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Sitzungsmappe erstellt am: 05.08.2020 21:15:16 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode E 17/1132 30.01.2020 Ausschuss für Digitalisierung und Innovation Thorsten Schick MdL Einladung 35. Sitzung (öffentlich) des Ausschusses für Digitalisierung und Innovation am Donnerstag, dem 6. Februar 2020, 15.30 Uhr, Raum E 1 D 05 Landtag Nordrhein-Westfalen Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf Gemäß § 53 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Landtags berufe ich den Ausschuss ein und setze folgende Tagesordnung fest: Tagesordnung 1. Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovation für Maschinelles Lernen voranbringen Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/7374 Ausschussprotokoll 17/853 - Abstimmung gemäß Vereinbarung der Fraktionen 2. Heimat braucht Handel vitale Innenstädte für die Zukunft des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen erhalten, den stationären Handel bei seinem Weg ins digi- tale Zeitalter unterstützen Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/6748 Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/6864 Ausschussprotokoll 17/859 - Abstimmung gemäß Vereinbarung der Fraktionen

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode

E 17/1132

30.01.2020 Ausschuss für Digitalisierung und Innovation Thorsten Schick MdL

Einladung 35. Sitzung (öffentlich) des Ausschusses für Digitalisierung und Innovation am Donnerstag, dem 6. Februar 2020, 15.30 Uhr, Raum E 1 D 05 Landtag Nordrhein-Westfalen Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf Gemäß § 53 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Landtags berufe ich den Ausschuss ein und setze folgende Tagesordnung fest: Tagesordnung 1. Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovation für Maschinelles Lernen

voranbringen Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/7374 Ausschussprotokoll 17/853 - Abstimmung gemäß Vereinbarung der Fraktionen

2. Heimat braucht Handel – vitale Innenstädte für die Zukunft des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen erhalten, den stationären Handel bei seinem Weg ins digi-tale Zeitalter unterstützen Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/6748 Änderungsantrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/6864 Ausschussprotokoll 17/859 - Abstimmung gemäß Vereinbarung der Fraktionen

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3. Transparenz in der kommunalen Demokratie stärken – Beratungen von Räten und Kreistagen digital veröffentlichen! Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/7743 Stellungnahme 17/2143 Stellungnahme 17/2144 Stellungnahme 17/2145 Stellungnahme 17/2150 Stellungnahme 17/2153 Stellungnahme 17/2160 - Abstimmung gemäß Vereinbarung der Fraktionen

4. Fair geht mehr: Digitale Daseinsvorsorge nicht dem Markt überlassen! Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/8423

5. Mittelstand und Handwerk von Bürokratien entlasten – Statistikpflichten redu-zieren, Register modernisieren und die Datenerfassung digitalisieren Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 17/8323

6. Den Worten des Koalitionsvertrages Taten folgen lassen – Die Landesregie-rung muss mehr für die FernUniversität Hagen tun! Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/8424

7. Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Förderung des Breitbandausbaus durch die Bundesförderrichtlinie und die entsprechenden Richtlinien der Länder – erste Novelle der Förderrichtlinie vom 3. Juli 2018 hier: Abschluss der angepassten Verwaltungsvereinbarung Vorlage 17/2939 Drucksache 17/8511

8. Digitale Verwaltung: Sachstand zum Onlinezugangsgesetz und dem Service-portal.NRW Bericht der Landesregierung Vorlage 17/2995

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9. Gigabitausbau Bericht der Landesregierung Vorlage 17/2993

10. Verschiedenes gez. Thorsten Schick

- Vorsitzender - F. d. R. Mirjam Hufschmidt Ausschussassistentin

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Landtag Nordrhein-Westfalen, Elektronische Sitzungsmappe zur Einladung Nr. 17/1132Ausschuss für Digitalisierung und Innovation

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Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovation für Maschinelles Lernen voranbringen

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode

Drucksache 17/7374

10.09.2019

Datum des Originals: 10.09.2019/Ausgegeben: 10.09.2019

Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovation für Maschinelles Lernen voranbrin-gen I. Ausgangslage Dynamische und bahnbrechende technologische Innovationen prägen weltweit Wirtschaft und Gesellschaft. Digitalisierung verändert unser Leben. Sie ist Treiber des Wandels im Ar-beits- und Berufsleben genauso wie im privaten Alltag und bietet vielfältige Möglichkeiten diese zum Wohl des Menschen einzusetzen. Die Digitalisierung erreicht mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) eine neue Stufe in der Verarbeitungsleistung und Anwendung neuer Geschäftsmodelle. Oft auch als Maschinelles Lernen oder Deep-Learning bezeichnet, werden bei der KI unterschiedliche Technologien kombiniert, um bestimmte Fähigkeiten nachzubilden. KI wird bald als Breitenanwendung bereitstehen und damit beispielsweise Qualitätssteigerungen und Ressourcenschonung erreicht werden. Die damit verbundenen Debatten um ethische Grundsätze, der Frage nach der Ausgestaltung der Algorithmen und dem Einsatz von KI in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen hat Auswirkungen auf unser Zusammenleben und unsere Wirtschaft. Längst hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden – weg von der Analyse getrennter Daten hin zu ihrer Verknüpfung. Dadurch zeigen sich Muster. KI kann trainiert werden diese zu erkennen und bietet damit für Bereiche wie Gesundheit, Sicherheit oder Logistik ganz neue Verbesserungspotenziale: Im Forschungszentrum Jülich beispielsweise hilft die KI dabei, die Kartierung des menschlichen Gehirns im „Human Brain Project“ zu beschleunigen. Die Si-cherheitsbehörden nutzen KI als Präventionsmittel zur Verhinderung von Straftaten. Das In-nenministerium NRW beispielsweise hat eine Prognose-Software entwickeln lassen, die der Polizei als Hilfsinstrument zur besseren Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen dienen soll. Künstliche Intelligenz kann aber auch bereits durch eine Automatisierung die Sichtung und Auswertung umfangreicher Datenbestände, beispielsweise im Bereich der Kinderpornogra-fie, für die zuständigen Polizeibeamten erleichtern. Denkbar sind auch sich selbstheilende Cybersysteme, die Sicherheitslücken selbst entdecken und schließen. Bereits genutzt wird die vollautomatische Analyse manueller Prozesse in der Logistik, um beispielsweise Poten-ziale zur Prozessoptimierung zu identifizieren, Prozesszeiten zu minimieren und die Arbeits-bedingungen der Mitarbeiter zu verbessern.

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Nordrhein-Westfalen verfügt über große Kompetenzen bei der Erforschung von KI und Ma-schinellem Lernen: das BMBF-Kompetenzzentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr mit dem Lehrstuhl für künstliche Intelligenz an der TU Dortmund, die Fraunhofer-Institute für Intelli-gente Analyse- und Informationssysteme in Sankt Augustin und für Materialfluss und Logistik in Dortmund sowie an der Universität Bonn. Das Exzellenzcluster CITEC in Bielefeld und viele weitere Forschungseinrichtungen, Netzwerke, Lehrstühle sowie Institute forschen an der Schnittstelle zur Anwendung. Genau hier soll das Kompetenzzentrum KI.NRW die starke Forschungslandschaft ergänzen. Insbesondere die Umsetzung und der Transfer von For-schungsergebnissen im Mittelstand sollen gestärkt, Mitarbeiter in den Unternehmen qualifi-ziert und Informationsformate eingerichtet werden, um mit den Menschen und gesellschaftli-chen Gruppen in den Austausch über KI zu kommen. Ergänzt wird dies mit dem geplanten NRW-Institut für Digitalisierungsforschung. Netzwerke sollen zwischen Hochschulen und au-ßeruniversitären Forschungseinrichtungen mit Wirtschaft und Startups insbesondere im Be-reich der KI gefördert werden. Es gilt, die Innovationskraft der Wissenschaft und Forschung für unsere Wirtschaft – Industrie und Mittelstand gleichermaßen – nutzbar zu machen damit die Bürgerinnen und Bürger von dessen Anwendungen profitieren können. Ende 2018 ist die landesweite Kompetenzplatt-form Künstliche Intelligenz (KI.NRW) mit dem Ziel gestartet, unser Land bundesweit an erste Stelle und in die Top Ten-Standorte Europas bei der angewandten KI zu führen. Dabei sollen Forschung und Bildung, ein erfolgreicher Technologietransfer und eine ethisch-verantwor-tungsvolle Umsetzung im Kern der Bemühungen stehen. Es gilt, Digitalisierung und KI so umzusetzen, dass der tiefgreifende technologische Wandel in unser von Menschenwürde, Persönlichkeitsrechten und individueller Freiheit geprägtes Menschenbild eingebettet wird. Dabei lassen sich Forschungs- und Beratungsinitiativen des Landes, Bundes und auf euro-päischer Ebene verzahnen. Denn im Wettbewerb bei der Anwendung und Forschung von KI haben viele Länder bereits erheblich investiert oder Investitionen angekündigt. Die Bundesregierung hat zur Umsetzung ihrer KI-Strategie für den Haushalt 2019 eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Anwendungshubs und neue KI-Professuren sollen ent-stehen und Vernetzung innerhalb der Forschungs- und Anwendungslandschaft erfolgen. Hierfür sind Beratungsangebote und die Flexibilisierung nichtfinanzieller Rahmenbedingun-gen nötig. Nur mit einem konkurrenzfähigen Vergütungssystem, attraktiven Arbeitsbedingun-gen und einem aktiven Werben wird es gelingen, international führende Experten nach Deutschland zu holen und dem Brain drain – ins Ausland wie auch an den privaten Sektor – wirksam entgegenzuwirken. II. Beschlussfassung Der Landtag begrüßt, 1. die Anstrengungen der Landesregierung, den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Nord-

rhein-Westfalen im Bereich der Künstlichen Intelligenz zu stärken.

2. dass der Aufbau von KI.NRW vorangetrieben und dadurch die Forschung und der Mittel-stand beim Einsatz von KI unterstützt wird.

3. den Aufbau des europaweit ersten Prüfkatalogs zur Zertifizierung von KI-Anwendungen, anhand dessen eine sachkundige und neutrale Bewertung von KI ermöglicht, die techni-sche Zuverlässigkeit und ein verantwortungsvoller Umgang mit der Technologie gewähr-leistet werden kann.

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4. die von der Bundesregierung erarbeitete Strategie zur Künstlichen Intelligenz und die da-mit verbundenen Ankündigungen Fördermittel bis 2025 bereitzustellen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

die Initiativen des Bundes zur KI-Forschung aktiv zu begleiten. Diese müssen sinnvoller-weise auf den bereits in den Ländern vorhandenen Strukturen aufbauen,

beim Aufbau des Instituts für Digitalisierungsforschung die Erforschung und Anwendung zu diskriminierungsfreien Algorithmen zu berücksichtigen sowie das Institut eng mit der Kompetenzplattform KI.NRW zu vernetzen,

einen Leitfaden für kleine und mittelständische Unternehmen zum Einsatz, den Vorteilen und dem Umgang mit KI zu entwickeln,

zu prüfen inwieweit unternehmerische Nebentätigkeiten bei Lehrenden flexibilisiert und un-terstützt werden können,

bei ausländischen Fachkräften für den Standort Nordrhein-Westfalen über NRW.Invest, Wirtschaftsmessen und Online zu werben sowie die im Verfahren zur Fachkräfteeinwan-derung erforderlichen Formulare digital und auch in englischer Sprache bereitzustellen,

darauf hinzuwirken, dass geförderte Big-Data Analysen von Hochschulen und außeruniver-sitären Forschungseinrichtungen im Sinne von Open Access für weitere Innovationen und wirtschaftliche Anwendungen zur Verfügung gestellt werden,

die Arbeit der Datenethikkommission zu beobachten und geeignete Empfehlungen und Erkenntnisse auf Nordrhein-Westfalen zu übertragen,

zu prüfen, wie Daten unter Berücksichtigung der DSGVO einfacher, digitalisiert, standar-disiert und zentral in anonymisierter und pseudonymisierter Form sowohl für gemeinnüt-zige als auch für kommerzielle Forschung verfügbar gemacht werden können,

in Gesprächen mit der Hochschullandschaft für den Ausbau von KI-Professuren zu wer-ben. Dabei sollen sowohl technologische und sozioökonomische Aspekte von KI als auch der Ausbau NRW-spezifischer Anwendungsfelder berücksichtigt werden.

Bodo Löttgen Matthias Kerkhoff Thorsten Schick Florian Braun Petra Vogt Dr. Stefan Nacke

Christof Rasche Henning Höne Marcel Hafke Rainer Matheisen

und Fraktion

und Fraktion

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Landtag AusschussprotokollNordrhein-Westfalen APr 17/85317. Wahlperiode 12.12.2019

Ausschuss für Digitalisierung und Innovation (31.) undWissenschaftsausschuss (41.)

Gemeinsame Sitzung (öffentlich)

12. Dezember 2019

Düsseldorf – Haus des Landtags

10.00 Uhr bis 12.00 Uhr

Vorsitz: Thorsten Schick (CDU) (ADI)

Helmut Seifen (AfD) (WissA)

Protokoll: Sitzungsdokumentarischer Dienst

Verhandlungspunkt:

Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovation für MaschinellesLernen voranbringen

Antragder Fraktion der CDU undder Fraktion der FDPDrucksache 17/7374

– Anhörung von Sachverständigen (s. Anlage)

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 3 - APr 17/853

Ausschuss für Digitalisierung und Innovation (31.) 12.12.2019Wissenschaftsausschuss (41.)Gemeinsame Sitzung (öffentlich)

Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovation für Maschinelles Lernenvoranbringen

Antragder Fraktion der CDU undder Fraktion der FDPDrucksache 17/7374

– Anhörung von Sachverständigen (s. Anlage)

Vorsitzender Thorsten Schick: Ich wünsche den Mitgliedern des Ausschusses fürDigitalisierung und Innovation, die mit den Mitgliedern des Wissenschaftsausschussesheute zu einem feierlichen, adventlichen Doppelpack zusammengekommen sind, ei-nen wunderschönen guten Morgen. Heute Morgen führen wir eine Anhörung durch,heute Nachmittag findet die normale Ausschusssitzung statt. Besonders begrüße ichden Vorsitzenden des Wissenschaftsausschusses, Herrn Seifen, der neben mir Platzgenommen hat. Die Vertreterinnen der Presse sowie die Zuhörerinnen und Zuhörerbegrüße ich ebenfalls herzlich.

Die Tagesordnung ist Ihnen mit der Nummer 17/1052 zugegangen. Wir führen heuteMorgen eine Anhörung zum Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP, Drucksache17/7374, durch. Sie trägt den Titel: „Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovationfür Maschinelles Lernen voranbringen“. Dieser Antrag wurde durch das Plenum am19. September 2019 zur Federführung und Abstimmung an den Ausschuss für Digita-lisierung und Innovation sowie zur Mitberatung an den Wissenschaftsausschuss undden Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung überwiesen. Der Wissen-schaftsausschuss entschied, sich pflichtig zu beteiligen, während der Ausschuss fürWirtschaft, Energie und Landesplanung nachrichtlich beteiligt werden möchte.

Ich begrüße die anwesenden Sachverständigen sehr herzlich und bedanke mich beiIhnen dafür, dass Sie uns heute in der ein wenig stressigen Vorweihnachtszeit zurVerfügung stehen. Ich darf auf die entsprechenden Stellungnahmen der Sachverstän-digen hinweisen. Auch dafür darf ich mich noch einmal bedanken.

Zum Ablauf der Sitzung möchte ich noch ein paar einleitende Hinweise geben. Es istnicht vorgesehen, dass vorweg einleitende mündliche Statements abgegeben werden.Vielmehr steigen wir gleich in die Fragerunden ein. Sie dürfen voraussetzen, dass IhreStellungnahmen gelesen worden sind. Eine Abfrage meinerseits findet nicht statt. Einesolche findet aber im Allgemeinen sehr gründlich in den jeweiligen Ausschüssen statt.

Ich schlage vor, dass wir uns mehrere Runden gönnen. Der Raum ist bis maximal 12Uhr frei. Das heißt aber nicht, dass wir die Zeit bis auf die letzte Sekunde ausschöpfenmüssen. Wir können das aber. Ich darf die Vertreter der einzelnen Fraktionen bitten,Ihre Fragen direkt an die Sachverständigen zu richten. Nach Möglichkeit sollten keinePauschalfragen an alle gerichtet werden. Vielmehr sollte zielgerichtet gefragt werden.Wir starten mit Herrn Tritschler, der sich als Erster gemeldet hatte.

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Ausschuss für Digitalisierung und Innovation (31.) 12.12.2019Wissenschaftsausschuss (41.)Gemeinsame Sitzung (öffentlich)

Sven Werner Tritschler (AfD): Auch von unserer Seite aus vielen Dank für die Stel-lungnahmen. Meine erste Frage geht an alle Sachverständigen. Es klingt immer wiederan, dass die DSGVO bzw. das Datenschutzrecht ein großer Hemmschuh für die KI-Entwicklung in Deutschland sind. Herr Professor Skibicki, der heute nicht anwesendist, sieht sogar einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Datensparsamkeit undKI-Entwicklung. Wie bewerten Sie das? Wie kann man das auflösen oder in Einklangbringen? Muss das Datenschutzrecht reformiert werden?

Meine zweite Frage geht an Herrn Professor Ritter. Sie empfehlen, dass sich Deutsch-land bzw. Europa auf Nischen konzentrieren soll, welche durch die USA und Chinanoch nicht besetzt sind. Können Sie dazu weitere Ausführungen machen? Haben SieIdeen, welche Nischen das sein könnten?

Die dritte Frage richte ich an alle: Was kann man sich – abgesehen von höherem Ka-pitaleinsatz – von anderen Ländern abschauen, um die KI-Entwicklung voranzubrin-gen?

Christina Kampmann (SPD): Wir haben zunächst einmal zwei Fragen an Herrn Hell-wig und zwei an Herrn Professor Ritter. Herr Hellwig, Sie sagen in Ihrer Stellung-nahme, dass Sie Wettbewerbsnachteile im Hinblick auf konkrete Regulierungen be-fürchten. Meinen Sie damit die DSGVO? Können Sie ganz konkret sagen, wo da ausIhrer Sicht das Problem besteht? Wenn Sie nicht die DSGVO meinen, wäre es schön,wenn Sie sagen könnten, wo Sie darüber hinaus möglicherweise noch Regulierungenbefürchten.

Ich komme zu meiner zweiten Frage. Es geht in hohem Maße um die Forschungsfi-nanzierung, darüber hinaus aber auch um das Thema der Finanzierung von KI. DieLandesregierung stellt im nächsten Jahr 18 Millionen Euro dafür bereit. Reicht dasaus? Oder glauben Sie, dass es eines höheren Betrages bedarf?

Die dritte Frage geht an Herr Professor Ritter, der in seiner Stellungnahme, wie ichfinde, ein ganz spannendes Feld aufgemacht haben. Er hat nämlich gesagt, dass ergute Chancen im Bereich von datensparsamem Lernen sehen. Dies sei ein Bereichist, wo es derzeit noch nicht viel Forschung gibt. Es wäre gut, wenn Sie ausführenwürden, was Sie konkret damit meinen bzw. in welche Richtung das geht.

Meine vierte Frage zielt ein wenig in die Richtung der entsprechenden Frage von HerrnTritschler. Sie haben gesagt, dass wir in KI-Teilgebieten die Forschung besser fördernsollten, um besser als andere sein zu können. Wo sollten wir da konkret Akzente set-zen? Geht es dabei vielleicht um das datensparsame Lernen? Oder sehen Sie da nochganz andere Akzente?

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Auch die Grünen danken den Sachverständigen fürderen Stellungnahmen. – Bei meinen Fragen – ich schließe direkt an Frau KolleginKampmann an – beginne ich mit Herrn Professor Ritter. Ich habe Ihre Stellungnahmeso verstanden, dass Sie in Bezug auf eigene Akzente meinen, dass wir in der For-schung bei sehr aufwändigen Verfahren wie Deep Learning einfach nicht mithalten

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können und deshalb eigene Akzente zum Beispiel im Sinne von daten- bzw. ressour-censparendem KI-Lernen setzten sollten. Sind das die eigenen Akzente? Oder ist ge-meint, dass wir trotzdem versuchen sollen, mit denjenigen, die an der Spitze stehen,Schritt zu halten, auch wenn das schwierig sein dürfte?

Professor Sagerer hat in seiner schriftlichen Stellungnahme bemerkt, dass die Lan-desregierung jenseits von KI.NRW bisher zu wenig an Ressourcen bzw. Strukturenbereitstellt, um die Initiativen auf Bundes- und EU-Ebene entsprechend zu begleiten.Was genau fehlt da bisher?

Ich war ein wenig verwundert – vielleicht habe ich es auch falsch verstanden, als ichlas, dass es bisher keine Mittel der Landesregierung für die Erforschung der gesell-schaftlichen Transformationsprozesse, ethischer Fragen und der das Gemeinwohl be-treffende Auswirkungen von KI geben soll. Was würden die Hochschulen dafür ausIhrer Sicht benötigen?

Meine nächste Frage ist noch etwas konkreter. Im Antrag wird gefordert, dass unter-nehmerische Nebentätigkeiten von Lehrenden erleichtert werden sollen. Daranschließt sich letzten Endes immer die Frage an, ob dann nicht Kapazitäten für For-schung und Lehre fehlen, die dann entsprechend kompensiert werden müssten.

Abschließend habe ich noch eine Frage an Professor Wrobel. Sie haben in Ihrer Stel-lungnahme festgestellt, es sei notwendig, in der KI-Forschung mehr Engagement zuzeigen. Um welche Bereiche geht es da genau? Ich schließe an das an, was ich HerrnProfessor Ritter gefragt habe: Wo sind die eigenen Akzente? Was genau sollte NRWverstärken? Sie haben in Ihrer Stellungnahme des Weiteren auch ausgeführt, dass wiruns an den Stärken der KI-Forschung in Nordrhein-Westfalen orientieren sollten. Wel-che Stärken sind das aus Ihrer Sicht?

Florian Braun (CDU): Ich danke den Sachverständigen, dass Sie sich heute die Zeitgenommen haben, um mit uns über den vorliegenden Antrag zu diskutieren. VielenDank auch für Ihre Stellungnahmen. – Meine Fragen stelle ich als Sprecher der CDU-Fraktion für Digitalisierung und Innovation, aber auch als Mitglied des Wissenschafts-ausschusses.

Die erste Frage geht an Herrn Professor Wrobel, der betonte, dass öffentliche Datenauch für die zukünftige Forschung eine wichtige Rolle spielen können. Können Siekonkretisieren, welche Daten wie genau für die Forschung hilfreich sein können? Ichleite – damit gehe ich zur Praxis über – zu Herren Hellwig über und frage ihn, welcheDaten aus dem Bereich der öffentlichen Hand für die praktische Arbeit in einem Unter-nehmen hilfreich sein können. Es geht aber auch darum, welche Daten, die für dieForschung genutzt werden können, von Ihnen zur Verfügung gestellt werden können.

Von mehreren Sachverständigen ist die Frage der Fachkräfte aufgegriffen worden.Herr Hellwig hat in seiner Stellungnahme dazu gesagt, dass er sich eine bessere bzw.aktuellere Ausbildung im chemischen Bereich wünschen würde. An der Stelle habe icheine Frage an Herrn Professor Sagerer. Wie aktuell können – aus Ihrem Blickwinkelgesehen – die Entwicklungen für die Ausbildungen aufgegriffen werden? Was ist da

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schon heute Sachstand? Wie könnte hier ein besserer Austausch zwischen Unterneh-menswelt und Wissenschaftswelt vollzogen werden?

Meine letzte Frage geht an Herrn Professor Wrobel. Herr Skibicki hat in seiner Stel-lungnahme die Vernetzung mit jungen Unternehmen bzw. Start-up-Unternehmen auf-gegriffen. Wo sehen Sie – vielleicht auch aus Sicht von KI.NRW – noch Verbesse-rungs- bzw. Entwicklungspotenzial, um das, was Sie für kleine und mittelständischeUnternehmen an Vernetzung aufbauen wollen, mit den Digital-Hubs bzw. Exzellenz-Start-up-Centern weiter zu vertiefen?

Marcel Hafke (FDP): Auch im Namen der FDP-Fraktion sage ich vielen Dank dafür,dass Sie sich heute die Zeit nehmen, mit uns über dieses, wie ich meine, gesellschaft-lich sehr wichtige Thema zu diskutieren. – Ich möchte in der ersten Fragerunde gernezwei Themenkomplexe aufrufen. Dabei handelt es sich erstens um das Thema „Ethik“.Dazu möchte ich insbesondere die Herren Professoren Wrobel und Sagerer befragen.Im Rahmen der Plattform KI.NRW wird bereits der Aufbau eines Prüfkatalogs vorbe-reitet und diskutiert. Neben der wissenschaftlichen Diskussion, die dort geführt wird,interessiert, ob Sie meinen – wenn ja, in welchem Umfang –, dass gesellschaftlicheDiskussionen dazu stattfinden sollten und welche Rolle wir als Politik da einnehmenkönnen. Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass in der Öffentlichkeit auch negativüber KI gesprochen wird, manchmal aber überhaupt nicht über die Chancen, die sichdahinter verbergen können. Allerdings muss auch über die Risiken gesprochen wer-den. Vielleicht müssen wir im Rahmen eines so großen Transformationsprozesses,den wir durch KI erleben werden, überlegen, ob die Bürgerinnen und Bürger nicht ihreMeinungen mit einbringen sollten.

Zweitens komme ich global auf das Thema „Daten“ zu sprechen, bei dem es um Da-tenrecht, Datenhoheit und Datensicherheit geht. Die verschiedensten Player in der Pri-vatwirtschaft, aber auch im öffentlichen Raum sagen mir, dass wir in Deutschland eingroßes Problem haben, Daten zu nutzen, um Algorithmen zu trainieren. Wenn ich imBereich des Gesundheitswesens unterwegs bin, höre ich Folgendes: Wir haben anden Unikliniken viele richtig gute Datensätze, können oder dürfen die aber nicht ver-wenden. Deshalb greifen wir dann auf internationale Datensätze aus Asien – oder vonsonst woher, zum Beispiel aus Amerika – zurück. Müssen wir diese Daten öffentlichzugänglich machen? Wenn ja, wie? Und wie können wir das auf Grundlage der deut-schen bzw. europäischen Datenschutzgrundsätze machen? Oder müssen wir die ent-sprechend anpassen?

Vorsitzender Thorsten Schick: Wir beginnen mit der Beantwortung der Fragen. Icherteile dazu Herrn Jörg Hellwig von der Lanxess AG das Wort.

Jörg Hellwig (Leiter Group Function Digitale Transformation Lanxess AG Köln):Als Erstes wurde gefragt: In welcher Form limitieren wir uns in Deutschland bzw. inEuropa mit einer Datenschutzverordnung? Ich komme aus der Industrie und bin Digi-tal-Officer bei der Lanxess AG. In der Industrie müssen wir alles pragmatisch sehen.

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Ausschuss für Digitalisierung und Innovation (31.) 12.12.2019Wissenschaftsausschuss (41.)Gemeinsame Sitzung (öffentlich)

Wir haben jetzt ein Gesetz bzw. eine Datenschutzverordnung. Natürlich halten wir unsan die Gesetze. Wir sehen, dass der Wettbewerb von außen wettbewerblich gesehendurchaus Löcher hat, was dazu führt, dass wir nicht gesetzeskonform bzw. entspre-chend den Werten, die wir haben, in den globalen Wettbewerb eingreifen können. Manmuss aufpassen, dass wir die gleichen Richtlinien bzw. die gleichen Anforderungenauch an jemanden stellen, der von draußen nach Deutschland bzw. Europa kommt,um mit uns in Wettbewerb zu treten.

Wir haben zum Beispiel bei Lanxess eine digitale Plattform namens CheMondis ge-baut. Das ist eine von Lanxess unabhängige Plattform für die chemische Industrie. Wirhaben es in einem Jahr geschafft, diese Plattform zur größten und am schnellstenwachsenden digitalen Plattform für die chemische Industrie in der westlichen Welt zumachen. Damit will ich sagen: Wir in Deutschland kriegen etwas hin. Wir hätten unsauch weiter in die Ecke stellen und sagen können: Wir warten auf die Amazons undAlibabas. Dann könnten wir anschließend sagen: Wir haben es gewusst, dass die unsjetzt auch wieder mit so etwas platt machen. Es ist jedoch so, dass wir ein wahnsinni-ges „domain knowledge“ in diesem Land – insbesondere in Nordrhein-Westfalen – ha-ben. Wir reden über die chemische Industrie, die hier erfunden wurde. Dieses „domainknowledge“ nutzen wir. Wir nutzen das auch, indem wir digitale Technologien einset-zen, die wir nicht selbst erfunden haben, wo wir aber einfach über den Schatten sprin-gen und sagen: Dann verbinden wir doch beides, nämlich die wahnsinnige Kenntnisund Fähigkeit, die wir in diesem Land haben, mit Technologien, die vielleicht woandersentwickelt bzw. weiterentwickelt worden sind, wo aber auch die Forschung nachzieht.Ich glaube, dass uns die Kombination zwischen Industrie, Forschung und Lehre viel-leicht – hoffentlich! – in die Lage versetzen wird, die fünf oder zehn Jahre, die wir beiall diesen digitalen Dingen zurückliegen, aufzuholen.

Die Antwort auf die Datenschutzverordnungsfrage lautet: Wir halten uns an die Ge-setze. Stellen Sie aber auch sicher, dass sich diejenigen, die in unserem Land Ge-schäfte betreiben und mit uns im Wettbewerb stehen, genauso an diese Gesetze hal-ten. Das sollte auch exekutiert werden. Man sollte nicht immer nur darüber sprechen.

Prof. Dr. Helge Ritter (Uni Bielefeld): Ausgangspunkt einiger Fragen war die Daten-schutzgrundverordnung. In der Tat ist es so, dass sie den Handelnden in Europa imBereich maschinellen Lernens stärkere Fesseln anlegt als – nehmen wir einmal denGegenpol – China. Die USA liegen irgendwo dazwischen. Man muss sich klarmachen,dass man Daten differenzieren muss. Ein großer Teil der stringenten Regelungen be-trifft personenbezogene Daten. Hier besteht der größte Unterschied zu den Wettbe-werbern. Es wäre heikel, mit personenbezogenen Daten so umzugehen, wie es bei-spielsweise in China geschieht. Das käme bei uns nicht in Frage. Ich glaube, wir kön-nen nicht anstreben, ein gleichartiges Modell zu fahren.

Man muss aber einräumen, dass es beispielsweise im Bereich von Fähigkeiten aufdem Gebiet der Gesichtserkennung – und was man daraus schließen kann – in ChinaWettbewerbsvorteile gibt, die nicht ohne Weiteres auszuräumen sind. Auf der anderen

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Seite ist zu erwarten, dass diese Produkte, wenn zum Beispiel Fähigkeiten wie Ge-sichtserkennung in neuronale Netze hinreichend gut eingelernt sind, als Funktionsmo-dule verfügbar sind. Auch ist zu erwarten, dass der Preis dieser Produkte so verfallenwird, dass das kein entscheidender Wettbewerbsfaktor mehr sein wird. Ich glaube,dass es vielleicht ein ungünstiger Anstellwinkel wäre, mit der Konkurrenz, die sehrstark davon lebt, dass sie mit personenbezogenen Daten sehr freizügig umgeht, aufdiesen Gebieten mithalten zu wollen. Man müsste jedenfalls überlegen, was da realis-tisch ist.

Nicht alle Daten sind aber personenbezogen. Man braucht auch nicht bei allen Artenmaschinellen Lernens umfassende Datensätze. Ich will erst einmal auf andere Dateneingehen. Sie haben bereits industriebezogene Daten – zum Beispiel Prozessdaten –ins Blickfeld gerückt. Solche Daten in großem Umfang zu sammeln bzw. zusammen-zuführen, ist – jedenfalls aus Sicht der Bevölkerung – weit weniger heikel. Heikel ist eshier auch bei den innerhalb Europas in Wettbewerb stehenden Firmen. Die müssensich Modelle der Datenzusammenführung bzw. des Datenteilens – zum Beispiel künf-tig bei den autonomen Fahrzeugen – überlegen, die für sie wirtschaftlich Sinn machenund trotzdem die Skalierungsvorteile, die durch die Datenzusammenführung gelingen,sichern. Das ist ein sehr großer Anteil der Daten. Da können wir ohne Weiteres aufAugenhöhe mit den USA und mit China – wo damit sehr viel Geld umgesetzt wird –konkurrenzfähig sein.

Personenbezogene Daten sind eine Domäne, wo die Nutzer eigentlich sehr stark rea-gieren können. Wir alle sind in unterschiedlichem Maße in die Konsequenzen einge-dacht, welche unterschiedliche Umgangs-Stile mit personenbezogenen Daten mit sichbringen. Ich glaube, dass sich dieses Eingedachtsein verstärken wird. Es wird in freienGesellschaften stärkere Konsequenzen haben als in weniger freien. Ich würde sagen,dass Technologien, die es schaffen, dass beim Umgang mit Daten nicht gegen Daten-schutzgrundverordnungs-Prinzipien verstoßen wird, und trotzdem Lösungen erzielen,gerade dadurch Wettbewerbsvorteile haben werden. Da haben wir gewissermaßen dieChance, durch Komplementarität Wettbewerbsvorteile auch auf globalen Märkten zuerlangen. Das ist etwas, was wir als ein Gütesiegel im Auge behalten sollten, nämlichdie Datenschutzgrundverordnung und damit kompatible Technologien.

Der zweite Punkt betrifft das datensparsame Lernen. Das ist in dem Maße damit ver-knüpft, in dem es gelingt, mit kleineren Datenmengen zu lernen. Damit hat man dieProblematik ein Stück weit umschifft. Das ist ein spannendes Forschungsthema.Schauen wir einmal, wie menschliches Lernen stattfindet, etwa wenn wir unsere Mut-tersprache lernen oder im Alltag die Fähigkeit erlernen, etwas in den Händen zu be-wegen. Das lernen wir vergleichsweise schnell, manchmal sogar überraschendschnell. Die auf der heutigen KI-Technologie bzw. auf dem Standard „Deep Learning“basierenden Ansätze – dabei geht es beispielsweise darum zu lernen, einen Würfel inden Händen zu bewegen – basieren im Augenblick auf Simulationen dieses Vorgangs.Die Interaktionszeit, in welcher das System lernen muss, den Würfel zu bewegen. liegtim Bereich von einigen Tausend Jahren. Dies ist also einige Größenordnungen weitvon dem entfernt, was wir können. Wir sehen also sehr deutlich, dass wir entschei-dende Dinge noch nicht richtig verstehen. Wenn wir diese Dinge besser verstehen,

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werden wir effizienter mit Daten umgehen können. Das könnte dann einige Stundenoder einige Tage dauern. Ein Kind, das eine neue Bewegung lernt, trainiert vielleichtauch einmal einige Wochen lang. Das könnte aber, wie gesagt, in wesentlich kürzerenZeiträumen geschehen, wodurch viele Probleme gelöst werden könnten.

Dafür ist aber noch Grundlagenforschung insbesondere im Schulterschluss mit denNeurowissenschaften notwendig, die sich damit beschäftigen, wie das menschlicheGehirn tatsächlich lernt. Dabei können interessante Einblicke erlangt werden, wie mehrEffizienz auch in Algorithmen geleistet werden kann. Das ist etwas, was die großenFirmen wie Google und Facebook durchaus im Blick haben, geschieht aber in wenigerstarkem Maße, denn sie machen in vielerlei Hinsicht etwas, was man Skalierungsfor-schung nennen könnte. Dabei geht es darum, herauszufinden, wie weit man kommt,wenn man den Standardansatz „Deep Learning“ – er ist technisch gar nicht so schwie-rig zu handhaben – immer weiter ausweitet und weitere Tausend Jahre lernt. Das mitdem jahrtausendelangen Lernen bekommt man dadurch in den Griff, dass man Zig-tausende CPUs gleichzeitig lernen lässt. Dadurch kann das innerhalb von Monatengemacht werden. Es geht dabei auch ein Stück weit um Wettbewerbsfähigkeit. Aufdiesem Sektor können eigentlich nur Industrieunternehmen mithalten. Denn wenn mansolche Lerndurchläufe durchführt, geht es allein bei der Rechenzeit um eine Investitionvon Millionen von Euro für ein Experiment.

Die Hochenergiephysik hat das Problem gelöst. Wenn im CERN ein Experiment vor-bereitet wird, kostet das ähnlich viel. Hier ist eine Großforschung entstanden, die vonKünstlicher Intelligenz – jedenfalls in Europa – noch nicht erreicht wird. Einrichtungenwie OpenAI oder DeepMind, welche von finanzstarken US-amerikanischen Investorengetragen werden, behandeln dieses weltwichtige Thema im Rahmen eines Großfor-schungsformats. In China entsteht ein Großforschungsformat auf Top-down-Wege.Hier gibt es meines Erachtens für uns in Europa eine Herausforderung, nämlich die inder Physik überaus erfolgreiche Figur der Großforschungseinrichtungen, die ressour-censtark bündeln, anzuwenden. Dabei geht es darum zu schauen, was die richtigenGegenstücke im Bereich der Künstlichen Intelligenz sein können. Auch die Frage, wieman das ansiedeln kann, ist dabei zu berücksichtigen. Das zu verteilen ist zum Teilauch leichter, als wenn man einen Beschleuniger bauen muss. Den kann man nichtbeliebig verteilt in einem Land anordnen. Mit Rechenzentren dagegen geht das. Wennes darum geht, die Konkurrenzfähigkeit aufrechtzuerhalten, wäre es wichtig, in dieserRichtung weiterzudenken.

Ich mache einen Schlenker zurück zu den menschbezogenen Daten. Da gibt es denwichtigen Zwischenbereich der gesundheitsrelevanten Daten bzw. der Medizindaten.Man kann in diesem Bereich Probleme oft damit lösen, dass man gut anonymisiert. Ichnenne nur ein Beispiel: Heutzutage steht das weltbeste Diagnosesystem auch im Wett-bewerb mit den Menschen. Bei Hautkrebs gibt es ein künstliches KI-System, das aufdiesem vergleichsweise einfachen Deep-Learning-Ansatz basiert. Es gibt aber auchMillionen von Bildern, die von Ärzten annotiert worden sind. Dabei geht es um dieFrage, ob etwas gutartig oder bösartig ist. Damit werden bessere Klassifikationsleis-tungen erreicht, als sie jeder Experte hervorbringen kann. Dazu braucht das Systemnur die Bilder und die Diagnose. Von wem diese Bilder stammen, ist völlig irrelevant.

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Man könnte das System noch weiter verbessern, wenn man im Sinne von Längs-schnittstudien an den betroffenen Personen die weitere Entwicklung noch rückwirkendin das Training einfließen lassen würde. In Bezug darauf sind aber auch noch Wegeüber Anonymisierung vorstellbar. Es gibt also eine Anzahl von Wegen, um aus derProblematik herauszukommen. Das geht über Anonymisierung, aber auch überGrundlagenforschung im Bereich dateneffizienteren Lernens.

Prof. Dr. Gerhard Sagerer (Landesrektorenkonferenz der Universitäten in NRW,c/o Bergische Universität Wuppertal): Ich komme selber aus diesem Gebiet. DieBegriffe, die heute fast synonym verwendet werden – Künstliche Intelligenz und Ma-chine Learning –, betreffen zwei unterschiedliche Themen. Ich kann Künstliche Intelli-genz im Extremfall auch per Design machen, ohne dass große Datenmengen verwen-det werden. Das ist einfach. Wenn Sie sich klassische KI ansehen, sehen Sie, dassdas komplett gefehlt hat.

Ich komme zur Frage bezüglich der gesellschaftlichen Transformation. Wir haben ge-sagt, dass man das von Anfang an mitdenken soll. Meine Erfahrung ist: Wenn hinter-her ein Reparaturbetrieb einsetzt bzw. wenn man hinterher über soziale oder rechtlicheFolgen diskutiert, ist das schlecht. Diese Prozesse sollten von Anfang an mitgedachtwerden. Da passiert einiges. Einiges ist aber auch versäumt worden. Es hat langegedauert, bis sich die Rechtswissenschaft mit Digitalisierungsfragen bzw. mit autono-mem Fahren beschäftigt hat. Ebenso gilt das für die Soziologie. Jetzt kommen die„Digital Humanities“ auf. Die Prozesse müssen begleitet werden. Wir haben zum Bei-spiel im Rahmen eines Projektes zur Arbeit 4.0 in Bielefeld Gewerkschaften mit einbe-zogen. Da muss man eine Homogenisierung hinbekommen.

Ich komme zur unternehmerischen Tätigkeit. Wenn man mit Unternehmen spricht –ich rede jetzt nicht über ein klassisches Start-up, sondern von gestandenen Familien-unternehmen, wie wir sie in unserer Region kennen –, fordern sie geradezu, dass sichKolleginnen und Kollegen in diese Szenerie hineinbegeben. Dabei geht es um so ge-nannte Deep-Tech-Firmen, nicht um irgendwelche Ausgründungen oder Start-ups. Daist immer eine Balance herzustellen, und es ist zu fragen: Wie verhält es sich mit For-schung und Lehre, wenn Professorinnen bzw. Professoren das machen?

Sie haben – da haben wir generell einen Mangel – die Frage der Fachkräfte angespro-chen. Wo bekommt man diese her? Ich bin seit 40 Jahren auf diesem Feld tätig. DerHype der letzten zwei Jahre beruht auf der Grundlage, dass wir an den Universitätenschon ausgebildet haben, als es noch nicht modisch war. Sonst würde die Situationjetzt noch ganz anders sein.

Inwieweit helfen da Projekte? Wenn man auf längerfristige Strukturen setzt, helfenProjekte relativ wenig. Mit Projekten entzieht man im Endeffekt Kapazitäten bei einzel-nen Kolleginnen und Kollegen. Im Hinblick darauf, dass ein Bundesland Mittel bereit-stellen will, ist festzustellen, dass Universitäten oder Hochschulen im Allgemeinen nurungern irgendetwas wieder abgeben. Man kann aber temporär arbeiten, indem zum

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Beispiel Arbeitsgruppen-Professuren geschaffen werden, die lediglich bis zur Pensio-nierung der Stelleninhaberin oder des Stelleninhabers besetzt sind. Das kann dannwieder an das Land zurückfallen. Da ließen sich Möglichkeiten denken.

Sie haben Chemie angesprochen. Das, was Sie dazu ausgeführt haben, gilt für vieleandere Bereiche, auch für den Maschinenbau und die Elektrotechnik. Wo sollen wirdie entsprechenden KI-Leute herbekommen? Die gibt es momentan schlicht und er-greifend nicht. In Bielefeld kann man zumindest Informatik mit einem Nebenfach stu-dieren. Da kann man sich auf KI und Chemie oder auf KI und irgendein anderes Fachkonzentrieren. Das ist mit dem Bachelor-Master-System bzw. mit dem Major-Minor-Modell sehr gut machbar.

Ich komme zu den Datenschutzfragen in Bezug auf die Gesellschaft. Das sehe icheher als eine Chance. Wir erleben es gerade bei der Cloud-Technologie. Immer mehrLeute legen Wert darauf, dass der Server in Europa – und nicht in den USA, ge-schweige denn in China – steht. Das ist auch eine Chance. Schauen Sie sich neueApple-Geräte an. Die haben Bereiche, welche die Firma – im Gegensatz zu den chi-nesischen Firmen – nicht einsehen kann. Im Endeffekt wird auch das ein Markt wer-den, sparsam mit Daten umzugehen und dem Nutzer eine Sicherheit zu geben, dassseine Daten nicht durch die Welt geistern.

Wir denken auch daran, derartige KI-Systeme – nicht Machine-Learning – in intimereBereiche hineinzubringen. Denken Sie an Pflegeunterstützung. Da sitzt vielleicht solchein System irgendwann im Badezimmer. Es geht also um die lokale Verarbeitung bzw.die lokale Intelligenz. Amazon dagegen pustet erst einmal in die Wolken und rechnetdann weiter. Das ist auch eine Chance für Europa. Wir werden da – gerade wenn mansich die demografische Entwicklung ansieht – auch etwas tun müssen.

Ich komme zum Bereich der Medizin. Die Medizin war – ich kann das nicht andersausdrücken – lange digitalisierungsfeindlich. Ich habe 1985 mit einem medizinischenThema promoviert. Es gibt wenige Disziplinen in der Wissenschaft, die so hierarchischorganisiert und so stark von einzelnen Instituten geprägt sind wie die Medizin. Da ließesich vieles machen, nicht nur das Anonymisieren von Daten. Man könnte auch dazukommen, überhaupt Daten aus verschiedenen Institutionen zu kombinieren, um sie ineinem vernünftigen Datenbereich zusammenzufügen. Da ist also unter Berücksichti-gung des Datenschutzes einiges machbar. Ich sehe den Datenschutz, wenn ich dasalles zusammenfasse, nicht als Nachteil, sondern als Chance für eine hochqualitativeKI, welche Machine Learning im Sinne des Verwendens von sparsamen Daten nutzt.

Prof. Dr. Stefan Wrobel (KI.NRW, Bonn): Ich stimme den Vorrednern zunächst ein-mal zu. Sie haben ausgezeichnete Analysen vorgetragen, denen ich mich anschließenmöchte. Ich will aber noch einige Punkte hinzufügen, die als Ergänzung sinnvoll seinkönnten.

Einige Mitglieder des Ausschusses haben sich Gedanken darüber gemacht, wie sichdie Positionierung Nordrhein-Westfalens – vielleicht auch Deutschlands oder Europas –in Bezug auf die Künstliche Intelligenz darstellt: Haben wir überhaupt noch eine

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Chance, hier aktiv zu werden? Oder müssen wir uns darauf beschränken, unsere Zu-kunft in bestimmten Nischen zu suchen? Ich möchte sehr deutlich sagen, dass ichnicht erkennen kann, dass wir abgehängt sind. Die Statistiken, die erhoben werdenkönnen – wir haben das auch zum Zwecke der Auswertung der KI-Strategie der Bun-desregierung getan –, zeigen, dass insbesondere dann, wenn auf die Landesgrößenormalisiert wird, Deutschland bei Forschungsaktivitäten immer unter den Top 3 liegt.

Wir haben also in der Forschung – das kann man auch auf NRW beziehen; viele derKapazitäten, welche die NRW-KI-Forschung mit prägen, sitzen hier am Tisch – eineausgezeichnete Basis an erfreulicherweise vielen Standorten. Es gibt hier nicht nureinen oder einige wenige Standorte, sondern es sind viele Standorte, an denen Top-forschung stattfindet. Man sieht auch die Erfolge.

Ich nenne ein paar Beispiele, wo NRW meiner Einschätzung nach herausragt. Gene-rell geht es dabei um den Bereich „Interaktion mit dem Nutzer bzw. dem Menschen“.Wir haben hier Schwerpunkte gesetzt. Die entsprechenden Arbeiten kennen Sie bes-tens, weil Sie sie selbst durchführen. Ein weiteres Beispiel ist die Sprachverarbeitung.Auf der Hannover-Messe haben wir gesehen, dass aus Nordrhein-Westfalen ein Sys-tem kommt, das genauso wie die Systeme der großen Anbieter Dialoge führen kann.Da kann man Fragen stellen. Die Fähigkeiten bei der Sprachverarbeitung – das istempirisch nachweisbar – liegen teilweise um 20 % über dem, was große internationaleWettbewerber machen.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein Unternehmen, welches – Sie alle kennen das –maschinelle Übersetzungen anbietet. Diese Übersetzungen sind – dabei geht es umden „Spiegel“, die „Zeit“ usw. – mehrfach getestet worden. Sie liegen von ihrer Qualitäther vor dem, was internationale Wettbewerber machen. Das sind klare Beispiele dafür,dass man nicht sagen kann, wir seien abgehängt. Auch kann man nicht sagen: Wennwir nicht alles so machen wie die großen internationalen Unternehmen, können wirnicht wettbewerbsfähig sein. Sie dürfen darauf vertrauen, dass diese maschinellenÜbersetzungen unter Einhaltung der Regularien bzw. Regeln entstanden sind, die wirhier in Deutschland und Europa haben. Das wird auch weiterhin berücksichtigt. Wirsind da absolut wettbewerbsfähig.

Schauen Sie sich den Bereich der Robotik an. Auch er ist eine klassische Stärke Nord-rhein-Westfalens. Ich will hier gar nicht all die entsprechenden Orte aufzählen, sondernnur sagen: Gehen Sie einmal auf die Webseiten der RoboCup-Weltmeisterschaft undschauen Sie, wie viele Weltmeistertitel gegen die Stanfords, MITs und Tsing-Hua-Uni-versities der Welt aus Deutschland heraus gewonnen worden sind. Allein an meinemStandort Bonn-Sankt Augustin waren das in den letzten zehn Jahren ungefähr 12 von20 in den relevanten Disziplinen. Das alles ist High-Tech. Es handelt sich dabei zumBeispiel um Roboter, die Patienten pflegen, Fußball spielen, ein Bier aus dem Schrankholen und Wäsche falten. All solche Dinge entstehen hier in NRW und stellen unsereklassischen Stärken dar. Wir haben mit RapidMinder eine Software aus Dortmund, dieWeltmarktführer im Bereich von Toolsets für maschinelles Lernen ist. Sie ist gerade

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erst wieder prämiiert worden. Wir haben mit dem International Data Spail aus Dort-mund und Sankt Augustin die Datenbasis für KI hier in NRW. Und so weiter, und sofort.

Das heißt, dass die Ausgangsbasis gut ist. Jetzt muss ich einen „full stop“ machen undsagen: Dies bedeutet aber nicht, dass wir uns ausruhen dürfen. Denn andere – daswissen Sie auch, und deswegen machen wir uns Gedanken und Sorgen – sind extremaktiv. Sie müssen das auch sein. Bestimmte asiatische Regionen haben Aufholbedarfbei bestimmten Technologien. Sie müssen mehr investieren; aber sie sind in Bewe-gung. Daher müssen auch wir, basierend auf unserer guten Ausgangsposition, extremin Bewegung bleiben bzw. weiter investieren.

Die Frage lautete: Reicht das schon, was die Landesregierung macht? Auf die Frage –das ist klar – kann man nie eine absolute Antwort geben, denn es handelt sich um eineGüterabwägung. Es gibt viele andere Themen außerhalb der Künstlichen Intelligenz,die auf der Welt wichtig sind. Dennoch sage ich, dass wir einen guten Start hingelegthaben. Wir müssen aber dranbleiben. Die Vorredner haben schon einige Plädoyers inBezug darauf gehalten, wo wir hier noch etwas tun können. Dem kann ich nur bei-pflichten. Es ist wichtig, hier die Nachhaltigkeit zu sichern. Es sollte keine kurzfristigeFörderung geben, die wie ein Strohfeuer schnell wieder verglüht. Vielmehr geht es umdas, was beispielsweise Herr Sagerer festgestellt hat, nämlich um eine dauerhafteEtablierung. Sie wissen, dass wir mit dem Bund über die Verstetigung des Spitzen-kompetenzzentrums im Gespräch sind. Solche Dinge müssen dauerhaft durchgeführtwerden, denn wir brauchen auch all die Dinge rund um die Ausbildung.

Ich glaube nicht, dass wir im engeren Sinne Nischen suchen müssen, weil wir sonstnicht mehr konkurrenzfähig wären. Dennoch gibt es Themen, die wir angehen müssen.Dazu haben Sie einige Fragen beispielsweise zum datensparsamen Lernen gestellt.Herr Ritter hat das hier schon ausgezeichnet erläutert. Des Weiteren wurden Fragenzum Standort und auch zur Ethik gestellt, die sich letzten Endes im Zusammenhangmit KI stellen. Interessanterweise hängt das alles zusammen. Ich fasse es unter demSchlagwort „hybrides Lernen“ oder „wissensintensive künstliche Intelligenz“ zusam-men. Das, was du, Helge, erwähnt hast, ist, glaube ich, eine ähnliche Sache.

Warum sind diese Dinge so wichtig? In Nordrhein-Westfalen gibt es eine sehr starkmittelständisch geprägte Wirtschaft. Es gibt hier große Mittelstandsfirmen. Die Wirt-schaft NRWs sitzt nicht nur in Düsseldorf und Köln oder in anderen großen Städten,sondern sie ist vielmehr auf die Fläche verteilt, wo es sehr viele Hidden Championsgibt. Vonseiten Fraunhofers können wir Dutzende oder Hunderte von Projekten nen-nen, die wir dort erfolgreich durchgeführt haben. Dort findet man – nicht aus Gründendes Datenschutzes, sondern situationsbedingt – relativ wenig Daten vor. Es ist ganznormal, dass man über die Maschine, die man steuert, 1.000, 5.000 oder 10.000 Da-tenpunkte hat. In diesen Prozess muss man Wissen einbringen. Nur mit Wissen sindauch die Erfolge möglich, die es beispielsweise bei der maschinellen Übersetzungbzw. bei Sprachsystemen gegeben hat. Wie können wir so schnell wettbewerbsfähigwerden, obwohl wir nicht Google sind? Das können wir, indem wir dieses Wissen ein-bauen. Das geschieht mit datensparsamem bzw. hybridem Lernen. Damit kann man

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für die genannten Unternehmen auch etwas tun. Das ist aus folgendem Grunde wich-tig: Jetzt kommen fünf KI-Jahre, die anders sind als die bisherigen. Ich hoffe, dassIhnen auch das bewusst ist.

Wir haben einen gigantischen KI-Hype erlebt, bei dem uns die Welt glauben machenwollte, dass jede und jeder mit dem Download von entsprechenden Deep-Learning-Algorithmen und genügend Daten quasi alles lernen kann. Ich kann Ihnen sagen, dassich viele Gespräche mit Unternehmen sowie Forscherkolleginnen und Kollegen führe,die damit auf die Nase gefallen sind. Jetzt kommt das Zeitalter der verlässlichen undabgesicherten künstlichen Intelligenz. Das ist nicht nur so, weil wir das als Gesellschaftverlangen, sondern weil wir auch als Unternehmen dafür sorgen müssen, dass dieDinge, die wir einsetzen, funktionieren.

Es ist nicht so, dass man einfach etwas laufen lassen kann, obwohl man keine Ahnunghat. Dann sagt man: Oh, das funktioniert ja. Das geht oft ein paar Wochen lang so. Esgibt aber Leute, die mir gesagt haben: Wir haben erst nach sechs Monaten gemerkt,dass das in Bezug auf die Fälle, die wirklich wichtig sind, nicht funktioniert. Das heißt,dass all die Themen, die hier bereits von den anderen Kolleginnen und Kollegen an-geführt wurden, zukünftig wichtig sein werden. In die investieren wir auch in Bezug aufdas Thema „Künstliche Intelligenz“; und da gibt es große Erfolge.

Welche Bedeutung haben Daten? Darauf bin ich schon mit dem Erwähnen des Punk-tes „hybrides Lernen, hybride künstliche Intelligenz“ eingegangen. Die Bedeutung derDaten ist einerseits gigantisch. Andererseits ist sie aber auch – ich habe schon einigeBeispiele genannt – in Bezug auf bestimmte Kontexte durchaus zu relativieren. Wirkönnen konkurrenzfähige Sprachsysteme bauen, obwohl wir nicht die Daten von Milli-arden von Internetnutzern mitprotokolliert haben. Auch können wir diese Robotik-Dinge machen. All das können wir.

Ich habe dafür plädiert, dass öffentliche Daten stärker zur Verfügung stehen sollten.Das will ich weiter ausführen. Wir haben mittlerweile andere technische und regulato-rische Möglichkeiten, mit Daten umzugehen. Das ist, glaube ich, auch für die politischeWeichenstellung wichtig. Heute geht es nicht mehr darum, alles öffentlich zu machenoder nichts zu nutzen. Wir haben in Deutschland „Gaja X“ bzw. den großen Vorschlagauch des Bundeswirtschaftsministeriums, mit dem auf Arbeiten aus Nordrhein-West-falen zum International Data Spaces aufgesetzt werden soll. Da haben sich 105 Un-ternehmen bereits überlegt, wie man Daten teilen kann. Sie tun das in einer kontrol-lierten und souveränen Art und Weise.

Das eröffnet uns politisch die Möglichkeit, Daten – auch öffentliche Daten – zur Verfü-gung zu stellen. Ich würde dazu sämtliche Behörden und öffentlichen Stellen einladen.Es sollte aber nicht so sein, dass diese Daten für die ganze Welt unkontrollierbar undnicht nachvollziehbar zur Verfügung stehen. Vielmehr sollten sie für bestimmte Zweckeeingesetzt werden können. Das ist eine interessante wettbewerbspolitische Maß-nahme. Wir beobachten, dass sich Märkte, wenn Daten öffentlich sind, teilweise an-ders entwickeln, als wir das wollen. Nehmen Sie beispielsweise Mobilitätsdaten. Wogibt es zurzeit die besten ÖPNV-Daten über Nordrhein-Westfalen? Ich weiß nicht, ob

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Sie die Frage beantworten können. Es gibt sie nicht über die Apps der Verkehrsver-bünde. Vielmehr handelt es sich um eine große App, die Sie auf jedem Smartphonefinden können. Sie kommt aus dem Silicon Valley, wo man die besten Daten hat.

Folglich wird es beispielsweise für die medizinische Forschung sehr wichtig sein, dasswir Daten nicht einfach in das Web stellen, wo irgendwer sie irgendwo nutzen kann.Vielmehr sollten sie den Forscherinnen und Forschern bzw. den Unternehmern zurVerfügung gestellt werden, die damit sinnvolle Dinge tun werden. Das wäre an derStelle wichtig.

Sie hatten die Frage gestellt, was die Rolle der Politik in Bezug auf Künstliche Intelli-genz ist. Künstliche Intelligenz schafft Optionen. Wir können heute die Gesellschaftbzw. die Wirtschaft auf ganz andere Weise gestalten, als wir es vorher konnten. Dasist so, weil KI eine ungeahnte Individualisierung möglich macht. Wir können heute eineVersicherung auf das einzelne Individuum bezogen personalisieren. Auch medizini-sche Behandlung kann auf die einzelne Person bezogen personalisiert werden. DesWeiteren können politische Prozesse anders organisiert werden. KI, die Wissenschaftund wahrscheinlich auch die Wirtschaft können wahrscheinlich nicht die Frage beant-worten: Was wollen wir denn eigentlich? Diese Debatte findet, denke ich, in den Par-lamenten und den Parteien – also in der Öffentlichkeit – statt. Das wollen wir vonKI.NRW mit vielen Veranstaltungen unterstützen. Letztlich ist das aber eine politischeDebatte.

Vorsitzender Thorsten Schick: Wir treten deswegen nun in eine zweite politischeFragerunde ein. Herr Hafke hat sich als Erster gemeldet.

Marcel Hafke (FDP): Ich möchte da weitermachen, wo Herr Professor Wrobel aufge-hört hat, und konkret nachfragen. Sie haben zum Schluss gesagt, dass öffentliche Da-ten – ich nehme das Beispiel Gesundheitswesen und Universitätskliniken – Forschernzur Verfügung gestellt werden sollten. Da bin ich ganz Ihrer Meinung, will aber trotz-dem den Blickwinkel ein wenig auf die privaten Unternehmen richten. Denn die großeKernfrage ist – das haben Sie sowohl in Ihrem Statement als auch in Ihrem Redebei-trag ausgeführt –, wie die Schnittstelle zwischen Forschung und Anwendung aussieht.

Obwohl wir in der Wissenschaft – das beschreiben Sie selber – allesamt eigentlichsehr gut dastehen, muss ich als Bürger und Politiker feststellen, dass wir in der Weltbei gewissen unternehmerischen Prozessen – wenn es um das Geldverdienen bzw.darum geht, PS auf die Straße zu bringen – nicht mehr richtig mithalten können. InBezug darauf, dass wir die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sind, stelle ich fest,dass gewisse Technologien bei uns nicht genutzt oder auf die Straße gebracht werden,so dass sie in Amerika oder China passieren. Deswegen stelle ich die Frage: Reichtes, dass wir das nur der Wissenschaft zur Verfügung stellen?

Professor Ritter hat gerade über die Anonymisierung von Daten gesprochen. Die ent-sprechende Frage geht auch an Sie: Warum machen die Universitätskliniken dasnicht? Warum sagen mir private Unternehmen, die im Bereich Gesundheitswesen for-schen und entwickeln und KI auf den Markt bringen wollen, dass sie Daten aus Asien

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und den Vereinigten Staaten nehmen müssen, weil diese da zugänglich sind. Wir ha-ben einen enormen Datenmarkt zur Verfügung, nutzen ihn aber nicht. Damit bringenwir die eigene Wirtschaft in die Verlegenheit, dass sie ins Ausland gehen muss, umdort Geld zu verdienen. Für mich ist das, wenn es um die Wohlstandssicherung inunserem Land geht, ein großes Problem. Ich würde mich freuen, wenn Sie dazu Stel-lung nehmen würden.

Ich habe an diejenigen, die sich berufen fühlen zu antworten – auf jeden Fall betrifftdas Herrn Professor Ritter –, eine Frage in Bezug auf Datensparsamkeit. Dem Grundenach verstehe ich das und kann mir auch vorstellen, dass dies – so, wie Sie das be-schrieben haben – eine Marktlücke ist. Auf der anderen Seite möchte ich das anhanddes Beispiels eines Kindes beschreiben: Ein Mensch braucht 14 Jahre bis er lernt,fehlerfrei zu laufen, weil er nur – ich drücke das einmal in der Datensprache aus – einegewisse Datenmenge zur Verfügung hat. Er macht viele Fehler und muss über ent-sprechende Prozesse lernen. Roboter aber könnten das in kürzerer Zeit hinbekom-men. Wenn es aber bei uns wegen der Datensparsamkeit sehr lange dauert, frage ichmich ernsthaft, ob wir die Zeit haben abzuwarten. Die Frage ist, ob wir auf der Weltdann noch mithalten können. Ich glaube, dass die Entwicklung um uns herum so dra-matisch sein wird, dass wir nicht die Zeit haben, bis die Technik so weit ist, aus weni-gen Daten die gleichen Erfolge zu erzielen, wie es heutzutage mit vielen Daten möglichist. Insofern ist zu fragen: Können wir uns das überhaupt erlauben? Müssten wir dortnicht einen anderen Weg gehen?

Florian Braun (CDU): Herr Professor Wrobel, habe ich es richtig verstanden, dassSie gesagt haben, dass wir als Politik durchaus dazu übergehen sollten, Open Datazu fordern und zu fördern – „Open“ aber nur eingeschränkt, nämlich für deutsche Un-ternehmen bzw. deutsche Forschung? Das habe ich, überspitzt formuliert, so heraus-gehört.

Dann haben Sie das Thema einer vertrauenswürdigen, belastbaren KI angesprochen.Auch das ist ein Projekt, was Sie als KI.NRW zurzeit voranbringen. Können Sie aus-führen, wie die diesbezügliche Debatte in Europa bzw. international geführt wird? Kannman sich auf Standards verständigen? Ist das in dem Bereich überhaupt vorstellbar?

Herr Professor Ritter sprach davon, dass die ressourcenstarke Forschung zwangsläu-fig insbesondere durch Großunternehmen finanziert wird, die dort als Investoren auf-treten. Die Frage lautet, ob man da überhaupt noch durch Kooperation mithalten kann.Jetzt ist zumindest angedacht, verstärkt Kooperationen zwischen Deutschland undFrankreich durchzuführen. Sehen Sie darin eine Chance? Oder ist das auch noch zuklein gedacht? Wie könnte man das politisch noch weiter unterstützen?

Ich komme zum Gedanken der Datensparsamkeit. Das Thema halte ich für sehr span-nend. Bei Ihnen habe ich ein wenig herausgehört, dass Sie das als Grundlagenfor-schung verstehen. Ich habe gerade eben das Beispiel eines Kölner Unternehmensgehört, wo vielleicht schon in ähnlicher Richtung vorangegangen wird. Können Sie dasnoch einmal erläutern? Über welche Zeiträume sprechen wir da aus Ihrer Sicht? Istdas ein Punkt, um auch kurzfristig international wettbewerbsfähig zu sein? Oder sind

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das eher kleine Projekte? Wenn wir mit den großen Playern global mithalten wollen,ist das spannend. Bei der aktuellen Wettbewerbslage ist es aber nicht unbedingt dernächste Schritt.

Christina Kampmann (SPD): Ich möchte gerne an die Frage von Herrn Hafke in Be-zug auf die Anonymisierung der Daten anknüpfen. Herr Professor Ritter, Sie habengerade gesagt, dass gerade im medizinischen Bereich verstärkt von dieser MöglichkeitGebrauch gemacht werden kann. Gleichzeitig sagen mir Menschen, die aus techni-scher Sicht eine Ahnung davon haben, dass man das gerade in sensiblen Bereichenwie zum Beispiel dem Gesundheitsbereich als problematisch ansehen muss, weil im-mer eine Re-Identifikation möglich ist. Können Sie dazu aus technischer Sicht eineEinschätzung eingeben? Das ist, wenn wir über politische Verantwortung sprechen,ein wichtiges Thema. Wir sollten da schauen, inwieweit wir das fördern und unterstüt-zen bzw. im Blick haben sollten. Das bezieht sich auch auf das Thema „Diskriminie-rungsfreiheit“.

Im Antrag geht es auch darum, wie zum Beispiel Sicherheitsbehörden KI nutzen kön-nen. Ich finde, dass es auch da eine politische Verantwortung gibt, darauf zu schauen.Wir sagen immer, dass die Algorithmen diskriminierungsfrei trainiert werden. Mir istaber immer noch nicht so ganz klar, wie das in praktischer Hinsicht funktioniert. DesWeiteren stellt sich mir die Frage: Welche Probleme gibt es da, auf die man achtensollte?

Herr Wrobel, vielen Dank für Ihr leidenschaftliches Statement. Wir haben, glaube ich,ein Thema heute noch nicht wirklich angesprochen; allerdings haben Sie ein wenigdarauf angespielt. Dabei geht es um den Transfer von der KI-Forschung in die Unter-nehmen. Es klang schon häufiger an, dass wir das politisch vielleicht noch stärker un-terstützen können. Wie könnte das ganz konkret aussehen? Wo sehen Sie eigentlichden Mittelstand in Bezug auf das Thema „Künstliche Intelligenz“. Wie weit ist man da?

Sie haben dann noch eine weitere sehr interessante Problematik angesprochen. Dabeigeht es um die Frage, welche Daten offen zur Verfügung stehen sollten. Wir von derSPD haben versucht, über ein Datenteilungsgesetz zumindest zu diskutieren. Der An-satz ist, dass gerade die größeren Firmen einen Teil ihrer Daten öffentlich machenkönnten. Ich finde, dass das noch nicht die perfekte Lösung ist; aber es ist, denke ich,spannend, darüber zu diskutieren. Dabei ist die Frage zu erörtern, welche Anreize manpolitisch für Unternehmen setzen könnte, einen Teil ihrer Daten öffentlich zu machen.Ihre Meinung dazu interessiert mich.

In der Stellungnahme von Herrn Sagerer steht, dass „AI Made in Germany“ eine großeChance sein könnte, wir aber würden immer über das Thema des Datenschutzes re-den. Jetzt liegt der Bericht der Datenethikkommission vor. Könnte es beim Thema „AIMade in Germany“ noch anderes geben, als zum Ausdruck zu bringen, dass wir eingewisses Wertebewusstsein beim Datenschutz haben?

Ich komme zu einer letzten Frage, die wir, glaube ich, auch noch nicht angesprochenhaben, welche aber politisch auch sehr relevant ist: Wie könnte – wenn wir uns da

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politisch stärker engagieren möchten – eine KI-Zertifizierung für Unternehmen ausse-hen?

Helmut Seifen (AfD): Herr Vorsitzender, erlauben Sie mir zunächst einmal – wennauch etwas verspätet –, dass ich als Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses Sieganz herzlich begrüße. Ich freue mich, dass wir die Anhörung gemeinsam durchführenkönnen. Erlauben Sie mir, dass ich jetzt als Sprecher der AfD für Wissenschaft weiter-mache.

Herr Professor Wrobel, Sie haben gerade schon auf die bedeutsamen Leistungen imForschungsbereich „Künstliche Intelligenz“ hingewiesen, die in Nordrhein-Westfalenzu verzeichnen sind. Nun ist es vielleicht ein Paradoxon, dass diese Leistungen vonMenschen erbracht werden. Es gibt die künstliche Intelligenz, wir brauchen aber Men-schen, um in diesem Bereich zu forschen. Was kann man – es wäre ganz wichtig,diese Frage zu beantworten – tun, um Spitzenforscher nach Deutschland zu holen?Diese Frage geht auch an Herrn Professor Ritter, der davon gesprochen hat, dass eseventuell über die Tenure-Track-Stellen zu machen ist. Wie stellen Sie sich das vor?Wissen Sie, wie groß das Forscherpotenzial in diesem Bereich ist? Das ist ein Bereich,in dem es nicht gerade in Massen Forscher gibt. Ihre Anzahl ist begrenzt.

Herr Professor Wrobel, ich habe an Sie eine weitere Frage. Es gibt die Initiative„Roberto“ des Fraunhofer-Instituts Sankt Augustin. Das ist eher eine erziehungsorien-tierte Plattform. Wenn wir an Forscher denken, denken wir natürlich auch an die ganzjungen Menschen in den Schulen. Inwieweit gibt es aufbauende Programme und Initi-ativen, welche die Schüler näher an die Erfordernisse eines Informatikstudiums her-anbringen? In dem Zusammenhang ist auch die Frage nach dem Stellenwert der Ma-thematik zu stellen. Wie sehen Sie das als Fachmann? Welche Gründe gibt es für diebeim Informatikstudium zu verzeichnende hohe Abbrecherquote, die wir leider zu ver-zeichnen haben?

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Ritter, ich habe eine Nachfrage an Sie. Sie ha-ben das CERN als Beispiel für Großforschungen im Physikbereich genannt. Ich finde,das ist eine schöne Idee, die man vielleicht im Hinblick auf den KI-Bereich weiterspin-nen sollte. Das wäre – Sie sprachen es an – dann ein Pendant, das aber sicherlichanders sein müsste. Man müsste es nicht an einem Ort konzentrieren, sondern könntedas dezentral machen. Ein paar Ideen Ihrerseits jenseits des Stichwortes würden michinteressieren.

Vorsitzender Thorsten Schick: Bei der Beantwortung fangen wir jetzt mit Herrn Pro-fessor Wrobel an.

Prof. Dr. Stefan Wrobel (KI.NRW, Bonn): Ich beginne mit dem Thema „Daten“, dashier eine wichtige Rolle gespielt hat. In der Tat wäre es ein Missverständnis zu glau-ben, dass man Daten nur der Wissenschaft zur Verfügung stellen sollte. Denn für unsin Nordrhein-Westfalen muss es ein zentrales Ziel sein, dass unser Land nicht nur ein

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Ort der Forschung und der Nutzung von KI ist, sondern auch ein solcher, wo Arbeits-plätze für Menschen entstehen, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Dafürbrauchen wir unbedingt die Kreativität der Unternehmen. Wir benötigen die Möglichkeitdisruptiver Geschäftsmodelle. Diese entstehen aber nicht direkt aus der Forschungheraus, sondern dann, wenn Unternehmen neue Dinge tun. Ich möchte noch einmaldarauf hinweisen, dass der International Data Space genau dies zum Ziel hat.

Warum werden Daten in der Regel nicht so einfach zur Verfügung gestellt? Stellen Siesich vor, dass es um eine Uniklinik geht, in der es sehr viele Medizinerinnen und Me-diziner sowie eine sehr kleine Informatikabteilung gibt. In dieser Klinik wird überlegt,was man mit den Daten macht. Dann könnte einfach eine Webseite erstellt werden.Darauf könnte stehen: Hier ist der Link, das Passwort lautet so oder so – Viel Vergnü-gen! Überlegen Sie sich einmal, wie sich ein Klinikvorstand zu solchen Perspektivenstellen könnte.

Eine Universitätsklinik hat natürlich nicht über Jahrzehnte das Know-how in Bezug da-rauf aufgebaut, wie das alles rechtssicher gemacht werden kann. Dabei geht es umdie Frage: Wer nutzt die Daten wie? Eine solche Zurverfügungstellung von Daten kannnicht vorgenommen werden. Das kann auch nicht befürwortet werden. Denn auchAnonymisierungen können niemals perfekt sein. Die entsprechenden Forschungspa-piere kann ich Ihnen zusenden, wenn Sie interessiert sind. Man kann sich immer nurgegen bestimmte Angriffe stärker machen. Dafür haben wir sehr viele Techniken.Wenn Sie aber Daten einfach so öffentlich zur Verfügung stellen, müssen Sie damitrechnen, dass diese in ganz anderen Kontexten wieder auftauchen.

Wir haben mit dem International Data Space und – hoffentlich – jetzt auch mit Gaia Xnicht nur technisch eine Möglichkeit geschaffen, sondern auch von der – wie es soschön neudeutsch heißt – ganzen Governance, also vom Regelwerk, her. Das gehtbis hin zu Verträgen, die gemacht werden müssen, um Daten nach bestimmten Mög-lichkeiten mit Start-ups bzw. Unternehmen zu teilen. Das erfolgt aber für bestimmteEinsatzzwecke. Dies ermöglicht hoffentlich allen, die Daten zur Verfügung stellen kön-nen, einen Mittelweg zwischen der Nichtverwendung von Daten und dem Pinnen vonDaten ans Schwarze Brett zu finden, die dann von der ganzen Welt genutzt werdenkönnen. Die Aktivitäten Data Space und Gaia X sind deshalb so wichtig, weil sie hiereine Teillösung anbieten können.

Das ermöglicht dann auch die politische Gestaltung der Frage: Ist das nur für deutscheoder europäische Unternehmen? Oder ist das weltweit offen? Diese Frage hat abernichts damit zu tun, was künstliche Intelligenz mit uns macht. Es ist eine hochpolitischeFrage, wie wir alle den Zustand der Weltwirtschaft einschätzen und wie es im Rahmender Weltwirtschaft um Fairness und Reziprozität bestellt ist: Haben deutsche Unter-nehmen auch in den Bereichen Zugang, wo andere bei uns Zugang haben wollen? Indiesen Debatten stecken wir alle mittendrin.

Ich kann Ihnen nur sagen, was ich mir für die Zukunft der Welt wünsche. Natürlichwünsche ich mir eine offene Welt. Deutschland hat davon sehr profitiert. Wir habeninsofern davon profitiert, dass wir uns im Wettbewerb international haben durchsetzen

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können. Von daher kann ich mir nicht vorstellen, dass gerade Deutschland beim Ab-schotten vorne liegen wird. Das heißt aber nicht, dass man die Debatte über Fairness –Herr Hellwig, Sie sprachen vom Level Playing Field – nicht ganz engagiert führen bzw.dass man unsere Regeln durchsetzen muss. Dennoch bleibt es aus meiner Sicht da-bei: Ich wünsche mir eigentlich eine offene Welt, wie wir sie eigentlich kennen und inder erfolgreich geworden sind.

Nach diesem Punkt kann ich an die Frage anschließen: Kann es überhaupt eine ver-trauenswürdige KI geben? International kann es Standards geben. Wie ist der Standder Dinge in Europa? Ich habe bereits Permanent Senior Expert, die High Level Ex-pert-Group der Europäischen Union, begleiten dürfen. Als Beobachter muss ich derGruppe von 50 Menschen, die dort gearbeitet haben, ein sehr positives Zeugnis aus-stellen. Es ist ein beeindruckendes und sehr umfangreiches Dokument entstanden, indem aus meiner Sicht sehr umfassend und sehr tiefgehend alle möglichen Fragen ge-stellt worden sind, die man hier stellen kann und auch stellen muss.

Klar ist andererseits aber, dass eine solche Gruppe von 50 Personen über alle gesell-schaftlichen Stakeholder und Länder hinweg auf die vielen Fragen, welche viele Seiteneinnehmen, nicht alle Antworten geben kann. Deshalb werden Sie in diesem Doku-ment keine Antworten finden können, die zu Handeln befähigen. Das kann auch garnicht der Fall sein. Deshalb glaube ich, dass ein internationaler Standard, den wir ein-fach übernehmen könnten, vielleicht irgendwann kommen wird. Er wird aber wahr-scheinlich so entstehen, wie Standards eigentlich immer entstehen, dass nämlich anbestimmten Stellen vorangegangen wird und dort De-facto-Standards oder einfach nurBest-Practices entstehen, die international übernommen werden können. Deswegenplädiere ich sehr dafür, dass wir in Nordrhein-Westfalen bzw. in Deutschland dabeivorangehen, diese Standards – aber nicht nur auf Papier, sondern eben auch in Bezugauf die Umsetzung – zu übernehmen.

Sie wissen vielleicht, dass es jetzt den Bonner Katalog gibt. Er ist aus KI.NRW herausentstanden. In ihm werden die sieben Handlungsfelder präziser benennt, als das invielen anderen, auch gut gemeinten internationalen Papers der Fall war. Es sind jetztkonkrete Prüfschemata in der Entwicklung. Jetzt muss es darum gehen, diese Prüf-schemata mit Unternehmen umzusetzen. Das sollte – ich betonte das ganz bewusst –nicht nur mit dem Ziel einer Zertifizierung, sondern auch der Absicherung geschehen.Wir hoffen, dass wir im Jahr 2020 in NRW vielleicht schon die ersten Unternehmenfinden werden, die ihre künstliche Intelligenz in dieser Weise absichern wollen. Es gibtsehr viele KIs in NRW. Wir sind dabei, Beispiele zu suchen.

Ich zitiere einmal einen großen Backwarenhersteller, den ich hier nicht namentlich nen-nen darf. Der führt im Prinzip seine komplette Produktion robotisch bzw. mit künstlicherIntelligenz durch. Wir könnten auch an die sprachverarbeitenden Systeme denken. ImBereich der Landmaschinenhersteller haben wir Unternehmen, die schon sehr vielKünstliche Intelligenz einsetzen. Es gibt also viele Anknüpfungspunkte in NRW, woman etwas tun bzw. das Ganze vorbereiten kann. Wir sprechen auch mit großen Zer-tifizierungs- und Prüfanbietern in Nordrhein-Westfalen, die ein Interesse daran haben,

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Prüflabors einzurichten. Vielleicht können wir an dieser Stelle 2020 bereits etwas se-hen.

Ich möchte noch kurz auf das Thema „Datensparsamkeit“ eingehen. Können wir hierdatensparsam sein und mithalten? Ich drehe die Frage einfach einmal um und sage,dass wir wissensreich agieren wollen. Dies kann dasselbe sein wie Datensparsamkeit,stellt aber eine ganz andere Perspektive dar. Das ist wichtig und wird unsere Arbeit inder Grundlagenforschung – die Kollegen werden mir vermutlich zustimmen – nochJahrzehnte bzw. Jahrhunderte bestimmen. Wir sprachen über die Analogie und dieFrage: Wie lernen Menschen überhaupt? Natürlich lernen wir auch aus Büchern unddadurch, dass Wissen transferiert wird. Interessanterweise hat man auf amerikani-schen Tagungen dieses Thema nicht gesehen. Mittlerweile gibt es memory-basedDeep Neural Networks. Warum? Weil man eingesehen hat, dass es nicht überall soklappen wird, dass man über Milliarden von Daten verfügen kann. Im Gegenteil wirdes so sein, dass diejenigen vorne liegen werden, die lernen können, Probleme auchda zu lösen, wo es gar nicht so viele Daten gibt. Das ist kein Plädoyer dafür, überhauptkeine Daten mehr freizugeben. Vielmehr ist das die Einsicht in Bezug darauf, dass jetztdie nächste Phase bei KI beginnt. Das ist die Phase für unsere Unternehmen.

Es wurde auch gefragt, wo unser Mittelstand steht. Der Mittelstand weiß teilweise ganzgenau, wo seine Märkte sind. Dort gibt es enormes Know-how bzw. Ingenieurinnenund Ingenieure, die irgendetwas auf den Nanometer genau ausfräsen bzw. darstellenkönnen. Die mittelständischen Firmen haben Produkte, die man teilweise nur in NRWbekommt. Ein solches Wissen ist vorhanden. Da gibt es jetzt den Ansatz: Wir machenKI so, dass wir alles noch einmal erheben. Es gibt aber auch den Ansatz zu sagen:Wir sollten all das, was die gelernt haben, in die KI reinbringen. Das können wir mitt-lerweile mit hybrider KI. Wir haben beispielsweise aus NRW heraus bereits Pflanzen-schutz Syngenta Crop Challenge Award. Daran nehmen die Top-Teams – die größtenaus China, den USA usw. – teil. Ein Team aus NRW hat da gewonnen. Das geschahnicht, weil sie gigantische Datenbanken hatten, sondern weil Pflanzenforscher ausGöttingen daran mit beteiligt waren, die Ahnung davon hatten, was bei Pflanzen losist. Wenn das der Fall ist, liegt man im Wettbewerb vorne. Das müssen wir weiterfördern. Es muss aber dem Mittelstand zugänglich gemacht werden.

Wo steht der Mittelstand mit seinem gesamten Know-how da? Die mittelständischenUnternehmen finden oft nicht einmal eine IT-Leitung. Wir beraten Unternehmen auchdabei, IT-Leitungen zu besetzen. Es gibt einige, die seit einem Jahr ihre IT-Leitungunbesetzt haben. So ist die Lage der Dinge. Denen sagen wir jetzt: Nun steigt malschön bei Künstlicher Intelligenz ein. Für die müssen wir niederschwellige Angeboteschaffen. Wir müssen schnell evaluieren, wo mit KI bestimmte Dinge getan werdenkönnen. Dadurch können wir kurzfristig Linderung schaffen. Längerfristig aber könnenwir Linderung nur erreichen, wenn wir an das anschließen, was Herr Sagerer aus Sichtder Hochschulen wunderbar zum Ausdruck gebracht hat. Wir müssen die Ausbildungintensivieren. Die entsprechenden Arbeitskräfte müssen zur Verfügung stehen. Dabeigeht es aus meiner Sicht nicht primär darum, ein paar – vielleicht zehn – wichtigePersönlichkeiten aus anderen Ländern wieder zu uns zu holen. Das müssen wir auchmachen. Aber mit dieser Anzahl allein werden wir auch nicht die Zahl an Fachkräften

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ausbilden können, die wir brauchen. Deswegen müssen wir – es geht dabei auch umdie zu hohe Zahl von Abbrechern – auch Begeisterung für diese Themen schaffen.

Ich lade Sie alle ein, mit an Bord zu kommen, wenn wir über den Bereich der Ausbil-dung im Vorfeld der Universitäten sprechen. Die Universitäten sollten gestärkt werden.Aber auch vorher kann ganz viel getan werden. Es wurde das Beispiel „Roberta“ ge-nannt. Mittlerweile haben wir über 500.000 Schülerinnen und Schüler geschult, digitaleSysteme zu gestalten bzw. zu programmieren. Man kann heute in einer grafischenUmgebung Roboter, aber auch Sprachsysteme steuern. Nächstes Jahr werden wirüber 1 Million Nutzerinnen und Nutzer aus über 100 Ländern der Erde auf dieser Platt-form aus NRW haben. Mit ihr kann Digitalbildung in Schulen erfolgen. Dennoch istNRW nicht das erste Bundesland, das gesagt hat: Jede Schülerin und jeder Schüler –von der Sonderschule bis zum Gymnasium – macht so etwas bei uns. Warum eigent-lich nicht? Das Angebot ist vorhanden. Man könnte das tun. Es wäre auch nicht un-endlich teuer. Ich sage einfach einmal voraus, dass wir uns an den Universitäten überAnfängerinnen und Anfänger freuen würden, die auf einem anderen Niveau bei unseinsteigen würden. Die müssten nicht nach eineinhalb Jahren feststellen, dass dasdoch nicht ihr Ding ist. Viele fangen gerne an, weil es hier ausgezeichnete Berufsper-spektiven gibt. Wir versuchen, die mitzunehmen. Es muss aber auch ein gewissesNiveau geben.

Prof. Dr. Gerhard Sagerer (Landesrektorenkonferenz der Universitäten in NRW,c/o Bergische Universität Wuppertal): Ich glaube, dass man, was die Schnittstellezwischen Forschung und Wirtschaft angeht, Vernetzungsstrukturen schaffen kann. Wirhaben es in Ostwestfalen-Lippe bewiesen. Dort gibt es einen Mittelstand, der an derStelle sehr aktiv ist. Er hat keine Angst vor Rettern wie KI oder Machine Learning undkennt sich auf diesem Gebiet relativ gut aus. Wir haben in den letzten Jahren gemerkt,dass es eine Bewegung von Doktorandinnen und Doktoranden in den Mittelstand hin-ein gibt. Zwischen der Fachhochschule und dem Cytech wurden Großgeräte ausge-stellt, um sich als KI-Anwender zu positionieren. Das geschah, damit die Studierendendas überhaupt wissen und nicht alle weiter im Süden – zum Beispiel bei Bosch – lan-den. Man kann sich die Modelle in Ostwestfalen-Lippe angucken. Da ist also viel mach-bar.

Ich komme zu den Medizin-Daten. Da muss man trennen. Daten sind erst einmal, wasdie Tendenz angeht, wertlos. Man muss sie interpretieren können. Wenn es zehn Her-steller von Ultraschallgeräten gibt, kann man unter Umständen besser den Herstellerals den Inhalt der Daten klassifizieren. Da spielen gewisse Standards, die von denFirmen betrachtet werden müssen, mit eine Rolle.

Sie haben – dabei geht es um Individualisierung – das Beispiel des Gehens angeführt.Gehen besteht nicht darin, dass man von A nach B geradeaus geht. Vielmehr geht esdarum, permanent aufmerksam zu sein: Liegt etwas im Weg? Kann ich umfallen? Undso weiter. Da geht es um Interaktion, und dann befindet man sich bei einem ganzanderen Thema.

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In Bezug auf Massendaten fiel das Wort „Diskriminierungsfreiheit“. Wenn man Datenrückblickend verwendet, hat man implizit ein historisch gewachsenes System. Schautman sich zum Beispiel die Statistiken von Amazon an, was die Spracherkennung an-geht, stellt man fest, dass Politik eine reine Männerdomäne ist. Denn die Daten werdenseit 50 Jahren aus Zeitungen usw. ausgewertet. Die Entwicklungen der letzten fünfJahre sind statistisch nicht signifikant. Wenn man das jetzt perpetuiert, ergibt sich im-plizit durch diese Systeme eine Manifestation von gesellschaftlichen Verhältnissen, dieteilweise viele Jahre zurückliegen. Aus solchen Gründen sind Hybridsysteme absolutnotwendig, um genau das Ziel zu erreichen, dass solche Systeme nicht nur auf Datenaus der Vergangenheit aufbauen.

Spitzenforscherinnen bzw. Spitzenforscher nach Deutschland zu holen, ist sicherlichnicht der einzige Weg. Auf der anderen Seite sind auch viele weggegangen. Ichglaube, es gibt sieben Leute, die inzwischen eine Professur außerhalb von Deutsch-land haben. Insofern gibt es da schon Beispiele.

Ich glaube, man muss achtgeben, wenn man Informatik in die Schulen transportiert.Es muss überlegt werden, was Informatik eigentlich ist. Wir haben in den letzten Jahr-zehnten darunter gelitten, dass in den Schulen manchmal Informatik anhand von An-wendungsbeispielen gelehrt wird, die keine Tiefe haben. Das ist ein Riesenproblem.

Die Abbrecherquoten an Universitäten und Fachholen sind natürlich zu hoch. Demkann man in gewisser Weise begegnen. Die Probleme liegen klassischerweise bei derMathematik und der Physik. Ich bin ein Anhänger einer Breitbandausbildung in denSchulen. Wir haben aber – ganz banal – auch ein Problem zum Beispiel mit Englisch-kenntnissen bzw. mit Sprachstrukturkenntnissen. Die Frage ist, ob man das alles aufdie Schule verlagern oder einen Teil auch an den Universitäten machen kann.

(Helmut Seifen ]Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses] über-nimmt den Vorsitz von Thorsten Schick [Vorsitzender des Ausschus-ses für Digitalisierung und Innovation])

Etliche Universitäten und Fachhochschulen führen inzwischen entsprechende Pro-gramme durch. Bei uns heißt das „Richtig einsteigen“. Da werden literale, mathemati-sche und digitale Kompetenzen extra angeboten, damit die Leute dort hineinkommen.Wir verlagern nicht alles auf die Schulen. Man sagt, dass die heutigen Schülerinnenund Schüler nicht studierfähig sind. Die Welt hat sich verändert. Wir als Universitätenmüssen uns daher dieser Frage stellen. Wir können die Schülerinnen und Schülernicht definieren. Vielmehr müssen wir letzten Endes fragen: Was machen wir mit denSchülerinnen und Schülern, die zu uns kommen wollen? Wie bekommen wir sie dort-hin, dass sie einen erfolgreichen Abschluss machen können?

Ich glaube schon, dass da etwas möglich ist. Ich habe die Wiedereinführung des G9sehr bedauert. Lieber hätte ich einen vierjährigen Bachelor-Studiengang mit einemGrundlagenbereich, aber kein Studium generale. Ich kann ein Beispiel nennen: BeiGeorgia Tech lernen alle Studierenden im ersten Jahr gemeinsam. Das geschieht inden Kursen Sprache, Robotik usw. Es gibt da also einen breit aufgestellten gemeinsa-

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men Kurs, wo wissenschaftliches Denken und Handeln anhand von komplexen Sys-temen und nicht irgendwelcher beliebiger Teile gelernt wird. Ich hätte das besser ge-funden. Das hätte uns an der Stelle wahrscheinlich weitergebracht. Die Entscheidungist aber gefallen; es ist nun einmal so.

Wir werden an den Universitäten bzw. an den Hochschulen weiter daran arbeiten, da-mit die heterogene Studentenschaft nicht homogenisiert wird. Vielmehr wollen wir dasPotenzial von Heterogenität nutzen. Vor dieser Herausforderung stehen wir. Die bei-den LRKs stellen sich dem bewusst und gerne.

Prof. Dr. Helge Ritter (Uni Bielefeld): Ich steige bei der Datensparsamkeit ein. Fasthatte ich den Eindruck, dass da zwei kleine Missverständnisse aufgetreten sind – zumeinen in Bezug auf die Nische, zum anderen hinsichtlich der Geschwindigkeit. Nischeheißt nicht, dass man sich verstecken muss, sondern dass wir unsere Stärken in Be-reichen suchen müssen, die Wachstumspotenzial haben und aus denen heraus sichdurchaus große Anwendungsfelder entwickeln können, wenn das alles richtig läuft. Indiesem Sinne sind Nischen die Ersten, die Wachstumskeime für moderne Entwicklun-gen finden, welche jetzt noch nicht im Mainstream liegen. Das ist sicherlich eine Stra-tegie, die uns weiterbringen kann.

Ich komme zum Aspekt der Datensparsamkeit in Bezug auf das Lernen. Es ist nichtso, dass ein Lernsystem an einen Flaschenhals gehängt werden soll. Vielmehr findetsolch ein Lernen im Wesentlichen hierarchisch statt. Auf der obersten Ebene findenrelativ langsame Lernprozesse statt, welche so etwas wie beispielsweise Wahrneh-mung und Motorik beinhalten. Wir Menschen brauchen lange, wenn wir eine neueSteuerungsfähigkeit in Bezug auf Fahrradfahren oder Schwimmen lernen wollen,lange. Diese Grundfähigkeiten teilen wir alle. Wenn ein Roboter das einmal gelernthat, kann man diese Module austauschen und kopieren. Das ist bei ihm also andersals beim Menschen, der das immer wieder neu lernen muss. Da spielt dieser kleineGeschwindigkeitsnachteil überhaupt keine Rolle. Es ist heute schon so, dass man bei-spielsweise Deep-Learning-Module für Objekterkennung überall in Systeme einpflan-zen kann, ohne dass ein aufwändiger Trainingsdurchgang erfolgen muss.

(Thorsten Schick [Vorsitzender des Ausschusses für Digitalisierungund Innovation] übernimmt wieder den Vorsitz von Helmut Seifen [Vor-sitzender des Wissenschaftsausschusses])

Wenn das erfolgt ist, kommt der nächste Durchgang. Vielleicht möchte man solch einDeep-Learning-Modul, das eine allgemeine Objekterkennung durchführen kann, inso-weit spezialisieren, dass man beispielsweise Pilze besonders gut diskriminieren kann.Oder man möchte, dass es eine andere Spezialfähigkeit hat. Wenn man es also aufeine einzelne Domäne spezialisieren möchte, ist man manchmal ungeduldig, weil dieSpezialdomäne vielleicht nur wenige Beispiele beinhaltet. Dann braucht man plötzlichdatensparsames Lernen. Vielleicht braucht man es auch nur vorübergehend und willdas System gleich wieder auf die nächste Aufgabe umlernen können. Im Endeffekt solles die Flexibilität besitzen, die wir Menschen haben. Dabei geht es darum, dass Ler-

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nen in der Form eines schnellen Einweisens stattfinden kann. Das geht nur mit daten-sparsamem Lernen; denn man möchte beim Einweisen nicht irgendwelche Datenmen-gen herbeitragen müssen. Das menschliche Gehirn kann das. Das zu verstehen, istmit dem schnellen und datensparsamen Lernen letzten Endes gemeint. Wer das kann,erobert riesige Anwendungsfelder. In dem Sinne steckt darin ein großes Wachstums-potenzial.

Eine Frage betraf die Anonymisierung. Das ist bei personenbezogenen Daten einwichtiger Aspekt. Auch hier gibt es Grundlagenforschung in Bezug auf bessere Ano-nymisierungsverfahren, die nicht leicht angreifbar sind. Beispielsweise gibt es auchAnsätze, dass manche maschinelle Lernverfahren gleich mit verschlüsselten Datenarbeiten können, dass man die also nicht zum Lernen entschlüsseln muss. Entschlüs-selte Daten sind immer ein mögliches Angriffsziel. Wenn man dagegen die Daten gutformatiert, ist das weniger problematisch. Im Grunde genommen kommt es auf dieDatenausschnitte an. Wenn man sehr große Datenausschnitte aggregiert – beispiels-weise beim Menschen in Bezug auf ein ausgedehnteres Bewegungsprofil –, gibt esam Ende nur noch eine Person, auf die es passt. Das ist dann sehr schnell hochgradigcharakteristisch. Wenn zehn Ziffern auf einen Briefumschlag geschrieben werden,dann ist das eine Zahl, die wahrscheinlich niemandem in Deutschland jemals im Lebenwieder begegnen wird. Es kommt im Grunde genommen darauf an, solche Aggregie-rungen nur vorzunehmen, wenn es unbedingt notwendig ist. Je aggregierter, destovorsichtiger muss man damit umgehen.

Ich komme auf das Hautkrebsbeispiel zurück. Wenn man die Bilder von den Perso-nendaten trennt, ist kann man im Grunde die Personen aus den Bildern nicht mehrrekonstruieren. Wenn man den Ausschnitt sehr groß macht, so dass die ganze Persondarauf ist, dann geht es plötzlich wieder. Genau das ist aber bei diesen Anwendungennicht notwendig. Das heißt, dass man das Problem der Anonymisierung in vielen Fäl-len zuverlässig lösen kann. Es ist nichtsdestotrotz sehr wichtig, die Forschung in Be-zug auf Datenbanken und allgemeine Angriffssicherheit voranzubringen.

Eine andere wichtige Frage betraf die Finanzierung und – damit zusammenhängend –das Schaffen von attraktiven Bedingungen für Nachwuchswissenschaftler. Wenn mandas einmal auf der Ebene von Individuen angeht, lautet die Frage: Wie schafft manmöglichst attraktive Arbeitsbedingungen? Für jemanden am Anfang der Karriereleiterist es nicht attraktiv, sich von einem Drittmittelprojekt zum anderen hangeln zu müssen.Richtig gute Leute können sich andere Stellen aussuchen. Wir müssen schauen, dasswir Tenure-Track-Stellen finden. Diese Stellen sollten wir möglichst nicht nur für eineeinzelne Person schaffen. Denn wenn man alles selber machen muss, kommt manweniger schnell voran als in einer Arbeitsgruppe. Die Wissenschaftler konkurrieren inder Regel mit Arbeitsgruppen und nicht so sehr als Individuen. Das heißt, man solltesolche Förderprogramme auch mit Mitarbeiterstellen ausstatten. Um landesweit undbundesweit konkurrenzfähig zu werden, braucht man keine außerirdischen Ausstat-tungen. Es geht da um die sehr enge Stellenausstattung, die es mittlerweile auch anden Universitäten gibt. Das sollte aber – dies ist wichtig – eine vergleichsweise attrak-tive Ausstattung sein.

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Man darf Folgendes nicht vergessen: Es geht nicht nur um die Arbeitsgruppe, sondernum das gesamte Umfeld, in dem man Forschung macht. Das ist ein ganz wichtigerPunkt – insbesondere dann, wenn wir zum Punkt „Großforschungseinrichtungen“ über-gehen. Eine Großforschungseinrichtung wird auch dadurch attraktiv, dass in ihr Wis-senschaftler der Weltspitze in enger Interaktion zusammenkommen. Es wäre nicht dasrichtige Format, in NRW eine Großforschungseinrichtung mit Wissenschaftlern aus ei-ner Region zu gründen. Vielmehr muss man ein Modell haben, wo in sehr starkemMaße international tätige Wissenschaftler eingeladen sind. Die müssen es attraktivfinden, ihre Forschung dort eine Zeitlang – praktisch sorgenfrei in einem ein wenigparadiesisch gestalteten wissenschaftlichen Biotop – unter erstklassigen experimen-tellen Bedingungen durchzuführen. In der Tat sind die sehr agilen und großen Labs,wie man sie beispielsweise in Kalifornien findet, der Benchmark. Das sage ich, damitSie einfach einmal eine Vorstellung vom Aufwand, aber auch von der Kompaktheitbekommen. Viel lieber wird in der Presse von Googles DeepMind gesprochen. Diehaben vielleicht das weltbeste KI-Team. Dabei handelt es sich um insgesamt ungefähr700 Leute. Die sind auf eine Handvoll von Standorten verteilt, befinden sich aber nichtalle an einem Ort. Viele sitzen in London. Es gibt aber auch welche in Kanada oder inden USA. Diese 700 Leute haben Google im letzten Jahr 500 Millionen US-Dollar ge-kostet. Das ist also richtig teuer. Die Hälfe davon wird an die Menschen gezahlt, wäh-rend die andere Hälfte für Infrastruktur ausgegeben wird.

Wenn man das jetzt auf ein halbes Dutzend, also auf einen einzelnen Cluster, herun-terbricht, kommt man vielleicht in Bereiche, die auch in Europa nicht ganz utopischsind. Ein Vorteil im Vergleich zum CERN besteht darin, dass die technische Infrastruk-tur sehr viel einfacher sein kann. Man hat Rechenressourcen, Speicherressourcen undDienstleistungen etwa bei der Datenvisualisierung und bei der Datenanalyse. Die Wis-senschaftler können sich auf die Experimente und die wissenschaftlichen Fragen kon-zentrieren. Darüber hinaus haben sie ausreichend Entlastung, so dass sie miteinanderreden können. Sie sollten sich mit den anderen internationalen Kollegen, die sich dortbefinden, austauschen können. Auf diese Weise sollte das zu einem weltweiten At-traktionspunkt werden, zu dem sich Leute hingezogen fühlen. Das ist die Art undWeise, die dazu führt, dass die US-amerikanischen Hubs sehr erfolgreich sind. Eskommt auf die Mischung aus Köpfen und Ressourcen an. Wenn man das so macht,sind die individuellen Gehälter gar nicht mehr so entscheidend. Vielmehr geht es da-rum, eine Umgebung zu schaffen, in der man gut forschen kann.

Dort wären auch beispielsweise Dienstleistungen der Anonymisierung mit einzubrin-gen, damit man sich als Wissenschaftler damit nicht herumschlagen muss. Auch dasDatenmanagement sollte, wenn man reproduzierbare Experimente durchführen will,so dokumentiert werden, dass die Software-Version wieder im Verhältnis 1 : 1 heraus-gezogen werden kann. Dafür sollte man Software-Ingenieure haben, die einem einesolche Umgebung schneidern.

Es wurde noch nach den Zeitskalen gefragt. Das ist eine sehr wichtige Frage. Ichglaube, dass man verschiedene Zeitskalen sehen muss. Es gibt Zeitskalen, auf denenman Kurzzeiterfolge hinbekommen möchte. Dabei geht es um ein Jahr oder um zweiJahre, wie es bei einem typischen Projekt der Fall ist. Da macht man überschaubare

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Dinge, und es kommt oft etwas heraus, das dem ähnlich ist, was man sich hat vorstel-len können. Für die überraschenderen Dinge braucht man längere Zeit, und es bedarfrichtiger Durchbrüche. Ich denke, da wird die richtige Zeitskala eine Dekade umfassen.Schauen wir einmal zurück: Google DeepMind wurde ungefähr vor zehn Jahren ge-gründet. Das gilt für viele andere Einrichtungen dieser Art ebenfalls. Auch Zeiträumefür Durchbrüche, die insgesamt ein eindrucksvolles Gesamtbild erzeugen, liegen un-gefähr bei zehn Jahren. Wenn man zehn Jahre weiter vorausdenkt, wird es so sein,dass sich die Welt wieder erheblich weitergedreht haben. So etwas sollte man im Blickhaben.

Jörg Hellwig (Leiter Group Function Digitale Transformation Lanxess AG Köln):Ich möchte, nachdem sich die Kollegen in sehr starkem Maße auf den Forschungs-und Lehrbereich bezogen haben, ein wenig auf die Industrie zu sprechen kommen.Herr Wrobel hat bereits gesagt, dass wir das am Ende auf die Straße bringen müssen.

Lanxess hat 16.000 Mitarbeiter. Davon arbeitet ungefähr die Hälfte in NRW. Das heißt,dass wir in diesem Land tief verwurzelt sind. Wir fühlen jeden Tag unsere Verantwor-tung. Dabei geht es uns um die Frage: Wie können wir es schaffen, die Arbeitsplätze,die wir hier haben, nicht nur zu erhalten, sondern auch weiter auszubauen? Jeder Ar-beitsplatz verändert sich zurzeit durch digitale Transformation. Transformation solltenicht dafür da sein, um einen Job-Abbau zu betreiben. Das wäre kurzfristig gedacht.Wir haben aber auch die Möglichkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Wie bringen wir das auf die Straße? Herr Wrobel, MP3 und das Fraunhofer-Institut istein sehr gutes Beispiel dafür. Das ist in Deutschland erfunden worden, aber anderswowurden daraus Euros und Dollars gemacht. Wir sollten uns immer wieder daran erin-nern, dass wir so etwas in Geld bzw. wirtschaftlichen Erfolg umwandeln müssen.

In der Lehre sehen wir heute eine große Chance. Das gilt aber auch für die Kombina-tion von Lehre und Industrie. Sie sprachen gerade von einer Dekade. Ich habe großeGeschäfte für Lanxess geleitet. Damals habe ich auch noch Fünf-Jahres-Pläne ge-macht. Ich musste lernen – ich bin jetzt zwei Jahre lang in der Digitalisierung unter-wegs –, dass ein Jahr in der Digitalisierung ungefähr dem Zeitraum von zehn Jahrenin der früheren Zeit entspricht. Wo wir früher länger Zeit fürs Eingewöhnen hatten – daging es um Monate oder Jahre –, reden wir heute eher über Wochen. In der Wirtschaftist der Druck täglich spürbar. Firmen, die entweder woanders tätig oder gar nicht inErscheinung getreten waren, drängen auf einmal in den Markt. Die verfügen über einesehr gute Technologie. Mit Technologie kann man, auch wenn man das Domaine-Knowledge gar nicht hat, einen großen wirtschaftlichen Erfolg haben.

Frau Kampmann, Sie sprachen von den 18 Millionen Euro. Der Kollege hat geradeetwas von 500 Millionen US-Dollar erzählt. Fahren Sie einmal zur South by Southwestin Austin, zu Slush in Helsinki oder zur CES in Las Vegas. Da laufen Leute von Googleherum, die machen nichts anderes als das, was ihnen Spaß macht. Die haben, wasGeld angeht, unbegrenzte Möglichkeiten. Das Gleiche gibt es bei Alibaba, wo aus Di-gitalisierung heraus ein gigantischer Konzern entstanden ist, den wir hier immer nochnicht richtig verstehen. Alibaba hat zum Beispiel Alibaba Health gegründet. Dort gibt

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es eine eigene Krankenversicherung für eine dreistellige Millionen-Anzahl von Chine-sen. Da fragt niemand: Darf ich die Daten verwenden? Dabei geht es um Geld, wasverdient wird, wieder zurückfließt und in die nächsten Bereiche hineingeht.

Wir sehen trotzdem – jetzt sind wir wieder beim negativen Part –, dass der StandortDeutschland unheimlich attraktiv ist. Wir haben bei uns gerade eine Digitalisierungs-einheit aufgebaut. Ich habe 15 Leute eingestellt, die wir sonst niemals eingestellt hät-ten. Ich nenne die immer liebevoll „Nerds“. Das sind Leute, die nicht Chemie studierthaben. Auch sind es keine Ingenieure. Die können aber mit Daten umgehen. Sie kom-men aus allen Bereichen. Wenn ich mich an die Rekrutierungsgespräche zurückerin-nere, dann spielte Geld keine Rolle. Vielmehr ging man einfach davon aus, dass ir-gendwie wettbewerbsfähig bezahlt wird. Die Fragen waren immer: Was kann ich be-wegen? Wie frei kann ich arbeiten?

Wir müssen uns auch ein wenig von der Montag-bis-Freitag-8-bis-17-Uhr-Mentalitätfreimachen. Die Leute wollen heutzutage komplett anders arbeiten. Ich glaube, dasswir das auch in der Lehre sehen müssen. An der TU Berlin haben wir – zusammen miteinem Start-up – etwas mitfinanziert. Wir haben dort zum ersten Mal die Digitalisierungab dem ersten Semester in das Curriculum von Chemiestudenten eingebracht. Dashat uns 40.000 Euro gekostet, was aber gut investiertes Geld war. Wir mussten auchlernen, dass Studenten nicht all das tun, was Sinn macht. Vielmehr brauchen sie ersteinmal Scheine. Das kann attraktiv sein, am Ende aber muss es einen Schein geben.Das heißt, dass wir – auch mit dem dort tätigen Professor Drieß – einen sehr be-schwerlichen Weg gegangen sind. Wir haben dies aber über das Komitee in das Cur-riculum hineingebracht. Das ist es, was wir als Industrie brauchen. Wir wollen nichtjemanden haben, der nur Chemiker ist und dem wir jemanden zur Seite setzen, derDigitalisierung kann. Vielmehr brauchen wir das Multifunktionale.

Wo scheitern wir in der Industrie immer noch am meisten? Bei der Fähigkeit, sich derneuen Technologie zu öffnen. Ich darf ein Beispiel nennen: Wir haben mit einer Firmaim Silicon Valley ein Vertrag in Bezug auf Künstliche Intelligenz gemacht. Das wollenwir jetzt in der Produktentwicklung einsetzen. Es ist beeindruckend zu sehen, wieschwer es ist, die eigenen Leute davon zu überzeugen, das anzuwenden. Genausobeeindruckend ist es aber zu sehen, dass, wenn es passiert ist, Leute, die seit 15 oder20 Jahren in der Kunststoffforschung tätig sind, nach sechs Monaten sagen: Wir kön-nen uns nicht vorstellen, dass wir jemals zum alten Verfahren – zum „Try and Error“und dem Abarbeiten von Laborbüchern – zurückkehren. Es dauert vielleicht drei Mo-nate, vielleicht auch drei Jahre. Mit Algorithmen und Künstlicher Intelligenz hat mandie Möglichkeit, so etwas zu beschleunigen.

Wir denken weiter, auch an die Verantwortung der Industrie gerade auch im Hinblickauf die Nachhaltigkeit. Da ist Deutschland – gerade in der Chemieindustrie – immernoch Weltmeister. Bis jetzt haben wir viel erreicht, waren aber im Prinzip limitiert. Jetztentfällt die Limitierung durch digitale Technologien. Warum sollte man nicht darübernachdenken, Künstliche Intelligenz auch in der Produktentwicklung von zum BeispielKunststoffen einzusetzen. Damit kann in die DNA der Produkte nicht nur so etwas wie

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Steifigkeit, Festigkeit und Formbarkeit, sondern auch Recycelbarkeit eingebaut wer-den. Dafür brauchen wir Kollaboration. Das ist auch etwas, was die deutsche Industriegerade lernt. Wir müssen uns mit unseren Lieferanten und unseren Kunden verbinden.Daran arbeiten wir. Es ist immer schwierig, den ersten Schritt zu machen, der abergetan werden muss. Dazu sehen wir uns in der Industrie auch aufgefordert.

Ich glaube, dass die Politik helfen kann, uns zu unterstützen, zentrale Ansprechpartnerzu haben, damit wir nicht zehnmal die gleiche Anfrage zum Beispiel von unterschied-lichen Behördenvertretern oder Regierungsverantwortlichen zu beantworten haben.Vielmehr sollte so etwas kanalisiert werden, damit an solche Dinge effektiver heran-gegangen werden kann.

Vorsitzender Thorsten Schick: Wir haben noch die Zeit – so langsam gehen wir aufdie Zielgerade – für eine kurze, knackige Fragerunde. Wir fangen mit Herrn Braun an,der sich als Erster gemeldet hat.

Florian Braun (CDU): Herr Hellwig, ich möchte – auch mit Blick auf das Plädoyer vonProfessor Wrobel bezüglich der Standards – an Ihre Ausführungen anknüpfen. Das,was er sagte, klang für mich als Laien durchaus überzeugend. Er wies darauf hin, dassdie De-facto-Standards wiederum durch praktische Anwendung entstehen. Wir habeneinen Unternehmer mit in der Runde sitzen. Ich will nicht Partnervermittler spielen,zumindest aber abklopfen, wie Sie das als Unternehmer bewerten. Sehen Sie einenMehrwert in sicheren, vertrauenswürdigen KI-Algorithmen? Können Sie sich vorstel-len, da mitzuwirken?

Helmut Seifen (AfD): Auch ich möchte an die Ausführungen von Herrn Hellwig an-schließen. Er stellte das Spannungsverhältnis dar, das es im Hinblick auf die Abwehrvon Spionage und Datensicherheit gibt. Man muss voneinander lernen und vorhan-dene Erkenntnisse sichern. Es soll nicht jeder das Rad selbst erfinden, sondern Er-kenntnisse sollten weitergegeben werden.

Sie haben Millionen für Forschung ausgegeben, was auch gut so ist. Vielleicht war dasnoch zu wenig. Wie kann man Ihrer Meinung nach erreichen, dass Erkenntnisse, diein einem Bereich gewonnen werden, erst einmal gesichert werden? Wie können diesegezielt und gesteuert weitergegeben werden, damit andere davon profitieren? Wiekann man sich vor Spionage und unliebsamer Anteilnahme an den Daten schützen?Das ist für die Industrie, denke ich, besonders wichtig.

Christina Kampmann (SPD): Herr Hellwig steht in dieser Runde hoch im Kurs. Auchich habe noch eine Frage an ihn. Sie haben in Ihrer Stellungnahme geschrieben, dassSie eine konzernweite Digitalisierungsstrategie haben. Mich interessiert, inwieweit da-bei das Thema „Corporate Digital Responsibility“ schon ein Teil davon ist oder einegewisse Rolle spielt. Wenn das der Fall ist, interessiert mich, inwieweit das Thema„Künstliche Intelligenz“ dabei vorkommt.

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Dann habe ich noch eine Frage im Hinblick auf das, was Florian Braun gesagt hat. Wiekönnte eigentlich so eine Zertifizierung aussehen? Was können wir politisch noch ma-chen, um das zu unterstützen? Ich weiß aber nicht, wer sich schon vertieft mit demThema beschäftigt hat.

(Prof. Dr. Wrobel meldet sich)

– Wunderbar! Herr Wrobel, ich freue mich auf Ihre Antwort.

Daniela Beihl (FDP): Ich möchte als Mitglied des Wissenschaftsausschusses eineFrage an Herrn Hellwig stellen. Er hat in seiner Stellungnahme geschrieben, dass dieDatenanalyse im Rahmen der schulischen Ausbildung eine größere Rolle spielenmuss. Vor diesem Hintergrund interessiert mich Ihre Einschätzung zur Einführung desPflichtfaches Informatik. Welchen Anpassungsbedarf sehen Sie in diesem Bereich beiunseren Hochschulen?

Jörg Hellwig (Leiter Group Function Digitale Transformation Lanxess AG Köln):Ich komme zur Frage nach der Zertifizierung und den Standards. Es ist gut, wenn wirmit Standards arbeiten können. Die Frage ist: Was habe ich von einem Zertifikat? Li-mitiert mich das wieder in irgendeiner Form? Bekomme ich eine Steuererleichterung,wenn ich ein Zertifikat habe? Oder ist das nur etwas, was ich auf mein Briefpapierdrucken kann? Da müssen wir aufpassen. Ich glaube, die Standardisierungsvorteileerwachsen daraus, dass wir die Möglichkeit haben, die Kenntnisse, die es aus derLehre heraus gibt, in die Industrie einzubringen. Wir können uns damit verbinden unduns dem annähern. Vielleicht können wir von unserer Seite aus die Notwendigkeit ei-ner Geschwindigkeitserhöhung klarmachen. Ich sage nichts gegen die Lehrer; wir inder deutschen Industrie haben aber nicht mehr zehn Jahre Zeit.

Denken wir an das zurück, was alles passiert ist. Das, was draußen passiert, ist sehrbrutal. Ich denke dabei zum Beispiel an die Geldmittel, die andere Firmen zur Verfü-gung haben. Die werden – gerade in China ist das der Fall – noch anderweitig verwen-det. Wenn ich das sehe, stelle ich fest, dass wir jeden Tag lernen müssen, dass wirdas jetzt auf die Straße bringen müssen. Insofern ist das Angebot aus der Industriejederzeit vorhanden, sich noch einmal mit der Lehre neu zu verbinden und pragmatischdarauf zu schauen, was wir zusammen hinbekommen. Ein Lehrer hat einen Auftrag.Gleichzeitig gibt es aber auch den Auftrag, das, was dabei herauskommt, vernünftig inIndustrieaktionen umzusetzen.

Was die Schule anbelangt: Ich bin in Nordrhein-Westfalen, in Krefeld, geboren. SiebenJahre lang war ich in den USA, und ich habe drei Jahre lang in Indien gearbeitet. Wirsind ein bisschen zurückgefallen. Meine Kinder haben in den letzten Jahren Abiturgemacht. Ich kenne die Ausstattung der normalen Schulen bzw. der Gymnasien. Ichhabe nie studiert und kann deshalb nicht darüber reden, wie es in den Universitätenaussieht. Da wird es aber, glaube ich, ähnlich aussehen. Das ist schon krass. Sorry,aber ich habe jetzt gerade kein anderes Wort gefunden.

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Ich vergleiche das einmal mit meinem Gymnasium in Krefeld oder mit der Internatio-nalen Schule in Düsseldorf. Dort sieht es anders aus. Das heißt, dass es da irgendwiedoch um den Faktor Geld geht. Insofern sollten wir das Geld in diesem Land auch inSchulen und Hochschulen stecken. Ansonsten werden wir das in zehn oder zwanzigJahren nicht mehr zurückdrehen können. Man muss sich anschauen, was in Chinaund Indien in Bildung – dabei geht es auch um Equipment der Bildungseinrichtungen –investiert wird. Das ist einfach unfassbar im Vergleich zu dem, was wir haben. Insofernmüssen wir jetzt agieren, denn wir haben nicht mehr fünf oder zehn Jahre Zeit. Viel-mehr ist die Zeit knapp. Denn die Kinder bzw. Jugendlichen, die sich heute in denSchulen befinden, müssen jetzt noch schnell nachgebildet werden. Man muss nichtjeden Code allein schreiben können, aber man muss ein Grundverständnis dafür ha-ben, wie die Effektivität erhöht werden kann, indem mit Algorithmen gearbeitet undnicht jeder Montagmorgen mit einer Excel-Liste begonnen wird. Daran hapert es zur-zeit bei uns.

Sie hatten nach der Sicherheit gefragt. Es gibt immer einen guten Grund, von Sicher-heit zu sprechen und dann nichts zu machen. Die Welt um uns herum ist nun abereinmal so, wie sie ist. Deshalb müssen wir ein bisschen Mut haben und daraufschauen, die vernünftigen Sachen zu machen. Wir müssen die Experten hereinholenund mit denen abgreifen, ob es in unseren Firewalls dicke, fette Löcher gibt, die wirschließen können. Gleichzeitig geht es aber auch darum, dass der Mindset in anderenLändern anders ist. Ich bin viel in China unterwegs. Dort gehe ich manchmal in Firmenhinein und gucke mir die Dinge dort an. Nach zehn Minuten kommt der deutsche Re-flex und man fragt: Dürft ihr das? Dann sagen die: Wir glauben schon. – Wir wollendas nicht. Man muss aber sehen, wie kraftvoll es ist, wenn etwas erst einmal gemachtwird. Dann kann es gegebenenfalls für europäische Zwecke adjustiert werdem.

Wir brauchen Mut, neue Ideen aufzunehmen. Wir müssen uns dann in Bezug auf diedeutschen Regularien – dabei geht es zum Beispiel um die Datenschutzgrundverord-nung – wissend machen und darauf schauen, was geht und was nicht. Wenn etwasaufgrund eines deutschen oder europäischen Gesetzes nicht geht, dann sollten wirzurück in die Politik gehen und sehr pragmatisch und sehr genau definieren lassen,was schlecht ist.

Wir sollten einen großen Vorteil darin sehen, eine wertegetriebene Digitalisierung hin-bekommen. Wir arbeiten heute mit Firmen – auch aus dem Valley – zusammen, diezu uns gekommen sind, weil sie das, was bei zurzeit zum Beispiel bei den Googlesund den Facebooks passiert, auch nicht wollen. Unsere Werte sehen anders aus. Diesagen: Wir wollen mit euch in Deutschland bzw. in Europa zusammenarbeiten. Dassehe ich als großen Vorteil an. Damit können wir etwas, was vielleicht fünf oder zehnJahre voraus ist, wieder zurückholen und mit uns verbinden. Daraus können wir dannetwas machen, was kraftvoll ist und wo wir gegebenenfalls wieder führend werdenkönnen.

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Prof. Dr. Helge Ritter (Uni Bielefeld): Auch ich möchte an die Ausführungen vonHerrn Hellwig anknüpfen. Er hat uns die unglaublich starke Dynamik sowie die Hand-lungszwänge, welche für die Firmen daraus resultieren, eindrucksvoll vor Augen ge-führt. In der Informatik bzw. in der Digitalisierung haben wir eine unglaubliche Dyna-mik-Geschichte. Das Mooresche Gesetz hat 50 Jahre lang erfolgreich Performance-Verdopplungen gebracht. Das geschah alle 18 Monate. Im Grunde genommen gab esein halbes Schachbrett von Weizenkornverdoppelungen. Wir wissen aber, dass dasSchachbrett 64 Felder hat und dass das Mooresche Gesetz aus verstehbaren Grün-den ausläuft. Viele der Durchbrüche basieren auf Skalierungen bzw. darauf, dass manalles immer größer und schneller macht. Auch wirtschaftlich hat sich das abgebildet.Es führt zu einem Phänomen, das für uns alle eigentlich ein Verdrängungsphänomenist. Die Frage ist: Wie gehen wir mit dem Wachstum in der Zukunft um?

Diese Dynamik hat auch etwas Begeisterndes. Dadurch sind wir wachstumstrunkengeworden. Wir sehen, dass wir alle schneller wachsen müssen. Der Wettbewerb, derdas antreibt, ist absehbar problematisch. Ich glaube, wir dürfen nicht vergessen, dasswir in einer historisch besonderen Zeit leben. Das exponentielle Wachstum war, wasdie gesamte Menschheitsgeschichte angeht, richtig, weil wir fern von Grenzen waren.Wir leben jetzt aber in einer Zeit, in der wir alle diese Grenzen erreichen werden. Alsomüssen wir weiterdenken und dürfen diese Dynamik nicht nur fortschreiben.

Die Extrapolation des Energieverbrauchs im Internet wird, wenn sich nichts ändert,dazu führen, dass es im Jahr 2045 dem Energieverbrauch entspricht, der heute insge-samt an Elektrizität verfügbar ist. Das heißt, dass wir überlegen müssen, wie wir Digi-talisierung klug nutzen, um aus dieser Wachstumsfalle herauszukommen. Es geht da-rum, Wege zu finden, selektiv zu wachsen. wir müssen uns fragen, in welchen Berei-chen Wachstum klug oder unklug ist. Man muss da global agieren. Einzelnen Firmenkann nicht zugemutet werden, sich zurückzuhalten. Hier geht es um Rahmensetzun-gen, die Sie und wir auf allen Ebenen in den Blick nehmen müssen. Das ist eine ge-waltige Herausforderung. Aber auch dabei kann KI wieder zur Lösung von Problemenbeitragen. Das kann dadurch geschehen, dass man beispielsweise ein Verständnisvon Kostenketten entwickelt. Das ist nur mit einer umfassenden Datenverarbeitungmöglich. Man muss dann intelligente Verbrauchsoptimierungen vornehmen. Das solltedazu führen, dass man Qualität für das menschliche Leben schafft, ohne zu sehr oderüberhaupt an Ressourcen heranzugehen. Solche Entwicklungswege zu erschließen,ist die große Herausforderung, die sich uns – ob wir das nun verdrängen oder nicht –aufdrängen wird. Wir sollten auch darauf schauen, dass wir die Möglichkeiten, welcheuns die Technologie gibt, nicht nur als Beschleuniger für ein Wachstum in alle Rich-tungen sehen. Vielmehr sollten wir Wege finden, das klug zu bündeln. Das ist etwas,was zu einer klugen Digitalisierungsstrategie gehört.

Prof. Dr. Gerhard Sagerer (Landesrektorenkonferenz der Universitäten in NRW,c/o Bergische Universität Wuppertal): Es wurde von „Datenanalyse in der Schule“und gleichzeitig von „Informatik als Pflichtfach“ gesprochen. Das ist für mich ein sehrschwieriges Thema; denn Datenanalyse hat erst einmal mit Informatik nur bedingt et-was zu tun. Das kann man darunter subsumieren – oder auch nicht.

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Wenn Sie Bücher über Risikoabschätzungen von Gigerenzer lesen, erfahren Sie et-was darüber, wie Statistiken eigentlich interpretiert werden sollten. Darin stehen Bei-spiele – ich hoffe, dass sich die Situation gebessert hat –, wie wenig sich bedingteWahrscheinlichkeiten oder der Umgang mit Daten überhaupt in den Köpfen befinden.Wenn man zum Beispiel Skalierungen mit einem Taschenrechner vornimmt und dasum den Faktor 100 daneben liegt, fällt es heute kaum noch jemandem auf; denn wirhaben uns an diese Automatisierung gewöhnt. Sensible Algorithmenentwicklung wäreein Thema in der Schule.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus einem öffentlichen Buch von Gigerenzer. Wenn heute –es wurde viel über Daten und Medizin gesprochen – ein Brustkrebs-Screening vorge-nommen und der Frau gesagt wird, dass sie wahrscheinlich Brustkrebst hat, ist dieWahrscheinlichkeit 10 %, dass die Frau, wenn sie bis zu dem Zeitpunkt noch keinenBrustkrebs hatte, diesen allein wegen dieser Aussage bekommt. Es wird keine be-dingte Wahrscheinlichkeit hineingerechnet. Brustkrebs wird zu 80 % detektiert. Es wirdaber viele Fälle geben, wo es keinen gibt. Im Hinblick auf die Frage, was die Algorith-men eigentlich sagen, muss es eine Sensibilität geben.

Ich nenne Folgendes Beispiel: Bei „Alexa“ und all den Spracherkennern sind viele For-men bzw. Entwicklungen von Sprache nicht vorhanden, welche unsere Sprache in denletzten zehn Jahren geändert haben. Ich nenne in dem Zusammenhang die männli-chen und weiblichen Formen bzw. das Gender-Sternchen. Die Frage ist, wie sich soetwas in solchen Systemen widerspiegelt. Da geht es um Jahrzehnte. Insofern müssenwir damit umgehen bzw. es interpretieren. Dabei geht es um die Frage, was dieseDinger eigentlich machen.

Wenn ein Informatikpflichtfach eingeführt wird, lassen Sie das bitte nicht von Mathe-matikern und Physikern unterrichten, sondern eher von Deutschlehrerinnen bzw.Deutschlehrern. Das ist jetzt ein anderes Plädoyer. Ich trage es vor, weil ich dieseProblematik kenne. Es gibt bei uns zu wenig Informatik-Didaktik. Von Nordrhein-West-falen weiß ich, dass es so etwas in Paderborn gibt. Ich weiß aber nicht, wo das sonstnoch der Fall ist. Seien Sie da vorsichtig. Sie lösen keine Probleme, wenn Sie dasFach in die Schule bringen und nicht die entsprechenden Leute haben. Sie sollten dieentsprechenden Themen und ein Ziel haben, was Sie damit erreichen wollen. An derStelle muss darüber nachgedacht werden: Was soll Informatikunterricht in der Schuleleisten? Das muss die erste Frage sein. Erst dann kann ich die Didaktik dazu entwi-ckeln und Leute ausbilden. Das ist ein zäher Prozess, den man beschleunigen kann.Erst einmal aber muss die Zielfrage beantwortet werden: Was wollen wir damit errei-chen?

Prof. Dr. Stefan Wrobel (KI.NRW, Bonn): Sie hatten nach der Rolle der Zertifizierunggefragt. Warum nehmen Unternehmen Zertifizierungen vor? Man kann sich mindes-tens drei Gründe vorstellen. Der unkreativste Grund wäre, dass sie es machen, weilsie gesetzlich dazu verpflichtet sind. Das machen sie natürlich, weil sie die Gesetzeeinhalten.

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Interessanter sind vielleicht die Gründe, bei denen es darum geht, Wachstum und Po-tenzial für die Unternehmen schaffen. Da kann ich mich Ihnen, Herr Hellwig, absolutanschließen. Dann wird es auch tatsächlich gemacht, und dann gibt es eine echteQualitätssteigerung. Das geschieht einmal, wenn es durch eine Zertifizierung, durcheine Prüfplakette oder ähnliche Dinge einen Wettbewerbsvorteil gibt. Wenn Sie fragen,was vonseiten der Politik getan werden kann, um so etwas zu befördern, bin ich wiederbei Ihnen, Herr Hellwig: Dann müssen Sie dafür sorgen, dass Regeln für alle geltenund dass Angebote, die unterscheidbar sind und eine bessere inhärente Qualität auf-weisen, dann auch für Verbraucherinnen und Verbraucher bzw. für Kundinnen undKunden entsprechend erkennbar sind. Es ist nicht egal, ob ich so etwas mache odernicht.

Ich komme zu dem Punkt, der aus meiner Sicht der wichtigere ist. Bei allem, was wirjetzt tun, um KI zu fördern, ist zu bedenken: Zertifizierungen bzw. die Maßnahmen, diewir ergreifen, müssen dazu führen, dass wir bessere und leistungsfähigere KI und da-mit auch bessere Produkte in den Unternehmen bekommen. Das können richtig auf-gestellte Prozesse auch leisten.

Ich nenne ein Beispiel. Unternehmen lassen ihre Toaster daraufhin prüfen, ob beiihnen die elektromagnetische Verträglichkeit gegeben ist bzw. ob sie außen zu heißwerden. So etwas machen heutzutage Prüforganisationen. Dafür bekommt man nichtunbedingt ein Prüfsiegel oder eine Zertifizierung. Das wird getan, weil man sicher seinwill, ein gutes Produkt zu haben. Wenn man eine riesige chemische Anlage mit KIsteuert, will man sicher sein, dass sie nicht aus dem Ruder läuft und irgendwann dasGanze abbrennt. Das heißt, Zertifizierung ist nur der Gipfelpunkt einer Entwicklung,mit der man die innere Qualität von Anwendungen und von dem, was man in Unter-nehmen tut, steigert. Wir müssen daran arbeiten, dass das für alle möglich ist.

Die Großen haben eigene Abteilungen. Die sind selbst in der Lage, das zu machen.Sie haben genügend Spezial-Know-how, um zu prüfen, ob die KI, welche sie einset-zen, auch funktioniert. Wir müssen insbesondere aber auch das Angebot für Mittel-standsfirmen schaffen, die wir ermutigen wollen, mit KI kreativ an die Dinge heranzu-gehen, selbst wenn sie nicht 50 Spezialistinnen bzw. Spezialisten haben. Wir müssendenen, wenn sie glauben, dass sie etwas haben, was funktioniert, ermöglichen, imRahmen eines strukturierten Prozesses zu prüfen, ob das auch solide ist. So sehendie Prozesse aus, die man für Zertifizierungen designt. Sie dienen den beiden Zielen,das Unternehmen besser zu machen und vielleicht irgendwann einen Standard undeine Zertifizierung zu haben.

Sie haben gefragt, wie das gemacht werden kann. Man schaut sich zwei Dinge an,einmal das Produkt selbst. Da geht es um Eigenschaften, welche die KI-Anwendungenaufweisen. Sind die richtigen Algorithmen ausgewählt worden? Habe ich die richtigenDaten? Werden die richtigen Merkmale betrachtet? Man schaut sich aber auch denProzess an: Woher kommen die Daten? Wie stelle ich sicher, dass zukünftig weitererichtige Daten verwendet werden? Habe ich einen Prozess, der bei Problemen sicher-stellt, dass schnell reagiert werden kann? Denn es ist so, dass sich KI-Anwendungenimmer weiterentwickeln. Man schaut sich also die beiden Dimensionen an. Da geht

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man eine Ebene herunter. Das sollte man sich nicht so vorstellen, dass man KI inabsehbarer Zeit so zertifizieren oder auch nur prüfen kann wie wasserdichte Handys.Wir wünschen uns das alle. Ich nenne die IP68-Schutzklasse. Man hält ein Handy 30Minuten lang ins Wasser. Wenn es dann noch funktioniert, war es offenbar dicht. Dasgeht natürlich nicht. Wir machen KI. Das wird wie Strom oder Informatik sein. KI wirdüberall und ganz unterschiedlich angewendet. Wenn wir in einem Jahr eine Zertifizie-rung für alles haben wollen, stellt sich die Frage, wie das aussehen soll. Dann müsstensich die Branchen irgendwann zusammentun und feststellen, was der richtige „Stateof the Art“ ist: Wie mache ich das, wenn ich KI bei der Personalsuche einsetze? Wiemache ich es, wenn ich eine chemische Anlage in einem Atomkraftwerk mit KI steu-ere? Wie mache ich das, wenn ich Krebserkrankungen damit diagnostizieren will?Dann werden sich Best Practices herauskristallisieren. Wir werden dann, glaube ich,einen Trend haben, dass das auch unabhängig von staatlichen Siegeln eingesetztwerden kann; denn an der Stelle geht es auch um Haftungs- und Funktionsfragen.

Das ist es, was wir allgemein auf allen Ebenen tun müssen. Es muss – das ist ganzwichtig – in die Praxis bzw. in die Unternehmen hinein. Wir wollen weiterhin bei derForschung top positioniert sein. Das wollen wir ausbauen. Gerne wollen wir da auchForschungsweltmeister werden, auch wenn wir es jetzt noch nicht sind. Vielleicht be-finden wir uns im Augenblick unter den Top 3. Vielleicht sind wir irgendwann Top 1;wir müssen gleichzeitig aber auch Umsetzungsweltmeister werden, weil es sonst nichtfunktioniert.

MP3 – das wird oft zitiert – ist ein sehr positives Beispiel dafür, wie Dinge laufen kön-nen. Es ist im Fraunhofer-Institut – das wissen nur wenige – zu einer Patentfamilieausgebaut worden, bei der es auch um Audio und Video geht. MP3 ist irgendwann aufden Playern von Apple gelandet. Kein Fernseher oder kein Handy funktioniert heuteohne Nutzung von Elementen aus Patentfamilien, die aus Deutschland kommen. Eineganz andere Frage aber ist, warum wir keine deutschen Handyhersteller mehr haben.Es ist aber durchaus so, dass wir in unserem Wissenschaftssystem so aufgestellt sind,dass wir Organisationen haben, die wissen, wie man Wissenschaft in die Praxis bringt.Und das passiert auch.

Vorsitzender Thorsten Schick: Wir sind jetzt am Ende der heutigen Sitzung. Nocheinmal ein großes Dankeschön an Sie, dass Sie unsere weitere Beratung entspre-chend bereichert haben.

(Allgemeiner Beifall)

– Der Applaus ist verdient. – Auch bei Herrn Seifen, dem Vorsitzenden des Wissen-schaftsausschusses, darf ich mich bedanken.

Es wird von dieser Anhörung ein Protokoll geben. Sie haben vorhin über die Qualitätder Spracherkennungssysteme aus Nordrhein-Westfalen gesprochen. Das besteSpracherkennungssystem sitzt links neben mir. Einziger Nachteil: Das Protokoll wird

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nicht sofort druckfertig vorliegen, sondern das dauert ein paar Tage. Es wird dann al-lerdings online abrufbar sein. Dann wird es Ihnen zum Nachlesen zur Verfügung ste-hen. – Ich wünsche Ihnen einen guten Heimweg und eine ruhige Adventszeit.

gez. Thorsten Schick gez. Helmut SeifenVorsitzender ADI Vorsitzender WissA

Anlage13.01.2020/16.01.202078

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Stand: 10.12.2019

Anhörung von Sachverständigen Sitzung des Ausschusses für Digitalisierung und Innovation

und des Wissenschaftsausschusses

"Künstliche Intelligenz: Forschung und Innovation für Maschinelles Lernen voranbringen" Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP, Drucksache 17/7374

am Donnerstag, dem 12. Dezember 2019

10.00 bis 12.00 Uhr, Raum E3 A02

Tableau

eingeladen Teilnehmer/innen

Stellungnahme

Jörg Hellwig Leiter Group Function Digitale Transformation Lanxess AG Köln

Jörg Hellwig 17/2075

Professor Dr. Helge Ritter Uni Bielefeld Bielefeld

Professor Dr. Helge Ritter 17/2118

Landesrektorenkonferenz der Universitäten in NRW c/o Bergische Universität Wuppertal Wuppertal

Professor Dr. Gerhard Sagerer

Sebastian Kraußer 17/2112

Professor Dr. Stefan Wrobel KI.NRW Bonn

Professor Dr. Stefan Wrobel

17/2117

Professor Dr. Klemens Skibicki Köln

keine Teilnahme 17/2113

Professor Dr. Bauckhage Fraunhofer IAIS Sankt Augustin

keine Teilnahme

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 37 - APr 17/853Anlage

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Landtag Nordrhein-Westfalen, Elektronische Sitzungsmappe zur Einladung Nr. 17/1132Ausschuss für Digitalisierung und Innovation

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Heimat braucht Handel – vitale Innenstädte für die Zukunft des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen erhalten, den stationären Handel bei seinem Weg ins digitale Zeitalter

unterstützen

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode

Drucksache 17/6748

02.07.2019

Datum des Originals: 02.07.2019/Ausgegeben: 02.07.2019

Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Heimat braucht Handel – vitale Innenstädte für die Zukunft des Einzelhandels in Nord-rhein-Westfalen erhalten, den stationären Handel bei seinem Weg ins digitale Zeitalter unterstützen I. Ausgangslage Die Innenstädte der Zukunft werden anders aussehen als sie dies heute tun. Wesentlich ist, dass sie noch immer ihre Funktionen erfüllen können: Innenstädte und Stadtteilzentren sind Mittel- und Anziehungspunkt, Freizeit- und Erlebnisraum, oftmals Verbindung zwischen histo-rischer und moderner Stadtgestaltung und nicht zuletzt bieten sie Versorgungs- und Einkaufs-fläche. Sie sind entscheidender Standort für den stationären Einzelhandel. Kommunen wie Handel sind von Veränderungsprozessen betroffen, die sich wechselseitig bedingen und ver-stärken. Dabei gilt es, die Entwicklungen präzise zu beschreiben, mit Konzepten Antworten zu finden und innovativen Ideen zur Umsetzung zu verhelfen. Der Einzelhandel ist auf attraktive Innenstädte angewiesen, die Besuchsanreize und Aufent-haltsqualität sichern. Die Attraktivität einer Innenstadt wiederum ist gerade von dem Angebot an Ladengeschäften abhängig, die neben dem reinen Versorgungsinteresse auch für Ein-kaufserlebnisse stehen. Geänderte Kundenbedürfnisse und Konzentrationsprozesse im Einzelhandel führen zu einem Wandel, der nur gemeinsam gestaltet werden kann: Wer Innenstadtbesucher einlädt, muss Kunden einladen. Wer Kunden einlädt, muss Besucher einladen. Auch in einer zunehmend digitalisierten Welt hat das analoge Einkaufserlebnis dabei Behauptungschancen – erst recht, wenn online und stationär nicht als Gegensätze begriffen werden, sondern sich ergänzen. Es gilt, die Kommunen dabei zu unterstützen, ihre Innenstädte zu stärken, die Kooperation mit dem Einzelhandel zu befördern und den Handel bei seinem Weg ins digitale Zeitalter zu be-gleiten. So groß die Bedeutung des Handels ist, so gravierend sind die Auswirkungen dieses Trans-formationsprozesses. Nordrhein-Westfalen ist als Standort jedes fünften Einzelhandelsunter-nehmens und mit den insgesamt über eine Million Beschäftigten im bundesdeutschen Ver-gleich Handelsstandort Nummer eins. Die NRW-Unternehmen und Beschäftigten in diesem

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Segment erwirtschaften mit rund 175 Milliarden Euro etwa ein Drittel des gesamten Einzelhan-delsumsatzes. Die Gesamtbetrachtung zeigt eine positive Entwicklung auf: Der Einzelhandel blickt auf zehn Jahre Umsatzwachstum in Folge zurück. Differenziert man jedoch zwischen stationärem und Online-Handel, so ist der Hauptträger dieses Wachstums deutlich identifizierbar. Während der Online-Handel Wachstumsquoten von jährlich zwischen neun und zehn Prozent aufweist, kann der stationäre Handel nur noch im Lebensmittelbereich ein Wachstum verzeichnen. Das geänderte Kaufverhalten setzt innenstadttypische Handelsformate wie Mode und Elektronik unter Druck.. In den Dörfern, Klein- und Mittelstädten ist diese Entwicklung besonders ausge-prägt. Der bereits heute spürbare Wandel wird sich noch verstärken. Die Bedeutung des Online-Handels wird weiter wachsen: Mehr als zwei Drittel der Konsumenten shoppen mittlerweile online – mit steigender Tendenz. Trends wie Urbanisierung, demographischer Wandel oder verändertes Freizeit- und Konsum-entenverhalten werden die Einzelhandelslandschaft in Nordrhein-Westfalen in den kommen-den Jahren noch weiter verändern. Die Studie „Handelsszenarien Nordrhein-Westfalen 2030“ geht davon aus, dass mit einem deutlichen Rückgang an Geschäften zu rechnen ist: Von den rund 108.000 Einzelhandelsgeschäften im Jahr 2018 werden bis 2030 13.000 bis 20.000 auf-geben. Neben den Folgen für die Unternehmen und ihre Beschäftigten trifft dies auch die Kom-munen unmittelbar: Die zu erwartenden Leerstände gefährden die Funktionsfähigkeit und die Entwicklung von Innenstädten. Verödung geht mit weiteren Folgeproblemen einher, die in eine Abwärtsspirale zu münden drohen: Die Attraktivität der Ortskerne nimmt ab, damit bleiben weitere Kunden fern. Die Innenstadt verliert an Attraktivität. Schließlich sind neben dem Ein-zelhandel weitere Wirtschaftsbereiche wie die Gastronomie betroffen. Wir wollen diese Ab-wärtsspirale verhindern. Auch der Handel muss sich durch neue Konzepte behaupten und die Innenstädte müssen sich als urbane Räume entfalten können. Die Herausforderungen sind groß - darin liegen aber auch große Chancen. Beispiele zeigen, dass die Umsetzung innovativer Ideen gelingen kann: Wo heute das klassische Ladenlokal dominiert, steht morgen vielleicht ein Showroom. Wo heute Leerstand zu beklagen ist, kann ein Popup-Store die Lücke füllen. Wo weniger Fläche gebraucht wird, kann Raum für neue Nutzungskonzepte, für Wohnen und Freizeit gewonnen werden. Gerade die Digitalisierung steht für diese neuen Chancen. Die Online-Welt darf nicht nur als Bedrohung betrachtet, sondern muss als Instrument verstanden werden, mit dem neue Kun-denbindungen erreicht werden können. Stationärer und Online-Handel sind dann keine Ge-gensätze, sondern können sich sinnvoll ergänzen. Multi-Channel-Angebote, also Sichtbarkeit, Vertrieb und Marketing on- wie offline, eröffnen stationären Händlern neue Wege zum Kunden. Digitale Services, die Kundenerwartungen entsprechen, sind Wegbereiter in das Geschäft vor Ort. Findet der Kunde den Weg in den Laden, kann der Handel selbstbewusst mit individueller Fachberatung, kurzen Wegen, erlebbarer Auswahl und dem Shoppingerlebnis als Freizeitge-staltung punkten. Das Land stellt wichtige Unterstützungsangebote zur Verfügung. Mit dem Programm „Zukunft des Handels“ stehen Mittel bereit, um kleine und mittelständische Händler bei Digitalisierungs-projekten und damit der Sicherung von Wettbewerbsfähigkeit zu unterstützen. Das Programm hilft, neue Geschäftsfelder zu erschließen und Multi-Channel-Angebote in Kooperation mit Kommunen und lokalen Unternehmen aufzubauen. Darüber hinaus hat die NRW-Koalition mit der Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel ein zusätzliches Beratungs- und Transfer-angebot ermöglicht. Mit der Einführung von Digitalcoaches für den stationären Einzelhandel

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sollen zukünftig Ansprechpartner vor Ort für Digitalisierungsprojekte zur Verfügung stehen. Mit den beiden öffentlich zugänglichen Studien „Handelsszenarien NRW 2030“ und „Digitalisie-rungsatlas Handel NRW“ stehen zudem Analysen, Handlungsempfehlungen und Praxisbei-spiele zur Verfügung, aus denen funktionierende Konzepte abgeleitet werden können. Damit der Handel die beschriebenen Herausforderungen besser bewältigen kann, brauchen alle Beteiligten die gleichen Spielregeln. Dazu gehören weniger Bürokratie und die Freiheit, neue Geschäftsmodelle erproben zu können. Die Attraktivität einer Stadt für die Menschen wird in besonderer Weise über die Innenstädte und Ortskerne transportiert. Sie sind zentraler Aufenthaltsort, fügen oftmals historische und moderne Elemente zusammen und verbinden Arbeitsplätze, zentrale Funktionen wie Verwal-tung, Bildung und Kultur sowie Freizeit- und Einkaufserlebnisse miteinander. Die Gestaltung der Innenstädte ist deshalb eine zentrale Aufgabe der nordrhein-westfälischen Stadtentwick-lungspolitik. Die Kommunen müssen mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie ihren Partnern zukunftsfähige und ansprechende Lösungen für die Weiterentwicklung ihrer Fußgängerzonen, Plätze, öffentlichen Räume, Gebäude und Wohnungen entwickeln und umsetzen. Mit der Landesinitiative „Zukunft. Innenstadt. Nordrhein-Westfalen“, die von Partnern der kom-munalen Familie, des Handels, der Wohnungswirtschaft, der Baukultur sowie vom Netzwerk Innenstadt und der Arbeitsgemeinschaft Historische Stadt- und Ortskerne getragen wird, hat die NRW-Koalition sich dieses Ziels angenommen. Zusammen mit den Bündnispartnern ar-beitet die Landesregierung daran, die Städtebau- und Wohnungspolitik in den Stadtzentren weiterzuentwickeln, Förderschwerpunkte zur Innenstadtentwicklung auszugestalten sowie Stadt- und Ortskerne zu stärken. Attraktive Innenstädte sind die Visitenkarte des Einzelhandels. Dabei kommen Faktoren wie Ambiente und Flair sowie Erlebnis und Erreichbarkeit eine wachsende Bedeutung zu. Gemein-den und Städte müssen daher ihre Möglichkeiten nutzen, diesen Rahmen für ihr Einzelhan-delsangebot zu schaffen und ihre Rolle als Handelsstandort aktiv gestalten. Eine Blaupause für den Erfolg gibt es dabei nicht - Konzepte müssen die unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen. Es lassen sich jedoch entscheidende Faktoren benennen:

- Erreichbarkeit: Der Besuch in der Innenstadt beginnt mit dem Vertrauen auf ein gutes Ankom-men. Für den Einzelhandel ist die Erreichbarkeit der Stadt- und Ortskerne unverzichtbar. Das gilt für die individuelle Mobilität wie für attraktive und moderne ÖPNV-Angebote.

- Leerstandsmanagement: Leerstehende Ladenlokale sind hinsichtlich ihrer Wirkung auf Ästhe-tik und Vertrauen möglichst kurz zu haltende Zustände. Die Kommunen müssen das Manage-ment von leerstehenden Ladenlokalen verbessern.

- Ambiente: Zur Attraktivität einer Innenstadt gehört eine bestimmte Atmosphäre. Zum positiven Empfinden gehören saubere und sichere Innenstädte.

- Events: Besondere Veranstaltungen und begrenzte Sonntagsöffnungen in Innenstädten sind in der Verbindung von Freizeit- und Shoppingerlebnissen Frequenz- und damit Chancenbrin-ger. Sie müssen organisatorisch und politisch unterstützt werden.

- Nahversorgung: Dem Lebensmittelhandel kommt eine Schlüsselrolle für lebendige Innen-städte zu. Es gilt, Händler und vor allem die großen Lebensmittelketten zu motivieren, inner-städtische Ladenlokale anzumieten und Innenstadtlagen dem Bau neuer Märkte auf der „grü-

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nen Wiese“ vorzuziehen. Die vorhandenen Zielkonflikte zwischen Gewerbe und Wohnen müs-sen dabei, etwa durch Ausweitung erfolgreicher Versuche zur Lärmreduktion in der Nachtlo-gistik, entschärft werden. Je lebenswerter sich Gemeinden und Städte präsentieren, desto attraktiver sind sie für den Einzelhandel. Handel findet dort statt, wo Menschen gerne leben und sich aufhalten. Damit Kunden und Kaufkraft zurück in die Gemeinden und Städte kommen und den lokalen Einzel-handel stärken, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen aller Akteure aus Politik, kommunaler Wirtschaftsförderung, dem Einzelhandel sowie deren Interessensgemeinschaften. Die NRW-Koalition leistet ihren Beitrag zur Unterstützung lebendiger Innenstädte und Ortskerne, für eine funktionierende Nahversorgung und Entwicklungschancen für den Einzelhandel. II. Beschlussfassung Der Landtag stellt fest:

- Kommunen und Einzelhandel sind mit Wandlungsprozessen konfrontiert, die sie nur gemeinsam positiv gestalten können. Das Land Nordrhein-Westfalen wird sie dabei unterstützen.

- In Veränderungen liegen auch immer Chancen - es muss darum gehen, den Wandel in seinen Auswirkungen zu erkennen und ihm mit innovativen Konzepten zu begegnen. In den Kommunen wie im Handel gibt es zahlreiche neue Ansätze und innovative Ideen, die als Best-Practice-Beispiele stärker Wirkung entfalten und damit für eine op-timistische, gestaltungsfreudige Haltung werben können.

- Den digitalen Möglichkeiten kommt die Rolle eines Chancengebers zu: Für den statio-nären Einzelhandel bieten sich in der Verbindung von Online- und analoger Welt, mit digitalen Services und der Kernkompetenz der Beratung vor Ort, neue Chancen der Kundenbindung. Mit den Programmen des Landes werden die Händlerinnen und Händler bei ihrem Weg ins digitale Zeitalter unterstützt.

- Fairer Wettbewerb nutzt Kunden und dem Handel. Wettbewerbsverzerrende Faktoren zwischen Online- und stationärem Handel müssen auf Anpassungsmöglichkeiten ge-prüft werden. Vor allem müssen rechtliche und bürokratische Hemmnisse für die Ent-wicklung des stationären Einzelhandels abgebaut werden.

- Landesparlament und Landesregierung müssen mit den Kommunalen Spitzenverbän-den und Vertretern des Handels den Dialog zu den Herausforderungen und Chancen, zu den Handlungsmöglichkeiten und -anforderungen, zur Gestaltung von attraktiven Innenstädten und einem reizvollen Handelsangebot intensivieren.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

- die bestehenden Programme zur Unterstützung des Einzelhandels konsequent fortzu-führen und bei Bedarf auszubauen.

- ihren Einsatz für Strategien gegen eine Verödung von Innenstädten fortzuführen. Dafür sollen die Kommunen bei der Erstellung von integrierten städtebaulichen Entwicklungs-konzepten weiterhin beraten werden.

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- in Abstimmung mit den Kommunalen Spitzenverbänden und Vertretern des Handels zu prüfen, welche gesetzlichen Veränderungen nötig sind, damit die Kommunen inte-grierte und passgenaue Konzepte entwickeln können, um Innenstadtlagen für den Handel wieder attraktiver zu machen.

- sich auf Bundes- und EU-Ebene für eine Prüfung einzusetzen, inwieweit Anpassungs-bedarf hinsichtlich wettbewerbsverzerrender Faktoren zwischen Online-Handel und stationärem Handel besteht.

- sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Verwaltungsvorschrift Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA-Lärm) hinsichtlich einer Entschärfung der Ziel-konflikte zwischen Gewerbe und Wohnen unter Wahrung der Umweltstandards und unter Einbeziehung technischer Innovationen überprüft wird.

- weiterhin Fördermöglichkeiten für Kommunen und Akteure des Einzelhandels im Hin-blick auf die Steigerung von Transparenz, effektivem Zugang und Flexibilität zu über-prüfen.

Bodo Löttgen Matthias Kerkhoff Daniel Sieveke Thorsten Schick Henning Rehbaum Fabian Schrumpf Oliver Kehrl Florian Braun

Christof Rasche Henning Höne Ralph Bombis Stephen Paul Bodo Middeldorf

und Fraktion

und Fraktion

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11.07.2019

Datum des Originals: 11.07.2019/Ausgegeben: 11.07.2019

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Änderungsantrag der Fraktion der AfD zum Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP „Heimat braucht Handel – vitale Innenstädte für die Zukunft des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen erhalten, den stationären Handel bei seinem Weg ins digitale Zeitalter unterstützen“ (Drucksache 17/6748) Änderung Der Antrag wird wie folgt geändert: Unter Beschlussfassung (II.), „Der Landtag beauftragt die Landesregierung“ werden die Spiegelstriche wie folgt ergänzt: - gemeinsam mit Unternehmen der Transportlogistik und online-Anbietern ein Konzept

zur Verbesserung der City-Logistik für die Anlieferung auf der „letzten Meile“ zu erarbeiten und

- zu prüfen, mit welchen Maßnahmen insbesondere die Klein- und Mittelstädte (mit der

landesplanerischen Funktion als Grund- und Mittelzentren) auch im Einzelhandel unterstützt werden können, um weiterhin eine angemessene Rolle als Standorte der Daseinsvorsorge und als urbane Mittelpunkte wahrnehmen zu können.

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Begründung Die zunehmende Bedeutung des online-Handels hat, wie die „Handelsszenarien treffend feststellen dazu geführt, „dass die Menge der in NRW zu bewegenden Pakete rasant wächst und die aufgebauten Logistiksysteme unter den gegebenen infrastrukturellen Gegebenheiten […] an ihre Belastungsgrenzen stoßen.“ (S. 65). In ländlichen und strukturschwachen Räumen sind kleine und mittelgroße Städte aufgrund der begrenzten Nachfrage oft von Umsatzrückgängen und Leerständen im Einzelhandel betroffen. Es sind hier neue Konzepte für alternative Nutzungsstrukturen zu prüfen und mit den Akteuren vor Ort zu organisieren. Andreas Keith und Fraktion

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Landtag AusschussprotokollNordrhein-Westfalen APr 17/85917. Wahlperiode 13.12.2019

Ausschuss für Heimat, Kommunales,Bauen und Wohnen (79.) undAusschusses für Digitalisierung und Innovation (33.)

Gemeinsame Sitzung (öffentlich)

13. Dezember 2019

Düsseldorf – Haus des Landtags

13:30 Uhr bis 16:30 Uhr

Vorsitz: Hans-Willi Körfges (SPD)

Protokoll: Sitzungsdokumentarischer Dienst

Verhandlungspunkt:

Heimat braucht Handel – vitale Innenstädte für die Zukunft des Einzel-handels in Nordrhein-Westfalen erhalten, den stationären Handel beiseinem Weg ins digitale Zeitalter unterstützen 3

Antragder Fraktion der CDU undder Fraktion der FDPDrucksache 17/6748

Änderungsantragder Fraktion der AfDDrucksache 17/6864

– Anhörung von Sachverständigen (s. Anlage)

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Landtag Nordrhein-Westfalen - 3 - APr 17/859

Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen (79.) 13.12.2019Ausschuss für Digitalisierung und Innovation (33.) weGemeinsame Sitzung (öffentlich)

Heimat braucht Handel – vitale Innenstädte für die Zukunft des Einzelhan-dels in Nordrhein-Westfalen erhalten, den stationären Handel bei seinemWeg ins digitale Zeitalter unterstützen

Antragder Fraktion der CDU undder Fraktion der FDPDrucksache 17/6748

Änderungsantragder Fraktion der AfDDrucksache 17/6864

– Anhörung von Sachverständigen (s. Anlage)

Vorsitzender Hans-Willi Körfges begrüßt die Anwesenden, insbesondere die Sach-verständigen, und bedankt sich für ihre schriftlichen Stellungnahmen. Sodann ent-schuldigt er den Vorsitzenden des mitberatenden Ausschusses für Digitalisierung undInnovation, der an der Teilnahme der heutigen Sitzung aus terminlichen Gründen ver-hindert sei.

(Es folgen organisatorische Hinweise.)

Oliver Kehrl (CDU): Wir hatten vor einigen Monaten in diesem Plenarsaal ein Werk-stattgespräch zu vitalen Innenstädten und welcher Zusammenhang sich zur Zukunftdes Handels ergibt. Wir halten das für ein sehr wichtiges landespolitisches Thema, dasnoch nicht in allen Bereichen und Kommunen dieses Landes angekommen ist. Es gibtnämlich einen direkten Zusammenhang zwischen den Strukturproblemen des Einzel-handels und den damit verbundenen Herausforderungen der Städte.

Herr Hedde, Sie haben den Digitalisierungsatlas NRW erstellt und über Handelssze-narien gesprochen. Wie können wir Leerstände kategorisieren und damit umgehen?Was ist bei Zwischennutzung und innovativem Besatz zu beachten?

Wie würden Sie den Dialog vor Ort mit Werbegemeinschaften und lokalen Playernbesser organisieren? Was würden Sie dafür empfehlen?

Wie sehen Sie die Bedeutung der zukünftigen Arbeit von Wirtschaftsförderung generellin den nordrhein-westfälischen Kommunen?

Herr Schulte, würden Sie uns freundlicherweise erläutern, welche Bedeutung die Im-mobilien- und Standortgemeinschaften für Digitalisierung der Innenstädte haben? Wirmüssen sie von Interessengemeinschaften als Werbegemeinschaften unterscheiden.Welche gesetzlichen Regelungen und Vereinfachungen brauchen wir, um für dieStädte zu erleichtern und zu optimieren?

Welche Best-Practice-Beispiele aus Nordrhein-Westfalen können Sie für Citygemein-schaften nennen?

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Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen (79.) 13.12.2019Ausschuss für Digitalisierung und Innovation (33.) weGemeinsame Sitzung (öffentlich)

Im Land bewegt uns derzeit die Vorbereitung des Einzelhandelserlasses. Wir habenin den letzten Monaten herausdestilliert, dass die Lebensmittelgeschäfte für die Fre-quenz in den Städten sehr wichtig sind. Möglicherweise können Sie kurz erläutern,welche Anforderungen Lebensmittelgeschäfte haben, was sie für die Städte tun kön-nen und welche Anforderungen an den Einzelhandelserlass Sie sehen, damit man dieAnforderungen der großen Lebensmittelketten erfüllen kann.

Herr Dr. Achten, können Sie uns die bestehenden Instrumente erläutern? Ich nennekonkret die Digitalcoaches, bei denen es sich um eine Landesinitiative handelt, die derHandelsverband Nordrhein-Westfalen begleitet.

Wir haben versucht, die Ladenöffnungszeiten mit dem Ladenöffnungsgesetz auf Lan-desebene zu regeln. Können Sie darstellen, in welchem Zusammenhang Sie Laden-öffnungszeiten im grenznahen Bereich sowie im europäischen Kontext sehen? Gibt esHarmonisierungsbedarf auf EU-Ebene?

Der stationäre Handel befindet sich in ständigem Wettbewerb mit dem Onlinehandel.Welche Strukturen und Wettbewerbspositionen hat der stationäre Handel im Vergleichzum Onlinehandel mit all den Verkehren usw., die er auslöst?

Andreas Becker (SPD): Meine erste Frage geht an Herrn Borgmann, Herrn Volmerig,die IHK und den Handelsverband. Wir hören aus der Fachwelt, dass das im Antragangesprochene Förderprogramm „Zukunft des Handels“ auch im Fördermanagementversierten Menschen kaum ein Begriff ist. Das erklärt vielleicht auch, dass von 1,8 Mil-lionen Euro im Jahr 2019 lediglich 223.000 Euro abgerufen worden sind. Dieses Pro-gramm ist im Haushaltsentwurf der Landesregierung um 390.000 Euro gekürzt wor-den.

Darüber hinaus wird die Abwicklung von Förderprogrammen als bürokratisch beschrie-ben, sodass die Teilnahme kleinerer Einzelhändler kaum darstellbar ist. Können Siediese Einschätzung teilen? Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit die Förderkulissenbei allen Einzelhändlern ankommen?

Meine zweite Frage geht an Herrn Beckmann, Herrn Volmerig, Herrn Borgmann undHerrn Heinrichs. Herr Beckmann schreibt in seiner Stellungnahme, dass der Antragerheblich zu kurz greift und in seiner Zielrichtung keinen durchschlagenden Erfolg zurStärkung vitaler Innenstädte verspricht. Von maßgeblicher Bedeutung dürfte es sein,den Paradigmenwechsel zu verstehen und die Aktivitäten an den grundlegend neuenRahmenbedingungen auszurichten. – Im Weiteren führen Sie noch einige Aspekteaus.

Herr Beckmann, können Sie uns Ihre Einschätzung und Ihre Schlussfolgerungen fürdie konkreten Maßnahmen der Landespolitik näher erläutern? Von den anderen ange-sprochenen Sachverständigen möchte ich wissen, ob Sie diese Einschätzung teilenund wie Ihre Schlussfolgerungen sind?

Meine dritte Frage geht an Herrn Borgmann, Herrn Kolle, Herrn Heinrichs, Herrn Vol-merig sowie eventuell an die kommunalen Spitzenverbände, den Handelsverband unddie IHK. In den Debatten um die Verödung von Innenstädten und den Rückgang des

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Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen (79.) 13.12.2019Ausschuss für Digitalisierung und Innovation (33.) weGemeinsame Sitzung (öffentlich)

Einzelhandels wird auch immer die Sonntagsöffnung angesprochen. Im vorliegendenAntrag heißt es vielsagend, dass alle Beteiligten die gleichen Spielregeln brauchten,damit der Handel die beschriebenen Herausforderungen besser bewältigen kann.Dazu gehörten weniger Bürokratie und die Freiheit, neue Geschäftsmodelle erprobenzu können.

Vonseiten der Landesregierung hat es den Versuch der Neuregelung des Sonntags-öffnungsrechts gegeben. Die Zahl der gerichtlichen Verfahren zu verkaufsoffenenSonntagen ist seit 2017 nach unserer Ansicht nicht großartig gesunken. Wie beurteilenSie die aktuelle Situation in Bezug auf die rechtliche Situation der Ladenöffnungsre-geln?

Stephen Paul (FDP): Herr Junker, Sie haben thematisiert, dass Flächen, die derzeitfür den Einzelhandel genutzt werden, umgewidmet werden müssen; darin ist man sichweitestgehend einig. Welche insbesondere rechtlichen Hürden gerade im Baurechtsehen Sie? Was würden Sie vorschlagen, um die Umwidmung und die Umnutzung zuerleichtern?

Herr Lehrmann, in Ihrer Stellungnahme betonen Sie das Bild der mittelalterlichenStadt. Welche Erlebniselemente eines solchen mittelalterlichen Stadtlebens ließensich auf die heutige Zeit in zeitgemäßer Weise übertragen? Welchem Bedarf könnteman mit entsprechenden Angeboten nachkommen?

Herr Hedde, Sie haben davon gesprochen, dass sich die Kommune vorrangig wenigerals Aufsichtsbehörde, sondern auch als Impulsgeber und als Stadtgestalterin sieht.Wie schneiden nordrhein-westfälische Städte unter diesem Aspekt ab? Gibt es viel-leicht bereits Beispiele, von denen man landesweit lernen und Erfahrungen übertragenkann?

Johannes Remmel (GRÜNE): Bevor ich meine Fragen stelle, muss ich meine Verär-gerung über die Ungleichzeitigkeit zum Ausdruck bringen. Wir beraten einen Antragvon CDU und FDP, wobei gerade heute die Abgeordneten eine Publikation der Lan-desregierung zur Landesinitiative „Zukunft. Innenstadt. Nordrhein-Westfalen.“ erhaltenhaben. Darin wird anhand vieler Beispiele Innenstadtentwicklung zukunftsgewandtdargestellt. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten das gleichzeitig miteinander beratenkönnen, denn was darin steht, geht in weiten Teilen über das hinaus, was die Koaliti-onsfraktionen im Landtag beraten, und deckt sich im Wesentlichen mit den kritischenStellungnahmen der Sachverständigen. Es macht jetzt die Schwierigkeit dieser Anhö-rung aus, dass Sie, wie ich vermute, dieses Dokument nicht kennen. Ich frage Sietrotzdem.

In Ihren Stellungnahmen wird vielfach darauf hingewiesen, dass die allgemeine Fo-kussierung auf den Einzelhandel insbesondere den Problemen in den Unter-, Mit-tel- und Stadtteilzentren nicht gerecht wird, weil hier andere Funktionen entwickelt wer-den müssen. Welche Möglichkeiten und anderen Funktionen sehen Sie zur Belebunggerade dieser Zentren? Vor welchen Aufgaben stehen die Stadtentwicklerinnen undStadtentwickler sowie die Immobilieneigentümer und die Kommunen? Diese Frage

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Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen (79.) 13.12.2019Ausschuss für Digitalisierung und Innovation (33.) weGemeinsame Sitzung (öffentlich)

richtet sich an Herrn Junker, Herrn Beckmann, die kommunalen Spitzenverbände undHerrn Heinze.

Meine zweite Frage geht in eine ähnliche Richtung. Die bisherige Städtebauförderungzielt maßgeblich darauf ab, kommunale Investitionen im öffentlichen Raum zu fördern,um damit potenzielle Investitionen von Dritten vielleicht zu befördern. Sie erreicht abernicht private Immobilieneigentümer, weil sie teilweise zu kleinteilig unterwegs sind. Da-mit wird aber die Frage aufgeworfen, wie wir die bisherigen Instrumente so weiterent-wickeln können, dass wir auch die ökonomische Entwicklung außerhalb öffentlicherGebäude befördern können, denn es ist ja die eigentliche Zielvorstellung, bestimmteZentren wiederzubeleben.

Wie können die bestehenden Instrumente der Städtebauförderung verändert werden,um die Transformation weg von der alleinigen Zentrierung auf den Einzelhandel in einegesamte städtebauliche Förderung zu integrieren? Diese Frage richtet sich an HerrnJunker, Herrn Beckmann und Herrn Heinze.

Meine dritte Frage zielt auf ein konkretes Beispiel, sodass ich Herrn Heinze direkt an-sprechen möchte. Wir haben vernommen, dass Sie in Remscheid nach dem zweitenKapitel des Baugesetzbuches einen Sanierungsbereich für die Fußgängerzone imZentrum erarbeiten. Sie haben einen Einleitungsbeschluss für eine Sanierungssat-zung erlassen, an der Sie derzeit arbeiten. Können Sie uns erläutern, welche Ziele Siedamit verfolgen und wo die Chancen dieses Ansatzes vielleicht auch für andere ste-cken könnten? Vielleicht könnten das auch die kommunalen Spitzenverbände und dieIHK kommentieren.

Roger Beckamp (AfD): Meine erste Frage geht an die Architektenkammer. Mit Blickauf die Regelungen zur Standortsteuerung beim großflächigen Einzelhandel – Stich-wort: Einzelhandelserlass – sprechen Sie die Bedeutung dieser Regelungen an. Wiesollte dieser Erlass unter den veränderten Bedingungen angepasst werden?

Meine zweite Frage geht an Herrn Beckmann. Sie sprechen vom Heimatverlust, weilviele alte inhabergeführte Geschäfte verloren gehen, wodurch der Bevölkerung eingroßer Teil an Gewohnheit im Einkaufsbereich verloren geht. Sie sprechen von einemParadigmenwechsel, der erforderlich sein soll. Welche Akteure sehen Sie? WelcheMaßnahmen wären dafür erforderlich? Sie sagen nichts wirklich über die Konsequen-zen, weil es so unabsehbar sei.

Meine dritte Frage geht an Herrn Dr. Lange. Sie sprechen vom wachsenden Paketlie-ferdienst und machen Vorschläge zur geräuscharmen Nachtlogistik und zu Mikrode-pots. Welche Kosten sehen Sie für die konkrete Umsetzung? Ich habe letztens mitbe-kommen, dass es jetzt beispielsweise hybride Lkw mit nur einem sehr geringen Akkugibt, der aber für die letzten 6 bis 10 km reicht. Welche Möglichkeiten gibt es in dieserHinsicht noch?

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Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen (79.) 13.12.2019Ausschuss für Digitalisierung und Innovation (33.) weGemeinsame Sitzung (öffentlich)

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Damit haben alle Fraktionen in der ersten Rundedie Gelegenheit gehabt, Fragen an die Sachverständigen zu richten. Da alle Sachver-ständigen angesprochen worden sind, darf ich in der Reihenfolge des vor Ihnen lie-genden Tableaus zunächst Herrn Raphael für die kommunalen Spitzenverbände umBeantwortung bitten.

Detlef Raphael (Kommunale Spitzenverbände Nordrhein-Westfalen): Herr Beckerhat das Ladenöffnungsgesetz angesprochen, zu dem wir vor drei Jahren eine sehrintensive Debatte geführt haben. Die kommunalen Spitzenverbände hatten sich inÜbereinstimmung mit dem Handelsverband für ein einstufiges Genehmigungsverfah-ren ausgesprochen.

Aus dem Anlassbezug ist nun der Sachgrund mit neuen Interpretationsspielräumensowohl für die Kommunen als auch für die Gerichte geworden, und zwar trotz der ge-meinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden entwickelten guten Handreichung.Gleichwohl haben wir mehr Rechtsunsicherheit als vorher, weil der Anlassbezug mehroder weniger gerichtlich geklärt war.

Wir sollten über eine Änderung für mehr Rechtssicherheit gerade für die kleinerenKommunen diskutieren. Eine Einigung mit den beteiligten Gruppen ist in den Städtensehr unterschiedlich möglich. Für Dortmund kann ich sagen, dass sie meistens gelingt,sodass zumindest drei oder vier verkaufsoffene Sonntage und Feiertage möglich sind;das ist aber nicht in allen Städten der Fall.

Herr Remmel, Sie hatten gefragt, wie wir Innenstadtbelebung schaffen. Dafür brau-chen wir ein anderes Verständnis des öffentlichen Raums. Wir haben bisher immer aufden Einzelhandel als Anziehungspunkt für die Innenstadt gehofft, wissen aber, dassdas beileibe nicht mehr reicht, und stellen fest, dass Innenstädte sowohl durch diebauliche Gestaltung, als auch durch Ereignisse und Veranstaltungen ganz anders be-lebt werden müssen.

Wir sprechen uns dafür aus, dass das viel stärker gemeinsam mit dem Einzelhandelpassiert. Es gibt viele erfolgreiche Beispiele von Citygemeinschaften oder Werbege-meinschaften, in denen diese Kooperation stattfindet. Es gilt zu überlegen, durch wel-che Ereignisse man die Innenstadt attraktiv hält, um das Publikum anzuziehen, dasden Einzelhandel aufsucht. Schwierigkeiten haben wir damit, wenn versucht wird, dieeine Gruppe gegen die andere auszuspielen. Das kann nur gemeinschaftlich gehen.

Im Zusammenhang mit der Diskussion um den Klimaschutz werden wir uns noch in-tensiv mit der Frage befassen müssen, wie wir Innenstädte attraktiv halten können,wenn es weniger Autoverkehr gibt. Dabei sage ich bewusst weniger Autoverkehr undnicht sauberer Autoverkehr, denn um den Innenstadtbereich attraktiv zu halten, brau-che ich eher weniger als mehr Blech in der Innenstadt. Es wird also darum gehen,neue Verkehrskonzepte zu schaffen, die die Innenstadt attraktiv halten bzw. wieder-beleben.

Wir sollten zunächst einmal die Debatte auf Bundesebene zu einer möglichen Ände-rung des Immissionsschutzrechtes abwarten, weil sowohl auf Bundes- als auch auf

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Landesebene entsprechende Arbeitsgruppen und Arbeitskreise zwischen den Baum-ministern und den Umweltministern gebildet worden sind, um darüber nachzudenken,wie man die nachweislichen Zielkonflikte mit Blick auf die Problematik Luft und Lärmgelöst bekommt. Anschließend muss man daraus Schlussfolgerungen ziehen, ob manÄnderungen beim Bundesimmissionsschutzgesetz, beim Baugesetz oder an anderenStellen braucht, bevor jetzt landesrechtliche Schnellschüsse kommen, die nach einergewissen Zeit wieder angepasst werden müssten.

Dr. Peter Achten (HV NRW): Ich möchte mich eingangs dafür bedanken, dass Siesich derart aktiv mit dem Einzelhandel und der Innenstadtentwicklung beschäftigen,weil das nottut. Nach wie vor sind unsere Innenstädte durch Einzelhandel, Ladenbe-satz und Gastronomie geprägt, die für die europäische Stadt ein essenzielles Themasind.

Ich bin zunächst nach den Digitalcoaches und den Förderprogrammen des Landesgefragt worden. Zum inzwischen dritten Projektaufruf „Digitalen und stationären Ein-zelhandel zusammendenken“ kann ich nur sagen: Ich halte dieses Förderprogrammfür richtig konstruiert; es kommt nur nicht sofort und unmittelbar bei den Betroffenenan. Auch wir kommunizieren hier sehr stark und tragen das in den Kreis unserer Mit-glieder und auch unmittelbar an einzelne Händler heran, die sich erstmalig wie auchDienstleister beteiligen können. Wie bei vielen Dingen ist es aber auch hier schwierig,die Botschaft für den Empfänger mundgerecht zu machen.

Aus dem Förderprogramm sind eine Reihe interessanter Maßnahmen hervorgegan-gen und gefördert worden. Mein Zwischenfazit lautet deshalb: Ich würde mir eine stär-kere Nachfrage und eine bessere Kommunikation zu diesem Thema wünschen, aberdas Förderprogramm an sich ist richtig und wichtig.

Damit komme ich zum nächsten Thema. Bei Digitalisierung im Einzelhandel handeltes sich nicht um ein Entweder-oder, um die Stationären auf der einen und die Digitalenauf der anderen Seite, sondern einfach nur um einen weiteren Kanal zum Kunden, dervon Akteuren unterschiedlich stark genutzt wird. Teilweise kommen klassische statio-näre Händler digital sehr weit nach vorne, teilweise werden digitale Händler zuneh-mend stationär, sodass sich die Kanäle also vermischen. Es geht nicht um die han-delnden Personen, sondern um die Wege zum Kunden.

Wir installieren die Digitalcoaches gerade in vier unserer Regionalverbände. Sie spre-chen aktiv mit Händlern, um Digitalisierungsbedarf und Digitalisierungshemmnisse zuidentifizieren, denn es gibt zwar eine ganze Reihe von Schulungsmaßnahmen vielerAkteure, bei denen es aber Schwellenängste gibt, denen wir genauer nachgehen müs-sen. Darüber hinaus stellen wir fest, dass viele Dienstleister am Markt die Digitalisie-rungsbemühungen des Handels unterstützen, aber auch hier beide Seiten nicht zuei-nanderfinden.

Wir wollen also zum einen digitalisierungswillige Händler miteinander vernetzen undDigitalisierungshemmnisse identifizieren und zum anderen passende Dienstleister mit

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dieser Gruppe in Verbindung bringen, sodass wirtschaftliches Handeln noch erfolgrei-cher sein kann.

Auch auf Bundesebene gibt es Aktivitäten wie das Programm „Mittelstand 4.0-Kompe-tenzzentrum Handel“, dessen Geschäftsführer Frank Rehme heute in anderer Funk-tion hier ist. Auch dort werden Tools entwickelt, mit denen Digitalisierung leicht ge-macht werden kann. Wir wollen dem bisher rein stationären Handel einen Weg eröff-nen, auch digitale Kanäle nutzbar zu machen, um so die Existenz insgesamt zu stär-ken und zu stützen.

Zur Wettbewerbssituation an sich. Beim rein digitalen Handel gibt es keine zeitlicheRestriktion für den Kauf. Es gibt aus Kundensicht auch ein paar Komfortabilitätsvor-teile, die zu einem hohen Lieferaufkommen gerade auf der letzten Meile führen,wodurch sich Verkehrsprobleme verschärfen. Maßgeblich für uns ist die Erreichbar-keit, denn der Kunde hat es zunehmend schwer, die Ladengeschäfte aufzusuchen.Hier besteht Handlungsbedarf.

Herr Raphael hatte bereits unsere deckungsgleiche Position zum Ladenöffnungsge-setz formuliert. Die Zielsetzung, bei der Reform für mehr Rechtssicherheit zu sorgen,haben wir begrüßt und unterstützt. Wir vertreten nicht die Forderung, die Geschäfte24 Stunden an sieben Tagen in der Woche zu öffnen, sondern wollen dem Einzelhan-del die Gelegenheit geben, in Ausnahmefällen an vier bis acht Sonntagen im Jahrrechtssicher und einfach öffnen zu können. Durch die Verschiebung der Darle-gungs- und Beweislast werden einige Kommunen davon abgehalten, sich proaktivüberhaupt mit dem Thema zu beschäftigen.

Andere begrenzen die Wirkungsbereiche für Ladenöffnungen so stark, dass sehr vieleHändler ausgeschlossen sind. Herr Körfges und Herr Heinrichs, ich glaube, in Mön-chengladbach wissen Sie, wovon ich rede. Ganze Betriebsformen werden komplettvon der Ladenöffnung ausgenommen, was nicht gewollt sein kann, weil in der Geset-zesbegründung ausdrücklich steht, dass es um Erleichterungen für alle Versorgungs-formen des Handels gehen sollte.

Wir fordern ein einstufiges Verfahren, das öffentliche Interesse als Begründung insGesetz und die Darlegung der Sachgründe in die Gesetzesbegründung aufzunehmen.Wir stehen darüber im Gespräch mit dem Ministerium, was nicht ganz einfach ist, ge-ben aber die Hoffnung nicht auf, dass es uns gelingt, dem stationären Handel dasEinkaufserlebnis für dezidierte Ausnahmefälle einfach, rechtssicher und schnörkelloszu erleichtern.

Zur Ladenöffnung im grenznahen Bereich lässt sich nur feststellen, dass andere euro-päische Länder teilweise wesentlich weitreichendere Öffnungszeiten haben, die nichtzu 100 % ausgeschöpft werden. Denken Sie an Italien und Polen: Die ursprünglicheZahl von 40 verkaufsoffenen Sonntagen hat man inzwischen halbiert, und es bestehtkeine Regulierungsnotwendigkeit. Im grenznahen Raum gerade in Krefeld und Viersenbeobachtet man jeden Sonntag, dass Einkaufen für viele Menschen zur Freizeitbe-

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schäftigung geworden ist. Die Niederlande sind uns dabei in einigen Dingen weit vo-raus. Lassen Sie uns Wege und Möglichkeiten finden, nicht völlig hinter den Zug zukommen.

Sven Schulte (IHK NRW): Herr Kehrl, Immobilien- und Standortgemeinschaften ha-ben aus unserer Sicht für die Standortentwicklung eine große Bedeutung, wenn sieauch noch nicht ausgeschöpft wird. Im Gegensatz zu den klassischen etablierten In-teressen- und Werbegemeinschaften, in denen sich in der Regel Gewerbetreibendezusammenschließen, stellen Immobilien- und Standortgemeinschaften eine neue Ge-meinschaft von Akteuren dar, denn bislang treten sie häufig nicht geschlossen auf.Darin besteht vielleicht eine Möglichkeit, das zu forcieren, denn Immobilieneigentümerhaben in Innenstädten, aber auch in Stadtteilen und Ortszentren großen Einfluss aufdie Qualität eines Standorts und den dortigen Nutzungsmix, indem sie das Erschei-nungsbild durch die Vermietung sehr stark prägen.

Das ganze Verfahren ist aber sehr aufwendig. Freiwillige Varianten stellen eine Zwi-schenebene zwischen Interessengemeinschaften und Immobilien- und Standortge-meinschaften dar. Für die verpflichtenden Immobilien- und Standortgemeinschaftenhat das Land NRW ein ESG-Gesetz verabschiedet, das an der einen oder anderenStelle gut funktioniert. Wir würden uns aber noch mehr Aktivität wünschen. Dabei se-hen wir uns selbst als IHK in der Pflicht, wenngleich es für uns nicht ganz einfach ist,an die Immobilieneigentümer heranzukommen, auf die wir keinen Zugriff haben. Kom-munen helfen gelegentlich dabei, denn man muss das im Schulterschluss machen.

Wir würden uns vom Land einen neuen Aufschlag wünschen, das Instrument der Im-mobilien- und Standortgemeinschaften voranzubringen. Sie haben das im Rahmendes Stadtmarketings der zweiten Generation Anfang des Jahrtausends finanziell un-terstützt, denn man muss die Kommunen davon überzeugen, Satzungen zu erlassen,und die Immobilieneigentümer als Mitglieder gewinnen. Dafür wurden zum Teil Bürosengagiert, denn für Ehrenamtliche oder Immobilieneigentümer ist diese Aufgabe nichtzu bewältigen. Vielleicht könnte man noch einmal in diese Richtung denken: Vielleichtkönnte es sich dabei im Rahmen der Städtebauförderung um ein Instrument handeln.

Damit komme ich zur Cityinitiative, bei der es die unterschiedlichsten Varianten gibtwie zum Beispiel die Werbegemeinschaften sowie die Immobilien- und Standortge-meinschaften. In unserer Stellungnahme haben wir explizit die City- und Quartiersma-nagements aufgenommen, bei denen sich um sehr wirkungsvolle Instrumente handeltund die durch Städtebauförderungsmittel finanziert werden. Auch hier gibt es aus un-serer Sicht noch Luft nach oben.

Wenn man über den Tellerrand blickt, kann man noch ganz andere Beispiele sehen:Neulich haben wir eine Exkursion nach Hamburg gemacht, wo eine Großstadt mit ei-nem sehr schlagkräftigen von der Wirtschaft getragenen Citymanagement arbeitet. Esist sehr vorbildlich, mit wie vielen Mitgliedern und mit welchen finanziellen Ressourcenman eine konkrete Person und deren Mitarbeiter beschäftigt, die als Netzwerker vorOrt in politischen Prozessen die Stimme für die Unternehmer in der Presse erhebt und

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die Organisation von verkaufsoffenen Sonntagen bis hin zu großen Stadtfesten über-nimmt.

Das kann man auf Quartiere herunterbrechen; so gibt es in Düsseldorf-Garath bald einStadtteilmanagement. Hier ist vieles möglich, und es gibt auch verschiedene Finanzie-rungsmöglichkeiten. Vielleicht könnte das Land auch hier durch eine Anschubfinanzie-rung oder etwas Ähnliches unterstützen, um etwas auf die Beine zu stellen.

Der Einzelhandelserlass befindet sich erfreulicherweise derzeit im Novellierungsver-fahren, denn er ist schon recht alt. Die IHK in NRW haben sich eingebracht und eineStellungnahme verfasst. Wir führen unter anderem mit Staatssekretär Dr. Heinischsehr gute Gespräche. Wir haben den Eindruck, dass man auf einem sehr guten Wegist.

Bei diesem Termin und in unserer Stellungnahme haben wir konkrete Wünsche geäu-ßert: Wir wünschen uns eine Entbürokratisierung, denn der Einzelhandelserlass istschwer zu verstehen. Wenn es sich auch um kein unmittelbares Rechtsinstrument,sondern um einen verwaltungsinternen Erlass handelt, müssen sich gerade die Inves-toren aus dem Lebensmittelbereich, mit denen wir reden, doch damit auseinanderset-zen.

Nach der Herausforderung, den Einzelhandelserlass zu verstehen, muss man auchnoch seine Anwendung nachvollziehen, denn in Nordrhein-Westfalen wird er durchausunterschiedlich interpretiert, wenn es beispielsweise um die 35-%-Klausel oder dieklassische atypische Situation geht, die es gar nicht gibt. Hier würden wir uns Konkre-tisierungen vielleicht in Form von Beispielkatalogen wünschen, an denen man einfa-cher nachvollziehen kann, welches Vorhaben wie einzuordnen ist.

Beim Förderprogramm schließen wir uns Herrn Dr. Achten an: Es handelt sich um einwichtiges Instrument. Ich glaube, wir sind uns einig, dass es schwierig ist, es dort zukommunizieren, wo es hingehört, nämlich im Handel und in den Kommunen. Wir ver-suchen immer wieder, alles zu präsentieren, was möglich ist. Ich plädiere dafür, nichtweiter zu reduzieren, sondern besser zu kommunizieren. Dabei bitte ich Sie, mich nichtfalsch zu verstehen: Hier sehen wir uns auch selbst in der Pflicht.

Zur Verödung der Innenstädte und zum Ladenöffnungsgesetz haben wir schon einigesgehört. Nach unserer Einschätzung hat sich die Situation eingependelt: Wir habennicht mehr die Klagewelle wie im Jahr 2018, was allerdings nicht an mehr Zufriedenheitauf Händlerseite liegt.

Wir haben eine Umfrage unter den Interessen- und Werbegemeinschaften durchge-führt: 31 % der Befragten in ganz NRW haben wegen der Rechtsunsicherheit und desgroßen Aufwandes für Ehrenamtler ganz einfach keine Lust mehr, diese Anträge zustellen. Trotz der teilweisen Unterstützung von Verbänden, Kammern und Juristen bli-cken sie gar nicht mehr durch, was eigentlich alles gefordert wird.

Das ist gerade für kleinere Kommunen schade, denn es handelt sich häufig um iden-titätsstiftende Anlässe, bei denen wir nicht darüber reden, das große Geld zu verdie-nen, sondern es geht darum, Heimat zu schaffen, Identität zu stiften und die Menschen

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zusammenzubringen. Dabei geht es gar nicht mehr um die absolute Zahl der Öffnun-gen, sondern vor allen Dingen um die Rechtssicherheit. Bei den genannten Zahlenkönnen wir guten Gewissens von Ausnahmen reden. Wie auch Herr Dr. Achten appel-lieren wir: Wir begrüßen alles, was in dieser Frage Rechtssicherheit schafft. Das ein-stufige Verfahren wäre natürlich der Idealfall.

Dr. Volker Lange (Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik): Wir leben ineiner analogen und einer digitalen Welt; das gilt sowohl für die Menschen als auch fürdie Waren. Der Kunde unterscheidet teilweise gar nicht mehr; trotzdem müssenMensch und Ware zusammenkommen, was die typische Aufgabe der Logistik ist. Wirbrauchen nicht nur nach Düsseldorf zu schauen: Das ist schwierig.

Wie geht man gerechterweise damit um, um Versorgung und Erreichbarkeit sicherzu-stellen? – Aus unserer Sicht gibt es eine Menge guter Ansätze. Unsere Kernbotschaftlautet: Zeitliche und räumliche Dimensionen werden heute nicht konsequent genutzt.Stau gibt es nicht 24 Stunden am Tag, sondern, wenn man ehrlich ist, nur 6 bis 8 Stun-den lang. Nachts ist sehr viel Platz auf den Straßen, sodass die geräuscharme Nacht-logistik sicherlich ein ganz großer Aspekt ist, den man weiterverfolgen könnte, um dieVersorgung der Stadt in der Nacht zu übernehmen. So könnte man den Raum tags-über deutlich besser nutzen; darin liegt eine große Herausforderung. Es sind bereitsTests gelaufen, die zeigen: Das ist grundsätzlich machbar.

Die Kosten für die geräuscharme Nachtlogistik sind schwer zu bewerten, weil es sichbislang ausnahmslos um Pilotprojekte gehandelt hat. Wir gehen davon aus, dass esgünstiger wird, weil die Leistungsfähigkeit in einer leeren Stadt viel höher ist. Testshaben gezeigt, dass sie um 50 bis 60 % höher liegt als am Tag: Man kann viel schnellerfahren, hat weniger Stau und ist auch bei den Stopps wesentlich besser, weil es nichtzu viele Störungen gibt. Die TA Lärm ist natürlich ein riesiges Thema, das bearbeitetwerden muss.

Neben der Zeit geht es aber auch um Räume; dieses Thema könnte aus unserer Sichtnoch stärker adressiert werden. Wir haben gerade von leer stehenden Immobilien ge-hört: Es gibt sehr viele Aktivitäten, sogenannte Mikrodepots in der Stadt aufzubauen,um gebündelt anzuliefern und nach momentanem Konzept über E-Lastenfahrräderauszuliefern. Viele Städte haben damit inzwischen schon sehr gute Erfahrungen ge-macht: Es ist deutlich besser als jedes andere Verkehrsmittel in der Stadt.

Im Moment beschäftigen wir uns auch mit dem unterirdischen Transport. Städte wieDüsseldorf, Köln, München und Berlin kann man sich ohne U-Bahn nicht mehr vorstel-len, mit der man aber nur Menschen transportiert, was 24 Stunden lang leise und ener-gieverträglich ginge. Bislang transportieren wir damit aber keine Waren. In Helsinkibaut man eine halbe Stadt unterirdisch, wovon man sicherlich lernen kann.

Wir sehen sowohl oben als auch unten Potenziale. Damit meine ich nicht zwingend,dass durch Düsseldorf oder anderswo Drohnen fliegen; im ländlichen Bereich könnteman bei der Versorgung schon viel eher darüber nachdenken. Man kann aber auch

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nach unten schauen, denn dort gibt es noch eine Menge Potenzial, das man sicherlichnoch ausschöpfen kann.

Daniel Kolle (ver.di Bezirk Köln-Bonn-Leverkusen): Herr Becker, die Frage, ob dieLadenöffnungszeiten aus unserer Sicht ausreichen, möchte ich aus Kundensicht be-antworten und auf die IFH-Studie „Vitale Innenstädte 2018“ verweisen: Mit einerDurchschnittsnote von 2,39 ist die Zufriedenheit durchaus sehr gut beurteilt worden.Kein einziger Kunde beurteilt den Umfang der Ladenöffnungszeiten als nur befriedi-gend; der überwiegende Teil der Noten liegt im Bereich zwischen 1 und 2,0. Bei einer84-prozentigen Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden kann man auch von einerauskömmlichen Ladenöffnungszeitenregelung ausgehen.

Dass wir uns gerade mit Blick auf die letzte Novellierung ein Weniger vorgestellt hät-ten, ist kein Geheimnis. 2018 gab es eine Hochphase mit einer Vielzahl von Klagen.Allerdings war auch die Rechtslage vor der Novellierung ein hart ausgehandelter Kom-promiss, mit dem sich beide Seiten wohl nur schweren Herzens einverstanden erklärthaben. Bis 2017 gab es in Nordrhein-Westfalen keine einzige Klage aufgrund des La-denöffnungsgesetzes.

Ab einem bestimmten Zeitpunkt musste allerdings bedauerlicherweise festgestellt wer-den, dass sich eine Vielzahl Kommunen nicht mehr an die rechtlichen Regelungengehalten hat. Als ein Extrembeispiel sei auf die Stadt Velbert verwiesen, die es in eineAnhörung fertiggebracht hat, trotz gesetzlich maximal erlaubter elf verkaufsoffenerSonntage zwölf verkaufsoffene Sonntage einzubringen, um dann auf die Tatsache zuverweisen, dass es relativ egal sei, was wir dazu sagen. Die rechtliche Auseinander-setzung war die logische Konsequenz, was zu einer Vielzahl von Verfahren in Nord-rhein-Westfalen sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtslage geführt hat.

Der Kampf um die Verkaufsöffnung an Sonntagen tobte bereits in der gesamten Bun-desrepublik. Mit Blick auf den hart ausgehandelten Kompromiss vor der Novellierungdes Ladenöffnungsgesetzes ist Nordrhein-Westfalen noch eine kleine Enklave derRuhe gewesen. Das hat sich seit der Novellierung merklich verändert. Herr Schultehat bereits angesprochen, dass sich die Situation inzwischen eingependelt hat. Zumin-dest in meinem Zuständigkeitsbereich gibt es nicht mehr so viele Klagen wie in derVergangenheit. Viele Kommunen haben sich mit dem rechtlichen Rahmen, der ihnennach Gesetz und Rechtsprechung gegeben worden ist, arrangiert und einverstandenerklärt.

Es gibt eine ganze Reihe verkaufsoffener Sonntage, die durchaus beweisen, dassauch in der gegenwärtigen rechtlichen Situation ohne Weiteres verkaufsoffene Sonn-tage rechtskonform auszugestalten sind. Das OVG Münster hat mit einer Gesamtbe-trachtung in den Überprüfungsverfahren deutlich gemacht, dass bei der Darle-gungs- und Beweislast nicht jeder einzelne Aspekt von den Antragstellern oder dendurch Verordnung freigestellten Kommunen dezidiert dargestellt werden muss, son-dern dass auch eine Gesamtbetrachtung stattfinden kann. Es ist oftmals entgegen un-serer Auffassung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Ladenöffnung sehr wohl ver-fassungs- und rechtskonform ist.

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Man muss an der Stelle aber auch entschieden darauf hinweisen, dass kein Landes-gesetzgeber an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vorbeikommen wirdund eine sachgrundlose Freigabe von verkaufsoffenen Sonntagen sicherlich nicht ver-fassungskonform ist, wenn die Novellierung des Ladenöffnungsgesetzes angeregtwird, um Rechtssicherheit zu gewährleisten, insbesondere wenn auf ein einstufigesVerfahren verwiesen wird. Insofern wird es immer eine geringe Hürde bei einem An-tragstellungsverfahren bzw. beim Genehmigungsverfahren auf kommunaler Ebenegeben.

Weil Herr Schulte darauf hingewiesen hat, muss darauf verwiesen werden, dass dieKommunen Trägerinnen des Verfahrens sind und nicht die Händlerinnen und Händler.Die Umwälzung der Darlegungs- und Beweislast auf die Händlerinnen und Händlermuss in diesem Kontext sicherlich noch einmal diskutiert werden, weil immer wiederzu Recht die Frage gestellt wird: Warum müssen wir denn eigentlich die Informationenbeitragen? Warum hat die Kommune nicht mehr Möglichkeiten, uns zu unterstützen? –Wo das passiert, haben wir in der Regel erfolgreiche Abstimmungen und keine Klage-verfahren. In vielen Fällen haben auch formale Gründe zu Klagen geführt und nichtimmer nur Fragen der materiellen Rechtmäßigkeit der begehrten Verkaufsöffnung.

Abschließend komme ich noch auf die Frage nach der Identitätsstiftung und Heimatals Begründung für verkaufsoffene Sonntage. Über meinen Schreibtisch gehen fastalle Anträge von Kommunen in meinem Zuständigkeitsbereich. Oftmals werden Kauf-kraftzuwächse durch Kundengewinnung aus umliegenden Kommunen als sehr be-rechtigtes Argument angeführt. Deshalb müsste man in diesem Kontext auch über dieFrage diskutieren, ob es eigentlich Sinn der Sache ist, von Kommune zu Kommunemit verkaufsoffenen Sonntagen zu ziehen und sich die Kundinnen und Kunden abzu-luchsen, um am Ende nur wieder zu einer Gesamtverteilung auf gleichem Niveau zukommen. – Es gibt sehr viele Aspekte, die in einem Gesetzgebungsverfahren zu dis-kutieren wären.

Peter Heinze (Stadt Remscheid): Ich bin danach gefragt worden, welche Funktiondie Innenstadt zukünftig haben kann. Es wird wesentlich weniger Handel als heutesein. Bisher habe ich noch keine Aussage gehört, dass es sich um einen eruptivenWandel handelt, der mit der Digitalisierung des Handels einhergeht.

In Remscheid macht sich das extrem bemerkbar: Wir haben inzwischen 50 % Leer-stände auf unserer Haupteinkaufsstraße. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders:Von damals 87 m² sind wir bei jetzt 10.187 m² angekommen. Es gibt sehr wenig An-fragen aus den Bereichen Bekleidung und Handel insgesamt, sodass wir nicht mehrerkennen können, dass diese Leerstände durch den Handel ausgeglichen werden kön-nen. So stellt sich eben die Frage nach einer Reduzierung der Handelsflächen und derFolgenutzung.

Ich war sehr lange als Wirtschaftsförderer aktiv und habe sehr viele Einzelhändler ausdem stationären Handel in den Onlinehandel geführt. Vonseiten der Händler gab esein sehr großes Interesse, genau das zu tun, weil wesentlich größere Flexibilität gege-

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ben war insbesondere beim inhabergeführten Einzelhandel sowie bei Gründungsiniti-ativen. Häufig ist auch festzustellen, dass Starter, die sich mit Handel nur als Neben-sortiment zu ihrer Haupttätigkeit beschäftigen, als Zentrum nicht mehr die Innenstadt,sondern Gewerbegebiete bevorzugen, um dort Handel auszuüben.

Deshalb sind wir bei der Perspektive für Handel in der Innenstadt sehr zurückhaltendgeworden und sehen andere Funktionen im Vordergrund. Das können soziale Funkti-onen, Bildungseinrichtungen, Wohnen, Gastronomie, also alles sein, was Frequenzschafft, denn in die Innenstadt führen die meisten Verkehrslinien. Dort gibt es auch diegrößten Investitionsvolumina im Städtebau.

Ich bin auch nach der Förderung gefragt worden. Die Städtebauförderung halten wirin Remscheid für einen unabdingbaren Bestandteil für den Umbau der Innenstadt. Wirfahren dort gegenwärtig eine Revitalisierungsmaßnahme, die vor allen Dingen aufstädtebauliche Maßnahmen fokussiert ist. Es ist bei Leerständen von über 10.000 m²dem Eigentümer nicht zu vermitteln, dass wir über Bänke, Bäume oder eine neuePflasterung zu einem grundsätzlichen Wandel kommen.

Deshalb besteht ja auch der Wunsch, zu einem wesentlich stärkeren Finanzinstrumen-tarium zu kommen. Aus der Wirtschaftsförderung der letzten Dekade ist mir die Ab-wrackprämie noch als Erfolgsmodell für einen psychologischen Wandel in Erinnerunggeblieben, durch die Investitionen in bestimmte Bereiche getätigt worden sind. EtwasÄhnliches stellen wir uns für die Innenstädte vor, um die Einzelhandelsimmobilien um-zuwandeln. Die Stadt Solingen strebt Ähnliches an und fokussiert sich lediglich auf denUmbau. Ich halte es aber für sehr wichtig, die Abwrackprämie um abgetakelte Ge-bäude zu erweitern.

Auch nach Sanierungsgebieten bin ich befragt worden. In Remscheid haben wir unsdazu entschieden, vor dem Hintergrund des sozialen Missstands mit gröberem Be-steck an die Innenstadterneuerung heranzugehen. Wir sind in die Voruntersuchungenfür ein Sanierungsgebiet eingestiegen, um an die Gebäudestrukturen heranzugehenund mit den Eigentümern darüber zu sprechen, wie man zu einer Erneuerung kommt,weil sich die Immobilie natürlich nicht mehr rentieren, wenn auf die Einzelhandelsfunk-tion im Erdgeschoss verzichtet wird, sodass es eine ökonomische Neuausrichtung ge-ben muss.

Die Ziele sind genau zu definieren. Wir versuchen gerade herauszufinden, was in Zu-kunft für diese Bereiche gilt. Es wird sehr viel weniger Handel sein, und wenn, handeltes sich um Lebensmitteleinzelhandel und die berühmte urbane Produktion. Wir gehendavon aus, dass diese Nutzungen demnächst wieder in der Innenstadt vorzufindensind wie eben auch Schulen, Kindergärten und Wohnen.

Die Chancen eines Sanierungsgebietes sehe ich darin, dass es zu einem Neustart unddazu kommt, die Eigentümer zu mobilisieren, grundsätzlich über ihre Immobilie nach-zudenken. Vielfach sind die Eigentümer hochbetagt und haben nicht mehr unbedingtden Impuls, noch einmal zu investieren. Die Immobilie dient häufig zur Finanzierungder Rente und des Lebensunterhaltes oder es handelt sich um Investoren, die nicht

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mehr am Standort leben. Auch die steuerlichen Vorteile, die sich aus einem Sanie-rungsgebiet ergeben, halten wir für sinnvoll und vielversprechend, um den Kommuni-kationsprozess und den Wandel zu starten.

Im Übrigen muss man darüber nachdenken, mit einem Initialprojekt in die Erneuerungzu kommen. Das kann vor allen Dingen ein öffentliches Invest sein.

Frank Rehme (GMV Team): Ich bitte, ganz grundsätzlich wahrzunehmen, dass sichdas Verhalten eines Besuchers der Innenstadt völlig verändert hat. Meiner Meinungnach kommt dieser Aspekt hier völlig zu kurz: Wir versuchen, mit Lösungen, die dieProbleme eigentlich mitverursacht haben, und durch die Intensivierung dieser Lösun-gen eine Neuausrichtung hinzubekommen. Wir müssen uns aber völlig an die Stadt-besucher und die veränderten Bedürfnisse anpassen.

Diese Veränderung hat dazu geführt, dass sich der Handel verändern muss. DieserDruck wird weiter an die Immobilienbesitzer abgegeben. In vielen Projekten, an denenwir beteiligt sind, sehen wir, dass sich die Immobilienbesitzer noch nicht auf die neueSituation eingestellt haben. Wir müssen über ganz andere Gewerbemieten nachden-ken und die Quartiere, die wir aufbauen und die momentan nur auf Flächenrentabilitätausgerichtet sind, hin zur Erlebnisrentabilität verändern. Das ist eine ganz andere Her-angehensweise, solche Quartiere in Zukunft zu entwickeln.

Erst vor Kurzem hatten wir Workshops zur Belebung des Medienhafens in Düsseldorf,an dem wir letztlich die Problematiken sehen, die wir aufbauen: Dort gibt es Quadrat-metermieten, die der Handel überhaupt nicht mehr erwirtschaften kann. In den Innen-städten gibt es viele Gegenden, in denen es genauso ist. Wenn wir die Innenstädtenicht so attraktiv machen, dass sie für den inhabergeführten Handel erschwinglichsind, wird uns sehr viel Lebensqualität in einer Stadt abhandenkommen.

Wir müssen auch darauf achten, dass eine attraktive Innenstadt immer auch ein Stand-ortvorteil für eine Stadt ist, denn kein Unternehmen siedelt sich gern in einer Stadt miteiner Innenstadt an, in der die Mitarbeiter nicht gut leben können.

Felix Heinrichs (SPD-Fraktion im Rat der Stadt Mönchengladbach): Wir habensehr wohl kommunal vernommen, dass es durch die veränderten Regelungen zurSonntagsöffnung einfacher werden sollte, haben aber nicht unbedingt auch die Erfah-rung gemacht, dass es einfacher wird. Im Austausch mit den Kolleginnen und Kollegenaus anderen Städten stellt sich durchaus heraus, dass auch Verwaltungen das Themanicht einheitlich handeln.

Mir persönlich ist ein systemischer Ansatz aufgefallen, nämlich der Zusammenhangzwischen der Größe des Öffnungsgebietes in einer Stadt und dem Aufwand, der be-trieben werden muss, einen Anlass zu schaffen, der eine Sonntagsöffnung rechtfertigt.Herr Kolle hat darauf hingewiesen, dass es ein gewisses Verhältnis geben muss.

In Mönchengladbach erleben wir beispielsweise, dass es in einem unserer beidenStadtzentren, nämlich in Rheydt, wesentlich besser gelingt, die Sonntagsöffnungdurchzubekommen, was damit zu tun hat, dass es dort eine aktivere Händlerschaft auf

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der Ebene gibt, die eben eine Rechtfertigung mit sich bringt. Das Verhältnis ist dortetwas leichter zu finden als in der Mönchengladbacher Innenstadt.

Wenn Heimat Handel braucht, muss es gelingen, dass sich die Händlerinnen undHändler gemeinsam mit den Kommunen, den Werbegemeinschaften und mit Marke-tinggesellschaften – die Städte sind sehr unterschiedlich aufgestellt – an dieser Stelledazu bekennen, diese Heimat mit zu schaffen.

Wir erleben aber auf der anderen Seite gerade in den zentraleren Innenstadtbereicheneinen Wandel, dass die inhabergeführten Geschäfte zumindest dort, wo sie Jahr-zehnte bestanden haben – dabei handelt es sich auch um ein Problem der Immobili-enwirtschaft, auf das schon hingewiesen worden ist –, mehr und mehr durch großeHandelsketten ersetzt werden.

Damit wird es zum einen schwieriger, Menschen zu erreichen, die sich engagierenwollen. Dabei reden wir von personeller Kontinuität sowie von Ressourcen, die freige-geben werden. Wir erleben, dass sich große Handelsketten und Kaufhäuser aufgrundvon Einsparvorgaben nicht mehr beteiligen, woran Kleinigkeiten wie die Weihnachts-beleuchtung scheitern, weil die namhaften Händler nicht mehr mitmachen.

Wenn wir mehr Anlässe schaffen wollen, um die Innenstadt zu besuchen, die über dasreine Kauferlebnis hinausgehen, müssen wir zu mehr Individualität kommen. DieserAufgabe müssen sich die Städte gemeinsam mit den Händlerinnen und Händlern inden Innenstädten stellen. Deswegen macht es aus meiner Sicht auch im großen MaßeSinn, dass man darauf achtet, wie man vor Ort solche Strukturen schaffen kann: Kön-nen die Kommunen das machen? Können das die Handelsverbände machen? Könnendas die IHK machen?

Auch hier gibt es ein Beispiel aus Mönchengladbach. Seit ungefähr einem Jahr gibt eseinen Gesprächskreis, der interessanterweise von der IHK ins Leben gerufen wordenist und den sie dankenswerterweise auch betreut. Hier sitzen die verschiedenen Grup-pen an einem Tisch, tauschen sich aus und überlegen gemeinsam, wie man sowohldie Identität der Innenstadt stärken und mehr Menschen in die Innenstadt ziehen, alsauch mit konkreten Themen wie der Sonntagsöffnung umgehen kann, um es letztlichallen Händlerinnen und Händlern zu ermöglichen.

Abschließend möchte ich noch auf die Verbindung von stationär und digital kommen.Vor einigen Jahren haben wir in Mönchengladbach am Forschungsprojekt „mg.retail2020“ teilnehmen können, aus dem das Folgeprojekt „MG bei eBay“ erwachsen ist.Man wollte den stationären Händlerinnen und Händlern ermöglichen, einen eigenenOnlineshop bei eBay aufzubauen. Auf dem Weg hat eine gewisse Bereinigung statt-gefunden. Die Händlerinnen und Händler berichten durchaus, dass sie über diesenKanal mehr verkaufen als vorher, es also zu einer Steigerung des Umsatzvolumensführt, nicht aber dazu, dass mehr Menschen in die Geschäfte kommen. Die erhoffteFolge, dass mehr Menschen in die Innenstädte kommen, weil man vor Ort schaut undmit Blick auf Verfügbarkeit, Logistik usw. später im Internet kauft, hat sich bislang nichteingestellt.

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Ich glaube, der Einzelhandel spielt für vitale Innenstädte immer noch eine maßgeblicheRolle. Auf der anderen Seite muss er aber auch mehr dazu beitragen, eines von vielenErlebnissen zu sein, die dazu führen, Menschen in die Innenstädte zu ziehen.

Ralf M. Beckmann (Stadt + Handel Beckmann und Föhrer Stadtplaner PartGmbH):Sie haben eingangs auf meine Stellungnahme Bezug genommen, wonach der Antragzu kurz greift. Nordrhein-Westfalen ist meines Erachtens sehr reich an positiven Be-gleitungen vonseiten des Landes in Richtung des Handels. Viele Aktivitäten zielen ge-rade auf den Handel ab – der Digitalisierungscoach ist gerade schon angesprochenworden –, bei denen ich das Land gut aufgestellt sehe. Ich finde auch, dass der Antragan sich ein Zeichen dafür ist, diesen Weg weiter zu gehen.

In seiner inhaltlichen Ausrichtung fokussiert er sich aber sehr stark auf die Verbindungvon Innenstadt und Handel. Hier gibt es aber einen Paradigmenwechsel: Handel hattein den letzten Jahrzehnten unbestritten die Leitfunktion. Handel hat heute die Leitfunk-tion in den allermeisten Innenstädten. Handel hat aber immer weniger Leitfunktion,auch wenn es sich dabei absehbar um eine der zentralen Leitfunktionen handeln wird.

Durch die Digitalisierung haben wir es mit einer komplett veränderten Situation zu tun.Das Wort von der digitalen Revolution als Umwälzung der Verhältnisse greift meinerMeinung nach nicht zu kurz. Herr Rehme sprach davon, den Menschen in den Mittel-punkt zu stellen.

Die Verknüpfung der technischen Anwendbarkeit, wie Menschen agieren, möchte ichan einem Beispiel deutlich machen. Vielen ist im Alltag überhaupt nicht bewusst – mirübrigens auch nicht –, dass wir es erst seit wenigen Jahren mit digitalen Interaktions-möglichkeiten zu tun haben, wenn Sie an Tablets und Smartphones denken, die esvorher nicht gab. Sie haben die digitalen Anwendungsfälle und die wirtschaftlichen Zu-sammenhänge dahinter völlig verändert.

Bevor die Tablets 2011 wirklich am Markt ankamen, fanden die normalen Bestellvor-gänge im Onlinehandel montags bis freitags von 9:00 bis 17:00 Uhr statt. Das hat sichkomplett auf die Abendzeiten und das Wochenende verschoben, weil man das jetztbequem zu Hause vom Sofa aus machen kann. Niemand muss heute mehr zwingendeinen Laden aufsuchen, um sich zu versorgen, außer vielleicht für Lebensmittel. DieZeiten sind für immer vorbei. Wenn ein Laden aufgesucht wird, geschieht es aus Ge-wohnheit oder weil man bestimmte Qualitätsansprüche hat oder weil man dort etwasbekommt – ein Erlebnis, eine Bestätigung, ein Gefühl –, was man beim digitalen Be-stellvorgang nicht hat.

Es muss verstanden werden, dass die alte Zeit nie wieder zurückkommt – auch nichtmit ein bisschen Bespielung und ein bisschen Förderung von ein paar Geschäften undein bisschen Stadtmarketing. Es geht also um fast nichts weniger als darum, die Stadtneu zu erfinden.

Um Innenstädte wie in Köln oder Düsseldorf brauchen wir uns keine Sorgen zu ma-chen; sie sind aus vielen Gründen stabil aufgestellt. Was ist aber mit den Städten, indenen die Mietvertragskaskade durchgreift? – Ich fokussiere mich noch einmal auf die

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Leitfunktion des Handels in der immobilienwirtschaftlichen Nutzung. In der alten Zeithatte man es mit Laufzeiten von zehn Jahren plus Option von fünf Jahren zu tun. Gehtman vom Jahr 2011 aus, als sich das Tablet durchgesetzt hat, befinden wir uns2020/21 in der letzten Phase der alten Mietverträge. Sieht man sich die Leerständegerade in den mittelgroßen Städten an, so handelt es sich bereits um die ersten Aus-wirkungen.

Eine Studie hat jüngst mit Unterstützung des HDE die Leerstandsentwicklung unter-sucht. Ab 2021 wird dort – für mich völlig kausal plausibel – von Lehrstellen gespro-chen, die deswegen bestehen, weil es in der Umgebung Leerstände gibt, weil die La-gen also unattraktiv werden. Momentan sehen wir noch nicht das, was an schlechtererEntwicklung prognostiziert wird. Das wird bei dem Begriff Heimat wahrgenommen: eindiffuses Gefühl, was ich plötzlich auch an der Innenstadt festmachen kann.

Mit zu kurz gegriffen meinte ich, dass es gilt, weit über den Handel hinauszuschauen.Wenn man die anderen Nutzungen, die in der Zukunft die Innenstädte ausgestaltensollen, als Handlungsoption des Landes oder der Kommunen greifen können will,muss man auch instrumentell überlegen, was da passiert. Das will ich am Beispiel derGastronomie aufzeigen.

Bis teilweise Anfang des Jahrtausends gab es im Handel eine expansive Entwicklung.Ein Standort auf der grünen Wiese tat deshalb nicht so richtig weh. Mit der Anpassungdes Bewusstseins für den Wert des Handels in den Innenstädten und der landespla-nerischen Instrumentarien – Stichwort: LEP – ist die räumliche Steuerung des Einzel-handels in Richtung Innenstadt in den allermeisten Kommunen und auch seitens desLandes ziemlich konsequent aufgesetzt worden.

In der Gastronomie erleben wir gerade steigende Ausgabenvolumina und die Expan-sion der gängigen Konzepte. Es gibt auch einen starken Ansatz von Filialisierung.Gastronomie ist aber nicht per se auf die Innenstadt fokussiert, sondern fast alle Kon-zepte besetzen gerne für die Expansion auch Fahrlagen. Eine Ausfallstraße ist in derGastronomie genauso gerne gesehen wie im Handel.

Will man das in den Griff bekommen, braucht es auf kommunaler Ebene das klareBewusstsein, das planungsrechtliche Instrumentarium steuernd einzusetzen. Vonsei-ten des Landes braucht es eine Verschneidung der Förderinstrumente, mit denen öf-fentliches Geld beispielsweise bei der Städtebauförderung eingesetzt wird, mit denanderen Nutzungsarten, die die Innenstädte im planerischen Vorstellungskontext mitLeben füllen sollen.

Meines Erachtens braucht es dann auch ein Instrumentarium, wenn beispielsweise beiden integrierten Innenstadtentwicklungskonzepten oder bei den integrierten Hand-lungskonzepten, die antragsseitig Grundlage der Städtebauförderung sind, das glaub-würdig durchdekliniert werden muss: Was heißt das denn für die Funktionen, die dieInnenstadt mit Leben füllen sollen, denn Fördermittel sollen in diesem Kontext ja ziel-gerichtet ausgeschüttet werden?

Meines Erachtens braucht es auch grundlegend den Gedanken der Verstetigung, derschon an verschiedenen Stellen durchgeklungen ist – Stichworte: Citymanagement

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und Quartiersmanagement. Meiner Ansicht nach ist die derzeitige Ausgestaltung einStrohfeuer, das den Status quo ein bisschen länger aufrechterhält. Es ist vor Ort undfür heute sehr hilfreich. In 3 % der Ausschreibungen, die ich auf dem Tisch habe, istVerstetigung als Vergabekriterium für Citymanagement hinterlegt. Wenn ein schlüssi-ges Konzept oder die private Kofinanzierung, wie es in der Stellungnahme von HerrnVolmerig benannt ist, wenn die Verstetigung nicht mitgedacht wird, verschenken wirim Grunde genommen Potenzial, Strukturen zukunftsgewandt mit den Förderinstru-menten aufzusetzen.

In diese Richtung möchte ich eine Anregung zum Gesetz über Immobilien- undStandortgemeinschaften geben: Man sollte das Instrumentarium in der Städtebauför-derung prüfend durchforsten, weil man die räumlichen Förderkulissen gegebenenfallsmit privatem Engagement verknüpfen kann. Man könnte also die Anschubfinanzierungnutzen, um private Mittel in der Innenstadt dauerhaft investiv und nichtinvestiv, alsoauch Marketingmaßnahmen, einzubringen.

Dr. Rolf Volmerig (Wirtschaftsförderung Wuppertal AöR): Grundsätzlich ist dieAusrichtung des Antrags als sehr positiv zu bewerten. Mir fehlen ein paar Konkretisie-rungspunkte. Als Wirtschaftsförderer haben wir mit dem Tagesgeschäft zu tun undversuchen, aus Anträgen die Umsetzungsfähigkeit abzuleiten. Aus unserer Sicht gibtes noch ein gewisses Optimierungspotenzial. Das will ich an den drei Fragestellungendeutlich machen, die an mich gerichtet worden sind.

Beim Förderprogramm zur Zukunft des Handels stehen 1,8 Millionen Euro bereit, vonden 230.000 Euro abgerufen werden. Dafür gibt es zwei Gründe: Dieses Programm istgrundsätzlich sinnvoll, denn zum ersten Mal wird die Zielgruppe der Händler, die fürdie Wirtschaftsstruktur eine immense Bedeutung hat, in den Fokus genommen. DieKommunikation ist aber nicht optimal. Es gelingt nicht, die eigentliche Zielgruppe derHändler zu erreichen. Wir haben selbst Anträge gestellt: Es sind institutionelle Partnerwie die IHK, Wirtschaftsförderer und Banken dabei. In den seltensten Fällen sind dieHändler selbst operativ dabei.

Ich habe in der Stellungnahme einen pragmatischen Vorschlag gemacht: Die Händlerhaben mit Förderung nichts am Hut. Sie stehen 12 Stunden lang im Geschäft, undwenn sie dann noch einen Förderantrag schreiben sollen, winken sie ab. Genau diemüssen wir aber erreichen. Es gibt Interessengemeinschaften und Immobilien- undStandortgemeinschaften, an die wir operativ ran müssen. Wenn sich wirklich100 Händler, Dienstleister und Institutionen zusammentun, gibt es dort ganz banal dieMöglichkeit, einen Digitalscout zu beantragen. Wenn die Händler eine Eintragung beiGoogle Maps haben, fühlen sie sich schon als Digitalfreaks. De facto aber sind sieganz weit von Amazon, eBay, Otto und den anderen großen Playern entfernt.

Sie brauchen also die operative Begleitung. Das ist immens arbeitsaufwendig. Wir ha-ben im Moment ein Team von 60 bis 70 Händlern und in jeden einzelnen drei bis fünfManntage gesteckt, bis sie vom Quittungsblock in Richtung digitale Welt gekommensind. Mein pragmatischer Vorschlag lautet also, Programme einfacher und auf die Ziel-gruppe bezogen zu gestalten.

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Der Eigenanteil ist ganz wesentlich. Mein Vorschlag lautet: im ersten Jahr Digitalscout100 %, im zweiten Jahr 50 % und im dritten Jahr 30 %. Das ist über drei Jahre eineFörderquote von 60 %. Wer nicht eigenes Geld in die Hand nimmt, wird auch keineNachhaltigkeit generieren. Mein Wunsch bei der Förderung geht also in Richtung mehrPragmatismus und weniger Bürokratie.

Zu den Sonntagsöffnungszeiten ist schon viel gesagt worden. Ich stimme den KollegenRaphael und Achten hundertprozentig zu: Die jetzige Regelung mit dem öffentlichenInteresse funktioniert nicht; in Wuppertal funktioniert sie auch nicht. Als Wirtschaftsför-derer habe ich die banale Hoffnung, dass man schlicht und ergreifend festlegt, stattacht Tage sechs Tage zu nutzen, dafür aber ohne formalisierte Bedingungen, denndann weiß jeder, wie es zu funktionieren hat. Herr Kolle hat auf die Begründungsnot-wendigkeit hingewiesen. Eine Standardbegründung sollte sein, die Wettbewerbsfähig-keit des analogen Handels im Vergleich zum digitalen Handel zu stärken oder eineErlebnisqualität in die Städte zu bringen.

Ich glaube, das wäre ein Kompromiss, mit dem wir alle leben könnten, denn nichts istärgerlicher, als wenn man einen solchen Tag vorbereitet, die Leute für den Sonntagbestellt und Werbung gemacht hat, es einem dann aber 14 Tage vorher weggeklagtwird. Das ist für alle Seiten eine Katastrophe.

Sie hatten um die Kommentierung eines Aspektes gebeten, den Herr Beckmann auf-gerufen hat, nämlich des Paradigmenwechsels. Dem kann ich nur vollumfänglich zu-stimmen: Wir werden nie wieder die Handelsdichte in einer Stadt haben wie früher. Wirbrauchen multifunktionale Quartiere mit Wohnen, mit Gastronomie, mit Freizeitange-boten und mit Kindergärten.

Aus der operativen Arbeit vor Ort kann ich berichten: Das ist ein unglaublich schwieri-ger Prozess, weil wir ganz verschiedene Interessengruppen zusammenbringen müs-sen. Der Einzelhändler denkt völlig anders als der Wohnungsbesitzer, der Gastrono-miemensch denkt wiederum völlig anders als eine Kommune, die auch ein wichtigerPlayer dabei ist.

Deshalb glaube ich, dass wir einen Support brauchen; der Citymanager ist angespro-chen worden. Wenn da nicht jemand den Hut aufhat, der die unterschiedlichsten Hand-lungsinteressen zusammenbringt und als Moderator und Lobbyist einer Verwaltunggegenüber auftritt … Das ist eine ganz schwierige Situation. Ich selbst bin 50 % meinerZeit damit beschäftigt, mit Verwaltung zu kommunizieren und Prozesse gängig zu ma-chen. Wenn wir keinen Citymanager haben, wird es ganz schwierig, den zwingendnotwendigen Veränderungsprozess in die Spur zu bekommen.

Ich bin an sich kein Freund öffentlicher Förderung, aber ich glaube, auch hier brauchtman wieder für eine begrenzte Zeit ein relativ einfaches Programm nach demselbenModell: 100 Leute tun sich zusammen und bekommen im ersten Jahr 100 %, im zwei-ten Jahr 50 % und im dritten Jahr 30 %. Es muss eine vertragliche Regelung zur Ver-stetigung geben. Wenn 100 Leute nicht in der Lage sind, einen Citymanager kozufi-nanzieren, kann man ihnen auch nicht helfen.

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Rolf Junker (Junker + Kruse Stadtforschung Planung): Ich möchte als Kommunal-berater für die Bereiche Stadtplanung, Einzelhandel und Innenstadtentwicklung etwasvorausschicken, was auch die Meinung meiner Vorredner ist: Wir sehen ein großesErfordernis, sich der Aufgabe der Umnutzung zu stellen. In den von uns untersuchtenKleinstädten sind in den vergangenen fünf Jahren die Leerstände im Schnitt um 50 %gewachsen. Herr Beckmann sagte schon, dass das nicht das Ende der Fahnenstangeist. Um es noch dramatischer zu machen, möchte ich wiedergeben, was mir ein Kol-lege sagte: Wo ich Mitte erwarte, wird die Leere unerträglich. – Es gibt wirklich lang-weilige Innenstädte; hier muss gegengesteuert werden.

Die erste Frage betraf rechtliche Hürden. Die gibt es zwar auch, aber ich halte psycho-logische, ökonomische und funktional-bauliche Hürden für viel größer. Hauseigentü-mer, Händler und Planer müssen sich vom jahrzehntelang bewährten Leitbild verab-schieden. Der Umgang damit ist in einigen Städten fast zu einem Tabuthema gewor-den. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Es wird viel Zeit vergeudet. Dazu trägt auch das man-gelnde Vorstellungsvermögen bei, wie es eigentlich anders aussehen könnte.

Natürlich muss es Rentabilität geben. Man muss viel investieren, dann sinken vielleichtnoch die Mieten – das ist nicht einfach. Dazu braucht man ein abgestimmtes Vorgehender Eigentümer, denn wenn einer sein Haus umbaut, ist vielleicht nicht so viel gewon-nen. Hier bekommt Citymanagement eine ganz neue Aufgabe.

Funktional und baulich müssen wir passende Lösungen finden. Das ist bei großenEinheiten oft viel einfacher als bei kleinen Hucken, die 200 bis 400 m² anzubieten ha-ben. Die Vorstellung, in einer Fußgängerzone, die 50 Jahre gehalten hat, etwas Neueszu machen, ist sehr wichtig. Baurechtlich geht es vor allen Dingen darum, Bebauungs-pläne anzupacken; MK-Gebiete sind dabei tödlich. Bauordnungsrechtlich muss manschauen, was im Einzelfall anzupassen ist.

Die zweite Frage war, welche Funktion überhaupt infrage kommt. Heute schon laufendie Bereiche Dienstleistung, Handwerk und Gastronomie. Wer kennt nicht die Lamel-len von Versicherungsvertretern? Das ist für die Lebendigkeit vielleicht nicht so ein-fach. In der kleinen Broschüre „Einkaufsstraßen neu denken“ für StadtBauKultur NRWhaben wir zusammengetragen, dass Wohnen eine wichtige Funktion hat. Das betrifftnicht nur das Wohnen alleine, sondern Wohnen braucht auch Grünflächen, Gemein-bedarfsflächen und Gemeinschaftseinrichtungen für die Mieter.

Wenn ich diesen Gedanken noch weiterspinnen: Ich komme in einem Hotel ja auchnicht gleich ins Treppenhaus, sondern es gibt einen Vorraum, eine Lobby. Das steigertden Wohnwert und ist auch zu finanzieren. Es gibt also ganz praktische Dinge, dieauch transferiert werden müssen und – die Kollegen sprachen es eben an – die sehrviel Arbeit im Kleinen kosten.

Ohne politische Wertung möchte ich sagen: In meiner Jugend hieß das Häuserkampf.

Da muss man wirklich an vielen Bereichen arbeiten, um das voranzubringen.

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Dann die Frage „Städtebau“. Ich glaube es gibt drei, vier Punkte, bei denen man wasmachen kann, muss. Es gibt diese sehr guten Instrumente des intrigierten Handlungs-konzeptes. Die müssen viel stärker als bisher Aussagen zu Einzelhandelsentwicklun-gen treffen. Wo soll noch Handel stattfinden? Wir haben das gerade gemacht für So-lingen, wo die Stadt – wir haben es auch an die Hauseigentümer vermitteln können –,einvernehmlich sagt, wir müssen rund ein Drittel der alten Einkaufsinnenstadt aufge-ben und umnutzen. Das ist ein Wort, und das ist verstanden worden – nicht aus bösemWillen, sondern weil die Entwicklungen – es ist gerade gesagt worden – es so zeigen.

Der zweite Punkt: Wir meinen, es sollte schon, um diese Rentabilität herzustellen, inbegründeten Fällen und nachweisbar auch in so einem integrierten Handlungskonzeptbegründet eine Umnutzungsförderung geben, sodass man, ähnlich wie es im landwirt-schaftlichen Bereich war, wenn bestimmte landwirtschaftliche Gebäude nicht mehr ge-braucht werden, da umnutzen kann und dass man da X Prozent auch unter bestimm-ten Rahmenbedingungen auch gefördert bekommen kann.

Der dritte Bereich ist natürlich die Aufklärung. Ich sprach eben von dem psychologi-schen Problem. Ich glaube, das kann man ganz sehr schwer vermitteln. Da hat auchgerade das Land eine Aufgabe zu vermitteln, dass das ein unumkehrbarer Prozess ist,möglicherweise unterstützt durch Modellvorhaben. Viertens, das haben die Kollegenauch schon einmal gesagt, folgt dann natürlich auch eine völlige Neuausrichtung desCitymanagements, um es böse zu formulieren. Die Zeiten der Hüpfburgen sind dannvorbei, da muss man schon an andere Bereiche herangehen. – Vielen Dank.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Vielen Dank. – Ich darf dann Herrn Hedde vomInstitut für Handelsforschung darum bitten, zu den Fragen Stellung zu nehmen, die anSie gerichtet worden sind.

Boris Hedde (IFH – Institut für Handelsforschung, Köln): Auch von unserer Seiteaus herzlichen Dank für die Einladung, Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!Vielen Dank für die Fragen.

Ich glaube, da haben wir einige Ansatzpunkte. Wir haben auch hier schon den einenoder anderen Kommentar gehört, wer auch schon auf unsere Studien zurückgegriffenhat. Von daher freut einen das immer. Gleichwohl muss ich sagen, da tut sich was.Deshalb möchte ich mich, Herr Kehrl, an Ihren Fragen orientieren.

Erste Frage war das Thema des Leerstands. Wir haben schon vieles gehört. Leerstandist das Ende einer Entwicklung. Das Ende von Lebendigkeit, das Ende von Frequenzund das Ende von Attraktivität. Und die Frage ist die, ob wir das umdrehen können.Wir reden hier sehr pessimistisch. Eigentlich ist der Tag heute auf die vitalen Innen-städte ausgerichtet gewesen. Man möchte meinen, wir reden heute von den letalenInnenstädten. Ich glaube, wir brauchen hier Ansatzpunkte, die ein bisschen andersausgerichtet sind. Deshalb ist es sicherlich ein Punkt, Werkzeuge zu schaffen.

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Sie hatten eben das Thema „Leerstände“ angesprochen. Wir sind überzeugt, wir brau-chen, wie die Vorredner ja auch gesagt haben, neue Funktionen in der Stadt. Gleich-wohl haben unsere Studien gezeigt, Handel ist immer noch die Leitfunktion. Das müs-sen wir uns vor Augen führen. Dann müssen wir überlegen: Wie gehen mit den The-men um? Leerstand wurde benannt. Leerstand heißt für mich aber auch zu verstehen:Was heißt das eigentlich? Was heißt Leerstand? Wieviel Prozent, zu welchem Sta-dium, an welchen Zeitpunkten kann man noch was ändern? Wann ist es vielleicht un-umkehrbar? Vielleicht müssen wir einen anderen Fokus richten an einem jeweiligenStandort. Das sind Fragen, wie wir stellen müssen. Dafür müssen wir verstehen, wieLeerstand aussieht.

Wie sieht ein Monitoring möglicherweise von Leerstand aus? Wie ist das Monitoringvon Leerstand in NRW auch einzuordnen? Bräuchten wir nicht ein Kataster, in demwir sehen können, an welchen Standorten es wie weit vorgedrungen ist? Wir haben inder diesjährigen veröffentlichten Studie gemeinsam mit dem Wirtschaftsministeriumgesagt, 13.000 bis 20.000 Betriebe werden den Markt verlassen bis zum Jahr 2025.Ja, sicher, aber wo, zu welchem Zeitpunkt, in welchen Situationen? Und haben wirMöglichkeiten des Gegenarbeitens auch aktiv in den entsprechenden lokalen Stand-orten? Dafür brauchen wir Werkzeuge. So ein Kataster, so ein Monitoring, könnte eineHilfe sein.

Die zweite Frage, die das Thema adressierte, war das Thema „Akteure“. Wie kriegenwir die in den Dialog hinein?

Dr. Markus Preißner (IFH Köln): Da übernehme ich an dieser Stelle. Sehr geehrterHerr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Das war das Thema des „Dialogsvor Ort“, das Thema der „Werbegemeinschaften“, brauchen wir das vor Ort? Das kannman uneingeschränkt mit Ja beantworten, aber es reicht nicht. Werbegemeinschaftensind in der Regel ein Austausch unter Gleichgesinnten innerhalb des Handels. Wirbrauchen in den Städten und Kommunen viel stärkeren Dialog zwischen den unter-schiedlichsten Akteuren und Akteursgruppen. Wir haben schon verschiedentlich da-von gehört, da sind die Immobilieneigentümer, da sind aber auch die Gastronomen miteinzubeziehen, da ist die Stadt mit einzubeziehen, gerade wenn wir so ein Thema wieKindergärten mit aufnehmen in diesen Entwicklungen von Handelsstandorten. Und da-rum geht es letztendlich.

Welche Rolle spielen zukünftig die Handelsstandorte auch im Hinblick auf die Lebens-verhältnisse in den Städten? Wie lebenswert ist eigentlich eine Stadt, die eine be-stimmte Ausprägung eines Handelsstandortes hat? Ungeachtet der Frage, dass wir inder einen Stadt vielleicht eine stärker ausgeprägte Leitfunktion „Handel“ haben und ineiner anderen Kommune, einem anderen Standort dann eine vielleicht untergeordneteBedeutung. Aber diese Rollen müssen vorab definiert werden. Wir brauchen also die-sen Dialog, Akteursgruppen übergreifender Natur. Die wichtigste Stakeholder-Gruppe,die dabei zu beachten ist – Frank Rehme hat es eben schon mal angedeutet –, dassind die Bürgerinnen und Bürger, denn um die geht es hier, oder die Besucher, die vonauswärts kommen. Die muss ich entsprechend hören. Ich muss hören, wo Defizite

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sind, wo Stärken und Schwächen von bestimmten Standorten sind, um dann zu defi-nieren, wie geht es hier eigentlich weiter.

Die anderen Gruppen, das sind die Akteure vor Ort, sind angesprochen, die Stadtselbst, der Handel, die Eigentümer, die Gastronomen usw. und sofort. Wir brauchen –da sind wir mal wieder in der Projektarbeit –, wenn wir in die Kommunen gehen, viel-fach eine Versachlichung einer Diskussion, sprich, wir brauchen erstmal einen gemein-schaftlichen Wissensstand. Wir müssen gemeinschaftlich Ziele definieren, wir brau-chen gemeinsame Entscheidungen und dann letztendlich auch gemeinsames Han-deln. Das heißt, wir müssen hier für jeden einzelnen Handelsstandort – da, glaube ich,sind viele Städte, wenn wir uns das ansehen, noch auf der Suche, sie sind sich viel-leicht zum Teil auch gar nicht bewusst darüber, was auf sie zukünftig zukommt – dieRolle definieren.

Wir haben gehört, es ist davon auszugehen, dass viele Geschäfte zumachen müssen.Es geht nicht darum, den Status quo, den wir vielleicht in den 70er- und 80er-Jahrendefiniert haben, aufrechtzuerhalten, also Besitztümer letztendlich zu verwalten. Dannsind wir auch ganz schnell bei ganz sensiblen Themen wie einer Verkürzung von Ein-kaufsstraßen, einem Zurückführen von Handel usw. und sofort.

Wir brauchen entsprechend Strategien in den Städten, die gemeinschaftlich getragenwerden. Wir brauchen eine Art Charta – sage ich mal – im Hintergrund in den einzelnenStädten und Kommune, wo sich die Leute auch selbst verpflichten und aus eigenemWillen, intrinsisch motiviert, gemeinschaftlich handeln. Wir brauchen Maßnahmen, diedann auch umgesetzt werden. Wenn wir bei so einem Thema wie „Maßnahmen“ sind,das sind manchmal schon sehr triviale Sachen. Und da gucken wir wieder durch denVerbraucher hindurch. Das Thema „Öffnungszeiten“ wurde eben schon angespro-chen.

Häufig ist es so, dass es gar nicht die Länge der Öffnungszeiten ist. Da geht es auchdarum, die Öffnungszeiten untereinander abzustimmen. Wenn wir uns mal die Wett-bewerbssituation ansehen, Innenstadt auf der einen Seite und Internethandel auf deranderen Seite, da brauche ich klare Erwartungshaltungen. Wenn ich dann ein sehrheterogenes Bild in den Innenstädten vorfinde, dann ist das problematisch.

Zu dem Thema „Ladenöffnungszeiten“ wurde eben auch angemerkt, dass das in un-serer Untersuchung sehr positiv bewertet worden ist. In der Tat ist das Ergebnis nichtschlecht. Es kommt aber auch an der Stelle mal wieder auf den Maßstab an. Es sindrund zwei Drittel der Befragten, die sagen: Ja, ich bin zufrieden mit den Öffnungszei-ten. Ein Drittel ist es nicht. Und es ist auch anzumerken bei dieser Studie, dass wirimmer die Leute fragen, die auch vor Ort sind, und nicht die Leute fragen, die zu Hausegeblieben sind. Und wir haben auch die Leute nicht an einem Sonntag gefragt, sondernletztendlich an einem Donnerstag und an einem Samstag. Nur so viel zu Einordnungan der Stelle.

Wir müssen den Dialog in den Städten und Kommune professionalisieren. Wir müssenihn besser organisieren. Wir müssen ihn schlussendlich auch institutionalisieren. Wirsehen immer wieder, dass es in einigen Städten zu einem gut funktionierenden Dialog

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kommt. Das hat viel mit Ehrenamt zu tun, mit Initiativen, Persönlichkeiten letztendlich.Wir brauchen aber ein bisschen mehr Stringenz rein. Ansonsten glauben wir, dassviele Städte hier Probleme bekommen. Wir brauchen den Kümmerer in den Städten,wir brauchen eine stärkere Vernetzung. Wir brauchen damit dann auch eine Budgetie-rung in den Kommunen. Da stellt sich dann auch wieder die Frage: Wessen Aufgabeist das eigentlich? Wir hatten als Eingangsfrage die Rolle der Werbegemeinschaftenaus dem Handel heraus. Das ist die eine Möglichkeit. Aber wir glauben, man muss dieSache insgesamt größer denken, weil die Entwicklung der Handelsstandorte letztend-lich maßgeblich für die Attraktivität der Stadt als solche ist – sprich: Es ist eine starkstädtische Aufgabe, die wir hier haben, die letztendlich auch zur Chefsache zu erklärenist. Damit sind Politik und Städte gefordert.

Boris Hedde (IFH Köln): Damit zu der dritten Frage, die uns erreicht. Es passt dazu:Wir brauchen einen Kümmerer einer Stadt. Kann es der Wirtschaftsförderer sein?Kann es die Wirtschaftsförderung sein? Wir haben gerade von Herrn Heinze und vonHerrn Volmerig auch gehört, dass sie diese Rolle auch übernehmen. Gleichwohl mer-ken wir auch an verschiedenen Standorten, dass diese Rolle nicht in der Form über-nommen wird, dass es um die Gestaltung des Wandels geht. Wir haben feststellenkönnen in den Studien, Städte sind nicht gleich. Alle haben ihr eigenes Profil. Dr. Preiß-ner hat es eben angedeutet: Digitalisierung ist Trumpf in der heutigen Perspektive derVerbraucher. Also brauche ich auch einen Gestaltungsraum, der diese Themen auf-greift, und einen Kümmerer, wie wir eben gehört haben.

Wir sind der festen Überzeugung, dass es rausgehen muss aus der Perspektive, Ord-nungsvorschriften einhalten, rein in die proaktive Gestaltung von Standorten. Da ha-ben wir die Hoffnung, dass die Wirtschaftsförderung an der einen oder anderen Stellegenau diese Rolle gut übernehmen kann. Dafür braucht sie aber auch dieses Profil,dafür braucht sie auch diese Aufgabenzuordnung. Das ist nicht immer gegeben. Daist – das ist das Resultat verschiedener Projekte, die wir gemacht haben – jeder Wirt-schaftsförderer draußen dankbar, wenn er diese Rolle auch offiziell zugeschrieben be-kommt, um auf diese Weise für seinen Handelsstandort aktiv erfolgreich dann zu wir-ken.

Zusammenfassend kann man sagen: Wir brauchen das Thema der Werkzeuge. Dasist das, wo wir einen Rahmen schaffen müssen. Wir brauchen die klare Vernetzung,wie wir eben gehört haben. Wir brauchen aber eben auch den Mut, Pilotprojekte zurealisieren, und den Kümmerer, der letztendlich das Ganze umsetzt.

Herr Paul, sie hatten Sie eben auch zwei Fragen gestellt, die in die Richtung gehen:Gibt es denn schöne Beispiele vielleicht auch in NRW, wo es gut läuft? Die vitale In-nenstadtstudie, die hier mehrfach schon genannt worden ist, wurde in 120 Städtendurchgeführt. 32 davon liegen in NRW. Von daher ist das eine gute Vergleichbarkeit.Die Frage, die Sie abgeleitet haben, war: Gibt es da Beispielsstädte, die vielleicht in-teressant sind? Da gibt es sicherlich welche. Das Spektrum ist breit, auch wenn wirgesehen haben, 3+ ist die Durchschnittsnote, wie wir alle wissen. Zum Durchschnitt:

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Wenn Sie eine Hand auf die Herdplatte legen und eine Hand in den Kühlschrank, ha-ben Sie im Durchschnitt ganz gute Temperatur. Aber so ist es nun mal nicht. Von dahermuss man es sich angucken.

In NRW ist es tatsächlich so: Wir hatten als Beispiel die Stadt Langenfeld, wobei HerrRehme intensiv involviert gewesen ist. Die Stadt hat sich sehr früh Gedanken gemacht,hat mit Zahlen, Daten, Fakten agiert, um erst einmal zu verstehen und dann über aktiveGestaltung, aktive Vernetzung den Versuch zu starten, mit neuen Wegen nach vornezu gehen. Aber auch Hilden hat es gut hinbekommen, sich für die Zukunft mit nach-haltigen Projekten zu positionieren. Ich weiß nicht, welchen Wahlkreis Sie alle reprä-sentieren, aber Arnsberg-Neheim im Hochsauerland ist sehr gut bewertet worden.Auch die haben verstanden, was ihre Besucher vor Ort wollen. Das ist der Ausgangs-punkt von allem: Verständnis der Anforderungen vor Ort, dann über die Vernetzungder Akteure vor Ort in wirkliche Pilotierungsversuche zu gehen.

Dahin sollten wir kommen und auch in NRW neue Modelle, neue Projekte realisieren.Wir haben einen tollen Handelsstandort, das haben wir in unseren Studien, die diesesJahr veröffentlicht worden sind, Digitalisierungsatlas NRW, Handelsszenarien 25NRW, gezeigt. Ich bin gespannt und voller Hoffnung, dass wir mit der neuen Studie,die da kommen wird, vielleicht auch ein paar ganz gute Beispiele herausarbeiten. –Vielen Dank.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Auch unsererseits vielen Dank an die Herren vomInstitut für Handelsforschung. Sie haben im Prinzip den Übergang zum nächsten Sach-verständigen schon anmoderiert. Herr Borgmann spricht hier für die Werbegemein-schaft Krefeld e. V., und in Ihrem Wortbeitrag sind ja Werbegemeinschaften mehrfachangesprochen worden. Herr Borgmann, herzlich willkommen! Ihre Ausführungen, bitte.

Christoph Borgmann (Werbegemeinschaft Krefeld e. V.): Sehr geehrter Herr Vor-sitzender! Liebe Mitstreiter und liebe Experten! Ja, auch ich sage danke, dass ich hiersprechen darf. Ich vereinige hier so ziemlich all das, was besprochen wird. Ich binnämlich nicht nur Vorsitzender einer Werbegemeinschaft in Krefeld, sondern auch ei-ner ISG. Ich bin aber auch Händler an sechs Standorten in NRW im Bereich Sportar-tikel. Wir sind auch Multi-Channel-Händler, das heißt wir haben eine Onlineplattformüber die INTERSPORT, also auch damit haben wir Erfahrung. Gleichzeitig bin ich aberauch Immobilieneigentümer. Insofern, glaube ich, sind mir alle Probleme, die jetzt hierangesprochen wurden, absolut geläufig. Ich kann da vieles nur bestätigen.

Sehr gut hat mir gefallen, was Herr Volmerig gesagt hat. Da kann ich wirklich nur andie Politik appellieren, wir brauchen einfach mehr Pragmatismus. Wir müssen einfachvorangehen, Sachen einfach mal machen und nicht immer nur drüber reden, ankündi-gen und Konzepte schreiben. Das hilft alles nicht. Wir müssen den Leuten vor Orthelfen. Auch ich bin in den Genuss gekommen, Herrn Rehme zuzuhören. Er bringt dieSachen eigentlich immer sehr gut auf den Punkt, wie sie im Moment laufen.

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So, aber jetzt einmal der Reihe nach. Ich bin konkret zu drei Fragen angesprochenworden, einmal auch zum Thema „Sonntage“. Das möchte ich jetzt relativ kurz behan-deln, weil das eines der unwichtigsten Probleme ist, das aber extrem hochgekochtwird. Was mich immer wundert, ist, dass die Gewerkschaften da Partei ergreifen. Ichkann Ihnen nur sagen, wir haben ungefähr 120 Mitarbeiter, von denen ist nicht einergegen eine Sonntagsöffnung, sondern im Gegenteil sie sind dafür, weil sie nämlich inkurzer Zeit ungefähr das Doppelte verdienen, was sie sonst verdienen. Es macht ihnenaber auch sehr viel Spaß, weil einfach an diesen Sonntagen mehr los ist. Insofernverstehe ich diese Thematik nicht so ganz.

Ich bin aber auch Christ und gehe auch sonntags gerne in die Kirche. Insofern braucheich da auch nicht eine Ausweitung, sondern das, was da auf dem Tisch liegt, ist absolutpragmatisch und gut. Es muss nur Klarheit rein. Es müssen diese Möglichkeiten derKlage gestoppt werden, das ist wirklich tödlich. Wie Herr Volmerig sagte: Wenn Siesowas mal planen und da ganz viel Geld reinstecken, dann ist das eine ganz schlimmeEntwicklung. Wir brauchen Klarheit und ein einfaches, unbürokratisches Verfahren.Das würde allen Beteiligten helfen.

Zweiter Punkt: Sie sprachen das Förderprogramm „Zukunft des Handels“ an. Ich kannIhnen aus meiner eigenen Erfahrung perfekt schildern, wie das abgelaufen ist. Ich binzufällig von einem IHK-Mitarbeiter angesprochen worden, ich glaube, am 10. Juni,dass es diese Veranstaltung gibt. Ich bin dann am 19. Juni dorthin. Dort wurde mirdieses Programm vorgestellt. Das fand ich ganz toll, eine tolle Möglichkeit, vielleichtan öffentliche Fördermittel zu kommen, 60 %, 70 %, 80 %. Das Problem oder der Ha-ken an der ganzen Sache war, man musste das bis Mitte oder Ende Juli einreichen.Da gab es so eine Eingabefrist und das mit einem solchen bürokratischen Aufbau,dass das für einen – ich sage jetzt mal – Händler schier unmöglich ist, für eine – ichsage jetzt mal – Gemeinde oder Kommune eigentlich auch unmöglich ist. Das ist kaumzu schaffen. Ich glaube, wir haben es dann geschafft. Wir haben sogar einen 60-seiti-gen Antrag eingereicht. Der ist dann Mitte November abgelehnt worden, weil auch nureine gewisse Anzahl an Projekten sozusagen gefördert wurde. Im Endeffekt riesig vielArbeit, alles umsonst. Da muss ich mich wirklich fragen, das hat mit Pragmatismus inmeinem Sinn wirklich nicht allzu viel zu tun.

Dazu wurde – Sie hatten das ja auch angesprochen – von dem Programm sehr wenigabgerufen. Auch das kann ich Ihnen erklären. Das ist relativ einfach. Ich habe Ihnengerade die zeitlichen Stränge erklärt. Es ist relativ einfach, es ist nämlich ein nach-schüssiges Verfahren, sprich: Sie müssen erst einmal alle Projekte umgesetzt und be-zahlt haben, und dann können Sie das Geld beantragen und zurückerhalten. Auch dasist eine relativ klare und sachliche Antwort, die aber zeigt, wie schwierig und wie kom-plex diese Förderprogramme sind und an wieviel Hürden sie gebunden sind. Da würdeich mir wirklich wünschen, dass das deutlich einfacher und pragmatischer vonstattengeht und in der Tat wirklich auch beim kleinen Händler ankommt, weil der in der Regelnichts davon weiß, denn er hat gar nicht die Zeit, an so einer Veranstaltung von derKammer teilzunehmen, die dann mittags zwischen 3 und 5 Uhr ist.

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Dazu: Ich bin heute auch nur hier, weil ich so eine gute Mannschaft habe. Am 13.Dezember, an einem Freitag vor einem Weihnachtsgeschäft, hier zu sein, ist schonein gewisser Luxus, den ich mir hier gönne. Das aber nur als Nebensatz.

Generell ist, glaube ich, auch bei diesen Förderprogrammen ein Konstruktfehler ent-halten. Es müssen immer wieder neue Sachen eingereicht werden. Es müssen immerwieder neue Ideen gebracht werden. Das ist ein wichtiger Aspekt der ganzen Ge-schichte. Auch das verstehe ich nicht. Ich glaube, wir haben hier so viele Fachleute,es gibt so viele Best-Practice-Beispiele, die einfach nur mal zusammengeführt werdenmüssen und die als Blaupause für jede Kommune umgesetzt werden können. Und dasfindet überhaupt nicht statt, sondern im Gegenteil, jeder wurschtelt irgendwie rum, je-der probiert sich irgendwie aus, und keiner hat bis jetzt irgendwie was Großartigesverbracht.

Aber es gibt ja sehr viele gute Beispiele, Herr Hedde, Sie sprechen mir aus dem Her-zen. Auch wir haben einen Standort in Solingen. Es ist schon eine Aufgabe, sage ichjetzt mal, dort einen Standort zu haben. Wir sind aber auch in Hilden. Man sieht, dieseStädte sind keine 20 km auseinander, wie unterschiedlich das in den Kommunen ge-handhabt wird. Ich glaube, da muss wirklich nach dem einfachen Verfahren gehandeltwerden: Guck dir doch mal das Gute ab!, und das übersetzen wir einfach mal in denanderen Städten. Was machen die denn? Also macht ihr es doch auch bitte! Ichglaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen nicht jedes Mal das Rad neuerfinden. Es gibt ganz viele einfache Sachen, die schnell und unbürokratisch umge-setzt werden können.

Der dritte Punkt, das war das, wozu Herr Beckmann eben Stellung genommen hat: Ja,gar keine Frage, so wie früher wird es nicht mehr. Das ist mit Sicherheit eindeutig.Meine Motivation, weiterzumachen, ist eigentlich immer die gleiche. Ich sage immer,ich glaube, wir sind schon so ziemlich an der Talsohle angekommen, was das Thema„digitale Transformationen“ angeht. Es gibt wirklich erste Tendenzen, die da sagen,also viel mehr kann es nicht werden. Wir haben in unserer Branche, dem Sport, wennich den Zahlen meiner Hauptlieferanten Adidas und Nike Glauben schenken darf, mitt-lerweile einen Anteil von 50 %. Ich weiß, dass mir vor zehn Jahren mal gesagt wurde,es sind vielleicht mal in Zukunft 20 % Onlineanteil. Wir sind bei 50 %.

Ob das immer so stimmt, weiß ich nicht. Nehmen wir einfach mal die Mitte, dann ist esimmer noch sehr viel. Und das ist natürlich das Geld, was einfach den Händlern, diestationär ihren Laden in der Innenstadt haben, fehlt – nicht nur in der Innenstadt, auchan den Rändern. Deswegen muss man sich nicht wundern, dass wir auch 25 % oder30 % so viel Handelsfläche haben. Das ist eine ganz einfach Rechnung, die man auf-machen kann. Und insofern ist das auch nicht schwer. Deswegen, glaube ich, ist esrichtig, dass man Innenstädte komplett neu denken muss.

Ich glaube, das Allerwichtigste – das kann man nur jedem in sein Handbuch reinschrei-ben –, ist, dass Innenstädte wirklich Aufmerksamkeit brauchen. Sie brauchen Liebe,und zwar von allen Akteuren und eben nicht neue bürokratische Hürden. Ich glaube –Herr Junker und Herr Beckmann, Sie haben das eben sehr gut ausgeführt –, da treffenviele Akteure zusammen. Ich bin auch dafür, dass Wohnen in der Innenstadt erleichtert

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wird. Aber wie verträgt es sich mit mehr Gastronomie und vielleicht auch mit mehrEvents, wenn abends gefeiert wird? Alle Maßnahmen, die ich im Moment so sehewie – ich gebe ein paar Beispiele – Immissionsschutz oder Lärmemissionen, werdenimmer härter reglementiert. Ich erinnere nur an die Sicherheitskonzepte, die wir alsWerbegemeinschaften mittlerweile einreichen müssen, weil die Terrorgefahr ja ach sohoch ist in unserem Land. Das ist ein absoluter Wahnsinn. Da kann ich Ihnen nur sa-gen: Versuchen Sie da gegenzusteuern! Da appelliere ich wirklich – Sie haben jaschon das eine oder andere Entfesselungspaket auf den Weg gebracht –, ich glaube,da kann noch viel mehr entfesselt werden. Dann wird auch alles für uns wesentlicheinfacher und besser werden.

Wirklich wichtig ist, dass die Innenstadt als Visitenkarte einer jeden Stadt dargestelltwird. Sie braucht Liebe. Für mich sind Beispiele par excellence – da müssen wir garnicht weit fahren – einfach die holländischen Städte. Ob das Venlo ist, ob das auchRoermond mit einem Sonderstatus ist. Fahren Sie nach Den Haag! Schauen Sie sichdiese Städte an! In diesen Städten werden Sie einfach mit Liebe und mit Charme emp-fangen, und da ist ein wunderbares Miteinander: Handel, Wohnen, teilweise auch In-dustrie. Das klappt hervorragend. Diese Städte sind alle top gepflegt. Sie fühlen sichabsolut sicher, und Sie merken einfach, diese Städte werden mit Liebe behandelt, unddann behandeln auch die Bürger diese Städte mit Liebe.

Ich glaube, dass das Entscheidende ist, dass Kommunen dafür Geld bekommen, dasssie diese Städte sicher, sauber und einfach liebevoll gestalten können. Ein ganz, ganzwichtiger Punkt, wo auch Politik gefragt ist. Wir haben in Krefeld – das will ich jetzteinfach erzählen – seit 15 oder 20 Jahren – ich weiß gar nicht, seit wie vielen Legisla-turperioden wir darüber reden, eine Drogenszene auf einem zentralen Platz der Stadt.Diese Stadt oder Politik oder wer auch immer bekommt es einfach nicht hin – der eineschiebt es immer auf den anderen, die Politik auf die Verwaltung, die Verwaltung wie-der auf die Politik, dann ist wieder die Polizei schuld, Polizei ist ja Ländersache, dasist so was von unbefriedigend – eine Szene von 200 Leuten, was ungefähr 0,01 % derBevölkerung von Krefeld entspricht. Diese 200 Leute richten einen solchen volkswirt-schaftlichen Schaden an, nämlich das sie diese Stadt unattraktiv machen, dass es fürmich eigentlich gar nicht fassbar ist als normaler Bürger.

Da müssen wir ansetzen. Das muss bekämpft werden, und zwar nicht nur in Krefeld,eigentlich in jeder Stadt. Es darf nicht sein, dass solche Szenen einfach akzeptiertwerden. Das ist meine Meinung. Wie gesagt, von den Holländern können wir eineganze Menge lernen. Insofern hätte ich den Wunsch, meinen Weihnachtswunsch anSie alle, dass wir das im nächsten Jahr und in den nächsten Jahren gut umsetzen. –Vielen Dank.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Vielen Dank, Herr Borgmann. Als Letzte in der ers-ten Antwortrunde sind die Vertreter der Architektenkammer in NRW gefragt. Ich gehedavon aus, dass Herr Lehrmann beginnt. – Bitte.

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Markus Lehrmann (Architektenkammer NRW, Düsseldorf): Sehr geehrter HerrKörfges! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Vielen Dank, dass Sie zu diesemThema eine Anhörung gestalten. Das Thema „Stadt“ ist von unglaublicher Bedeutung.Man ist natürlich ein wenig gebeutelt, wenn man der letzte ist in einer Reihe, in der soviele wichtige und richtige Dinge gesagt werden. Aber ich will zum einen nochmal aufdie Frage zurückkommen, worum es uns eigentlich geht. Wenn gesagt wird „liebedeine Stadt“ – das ist eben nicht nur mehrfach gefallen, sondern ist auch Kunstwerk inKöln –, also wenn man die Stadt liebt, kann man sich auch gut damit identifizieren.Wenn man sich identifiziert, versteht man seine Stadt als Heimat. So schließt sich dannder Kreis an der Stelle, und so verstehen wir auch den vorliegenden Antrag.

Wir haben sehr viel über den Handel gesprochen an dieser Stelle. Alle waren sicheinig, dass Handel ein Erfolgsmodell ist. Handel ist ein ausgesprochenes Erfolgsmo-dell, er findet nicht mehr nur an der Ladentür statt, sondern an der Haustür. Das machtganz deutlich, warum wir über das Thema des Handels hier an dieser Stelle so aus-drücklich reden. Die Frequenzen, die der Handel ausgelöst hat, in unserer mitteleuro-päischen Stadt, die wir als Grundstruktur kennen, fallen inzwischen weg und könnennur zum Teil durch andere Nutzungen kompensiert werden.

Wenn Frequenzen in den Innenstädten wegfallen, dann muss man sich kümmern,dann muss man etwas tun, damit man Frequenzen erhält. Dann muss man sich umdie Innenstädte kümmern, die ein Schatz sind. Die mitteleuropäische Stadt ist einSchatz. Da müssen wir kurzfristig ins Mittelalter gucken. Es mag irritierend sein bei derFrage. Wir reden über die Zukunft und über Digitalisierung und haben plötzlich dasMittelalter vor uns. Das ist aber deswegen nötig, weil unsere Städte mittelalterlichenUrsprung haben. Sie sind in der Zwischenzeit stark überformt worden. Aber das, wasunsere Städte gerade hier in Nordrhein-Westfalen ausmacht, ist der Schatz der mittel-europäischen Stadtstruktur, die davon lebt, dass es Wege gibt, dass es Plätze gibt,dass es kleine Parzellen gibt, dass es eine Mixtur gibt aus dem Wohnen, aus demHandel und auch aus dem Gewerbe. Das verstehen wir dann unter urbanem Leben.

Wir können das hier in Düsseldorf sehr gut wahrnehmen. Wenn wir hier am Landtaglosgehen, Richtung Altstadt gehen und hinten an der Tonhalle ankommen, dann er-kennen wir all das, was unseren Stadtschatz ausmacht, nämlich die mitteleuropäischeStadt, in der wir uns gerne aufhalten.

Das ist deswegen so, weil wir natürlich in den Erdgeschosslagen auch Informationenfinden, auf Augenhöhe sozusagen. Da spielt der Handel eine ganz wesentliche Rolle,weil er natürlich auch informiert. Es spielen aber auch andere Nutzungen inzwischeneine ganz wesentliche Rolle. Das ist natürlich die Kultur, das ist die Bildung, das ist dieGastronomie, und das ist zukünftig auch immer häufiger das Wohnen. Das können wirauch ablesen. Wenn wir uns um diese Nutzungsvielfalt bemühen wollen, dann brau-chen wir in diesem Transformationsprozess, in dem wir uns gerade befinden, der durchdie Digitalisierung ausgelöst wird und der sich am allermeisten beim Handel bemerk-bar macht – Frequenzverlagerung an die Haustür –, Maßnahmen. Da brauchen wirtatsächlich auch planerische Maßnahmen.

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Ich möchte meinen Vorrednern insofern zustimmen, als dass die Wirtschaftsförderungein ganz wesentlicher Player in dieser Situation ist. Aber es ist insbesondere die Stadt-planung, die von jeher dafür Verantwortung getragen hat, Standorte vorzubereiten, diedann durch ökonomische Zusammenhänge genutzt werden können. Stadt war immerein Ort des Handels, und Stadt wir zukünftig auch immer ein Ort des Handels sein.Aber es ist möglicherweise nicht so zu merken, weil der Handel im Onlinegeschäftstattfindet.

Ich möchte in dem Zusammenhang zwei Sachen betonen, die wichtig sind, um diesenStadtumbau auch zu begleiten. Ich glaube, es ist von unglaublicher Bedeutung, dasswir tatsächlich das geplante Reduzieren von Handelslagen angehen müssen. Daskann man sich ganz konkret vorstellen: Wenn wir uns in den etwas weniger attraktivenStädten aufhalten, kann man feststellen, dass die Fußgängerbereiche, die wir mit gro-ßem Eifer zwischen den 70-ern und 90-ern angelegt haben, mitunter etwas lang sind.Inzwischen sind die Einzelhandelslagen zu groß geworden in denen ich mich auf Fuß-gängerebene sozusagen bewege. Ich muss die Reduzierung planen.

Wir haben die Diskussion in den Städten in den 90er-Jahren geführt und haben dasSchrumpfen der Städte proklamiert. Inzwischen planen wir wieder das Wachstum.Aber wir müssen das Schrumpfen von Handelslagen und damit auch Gastronomiela-gen und andere Lagen planen, weil das zusammenhängt. Da gibt es einen sehr un-glücklichen Zusammenhang. Viele dieser Fußgängerzonenlagen sind durch Mittel derStädtebauförderung angelegt und refinanziert worden. Die Bindung dauert bis zu 20Jahre. Und wenn Sie da drangehen wollen und wollen einen Stadtumbau beginnen,haben aber in irgendeiner Art und Weise geförderte Projekte, die Sie jetzt wieder in-frage stellen, weil sie sich im Transformationsprozess befinden, gibt es im schlimmstenFall einen Planungsschaden. Ich kenne keinen Stadtrat, der diesen Planungsschadenmit sehenden Augen sozusagen angeht. Also entsteht da Bindung von Handlungsfä-higkeit. Da muss man unbedingt drangehen.

Und das Zweite, was uns als Architekten und Stadtplanern ganz wichtig ist, ist, dasswir über einen sehr intensiven Instrumentenkasten verfügen. Es gibt unglaublich vieleMöglichkeiten. Ich will nur auf eine hinweisen, die es möglich macht, auch stadtplane-rische Prozesse zu begleiten – und das ist das besondere Städtebaurecht des Bauge-setzbuches §§ 136 ff.. Wir haben von der Sanierungsmaßnahme eben schon gehört.Das sind die Instrumente, die man braucht, um Stadterneuerung anzustoßen – bis hinzu dem aus der Sicht des einen oder anderen Eigentümers vielleicht unangenehmenPhänomen, dass ich Planwerte abschöpfen kann.

Wenn Wertsteigerungen entstanden sind am Grundstück, die auf diese Planung zu-rückzuführen war, kann ich sie abschöpfen und damit eben auch den Planungsauf-wand refinanzieren – ein fantastisches Instrument, was uns das Baugesetzbuch an-bietet. Es gilt hier den Appell zu starten, dieses auch zu nutzen.

Das Zweite ist das eben schon sehr oft angesprochene ISG, also das Business Improve-ment District. Es kam aus dem angelsächsischen Raum zu uns. Wenn man sich selbstorganisiert als Grundstückseigentümer und ist eine Mehrheit, dann kann man die ver-

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bleibende Minderheit mitnehmen, und sie muss sich dann an dem Konzept mit beteili-gen, was sich die Mehrheit überlegt hat. Das ist ein unglaublich gutes Instrumentarium,das in Nordrhein-Westfalen zumindest teilweise auch umgesetzt wurde. Ich glaube,dass es sich lohnen würde, jetzt einmal nach rund zehn Jahren ISG zu schauen, wasdenn ein ISG noch erreichen kann, wenn es vielleicht auch andere Möglichkeiten be-kommt. Und wenn wir hier mit Herrn Borgmann jemanden haben, der konkrete Erfah-rungen hat, dann ist das sicherlich ein Gespräch wert, um mal zu schauen, was mantun kann, um dieses Konzept weiterzuentwickeln zu einem ISG Gesetz 2.0, wie wirdas in unserer Stellungnahme bezeichnet haben.

Das ist die Ursprungslage, über die wir sprechen. Die mitteleuropäische Stadt ist zuschützen und bietet eine hervorragende Möglichkeit, um diese Veränderungspro-zesse, die wir gerade haben, auch begleiten zu können. Denn die mitteleuropäischeStadt hat sich als eine sehr robuste Struktur erwiesen. Sie ist viel robuster als derTypus der nordamerikanischen Stadt, der ja viel grobkörniger ist, wobei die Grobkör-nigkeit dazu führt, dass die Transformationen nur mit großflächigen Umbaumaßnah-men starten. Dann entstehen riesige Flächen, die jahrzehntelang umgebaut werden,bis dann wieder ein Stück neue Stadt entsteht. In der mitteleuropäischen Stadt habeich eine kleinere Körnigkeit. Kleinere Körnigkeit bedeutet eine Intervention, macht nichtso viel her sozusagen, hat nicht so viel Risiken und Nebenwirkungen, wie das sonstder Fall ist. Deswegen ist die mitteleuropäische Stadt eine sehr gute Grundlage, fürdie es auch zu kämpfen lohnt.

Die zweite Frage war gestellt worden zum Einzelhandelserlass, der auch ein ganz we-sentliches Instrumentarium ist, welches den Städten und Kommunen zur Verfügungsteht, um die Auswirkungen, die insbesondere durch den großflächigen Einzelhandelan den Stadträndern, die ja lange Zeit der Hauptgrund für Frequenzabflüsse aus derInnenstadt waren, in den Griff zu kriegen. Dieser Einzelhandelserlass wird, wie wirgehört haben, derzeit novelliert. Das begrüßt die Architektenkammer Nordrhein-West-falen ausdrücklich, weil ja der Einzelhandelserlass noch aus einer analogen Weltstammt, 2008. Da hat der Onlinehandel keine ganz so große Bedeutung gespielt. Alldie Beurteilungskriterien, die sich im Einzelhandelserlass wiederfinden, beziehen sichimmer auf den stationären Handel und die Frequenzverschiebungen, die stattfinden.Der Onlinehandel findet hier gar nicht statt.

Deswegen ist die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen davon überzeugt, dass essehr sinnvoll wäre, die Aspekte des Onlinehandels in eine Novelle des Einzelhandels-erlasses mit einzubeziehen.

Die zweite ganz wichtige Erkenntnis ist, dass wir, wenn der Einzelhandelserlass no-velliert wird, uns tatsächlich noch einmal mit der Fragestellung der Atypik auseinan-dersetzen, die ja, wie der Name schon sagt, eher die Ausnahme von der Regel ist. Wirwissen aber inzwischen, dass die Atypik zur Typik geworden ist und dass die typischenFrequenzveränderungen, die durch Handelsansiedlungen auf der grünen Wiese annicht integrierten Standorten entstehen, tatsächlich immer schwerer einzuschätzensind, auch weil sie immer einhergehen mit Multi-Channel- und mit Onlineverkäufen.Deswegen weisen wir gerne darauf hin, dass die Bauministerkonferenz im Frühjahr

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des letzten Jahres einen Leitfaden zum Umgang mit dem § 11 Abs. 3 Baunutzungs-verordnung erstellt hat, den wir sehr begrüßen und der zur Grundlage einer Überar-beitung des Einzelhandelserlasses werden sollte.

Drittens. Wir wagen es sogar als Stadtplaner und Architekten, eine vielleicht provo-kante Idee in den Raum zu stellen. Wir sind damit nicht ganz alleine, die kommunalenSpitzenverbände haben das auch schon einmal gefordert. Vielleicht kann man darübernachdenken, ob man in der vorbereitenden Bauleitplanung nicht nur die Gebietstypik,sozusagen die Nutzungsart, vorgibt, sondern vielleicht schon in der Flächennutzungs-planung auch etwas sagt zu Verkaufsflächen und Sortimenten. Es ist nicht ganz leicht,das zu tun, weil es sich um die Ebene der vorbereitenden Bauleitplanung auf Flächen-nutzungsplanebene handelt. Aber wir glauben, dass dann, wenn der Bebauungsplanentsteht, der aus dem Flächennutzungsplan abgeleitet wird, der Abwägungsvorgang,der auch mit Einzelhandelserlass und anderen Instrumentarien vollzogen werdenmuss, möglicherweise etwas schneller geht. Denn wir merken ja, dass es Handlungs-bedarf gibt – Handlungsbedarf, der akut im Raume steht. Vielleicht kann man bei dervorbereitenden Bauleitplanung, in dem Fall bei der Flächennutzungsplanung auchschon stärker ins Detail einsteigen und Verkaufsflächen und Sortimente darstellen.

Die vierte ganz wichtige Position, die wir einnehmen wollen, ist natürlich nochmal einHinweis, dass die kommunalen Einzelhandelskonzepte von unglaublicher Bedeutungsind. Die stammen aber auch oftmals aus der Zeit vor dem Onlinehandel. Wir müssendiese zumindest dann, wenn es nötig ist, weiterentwickeln, weil sie die Grundlage dar-stellen, um eine gute kommunale Bauleitplanung durchzuführen. Wir sind der Auffas-sung, dass es sich auch wieder lohnt, darüber nachzudenken, regionale Zusammen-arbeit zu fördern. Es gab mal vor rund zehn Jahren eine große Phase in diesem Land,da gab es regionale Einzelhandelskonzepte. Da haben sich nicht nur einzelne Kom-munen überlegt, wo sie den Einzelhandel anbieten wollen, sondern man hat sich in-terkommunal abgestimmt. Das war zu dem Zeitpunkt eine sehr gute Entwicklung.

Ich glaube, dass wir die Einzelhandelskonzepte immer jetzt um den Aspekt erweiternmüssen, der da heißt Mobilität. Wenn ich jetzt das dritte Mal sage, Frequenzen sind janoch da, durch den Handel, nur sie verlagern sich von der Ladentür an die Haustür,dann ist der Einzelhandel eben auch ein Mobilitätsbringer. Und wir haben vom Fraun-hofer Institut eben schon gehört, dass durchaus noch Platz ist in Verkehrswegen, abermöglicherweise zu anderen Uhrzeiten. Diese Uhrzeiten sind aber regelmäßig nicht un-bedingt dazu geeignet, Pakete nach Hause zu liefern. Also wir müssen da etwas tun,und da sind viele Ideen da. Güterverteilzentren usw. spielen dabei eine Rolle.

Zum Abschluss möchte ich auf die Frage antworten, wie wir denn den Einzelhandels-erlass weiterentwickeln müssen, und vor allen Dingen wie wir auch andere Instrumen-tarien vielleicht wieder in Erinnerung rufen müssen, dass wir einen sehr hohen An-spruch erfüllen müssen, wenn es darum geht, Standorte zu machen und anzubietennicht nur für den Handeln, sondern eben auch für die Gastronomie, auch für das Woh-nen.

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Es gibt inzwischen ein Urteil vom 30.01.2018. Da geht es um die Frage, ob denn dieBauleitplanung nicht auch geeignet sei, die Niederlassungsfreiheit für Gewerbebe-triebe einzuschränken. Das ist in diesem Urteil bejaht worden. Das sollte uns sozusa-gen Ansporn sein, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, die der sogenannten Verhält-nismäßigkeitsprüfung tatsächlich auch gerecht werden. Denn sonst verstößt man ge-gen Europarecht. Die Standortzuordnung, die Einschränkung von Sortimenten oderauch Nutzungsarten ist inzwischen in den Fokus der Europäischen Union gekommen,und unter dem Rubrum, einen gemeinsamen Binnenmarkt ohne Einschränkungen inEuropa zu schaffen, ist inzwischen auch die Bauleitplanung aufgenommen worden.Insofern ist es dringend nötig, dass man sich unter anderem den Einzelhandelserlassansieht, um ihn auch europafest zu machen. Dazu gehört dann sicherlich auch einmalzu prüfen, wie denn der Landesentwicklungsplan, der ja auch Aussagen zum Einzel-handel trifft, dort zusammen mit dem Einzelhandelserlass eine sehr brauchbare Allianzauch in Zukunft eingehen kann. – Vielen Dank.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Vielen Dank, Herr Lehrmann. – Wir sind in derersten Rund jetzt mit der Beantwortung der an Sie gerichteten Fragen durch. Jetzt hatdie CDU-Fraktion mit Herrn Schrumpf weitere Fragen an die Sachverständigen. – HerrKollege Schrumpf, bitte.

Fabian Schrumpf (CDU): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Sehr geehrte Sachverständige! Herzlichen Dank für die erste Beantwortungs-runde. Da wir ja auch Bauausschuss sind, finde ich, war die Stellungnahme von HerrnLehrmann zum Schluss die perfekte Überleitung.

Ich möchte jetzt noch einmal einen Aspekt aus baurechtlicher Sicht als Frage stellenzum einen an die IHK, auch nochmal an die Architektenkammer, auch wenn Herr Lehr-mann das aus seiner Sicht schon fast beantwortet hat. Ich will es auch an den Han-delsverband Stadt + Handel sowie an Herrn Junker und Kruse weitergeben. Insbeson-dere aus baurechtlicher Sicht: Welche Möglichkeiten sehen Sie denn, um die Gestal-tungsqualität der Innenstädte zu verbessern, um Menschen verstärkt zu einem Besuchzu animieren? Also sprich: Welche gesetzlichen Regelungen müssen über den Einzel-handelserlass hinaus dazu noch angepasst werden?

Und für die zweite Frage gebe ich an meinen Kollegen, Herrn Kehrl, nochmal weiter.

Oliver Kehrl (CDU): Schönen Dank, das waren wirklich extrem spannende Einsichtenin die sich zum Teil dramatisch ändernde Landschaft. Es wurden aber auch Chancenaufgezeigt.

Ich habe eine erste konkrete Frage an Herrn Rehme. Wir haben jetzt mehrfach schonvom Programm „Digitalen und stationären Handel zusammendenken“ gehört. Viel-leicht können Sie, weil Sie da auch mit der Kompetenz im Einzelhandel vertraut sind,kurz schildern, welche Ideen sozusagen ausrollfähig sind im ganzen Land, oder wo wirauch vielleicht gelernt haben, welche Ideen nicht funktionieren. Ich glaube, bei digita-

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len Ideen ist das sozusagen eine Selbstverständlichkeit, dass natürlich nicht alles funk-tioniert. Aber vielleicht können Sie da einen kurzen Einblick geben, welche Ideen daim Digitalbereich gut funktioniert haben.

Dann habe ich auch noch eine Frage an Herrn Lehrmann, wenn Sie den Einzelhan-delserlass ansprechen. Wir haben ja die Anforderung auch von großen Lebensmittel-ketten, dass sie ihre Flächen gerne noch vergrößern möchten. Da geht es auch umBarrierefreiheit. Die neue Formatgröße beträgt um die 1.100 m2. Die einzelnen Städtetun sich zum Teil schwer damit, das auch zu genehmigen. Das ist auch bei der Be-zirksregierung immer angelegt.

Ich habe mal aus Kiel von einer Idee gehört. Da ist die Firma Decathlon nach Kielgekommen und hat gesagt, wir würden gerne eine Großfläche im Gewerbegebiet ma-chen. Da hat die Stadt Kiel gesagt, ja wunderbar, dann macht ihr aber gleichzeitig nocheinen kleineren Standort in der Innenstadt. Es geht also möglicherweise über Verhand-lungslösungen auch mit Supermarktketten an der Stelle. Ist das eine Idee für eine Wirt-schaftsförderung in den Städten, um auch wieder Frequenzbringer in die Städte hin-zubekommen? – Vielen Dank.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Ich sehe, dass die SPD keine zusätzlichen Fragenhat, aber Herr Kollege Paul von der FDP-Fraktion.

Stephen Paul (FDP): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! Ich möchte zunächst eine Fragean Herrn Raphael richten, nochmal zum Thema. Sie sagen, verkürzt gesagt: Struktur-nah und erfolgreich sind die, die eine Umnutzung zulassen oder jedenfalls erleichtern.Dann nochmal die Frage: Was für Veränderungen wären erforderlich im Baurecht,auch in der Praxis der Verwaltung vor Ort? Vielleicht können Sie da ein paar Aussagenzu machen. Das würde uns interessieren.

Herrn Borgmann würden wir gerne nochmal fragen: Da ist angesprochen worden auchdas Thema „Sauberkeit“ des öffentlichen Raumes, Sicherheit im öffentlichen Raum,welche Rolle das aus Ihrer Sicht genauer spielt. Wen sehen Sie da in der Pflicht, waszu tun? Es wird ja schon eine ganze Menge getan mit Ordnungspartnerschaften. DieStädte machen einiges, aber das Bild ist da ja auch sehr bunt im Land. Ich hätte gernenochmal von Ihnen Aussagen dazu.

Und Dr. Achten und Herrn Dr. Lange würden wir gerne nochmal auf das Thema „Nacht-logistik“ ansprechen. Können wir gut mitgehen, gedanklich, fragen uns dann aber –das werden nicht nur wir uns fragen-: Welche Menschen sollen denn das nachts ma-chen? Da gibt es ja auch Friktionen? Arbeitsmarkt, die Bezahlung, Arbeitsschutz usw.Auch dazu nochmal gerne Aussagen, vielleicht auch, welche Rolle Sie da modernerMaschinentechnik, autonomen Logistiksystemen usw. zusprechen würden, wenn derMensch nicht zur Verfügung steht, jetzt grob gezeichnet? Aber vielleicht ist es auchgar nicht so. Ich bin mal gespannt.

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Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Dann hatte sich Herr Kollege Remmel nochmalgemeldet. Herr Remmel, bitte.

Johannes Remmel (GRÜNE): Ich habe nur zwei kleine oder mittlere Nachfragen,wenn ich das mal so klassifizieren darf. Eine an Herrn Raphael, ob er irgendeineChance sieht, um in einer Kommune, durch welche rechtlichen Rahmenbedingungenauch immer- oder müssten rechtliche Rahmenbedingungen verändert werden? – eineBündelung von digitalem Lieferverkehr zu erreichen, dass es dann einen Anbietermöglicherweise gibt, auf den sich alle in einer Kommune verständigen müssen. Wowäre da der Regelungsbedarf, um Kommunen in die Lage zu versetzen, dass nichtzwölfmal am Tag unterschiedliche Lieferdienste sozusagen die jeweiligen Stadtteileaufsuchen. Das ist die eine Frage.

Die andere Frage ist eher eine Nachfrage, ob ich das falsch oder richtig verstandenhabe, an Herrn Lehrmann, dass Sie die Fußgängerzonen ausschließlich in die Nütz-lichkeit des Handels stellen, wenn Sie Fragen hinsichtlich der Förderrückabwicklunghaben, oder habe ich da was falsch verstanden? Ich könnte mir Fußgängerzonen auchjenseits der Nützlichkeit von nur Handel vorstellen. Es wäre wichtig, dass Sie das noch-mal erläutern.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Herr Tritschler für die AfD, bitte.

Sven Werner Tritschler (AfD): Vielen Dank. – Zwei Fragen von mir, einmal an HerrnDr. Volmerig. Sie schreiben, Sie wünschen sich ein weiteres Entfesselungspaket fürden Einzelhandel und sprechen da insbesondere die DSGVO und das Verpackungs-gesetz an. Können Sie noch ein bisschen ausführen, welche konkreten Regelungenda aufgehoben oder geändert werden müssten?

Und an Herrn Schulte, Herrn Dr. Achten und Herrn Borgmann das Thema – es ist,glaube ich, noch gar nicht angesprochen worden –: Wie bewerten Sie denn die Be-strebungen, dass der Individualverkehr immer mehr aus den Großstädten herausge-drängt wird? Wir haben gerade hier in Düsseldorf das Beispiel mit der Umweltspur, inKöln mit der Expressbusspur. Glauben Sie denn, dass der Einzelhandel mittelfristigauf Kunden, die per motorisiertem Individualverkehr in die Stadt kommen, verzichtenkann? Wie schwerwiegend bewerten Sie solche Eingriffe?

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Dann darf ich auch hier wieder in die Antwortrundeeintreten und zunächst Herrn Raphael, der für die kommunalen Spitzenverbände vonmehreren Nachfragern befragt worden ist, um seine Antworten bitten. – Herr Raphael,bitte.

Detlef Raphael (Städtetag Nordrhein-Westfalen, Köln): Da war ja zum einen dieFrage: Brauchen wir rechtliche Änderungen? Ich sage mal dazu ja, wir brauchen recht-liche Änderungen. Das betrifft aber den gesamten Bereich der Baunutzungsverord-nung, denn wir werden zukünftig erleben, dass sich die verschiedenen Nutzungen viel

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stärker miteinander verzahnen werden. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dasses nicht umsonst deshalb auch zwischen den Bauministern und Umweltministern einegemeinsame Arbeitsgruppe gibt. In der geht es nicht nur darum, sondern insgesamtum das Thema: Wie gehen wir mit Zielkonflikten um, die nachweislich auch an anderenStellen da sind? Ich glaube, dass wir darüber nochmal eine Diskussion führen müssen,wie wir eigentlich eine flexiblere Lösung der Zusammenführung der unterschiedlichenFunktionen bekommen. Wir haben da keine abschließende Position zu. Aber das isteine Zukunftsaufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen.

Die zweite Sache ist die, danach hatte Herr Remmel gerade gefragt. Wir haben inten-sive Gespräche geführt mit dem Bundesverband Paket und Expresslogistik, mit demBIEK, um zu überlegen, wie wir da schaffen können. Da war die einheitliche Meinung:Es wird nicht funktionieren, dass sich die jeweiligen Anbieter untereinander abspre-chen und sich verpflichten.

Was wir machen und in den Städten versuchen – da gibt es ja die unterschiedlichstenModelle – ist, dass wir außerhalb des engeren Innenstadtrings zentrale Standorte an-bieten für die jeweiligen Anbieter, um dann eine umweltfreundliche Citybelieferung zuschaffen. Und dann komme ich Thema „Nachtlogistik“. Was nützt mir der ruhige Lkwoder der leise Lkw, der in der Stadt steht, wenn die Mitarbeiter, die ausladen, kommu-nizieren, miteinander reden. Ich weiß nicht, ob Sie, wenn Sie keinen guten Schlaf ha-ben, auch schon mal vor Ihrer Haustür eine normale leise Kommunikation gehört ha-ben. Dann haben Sie auch ein Störproblem.

Das Zweite ist: Wir haben gerade intensiv diskutiert, was ich nur unterstützen kann,Wohnen in die Innenstadt zu holen. Es stellt sich aber die Frage: Erzeugen wir nichtneue Konflikte damit? Bei allem Verständnis für Logistik, zumal Fraunhofer in Dort-mund sitzt, in meiner Heimatsstadt, bin ich sofort dafür. Aber Vorsicht an der Bahn-steigkante! Ich glaube, wir brauchen einfach andere Lösungen, um die Ziele zu errei-chen, die wir wirklich erreichen wollen in der Belieferung. Das wird sich eher zeigen -und das ist meine Bitte an das Land, ich nutze jetzt die Chance, weil das auch sichtbargeworden ist: Woran es mangelt, ist, glaube ich, eine Förderung von Personal. Das isteine Sache, die klingt jetzt vielleicht komisch. Aber ich bitte, daran zu denken: In denStädten haben wir massenhaft Personal abgebaut, die das tun könnten, was einigejetzt hier gefordert haben, nämlich Kooperation zwischen Einzelhandel/Stadt und an-deren Akteuren, die notwendig sind, um wirklich zu leben. Da reicht nicht nur der eineCitymanager mal, sondern das müssen mehr sein. Was spricht also dagegen, dies zufördern?

Das heißt, dass wir Kooperationen fördern zwischen den verschiedenen Akteuren, wojeder weiß, dass ich mit dem Einzelhandelsverband da auch nicht auseinanderliege,weil wir ja so auf Bundesebene schon engen Kontakt haben. In dem Zusammenhangauch die Werbung für ein gemeinsames Papier des Deutschen Städtetages. Mit demHandelsverband haben wir das bewusst gemacht, weil wir da, glaube ich, gar nichtauseinanderliegen, auch mit dem, was hier überlegt wird.

Was wir machen müssen, ist, das Thema „Einzelhandel und Stadt“ nicht isoliert zubetrachten, sondern integriert. Das ist ja gerade auch von denen, die aus dem Bereich

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Architektur und Stadtplanung kommen, deutlich gemacht worden. Dazu gehört ein Be-reich, der im Moment noch eine untergeordnete Rolle spielt, aber viel mehr Bedeutunggewinnen wird: Das ist der ganze Bereich, der sich mit dem Thema „lebendige Innen-stadt und Events“ beschäftigt. Wir denken da noch viel zu traditionell. Wir denken jetztan die Weihnachtsmärkte. Aber es gibt ganz andere Formen, um Innenstädte wiederattraktiv zu machen.

Und das heißt, ich muss über mehrere Sektoren und über mehrere Bereiche in derStadt denken, um erfolgreich Innenstadt zu gestalten. Dazu gehören eben Leute, diedas koordinieren. Und daran mangelt es. Deshalb ist meine Bitte, dass das Land dareingeht. Das andere Thema ist auch, wir sind jetzt gerade dabei, auf der Bundes-ebene die Städtebauförderung zu sichern und sie gleichzeitig zu bündeln, um darausmehr Flexibilitäten zu schaffen. Ich würde mir wünschen, dass das Land Nordrhein-Westfalen das in der Umsetzung der Verwaltungsvereinbarung hier auch macht. Dasgeht auch in die Richtung, die Herr Remmel bei seiner ersten Frage angesprochenhat, mehr Flexibilitäten zu schaffen, vor Ort das zu tun, was sinnvoll ist. Wenn dannBund und Land nur den Rahmen vorgeben und uns in den Handlungsmöglichkeitennicht einengen, dann hilft das auch, lebendige Innenstädte zu schaffen. – SchönenDank.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Vielen Dank, Herr Raphael. – Herr Dr. Achten kannjetzt den gemeinsamen Werbeblock auch fortsetzen.

Dr. Peter Achten (Handelsverband Nordrhein-Westfalen, HV NRW, Düsseldorf):Ja, Herr Körfges, ein Schelm der denkt, dass da irgendeine Idee hinter steht, warumwir hier nebeneinandersitzen. Dieses Positionspapier habe ich zufälligerweise auchdabei, aber, Scherz beiseite.

Zur Frage Möglichkeiten gesetzgeberischer Natur zur Verbesserung der Gestaltungs-qualität in den Innenstädten: Da tue ich mich ein bisschen schwer. Das ist ein ganzgroßes Thema. Darüber könnte ich auch sehr lange reden. Wenn wir das unter demAspekt „Nahversorgung“ sehen – das betrifft nicht nur Innenstadt, das betrifft auchländliche Strukturen, das betrifft Stadtteilstrukturen –, da ist in der Tat unter dem As-pekt Einzelhandelserlass eben schon Richtiges gesagt worden. Es ist nicht ganz ein-fach, Nahversorgung mit Lebensmitteln unter planerischen Aspekten an geeignetenOrten zu realisieren. Aber dazu, glaube ich, werden gleich die Experten auch nocheiniges sagen. Da kann ich mir im Bereich der Klarstellung und der Interpretation, ge-rade im Einzelhandelserlass, einiges vorstellen.

Wie wendet man Ausnahmen an? Manche Planungsverantwortlichen, wenn sie dasWort „Ausnahme“ hören, sagen: Das mache ich nicht, da unterliege ich derartigen Kla-gerisiken, dann lassen wir es besser. Gleichzeitig bin ich auch kein Freund davon,irgendwelche Großflächigkeitsgrenzen anzuheben. Das löst das Problem auch nicht.

Was ich mir aber im kleinteiligen Bereich vorstellen kann, wenn man in der Praxis ist:Was wird an uns herangetragen? Nehmen Sie eine historische kleine alte Stadt, oder

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nehmen Sie eine Stadt wie Roermond in Holland. Da sind Ladenlokale von den Haus-zuschnitten, die haben 100 m2 maximal pro Gebäude. Wenn Sie ein modernes Han-delsformat haben wollen, brauchen Sie aber vielleicht 300 m2. Dann müssen Sie alsoFlächen in drei Häusern miteinander vereinigen. Dem Projektentwickler, dem Eigentü-mer oder dem Einzelhändler, der das Projekt beginnt, wünsche ich viel Spaß. Dasbedarf einer derartigen Genehmigungs- und Bewilligungsflut. Hier Verfahren zu er-leichtern, das würde wahrscheinlich pragmatisch helfen.

Auch wenn wir nicht über Expansionen jetzt reden, sondern in Teilen auch über Rück-bau, so reden wir dennoch permanent über Optimierung. Gute Handelsstandorte wer-den vielleicht mit anderen Preisen belegt, werden aber Handelsstandorte bleiben. Vondaher wird diese Aufgabe bleiben. Soll also heißen: Wir brauchen hier keine großebundes- oder landesgesetzgeberische Initiative, wir brauchen Interpretationshilfen,und wir brauchen Verfahrenserleichterungen bei praktischen Antragsverfahren.

Zum Thema „Nachtlogistik“: Ja, wir stellen fest, der Verkehrsraum ist ein knappes Gut,ein immer knapper werdendes Gut in unterschiedlichen Nutzungsfunktionen, seien esPendler, seien es Kunden, seien es Anwohner. Wer stellt sich denn jetzt alles auf diemittlere Spur, auf die rechte Spur, auf die Umweltspur, wie auch immer? Hier würdensicherlich Zeitfenster helfen, in denen wir bestimmte Lieferverkehre außerhalb der üb-lichen Geschäftszeiten anders nutzen können. Wenn man den Blick nach Holland wen-det, aber ich glaube, da ist Fraunhofer mit dem Projekt GeNaLog ja drin gewesen, mitdiesem PIQ-Ansatz, wo Lkws komplett zertifiziert werden, ich glaube sogar inklusivedes quatschenden Fahrers oder der Fahrerin, maximal 60 Dezibel in 7,5 m Entfernung.Wenn diese Bedingung erfüllt ist, inklusive Collies, inklusive Palettenfahrzeuge, inklu-sive Hubwagen, dann dürfen die grundsätzlich zu anderen Zeiten auch anliefern. Dasgeht bei uns, wenn ich da richtig informiert bin, mit der TA Lärm nicht. Da sind wir bei45 Dezibel. Jetzt muss man sich fragen: Sind die Städte da jetzt lebenswerter odernicht lebenswerter? Es ist dann Ihre politische Entscheidung, wie man mit solchenWerten umgeht.

Aber, um es kurz zu fassen: Nachtlogistik wird ein Thema sein, mit dem wir uns be-schäftigen sollten. Wir können unsere Verkehrsräume nicht beliebig erweitern. Wirmüssen ihre Nutzung optimieren. Da gehören andere Zeitfenster nach meiner Ansichtdazu.

Zum Thema „Beeinträchtigung des Individualverkehrs oder Rausdrängen des Indivi-dualverkehrs“: Ja, selbstverständlich halten wir das aus Handelssicht für den falschenWeg in der falschen Reihenfolge. Es ist opportun, sich pro Mobilitätswende zu stellen.Auch wir sehen im Handel die Notwendigkeit für eine Mobilitätswende. Wir brauchenImmissionsreduzierungen, wir brauchen weniger Verkehr in den Innenstädten, das istganz klar. Aber lassen Sie uns bitte den ersten Schritt tun und dann den zweiten. ImAugenblick wird sehr öffentlichkeitswirksam der zweite Schritt getan. Es wird über einVerbot der Zugang zu Städten mit unterschiedlichen Maßnahmen geregelt unter Hin-weis, dass dann ja die Alternativen von sich aus nachwachsen. Nein, tun sie nicht.

Wir brauchen die Alternativen, wir brauchen Anreize zum Umstieg auf andere Ver-kehrsmittel. Dann können wir den Individualverkehr beschränken. So, wie wir das jetzt

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machen, da brauchen wir uns über vieles, was hier gesprochen wird, gar nicht längerzu unterhalten. Das sind dann nämlich Krokodilstränen. Wir haben nur wenig Optimie-rungspotenzial für unsere Städte. Erreichbarkeit gehört noch dazu. Wem es nun gefälltoder nicht gefällt, sei dahingestellt. Der stationäre Handel muss die Kunden in die Ge-schäfte bekommen. Wer diesen Zugang beschneidet, schadet dem Handel und hatdann auch ein Problem mit der Stadtentwicklung. Also, erst bitte interessante, attrak-tive Alternativen schaffen, dann können wir runterregeln. Aber nicht erst runterregelnund hoffen, dass sich das irgendwie regelt. Das ist ja jetzt gerade das Thema. – Danke.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Vielen Dank, Herr Dr. Achten. – Jetzt ist HerrSchulte in der zweiten Fragerunde auch noch mal gefragt, bitte.

Sven Schulte (IHK NRW – Die Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen e. V.): Ja, das will ich gerne tun. Zunächst einmal die Frage nach den recht-lichen Anpassungsmöglichkeiten: Wir haben gerade schon gehört, die TA Lärm bietetPotenzial. Da haben wir sicherlich jetzt schon sehr viel zu gehört. Ich bin ein großerFan davon. Wir als IHKs halten da noch vieles für möglich. Herr Dr. Lange hat geradedie Nachtlogistik thematisiert. Ich glaube, da ist noch viel mehr drin, wenngleich ich dabei Herrn Raphael bin. Was habe ich davon, wenn alles leise funktioniert, wenn dieTüren leise auf- und zugehen, wenn ich leise Räder habe, aber die Leute nicht sensi-bilisiert sind. Das ist sicherlich die Hausaufgabe, die man da auch mitmachen muss.Das hängt aber auch mit einem gesunden Menschenverstand zusammen, zumindestdaran zu arbeiten, hat aber wenig mit einer Gesetzesänderung zu tun. Das kann manda nicht reinschreiben, das gebe ich zu.

Die Städtebauförderung wurde gerade angesprochen. Das halten wir auch für ein gu-tes Instrument. Es gibt nicht nur Sanierungsgebiete, die Herr Lehrmann genannt hat,es gibt auch noch andere Optionen. Vielleicht gibt es da Möglichkeiten, auch auf ein-facherem, unbürokratischerem Wege nochmal Aufenthaltsqualitäten über dieses In-strument zu schaffen.

Wenn ich bei „unbürokratisch“ bin – das ist jetzt unabhängig von einer Norm –, wirwürden uns gerne mal freuen. Da stimme ich mit Herrn Volmerig und mit Herrn Borg-mann aus der ersten Runde überein. Wenn man in den Gesetzestexten Platz für Re-allabore oder Ähnliches lassen würde, so könnte man sagen: Wir möchten gerne einoder zwei innovative Projekte umsetzen, die vielleicht von einer Gesetzesvorgabe be-freit werden. Da geht es nicht um gefährdende Befreiung oder Verkehrsbefreiung oderso, die zum Chaos führen, aber vielleicht kann man mal von einer Stellplatzsatzungabweichen. Vielleicht kann man in diese Richtung denken. Wenn wir nicht auf neueIdeen kommen, dann schwirren wir wieder mit den klassischen, alten Instrumentendurch die Gegend, die sicherlich nicht verkehrt sind. Aber ich glaube, wir haben fest-gestellt, dass Innovation notwendig ist.

Um noch einmal auf den Einzelhandelserlass zurückzukommen: Ich weiß, das wareigentlich ausgenommen aus der Frage. Aber wir haben hier einen Widerspruch, waswir gerade schon gehört haben, zwischen stationärem und digitalem Handel. Ich

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möchte noch einmal dafür plädieren: Vielleicht kann man das auch noch einmal auf-nehmen und an der einen oder anderen Stelle konkretisieren.

Und dann die weitere Frage bezüglich der Verbannung des Individualverkehrs aus denInnenstädten: Ich glaube, da bin ich bei Herrn Dr. Achten. Wir müssen uns natürlichauf eine Verkehrswende einstellen. Wir müssen die Verkehrsentwicklung in den Städ-ten auf die Ökologie ausrichten, aber auch auf den Nutzer. Wir dürfen ihm nicht mitdem Holzhammer vor den Kopf stoßen, das wird nicht funktionieren. Wenn Sie in die-ser Stadt beispielsweise sagen, wir möchten gerne 20 % der Nutzer auf den ÖPNVvon heute auf morgen verschieben, dann wird das auch nicht funktionieren, weil eseinfach die Alternativen in der Form nicht gab. Da geht es gar nicht nur um den ÖPNV,da geht es auch um Park & Ride innerhalb einer Kommune, da geht es auch um Park& Ride außerhalb der eigenen Kommune. Da sind wir wieder bei überkommunaler Ko-operation. Also solche Aspekte spielen dann alles eine Rolle. Sicherlich muss etwasgetan werden. In der Form ist das vielerorts sicherlich nicht der richtige Weg.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Vielen Dank, Herr Schulte. – Jetzt ist HerrDr. Lange von Herrn Paul gefragt worden. Sie können gerne jetzt Ihre Antwort hierabgeben.

Dr. Volker Lange (Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund):Ja, das mache ich gerne. Es ist ja schon einiges gesagt worden gerade von den Vor-rednern zur Nachtlogistik. Wir haben diesen groß angelegten Versuch gemacht, habenauch damit unsere Erfahrungen gemacht. Natürlich ist es berechtigt, dieses Themaanzusprechen, „Personal“ oder „Fahrer“, keine Frage. Das Thema „Sensibilisierung“und „Schulung“ ist ein großes Thema, wobei der Fahrer bei der Nachtlogistik alleinunterwegs ist. Der kann sich mit seinem Handy unterhalten, aber ansonsten ist dertatsächlich allein unterwegs, der Fahrer. Aber das ist ja trotzdem eine Sensibilisierung.

Wir haben eine gute Erfahrung gemacht. Es war ganz interessant bei diesem Versuch.Wir haben sehr eng die Bevölkerung einbezogen, man hat sie darüber informiert. EinGroßteil der Leute hat nach Versuch gesagt: Wieso, ist das schon der Versuch gewe-sen? Sie haben nichts mitgekriegt. Das zeigt einfach nur, dass es geht. Es sind An-strengungen, die unternommen werden müssen. Die Frage nach der Motivation derPersonen, die nachts arbeiten, ist ein Thema für sich. Es ist aber ganz interessant.Ähnlich wie bei den Taxifahrern gibt es Fahrer, die fahren nur nachts. Es gibt einenganz einfachen Grund dafür. Es gibt Lkw-Fahrer, so nenne ich sie auch, die sagen:Nachts ist das Fahren stressfrei. Wir fahren deshalb mehr am Tag, weil wir ein hohesStresspotenzial haben, gerade jetzt hier im Lieferverkehr. Wir stehen in der drittenReihe. Sie werden ständig angehupt, sie werden ständig angeschimpft. Das ist nachtsüberhaupt nicht der Fall. Sie sagen, wir fahren nachts ganz ruhig durch, es ist über-haupt keiner da. Wir lieben diese Nachtfahrten ungeachtet dessen, dass es Nacht ist,das ist gar keine Frage. Ich glaube, dass man dafür Personen finden kann und siemotivieren kann.

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Das andere ist nochmal das Thema „autonomes Fahren“. Natürlich beschäftigen wiruns auch damit. Ich glaube, dass das gerade bei Nachtlieferungen nicht so einfach ist.Autonomes Fahren wird zwar irgendwann kommen, aber hier geht es um die Zustel-lung in den Filialen auch. Es wird auf absehbare Zeit, sicherlich die nächsten fünf biszehn Jahre nicht möglich sein, das autonom zu machen. Deshalb wird ein Fahrer dabeisein. Solange müssen wir auch noch mit dem Fahrer leben. Was in zehn Jahren ist,das wird man dann noch sehen.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Vielen herzlichen Dank. Ich habe mir jetzt alsNächstes notiert, dass die CDU-Fraktion Herrn Rehme nochmal angesprochen hat. –Bitte.

Frank Rehme (gmvteam, Düsseldorf): Ich antworte auf die Frage von Herrn Kehrl,was bei den Förderprojekten bis jetzt gut funktioniert hat – „Stationären Handel digitaldenken“. Ich konnte beobachten, dass besonders die Projekte, in denen der Handeloder die Händler einer Stadt mehr Sichtbarkeit im digitalen Raum bekommen haben,sehr gut funktioniert haben. Projekte, in denen Datenmanagement im Vordergrundstand, wo Händler mehr Visibilität über ihre Bestände, über ihre Marketingeffizienzusw. bekommen haben, dann alles das, was mit Loyalität, also Kundenbindung, zu tunhatte und die Vernetzung und Verzahnung in der Innenstadt haben gut funktioniert.

Das, was ich beobachten konnte, was nicht ganz so gut funktioniert hat, waren lokaleOnlinemarktplätze, wo man aber auch unterscheiden muss, wen man da reinpackt, ichnenne das Projekt Ebay Mönchengladbach. Da habe ich vor Kurzem noch gehört, dassein Möbelhaus in der Stadt mittlerweile einen siebenstelligen Umsatz macht. Und dasist genau der Unterschied. Wenn ich mir selbst eine Plattform aufbaue, muss ich dieReichweite erst selbst generieren. Wenn ich auf eine bestehende Plattform draufgehe,klappt das schon ganz gut.

So, ich möchte aber nochmal kurz eingehen auf das Thema der Förderprojekte. Ichhabe da auch selber eigene Erfahrungen gemacht in unserem FUTURE CITY Langen-feld Projekt. Da kann ich auch nur wiederholen, was Herr Borgmann gesagt hat, dasswir sehr viel administrativen Aufwand mit der Beantragung, aber auch vor allen Dingenmit der Durchführung der Projekte hatten. Man muss sich mal vorstellen, wir musstenda wirklich eine Teilzeitkraft für einstellen. Das ist natürlich eine Sache. Um ein För-derprojekt abzuwickeln, ist das zu viel. Aber da habe ich auch gelernt, dass Digitalisie-rung alleine – darüber haben wir heute überhaupt noch gar nicht geredet – im Handelnicht ausreicht. Herr Borgmann, unterbrechen Sie mich sofort ganz laut, wenn ich dairgendwie was Falsches sage. Aber meiner Meinung müssen wir auch darüber reden,dass manche Handelskonzepte vollkommen überholt sind. Da sind Sortimente bei, diekeinen Menschen mehr interessieren. Genau da muss der Handel auch selber malansetzen, in eine Richtung zu gehen, dass er sagt, ich muss zeitgemäß die Menschenwieder begeistern.

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Ich erinnere immer an unser Thema in Nordrhein-Westfalen vor vielen Jahren, als wirangefangen sind mit dem Nichtraucherschutz. Da hat die DEHOGA ganz groß ge-schrien, dass die Kneipen jetzt zumachen müssten. Wenn ich als Kneipe kein gastro-nomisches Konzept habe, bleiben die Leute natürlich weg. Und genau das Gleiche istim Handel. Wir müssen da über neue Konzepte nachdenken.

Ich möchte ganz kurz – danach hat zwar keiner gefragt, aber gehe ich trotzdem noch-mal drauf ein – auf das Thema „Innenstadt und Mittelalter“ eingehen. Da sind wir beiso einem Punkt, da können wir noch viel von lernen. Die Innenstadt ist in Zukunft vielmehr ein Freizeitort. Das hat die Studie „vitale Innenstädte“ seit Jahren auch gezeigt.Ein Drittel der Besucher kommen wegen Freizeitaktivitäten in der Innenstadt. Undwenn wir uns mal die Innenstädte vom Mittelalter angucken, da waren immer Gaukler,da waren Musikanten, die haben für Leben gesorgt. Da waren nicht nur die Händleralleine. Und genau da müssen wir wieder hinkommen.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Vielen Dank. – Jetzt ist Herr Beckmann nochmalgefragt worden.

Ralf M. Beckmann (Stadt + Handel Beckmann und Föhrer, Stadtplaner PartGmbB,Dortmund): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Mit Blick aufdie Zeit vielleicht etwas pointierter, als es sonst meine Art wäre.

Sie hatten nach den Möglichkeiten zur Gestaltungsqualität für die Innenstadt gefragt.Aus meiner Sicht ist das Instrumentarium dafür komplett vorhanden. Was fehlt undworauf es ankommt, ist das Bewusstsein dafür bei allen handelnden Akteuren. DieFrage in Richtung des Landes: Wie kann das unterstützt werden? Wir haben ein För-derprogramm im Rahmen der Kommunen. Wie kann das konsequent angewendetwerden im Rahmen der Wirtschaftsakteure? Ist es eigentlich angekommen?

Händler wie Herr Borgmann stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Wenn man weiß,was die Menschen wollen, dann kann man ein sehr gutes Geschäft machen. Das giltes meines Erachtens nach zu übertragen auf Ebene des kommunalen Handels für dieInnenstadt und auf Ebene der Ausgestaltung der Förderprogramme.

Dann möchte ich zum Abschluss ermuntern. Wenn ich mal hochrechne, wir müsstenum die 2.000 Orte in Nordrhein-Westfalen haben, die sich Zentren nennen können,funktional in unseren 396 Kommunen. Wenn ich dann über Reallabore nachdenke: Wirwissen alle nicht, wie die Zukunft genau aussieht und was der richtige Weg ist. Ichfinde es gut, da offensiver ranzugehen und nicht nur ein oder zwei auszuwählen, son-dern wenn ich an 1 % unserer Handelsstandorte denke, dann wäre ich bei 20. Unddas vielleicht einmal als Ermunterung, diesen Weg des Experimentierens sehr offensivauszugestalten. – Danke.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Ganz herzlichen Dank. – Herr Dr. Volmerig warder Nächste, der angesprochen wurde. – Bitte.

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Dr. Rolf Volmerig (Wirtschaftsförderung Wuppertal AÖR, Wuppertal): Ich will dasThema ganz kurz abarbeiten. Die Thematik, die viele Händler bewegt, ist, dass dieRegelungsdichte unglaublich hoch ist. Wo es wieder ein bisschen hochgeschwappt ist,ist das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen,Kassengesetz 2020, wobei ich jetzt beim Bäcker den nächsten Bon bekomme. Dashalte ich für absoluten Wahnsinn.

Wenn man es jetzt noch mal auf Ihre Frage runterbricht, die Datenschutzgrundverord-nung ist sinnvollerweise von der EU konzipiert worden, um Datenschutz zu generieren,wie DATA und Auswertung zu verhindern, wird für den einzelnen Händler dann wiederruntergebrochen. Er unterliegt einem Risiko. Wenn der Händler an Kunden Newsletterverschickt und keine Einwilligung desjenigen hat, der den Newsletter bekommt, be-steht ein Klagerisiko. Da haben wir die Situation, dass gutgemeinte Ansätze und sinn-volle Ansätze in dem Regelungsalltag in eine Dichte geführt worden sind, die an denAlltagsrealitäten des Handels vorbeigeht. Da muss man konsequent nicht nur bei dengenannten beiden Themen mal durchforsten: Was macht noch Sinn, und was ist über-reguliert?

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Ganz herzlichen Dank. – Jetzt ist Herr Junker ander Reihe.

Rolf Junker (Junker + Kruse, Stadtforschung Planung, Dortmund): An mich wurdedie Frage gestellt zur Gestaltqualität der Innenstädte. Da kann ich Herrn Beckmannnur beipflichten. Ich glaube, die Fördermöglichkeiten sind in vielfältiger Weise vorhan-den. Die öffentliche Hand, die Kommunen nutzen das auch sehr weit. Da wird vielgetan. Beim privaten Eigentum könnte man sich da mehr vorstellen an Aktivitäten. Oftfehlt es auch, ich will es mal so sagen, am Bewusstsein für Schönheit. Da was zu tun,ist notwendig.

Was wir nicht ändern können, das belegen die Studien von den Kollegen von der IFH,dass regelmäßig die historischen Städte als besonders schön empfunden werden. Wirhaben hier halt in Nordrhein-Westfalen viele Städte, in denen 44 und 45 sehr starkgewirkt wurde. Da sind Gebäudeformen entstanden, die von der Bevölkerung nicht sostark goutiert werden.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Ganz herzlichen Dank. – Herr Borgmann, Sie sindmehrfach angesprochen worden. Ich darf Sie auch um die Beantwortung der Fragenbitten.

Christoph Borgmann (Werbegemeinschaft Krefeld e. V.): Ins Geschäft schaffe iches jetzt auch nicht mehr. Insofern kann ich auch noch gut antworten.

Ich bin einmal zum Thema Sauberkeit oder Sicherheit gefragt worden, wie da die An-sätze sein können, gerade vom Land her. Ich glaube, ein ganz wichtiger oder ein we-sentlicher Punkt wäre zum Beispiel, wenn wir das Thema Videoüberwachung – jetzt

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hört die FDP nicht zu, vielleicht sage ich es noch einmal ein bisschen lauter – forciren.Das wäre durchaus ein pragmatischer Ansatz, um mehr Sicherheit in eine Stadt oderin eine Szene auf bestimmten Plätzen zu bekommen. Da tun sich die Kommunen im-mer sehr schwer, gerade mit der Rechtsprechung: was dürfen sie, was dürfen sienicht? Fakt ist, da wo Videoüberwachung eingesetzt wird, wird es schlagartig besser.Das ist für mich das Entscheidende. Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, umeinfach für mehr Sicherheit in den Städten zu sorgen.

Der zweite Punkt wäre – ich sage es jetzt einfach mal –, vielleicht auch mal ein biss-chen mehr durchzugreifen. Ich bin stark mit der Polizei in Kontakt. Da fehlt einfach dieMotivation, in bestimmten Szenen durchzugreifen, weil sie genau wissen, dass, wennsie dort eine Anzeige aufnehmen, die Staatsanwaltschaft erst schon mal gar keineAnklage erhebt, geschweige denn, dass es irgendwie zu einem Prozess kommt, ge-schweige denn, dass dieser Prozess irgendwie zu irgendeiner Sanktion führt. Und dasist für mich das eigentliche Unding. Wie gesagt, ich habe Ihnen eben von diesem Platzerzählt, das ist in Krefeld. Herr Junker kennt den ganz gut mittlerweile. Der Theater-platz, der zentrale Platz, wo eine Bücherei ist, die Stadtbücherei, das Theater, dasSeidenweberhaus, was es in Zukunft nicht mehr geben soll. Aber das ist gar nichtentscheidend. Entscheidend ist, dass ich – ich habe zwei Kinder, die sind acht undzehn – mich nicht traue, mit denen über diesen Platz zu gehen. Und das in einem Landin Nordrhein-Westfalen, Mitteleuropa, Deutschland, Vorzeigeland – das ist für michwirklich nicht nachvollziehbar.

Ich kann auch meinen Kindern einfach nicht erklären, warum dort an dieser prominen-ten Stelle Leute sozusagen im Minutentakt Straftaten vollführen, ohne dass das zuirgendwelchen Konsequenzen führt. Das ist für mich wirklich etwas, wo ich sagenmuss: Da muss wirklich was passieren. Ich glaube, da ist jetzt auch das Land die rich-tige Adresse und nicht die Kommune, weil die Polizei wirklich sehr demotiviert ist, dortetwas zu machen, was ich auch ein Stück weit verstehen kann. Das wäre der PunktSicherheit.

Der zweite Punkt betraf den Individualverkehr, ob das schädlich sein kann für denHandel. Ich mache es jetzt mal ganz einfach. Unsere Kunden kommen zu 80 % mitdem Auto in die Stadt. Wenn es denen schwer gemacht wird, werde ich weniger Kun-den haben. Das ist eine ganz einfache Rechnung. Ich glaube, dass Herr Dr. Achtenabsolut Recht hat. Ich bin auch für eine Mobilitätswende, aber ich muss erst einmalAngebote schaffen, und zwar Angebote an alle Akteure. Ich sehe, dass meine Mitar-beiter quasi alle unisono mit dem Auto in die Stadt kommen, das steht dann neunStunden irgendwo in der Gegend rum, und abends fahren sie wieder nach Hause.Ihnen wird aber auch kein Angebot gemacht, sei es durch ein tolles vergünstigtes Ti-cket oder was auch immer, oder einen tollen bewachten Fahrradstellplatz, was ihnenvielleicht den Anreiz gibt, mit anderen Verkehrsmitteln in die Stadt zu kommen.

Punkt eins, ganz klar: Angebote schaffen. Ich glaube wir Bürger wir sind nicht doof.Wenn man mir ein besseres Angebot macht, würde ich immer dem besseren Angebotnachgehen. Ich glaube, das wäre in dem Fall eine ganz einfachere Geschichte.

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Dann möchte ich auch noch einmal einen Punkt ansprechen, da bin ich jetzt zwar nichtzu gefragt worden, aber Herr Rehme hat es gerade angesprochen. Auch das würdeich mir eben wünschen. Wir brauchen spannenden Handel. Wir brauchen neue Kon-zepte. Das ist absolut richtig. Und die Digitalisierung bietet da unendlich viele Chan-cen. Da ist Holland wirklich schon mal ein Stück weiter. Wir brauchen auch bestimmteKonzepte. Einen Tesla werden Sie nicht in einem großflächigen Autohaus an einerSeitenausfallstraße einer Großstadt finden, sondern den werden Sie immer in einerInnenstadt vorfinden wie in Düsseldorf, in einem Einkaufszentrum oder wie in Mann-heim bei einem befreundeten Modeladen. Der hat sich dort einfach eingemietet undverkauft dort seine Teslas. Das sind neue Konzepte.

Wer sagt denn, dass ein Baumarkt immer 25.000 m2 haben muss. Ich habe in DenHaag einen Baumarkt gesehen, der war, ich glaube, 200 m2 oder auch nur 150 m2

groß. Dort bekamen Sie eben nicht 35 verschiedene Bohrmaschinen, sondern ebennur eine. Aber eben auch die Richtige. Ich glaube, wir brauchen neue, spannende,gute Konzepte, die den Menschen wirklich weiterhelfen. Dafür braucht’s eine Grün-dungsoffensive, und die muss natürlich sehr weit gefasst werden. Das hat dann auchwas mit dem Thema „Risikoverteilung“, vielleicht auch „Finanzierung“ zu tun. WennSie heute als Händler zu einer Sparkasse oder Commerzbank oder zu wem auch im-mer gehen, und sie sagen, sie sind Händler, dann brauchen Sie die Türklinke eigent-lich gar nicht in die Hand zu nehmen. Sie können direkt rückwärts wieder rausgehen.Sie werden gar nicht für voll genommen. Und das ist ein wirklich riesiges Problem. Ichglaube, wir brauchen da wirklich eine Gründungsoffensive, neue Konzepte, neuesDenken. Handel hat es immer schon gegeben, auch im Mittelalter und den wird esauch in 100 Jahren noch geben, aber wir müssen ihn vielleicht auch mal ein Stückwieder neu beleben.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Vielen Dank, Herr Borgmann. – Die letzten Ant-worten in dieser Runde wird uns Herr Lehrmann geben.

Markus Lehrmann (Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf): Vie-len Dank, Herr Vorsitzender! Herr Schrumpf fragte auch nach den Möglichkeiten, eineGestaltqualität zu beeinflussen – gemeint war möglicherweise, eine bessere Gestalt-qualität zu beeinflussen. Es ist die vornehmste Aufgabe eines guten Stadtplaners, derauch Städtebauer ist, den öffentlich Raum so zu gestalten, dass er vielleicht die einenoder anderen Defizite der Architektur ausgleichen kann, über die wir jetzt eben schongesprochen haben. Insofern ist es eine sehr wichtige Aufgabe, dass ein gut gestalteterund wertig gestalteter öffentlicher Raum entsteht. Der öffentliche Raum ist in vielenStädten Teil der Visitenkarte und kann das eine oder andere Defizit, vielleicht auchdas Nutzungsdefizit am öffentlichen Raum, also im Privaten sozusagen, ausgleichen.Dazu gehört eine gute Auswahl der Materialien, dazu gehört eine gute funktionale Auf-teilung des öffentlichen Raumes.

Das zentrale Argument, um eine solche Qualität zu erreichen, ist regelmäßig der Ar-chitektenwettbewerb, in dem Architekten, Stadtplaner, Landschaftsarchitekten sich an

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einem solchen Wettbewerb beteiligen und die geforderte Lösung dann mit der bestenIdee sozusagen präsentieren, die dann durch eine fachkundig zusammengesetzteJury ausgewählt wird. Das ist also ein ganz wichtiger Zusammenhang. Und dann mussöffentlicher Raum hergestellt werden, und er muss vor allen Dingen auch dauerhaftgepflegt werden, und er muss dauerhaft auch so nutzbar sein, wie er ursprünglich ge-dacht war. Einige Aspekte haben wir dazu eben schon gehört. Das ist auch eine sehrgroße und wichtige Aufgabe für die Kommunen, die dort geleistet werden kann.

Aber bevor man öffentlichen Raum umgestaltet, muss man natürlich erst einmal wis-sen, in welche Richtung die Reise geht. Da gibt es den Zusammenhang, dass mannatürlich auch das stadtplanerische Instrument braucht, was überhaupt einen solchenTransformationsprozess möglich macht.

Ich möchte auf zwei Sachverhalte hinweisen, die wichtig sind, zum einen ist dieBaunutzungsverordnung für den Stadtplaner eine ganz wichtige Größenordnung, dieimmer noch davon ausgeht, dass es sozusagen von Nutzungstrennung geprägteStrukturen in den Städten gibt. Ursprünglich wollte man das Wohnen vom Gewerbetrennen. Da aber Handel und Gastronomie, die Dienstleistungen auch Gewerbe sind,gibt es immer wieder das Problem, dass ich die Nutzungen Wohnen und Gewerbe nurschwer miteinander verbinden und mischen kann vor allen Dingen. Nutzungsmischungist ein Garant für lebendige und attraktive Innenstädte. Deswegen ist die Baunutzungs-verordnung immer wieder – das hat jüngst in einer kleinen Novelle auch stattgefun-den – zu überprüfen. Das ist keine Aufgabe des Landesgesetzgebers an dieser Stelle.Aber ein so starkes Land wie Nordrhein-Westfalen kann sich hier einbringen und kannden Appell an die Bundesregierung liefern und sagen, Mensch, schaut euch dieBaunutzungsverordnung an! Wie kann man es schaffen, Wohnen und gewerblicheNutzung besser miteinander zu vermischen?

Ich habe von einer kleinen Novelle gesprochen. Das war das urbane Gebiet, was manerfunden hat, was ein ganz kleiner Beitrag ist, um hier etwas in den Griff zu bekommen.Aber wenn im Kerngebiet das Wohnen nur ausnahmsweise zulässig ist, dann zeigtdas schon, wie schwer es unsere Innenstädte haben, diesen ganz wesentlichen Fre-quenzbringer, Wohnen, auch in die Innenstadt zu bringen.

Und darüber hinaus gibt es immer wieder Probleme offenbar mit der Einschätzung desLärms, der Lärmentwicklung in der Stadt. Es gibt den Verkehrslärm, und es gibt dengewerblichen Lärm. Und dann gibt es etwas dazwischen, das ist der Verkehrslärm, derdurch das Gewerbe entsteht. Und dieser scheint immer wieder zu Problemen in derStadtplanung, insbesondere im Baugenehmigungsverfahren zu führen. So lässt sichwohl der Verkehrslärm leichter reduzieren in den Innenräumen durch entsprechendepassive Schallschutzmaßnahmen. Vom Gewerbe verlangt man aber immer wieder ak-tive Schallschutzmaßnahmen. Insofern gibt es da ein Problem und Handlungsbedarf,dem man sich stellen muss.

Wenn der öffentliche Raum wertvoll gestaltet werden soll, dann braucht man davornatürlich auch die berühmte Neuaufteilung, also ein Bewusstsein über die Neuauftei-lung des Straßenraums. Wenn wir uns anschauen, wieviel ruhenden Verkehr es in denStraßenräumen gibt, dann stellen wir uns tatsächlich die Frage, ob nicht anstelle des

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ruhenden Verkehrs nicht doch etwas stattfinden sollte, was mit Mobilität wirklich zu tunhat. Das ist nämlich dann entweder verkehrliche Nutzung oder möglicherweise auchNutzung durch Fußgänger. An der Stelle ist ein ganz klares Bekenntnis erforderlich,öffentlichen Raum, der nun mal auch beschränkt ist, weil man ihn nicht ohne Problemeausweiten kann, neu zu ordnen.

Ich empfehle einen Ausflug nach Chicago, das ist nicht unbedingt eine Stadt, der mannachsagt, dass sie autofeindlich ist. Dort steht im Innenstadtbereich überhaupt keinAuto entlang der Straße, sondern die verschwinden in den Parkhäusern und Tiefgara-gen. Da fährt zwar jeder mit dem Auto, aber er parkt nicht auf der Straße, sondern aufder Straße findet Mobilität statt, übrigens dann auch mit dem Fahrrad, auch als Fuß-gänger und auch mit dem Auto. Das ist ein Beispiel, an dem man sich gut orientierenkann.

Ich möchte zum Schluss zu diesem Fragekomplex darauf hinweisen, dass es sehrfrustrierend sein kann für Stadtplaner, wenn auf der einen Seite alles dafür getan wird,um Innenstädte attraktiv und lebendig zu erhalten, aber Förderkulissen, die dann nichtaus Nordrhein-Westfalen kommen, sondern auf der Bundesebene entstehen, diesenBestrebungen möglicherweise kontraproduktiv gegenüberstehen. Das ist, ich sage esganz ehrlich, so etwas wie die Pendlerpauschale, die uns überhaupt nicht gefällt. Manmüsste eher das Nichtpendeln unterstützen, aber nicht das Pendeln. Das ist wirklichein Problem. Das Zweite, was wir auch immer wieder feststellen, ist, dass das Baukin-dergeld seine Wirkung auch verfehlt, weil der Wohnraum nicht in den Innenstädtenentsteht, wo er eigentlich entstehen müsste, sondern eher dort entsteht, wo er sowiesoentstanden wäre. Das sind noch einmal so zwei Aspekte, die ich zu diesem Fragekom-plex gerne einbringen möchte.

Die zweite Frage von Herrn Kehrl war die Frage, ob es denn eine sinnvolle Idee sei,großflächigen Einzelhandel an nicht integrierten Standorten mit einer Doppelpunktauf-gabe auszustatten, sozusagen parallel immer eine kleinere Einheit auch in der Innen-stadt errichten zu müssen, so habe ich das verstanden. Das ist sicherlich eine gute,theoretische Idee. Aus Sicht der Stadtplaner kann man das nur nicht steuern. Das istAufgabe des jeweiligen Unternehmers, das zu tun. Ich kann mir schwer vorstellen,dass in einem Bauantrag, der dann beschieden wird, drin steht „die kriegst Baurecht,aber nur, wenn du auch in der Innenstadt einen Laden eröffnest.“ Das ist wahrschein-lich ein bisschen weitgehend. Ich glaube, hinter dieser Frage steckt etwas ganz ande-res.

Ich vermute, dass dahinter die Idee verborgen ist, dass es durch den Strukturwandelim Einzelhandel, der auch etwas mit der Digitalisierung und dem Onlinehandel zu tunhat, möglich ist, auf kleinerer Fläche das Angebot zu präsentieren, was in der größerenFläche virtuell angeboten wird, also das Schaufenster des Onlinehandels in der Innen-stadt. Das kommt auch mit kleineren Flächen aus. Und das ist eine hervorragendeMöglichkeit, um Lebendigkeit und Frequenz in die Innenstädte zu tragen, ist aber amEnde eine Entscheidung des jeweiligen Unternehmers, der diese Schaufenster entwi-ckelt. Der Blick nach Hamburg ins sogenannte Passagenviertel zeigt einem das. Dorthaben zwei sehr große Onlinehändler eine Geschäftsfläche eröffnet, die im Grunde

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genommen ein Teilsortiment dessen zeigen, was sie online anbieten. Und das führtdann zur Belebung des Standortes. Neben diesen Einzelhandelsflächen gibt es dannden Präsentationsraum, den Herrn Borgmann gerade schon genannt hat. Dieses be-sagte Fahrzeug steht nämlich direkt daneben. Das scheint ein Trend zu sein, den esgibt.

Herr Remmel fragte zum Schluss: Um Himmels willen, wie meinen Sie denn das, denUmbau der Fußgängerzonen? Und ich darf Sie beruhigen, ich meinte damit nicht, dassvielleicht eine Fußgängerzone wieder zu einer Straße umgebaut wird. Das meinte ichnicht. Ich glaube, das sollten wir nicht zum Ziel haben. Wenn wir über Transformatio-nen in den Innenstädten reden, dann müssen wir darüber reden, wie wir mit den jetzi-gen Strukturen andere Nutzungen in die Erdgeschoßzonen kriegen. Dann kann es jasein, dass in den ehemaligen Lagen, die für Gastronomie, Dienstleistungen oder denHandel zur Verfügung gestanden haben, Wohnnutzungen einziehen. Wenn Sie abereine Wohnnutzung in das Erdgeschoß einer Fußgängerzone bringen, dann brauchenSie einen Abstand zwischen dem Laufbereich einer Fußgängerzone und dem Fenster,weil das Schaufenster, in dem Sie dann wohnen, kein Schaufenster mehr sein soll.Also brauchen Sie, wie in einem gründerzeitlichen Quartier, immer ein Abstandsgrünzwischen dem Gehweg und der Hausfassade im Erdgeschoß. Da der Einzelhandel,die Gastronomie und die Dienstleistung regelmäßig barrierefrei in den Innenstädtenangelegt ist, haben Sie nicht nur den Vorteil eines Hochparterres, also brauchen Sieerst recht einen großen Abstand zwischen dem Laufweg eines Fußgängerbereichsund dem Fenster, das ein Wohnungsfenster ist.

Wenn Sie diesen Eingriff starten in eine geförderte Kulisse hinein, in ein gefördertesProjekt, was mit Städtebauförderung oder anderen Fördergeldern errichtet wurde, undSie sind noch innerhalb der Bindung, dann entstehen Probleme, weil Sie ja einen kom-pletten Umbau tätigen. So war es gemeint, Herr Remmel. – Vielen Dank.

Vorsitzender Hans-Willi Körfges: Ich darf mich ganz herzlich bedanken. Ich schauein die Runde der Kolleginnen und Kollegen und bitte darum, mir durch Handzeichenmitzuteilen, wenn es weitere Fragen gibt. Ich sehe, das ist erkennbar nicht der Fall.

Dann darf ich mich zunächst ganz herzlich bei allen Sachverständigen für Ihre inhalt-lich wertvollen Statements bedanken. Ich gehe davon aus, dass wir uns mit den The-men, die heute angesprochen worden sind, intensiv auch als Fachausschuss nochbeschäftigen werden. Ich bedanke mich auch ganz besonders beim Sitzungsdoku-mentarischen Dienst, der uns zugesagt hat, die Mitschrift dieser Anhörung zum Anfangder 5. Kalenderwoche, das wäre die letzte Januarwoche im Jahr 2020, zur Verfügungzu stellen.

Zum weiteren Beratungsverfahren darf ich auf Folgendes hinweisen: Der mitberatendeAusschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung hat am 05.02.2020 die Mög-lichkeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Die Möglichkeit gibt es auch für denAusschuss für Digitalisierung und Innovation am 06.02. Wir werden in unserem Aus-schuss die Möglichkeit der Anhörung und Beschlussfassung am 07.02.2020 haben.

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Die abschließende Beratung soll dann in der folgenden Plenarsitzung im Februar er-folgen. Insoweit ist mit dem weiteren zügigen Fortgang der Antragsberatungen hier zurechnen. Ich bedanke mich, wie gesagt, noch einmal ganz herzlich auch bei all denje-nigen, die aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen ausgeharrt haben. Ich glaube,es hat sich gelohnt. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit, verabschiede jetzt allein ein hoffentlich angenehmes Wochenende und beschließe die Sitzung.

gez. Hans-Willi KörfgesVorsitzender

Anlage14.01.2020/22.01.202078

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Stand: 13.12.2019

Anhörung von Sachverständigen Sitzung des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen

und des Ausschusses für Digitalisierung und Innovation "Heimat braucht Handel – vitale Innenstädte für die Zukunft des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen er-

halten, den stationären Handel bei seinem Weg ins digitale Zeitalter unterstützen" Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP, Drucksache 17/6748

Änderungsantrag der Fraktion der AfD, Drucksache 17/6864

am Freitag, dem 13. Dezember 2019 13.30 Uhr, Plenarsaal

Tableau

eingeladen Teilnehmer/-innen Stellungnahme

Helmut Dedy Städtetag Nordrhein-Westfalen Köln

Detlef Raphael

17/2077

Dr. Bernd Jürgen Schneider Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen Düsseldorf

Dr. Martin Klein Landkreistag Nordrhein-Westfalen Düsseldorf

nein

Dr. Peter Achten Handelsverband Nordrhein-Westfalen e.V. (HV NRW) Düsseldorf

Dr. Peter Achten

17/2089

Dr. Ralf Mittelstädt IHK NRW - Die Industrie- und Handelskam-mern in Nordrhein-Westfalen e. V. Düsseldorf

Sven Schulte

17/2101

Dr. Volker Lange Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik Dortmund

Dr. Volker Lange

17/2102

Landtag Nordrhein-Westfalen - 53 - APr 17/859Anlage, Seite 1

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eingeladen Teilnehmer/-innen Stellungnahme

Daniel Kolle Ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bezirk Köln-Bonn-Leverkusen Köln

Daniel Kolle

nein

Peter Heinze Stadt Remscheid Remscheid

Peter Heinze

17/2080

Frank Rehme GMV Team Düsseldorf

Frank Rehme

17/2083

Felix Heinrichs SPD-Fraktion im Rat der Stadt Mönchenglad-bach Mönchengladbach

Felix Heinrichs

17/2067

Ralf M. Beckmann Stadt + Handel Beckmann und Föhrer Stadtplaner PartGmbB Dortmund

Ralf M. Beckmann

17/2093

Dr. Rolf Volmerig Wirtschaftsförderung Wuppertal AöR Wuppertal

Dr. Rolf Volmerig

17/2086

Rolf Junker Junker + Kruse Stadtforschung Planung Dortmund

Rolf Junker

17/2070

Boris Hedde IFH - Institut für Handelsforschung Köln

Boris Hedde Dr. Markus Preissner

17/2090

Landtag Nordrhein-Westfalen - 54 - APr 17/859Anlage, Seite 2

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eingeladen Teilnehmer/-innen Stellungnahme

Christoph Borgmann Werbegemeinschaft Krefeld e.V. Krefeld

Christoph Borgmann

nein

Markus Lehrmann Architektenkammer NRW Düsseldorf

Markus Lehrmann Herbert Lintz

17/2091

WEITERE STELLUNGNAHME

Hermann Meyersick/Thomas Luppa Ströer Media Deutschland GmbH, Köln

17/2095

ABSAGEN VON EINGELADENEN EXPERTEN

Anja Weber Deutscher Gewerkschaftsbund, Bezirk Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

Dr. Thorsten Fröhlich Köln

Helga Sander Stadterneuerungsgesellschaft Gelsenkirchen, Gelsenkirchen

Professor Dr. Alexander Schink REDEKER SELLNER DAHS, Bonn

Landtag Nordrhein-Westfalen - 55 - APr 17/859Anlage, Seite 3

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Landtag Nordrhein-Westfalen, Elektronische Sitzungsmappe zur Einladung Nr. 17/1132Ausschuss für Digitalisierung und Innovation

- TOP 3 -

Transparenz in der kommunalen Demokratie stärken – Beratungen von Räten undKreistagen digital veröffentlichen!

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode

Drucksache 17/7743

05.11.2019

Datum des Originals: 05.11.2019/Ausgegeben: 06.11.2019

Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de

Antrag der Fraktion der AfD Transparenz in der kommunalen Demokratie stärken - Beratungen von Räten und Kreistagen digital veröffentlichen! I. Ausgangslage Kommunalparlamente in Nordrhein-Westfalen tagen in der Regel öffentlich (§ 48 Abs. 2 GO NRW, § 33 Abs. 2 KrO NRW). Obwohl es inzwischen üblich ist, dass Parlamente auf höherer Ebene ihre Beratungen als Video bzw. als Livestream im Internet veröffentlichen, sind die Kommunen in NRW nur ausnahmsweise im digitalen Zeitalter angekommen. Nur acht von 22 kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen veröffentlichen einen Livestream ihrer Sitzungen (Bonn, Bottrop, Düsseldorf, Essen, Köln, Leverkusen, Mönchengladbach, So-lingen, Wuppertal), kein einziger der 31 Kreise überträgt seine Sitzungen. Außerdem gibt es einige kreisangehörige Städte mit entsprechendem Angebot (z.B. Wassenberg im Kreis Heins-berg). In zwei Fällen (Köln und Bonn) werden die mitgeschnittenen Videos außerdem nicht zum Abruf bereitgestellt. Dieser Zustand ist eines Bundeslands, das sich selbst als Vorreiter der Digitalisierung versteht, unwürdig. Außerdem wird so eine große Chance verspielt, die Bürger für die Demokratie auf kommunaler Ebene zu interessieren. Gerade junge Menschen nutzen zur Kommunikation heute vor allem soziale Medien und dort in immer größerem Umfang audiovisuelle Inhalte. Während die Tagungen des Bundestags und vermehrt auch des Landtags in den vergangenen Jahren von immer mehr Menschen auf digitalem Wege verfolgt werden, partizipiert die kom-munale Demokratie bisher kaum von diesem positiven Effekt der Digitalisierung. Ein Zusammenhang mit der Finanzkraft der Kommunen ist dabei kaum zu erkennen. Tatsäch-lich sind bei den acht genannten Vorreitern unter den kreisfreien Städten Kommunen mit sehr unterschiedlicher Finanzkraft und Bevölkerungszahl. In einigen Fällen drängt sich sogar der Eindruck auf, dass die jeweilige Kommune gar kein Interesse an umfassender Transparenz gegenüber der Bürgerschaft hat. Die Stadt Köln lässt beispielsweise Ratsherren abmahnen, die Mitschnitte ihrer eigenen Reden im Kölner Rat ver-öffentlichen.

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/7743

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Es ist nicht mehr zeitgemäß, die Bürger auf Protokolle oder Tribünenplätze zu verweisen und ihnen so einen wirklichen Einblick in die Arbeit der Kommunalpolitik zu verweigern. II. Der Landtag stellt fest

1. Zur Stärkung der kommunalen Demokratie ist es erforderlich, mittelfristig die Sitzungen aller Kommunalparlamente in NRW digital als Videomitschnitt öffentlich zugänglich zu machen.

2. Jeder kommunale Mandatsträger in NRW muss die Möglichkeit haben, seine Wortbei-träge im Rahmen der öffentlichen Sitzungen von Kommunalparlamenten mitzuschnei-den oder mitschneiden zu lassen und zu veröffentlichen.

III. Der Landtag beschließt

1. Die Landesregierung wird aufgefordert, die Einrichtung eines „NRW-Portals“ für Live-übertragungen und Videos zum Abruf zu prüfen. Das Portal soll allen öffentlichen Stel-len, insbesondere dem Landtag und den Kommunalparlamenten zur Nutzung bereit-stehen.

2. Die Landesregierung wird aufgefordert, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der Kreise und kreisfreie Städte nach der nächsten Kommunalwahl verpflichtet, die Sitzungen ih-rer Stadträte bzw. Kreistage live im Internet zu übertragen und einen Videomitschnitt jeder Sitzung mindestens ein Jahr lang zum Abruf bereitzuhalten. Gleiches soll für die Landschaftsversammlungen Rheinland und Westfalen-Lippe sowie für die Verbands-versammlung des Regionalverbands Ruhr gelten.

3. Die Landesregierung wird aufgefordert, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der kreis-angehörigen Städte und Gemeinden nach der übernächsten Kommunalwahl verpflich-tet, ihre Ratssitzungen live im Internet zu übertragen und einen Videomitschnitt jeder Sitzung mindestens ein Jahr lang zum Abruf bereitzuhalten.

4. Die Landesregierung wird aufgefordert, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der sicher-stellt, dass jeder Mandatsträger in einem Kommunalparlament die Möglichkeit hat, Vi-deo- oder Tonmitschnitte seiner Wortbeiträge in öffentlichen Sitzungen mitzuschneiden oder mitschneiden zu lassen und zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen. Wird von der zuständigen Kommune ein Video- oder Tonmitschnitt seines Redebeitra-ges angerfertigt, so soll jeder Mandatsträger uneingeschränkt berechtigt sein, diesen Mitschnitt für eigene Zwecke zu verwenden.

Sven W. Tritschler Markus Wagner Andreas Keith und Fraktion

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Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Nordrhein-Westfalen

Herrn Hans-Willi Körfges MdL Vorsitzender des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen des Landtages NRW Platz des Landtages 1 40221 Düsseldorf per E-Mail: [email protected]

„Transparenz in der kommunalen Demokratie stärken – Beratungen von Rä-ten und Kreistagen digital veröffentlichen!“ Antrag der Fraktion der AfD (Drucksache 17/7743) Ihr Schreiben vom 28.11.2019 Sehr geehrter Herr Körfges, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir bedanken uns für die Gelegenheit, zu dem vorgenannten Antrag der Frak-tion der AfD Stellung nehmen zu können. Soweit die antragstellende Fraktion unter Verweis auf die überschaubare Zahl von Kommunen, die Beratungen ihrer kommunalen Vertretungen als Video o-der Livestream im Internet übertragen bzw. veröffentlichen, die Kommunen in NRW „nur ausnahmsweise im digitalen Zeitalter angekommen“ sieht, ist klar-zustellen, dass die Übertragung von Gremiensitzungen im Internet keinen Maß-stab für die Beurteilung des Digitalisierungsgrades und der Vorhaltung digitaler Angebote liefert. Entgegen des von der antragstellenden Fraktion erweckten Eindrucks sind die Kommunen bei der Digitalisierung auf einem guten Weg. Sie stellen sich gemeinsam mit ihren kommunalen IT-Dienstleistern den aktuellen Herausforderungen, um den digitalen Wandel in den Kommunen zu einer Er-folgsgeschichte zu machen. Abgesehen davon, dass den Kommunen der damit verbundene Aufwand nach Maßgabe des Konnexitätsprinzips erstattet werden müsste, sehen wir im Übri-gen keinen Bedarf für eine gesetzliche Verpflichtung zur Übertragung von Gre-miensitzungen im Internet. Vielmehr sollte es den Kommunen überlassen blei-ben, darüber eigenverantwortlich im Rahmen ihres Rechts der Selbstverwal-tung zu entscheiden. In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass das geltende Kommu-nalverfassungsrecht zu Video- und Audioübertragungen (einschließlich der Ver-öffentlichung eines Live-Streams im Internet) von Sitzungen kommunaler Ver-tretungen keine Regelung trifft. Es normiert das Prinzip der Öffentlichkeit von Sitzungen der Stadt- und Gemeinderäte sowie Kreistage als Ausgestaltung des

09.01.2020

Städtetag NRW Regine Meissner Hauptreferentin Gereonstraße 18 - 32 50670 Köln [email protected] Telefon 0221 3771-249 www.staedtetag-nrw.de Aktenzeichen: 30.87.23 N 30.47.10 N Landkreistag NRW Dr. Marco Kuhn Erster Beigeordneter Kavalleriestraße 8 40213 Düsseldorf [email protected] Telefon 0211 300491-300 www.lkt-nrw.de Az.: 10.20.00 Städte- und Gemeindebund NRW Andreas Wohland Beigeordneter Kaiserswerther Straße 199 - 201 40474 Düsseldorf andreas.wohland@ kommunen.nrw Telefon 0211 4587-223 www.kommunen.nrw Az.: 13.03.37-002/001

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STELLUNGNAHME

17/2143Alle Abg

Page 112: Sitzungsmappe erstellt am: 20.05.2020 14:06:20 LANDTAG … · Uhr frei. Das heißt aber nicht, dass wir die Zeit bis auf die letzte Sekunde ausschöpfen müssen. Wir können das aber.

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Demokratieprinzips (§§ 48 Abs. 2 GO, 33 Abs. 2 KrO). Dieses ist jedoch im Sinne einer „Saalöffentlichkeit“ zu verstehen, nicht als eine sogenannte Medienöffentlichkeit, also das Streamen von Sitzungen via Internet. Kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie obliegt es prinzipiell der jeweiligen Kommunalvertretung im Rah-men der geltenden Gesetze solche Aufnahmen und Übertragungen durch ihre Geschäftsordnung zu regeln. Insbesondere ist darauf zu verweisen, dass die Video- und Audioübertragung der Sitzung einer Kommunal-vertretung eine Datenübermittlung im Sinne des Datenschutzrechts darstellt. Wie die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit verschiedentlich klargestellt hat, muss deshalb der einzelne Teil-nehmer einer Rats- oder Kreistagssitzung nicht hinnehmen, dass seine Teilnahme festgehalten und seine Beiträge weltweit speicher- und verarbeitungsfähig im Internet zur Verfügung gestellt werden. Daraus folgt im Weiteren, dass sich alle Teilnehmer einer Gremiensitzung mit einer möglichen Übertragung bzw. Auf-zeichnung einverstanden erklären müssen. Diese Einwilligung muss auf der Grundlage einer umfassenden vorherigen Information freiwillig und schriftlich erfolgen. Außerdem muss sie jederzeit widerrufbar sein. Ebenso ist sicherzustellen, dass auch beim Streaming der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt wird. Das bedeutet, dass das Streamen nur so weit gehen darf, wie es zur jeweiligen Informationsübermitt-lung erforderlich ist. Genau das sehen die uns bekannten Geschäftsordnungsregelungen jener Kommunen vor, die Video- und Audioübertragungen bereits heute ermöglichen. Wir halten diese Rechtslage für sachgerecht, liegt ihr doch eine angemessene und praxisgerechte Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den Persönlichkeits- und Datenschutzrechten einzelner Teilnehmer von Gremiensitzungen zugrunde. Würde der Gesetzgeber gleichwohl die von der antragstellenden Fraktion angestrebte Verpflichtung der Kommunen normieren, würde damit unter Umständen gegen den Willen von Mandatsträgern, Verwal-tungsmitarbeitern und Zuschauern in deren verfassungsrechtlich verbürgten Rechte am eigenen Bild und auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Dass ein solcher Eingriff gerechtfertigt wäre, bezwei-feln wir, zumal es der Bürgerschaft nach geltendem Recht freisteht, an den betreffenden Gremiensitzungen teilzunehmen, so dass dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit grundsätzlich entsprochen wird. Daran vermag der (zutreffende) Hinweis, dass soziale Medien zunehmend zur Kommunikation genutzt werden, nichts zu ändern. Das Informationsinteresse derjenigen, die an öffentlichen Gremiensitzungen nicht teil-nehmen können oder wollen, muss unseres Erachtens hinter die verfassungsrechtlich garantierten Rechte am eigenen Bild und auf informationelle Selbstbestimmung von Mandatsträgern, Verwaltungsmitarbeitern und Zuschauern zurücktreten. Selbst wenn man unsere vorstehend skizzierten rechtlichen Erwägungen nicht teilen sollte, blieben weitere erhebliche Bedenken tatsächlicher Natur. Unter diesem Gesichtspunkt ist daran zu erinnern, dass es sich bei kommunalen Mandatsträgern – anders als bei Abgeordneten von Bundestag oder Landtag – um ehrenamtliche Politiker handelt, bei denen ein „professionelles Auftreten vor laufenden Kameras“ nicht erwartet werden kann. Vielmehr müssen ehren-amtlich tätige Mandatsträger die Möglichkeit haben, sich in Räten und Kreistagen in einer vor der direkten Wahrnehmung durch einen unbestimmten Zuhörerkreis geschützten Atmosphäre mit Wortbeiträgen be-teiligen zu können. Würden ihre Debattenbeiträge künftig generell gefilmt und langfristig gespeichert sowie allgemein zugänglich gemacht werden, müsste mit einem negativen Einfluss auf die Diskussionskultur in kommunalen Vertretungen gerechnet werden. Während sich einerseits ungeübte Mandatsträger durch eine ständige Öffentlichkeits- und Medienpräsenz unter Druck gesetzt und in ihrem freien Mandat einge-schränkt fühlen könnten und von Wortmeldungen abgehalten würden, wäre anderseits zu befürchten, dass „Schaufensterreden“ gehalten werden, die eine sachorientierte Debatte nachhaltig erschweren. Genauso können an einer Gremiensitzung teilnehmende Einwohner betroffen sein, verlangt es manchem Einwohner doch bereits jetzt eine gewisse Überwindung ab, im Rahmen von Einwohnerfragestunden vor

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einem größeren Publikum ein Anliegen anzusprechen. Diese Hürde würde wesentlich höher, wenn die be-treffenden Einwohner bei ihren Anfragen künftig Video- und Audioaufnahmen ausgesetzt wären. Für die kommunalpolitische Teilhabe der Bürgerschaft wäre dies letztlich kontraproduktiv. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass wir die mit dem Antrag der AfD-Fraktion angestrebte Gesetzesän-derung ablehnen.

Mit freundlichen Grüßen In Vertretung

Dr. Uda Bastians Dr. Marco Kuhn Beigeordnete Erster Beigeordneter

des Städtetages Nordrhein-Westfalen des Landkreistages Nordrhein-Westfalen

Andreas Wohland Beigeordneter

des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen

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KPV/NRW, Postfach 10 09 62, 45609 Recklinghausen Landesgeschäftsführer

45657 Recklinghausen Limperstraße 40

Tel. 02361 5899-10 Fax 02361 5899-50

E-Mail: [email protected] Internet: www.kpv-nrw.de

8. Januar 2020

Landtag Nordrhein-Westfalen Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen Herrn Vorsitzenden Hans-Willi Körfges MdL Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf Per E-Mail: [email protected]

Schriftliche Anhörung von Sachverständigen

„Transparenz in der kommunalen Demokratie stärken – Beratungen von Räten und Kreis-

tagen digital veröffentlichen!“

zum 17. Januar 2020

Sehr geehrter Herr Körfges,

für die Gelegenheit, zum Antrag der AfD-Fraktion (Drs. 17/7743) „Transparenz in der kommunalen Demokratie stärken – Beratungen von Räten und Kreistagen digital veröffentlichen!“ Stellung zu nehmen, bedankt sich die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU des Landes NRW (KPV/NRW) und teilt ihre Einschätzung wie folgt mit:

Die Liveübertragung von Sitzungen aus kommunalen Vertretungen und deren Zurverfügungstellung als Video zum Abruf ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen des Landesgesetzgebers mit den kommunalpolitischen Vereinigungen – insbesondere auch vor dem Hintergrund einer Stärkung des kommunalen Ehrenamtes – gewesen.

Für diesen Weg spricht sicherlich, dass die Bürgerinnen und Bürger vor Ort tatsächlich die Möglich-keit erhalten, sehr niederschwellig an den Sitzungen kommunaler Vertretungen „teilnehmen“ zu kön-nen. Allerdings zeigen die Nutzungszahlen in den Städten, die eine Liveübertragung von Sitzungen eingeführt haben, dass von dieser Möglichkeit nur äußerst gering Gebrauch gemacht wird.

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass insbesondere die Missbrauchsmöglichkeit, die mit einer Zurverfügungstellung von Videos auf Abruf noch einmal steigt, in Zeiten einer umfassenden Nutzung Sozialer Medien sehr hoch ist. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Mitgliedern kommunaler Vertretungen gerade nicht um hauptamtliche Politikerinnen und Politiker, sondern um ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger handelt, bei denen außerdem die Schwelle einer Verlet-zung von Persönlichkeitsrechten bei fehlender Einwilligung deutlich höher anzusetzen ist.

Deshalb raten wir als KPV/NRW dringend davon ab, eine verpflichtende Liveübertragung von Sit-zungen und deren Abruf als Video durch den Landesgesetzgeber einzuführen. Vielmehr sollten im Sinne der Kommunalen Selbstverwaltung die Vertretungen weiterhin selbst entscheiden können, ob sie von einer solchen Möglichkeit Gebrauch machen oder die Bürgerinnen und Bürger in anderer Art und Weise dazu motivieren und auffordern, sich an kommunalpolitischen Diskussionen und Ent-scheidungsprozessen zu beteiligen.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus-Viktor Kleerbaum

Landesgeschäftsführer

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Düsseldorf, 2. Februar 2015 Transparenz in der kommunalen Demokratie stärken – Beratungen von Räten und Kreistagen digital veröffentlichen (Drucksache 17/7743) Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Körfges, wir bedanken uns für die Gelegenheit, zu dem vorbezeichneten Antrag der AfD-Fraktion Stellung nehmen zu können.

Der Landtag hat sich bereits in der Vergangenheit mit dem Thema Livestream in Ratssitzungen beschäftigt, siehe Gesetz zur Stärkung der Partizipation auf Kommunalebene, Gesetzentwurf PIRATEN, Drucksache 16/5474 v. 25.03.2014.

Der Kern des Antrags der AfD-Fraktion zielt auf eine Änderung der Gemeindeordnung im Paragraf 48, der sich mit der Tagesordnung und der Öffentlichkeit der Ratssitzung beschäftigt. Mit einem neuen Gesetz soll der Rat bzw. Kreistag und die Gemeindever-bände LVR, LWL und RVR verpflichtet werden, unbeschadet weitergehender Rechtsvorschriften, Video- und Audioaufnahmen sowie deren Übertragung durch die Medien oder die Gemeinde mit dem Ziel der Veröffentlichung zu ermöglichen. Dies, obwohl das Kommunalverfassungsrecht kein Verbot von Video- und Audioübertragung von Sitzungen kommunaler Vertretungen normiert. Würde der Gesetzgeber, wie von der AfD-Fraktion vorgeschlagen, z.B. in den §§ 48 GO, 33 KrO eine zusätzliche Ermächtigungsgrundlage normieren, wonach die Kommunen z.B. durch eine Hauptsatzungsregelung verpflichtet würden in öffentlichen Gremiensitzungen Video-und Audioaufnahmen und deren Übertragung mit dem Ziel der Veröffentlichung generell zu erlauben, würde dies erheblichen rechtlichen Bedenken begegnen. Der Einsatz des Livestreamings wirft Fragen auf, die in einem wechselseitigen Spannungsfeld zur Wahrung des Demokratieprinzips, dem Öffentlichkeitsgebot, der Funktionsfähigkeit des Rates sowie den Persönlichkeitsrechten von Rats- und Kreistagsmitgliedern, Verwaltungsmitarbeitern und interessierter Saalöffentlichkeit stehen. Persönlichkeitsrechte von Rats- und Kreistagsmitgliedern Das Bundesverwaltungsgericht hat 1990 darauf hingewiesen, dass durch die Anfertigung von Video-und Audioaufnahmen die Mitwirkungsrechte der Mitglieder eines Gemeinderates betroffen sein können. Wörtlich heißt es in dem Urteil des

Oststr. 41-43 40211 Düsseldorf Tel 0211-38476 - 0 Fax 0211-38476 - 19 [email protected] www.gar-nrw.de Volker Wilke Geschäftsführung 0211-38476-13 [email protected]

GAR NRW – Oststr.41-43 - 40215 Düsseldorf Hans Willi Körfges (MdL) Vorsitzender des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen Postfach 10 11 43 40002 Düsseldorf

GAR NRW Kommunalpolitische Vereinigung

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Bundesverwaltungsgerichts vom 03.08.1990, Az 7C14/90: „Auch das Recht des Ratsmitglieds auf freie Rede, das nicht in der höchstpersönlichen Rechtssphäre gründet, kann durch die Aufzeichnung auf Tonband faktisch empfindlich tangiert werden. Eine von psychologischen Hemmnissen möglichst unbeeinträchtigte Atmosphäre gehört zu den notwendigen Voraussetzungen eines geordneten Sitzungsbetriebs, den der Ratsvorsitzende zu gewährleisten hat. Das beruht auf dem legitimen, letztlich in der Gewährleistung der Selbstverwaltung durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten öffentlichen Interesse daran, dass die Willensbildung des Rates als demokratisch legitimierter Gemeindevertretung ungezwungen, freimütig und in aller Offenheit verläuft. Von daher kann die von den Vorinstanzen anerkannte Besorgnis nicht vernachlässigt werden, dass insbesondere in kleineren und ländlichen Gemeinden weniger redegewandte Ratsmitglieder durch das Bewusstsein des Tonmitschnitts ihre Spontaneität verlieren, ihre Meinung nicht mehr "geradeheraus" vertreten oder schweigen, wo sie sonst gesprochen hätten. Denn Tonbandauf-zeichnungen zeitigen nun einmal für das Verhalten der Betroffenen erhebliche Wirkung, weil sie jede Nuance der Rede, einschließlich der rhetorischen Fehlleistungen, der sprachlichen Unzulänglichkeiten und der Gemütsbewegungen des Redners, dauerhaft und ständig reproduzierbar konservieren. (…) Soweit im Einzelfall ein Interesse an der wortgetreuen Wiedergabe von Redepassagen besteht, eröffnen die Mittel der Schrift genügend Möglichkeiten, exakt zu berichten. Auch insoweit stellt die Tonbandaufzeichnung weder ein wesentliches noch gar ein unersetzliches Mittel zur Beschaffung von Informationen über den Ablauf öffentlicher Sitzungen von Gemeindevertretungen dar. (…)“ Nach der derzeitigen Rechtslage ist eine einvernehmliche Entscheidung im Rat über die Anfertigung von Audio-und Videoaufnahmen ohne weiteres zulässig. Datenschutz und Kunsturheberrecht Bereits jetzt ist es – auch ohne eine neue Gesetzgebung oder Ermächtigungsgrundlage - möglich, Ratssitzungen zu übertragen, sofern die bestehenden datenschutzrechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Eine entsprechende Regelung kann in die Geschäftsordnung des Rats oder Kreistags aufgenommen werden. Dabei ist zu beachten, dass generell eine mögliche Übertragung sowohl durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) als auch durch das Kunsturhebergesetz (KUG) eingeschränkt ist. So erfordert Art. 6 DSGVO Abs. 1a eine Einwilligung zur Aufnahme von Bild und Ton des Betroffenen. Wie auch gemäß § 22 KUG Bilder nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet werden dürfen. Dies trifft auch auf ehrenamtliche Ratsmitglieder bei einer im Internet via Streaming übertragenen Ratssitzung zu. Die Einwilligung ist individuell gegenüber dem Ratsmitglied einzuholen und muss gemäß DSGVO Artikel 7 auf der Grundlage einer umfassenden vorherigen Information freiwillig und schriftlich erfolgen. Sie muss jederzeit widerrufbar sein. Eine Änderung der Gesetzeslage, die diesen Passus in Frage stellt, sollte u.E. aufgrund weitreichender Konsequenzen wohl überlegt sein. Die bisherigen Möglichkeiten sind unserer Einschätzung nach in Abwägung der individuellen Schutzinteressen als auch der Praxis für Livestreams von Ratssitzungen völlig praktikabel und hinreichend. Geschäftsordnung des Rates Wir stellen aktuell fest, dass Städte und Gemeinden zunehmend die Ratssitzungen im Internet übertragen, um das öffentliche Interesse an der kommunalen Politik zu fördern. Dabei müssen datenschutzrechtliche Interessen zwingend gewahrt bleiben. Es obliegt der Entscheidung des Rates, dass eine entsprechende Regelung dazu in die Geschäftsordnung des Rats bzw. Kreistags aufgenommen wird. Eine weitergehende Gesetzesgrundlage halten wir wie bereits dargestellt für nicht erforderlich. Jede/r Beteiligte – Zuschauer/in, Mitarbeiter/innen der Verwaltung und Mitglieder des Rats – sollte über die

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Übertragung aufgeklärt werden und zu Aufnahmen seiner Person seine Zustimmung erteilen. Von einer Übertragung des Zuschauerbereichs sollte, um den Übertragungs-ablauf nicht zu beeinträchtigen, überhaupt abgesehen werden, da nur eine fehlende Einwilligung eines Zuschauers die Übertragung des Zuschauerraums unzulässig macht. Die Zuschauenden dürfen auch nicht im Hintergrund des Redners positioniert und damit in der Übertragung sichtbar sein. Die Stadt Düsseldorf hat, wie andere Kommunen auch, bereits seit September 2014 eine Regelung von Livestream-Aufnahmen der Ratssitzung in der Geschäftsordnung verankert.

Dort heißt es: § 3 Öffentlichkeit der Ratssitzungen (geändert durch Ratsbeschluss vom 22.03.2018) (...) (4) Jede öffentliche Sitzung des Rates wird zeitgleich im Internet übertragen, gespeichert und zum nachträglichen Abruf im Internet zur Verfügung gestellt. Die Abrufmöglichkeit endet mit der Genehmigung der Niederschrift der betreffenden Sitzung durch den Rat.

(5) Jedes Ratsmitglied soll zu Beginn seiner Mandatstätigkeit gegenüber der Oberbürgermeisterin/dem Oberbürgermeister eine schriftliche Erklärung dazu abgeben, ob es mit der zeitgleichen Übertragung der eigenen Redebeiträge im Internet und deren Speicherung zum nachträglichen Abruf einverstanden ist. Das Einverständnis kann auf die zeitgleiche Übertragung beschränkt werden. Bei Einwilligung sollen die Ratsmitglieder angeben, dass sie sich der Reichweite der öffentlichen Verbreitung bewusst sind und in ihrem Redebeitrag personenbezogene Daten und andere sensible Informationen nur unter Berücksichtigung dieser Reichweite verwenden. Wird keine Erklärung abgegeben, gilt die Einwilligung als verweigert. Die Erklärung kann während der Mandatstätigkeit jederzeit schriftlich gegenüber der Oberbürgermeisterin/dem Oberbürgermeister nachträglich abgegeben, widerrufen oder geändert werden. Die Einwilligung kann im Einzelfall für eine Ratssitzung oder für einzelne Tagesordnungspunkte einer Ratssitzung mündlich gegenüber der Oberbürgermeisterin/dem Oberbürgermeister bzw. der Sitzungsleitung widerrufen werden. Der Widerruf ist zu protokollieren. Die Sätze 1 bis 5 gelten für andere Personen mit Rederecht im Rat entsprechend.

(6) Die Kameraperspektive ist während der Redebeiträge auf das Rednerpult beschränkt. Äußerungen der Sitzungsleitung werden dabei über den Tonkanal übertragen. Hat eine Person der Übertragung ihrer Redebeiträge nicht zugestimmt, werden Bild und Ton ausgeblendet. Eine Totale des Ratssaals wird z.B. bei Erläuterungen der Sitzungsleitung, bei Ehrungen und Abstimmungen gezeigt. Nahaufnahmen sind nicht zulässig. Hat eine Person der Speicherung ihrer Redebeiträge nicht zugestimmt, wird die Aufzeichnung entsprechend geschnitten.

(7) Die Oberbürgermeisterin/der Oberbürgermeister weist am Anfang jeder Ratssitzung auf die zeitgleiche Übertragung im Internet und die nachträgliche Abrufmöglichkeit hin.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass in der Geschäftsordnung oder Hauptsatzung (z.b. Wuppertal) ein Grundsatzbeschluss zum Livestreaming gefasst werden kann, der dann jedoch noch die persönliche Einverständniserklärung eines jeden Ratsmitglieds bedarf. In der Praxis zeigt sich, dass die mündliche Abfrage von allen Anwesenden durch die Sitzungsleitung vor Eintritt in die Tagesordnung präferiert wird. Mit freundlichen Grüßen

Volker Wilke

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SGK Landtag Nordrhein-Westfalen 17. Wahlperiode

Die Kommunalen in NRW

Stellungnahme 17/2150

alle Abg.

SGK NRW • Postfach 20 07 04 • 40104 Düsseldorf

An den Vorsitzenden des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen des landtages Nordrhein-Westfalen Herrn Hans-Willi Körfges Mdl 40221 Düsseldorf

per Email: [email protected]

Unser Zeichen: Ku

Datum: 10. Januar 2020

Schriftliche Anhörung des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen zu der Drucksache 17/7743 der AfD-Fraktion "Transparenz in der kommunalen De­mokratie stärken - Beratung von Räten und Kreistagen digital veröffentlichen"

Sehr geehrter Herr Körfges, sehr geehrte Damen und Herren,

wir bedanken uns für die Möglichkeit, im Rahmen der oben genannten Anhörung zu der Drucksache 17/7743 der AfD-Fraktion IITransparenz in der kommunalen Demokra­tie stärken - Beratung von Räten und Kreistagen digital veröffentlichen" Stellung neh­men zu können.

Bereits in der 16. Legislaturperiode hat sich der landtag an lässlich eines Antrages der Fraktion der PIRATEN, Drucksache 16/5474 mit einer ähnlichen Fragestellung ausei­nandergesetzt.

Die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen haben sich seitdem aus Sicht der SGK NRW nicht so maßgeblich geändert, dass der Antrag der AfD in der Sache posi­tiv beschieden werden kann.

Der Antrag verkennt schon, dass die Räte und Kreistage nach Gemeindeordnung und Kreisordnung zwar grundsätzlich öffentlich tagen, unter dieser Öffentlichkeit aber eben nicht die weltweite Öffentlichkeit durch einen live-Stream im Internet zu verstehen ist, sondern nur dahingehend zu begreifen ist, dass der Besuch der Tagungsräumlichkeiten jedermann während der Sitzung zum Zwecke der Beiwohnung derselbigen zugänglich ist. Darüberhinausgehend können aus den Regelungen der Gemeindeordnung und der Kreisordnung keinerlei Ansprüche in diesem Sinne hergeleitet werden.

Sowohl die Übertragung und Veröffentlichung als auch insbesondere die beabsichtigte Speicherung von Sitzungen begegnet nicht nur datenschutzrechtlichen Bedenken, son­dern greift auch in das Recht der Rats- und Kreistagsmitglieder auf ungestörte Man­datsausübung ein.

SGKNRW Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik

Elisabethstraße 16 40217 Düsseldorf

Für Briefpost: Postfach 20 07 04 40104 Düsseldorf

Telefon: 0211- 87 67 47 -0

Telefax: 0211- 876747 -27

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Internet: www.sgk-nrw.de

Bankverbindung: Stadtsparkasse Düsseldorf Konto 100 605 4405 BLZ 300 50110 IBAN: DE34300S011010060S440S BIC: DUSSDEDDXXX

Geschäftszeiten: Montag bis Donnerstag 08:00 Uhr -16:30 Uhr Freitag 08:00 Uhr - 14:00 Uhr

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Zunächst ist anzumerken, dass eine Audio- oder Video übertragung von Ratssitzungen bereits heute grundsätzlich möglich ist und auch praktiziert wird, z.B. in der Stadt Bonn. Dabei sind aber insbeson­dere die datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten, so dass im Ergebnis eine Auf­zeichnung oder Übertragung von Sitzungen nur dann zulässig ist, wenn alle Mitglieder des Gremiums einwilligen.

Der vorgelegte Antrag sieht nun vor, dass die Landesregierung eine Audio- oder Videoübertragung durch eine entsprechende gesetzliche Regelung festschreiben und darüber hinaus auch die Speiche­rung für mindestens ein Jahr verpflichtend durch Gesetz regeln soll.

Wir halten es für rechtlich bedenklich, wenn die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen durch eine entsprechende Regelung ausgehebelt werden sollten, denn aus unserer Sicht liegt ein Eingriff in das Recht auf ungestörte Mandatsausübung sowie die kommunale Selbstverwaltung vor. Bei den Rats­und Kreistagsmitgliedern handelt es sich um ehrenamtliche Kommunalpolitiker/innen.

Anders als zum Beispiel Landtags- und Bundestagsabgeordnete üben sie ihr Mandat ehrenamtlich in der Freizeit aus, so dass bei vielen Mitgliedern eine gewisse Unerfahrenheit vorliegt. Eine entspre­chende Professionalität im Umgang mit Medien kann nicht erwartet werden. Es ist daher zu befürch­ten, dass sich viele Vertreter/innen in dem Wissen, dass ein unbekannter Kreis an Zuhörern bzw. Zuschauern das Geschehen mitverfolgt, und auch eine dauerhafte Speicherung erfolgt, gehemmt und unter Druck gesetzt fühlen. Ähnliches dürfte auch auf Bürger und Bürgerinnen sowie Einwohnerinnen und Einwohner zutreffen, die Fragen z.B. in der Bürger- bzw. Einwohnerfragestunde an den Rat oder Kreistag richten möchten. Auf der anderen Seite wird es sicherlich auch Personen geben, die, an der Sache vorbei, das angebotene Medium gezielt zur Selbstdarstellung nutzen.

Zusammengefasst dürfte es durch eine Audio- oder Videoübertragung von Sitzungen gegen den Wil­len einzelner Mitglieder des Gremiums zu Verschiebungen in der Beteiligung an der Diskussion kom­men, die auch aus Demokratie-Gesichtspunkten nicht hinzunehmen sind. Es ist eine Beeinträchtigung der Arbeit in Rat und Kreistag und damit auch der freien Mandatsausübung insgesamt gegeben.

Eine entsprechende gesetzliche Regelung wäre darüber hinaus auch aus Sicht der SGK NRW konnexi­tätsrelevant, denn durch eine entsprechend gesetzlich verpflichtende Regelung würden den Kom­munen eine neue, bisher nicht bestehende, Aufgabe verpflichtend übertragen.

Mit freundlichen Grüßen

Sascha Kudella, Ass. iur.

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VLK Postfach 32 03 48 40418 Düsseldorf

Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker in Nordrhein-Westfalen e.V. Hausanschrift: Sternstraße 44 40479 Düsseldorf Postfachanschrift: Postfach 32 03 48 40418 Düsseldorf Steuernr. 103/5927/0442 Ruf 0211-4 97 09 25 Fax 0211-4 97 09 12 eMail [email protected] Internet www.vlk.nrw Düsseldorf, 9. Januar 2020 Vorsitzender : Kai Abruszat Geschäftsführer : Joachim vom Berg Bankverbindung : Deutsche Bank Düsseldorf IBAN DE08300700240619099500 BIC (SWIFT) DEUTDEDBDUE

Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen per Mail an [email protected] Landtag Nordrhein-Westfalen Herrn Hans-Willi Körfges MdL Stellungnahme der Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker NRW e.V. zur schriftlichen Anhörung des Ausschusses für Kommunalpolitik „Transparenz in der kommunalen Demokratie stärken – Beratungen von Räten und Kreistagen digital veröffentlichen! “ Antrag der Fraktion der AfD, Drucksache 17/7743 Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Ausschussmitglieder, wir danken Ihnen für die Zusendung des Antrags und die Möglichkeit, hierzu Stellung zu nehmen. Aus Sicht der Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker ist dieser Antrag abzulehnen. Folgender Argument möchten wir anführen: Kommunalparlamente in Nordrhein-Westfalen tagen in der Regel öffentlich. Dies sichert interessierten Bürgerinnen und Bürgern die Transparenz über politische Diskussionen, Beratungen und Entscheidungen. Kommunikations- und Dokumentationsmittel wie Videomitschnitte und Livestreams aus den Sitzungen werden grundsätzlich befürwortet und auch eingesetzt, um der Öffentlichkeit ein zusätzliches Medium anzubieten, das auch einem modernen Informationsbedürfnis politisch Interessierter entspricht.

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VLK Postfach 32 03 48 40418 Düsseldorf

Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker in Nordrhein-Westfalen e.V. Hausanschrift: Sternstraße 44 40479 Düsseldorf Postfachanschrift: Postfach 32 03 48 40418 Düsseldorf Steuernr. 103/5927/0442 Ruf 0211-4 97 09 25 Fax 0211-4 97 09 12 eMail [email protected] Internet www.vlk.nrw Düsseldorf, 9. Januar 2020 Vorsitzender : Kai Abruszat Geschäftsführer : Joachim vom Berg Bankverbindung : Deutsche Bank Düsseldorf IBAN DE08300700240619099500 BIC (SWIFT) DEUTDEDBDUE

Welche digitalen Instrumente in den Ratssitzungen genutzt werden, um diese zu übertragen, kann den einzelnen Kommunen in Nordrhein-Westfalen nicht vorgeschrieben werden. Der Einsatz von digitalen Hilfsmitteln ist freiwillig und liegt in der Entscheidungshoheit jeder einzelnen Kommune. Nach dem demokratischen Grundsatz gilt es, die Selbstverwaltung einer Kommune zu schützen. Sollte sich in einer Kommune eine Mehrheit gegen die Bereitstellung von Redebeiträgen für die Verbreitung in den sozialen Medien aussprechen, so gehört es zum demokratischen Verständnis, diese Entscheidung zu akzeptieren. Da jede Kommune selbst entscheidet, welche Kommunikationsmedien und –techniken genutzt werden, kann eine Verpflichtung zur Publikation im Internet nur durch einzelne Beschlüsse in den jeweiligen Kommunen erfolgen. Eine generelle Bevormundung der Kommunen von Seiten des Bundes oder Landes ist ausgeschlossen. Die Ausarbeitung einer Vorschrift, wie der Einsatz technischer Hilfsmittel auf kommunaler Ebene erfolgen muss, ist weder angemessen noch durchführbar. Ein Gesetzentwurf der Landesregierung, der die Kommunen zum Einsatz einer medientechnischen Ausstattung zwingt, ist daher abzulehnen. Mit freundlichen Grüßen aus Düsseldorf Joachim vom Berg Geschäftsführer

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Verein für Kommunalpolitik NRW e.V.

VfK e.V. Lechenicher Str. 7a 41469 Neuss

Landtag Nordrhein-Westfalen

Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen

Postfach 10 11 43

40002 Düsseldorf

Per E-Mail an: [email protected]

Stellungnahme zum Antrag der AfD-Fraktion: „Transparenz in der kommunalen Demokratie stärken - Beratungen von Räten und Kreistagen digital veröffentlichen!", Drucksache 17/7743

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Wir sind gebeten worden, zu diesem Antrag der AfD-Fraktion im Landtag NRW eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Diesem Wunsch kommen wir hiermit gerne nach. Die urlaubsbedingte Verzögerung bitten wir zu entschuldigen. Wenn man das Plenarprotokoll 17/72 vom 15. Nov. 2019 und die dort festgehaltenen Ausführungen zu dem Antrag der AfD-Fraktion betrachtet, drängt sich der Eindruck auf, dass das Gebot der „Öffentlichkeit“ für Sitzungen der Gebietskörperschaften der beliebigen Betrachtungsweise von Parteien unterliegt. Dem ist nicht so. Das Gebot „Öffentlichkeit“ herzustellen, ist ein verfassungsrechtliches Gebot, abgeleitet aus Art. 5 Abs.1 GG und zugleich ein essentielles Wesensmerkmal der Demokratie. Das gilt für den gesamten Gesetzgebungsprozess. Wiederholt wird dieser Begriff in § 48 GO NRW und § 33 KreisO NRW um den Bezug zur kommunalen Ebene herzustellen. Der Begriff „Öffentlichkeit“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Zweifelsfall von der Rechtsprechung verfassungskonform zu interpretieren ist. Die Deutungshoheit liegt damit final beim Bundesverfassungsgericht. Infolgedessen ist der Landesgesetzgeber gut beraten, ständig zu überprüfen, ob die aktuelle Rechtslage noch den Anforderungen an Verfassungsgebote entspricht. Ist dies nicht mehr der Fall, so ist der Landesgesetzgeber verpflichtet, initiativ zu werden, um einen verfassungsgemäßen Zustand wieder herzustellen. In diesem Zusammenhang wird verwiesen auf die Entscheidungsgründe zu dem gerade erst am 20. Dez. 2019 ergangenen Urteil des Verfassungsgerichtshofs NRW (Az. VerfGH 35/19) verwiesen, das die Landesregierung für ihre Handlungsweise in dem streitbefangenen Gesetzgebungsprozess umfangreich und detailliert für das Ansinnen gerügt hat, einen verfassungswidrigen Zustand

Anschrift: Lechenicher Straße 7a

41469 Neuss

Telephon: 01590 - 6232062

E-Mail: [email protected]

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Register: AG Bonn VR 11441

Vorstand: Wolfgang Kochs (Vorsitz)

Neuss, den 14.01.2020

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erst herzustellen. Hier geht um die Frage, ob der Zustand der Verfassungswidrigkeit durch die Untätigkeit der Landesregierung nicht längst eingetreten ist. Und genau das ist der Fall. Der Begriff der „Öffentlichkeit“ unterliegt einem ständigen Entwicklungsprozess. Im Zeitpunkt der Verabschiedung des Grundgesetzes hatte er sicherlich eine andere Bedeutung als heutzutage. Damals gab es weder Internet noch Computer oder Laptops, die heute in nahezu jedem Haushalt vorhanden sind. Noch nicht einmal Fernsehen war vorhanden. Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob die Möglichkeit persönlich an Rats-, Kreistagssitzungen oder Ausschusssitzungen teilzunehmen, auch heute noch dem Verfassungsgebot an „Öffentlichkeit“ und Transparenz der Entscheidungsfindung entspricht. Dabei ist auch zu erwähnen, dass diese Sitzungen in der Regel spätestens um 17 Uhr, oftmals aber bereits um 15 Uhr beginnen. Sie dauern teilweise viele Stunden lang. Es sind Rahmenbedingungen, die für die Mehrzahl der Einwohner unzumutbar sind. Sie sind abschreckend. In der Regel sind Vollzeitbeschäftigte, bettlägerige Personen sowie Personen, die sich vorübergehend nicht am Ort des Geschehens aufhalten, von dem Zugang zur umfassenden Information gänzlich ausgeschlossen, wenn nicht das Geschehen aufgezeichnet und zum Beispiel in Form einer Mediathek per Internet allgemein zugänglich hinterlegt wird. Das war natürlich auch bei Verabschiedung des Grundgesetzes der Fall. Nur stehen heute andere technische Möglichkeiten zur Verfügung, so dass es für die Aufrechterhaltung solcher Informationshürden heute keine verfassungsgemäße Rechtfertigung mehr gibt. Und genau aus diesem Grund muss man deshalb zwingend den heutigen Zustand als verfassungswidrig bezeichnen und daraus folgt wiederum die Verpflichtung der Landesregierung zu handeln, um diesen Zustand abzustellen. Die Antragsbegründung der AfD-Fraktion zeigt überdies, dass bereits heute ein ungleicher Zustand in NRW herrscht. Es hängt davon ab, in welcher Kommune oder welchem Kreis man lebt. Davon hängt ab, ob und in welchem Umfang man über den Inhalt der Beratungen im Rat, Kreistag oder den Ausschüssen erfährt. Es ist zwar so, dass man über die Internet-Portale der Gebietskörperschaften Einsicht nehmen kann in die Entscheidungsvorlagen und in die Protokolle der stattgefundenen Sitzungen. In diesen Protokollen werden jedoch in der Regel nur Ergebnisse festgehalten oder Antworten auf konkrete Fragen festgehalten. Der politische Diskurs analog zu den Protokollen der Landtagsberatungen wird jedoch in diesen Protokollen in keiner Weise abgebildet. Somit können die Einwohner auch bei Zugriff über das Internet auf diese Dokumente nicht erkennen, aus welchen Gründen die Parteienvertreter die Entscheidung getroffen haben. Infolgedessen ist der jetzige Zustand nicht nur ein nicht zu rechtfertigendes Informationshindernis, sondern wegen der unterschiedlichen Handhabung in den Gebietskörperschaften auch eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung der Einwohner. Um sicherzustellen, dass landesweit eine Gleichbehandlung der Einwohner erfolgt, ist der Landesgesetzgeber gefordert, um sicherzustellen, dass das Verfassungsgebot der „Öffentlichkeit“ auf allen Ebenen der Gebietskörperschaften gleichartig umgesetzt wird. Mit dem Einwand der Wahrung des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen hat dieser

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Vorgang nichts zu tun. Art. 28 GG gewährt nur die Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften im Rahmen der „Gesetze“. Dazu zählt sowohl das Grundgesetz als auch die Gemeinde- und Kreisordnung als vorrangiges Recht und dessen verfassungsgemäße Interpretation. Infolgedessen sind wir der Auffassung, dass der Antrag der AfD-Fraktion ein sachgerechter und auch verfassungsrechtlich gebotener Antrag zur Abstellung eines verfassungswidrigen Zustandes ist. Mit freundlichen Grüßen

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Landtag Nordrhein-Westfalen, Elektronische Sitzungsmappe zur Einladung Nr. 17/1132Ausschuss für Digitalisierung und Innovation

- TOP 4 -

Fair geht mehr: Digitale Daseinsvorsorge nicht dem Markt überlassen!

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode

Drucksache 17/8423

14.01.2020

Datum des Originals: 14.01.2020/Ausgegeben: 16.01.2020

Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de

Antrag der Fraktion der SPD

Fair geht mehr: Digitale Daseinsvorsorge nicht dem Markt überlassen! I. Ausgangslage Die kommunale Daseinsvorsorge wird mehr und mehr durch die digitale Transformation ge-prägt. Große Städte benötigen intelligente Möglichkeiten, um das dynamische Zusammenspiel mehrerer Faktoren effizient zu steuern. Kleinere Kommunen wollen hingegen ihre Innenstädte beleben und die Versorgungsinfrastruktur sicherstellen. Durch die präzise Erfassung und Ver-netzung von Daten können entsprechende Ziele der Stadtentwicklungspolitik besser realisiert werden. Die Digitalisierung ermöglicht es unter anderem, Prozesse im Mobilitäts-, Energie- und Um-weltbereich effizienter zu gestalten und den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Intelligente Mobilität und Verkehrsführung kann zur Vermeidung von Staus und langer Parkplatzsuche, flexible Ver- und Entsorgung zu einer Optimierung des Müllmanagements beitragen, wenn Mülleimer etwa nur bei Bedarf geleert werden und durch die reduzierten Fahrten des Müllwa-gens darüber hinaus CO2 eingespart wird. Im Gesundheitsbereich kann demographischen Herausforderungen etwa auch durch die Ver-netzung von Krankenhäusern und Altenheimen begegnet werden. Während die einzelne Erfassung und intelligente Nutzung von Daten bereits sehr lange exis-tiert, besteht der entscheidende Schritt zu einer Smart City in der Verknüpfung von Daten zu einem Gesamtbild. Dieses kann zu einer sozialen, nachhaltigen und klimagerechten Entwick-lung der Städte beitragen, das Zusammenwachsen der Gesellschaft stärken und somit das Leben der Menschen verbessern. Laut dem Smart-City-Ranking 20191 sind die Kommunen in Nordrhein-Westfalen hier bereits auf einem guten Weg. Unter den Top-20 der deutschen Städte stehen mit dem Spitzenreiter Köln sowie Bonn, Düsseldorf, Solingen, Dortmund, Aachen, Essen, Münster und Wuppertal zahlreiche Städte aus unserem Bundesland. Dadurch wird sehr deutlich, dass die Themen "Digitale Daseinsvorsorge" und "Smart City" für die nordrhein-westfälischen Kommunen eine große Relevanz haben. Allerdings kommt keine der untersuchten Städte auf den Status einer

1 https://www.haselhorst-associates.com/themen/smart-city/studie-digitales-staedteranking-2019/

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/8423

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Digitalisierung von über 41%. Bei der Entwicklung der digitalen Infrastruktur und individueller Smart-City-Strategien besteht weiterhin ein großer Nachholbedarf. Alleine mit solchen Kon-zepten für eine moderne Stadtentwicklung bleiben Städte mittel- und langfristig für Bürgerin-nen und Bürger sowie Unternehmen attraktiv. Eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Smart Cities spielt die frühzeitige und umfas-sende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Darauf aufbauend können Kooperati-onen von Städten, Stadtwerken und Unternehmen entstehen, wodurch auch das Einbeziehen innovativer Ideen von Start-ups und das Knüpfen von Expertennetzwerken ermöglicht wird. Alleine durch das kontinuierliche und systematische Zusammenspiel aller beteiligten Interes-sengruppen werden solche umfangreichen Projekte erfolgreich gestaltet. Dabei sind Daten-schutz, Datensouveränität und die Ablehnung von Massenüberwachung als grundlegende Prinzipien zu berücksichtigen. Die Landesregierung beschränkt ihre Aktivitäten im Bereich Smart City derzeit auf nur wenige Modellkommunen. Die vielen anderen Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen bleiben auf der Strecke. Digitalminister Pinkwart sicherte zwar allen Kommunen die Unterstützung der Landesregierung bei der Digitalisierung zu2, gleichzeitig wurde der im Koalitionsvertrag mit einem Volumen von 100 Millionen Euro angekündigte Förderfonds „K-400 – Kommunal wird Digital“ weder umgesetzt noch konkret in der Digitalstrategie der Landesregierung benannt. Es deutet sich also ein neuer Punkt in der langen Liste gebrochener Versprechen von Schwarz-Gelb an. Dabei wäre eine finanzielle wie auch beratende Unterstützung insbesondere kleinerer Kom-munen dringend notwendig. Smart City Projekte gewinnen nicht nur für die digitale Daseins-vorsorge an Relevanz, sie sind auch ein wachsendes Geschäftsfeld der Privatwirtschaft, die den Wert von Daten bereits erkannt hat. Manche Kommunen haben hingegen weniger Be-wusstsein für die Relevanz von Daten und legen daher keine geeignete Infrastruktur zur Da-tenauswertung und –nutzung an. Insbesondere im Kontext Künstlicher Intelligenz, deren Nut-zung auch für die Öffentliche Verwaltung wichtiger werden wird, ist die Datenlagerung von großer Bedeutung. Fehlendes Wissen führt darüber hinaus dazu, dass Verhandlungen zwi-schen Vertreterinnen und Vertretern der Kommunen und der Privatwirtschaft nicht auf Augen-höhe stattfinden. Infolgedessen entstehen Verträge mit Datennutzungsklauseln, durch die öf-fentlich erhobene Daten zu privaten Unternehmen wandern, eine Verwertung durch die Kom-munen ist hingegen nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Fair geht mehr: Damit die digitale Daseinsvorsorge nicht verstärkt auf den Markt getrieben wird, muss das Wissen der Kommunen über den Wert von Daten ausgebaut und die Kompe-tenzen im Umgang mit Daten gestärkt werden. Verhandlungen auf Augenhöhe mit der Privat-wirtschaft stellen sicher, dass die Auswertung erhobener Rohdaten auch den Kommunen mög-lich ist. Dadurch können die Daten auf intelligente Weise miteinander vernetzt und genutzt werden. In diesem Kontext muss gewährleistet werden, dass die Städte und Gemeinden die Hoheit über die Rohdaten behalten, etwa auch durch eine entsprechende Infrastruktur zur Speicherung der Daten.

2 Westfälische Nachrichten vom 5. November 2019

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/8423

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II. Der Landtag stellt fest: - Die kommunale Daseinsvorsorge wird mehr und mehr durch die digitale Transformation

geprägt. - Die Grundlage für die digitale Daseinsvorsorge ist die flächendeckende Verfügbarkeit einer

glasfaserbasierten technischen Infrastruktur. - Datenschutz, Datensouveränität und die Ablehnung von Massenüberwachung müssen

grundlegende Prinzipien aller Smart City Projekte sein. - Die digitale Daseinsvorsorge darf nicht auf den Markt getrieben werden. III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, - den flächendeckenden Ausbau einer glasfaserbasierten Infrastruktur massiv zu beschleu-

nigen. - den angekündigten Förderfonds „K-400 – Kommunal wird Digital“ auf den Weg zu bringen. - die Kommunen bei der Erarbeitung individueller Smart-City-Strategien zu unterstützen. - Strukturen für die Kooperation von Städten, Stadtwerken, Unternehmen und Start-ups zu

schaffen, die auch die Beteiligung der lokalen Bevölkerung sicherstellen. - proaktive Beratungsangebote für die Kommunen zu schaffen, um Wissen und Kompeten-

zen über Daten zu stärken. - die technische Infrastruktur für die Speicherung und Auswertung von Rohdaten sicherzu-

stellen. Diese könnte durch das Land, unter Federführung von IT.NRW, geschaffen wer-den. Dafür sind entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen sicherzustellen.

Thomas Kutschaty Sarah Philipp Marc Herter Christina Kampmann und Fraktion

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Landtag Nordrhein-Westfalen, Elektronische Sitzungsmappe zur Einladung Nr. 17/1132Ausschuss für Digitalisierung und Innovation

- TOP 5 -

Mittelstand und Handwerk von Bürokratien entlasten – Statistikpflichten reduzieren, Registermodernisieren und die Datenerfassung digitalisieren

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode

Drucksache 17/8323

20.12.2019

Datum des Originals: 10.12.2019/Ausgegeben: 20.12.2019

Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Mittelstand und Handwerk von Bürokratie entlasten – Statistikpflichten reduzieren, Register modernisieren und die Datenerfassung digitalisieren I. Ausgangslage Der Mittelstand ist das Rückgrat der nordrhein-westfälischen Wirtschaft. So zählt Nordrhein-Westfalen 712.000 Mittelstandsunternehmen, 54 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten im Mittelstand und es befinden sich rund 82 Prozent der Nachwuchskräfte in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in der Ausbildung. Im Mittelstand wird ein erheblicher Anteil der Wertschöpfung unserer Volkswirtschaft und Wohlstand am Standort Nordrhein-Westfalen generiert. In den zumeist inhabergeführten – oftmals seit mehreren Generationen familiengeführten – Unternehmen kommen die Prinzipien von Wettbewerb und Eigenverantwortung, von Standort- und Zukunftsorientierung sowie von Risiko und Haftung zusammen. Insbesondere das Handwerk stellt eine starke Säule des Mittelstandes dar. Der selbstgewählte Slogan „Das Handwerk. Die Wirtschaftsmacht. Von nebenan.“ spiegelt die wirtschaftliche Zahlenbasis wider: Rund 190.000 Handwerksbetriebe, mehr als 1,1 Millionen Beschäftigte und ein Jahresumsatz von mehr als 122 Milliarden Euro zeichnen das Handwerk in Nordrhein-Westfalen aus, womit es einen bedeutenden Motor der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamik in unserem Land ausmacht. Die Konjunktur schwächt sich wegen weltweit zunehmenden Protektionismus und internationaler Handelskonflikte ab. Dennoch ist das Handwerk weiter auf Wachstumskurs. Das Kerngeschäft von Unternehmen ist es, qualitativ hochwertige Waren und Dienstleistungen anzubieten und zu verkaufen. Erfolg im Wettbewerb führt zum Erhalt und zur Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, zu lokalen und regionalen Wohlstandsgewinnen sowie zu Zukunftsinvestitionen vor Ort. Globalisierung, Digitalisierung, demographischer und struktureller Wandel fordern KMUs und das Handwerk heraus. Sie müssen ihre Geschäftsmodelle – insbesondere durch Innovationen – anpassen. Unternehmer benötigen Zeit, um sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren zu können. Selbstverständlich geht es nicht ganz ohne Bürokratie, jedoch muss diese so gering wie

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/8323

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möglich gehalten werden. In der Vergangenheit ist auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene ein Trend zu einer überbordenden Bürokratie zu beobachten gewesen. Von Überregulierung, bürokratischen Statistikpflichten und Datenerfassung sind insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen in Mittelstand und Handwerk unverhältnismäßig stark betroffen. Diese verfügen meist über knappe personelle Ressourcen, die sie für die Erledigung der originären Aufgaben des Unternehmens benötigen. Jedes Weniger an Bürokratie ist für sie ein Mehr an Wettbewerbsfähigkeit. Bürokratie ist für sie ein Wettbewerbsnachteil gegenüber größeren Unternehmen, die regulatorische Vorgaben und Dokumentationspflichten wegen ihrer größeren Ressourcen leichter erfüllen können. Mit der Entfesselungsoffensive hat die NRW-Koalition einen Prozess gestartet, die richtigen Rahmenbedingungen für den Mittelstand zu schaffen, unnötige bürokratische Lasten zu reduzieren und zukünftige zu vermeiden, Flexibilität zu erhalten sowie Wachstumsimpulse zu setzen. Dabei hat die Landesregierung ein hohes Tempo vorgelegt: Innerhalb der ersten 15 Monate wurden insgesamt 42 Regelungen vereinfacht oder ganz abgeschafft. Mittlerweile hat das nordrhein-westfälische Kabinett vier Entfesselungspakete beschlossen. Noch vor der Sommerpause ist der neue wachstumsfreundliche Landesentwicklungsplan in Kraft getreten. Darüber hinaus wurden das Tariftreue- und Vergabegesetz angepasst, die elektronische Abwicklung des gesamten Beschaffungsvorgangs und die Anbindung der Beschwerde- und Nachprüfungsinstanzen eingeführt sowie die sogenannte „Hygiene-Ampel“ abgeschafft. Durch Maßnahmen wie die Einführung der elektronischen Gewerbeanmeldung oder der E-Rechnung für eine schnellere und einfachere Online-Kommunikation zwischen Verwaltung und Wirtschaft holt die Landesregierung ferner den Rückstand der öffentlichen Verwaltung bei der Digitalisierung auf. Dadurch erhalten mittelständische Auftragnehmer ihr Geld schneller von öffentlichen Auftraggebern. Insgesamt wurden so zahlreiche Handlungsempfehlungen der Enquetekommission zur Zukunft von Handwerk und Mittelstand umgesetzt: Von den 171 Empfehlungen der Enquetekommission sind bereits 116 in Arbeit oder umgesetzt – also mehr als zwei Drittel. Bei den 95 explizit nur an das Land gerichteten Empfehlungen beträgt diese Quote sogar 73 Prozent. II. Handlungsbedarf Nordrhein-Westfalen hat als erstes Bundesland mit dem Aufbau eines digitalen Gewerbeamts begonnen. Das „Gewerbe-Service-Portal.NRW“ wird zu einer Dienstleistungsplattform weiterentwickelt, damit die Unternehmen fortan zahlreiche Verwaltungsvorgänge digital abwickeln können. Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass eine Vielzahl von unverbundenen Registern der öffentlichen Verwaltung bestehen und Daten mehrfach erhoben werden. Als NRW-Koalition wollen wir daher die Struktur der Register vereinfachen und modernisieren. Daneben gilt es, Statistikpflichten zu reduzieren und die Datenerfassung zu digitalisieren. Das sind überfällige Ansätze für weniger Bürokratie. Die Bundesregierung hat im Rahmen des Bürokratieentlastungsgesetzes III die Einführung eines Basisregisters in Verbindung mit einer einheitlichen Wirtschaftsnummer angekündigt. Dies ist ein erster wichtiger Schritt für ein modernes Registerwesen. Darüber hinaus wird somit die Voraussetzung geschaffen, Statistikpflichten zu reduzieren. Neuer Leitgedanke muss das Once-only-Prinzip werden: Daten von Unternehmen werden lediglich einmalig erhoben. Das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass damit jährliche Entlastungseffekte für die Wirtschaft in Höhe von ca. 216 Millionen Euro entstehen. Ferner soll es möglich werden,

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Doppelerhebungen zu identifizieren und zu vermeiden. Zu diesem Zweck wird die Bundesregierung eine Verwaltungsdaten-Informationsplattform einrichten. Bis diese Vorhaben der Bundesregierung vollständig umgesetzt sind, setzt sich die NRW-Koalition für eine deutliche Verringerung und Standardisierung der Statistikpflichten von Unternehmen ein. Die im Verbund der Statistischen Ämter eingesetzten Verfahren und Tools sollten kontinuierlich weiterentwickelt und ihre Verbreitung unterstützt werden. Dabei sind die deutschen Steuerberaterinnen und Steuerberater einzubeziehen. Bei den Rechtsgrundlagen für Statistikerhebungen handelt es sich in der Mehrheit um Bundesrecht. Dennoch gilt es, Handlungspotenziale auch in Nordrhein-Westfalen zu identifizieren. Neben der Datenerhebung an sich ist zudem der Erhebungsturnus zu hinterfragen. Dafür ist gegebenenfalls eine Experimentierklausel einzuführen. Ziel ist es, dass Unternehmen nur noch dann Daten melden müssen, wenn sich die Unternehmenskennzahlen signifikant ändern, anstatt monatlich oder quartalsweise ritualisiert dieselben Abfragen zu erhalten. Ebenfalls müssen die Betriebe die Möglichkeit erhalten, die Daten online aktualisieren zu können. Das spart gerade bei den KMU Ressourcen und ist ein Beitrag zur Entbürokratisierung. Nordrhein-Westfalen sollte sich für eine Weiterentwicklung des bestehenden Erhebungsportals, das vom Statistischen Bundesamt entwickelt wurde, einsetzen, um erweiterte Funktionalitäten und eine höhere Nutzerfreundlichkeit zu erreichen. III. Beschlussfassung Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

- sich weiterhin für Bürokratieabbau, die Entlastung von der Wirtschaft, insbesondere von Mittelstand und Handwerk, und das Schaffen von wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen für den nordrhein-westfälischen Wirtschaftsstandort einzusetzen.

- sich weiterhin konsequent für die Modernisierung und Digitalisierung von Registerstrukturen einzusetzen und entsprechende Projekte voranzutreiben.

- das „Gewerbe-Service-Portal.NRW“ konsequent weiterzuentwickeln. - auf Landesebene Potenziale für die Reduzierung von Statistikpflichten zu identifizieren

und umzusetzen. - die Verbreitung und den Einsatz der im Verbund der Statistischen Ämter eingesetzten

Verfahren und Tools zu unterstützen und die Steuerberaterinnen und Steuerberater einzubeziehen.

- sich auf Bundesebene für die Einführung einer Experimentierklausel einzusetzen, um die Erhebung und den Erhebungsturnus von Daten zu flexibilisieren und zu digitalisieren sowie die Erfassung zu automatisieren.

- sich auf Bundesebene für die beschleunigte Einführung des Basisregisters in Verbindung mit einer einheitlichen Wirtschaftsnummer sowie der Verwaltungsdaten-Informationsplattform einzusetzen.

Bodo Löttgen Matthias Kerkhoff Daniel Sieveke Henning Rehbaum Matthias Goeken

Christof Rasche Henning Höne Ralph Bombis Dietmar Brockes

und Fraktion

und Fraktion

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Landtag Nordrhein-Westfalen, Elektronische Sitzungsmappe zur Einladung Nr. 17/1132Ausschuss für Digitalisierung und Innovation

- TOP 6 -

Den Worten des Koalitionsvertrages Taten folgen lassen – Die Landesregierung muss mehrfür die FernUniversität Hagen tun!

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode

Drucksache 17/8424

14.01.2020

Datum des Originals: 14.01.2020/Ausgegeben: 14.01.2020

Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de

Antrag der Fraktion der SPD

Den Worten des Koalitionsvertrages Taten folgen lassen – Die Landesregierung muss mehr für die FernUniversität Hagen tun! I. Ausgangslage Die FernUniversität Hagen ist mit rund 76.000 Studierenden die größte und zudem einzige Universität Deutschlands, deren gesamtes Studienangebot sowohl im Bachelor als auch im Master teilzeit- oder familienbegleitend studierbar ist. Mehr als 80 Prozent der an der FernUni-versität Hagen eingeschriebenen Studentinnen und Studenten studieren berufsbegleitend. Fast die Hälfte aller beruflich Qualifizierten ohne Abitur, die an einer staatlichen Hochschule studieren, sind dort eingeschrieben.1 Mit ihrem berufsbegleitenden Studienangebot nimmt die FernUniversität Hagen folglich eine Öffnungsfunktion für akademisch oft unterrepräsentierte Gruppen ein (beruflich Qualifizierte oder Studierende mit Migrationshintergrund). Der Lehransatz folgt dem sogenannten blended learning: Die Universität bietet ihren Studie-renden eine virtuelle Lernumgebung mit klar gegliederten Studienmaterialien, kombiniert mit wenigen Präsenzveranstaltungen und mit Betreuung – online und persönlich – an. Darüber hinaus begleiten die aktuell 87 Professorinnen und Professoren Promotions- und Habilitations-vorhaben und unterstreichen das Forschungsprofil der Universität. Im Jahr 2017 hat die FernUniversität Hagen den Forschungsschwerpunkt „Diversität, Lebens-langes Lernen, Digitalisierung. Konsequenzen für die Hochschulbildung.“ auf den Weg ge-bracht. Der Forschungsschwerpunkt ist anwendungsorientiert ausgerichtet und darauf ausge-legt, dass Forschungsergebnisse zu Projekten für die Praxis unterschiedlicher Bildungsträger weiterentwickelt und nutzbar gemacht werden können. Seit 2018 befinden sich weitere For-schungsschwerpunkte zu den Themen „Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit“ und „Digitale Kul-tur“ im Aufbau.2

1 Vgl. hierzu die Ausführungen von Prof. Dr. Ada Pellert, Rektorin der Fernuniversität Hagen, im Wis-senschaftsausschuss vom 12.09.2018, Ausschussprotokoll 17/363, S. 6 f. 2 Vgl. ebd., S. 32.

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/8424

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Die FernUniversität Hagen möchte ihre jahrelange Expertise bei der Weiterentwicklung digita-ler Lehr- und Studienangebote noch stärker mit ihrer Forschungsstrategie verbinden. Um die Forschungsleistungen in der öffentlichen Wahrnehmung sichtbarer zu machen, und die FernUniversität als forschende Institution zu profilieren, wird die fakultätsübergreifende Bündelung von Forschungsaktivitäten zu Forschungsschwerpunkten vorangetrieben. Neben der Stärkung ihres Forschungsprofils, steht die FernUniversität vor der Herausforderung, neue hochschulische Formen des Lebenslangen Lernens zu entwickeln, sich auf eine zunehmende Diversität der Zielgruppen einzustellen und dabei die zunehmenden Möglichkeiten einer Digitalisierung der zentralen Leistungsprozesse der Hochschule adäquat zu nutzen. Dafür be-nötigt die Hochschule zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen.3 II. Der Landtag stellt fest: Die FernUniversität Hagen hat in den vergangenen 40 Jahren in erheblichem Maße zur Durch-lässigkeit des Bildungssystems in Nordrhein-Westfalen beigetragen. Um ihr Forschungsprofil zu schärfen und ihr Lehrangebot zeitgemäß weiterzuentwickeln, benötigt die Universität mehr Geld. In den Landeshaushalten 2019 und 2020 blieb eine angemessene Erhöhung der Grund-finanzierung aus. CDU und FDP haben sich in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, die FernUniversität Hagen „zu einer weltweit führenden und forschungsorientierten Open Univer-sity Hagen“ auszubauen.4 Wie dieses Ziel verwirklicht werden soll, bleibt unbeantwortet. III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, 1. ihrem im Koalitionsvertrag hinterlegten Ziel gerecht zu werden und die FernUniversität Ha-

gen beim Ausbau ihrer Forschungsschwerpunkte zu unterstützen. 2. die jährlichen Landeszuschüsse für die FernUniversität Hagen im nächsten Haushalt deut-

lich zu erhöhen. Thomas Kutschaty Sarah Philipp Marc Herter Dietmar Bell und Fraktion

3 Vgl. ebd., S. 8. 4 „Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen. 2017-2022“, S. 28.

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- TOP 7 -

Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Förderung desBreitbandausbaus durch die Bundesförderrichtlinie und die entsprechenden Richtlinien der

Länder – erste Novelle der Förderrichtlinie vom 3. Juli 2018 hier: Abschluss der angepasstenVerwaltungsvereinbarung

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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode

Drucksache 17/8511

22.01.2020

Datum des Originals: 22.01.2020/Ausgegeben: 22.01.2020

Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de

Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Förderung des Breitbandausbaus durch die Bundesförderrichtlinie und die entsprechenden Richtlinien der Länder - erste Novelle der Förderrichtlinie vom 3. Juli 2018 Vorlage 17/2939 Der Entwurf einer Verwaltungsvereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Förderung des Breitbandausbaus durch die Bundesförderrichtlinie und die entsprechenden Richtlinien der Länder - erste Novelle der Förderrichtlinie vom 3. Juli 2018 wird gemäß § 85 Absatz 5 der Geschäftsordnung des Landtags Nordrhein-Westfalen dem Ausschuss für Digitalisierung und Innovation - federführend - sowie dem Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Landesplanung zugeleitet.

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Landtag Nordrhein-Westfalen, Elektronische Sitzungsmappe zur Einladung Nr. 17/1132Ausschuss für Digitalisierung und Innovation

- TOP 8 -

Digitale Verwaltung: Sachstand zum Onlinezugangsgesetz und dem Serviceportal.NRW

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Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, 40190 Düsseldorf

Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen

Der Minister

3. Februar 2020

Seite 1 von 17

Dienstgebäude und Lieferan-schrift: Berger Allee 25 40213 Düsseldorf Telefon 0211 61772-0 Telefax 0211 61772-777 [email protected] www.wirtschaft.nrw Öffentliche Verkehrsmittel: Straßenbahnlinien 706, 708, 709 bis Haltestelle Poststraße

An den Vorsitzenden des Ausschusses für Digitalisierung und Innovation des Landtags Nordrhein-Westfalen Herrn Thorsten Schick MdL Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf Sitzung des Ausschusses für Digitalisierung und Innovation am 6. Februar 2020

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

die Fraktionen von CDU und FDP haben zur o.g. Sitzung um einen schrift-

lichen Bericht zum Thema „Digitale Verwaltung: Sachstand zum On-

linezugangsgesetz und dem Serviceportal.NRW“ gebeten.

In der Anlage beigefügt erhalten Sie den Bericht, welcher Ihnen und den

weiteren Mitgliedern des Ausschusses vereinbarungsgemäß ausschließ-

lich elektronisch übermittelt wird.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Andreas Pinkwart

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VORLAGE

17/2995A20, A02

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Bericht der Landesregierung:

„Digitale Verwaltung: Sachstand zum Onlinezugangsgesetz und

dem Serviceportal.NRW“

1. Einleitung

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) stellt die Verwaltungen aller Ebenen vor große Herausforderungen. Nordrhein-Westfalen hat sich diesen Heraus-forderungen bereits frühzeitig gestellt und sowohl die notwendigen Ar-beitsstrukturen geschaffen wie auch alle wesentlichen technischen Basis-komponenten entwickelt, die eine effiziente Entwicklung von Online-Diensten und die Bereitstellung der Dienste im Portalverbund.NRW und darüber hinaus ermöglichen. Erste im Produktiveinsatz befindliche On-line-Dienste und Portale, wie z.B. die Gewerbeanmeldung im Gewerbe-Service-Portal NRW, belegen die Tragfähigkeit der organisatorischen und technischen Festlegungen. Eine weitere Umsetzung des OZG kann auf dieser Grundlage erfolgen.

2. Anforderungen des Onlinezugangsgesetzes (OZG)

Die Modernisierung der Verwaltung steht bereits seit einigen Jahren auf der Agenda der Bundesländer. Viele Vorhaben wurden angestoßen und auch umgesetzt, jedoch wurden diese in der Regel nicht miteinander ver-netzt, oft müssen Nachweise in Papierform nachgereicht werden und be-stehende gesetzliche Regelungen mit Blick auf eine durchgreifende Digi-talisierung angepasst werden. Die konsequente Umsetzung – also die medienbruchfreie und nutzerfreundliche Abwicklung von Anträgen – ließ auf sich warten.

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) stellt daher einen maßgeblichen Trei-ber für die Realisierung einer digitalen Verwaltung dar. Mit dem OZG wer-den Bund und Länder verpflichtet,

ihre Verwaltungsleistungen bis zum 31.12.2022 auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten (§ 1 Abs. 1 OZG) und

ihre Verwaltungsportale miteinander zu einem Portalverbund zu verknüpfen (§ 1 Abs. 2 OZG).

Konkret bedeutet das, dass über 5.000 Verwaltungsleistungen als digitale Services umgesetzt werden müssen, die in 575 OZG-Leistungen und 14

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Themenfelder gebündelt werden. Diese Leistungen werden im OZG-Um-setzungskatalog aufgeführt. Diese Aufgaben zur Bereitstellung von On-line-Diensten und der Vernetzung der zugehörigen Portale nach dem OZG sind nicht nur vielfältig, sondern umfassen alle Verwaltungsebenen.

Die Tabelle 1 der Anlage zeigt die 14 Themenfelder sowie die zugeord-neten Lebens- und Geschäftslagen (Quelle: Leitfaden zum Digitalisie-rungsprogramm des IT-Planungsrates, Stand März 2019).

3. Arbeitsorganisation

Im Jahr 2019 wurden die notwendigen Strukturen zur Umsetzung des OZG in Nordrhein-Westfalen in Abstimmung mit allen relevanten Beteilig-ten und in Abstimmung mit dem E-Government-Rat NRW und dem IT-Kooperationsrat NRW etabliert.

Zu den Strukturen gehören neben der Benennung von OZG-Umset-zungskoordinatorinnen und -koordinatoren in jedem Ressort und der Ar-beitsaufnahme von bis zu 14 Themenfeldkoordinatorinnen und -koordina-toren für den kommunalen Bereich im Competence Center Digitalisierung des Dachverbandes kommunaler IT-Dienstleister NRW (KDN) insbeson-dere auch die Einrichtung der OZG-Koordinierungsstelle.

Letztere ist – im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digi-talisierung und Energie (MWIDE) – bei der d-NRW AöR angesiedelt und sorgt insbesondere für den Informationstransfer zwischen allen Projekt-beteiligten auf Ebene von Land und Kommunen und sichert darüber hin-aus den Informationsfluss zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Bund sowie anderen Ländern zur arbeitsteiligen Umsetzung des OZG. Regel-mäßige Koordinatorentreffen und geeignete Plattformen zur Zusammen-arbeit sorgen für eine medienbruchfreie Informationsverteilung.

Zudem wurden im Rahmen der aufgesetzten Arbeitsorganisation die Ver-antwortlichkeiten für die Umsetzung jeder der 575 OZG-Leistungen gere-gelt und den kommunalen Koordinatorinnen und Koordinatoren oder den Koordinatorinnen und Koordinatoren in den Ressorts zugewiesen.

Die Grafik 1 der Anlage zeigt den Stand der Zuständigkeitsverteilung.

Der IT-Planungsrat hat zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ein länderübergreifendes Digitalisierungsprogramm initiiert. Jeweils ein Bun-desressort übernimmt dabei gemeinsam mit einem oder mehreren Län-dern die Federführung für ein OZG-Themenfeld und bearbeitet es zusam-

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men mit interessierten Kommunen und IT-Dienstleistern. Konkrete Um-setzungen werden dabei in Digitalisierungslaboren gemeinschaftlich vo-rangetrieben. Hier entwickeln Expertinnen und Experten aus den Berei-chen Recht, IT und Organisation Lösungs-Blaupausen und verwendbare Komponenten für alle föderalen Akteure.

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Federführer-schaft im OZG-Themenfeld „Arbeit und Ruhestand“ sowie die Staatskanz-lei die Federführerschaft im OZG-Themenfeld „Engagement & Hobbys“ inne. Das MWIDE treibt in Ko-Federführung das Themenfeld „Unterneh-mensführung und -entwicklung“ voran, das Ministerium für Kinder, Fami-lie, Flüchtlinge und Integration engagiert sich in der Umsetzung des The-menfeldes „Ein- und Auswanderung“. Auch die nordrhein-westfälischen Kommunen engagieren sich intensiv in den genannten Bund-Länder-The-menfeldern.

Die Ergebnisse aus den bundesweiten Themenfeldern fließen in die Um-setzung des OZG in Nordrhein-Westfalen ein. Beispiel dafür ist die ge-plante Nutzung des bundesweiten Online-Dienstes zur Beantragung von Wohngeld. Umgekehrt werden Ergebnisse, wie das Gewerbe-Service-Portal.NRW den übrigen Ländern zur Nachnutzung angeboten.

Die Koordinatorinnen und Koordinatoren priorisieren aktuell die ihnen zu-gewiesenen Leistungen auf Basis der Aktivitäten und Priorisierungen auf Bund-Länder-Ebene sowie eigener Projektansätze und erstellen so kon-krete Umsetzungspläne je Themenfeld und Ressort. Erste Umsetzungs-pläne wie die Fortentwicklung des Gewerbe-Service-Portal NRW zum ganzheitlichen Wirtschafts-Service-Portal NRW, das dann als zentrales digitales Zugangstor für die Wirtschaft und als technisch einheitlicher An-sprechpartner fungieren soll, liegen vor.

Eine enge Verzahnung aller Aktivitäten im Rahmen des OZG mit den Maßnahmen zur Umsetzung des E-Government-Gesetzes NRW wird über die Abteilung II (CIO) im MWIDE sichergestellt.

4. Arbeitsgruppe Technik

Die Arbeitsgruppe Technik stellt die Nachnutzbarkeit und Übertrag-barkeit der technischen Ansätze sicher.

Ebenfalls Teil der Arbeitsorganisation zur Umsetzung des OZG in NRW ist die Arbeitsgruppe Technik. Unter Leitung der Abteilung II des MWIDE

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(CIO) werden in der Arbeitsgruppe Technik die notwendigen technischen Standards zur Umsetzung der OZG-Leistungen und des Portalverbundes in Nordrhein-Westfalen zwischen Land und Kommunen abgestimmt und unter Einbeziehung des IT-Kooperationsrates NRW festgeschrieben.

Dabei berücksichtigt die Arbeitsgruppe Technik auch die auf Bund-Län-der-Ebene durch den IT-Planungsrat festgelegten Standards, wie z.B. das bundeseinheitliche Unternehmenskonto ELSTER, und bringt diese in die Umsetzung in Nordrhein-Westfalen. Dort, wo bundesweite Standards fehlen, legt die Arbeitsgruppe Technik zwischen Land und Kommunen landesweite Standards fest, die eine Übertragbarkeit und Nachnutzung technischer Lösungen in Nordrhein-Westfalen sicherstellen. Dazu gehö-ren z.B. Standards zum elektronischen Bezahlen, zur Authentifizierung (Servicekonto.NRW) sowie zum standardisierten Datenaustausch zwi-schen Portalen und Fachanwendungen auf den unterschiedlichen Ver-waltungsebenen.

5. Landesredaktion auf Basis des Föderalen Informationsmana-gements

Mit der Landesredaktion wird auf Basis des Föderalen Informations-managements (FIM) die fachliche Grundlage für die Umsetzung von Diensten und den Portalverbund geschaffen.

Mit dem Föderalen Informationsmanagement (FIM) hat der IT-Planungs-rat ein Instrument etabliert, mit welchem die Digitalisierung der Verwal-tung gesamtheitlich betrachtet werden kann. Die FIM-Methode zielt auf die umsetzungsneutrale Beschreibung von Verwaltungsleistungen mit den Bausteinen „Leistungen“, „Datenfelder“ und „Prozesse“. Verwal-tungsleistungen werden mit FIM fachlich spezifiziert und im Vollzug har-monisiert.

Zur Etablierung des FIM wurden in Nordrhein-Westfalen zunächst die or-ganisatorischen Grundlagen geschaffen. Insbesondere hat jedes Ressort einen Ressort-Ansprechpartner zur fachlichen Beschreibung und Prüfung von FIM-Informationen benannt. Sie arbeiten eng mit der FIM-Landesre-daktion zusammen, die eigens zur Koordinierung der Erstellung und Pflege von FIM-Informationen zwischen Bund, Land Nordrhein-Westfalen und Kommunen eingerichtet wurde. Im Fokus der Landesredaktion steht zurzeit die Unterstützung der Umsetzung des OZG, vor allem die Kom-

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munikation zwischen Antragstellenden (Bürgerinnen, Bürgern, Unterneh-men) und Verwaltung im Rahmen von Informations- und Antragsprozes-sen und der Aufbau des im OZG geforderten Portalverbunds.

Im Baustein Leistung werden Verwaltungsleistungen in allgemein ver-ständlicher bürgernaher Sprache beschrieben: Welche Unterlagen benö-tige ich? Sind Voraussetzungen zu erfüllen oder Fristen einzuhalten? Mit welchen Kosten muss ich rechnen? Wo kann ich den Antrag online stel-len? Diese und weitere Informationen werden von Bund und Land erstellt und über die FIM-Landesredaktion an die ausführenden Stellen sowohl in der Landes- und Kommunalverwaltung als auch an Leistungserbringer bei den Kammern weitergegeben. Dabei wird über die Landesredaktio-nen sichergestellt, dass alle Inhalte korrekt, aktuell und juristisch geprüft sind. Lokale Ergänzungen (wie Öffnungszeiten, Link zum Online-Dienst), werden von den ausführenden Stellen ergänzt und über standardisierte Schnittstellen an das Redaktionssystem der Landesredaktion weitergelei-tet. Das Redaktionssystem unterstützt den gesamten redaktionellen Pro-zess technisch. Das System ist fertiggestellt und befindet sich in der In-stallation beim Betreiber. Von Februar bis Mai 2020 ist die Pilotierung des Redaktionssystems in der Landesverwaltung vorgesehen. Ab März 2020 findet parallel zum Pilotbetrieb die Inbetriebnahme im Kommunalbereich statt.

Die Entwicklung von Online-Diensten wird durch die Bausteine Datenfel-der und Prozesse unterstützt werden. Für die Erstellung von FIM-Daten-schemata (Formularfelder) ist vorgesehen, das in Niedersachen entwi-ckelte FIM-Bausteinsystem zu nutzen. Über das System ist es möglich, Datenschemata zu erstellen und in Antragsassistenten zu überführen. Eine entsprechende Kooperationsvereinbarung mit dem Land Nieder-sachsen soll schnellstmöglich geschlossen werden.

Über diesen Weg gelingt die schnelle Bereitstellung einer großen Anzahl von Online-Diensten über die in Nordrhein-Westfalen standardisierten Formularmanagementsysteme. Die Formularmanagementsystems über-nehmen (teil-) automatisiert die fachlich bereitgestellten FIM-Datenfeld-beschreibungen aus dem Bausteinsystem und erzeugen darüber OZG-konforme Online-Dienste weitgehend ohne manuelle Programmiertätig-keiten.

Der Baustein Prozesse wird Ressort übergreifend mit dem Grundlagen-projekt „Geschäftsprozessoptimierung“ des Programms „Digitale Verwal-tung NRW“ aufgebaut, um Synergieeffekte für die schnelle Bereitstellung von Prozessmodellen zu nutzen und Doppelarbeit bei der Erstellung zu

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vermeiden. Ziel der Prozessdefinition ist es, bereits im Vorfeld von Geset-zesänderungen die Umsetzbarkeit des Vorhabens sowie die Folgen der Umsetzung strukturiert zu analysieren. Auf diese Weise können u. a. Kos-tenfolgeabschätzungen substantiierter getroffen und Digitalisierungs-hemmnisse erkannt werden.

6. Finanzmitteln für die Umsetzung des OZG in Nordrhein-West-falen

Über eine effiziente Verteilung von Finanzmitteln wird die Umset-zung des OZG in Nordrhein-Westfalen beschleunigt.

Zur Finanzierung der für die Umsetzung des OZG notwendigen Maßnah-men stehen in der eigens hierfür beim CIO/MWIDE neu eingerichteten Titelgruppe 71 im Einzelplan 14 200 in den Haushalten 2020-2022 Mittel in einer Gesamthöhe von rund 81 Mio. EUR zur Verfügung. Ein wesentli-cher Anteil dieser Mittel wird für die Umsetzung und Entwicklung digitaler Services für die etwa 415 der 575 OZG-Leistungen bereitgestellt, die in Vollzugsverantwortung von Land und Kommunen und damit in der unmit-telbaren Umsetzungsverpflichtung des OZG liegen. Diese Umsetzung wird sowohl durch den kommunalen Bereich, vertreten durch das Com-petence Center Digitalisierung (CCD) des Dachverbandes der kommuna-len IT-Dienstleister (KDN), als auch durch die Ressorts, vertreten durch die OZG Umsetzungskoordinatorinnen und -koordinatoren der Ressorts, geplant und gesteuert.

Neben der Finanzierung der Frontend-Entwicklung digitaler Services wer-den im Haushaltsjahr 2020 aus der Titelgruppe 71 folgende weitere Maß-nahmen im Rahmen der OZG-Umsetzung finanziert:

Einrichtung des Competence Center Digitalisierung (CCD) beim Dachverband Kommunaler IT-Dienstleister (KDN) sowie Betrieb des Servicekonto NRW beim KDN,

Finanzierung der 14 OZG-Umsetzungskoordinatoren bei den Ressorts,

Implementierung eines zentralen kommunalen Serviceportals,

Betrieb der Landesredaktion zur Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Föderalen Informationsmanagements (FIM),

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Betrieb des Projektsteuerungsteams OZG-Umsetzung beim Lan-

desbetrieb Information und Technik des Landes Nordrhein-West-falen,

Schulung von FIM-Methodenexperten,

Betrieb der OZG-Koordinierungsstelle bei der d-NRW AÖR,

Weiterentwicklung von nrw.GOV (Landesportalsoftware) sowie Im-plementierung eines mandatsfähigen Serviceportals für die Lan-desverwaltung,

Aufbau und Betrieb des Portalverbundes (inkl. Verwaltungssuch-maschine),

Wartung, Pflege und Support des Portalverbundes.

Für die Frontend-Entwicklung digitaler Services für Kommunen und Lan-desverwaltung verbleiben im Haushaltsjahr 2020 rd. 12,8 Mio. EUR.

Die Verteilung der Zuständigkeiten zur Umsetzung der Leistungen des OZG auf den kommunalen Bereich und die Ressorts ist erfolgt. Derzeit findet sowohl im kommunalen Bereich als auch bei den Ressorts eine Priorisierung der Leistungen sowie eine Umsetzungsplanung zunächst für das Jahr 2020 statt.

7. Portalverbund.NRW und Verwaltungssuchmaschine NRW

Der Portalverbund.NRW steht in den Startlöchern. Mit der Verwal-tungssuchmaschine NRW ist die zentrale Komponente bereits on-line.

Wesentliches Merkmal einer erfolgreichen Umsetzung des OZG ist das schnelle Auffinden von Verwaltungsleistungen durch Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen. Dazu wird in Nordrhein-Westfalen der Portalver-bund.NRW aufgebaut.

Die nachfolgende Grafik illustriert den Portalverbund.NRW und dessen zentrale Komponente, die Verwaltungssuchmaschine NRW (VSM):

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Alle Informationen zu Verwaltungsleistungen in Nordrhein-Westfalen sol-len zukünftig gemäß den Vorgaben des Föderalen Informationsmanage-ments in der Verwaltungssuchmaschine NRW abgelegt sein. Neben der Beschreibung der Leistung ist damit für jede Leistung auch die Adresse des nutzbaren Online-Dienstes direkt aufrufbar.

Diese Informationen zu Leistungen und Online-Diensten sollen idealer-weise durch die kommunalen oder Landesbehörden bereitgestellt wer-den, die für die Bereitstellung des Online-Dienstes verantwortlich zeich-nen. Dazu wurden im Rahmen des Aufbaus des Portalverbundes.NRW unterschiedliche Wege zur Bereitstellung der Informationen geschaffen. Dazu gehören die Nutzung des Redaktionssystems der Landesredaktion, eine Zulieferung über den bundesweit einheitlichen XÖV-Standard XZuFi (einheitliches Datenformat für Zuständigkeitsfinder im standardisierten Datenschema für die öffentliche Verwaltung) oder die Bereitstellung der notwendigen Informationen auf der Webseite des Online-Dienstes, wel-che automatisiert durch die Komponenten des Portalverbundes ausgele-sen und verarbeitet werden können. Über diese Wege soll ein möglichst

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rascher Informationszuwachs im Datenbestand der Verwaltungssuchma-schine erreicht werden, nachdem die notwendigen Komponenten im ers-ten Halbjahr 2020 in Produktion gehen.

Die Verwaltungssuchmaschine NRW wird an den Portalverbund von Bund und Ländern angeschlossen, so dass die Verwaltungssuchma-schine auch die Leistungsinformationen aller anderen Bundesländer und des Bundes beinhaltet und umgekehrt den Portalen auf Bundesebene und den Portalen der anderen Länder alle notwendigen Informationen aus Nordrhein-Westfalen bereitstellt. Der Zusammenschluss der Portale von Bund und Ländern zu einem Portalverbund ist für Ende 2020 vorgesehen. Danach ist auch der Anschluss des nationalen Portalverbundes an das europäische Online-Gateway geplant.

Während die fertige Suchkomponente in wenigen Minuten in die verschie-denen Portale eingebunden werden kann, erlauben die bereitgestellten Schnittstellen individuelle Suchanfragen an die Verwaltungssuchma-schine, die sich auch mit den Ergebnissen anderer Suchen kombinieren lassen. Über diese Integrationen wird eine intelligente Verknüpfung der Verwaltungsportale erzielt werden. Bürgerinnen und Bürger sowie Unter-nehmen können unabhängig von der organisatorischen Zuständigkeit von Kommunen, Kreisen, Landschaftsverbänden, Kammern, Land oder Bund Verwaltungsleistungen in den Portalen recherchieren. Damit werden Ver-waltungsinformationen und -dienstleistungen leichter auffindbar.

Die erforderlichen Anpassungen an der Verwaltungssuchmaschine zur Umsetzung des Portalverbundes sind abgeschlossen, die Produktivset-zung geschieht noch im ersten Halbjahr 2020.

Die Schnittstellen der Verwaltungssuchmaschine werden von allen Por-talen des Portalverbundes genutzt, zu denen neben dem Servicepor-tal.NRW und dem zentralen kommunalen Portal auch fachspezifische Themenportale wie das Gewerbe-Service-Portal NRW, das im Aufbau be-findliche Bauportal sowie geplante Portale z.B. zur Ein- und Auswande-rung gehören.

Dabei werden alle auf Ebene des Landes umgesetzten Fachportale auf der gleichen Basistechnologie „nrwGOV OZG“ basieren. Die Basistech-nologie wird in den kommenden Monaten sukzessive weiterentwickelt wird. Die Basistechnologie basiert zudem auf den Vorgaben der Arbeits-gruppe Technik und nutzt die schon seit längerem durch das Programm „Digitale Verwaltung NRW“ bereitgestellten weiteren Basiskomponenten wie das zentrale Servicekonto.NRW.

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Auch das zentrale OZG-Einstiegsportal des Landes Nordrhein-Westfalen, das Serviceportal.NRW, basiert auf nrwGOV OZG und nutzt die Schnitt-stellen zur Verwaltungssuchmaschine NRW, um Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen einen zentralen Einstieg zum Auffinden von Verwal-tungsleistungen in ganz Deutschland zu ermöglichen. Neben dem Su-chen und Finden bietet das Serviceportal.NRW redaktionelle Inhalte zu einzelnen Lebens- und Geschäftslagen, die in einem ressortübergreifen-den Redaktionsprozess bereitgestellt werden und wichtige zusätzliche In-formationen zu den gefundenen Leistungen bieten. Das Servicepor-tal.NRW wird im ersten Halbjahr 2020 produktiv bereitstehen und bei aus-reichend großem Informationsbestand der Verwaltungssuchmaschine NRW für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen freigeschaltet. In einer weiteren Ausbaustufe wird das Serviceportal.NRW zu einer Plattform zum Betrieb von Online-Diensten des Landes, welche nicht auf eigenen Fach- oder Themenportalen betrieben werden sollen, weiterentwickelt.

Mit dem zentralen kommunalen Portal soll ein Portalangebot im Rahmen des Portalverbundes.NRW entstehen, welches allen Kommunen und ins-besondere den kleineren Kommunen die Nutzung von zentral entwickel-ten und bereitgestellten kommunalen Online-Diensten ermöglicht und eine medienbruchfreie Anbindung der Online-Dienste an die kommunalen Fachverfahren sicherstellt. Dieses Portalangebot soll durch Entwick-lungspartnerschaften innerhalb des Dachverbandes kommunaler IT-Dienstleister NRW (KDN) entwickelt, bereitgestellt und gepflegt werden. Um eine Übertragbarkeit der entwickelten Dienste sicherzustellen, wer-den dabei die Vorgaben der Arbeitsgruppe Technik umgesetzt. Das Land Nordrhein-Westfalen wird sich an der Finanzierung des zentralen kom-munalen Portals beteiligen.

8. Gewerbe-Service-Portal NRW

Mit dem Gewerbe-Service-Portal NRW ist ein Leuchtturm in Nord-rhein-Westfalen geschaffen, der im laufenden Jahr zum Wirtschafts-Service-Portal NRW ausgebaut wird. Damit wird die Grundlage ge-schaffen, möglichst viele wirtschaftsbezogenen OZG-Leistungen über das Portal für die Wirtschaft anzubieten.

Zum 1. Juli 2018 wurde das Gewerbe-Service-Portal NRW (GSP.NRW – gewerbe.nrw) in Betrieb genommen. Mit dem GSP.NRW wird die durch BOT-Technologie (technisches Dialogsystem für die digitale Antragsas-sistenz) unterstützte, elektronische und medienbruchfreie Abwicklung

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von Gewerbeanzeigeverfahren ermöglicht. Gleichzeitig kann auch die Gewerbeum- und -abmeldung über das GSP.NRW elektronisch abgewi-ckelt werden. Die elektronischen Prozesse im GSP.NRW sind mit einer verpflichtenden elektronischen Bezahlfunktion versehen, die Authentifi-zierung erfolgt über das Servicekonto.NRW. Der Einheitliche Ansprech-partner (EA) NRW nutzt das GSP.NRW zur Informationsbereitstellung und elektronischen Verfahrensabwicklung im Sinne des § 4 EA-Gesetz NRW.

Ab 2020 sollen weitere wirtschaftsbezogene Verwaltungsleistungen elektronisch und medienbruchfrei im Portal angeboten werden und damit die Entwicklung vom Gewerbe-Service-Portal NRW zum Wirtschafts-Ser-vice-Portal NRW (WSP.NRW) vollzogen werden.

Dazu zählen insbesondere folgende Antragsprozesse:

Eintragung in die Handwerksrolle gem. § 30 HwO Erlaubnis für Versicherungsvermittler gem. § 34d GewO Erlaubnis für Immobilienmakler und Bauträger gem. § 34c GewO Erlaubnis für Immobiliardarlehensvermittler gem. § 34i GewO Gaststättenerlaubnis gem. § 2 Gaststättengesetz Reisegewerbekarte gem. § 55 GewO

Für diese Antragsprozesse wird eine bundesweite Standardisierung durch den Aufbau eines IT-Schnittstellen-Standards nach XÖV gewähr-leistet. Mithilfe dieser Standardisierung können externe Fachverfahren der Vollzugsbehörden die Anträge elektronisch vom zukünftigen WSP.NRW entgegennehmen und unter Nutzung des Servicekontos mit dem Antragsteller kommunizieren und auch die Entscheidung elektro-nisch übermitteln. Mit dem zukünftigen WSP.NRW gewährleistet das Land, dass im Vollzug von Bundesrecht alle Standardisierungsanforde-rungen für digitale Prozesse eingehalten werden und den Kommunen ein-heitliche und den neusten technischen Anforderungen entsprechende Systeme im Vollzug zur Verfügung stehen.

Weitere Prozesse für die Umsetzung im zukünftigen WSP.NRW werden derzeit priorisiert. Dabei können auch wirtschaftsbezogene Leistungen anderer Ressorts umgesetzt werden, das zukünftige WSP.NRW kann da-mit zur generellen Plattform des Landes für wirtschaftsbezogene Verwal-tungsleistungen entwickelt werden. Wesentliche Merkmale für die Priori-sierung sind insbesondere hohe Fallzahlen, aber auch Aspekte wie z. B. die Bedeutung eines Prozesses im Rahmen der Unternehmensgründung.

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Durch eine länderübergreifende Kooperation von Nordrhein-Westfalen und Bremen im Rahmen der OZG-Geschäftslage „Unternehmensstart und Gewerbezulassung“, die 79 der insgesamt 575 OZG-Leistungsbün-del enthält, soll die OZG-Umsetzung in den Ländern durch gegenseitige Nachnutzung von bereits bestehenden wirtschaftsbezogenen Onlinepro-zessen beschleunigt werden. Weitere Länder haben sich der Initiative be-reits angeschlossen. Derzeit erfolgt die Ermittlung der möglichen Nach-nutzungsszenarien.

Zur umfassenden Unterstützung des Gründungsprozesses sollen in 2020 außerdem auch der Fragebogen zur steuerlichen Erfassung sowie die Beantragung einer Betriebsnummer bei der Bundesagentur für Arbeit in das zukünftige WSP.NRW eingebunden werden.

Für das zukünftige WSP.NRW wird derzeit im Rahmen eines KI-Projektes ein bundesweit einsetzbarer Basisdienst zur Ermittlung von Tätigkeiten des Gewerbetreibenden und der Zuordnung sog. Wirtschaftszweig-schlüssel entwickelt. Eine erste technische Lösung ist bereits seit Anfang des Jahres im Portal für die Abwicklung von Gewerbeanzeigen eingebun-den.

Anhand der ermittelten Tätigkeiten und weniger weiterer Informationen sollen dem Gewerbetreibenden im Rahmen einer sogenannten Vorha-bensklärung die wesentlichen erforderlichen elektronischen Leistungs-prozesse angeboten werden. Die Vorhabensklärung wird ebenfalls in 2020 zum Einsatz kommen. Die grundlegende Arbeitsweise dieser Vor-habensklärung wurde im Digitalisierungslabor „Gründungsvorhaben“ ent-wickelt.

Für das zu erwartende bundeseinheitliche ELSTER-Unternehmenskonto wird Nordrhein-Westfalen im Rahmen eines Pilotprojektes in 2020 die Einbindung in das Gewerbe-Service-Portal.NRW umsetzen.

Durch das geplante Wirtschafts-Portal-Gesetz (WiPG NRW) soll ein ein-heitlicher Rechtsrahmen für die Digitalisierung sämtlicher wirtschaftsbe-zogener Verwaltungsleistungen sowie die Grundlage für eine weiterge-hende Digitalisierung von Verwaltungsabläufen geschaffen werden.

9. Zusammenfassung und Ausblick

Nordrhein-Westfalen hat in den vergangenen Monaten alle wesentlichen Grundlagen für eine erfolgreiche Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes geschaffen:

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Relevante Arbeitsstrukturen wurden aufgebaut und funktionieren.

Nordrhein-Westfalen ist im Rahmen der Digitalisierungslabore von Bund und Ländern gut vernetzt und stellt so die wichtige Nachnutz-barkeit von zentralen Lösungen sicher.

Grundlegende Basisprodukte für den Portalverbund.NRW und die Umsetzung der Online-Dienste des OZG sind entwickelt und ge-hen in den kommenden Monaten in den Betrieb.

Wesentliche Voraussetzungen für eine effiziente Umsetzung von Online-Diensten sind über die Arbeitsgruppe Technik und die Lan-desredaktion geschaffen und beschleunigen die Umsetzung wei-terer Dienste.

Das erste erfolgreiche Portal, das Gewerbe-Service-Portal NRW, belegt die Tragfähigkeit der grundlegenden Technologien.

Die Finanzierung der Umsetzung ist durch die Haushaltsmittel 2020 ff. sichergestellt.

In den kommenden Monaten stehen weitere wichtige Schritte zur Umset-zung des OZG in Nordrhein-Westfalen an:

Mit Abschluss der Abstimmungen zwischen den OZG-Koordinato-rinnen und OZG-Koordinatoren in den Ressorts und im kommuna-len Bereich wird ein landesweiter OZG-Umsetzungsplan zunächst für das Jahr 2020 entwickelt, der anschließend für die Jahre 2021 und 2022 fortgeschrieben wird.

Mit dem geplanten zentralen kommunalen Portal wird durch die Entwicklungsgemeinschaft innerhalb des Dachverbandes kommu-naler IT-Dienstleister NRW die Umsetzung kommunaler Online-Dienste vorbereitet und vorangetrieben.

Die Fortentwicklung des Gewerbe-Service-Portal NRW zum Wirt-schafts-Service-Portal NRW realisiert in den nächsten Jahren nach und nach die Umsetzung aller wirtschaftsbezogenen OZG-Leistungen.

Über die bereitgestellten Basistechnologien wird die effiziente Ent-wicklung von Fach- und Themenportalen sowie deren Online-Diensten sichergestellt.

Der geplante Ausbau des Serviceportals.NRW liefert eine Platt-form zum Betrieb von Online-Diensten des Landes, welche nicht auf eigenen Fach- oder Themenportalen betrieben werden sollen.

Mit den etablierten Arbeitsstrukturen, den bereits erreichten Entwicklun-gen sowie den noch in 2020 geplanten weiteren Umsetzungsschritten hat

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Nordrhein-Westfalen zielgerichtete und belastbare Grundlagen geschaf-fen, die eine fristgerechte Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes erwar-ten lassen.

Anlagen:

Tabelle 1: Gliederung des OZG-Umsetzungskatalogs in Themen-felder sowie Lebens- und Geschäftslagen

Grafik 1: Zuständigkeitsverteilung beim Vollzug von OZG-Leistun-gen

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Landtag Nordrhein-Westfalen, Elektronische Sitzungsmappe zur Einladung Nr. 17/1132Ausschuss für Digitalisierung und Innovation

- TOP 9 -

Gigabitausbau

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Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen

Der Minister

3. Februar 2020

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Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, 40190 Düsseldorf

An denVorsitzenden desAusschusses für Digitalisierung und Innovation des Landtags Nordrhein-Westfalen Herrn Thorsten Schick MdL Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf

Sitzung des Ausschusses für Digitalisierung und Innovation am 06. Februar 2020

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

die Fraktion der SPD hat zur o.g. Sitzung um einen schriftlichen Bericht

zum Thema „Gigabitausbau“ gebeten.

In der Anlage beigefügt erhalten Sie den Bericht, welcher Ihnen und den

weiteren Mitgliedern des Ausschusses vereinbarungsgemäß ausschließ­

lich elektronisch übermittelt wird.

Dienstgebäude und Lieferan­schrift:Berger Allee 25 40213 Düsseldorf

Telefon 0211 61772-0 Telefax 0211 61772-777 [email protected] www.wirtschaft.nrw

Öffentliche Verkehrsmittel: Straßenbahnlinien 706, 708, 709 bis Haltestelle Poststraße

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Andreas Pinkwart

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VORLAGE

17/2993A20

Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen

Der Minister

J. Februar 2020

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Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen , 40190 Düsseldorf

An den Vorsitzenden des

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN

. WAHLPERIODE

Ausschusses für Digitalisierung und Innovation des Landtags Nordrhein-Westfalen Herrn Thorsten Schick MdL Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf

Sitzung des Ausschusses tür Digitalisierung und Innovation am 06. Februar 2020

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

die Fraktion der SPD hat zur o.g. Sitzung um einen schriftlichen Bericht

zum Thema "Gigabitausbau" gebeten.

In der Anlage beigefügt erhalten Sie den Bericht, welcher Ihnen und den

weiteren Mitgliedern des Ausschusses vereinbarungsgemäß ausschließ­

lich elektronisch übermittelt wird.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Andreas Pinkwart

Dienstgebäude und Lieferan­schrift: Berger Allee 25 40213 Düsseldorf

Telefon 0211 61772-0 Telefax 0211 61772-777 [email protected] www.wirtschaft.nrw

Öffentliche Verkehrsmittel : Straßenbahnlinien 706, 708, 709 bis Haltestelle Poststraße

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Bericht der Landesregierung:

"Gigabitausbau"

Bis 2025 soll es in Nordrhein-Westfalen flächendeckend gigabitfähige Netze geben, die auch alle Haushalte umfassen. Bereits bis Ende 2022 sollen alle Schulen an gi­gabitfähige Netze angeschlossen und alle Gewerbegebiete mit Glasfaser versorgt wer­den. Ein Zwischenziel für die Erschließung von Haushalten mit Glasfaseranschlüssen bis Ende 2020 gibt es nicht.

Die Anschlussquoten für die Fläche werden jeweils zur Mitte des Jahres erhoben und auf www.wirtschaft.nrw.de veröffentlicht. Erfasst werden alle gigabitfähigen An­schlüsse. Mitte 2019 verfügten 18 Prozent der Haushalte über solche Netze.

Derzeit haben die Kommunen 1,63 Mrd. EUR Bundes- und Landesmittel für den ge­förderten Ausbau gebunden. Für die kommenden Jahre stehen weitere 800 Mio. EUR Landesmittel zur Verfügung, mit denen ebenso viele Bundesmittel nach Nordrhein­Westfalen geholt werden können, insgesamt können die Kommunen also weitere 1,6 Mrd. EUR beantragen. Hinzu kommen der fortlaufende eigenwirtschaftliche Ausbau mit Glasfaser sowie die Ertüchtigung des HFC-Netzes, die bereits für 2020 einen deut­lichen Sprung erwarten lassen. Die Gespräche der Landesregierung mit den Netzbe­treibern lassen erwarten, dass Ende des Jahres etwa 70 Prozent der Haushalte gi­gabitfähig erschlossen sein werden.

Die Anschlussquoten für Schulen und Gewerbegebiete werden quartalsweise erhoben und auf www.wirtschaft.nrw veröffentlicht. Im dritten Quartal 2019 waren 21 Prozent der Schulen und 14 Prozent der Gewerbegebiete erschlossen. Über 90 Prozent der Schulen verfügten über einen Glasfaseranschluss, setzten Maßnahmen für den An­schluss um oder verfügten über eine konkrete Planung dafür. Bei den Gewerbegebie­ten waren es 66 Prozent, hinzu kamen 17 Prozent teilerschlossener Gebiete. Die An­schlusszahlen für das vierte Quartal 2019 werden derzeit aufbereitet - unter anderem anhand der aktualisierten Listen der Schulen und Gewerbegebieten - und liegen Mitte Februar vor.

Die Maßnahmen der Landesregierung erstrecken sich grundsätzlich auf das gesamte Land, da digitale Infrastruktur für alle gleichermaßen wichtig ist und urbane und halb­urbane Lagen genauso versorgt werden müssen wie ländliche. Zu diesen Maßnahmen gehören die Gigabitkoordination in den Kreisen und kreisfreien Städten mit einem Schwerpunkt auf gemeindeübergreifende Ausbaupläne, das Beratungsangebot des Kompetenzzentrums Gigabit einschließlich der Aufklärung zu alternativen Verlegeme­thoden, das Beratungsangebot der Geschäftsstellen Gigabit zur Förderung sowie die Aktionspläne für Schulen und Gewerbegebiete.

Alle Fördermittel werden dort eingesetzt, wo eine rentable Erschließung durch die Netzbetreiber nicht möglich ist. Das ist beim Bund-Länderprogramm häufig im ländli­chen Raum der Fall, wo längere Strecken pro Anschluss den Ausbau teurer machen.

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Die Entscheidung über den Zuschnitt der Fördergebiete liegt bei den Kommunen. Er­gänzend zum Bund-Länderprogramm bietet das Land mit dem NGA- und dem GAK­Programm Förderungen an, die sich ausschließlich an den ländlichen Raum richten.

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Landtag Nordrhein-Westfalen, Elektronische Sitzungsmappe zur Einladung Nr. 17/1132Ausschuss für Digitalisierung und Innovation

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