Skepsis ist angebracht

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Wiener Klinisches Magazin 2014 · 17:3 DOI 10.1007/s00740-014-0207-y © Springer-Verlag Wien 2014 V. Kienast Springer-Verlag, Wien Skepsis ist angebracht Mit Statistik kann man bekanntlich alles beweisen. Deshalb sollten Wissenschaf- ten, die ihre Erkenntnisse damit unter- mauern möchten, immer vorsichtig sein und sich eine gewisse Skepsis bewah- ren. Deshalb beschäftigen sich begeister- te Denker mit Konzepten, die Ergebnis- se, auch wenn sie mit etablierten Metho- den der Statistik erreicht wurden, wei- ter hinterfragen und versuchen, mögli- che Fehler zu entdecken und Wege zu fin- den, diese zu vermeiden oder zumindest zu minimieren. Dementsprechend viel- fältig ist das Fach der Wissenschaftstheo- rie, die sich grundsätzlich mit den Voraus- setzungen, den Methoden und dem Nut- zen von Wissenschaft ganz allgemein und den einzelnen Wissenschaftsgebieten mit ihren unterschiedlichen Herangehenswei- sen beschäftigt. Wahrheit und Dogma Die technischen und mathematischen Fä- cher tun sich auf den ersten Blick relativ leicht, scheinen ihre Methoden doch klar mess- und nachvollziehbar zu sein. Doch der erste Blick täuscht – wie so oft. Mathe- matik beruht auf einer ganzen Anzahl von Regeln, die einfach festgelegt wurden, auf die man sich irgendwann einmal geeinigt hat und die für Viele heute als unumstöß- lich gelten. Ähnlich den Religionen, wo Grundwahrheiten irgendwann einmal festgelegt wurden und fortan als Dogma gelten. Das Dogma zu hinterfragen, stellt immer eine Bedrohung dar. Manche ver- suchen es dennoch und erkennen plötz- lich zuvor denkunmögliche Zusammen- hänge und neue Perspektiven. Der Anspruch, im Besitz der „Wahrheit“ zu sein, wie immer diese auch definiert sein mag, fällt in den Geisteswissenschaf- ten nicht so schnell und selbstbewusst. Er- kenntnisse können auf der Grundlage des gesammelten Wissens und der vorhande- nen Quellen logisch und analytisch argu- mentiert und dargelegt werden. Die Rolle des Beobachters, des Forschers und Autors und seine Absichten und Interessen wer- den das Ergebnis immer in irgendeiner Form beeinflussen, ist er doch immer auch Teil des Systems, das er untersucht - und damit auch selbstreferentiell. Und die Naturwissenschaften und die Medizin....? Von großem Selbstbewusstsein, was For- schungsergebnisse betrifft ist man da- gegen in der Medizin und den Natur- wissenschaften. Die Ergebnisse von Stu- dien dienen als Argument für die Beweis- führung und Richtigkeit und die Publi- kation in namhaften Journalen bestätigt demnach die Qualität. Das Instrument des „Peer review“ soll die wissenschaftli- che Güte absichern. Die Absicht ist frei- lich gut und es besteht kein Zweifel, dass man in einem um Aufmerksamkeit und Anerkennung ringenden Arbeitsfeld Vor- gehensweisen benötigt, die eine gewis- se Vergleichbarkeit und die Einhaltung von grundlegenden Anforderungen der Arbeiten prüft. Aber auch hier sollte man immer mitbedenken, dass sowohl der For- scher als auch in vielen Fällen der Unter- suchungsgegenstand und schließlich der Gutachter Menschen sind – mit alle ihren wunderbaren Einzigartigkeiten und Feh- lern, mit Interessen, Absichten und Prä- gungen. Diese Grundvoraussetzungen be- einflussen Ergebnisse in vielfältiger Wei- se, alle Variablen lassen sich niemals zwei- felsfrei kontrollieren. Man wird sich im- mer nur annähern können und die letzten Fragen bleiben offen. Dazwischen liegt ein weites Feld an bewusster und unbewusster Manipulation, die von den Medien gerne aufgenommen und weitergespielt wird. Manchmal hilft es schon, wenn man sich die Umstände manch einer als sensatio- nell gepriesenen Studie näher anschaut, um relativieren zu können – kleine Fall- zahlen, übereifrige Schlussfolgerungen, unrealistische Rahmenbedingungen las- sen ein neues Licht, vielleicht weniger strahlendes Licht leuchten. Skepsis ist al- so angebracht meint Ihre Verena Kienast Springer-Verlag GmbH SpringerMedizin/Editor verena.kienast@springer.at 3 Wiener Klinisches Magazin 1 · 2014|

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Wiener Klinisches Magazin 2014 · 17:3DOI 10.1007/s00740-014-0207-y © Springer-Verlag Wien 2014

V. KienastSpringer-Verlag, Wien

Skepsis ist angebracht

Mit Statistik kann man bekanntlich alles beweisen. Deshalb sollten Wissenschaf-ten, die ihre Erkenntnisse damit unter-mauern möchten, immer vorsichtig sein und sich eine gewisse Skepsis bewah-ren. Deshalb beschäftigen sich begeister-te Denker mit Konzepten, die Ergebnis-se, auch wenn sie mit etablierten Metho-den der Statistik erreicht wurden, wei-ter hinterfragen und versuchen, mögli-che Fehler zu entdecken und Wege zu fin-den, die se zu vermeiden oder zumindest zu minimieren. Dementsprechend viel-fältig ist das Fach der Wissenschaftstheo-rie, die sich grundsätzlich mit den Voraus-setzungen, den Methoden und dem Nut-zen von Wissenschaft ganz allgemein und den einzelnen Wissenschaftsgebieten mit ihren unterschiedlichen Herangehenswei-sen beschäftigt.

Wahrheit und Dogma

Die technischen und mathematischen Fä-cher tun sich auf den ersten Blick relativ leicht, scheinen ihre Methoden doch klar mess- und nachvollziehbar zu sein. Doch der erste Blick täuscht – wie so oft. Mathe-matik beruht auf einer ganzen Anzahl von Regeln, die einfach festgelegt wurden, auf die man sich irgendwann einmal geeinigt hat und die für Viele heute als unumstöß-lich gelten. Ähnlich den Religionen, wo Grundwahrheiten irgendwann einmal festgelegt wurden und fortan als Dogma gelten. Das Dogma zu hinterfragen, stellt immer eine Bedrohung dar. Manche ver-suchen es dennoch und erkennen plötz-lich zuvor denkunmögliche Zusammen-hänge und neue Perspektiven.

Der Anspruch, im Besitz der „Wahrheit“ zu sein, wie immer diese auch definiert sein mag, fällt in den Geisteswissenschaf-ten nicht so schnell und selbstbewusst. Er-kenntnisse können auf der Grundlage des gesammelten Wissens und der vorhande-nen Quellen logisch und analytisch argu-mentiert und dargelegt werden. Die Rolle des Beobachters, des Forschers und Autors und seine Absichten und Interessen wer-den das Ergebnis immer in irgendeiner Form beeinflussen, ist er doch immer auch Teil des Systems, das er untersucht - und damit auch selbstreferentiell.

Und die Naturwissenschaften und die Medizin....?

Von großem Selbstbewusstsein, was For-schungsergebnisse betrifft ist man da-gegen in der Medizin und den Natur-wissenschaften. Die Ergebnisse von Stu-dien dienen als Argument für die Beweis-führung und Richtigkeit und die Publi-kation in namhaften Journalen bestätigt demnach die Qualität. Das Instrument des „Peer review“ soll die wissenschaftli-che Güte absichern. Die Absicht ist frei-lich gut und es besteht kein Zweifel, dass man in einem um Aufmerksamkeit und Anerkennung ringenden Arbeitsfeld Vor-gehensweisen benötigt, die eine gewis-se Vergleichbarkeit und die Einhaltung von grundlegenden Anforderungen der Arbeiten prüft. Aber auch hier sollte man immer mitbedenken, dass sowohl der For-scher als auch in vielen Fällen der Unter-suchungsgegenstand und schließlich der Gutachter Menschen sind – mit alle ihren wunderbaren Einzigartigkeiten und Feh-

lern, mit Interessen, Absichten und Prä-gungen. Diese Grundvoraussetzungen be-einflussen Ergebnisse in vielfältiger Wei-se, alle Variablen lassen sich niemals zwei-felsfrei kontrollieren. Man wird sich im-mer nur annähern können und die letzten Fragen bleiben offen. Dazwischen liegt ein weites Feld an bewusster und unbewusster Manipulation, die von den Medien gerne aufgenommen und weitergespielt wird. Manchmal hilft es schon, wenn man sich die Umstände manch einer als sensatio-nell gepriesenen Studie näher anschaut, um relativieren zu können – kleine Fall-zahlen, übereifrige Schlussfolgerungen, unrealistische Rahmenbedingungen las-sen ein neues Licht, vielleicht weniger strahlendes Licht leuchten. Skepsis ist al-so angebracht

meint Ihre

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