach dem Europäischen Patentübereinkom-men erteiltes Patent auch für die EU gilt. Daraus folgt, dass das Über-einkommen der EUnicht eine neue in sich geschlossene Patentrechts-ordnung in formeller und materieller Hinsicht scha�t, sondern ei-ne Einheit mit dem Europäischen Patentübereinkommen bildet. Aufdiese Weise übernimmt die EU alle zuvor erörterten rechtsstaatlich-demokratischenMängel der Europäischen Patentordnung. Die 25 teil-nehmenden EU-Staaten desavouieren so ihr Vorhaben. Sie machensich bezüglich des Vertragsgegenstands von einer Institution außer-halb der EU und außerhalb ihrer neu gescha�enen autonomenRechts-ordnung abhängig – eine eklatante Fehlleistung. Sie ist vergleichbarder Konstruktion der Europäischen Währungsunion, wenn man dendurch die Vertragsstaaten erö�neten Spielraum für die Ratingagen-turen betrachtet. Man macht sich von Entscheidungen demokratisch

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nicht legitimierter Institutionen abhängig, die man nicht kontrollie-ren und nicht beein�ussen kann und die die Selbstde�nition der Ver-tragsstaaten infrage stellen.

3.2.2) Im Hinblick auf EUROCONTROL stellt sich zentral die Fragedes Rechtsschutzes der dortigen Bediensteten. EUROCONTROL isteine 1960 gegründete europäische Vereinigung zur Überwachung desLuftraums. Zugrunde liegt ein völkerrechtlicher Vertrag. Zu bean-standen ist auch in dieser Hinsicht die Regelung des Rechtsschutzes.Der Begründungsansatz des Bundesverfassungsgerichts9 leidet dar-an, dass nicht von der deutschen Rechtsordnung her überlegt wird,sondern von der Völkerrechtsebene. Nach der EUROCONTROL II -Entscheidung in BVerfGE 59, 63 kommt es nicht darauf an, „ob die‚Übertragung‘ von Hoheitsrechten auf die zwischenstaatliche Ein-richtung sowie deren organisatorische und rechtliche Ausgestaltungim einzelnen nach Maßgabe des deutschen Verfassungsrechts gültigsind.“ Wie das Verfassungsgericht schreibt, ist es allein wesentlich,

„dass die Einrichtung durch einen wirksamen völkerrecht-lichen Akt gescha�en wurde und sich bei dem im Streit be-�ndlichen Verhalten nicht völlig von dieser völkerrechtli-chen Grundlage gelöst hat. Bereits dann handelt es sich beiihren Handlungen um solche nichtdeutscher ö�entlicherGewalt, bezüglich deren jedenfalls die Rechtsschutzgaran-tie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht eingreift. Art. 19 Abs. 4 GGgewährleistet nicht eine ‚subsidiäre‘ Gerichtsbarkeit deut-scher Gerichte für den Fall, dass die Übertragung vonHoheits-befugnissen auf die zwischenstaatliche Einrichtung nachinnerstaatlichem Recht – formell oder materiell – fehler-haft sein sollte. Nach Art. 19 Abs. 4 GG ist insbesondere

9Einzelheiten hierzu bei Broß, VerwArch 92 (2001) 425.

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auch nicht eine internationale ‚Au�angzuständigkeit‘ deut-scher Gerichte gewährleistet, falls der Rechtsschutz gegenHandlungen der zwischenstaatlichen Einrichtung gemes-sen an innerstaatlichen Anforderungen unzulänglich seinsollte.“ (BVerfGE 59, 63, 85f.).

Diese Ausführungen werden der Problematik nicht gerecht. Zu-nächst ist von der jeweiligen nationalen Verfassungsrechtslage herzu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen sich ein Staat inden Völkerrechtsverkehr begeben und dort vertragliche Bindungeneingehen darf. Es erschließt sich ohne Schwierigkeiten, dass im Hin-blick auf die Gewährleistungen der Grund- und Menschenrechte dernationalen Verfassungen in Europa und damals schon der Europäi-schen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfrei-heiten eine solche Staatenverbindung nicht so ausgestaltet werdendarf, dass substantielle Rechtsschutzde�zite wesentlicher Bestand-teil der Staatenverbindung sind. Es bedarf einer entsprechenden in-stitutionellen Ausgestaltung einer jeden Staatenverbindung, die vonden hierfür in Betracht kommenden rechtsstaatlich-demokratischenStaatswesen eingegangen wird. Das Bundesverfassungsgericht hatin der Lissabon-Entscheidung (BVerfGE 123, 267) nach Maßgabe deshier nicht einschlägigen Art. 23 GG gerade auf diese Zusammenhän-ge hingewiesen. Für den Anwendungsbereich des vorliegend ein-schlägigen Art. 24 GG gilt allerdings nichts anderes, weil sich zu-nächst immer die Frage stellt, wie beim Eingehen einer Staatenver-bindung die Staaten die Gewährleistung der Grund- und Menschen-rechte der ihrer Gewalt als Adressaten unterworfenen und der dorttätigen Menschen sicherstellen können. Von daher ist bei jeder sol-cher neu gescha�enen völkerrechtlichen Konstellation die Scha�ungeines gleichwirkenden Äquivalents im Vergleich zur nationalen Ebe-

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ne zwingend. Dass im übrigen die Gründung der Staatenverbindungden völkerrechtlichen Regeln entsprechen muß, versteht sich vonselbst, ist allerdings erst eine nachfolgende Frage. Die Scha�ung ei-nes wirksamen rechtsstaatlich-demokratischen Anforderungen ge-recht werdenden Rechtsschutzes kann denkgesetzlich nie imWider-spruch zu völkerrechtlichen Regeln und Grundsätzen stehen.

4 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Das Thema des heutigen Abends hat erstaunliche Erkenntnisse zuTage gefördert, wenn man mit dem neuartigen Freihandelsabkom-men zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Pakistan im Jahr1959 ansetzt, in dem der Investorschutz das zentrale Anliegen war.Gleichwohl war schon zu dessen Absicherung ein privates Schieds-gericht vorgesehen und des weiteren, dass die Vertragsstaaten Ab-stimmungsgespräche über künftige Entwicklungen führen, in denenman Vorformen der regulatorischen Zusammenarbeit sehen könnte.Das sind die Anklänge der institutionellen Strukturenmoderner Frei-handelsabkommen, die Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat ge-fährden. Die dort angelegten institutionellen Strukturen wurden inden nachfolgenden Jahrzehnten näher ausgestaltet und vor allem dieregulatorische Zusammenarbeit zwischen den Partnern eines Frei-handelsabkommens weiter vertieft.

4.1) Ein Investorschutz, wie er in den Freihandelsabkommen vor-gesehen ist, scha�t eine Parallelwelt und bedeutet der Sache nacheine Diskriminierung der inländischen Wettbewerber. Die Wirkungist für das ausländische Unternehmen gleichbedeutendmit einer Tei-

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limmunität. Diese wird institutionell abgesichert durch eine (private)Schiedsgerichtsbarkeit.

4.2) Diese private Schiedsgerichtsbarkeit widerspricht allen rechts-staatlich-demokratischen Grundsätzen und ist mit Blick auf die Ver-tragsstaaten eine unzulässige Aufgabe staatlicher Souveränität undSelbstde�nition. Dass diemodernen Freihandelsabkommen durch dieEU-Kommission initiiert werden, ändert nichts daran, dass sie gegenEU-Recht verstoßen. Dies hat der EuGH im ‚Achmea-Urteil‘ erneutklargestellt, wenn er im Falle der Internationalisierung der EU-Ebeneauf sein Rechtsprechungsmonopol und seine Oberaufsicht über dieEU-Rechtsordnung hinweist und dieses zu Recht ohne Abstriche be-hauptet.

4.3) Die Freihandelsabkommen, die durch eine regulatorische Zu-sammenarbeit der Vertragspartner �ankiert werden, erstrecken sichauf viele Bereiche, nicht nur die traditionellen Wirtschaftsbereiche.Der Sache nach wird durch den umfassenden Geltungsbereich, ArtundAusmaß der �ankierenden regulatorischen Zusammenarbeit, denInvestorschutz und die Schiedsgerichte sowie die daraus resultieren-de Vorprägung der Politik und Gesetzgebung ein Teilbundesstaat ge-scha�en. Hierfür besteht mangels Übertragung einer entsprechen-den Zuständigkeit auf die EU-Ebene keinerlei Legitimation, die Bun-desrepublik Deutschland wird weder durch Art. 23 noch Art. 24 GGzu einer solchen Staatenverbindung ermächtigt.

4.4) Schon die erwähnten früheren Staatenverbindungen Europäi-sche Patentordnung und EUROCONTROL hätten aufmerksamen Be-obachtern vermitteln müssen, welche Risiken für die Vertragsstaa-ten sowie die ihnen und der neuen Institution anvertrauten Men-schen drohen können. Dieses Risikopotenzial wird durch die Ver-

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nachlässigung der Grund- und Menschenrechte und eines e�ektivenRechtsschutzes gescha�en. Hierzumag ein Hinweis genügen: In jün-gerer Vergangenheit hat die von mir entschieden abgelehnte rechts-wissenschaftliche Theorie des ‚Gewährleistungsstaates‘ um sich ge-gri�en. Es handelt sich hierbei um ein Rechts- und Staatsverständ-nis, das zunehmend von einer eigenständigenWahrnehmung ö�ent-licher Aufgaben absieht und sich stattdessen lediglich auf Vorkeh-rungen zur Sicherung der gemeinwohlorientierten Ziele im Zusam-menwirken mit Privaten oder allein durch Private beschränkt.10 Eskann nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, dass durch Inves-torschutz, (private) Schiedsgerichte und regulatorische Zusammen-arbeit die Privatisierung staatlicher Infrastruktur erzwungen oderdie Rückgängigmachung früherer Privatisierungen verhindert wer-den kann.

10Vgl. hierzu statt allerWolfgangHo�mann-Riem, AöR 130 (2005), S. 5, 9; hiergegen Siegfried Broß,JZ 2003, 874; Vorgänge 2008, 56 u. a.

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Abkürzungen und Siglen

Abs. AbsatzAEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen UnionArt. ArtikelBRICS-Staaten Vereinigung der Staaten Brasilien, Russland, Indien, China, SüdafrikaBVerfG(E) Bundesverfassungsgericht(Entscheidung)BVerfGG BundesverfassungsgerichtsgesetzCETA Comprehensive Economic and Trade Agreement, dt.Wirtschafts- und Handels-

abkommen (zwischen der EU und Kanada)EPA Europäisches PatentamtEPO Europäische PatentorganisationETC Energy Charter Treaty, dt. Energiecharta-VertragEU Europäische UnionEuGH Europäischer GerichtshofEUROCONTROL Europäische Organisation zur Sicherung der LuftfahrtILO Internationale ArbeitsorganisationIWF Internationaler WährungsfondsJEFTA Japan-EU Free Trade Agreement, dt. Freihandelsabkommen EU-JapanJZ JuristenZeitungKap. KapitelNAFTA North American Free Trade Agreement, dt. Nordamerikanisches FreihandelsabkommenNATO North Atlantic Treaty Organization, dt. NordatlantikpaktOECD Organisation for Economic Co-operation and Development, dt. Organisation für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungTTIP Transatlantic Trade and Investment Partnership, dt. Transatlantische Handels- und

Investitionspartnerschaft, zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika,vgl. TAFTA

UN United Nations, dt. Vereinte NationenUNESCO United Nations Educational, Scienti�c and Cultural Organization, dt. Organisation

der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und KulturUNHCR United Nations High Commissioner for Refugees dt. Hoher Flüchtlingskommissar

der Vereinten NationenWTO World Trade Organization, dt. Welthandelsorganisation

Page 38: Siegfried Broß - Berliner Wassertisch · 2019-02-14 · Siegfried Broß TTIP, CETA, JEFTA. Wie die neuen Freihandelsabkommen Rechtsstaat und Demokratie sowie die zwischenstaatlichen

AutorSiegfried Broß, Jg. 1946, studierte Rechtswissenschaften an der Eberhard Karls Universität Tü-bingen und an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bis 1998 Richter am Bundes-gerichtshof, anschließend bis 2010 Richter am Bundesverfassungsgericht. Lehrt seit 2002 ander Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Zahlreiche Ehrungen, darunter EhrendoktorwürdeUniversitas Islam Indonesia in Yogyakarta (2009) und Max Friedlaender Preis des BayerischenAnwaltverbandes (2017). Honorarprofessor an der Universität Freiburg imBreisgau. Ehrenvor-sitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission e. V. und der Juris-tischen Studiengesellschaft Karlsruhe. Ehrenmitglied des Internationalen Beratungskomiteesund Ehrenvorsitzender des Think Tank Africast von CAFRAD.

Verö�entlichungen zum Thema u. a.:Wenn rechtsstaatlich-demokratische Ordnungsrahmen stören oder hinderlich sind – Überlegun-gen zur Entstehung von Parallelwelten. In: Simplex Sigillum Veri. Hrsg. v. Christian Hertel etal. München 2017, S. 533–544; Überlegungen zu den Grundlagen von Staatenverbindungen. In:Grundgesetz und Europa. Hrsg. v. Volker Bou�er et al. Tübingen 2016, S. 29–42; Rechtliche Be-urteilung des TTIP. In: Juristische Fachtexte zu Freihandelsabkommen. Hrsg. v. Berliner Was-sertisch. Heft 1, Berlin, Februar 2016; http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:109-1-8093896;Privatisierung staatlicher Infrastrukturbereiche in der „sozialen Demokratie“. Baden-Baden 2015;TTIP und CETA – Überlegungen zur Problematik der geplanten Freihandelsabkommen der Euro-päischen Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada. In: Schriften zur kom-munalen Daseinsvorsorge (SKD). Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 4, Berlin 2015; http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:109-1-7855128; Freihandelsabkommen, einige Anmerkungenzur Problematik der privaten Schiedsgerichtsbarkeit. In: Report der Abteilung Mitbestimmungs-förderung der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 4, Januar 2015, URL: http://www.boeckler.de/pdf/p_mbf_report_2015_4.pdf ; Krankenhäuser – kommerzielle Wirtschaftsbetriebe oder Teil derDaseinsvorsorge des Staates?. In: SKD. Hrsg. v. Berliner Wassertisch, Heft 3, Berlin 2014, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:109-1-7729328 ; Wirtschaftsordnung und Verfassung – ei-nige kritische Betrachtungen. In: Festschrift für Rolf Stürner. Hrsg. v. Alexander Bruns. Tü-bingen 2013, S. 3�.; Wasser, Gas, Strom . . .Warum Privatisierung kein Allheilmittel ist oder so-gar die Demokratie gefährden kann. In: SZR. Hrsg. v. Berliner Wassertisch, Heft 2, Berlin 2013,https://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:109-1-7729296 ; Der Umbau mehr oder weniger exis-tentieller Infrastrukturen, insbesondere der sozialen Sicherung, als Demokratieproblem. In: Hoch-huth 2012, S. 9–20; Privatisierung ö�entlicher Aufgaben: Gefahr für das Allgemeinwohl? In:Universitas–Orientierung 2007, S. 995–1009; Daseinsvorsorge und notwendige Staatsaufgaben.Was sollen Staat, Kommunen und Private tun (dürfen)? In: Vorgänge 2008/2, S. 56–69; Privatisie-rung ö�entlicher Aufgaben: Gefahr für das Allgemeinwohl? In: Glanzlichter der Wissenschaft2007, S. 25–33; Daseinsvorsorge–Wettbewerb–Gemeinschaftsrecht. In: JZ 2003, S. 874�.