Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p...

97
Funktionentheorie II Skript Sommersemester 2018 B.Sc. Matthias Schulte Technische Universit¨ at Dortmund Version vom 26. Juli 2018 1

Transcript of Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p...

Page 1: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

Funktionentheorie II

Skript

Sommersemester 2018

B.Sc. Matthias Schulte

Technische Universitat Dortmund

Version vom 26. Juli 2018

1

Page 2: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

Inhaltsverzeichnis

Einleitung, Motivation und Disclaimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen 46.1 Unendliche Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56.2 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur die Ebene . . . . . . . . . . . . 96.3 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur beliebige Gebiete . . . . . . . . 136.4 Der Mittag-Lefflersche Teilbruchsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 176.5 Ein Interpolationssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226.6 Partialbruchzerlegung des Kotangens . . . . . . . . . . . . . . . . 236.7 Produktdarstellung des Sinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256.8 Die Eulersche Gammafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266.9 Die Riemannsche Zetafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

7 Ganze Funktionen 427.1 Harmonische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

8 Normale Familien und Anwendungen 498.1 Gleichgradig stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508.2 Normale Familien holomorpher Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 548.3 Der Satz von Montel und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . 588.4 Normale Familien meromorpher Funktionen . . . . . . . . . . . . . 648.5 Die Picardschen Satze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

9 Konforme Abbildungen 729.1 Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739.2 Der Riemannsche Abbildungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759.3 Das Schwarzsche Spiegelungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme 8410.1 Einfuhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8510.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

10.2.1 Iteration von z 7→ z2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8810.2.2 Iteration von z 7→ 1

2

(z + 1

z

). . . . . . . . . . . . . . . . . 89

10.2.3 Iteration von z 7→ z2 + c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8910.3 Julia- und Fatoumenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9310.4 Juliamengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Page 3: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

Inhaltsverzeichnis

Einleitung, Motivation und Disclaimer

Das vorliegende Skript ist eine digitale Abschrift der Vorlesung Funktionentheorie II,

wie sie im Sommersemester 2018 an der Technischen Universitat Dortmund von Prof. Dr.

Rainer Bruck gehalten wurde.

Die Vorlesung schließt direkt an die Vorlesung Funktionentheorie I aus dem Winterse-

mester 2017/18 an. Das Skript zu dieser Vorlesung ist hier zu finden. Der Vollstandigkeit

halber sind die Kapitel 6.1 und 6.2 zum Themenblock”Unendliche Produkte“ auch in

diesem Skript noch einmal aufgefuhrt.

Fur etwaige Tippfehler in diesem Skript ubernehme ich keine Haftung.

Viel Erfolg (und ein wenig Spaß) mit diesem Skript.

Matthias Schulte, 2018.

3

Page 4: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6 Unendliche Produkte undPartialbruchreihen

Inhalt des Kapitels

6.1 Unendliche Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56.2 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur die Ebene . . . . . . . . . . . . 96.3 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur beliebige Gebiete . . . . . . . . 136.4 Der Mittag-Lefflersche Teilbruchsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 176.5 Ein Interpolationssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226.6 Partialbruchzerlegung des Kotangens . . . . . . . . . . . . . . . . 236.7 Produktdarstellung des Sinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256.8 Die Eulersche Gammafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266.9 Die Riemannsche Zetafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

-4-

Page 5: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6.1 Unendliche Produkte

Gegeben sei ein Gebiet D ⊂ C und eine Folge (an) in D ohne Haufungspunkt in D.

Frage: Existiert eine holomorphe Funktion f in D mit Nullstellen in an mit Vielfachheit

mn und sonst nullstellenfrei?

Ist die Folge (an) endlich, so konnen wir das Polynom f(z) =N∏n=1

(z − an)mn oder f(z) =

N∏n=1

(1− z

an

)mn, sofern alle an 6= 0, wahlen. Fur eine unendliche Folge (an) lautet also die

Idee:

f(z) =∞∏n=1

(1− z

an

)mn. (6.1)

Problem: Konvergiert das Produkt?

Als Vorbereitung behandeln wir einige Tatsachen uber unendliche Produkte.

Definition 6.1.1. Es sei (zn) eine Folge in C. Fur n ∈ N, k ∈ N0 mit n ≥ k + 1 sei

pn,k =n∏

v=k+1

zv, (6.2)

wobei pn = pn,0 gelte. Wenn ein N ∈ N existiert mit zn 6= 0 fur alle n > N und

PN = limn→∞

pn,N existiert (d.h. PN ∈ C) mit PN 6= 0, so heißt das unendliche Produkt∞∏n=1

zn

konvergent zum Wert P = PN · pn 6= 0P = PN · pn 6= 0P = PN · pn 6= 0. In allen anderen Fallen heißt das Produkt

divergent. (Pn) heißt Folge der Teilprodukte oder Partialprodukte.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Folgerung 6.1.2. Das unendliche Produkt∞∏n=1

zn sei konvergent zum Wert P ∈ C. Dann

gilt:

a) P = 0 ⇒ zn = 0 fur ein n ∈ N.

b) limn→∞

zn = 1.

Beweis. Teil a) ist klar. Fur Teil b) wahlen wir ein N ∈ N mit zn 6= 0 fur n > N . Dann

gilt pn,N 6= 0 fur n > N und zn+1 =zN+1 · zN+2 · . . . · zn+1 · zn

zN+1 · zN+2 · . . . · zn=pn+1,N

pn,N→ PN

PN= 1 fur

n→∞.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Wegen 6.1.2 b) schreiben wir unendliche Produkte in Zukunft meistens in der Form

∞∏n=1

(1 + un). (6.3)

-5-

Page 6: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

Notwendig fur Konvergenz ist folglich limn→∞

un = 0.

Lemma 6.1.3. Es seien u1, . . . , uN ∈ C und PN :=N∏n=1

(1 + un), P ?N :=

N∏n=1

(1 + |un|).

Dann gilt

P ?N ≤ exp (|u1|+ . . .+ |uN |) (6.4)

und

|PN − 1| ≤ |P ?N − 1| . (6.5)

Beweis. Mit der Taylordarstellung von exp gilt 1 + x ≤ ex fur x ≥ 0. Ersetzt man nun

x durchN∑j=1

|uj| und multipliziert aus, so folgt aus der Funktionalgleichung fur exp

N∏n=1

(1 + |un|) ≤N∏n=1

exp|un| = exp

(N∑n=1

|un|

).

Daraus folgt (6.4). Die Ungleichung (6.5) zeigen wir mit Induktion:

Fur N = 1 ist nichts zu zeigen. Mit N → N + 1 folgt

PN+1 − 1 = PN · (1 + uN+1)− 1 = (PN − 1)(1 + uN+1) + uN+1.

Hieraus ergibt sich mit der Induktionsvoraussetzung

|PN+1 − 1|∆−UGL

≤ |PN − 1| (1 + |uN+1|) + |uN+1|I.V.

≤ (P ?N − 1)(1 + uN+1) + |uN+1| =

∣∣P ?N+1 − 1

∣∣ .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 6.1.4. Es sei S ⊂ C, un : S → C eine Folge beschrankter Funktionen und∞∑n=1

|un|

sei gleichmaßig konvergent auf S. Dann ist das unendliche Produkt

f(s) :=∞∏n=1

(1 + un(s)) (6.6)

gleichmaßig konvergent auf S. Ist n1, n2, n3, . . . eine Umordnung von 1, 2, 3, . . ., so

gilt

f(s) =∞∏k=1

(1 + unk(s)), s ∈ S. (6.7)

-6-

Page 7: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

Beweis. Nach Voraussetzung existiert ein n0 ∈ N mit∞∑

n=n0

|un(s)| < 1. Daraus folgt

sofort |un(s)| < 1 und somit 1 + un(s) 6= 0 fur alle n ≥ n0. Ohne Einschrankung sei

n0 = 1.

Weiterhin folgt aus der Voraussetzung, dass∞∑n=1

|un(s)| beschrankt ist. Es sei nun PN(s) =

N∏n=1

(1 + un(s)) fur s ∈ S. Dann gibt es nach Lemma 6.1.3 eine Konstante C > 0 mit

|PN(s)|(6.4)

≤ C, da die Reihe gleichmaßig konvergiert.

Sei nun 0 < ε < 12. Dann existiert ein N0 ∈ N mit

∞∑n=N0

|un(s)| < ε. (6.8)

Fur n ≥ N0 sei M ∈ N so groß, dass

1, 2, 3, . . . , N ⊂ n1, n2, n3, . . . , nM (6.9)

gilt und es sei qM(s) =M∏k=1

(1 + unk(s)) fur s ∈ S.

Wegen (6.9) folgt dann

qM(s)− PN(s) = PN(s) ·

(M∏

k=1,nk>N

(1 + unk(s))− 1

).

Wegen (6.8) und Lemma 6.1.3 folgt jetzt

|qM(s)− PN(s)|(6.4)

≤ |PN(s)| (eε − 1)ε<1/2

≤ 2 |PN(s)| ε ≤ 2Cε. (6.10)

Ist nk = n, so ist qM(s) = PM(s) und das Cauchy-Kriterium fur gleichmaßige Konver-

genz und (6.10) liefern die gleichmaßige Konvergenz in (6.6). Wegen |qM(s)− f(s)| ≤|qM(s)− PN(s)| + |PN(s)− f(s)| folgt aus (6.6) und (6.10) die gleichmaßige Konvergenz

in (6.7).

Noch zu zeigen: f(s) 6≡ 0.

Aus (6.10) folgt |PM(S)− PN0(s)| ≤ 2 |PN0(s)| ε. Mit der umgekehrten Dreiecksunglei-

chung folgt

|PM(s)| ≥ |PN0(s)| (1− 2ε) > 0

fur s ∈ S. Grenzubergang M →∞ liefert |f(s)| ≥ 1− 2ε > 0.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 6.1.5. Es sei D ⊂ C ein Gebiet, (fn) eine Folge holomorpher Funktionen in D,

-7-

Page 8: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

fn 6≡ 0 fur n ∈ N und die Reihe

∞∑n=1

|1− fn(s)| (6.11)

sei in D lokal gleichmaßig konvergent.

Dann ist das unendliche Produkt

f(z) =∞∏n=1

fn(z) (6.12)

inD lokal gleichmaßig konvergent und stellt eine inD holomorphe Funktion dar. Weiterhin

gilt

m(f ; z) =∞∑n=1

m(fn; z), z ∈ D, (6.13)

wobei m(f ; z) die Vielfachheit der Nullstelle z von f bezeichnet. Im Fall f(z) 6= 0 sei

m(f ; z) = 0.

Beweis. Die lokale gleichmaßige Konvergenz des unendlichen Produkts in (6.12) folgt aus

Satz 6.1.4. Zum Beweis von (6.13) sei z ∈ D. Wegen der lokal gleichmaßigen Konvergenz

der Reihe (6.11) existiert eine Umgebung Uz(z) und nz ∈ N mit fn(ζ) 6= 0 fur alle ζ ∈ Uzund n ≥ nz. Wegen der Konvergenz des Produkts (6.12) gilt f(z) = g(z) ·

nz∏n=1

fn(z)

mit einer in D holomorphen, nullstellenfreien Funktion g in D. Daraus folgt m(f ; z) =nz∑n=1

m(fn; z), also ergibt sich (6.13).

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beachte: In der Reihe (6.13) sind immer nur endlich viele Summanden ungleich 0.

-8-

Page 9: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6.2 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur die Ebene

Wie schon oben bemerkt, kann das unendliche Produkt∞∏n=1

(1− z

an

)divergieren. Die Idee

ist daher, nullstellenfreie, konvergenzerzeugende Faktoren anzufugen, sodass die Faktoren

nahe an 1 sind. Wir notieren formal:

1− z

an= elog(1− z

an) = exp

(−∞∑k=1

1

k

(z

an

)k). (6.14)

Definition 6.2.1. Fur p ∈ N0 setzen wir E0(z) := 1− z und rekursiv

Ep(z) = E0(z) exp

(p∑

k=1

zk

k

), p ∈ N. (6.15)

Ep(z) heißt Weierstraß’scher Elementarfaktor. Es gilt:

Ep(z) = 0⇒ z = 1.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lemma 6.2.2. Fur |z| ≤ 1 und p ∈ N0 gilt |1− Ep(z)| ≤ |z|p+1.

Beweis. Fur p = 0 ist nichts zu zeigen. Fur p ∈ N folgt mit kurzer Rechnung

−E ′p(z) = zp exp

(z +

z2

2+ . . .+

zp

p

).

Also hat E ′p in z = 0 eine p-fache Nullstelle, d.h. 1 − Ep hat in z = 0 eine (p + 1)-fache

Nullstelle. Wir betrachten nun

Φ(z) :=1− Ep(z)

zp+1.

Dann ist Φ eine ganze Funktion und die Koeffizienten der Potenzreihe von −E ′p um 0 sind

großer oder gleich 0. Somit ist Φ(z) =∞∑n=0

anzn mit an ≥ 0. Fur |z| ≤ 1 folgt dann

|Φ(z)| ≤∞∑n=0

an |z|n ≤∞∑n=0

an = Φ(1) = 1.

Daraus folgt die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 6.2.3 (Weierstraß’scher Produktsatz, 1876 ). Es sei (zn) eine Folge in C? mit |zn| →∞ fur n→∞. Ist (pn) eine Folge in N0 mit

-9-

Page 10: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

∞∑n=1

(r

rn

)1+pn

<∞, r ∈ (0,∞), (6.16)

wobei rn = |zn|, so definiert das unendliche Produkt

P (z) :=∞∏n=1

Epn

(z

zn

)(6.17)

eine ganze Funktion mit P (zn) = 0 fur alle n ∈ N und sonst P (z) 6== 0. Genauer gilt:

Kommt α in der Folge (zn) m-mal vor, so gilt m(P ;α) = m.55 Die Bedingung (6.16) ist

sicher erfullt, wenn man pn = n− 1 wahlt.

Beweis.

i) Ist r > 0, so existiert ein N ∈ N mit rN > 2r fur alle n ≥ N . Somit folgtr

rN≤ 1

2

fur n ≥ N , also auch∞∑n=0

(r

rn

)n≤

∞∑n=N

(1

2

)n< ∞. Mit pn = n − 1 ist (6.16)

erfullt.

ii) Nach Satz 6.1.5 genugt es zu zeigen, dass∞∑n=1

∣∣∣∣1− Epn ( z

zn

)∣∣∣∣ in C lokal gleichmaßig

konvergiert.

Dazu sei r > 0 und K = Ur(0). Wahle N ∈ N mit rn > r fur n ≥ N . Dann ist∣∣∣∣ zrn∣∣∣∣ ≤ 1 fur alle z ∈ K und n ≥ N . Mit Lemma 6.2.2 folgt hiermit nun

∣∣∣∣1− Epn ( z

zn

)∣∣∣∣ ≤ ∣∣∣∣ zzn∣∣∣∣1+pn

≤(r

rn

)1+pn

.

Hieraus folgt die Behauptung aus Voraussetzung (6.16) und dem Weierstraß’schen

Majorantenkriterium.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung 6.2.4. Es sei (zn) eine Folge wie im obigen Satz. Man mochte die Zahlen pn

so klein wie moglich wahlen, damit das Produkt eine moglichst einfache Form hat. Man

kann zeigen, dass immer pn = [log n] gewahlt werden kann.56

55Der Fall m(P ;α) =∞ kann nicht vorkommen, da sonst die Folge (zn) einen Haufungspunkt hatte undP nach dem Identitatssatz identisch Null ware – im Widerspruch zur Konvergenz des Produkts in(6.17).

56Diese Schranke ist allerdings fur die Praxis nicht relevant.

-10-

Page 11: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

Falls ein α > 0 existiert mit

∞∑n=1

1

rαn<∞, (6.18)

so setzen wir

ρ1 := inf

α > 0 :

∞∑n=1

1

rαn<∞

. (6.19)

Gibt es kein solches α, so setze ρ1 =∞. ρ1 heißt Konvergenzexponent der Folge (zn)(zn)(zn).

Weiter definieren wir p ∈ N0 ∪ ∞ durch

p =

∞ : ρ1 =∞

min

α ∈ N :

∞∑n=1

1rαn<∞

: ρ1 <∞

. (6.20)

p heißt das Geschlecht der Folge (zn)(zn)(zn) und erfulltp = [ρ1] : ρ1 6∈ N

ρ1 − 1 ≤ p ≤ ρ1 : immer.

Ist p ∈ N0 (p < ∞), so kann man im Weierstraß’schen Produktsatz pn = p wahlen. Das

zugehorige Produkt∞∏n=1

Ep

(z

zn

)heißt dann das kanonische Produkt vom Geschlecht

ppp.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiele:

• zn = n: ρ1 = 1, p = 1

• zn = n2: ρ1 = 12, p = 0

• zn = log n: ρ1 =∞

• zn =√n: ρ1 = 2, p = 2

• zn = n!: ρ1 = 0, p = 0

• zn = n log2 n: ρ1 = 1, p = 0

Satz 6.2.5 (Weierstraß’scher Faktorisierungssatz, 1876 ). Es sei f eine ganze Funktion

und z1, z2, z3, . . . die Nullstellen von f in C?, entsprechend ihrer Vielfachheit oft aufgefuhrt.

Dann existiert eine ganze Funktion g und eine Folge (pn) in N0 mit

f(z) = zmeg(z) ·M∏n=1

Epn

(z

zn

), z ∈ C, (6.21)

-11-

Page 12: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

wobei m = m(f ; 0) ∈ N0 und M ∈ N0 ∪∞ die Anzahl der Nullstellen von f in C? sind.

Beweis. Wir setzen

P (z) =

1 : N = 0

N∏n=1

E0

(zzn

): N ∈ N

∞∏n=1

Epn

(zzn

): pn wie in (6.18)

.

Dann ist h(z) =f(z)

zmP (z)eine ganze Funktion57 und nullstellenfrei. Dann folgt die Be-

hauptung aus Satz 4.2.5 (siehe hier, Seite 57).

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Die obige Darstellung ist nicht eindeutig. Ob wir uber g genauere Aussagen treffen konnen,

sehen wir spater.

57Alle Singularitaten, die auftreten, sind hebbar.

-12-

Page 13: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6.3 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur beliebige

Gebiete

Satz 6.3.1. Es sei D ⊂ C ein Gebiet mit D 6= C, (an) eine Folge in D ohne Haufungspunkt

in D, an 6= am fur n 6= m und (mn) eine Folge in N.

Dann existiert eine Funktion f ∈ H(D) mit f(an) = 0, m(f ; an) = mn und f(z) 6= 0

sonst.

Beweis.

1 O.B.d.A. sei ∞ ∈ D und an 6= ∞ fur alle n ∈ N, was mithilfe einer Mobiustrans-

formation erreicht werden kann. Wir definieren nun eine neue Folge (αn) durch

(a1, . . . , a1︸ ︷︷ ︸m1−mal

, a2, . . . , a2︸ ︷︷ ︸m2−mal

, . . .) (6.22)

und setzen noch M = C \D ⊂ C. Dann folgt, dass M kompakt ist.

2 Zu n ∈ N wahle βn ∈M mit

|βn − α| ≤ |β − αn| ∀β ∈M. (6.23)

Dies ist moglich, da M kompakt ist. Somit folgt βn 6= αn und es gilt |βn − αn| → 0

fur n→∞, da (αn) keinen Haufungspunkt in D hat.58

3 Wir zeigen jetzt, dass

f(z) =∞∏n=0

En

(αn − βnz − βn

), z ∈ D, (6.24)

die gewunschten Eigenschaften hat.59 Dazu mussen wir nur zeigen, dass das un-

endliche Produkt in (6.24) lokal gleichmaßig konvergiert.

Wir setzen dazu rn := 2 |αn − βn| und K := Ur(z0) mit z0 ∈ D, r > 0 und

Ur(z0) ⊂ D (vgl. auch Abbildung 1).

Wegen rn → 0 fur n→∞ und dist(K,M) > 0 existiert einN ∈ N mit |z − βn| > rn

fur alle n ≥ N . Somit folgt∣∣∣∣αn − βnz − βn

∣∣∣∣ ≤ 1

2∀n ∈ N. (6.25)

58Sonst konnte man eine Teilfolge wahlen mit |βnk− αnk

| > δ. 59Beachte: Da z ∈ D und βn ∈M gilt, ist der Nenner in (6.24) stets ungleich Null.789

-13-

Page 14: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

Aus Lemma 6.2.2 folgt nun∣∣∣∣1− En(αn − βnz − βn

)∣∣∣∣ ≤ (1

2

)n+1

fur z ∈ K, n ≥ N. (6.26)

Hieraus folgt die Behauptung mit Satz 6.1.4.

Abbildung 1: Skizze der Beweissituation.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hieraus wollen wir nun einige interessante Folgerungen ziehen.

Satz 6.3.2. Es sei D ⊂ C und f ∈M(D).

Dann existieren holomorphe Funktionen g, h ∈ D mit f = gh.

Beweis. Es seien b1, b2, . . . die Pole von f mit Vielfachheiten60 aufgefuhrt. Nach obigem

Satz konnen wir eine holomorphe Funktion h wahlen, so dass h genau die Nullstellen

b1, b2, . . . hat. Setze nun g = h · f . Dann ist jede Polstelle von f eine hebbare Singularitat

von g und somit g ∈ H(D). Also ist f = gh.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Algebraische Interpretation:

H(D) ist ein kommutativer, nullteilerfreier61 Ring mit Eins, d.h. H(D) ist ein Inte-

gritatsring. Jeder solche Ring ist in einem kleinsten Korper enthalten, der bis auf Isomor-

phie eindeutig bestimmt ist, namlich in dem sogenannten Quotientenkorper. Satz 6.3.2

60Lies: Polordnungen61Beachte: Hier geht der Identitatssatz ein. Die Aussage wird bereits fur den Raum C(D) falsch.

-14-

Page 15: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

sagt also aus, dass M(D) der Quotientenkorper von H(D) ist.

Wir benotigen nun noch zwei Vorbereitungen.

Lemma 6.3.3. Es sei D ⊂ C ein Gebiet. Dann existiert eine Folge kompakter Mengen

Kn ⊂ D mit

(1)∞⋃n=1

Kn = D

(2) Kn ⊂ Kn+1

(3) Zu jeder kompakten Menge K ⊂ D existiert ein n0 ∈ N mit K ⊂ Kn fur alle

n ≥ n0.

Eine solche Folge heißt auch Ausschopfungsfolge.62

Beweis.

1 Fur n ∈ N setzen wir

Kn := Un(0) ∩z ∈ D : dist(z, ∂D) ≥ 1

n

. (6.27)

Dann ist Kn beschrankt und abgeschlossen, da die Funktion dist stetig ist. Somit

ist Kn kompakt.

2 (1) ist klar. Da Kn+1 = Un+1(0)∩z ∈ D : dist(z, ∂D) > 1

n+1

gilt, folgt (2). Ferner

gilt noch D =∞⋃n=1

Kn und somit ist Kn : n ∈ N eine offene Uberdeckung von

K ⊂ D. Fur eine kompakte Menge K ⊂ D reichen also bereits endlich viele zur

Uberdeckung aus.63 Wegen (2) folgt somit auch (3).

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lemma 6.3.4. Es sei D ⊂ C ein Gebiet.

Dann existiert eine Folge (an) in D mit an 6= am fur m 6= n, sodass (an) keinen Haufungs-

punkt in D besitzt, aber jedes ζ ∈ ∂D Haufungspunkt von (an) ist.

Beweis.

62Das Konzept kann leicht auf den Rn ubertragen werden. Wahle hierzu beispielsweise die Folge (Ik) mitIk := [−k, k]n.

63Stichwort: Uberdeckungskompaktheit.

-15-

Page 16: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

1 Wir wahlen zunachst eine abzahlbare dichte Teilmenge B := b1, b2, . . . von D,

z.B. B = D∩Q(i).64 Sei nun rn := dist(bn,C\D) und (Kn) eine Ausschopfungsfolge

von D. Zu jedem n ∈ N wahlen wir nun ein an ∈ C \Kn mit |an − bn| < rn und

an 6= am fur m 6= n. Somit ist an ∈ D und (an) hat keinen Haufungspunkt in D.

2 Nun sei ζ ∈ ∂D und ε > 0. Dann existiert ein n ∈ N mit |ζ − bn| < ε2. Dies

impliziert sofort rn <ε2

und somit folgt

|ζ − an| ≤ |ζ − bn|+ |bn − an| <ε

2+ rn < ε.

Somit folgt die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 6.3.5. Es sei D ⊂ C ein Gebiet.

Dann existiert eine in D holomorphe Funktion f , sodass f in kein großeres Gebiet G )D analytisch fortgesetzt werden kann, d.h. f ist uber keinen Randpunkt von D hinaus

analytische fortsetzbar. Genauer gilt:

Ist ζ ∈ ∂D und r > 0, so existiert keine in Ur(ζ) meromorphe Funktion g mit g(z) = f(z)

auf D ∩ Ur(ζ).

Beweis. Wir wahlen eine Folge (an) in D gemaß Lemma 6.3.4 und dann nach dem

Weierstraß’schen Produktsatz fur beliebige Gebiete (6.3.1) eine in D holomorphe Funktion

f , die genau an den an Nullstellen hat.

Annahme: Es gibt ein ζ ∈ ∂D, r > 0 und g ∈M(Ur(ζ)) mit g(z) = f(z) auf D ∩ Ur(ζ)).

Dann existiert eine Teilfolge (ank) von (an) mit (ank) → ζ fur k → ∞ und f(ank) = 0.

Dann ist auch g(ank) = 0 und somit hat g keinen Pol in ζ, da die Folge (an) konvergent

ist. Somit ist g holomorph in einer Umgebung U von ζ. Aus dem Identitatssatz folgt nun

g ≡ 0 auf U und somit f ≡ 0 auf D ∩ U .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64Die genaue Wahl dieser Menge ist nicht wichtig. Zudem existiert stets eine solche, da C separabel istund somit auch jede Teilmenge.

-16-

Page 17: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6.4 Der Mittag-Lefflersche Teilbruchsatz

Es sei R eine rationale Funktion mit Polen a1, . . . , an der Ordnungen m1, . . . ,mn. Dann

kann man R in Partialbruche zerlegen:

R(z) = P (z) +n∑k=1

mk∑j=1

cjk(z − ak)j

, (6.28)

wobei P ein Polynom und cjk gewisse komplexe Zahlen sind.

Wir werden dies nun auf unendlich viele Pole erweitern.

Satz 6.4.1 (Mittag-Lefflerscher Teilbruchsatz, 1884 ).

Es sei D ⊂ C ein Gebiet, A := a1, a2, a3, . . . eine Menge in D ohne Haufungspunkte in

D, m1,m2,m3, . . . eine Menge in N und Rn(z) =mn∑j=1

cjn(z−an)j

.

Dann existiert eine meromorphe Funktion in D mit Polen genau an den Stellen an und

vorgegebenen Hauptteilen Rn.

Beweis. Ist A eine endliche Menge, so addiere einfach die Hauptteile.

Also sei A unendlich. Wir konnen annehmen, dass 0 6∈ A, denn andernfalls losen wir das

Problem fur A \ 0 und addieren hinterher den Hauptteil an der 0.

Zusatzlich setzen wir noch

δn := dist(an, ∂D) ∈ (0,∞]. (6.29)

Nun unterscheiden wir drei Falle.

Abbildung 2: Skizze der Beweissituation.

Fall 1: |an| δn ≥ 1 ∀n ∈ N.

1 Zunachst ist in diesem Fall der Fall D = C enthalten. Dann ist δn =∞ und wegen

an 6= 0 ist obige Bedingung erfullt.

2 Wir zeigen zunachst: |an| → ∞ fur n→∞, d.h., D ist unbeschrankt.

Nehmen wir an, dass dies nicht gilt, so existiert eine Teilfolge (ank) von (an) mit

-17-

Page 18: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

ank → a ∈ C fur k →∞. Somit ist a ein Haufungspunkt von (an).

Im Fall D = C ergibt sich sofort ein Widerspruch, da A nach Voraussetzung keine

Haufungspunkte in D hat.

Sei also nun D 6= C und z ∈ C \D. Dann gilt nach Voraussetzung dieses Falles

|a− z| = limk→∞|ank − z| ≥ lim

k→∞

1

|ank |=

1

|a|> 0.

Somit ist a 6= 0 und a ∈ D, da diese Ungleichung fur alle z ∈ C \D gilt. Dies ist

ein Widerspruch wie oben.

3 Die rationale Funktion Rn ist holomorph in Dn := U|an|(0), denn da 0 6∈ A sind

alle Hauptteile holomorph in 0 und in jeder Kreisscheibe um 0 mit Radius kleiner

|an|. Daher kann mann Rn in eine Potenzreihe um 0 entwickeln, d.h.

Rn(z) =∞∑k=0

ankzk, z ∈ Dn.

Somit gilt fur d ∈ N sofort

d∑n=0

ankzk → Rn(z) (d→∞)

gleichmaßig in Kn := U|an|/2(0). Daher existiert ein Index d(n) ∈ N, sodass fur das

Polynom Pn mit Pn(z) =d(n)∑k=0

ankzn gilt:

|Rn(z)− Pn(z)| < 2−n fur z ∈ Kn. (∗)

4 Jetzt zeigen wir, dass die Reihe

∞∑n=1

(Rn − Pn)(z)

lokal gleichmaßig auf ganz C konvergiert.

Dazu genugt es, zu zeigen, dass die Reihe gleichmaßig auf K = Ur(0) fur jedes

r > 0 konvergiert.

Da |an| → ∞ existiert ein N ∈ N mit Ur(0) ⊂ Kn fur alle n > N . Fur diese n

liegt der Pol an von Rn − Pn außerhalb von K. Ebenso gilt die Abschatzung (∗)fur alle z ∈ K. Jetzt folgt die Konvergenz aus dem Weierstraß’schen Majoranten-

kriterium.65

65Es sei∑fn eine Funktionenreihe auf einem Gebiet D. Dann ist diese Reihe gleichmaßig konvergent,

wenn positive Konstanten Mn existieren mit |fn(x)| ≤Mn fur alle n ∈ N und x ∈ D und∑Mn <∞.

-18-

Page 19: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

5 Nun definieren wir

f :=∞∑n=1

(Rn − Pn). (6.30)

Dann ist f meromorph in C und hat die gewunschten Eigenschaften, denn durch

die Polynome Pn werden weder Pole noch Hauptteile geandert.

Fall 2: |an| δn ≤ 1 fur alle n ∈ N.

1 Wir zeigen nun δnn→∞−→ 0.

Falls dies nicht gilt, so existiert ein ε > 0 und eine Teilfolge (δnk) von (δn) mit

δnk ≥ ε fur alle k ∈ N. Aus der Voraussetzung dieses Falles folgt hiermit nun

|ank | =1

δnk≤ 1

ε

fur alle k ∈ N, d.h. die Folge (ank) ist beschrankt und hat daher einen Haufungspunkt

a ∈ C. Wir konnen nun annehmen, dass ank gegen a konvergiert.

Fur jedes z ∈ C \D gilt nun

|z − ank | ≥ δnk ≥ εk→∞=⇒ |z − a| ≥ ε.

Daher ist a ∈ D.

2 Wegen δn <∞ gibt es zu jedem n ∈ N ein ζn ∈ ∂D mit |an − ζn| = δn. Wir setzen

noch

Dn := z ∈ C : |z − ζn| > δn .

Entwickelt man 1z−an um ζn in eine Laurentreihe mit Pol in ζn ∈ C \D so folgt

1

z − an=∞∑k=1

(an − ζn)k−1

(z − ζn)k

und sukzessives Ableiten ergibt entsprechende Entwicklungen fur 1(z−an)j

in Dn.

Setzt man diese Entwicklung in Rn ein, so folgt

Rn(z) =∞∑k=1

ank(z − ζn)k

, z ∈ Dn,

wobei die ank gewisse komplexe Zahlen sind, die sich durch Zusammenfassen der

konstanten Terme in Rn und obiger Laurententwicklung ergeben. Diese Reihe kon-

-19-

Page 20: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

vergiert nun gleichmaßig in

An := z ∈ C : |z − ζn| ≥ 2δn .

Abbildung 3: An und Dn.

3 Zu jedem n ∈ N existiert ein d(n) ∈ N, sodass fur die rationale Funktion

Sn(z) =

d(n)∑k=1

ank(z − ζn)k

gilt, dass |Rn(z)− Sn(z)| < 2−n fur z ∈ An ist. Wir zeigen nun, dass die Reihe

∞∑k=1

(Rn(z)− Sn(z))

lokal gleichmaßig in D konvergiert.

Dazu sei z0 ∈ D und r > 0 mit K = Ur(0) ⊂ D. Die Pole von Rn − Sn (namlich

an und ζn) liegen nicht in An. Da δn wegen oben gegen 0 konvergiert, existiert ein

N > 0 mit K ⊂ An fur alle n ≥ N (da K kompakt ist). Damit folgt die lokal

gleichmaßige Konvergenz in D.

4 Nun definieren wir

f :=∞∑n=1

(Rn − Sn)

-20-

Page 21: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

fur z ∈ D \ an : n ∈ N. Dann ist f meromorph in D und hat die gewunschten

Eigenschaften, da die Pole ζn von Sn außerhalb von D liegen.66

Fall 3: Es liegt weder Fall 1 noch Fall 2 vor.

Wir setzen in diesem Fall J := n ∈ N : |an| δn ≥ 1, A1 := an : n ∈ J und A2 := A\A1.

Wende nun Fall 1 auf A1 und Fall 2 auf A2 an und addiere.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 6.4.2 (Partialbruchzerlegung meromorpher Funktionen).

Es sei D ⊂ C ein Gebiet, f eine meromorphe Funktion mit Polen a1, a2, a3, . . . und

Hauptteilen R1, R2, R3, . . ..

Dann gibt es rationale Funktionen Sn mit Polen in C \ D und eine in D holomorphe

Funktion g mit

f(z) =∞∑n=1

(Rn(z)− Sn(z)) + g(z) (6.31)

fur z ∈ D \ an : n ∈ N.

Beweis. Wir konstruieren gemaß Satz 6.4.1 eine inD meromorphe Funktion h und setzen

g := f − h. Die Pole von f sind hebbare Singularitaten von g, also ist g holomorph in D

und erfullt Formel (6.31).

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66Aber die Reihe konvergiert eventuell nicht mehr auf einem großeren Gebiet, anders als in Fall 1.

-21-

Page 22: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6.5 Ein Interpolationssatz

Satz 6.5.1 (Interpolationssatz von Germay, 1946 ).

Es sei D ⊂ C ein Gebiet, (ak) eine Folge verschiedener Punkte in D ohne Haufungspunkt

in D, (mk) eine Folge in N und wnk ∈ C fur n = 0, . . . ,mk, k ∈ N.

Dann existiert eine holomorphe Funktion f in D mit f (n)(ak) = wnk fur n = 0, . . . ,mk,

k ∈ N.

Beweis. Nach Satz 6.3.1 existiert eine in D holomorphe Funktion g mit g(ak) = 0,

m(g, ak) = mk und g(z) 6= 0 sonst. Wir zeigen nun:

Zu jedem k ∈ N existieren Funktionen pk der Form pk(z) =mk+1∑j=1

ckj(z − ak)j

, sodass fur die

Potenzreihenentwicklung von g · pk um ak die Form

g(z)pk(z) = w0,k +w1,k

1!(z − ak) + . . .+

wmk,kmk!

(z − ak)mk + . . .

fur z ∈ Uδk(ak) gilt.

1 Dazu nehmen wir oBdA ak = 0 an (fest!), schreiben m = mk und wnk = wn. Fur

z ∈ Uδ(0) gilt dann:

g(z) = b1zm+1 + b2z

m+2 + . . .+ . . . , b1 6= 0.

2 Ist P (z) = c1z

+ c2z2

+ . . .+ cm+1

zm+1 , so gilt:

g(z) · P (z) =(b1 + b2z + b3z

2 + . . .)· (cm+1 + cmz + . . . c1z

m)

!= w0 +

w1

1!z + . . .+

wmm!

zm + . . .

Ausmultiplizieren und Vergleich der Koeffizienten liefert folgendes Gleichungssys-

tem:

b1cm+1 = w0

b2cm+1 + b1cm = w1

...

bm+1cm+1 + bmcm + . . . + b1c1 = wmm!

3 Wegen b1 6= 0 hat dieses (lineare) Gleichungssystem genau eine Losung. Dieses

Vorgehen fuhrt man fur jede Polstelle ak durch und konstruiert dann mit dem Satz

von Mittag-Leffler eine meromorphe Funktion h mit Polen genau an den ak und

den Hauptteilen pk. Setze dann f = g · h.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

-22-

Page 23: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6.6 Partialbruchzerlegung des Kotangens

Wir betrachten zunachst die Funktion f(z) =π2

sin2(πz). f ist meromorph in C mit Polen

an z = n ∈ Z und Hauptteilen1

(z − n)2. f hat ferner Periode 1 und die Funktion

g(z) =∑n∈Z

1

(z − n)2

ist meromorph in C mit gleichen Polen und Hauptteilen wie f . Insbesondere hat g auch

Periode 1. Somit ist h := f − g eine ganze Funktion.

Ziel: Zeige h ≡ 0.

Wir schreiben nun z = x+ iy. Dann folgt

|sin(πz)|2 = sin2(πx) + sinh2(πy).

Also ist |f(z)| ≤ π2

sinh2(πy)→ 0 fur y →∞ gleichmaßig in x.

Jetzt zeigen wir, dass auch |g(z)| → 0 fur |y| → ∞ gilt. Wegen der Periodizitat konnen

wir annehmen, dass 0 ≤ x ≤ 1 gilt.

Sei nun ε > 0. Wahle N ∈ N mit∞∑

n=N+1

1(n−1)2

< ε4

und halte N fest. Dann gilt mit

z = x+ iy:

|g(z)| ≤∑|n|≤N

1

(n− x)2 + y2+∑|n|>N

1

(n− x)2 + y2

≤ 2N + 1

y2+ 2 ·

∞∑n=N+1

1

(n− 1)2

≤ 2N + 1

y2+ε

2→ ε

2(|y| → ∞).

Wegen der Periodizitat ist h beschrankt, also konstant nach Liouville. Wegen h → 0 fur

|y| → ∞ folgt nun h ≡ 0.

⇒ π2

sin2(πz)=∑n∈Z

1

(z − n)2, z ∈ C \ Z. (6.32)

Die Konvergenz ist dabei sogar gleichmaßig. Wir setzen nun F (z) = π cot(πz) und G(z) =

1z

+∑n6=0

(1

z−n + 1n

)= 1

z+∞∑n=1

2zz2−n2 . Diese Reihen konvergieren lokal gleichmaßig in C \ Z.

Nun liefert Differenzieren F ′(z) = f(z) und F ′(z) = −g(z). Aus Formel (6.32) folgt also

-23-

Page 24: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

F (z) = G(z) + c fur ein c ∈ C. Da F und G ungerade sind, muss c = 0 sein.

⇒ π cot(πz)[...]=

1

z+∞∑n=1

2z

z2 − n2. (6.33)

-24-

Page 25: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6.7 Produktdarstellung des Sinus

Aus dem Weierstraßschen Faktorisierungssatz und Bemerkung 6.2.4 folgt zunachst

sin(πz) = zeg(z)∏n6=0

(1− z

n

)ez/n = zeg(z)

∞∏n=1

(1− z2

n2

)(6.34)

mit einer ganzen Funktion g. Mit Hilfe logarithmischer Ableitung f ′

ffolgt nun

n cot(πz) =1

z+ g′(z) +

∞∑n=1

2z

z2 − n2.

Mit Gleichung (6.33) folgt g′(z) = 0, also eg(z) = c fur ein c ∈ C.

Division von (6.34) durch z und Grenzubergang z → 0 liefert nun eg(z) = π.

Fazit:

sin(πz) = πz∞∏n=1

(1− z2

n2

), z ∈ C \ Z. (6.35)

Diese Produktdarstellung wurde bereits von Euler 1734 gefunden.

Wir setzen in (6.35) fur z spezielle Werte ein:

• z = 12⇒ π

2=∞∏n=1

4n2

4n2−1(Wallis-Produkt)

• z = i⇒∞∏n=1

(1 + 1

n2

)= eπ−e−π

• z = 1⇒∞∏n=1

(1− 1

n2

)= 1

2

-25-

Page 26: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6.8 Die Eulersche Gammafunktion

Frage: Existiert eine”sinnvolle“ Funktion, die die Fakultat interpoliert?

Dies ist die Eulersche Gammafunktion. Es gibt verschiedene Moglichkeiten, diese Funktio-

nen einzufuhren. Wir wollen hier einen funktionentheoretischen Zugang mit unendlichen

Produkten. Nach dem Weierstraßschen Produktsatz ist das unendliche Produkt

∞∏n=1

(1 +

z

n

)e−z/n

konvergent gegen eine ganze Funktion und daher ist

∞∏n=1

(1 +

z

n

)−1

ez/n

eine (in C \ −n : n ∈ N holomorphe) in C meromorphe Funktion mit einfachen Polen

in z = −n, n ∈ N.

Definition 6.8.1. Die Gammafunktion Γ ist eine in C meromorphe Funktion mit ein-

fachen Polen in z = −n, n ∈ N0, definiert durch

Γ(z) :=e−γz

z

∞∏n=1

(1 +

z

n

)−1

ez/n, (6.36)

wobei γ ∈ C so gewahlt ist, dass Γ(1) = 1 gilt.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wir mussen nun zeigen, dass ein solches γ tatsachlich existiert. Wir schreiben die Defini-

tion von Γ dazu etwas um:

eγ =∞∏n=1

(1 +

1

n

)−1

e1/n ⇒ γ =∞∑k=1

log

[(1 +

1

k

)−1

e1/k

]

= limn→∞

n∑k=1

1

n− log

(n+ 1

n

)︸ ︷︷ ︸→0 (n→∞)

− log n

Dieser Grenzwert existiert und ist die Euler-Mascheroni-Konstante. Es gilt 1

2< γ < 1.

Mit dieser Formel konnen wir nun eine weitere Darstellung fur Γ zeigen.

Satz 6.8.2 (Gauß’sche Formel). Fur z 6= −n, n ∈ N gilt:

Γ(z) = limn→∞

n!nz

z(z + 1) · . . . · (z + n). (6.37)

-26-

Page 27: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

Beweis. Aus der Definition von Γ folgt

Γ(z) =e−γz

2limn→∞

n∏k=1

kez/k

z + k

= limn→∞

e−γzn!

z(z + +1) · . . . · (z + n)exp

(z ·(

1 +1

2+ . . .+

1

n

)).

Wegen e−γz exp(z ·(1 + 1

2+ . . .+ 1

n

))= nz · exp

z(−γ + 1 +

1

2+ . . .+

1

n− log n

)︸ ︷︷ ︸

→0 (n→∞)

folgt hieraus die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Aus dieser Darstellung erhalten wir folgende Funktionalgleichung:

Satz 6.8.3 (Funktionalgleichung der Gammafunktion).

Fur z 6= −n, n ∈ N, gilt:

Γ(z + 1) = zΓ(z). (6.38)

Beweis. Ersetzt man in der Gaußschen Formel z durch z + 1, so folgt die Behauptung

durch Nachrechnen.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hieraus folgt fur n ∈ N sofort Γ(z+n) = z(z+ 1) · . . . · (z+n−1) ·Γ(z), also insbesondere

Γ(n+ 1) = n!. Damit haben wir unser Ziel erreicht.

Frage: Gibt es noch weitere”sinnvolle“ Funktionen mit dieser Eigenschaft?

Zunachst leiten wir einige weitere Eigenschaften von Γ her.

Γ hat in jedem Punkt z = −n, n ∈ N, einen einfachen Pol mit Residuum Res(Γ;−n) =(−1)n

n!. Weiterhin folgt durch zweimaliges67 logarithmisches Ableiten fur z 6= −n, n ∈ N:

Γ′(z)

Γ(z)= −γ − 1

z+∞∑n=1

z

n(n+ z)und

d

dz

Γ′(z)

Γ(z)=

1

z2+∞∑n=1

1

(n+ z)2.

Fur x > 0 ist Γ(x) > 0, d.h. log Γ(x) ist wohldefiniert. Aus obiger Formel folgt somit:

d2

dx2log Γ(x) =

1

x2+∞∑n=1

1

(n+ x)2> 0.

Somit ist Γ logarithmisch-konvex, d.h. log Γ ist konvex auf (0,∞).

67Weitere Ableitungen dieser Art liefern keine sinnvollen Ergebnisse mehr.

-27-

Page 28: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

Jetzt zeigen wir, dass diese Eigenschaft zusammen mit obiger Funktionalgleichung und

Γ(1) ausreicht, die Gammafunktion zu charakterisieren.

Satz 6.8.4 (Satz von Bohr-Mollerup). Es sei f : (0,∞)→ (0,∞) eine Funktion mit

(a) log f ist konvex auf (0,∞),

(b) f(x+ 1) = xf(x), x > 0,

(c) f(1) = 1.

Dann ist f(x) = Γ(x) fur x > 0.

Beweis.

1 Aus (b) und (c) folgt induktiv fur n ∈ N und x > 0:

f(x+ n) = x(x+ 1)(x+ 2) · . . . · (x+ n− 1) · f(x) (∗)

2 Wegen (∗) genugt es, f(x) = Γ(x) fur x ∈ (0, 1] zu zeigen. Sei also x ∈ (0, 1], n ∈ N,

n > 2. Die Voraussetzung (a) und Eigenschaften konvexer Funktionen liefert:

log f(n− 1)− log f(n)

(n− 1)− n≤ log f(n+ 1)− log f(n)

(n+ 1)− n.

3 Wegen (∗) gilt f(m) = (m− 1)! fur m ∈ N. Damit folgt:

− log(n− 2)! + log(n− 1)! ≤ log n!− log(n− 1)!

Kurzen und mit x multiplizieren liefert:

x log(n− 1) ≤ log f(x+ n)− log(n− 1)! ≤ x log n.

4 Wir addieren log(n− 1)! und wenden exp an:

(n− 1)x(n− 1)! ≤ f(x+ n) ≤ nx(n− 1)!.

Mit (∗) folgt hieraus nun

(n− 1)x(n− 1)!

x(x+ 1) · . . . · (x+ n− 1)≤ f(x) ≤ nx · n!

x(x+ 1) · . . . · (x+ n)· x+ n

n.

5 Da der mittlerer Term nicht von n abhangt, kann man auf der linken Seite n durch

-28-

Page 29: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

n+ 1 ersetzen:

nxn!

x(x+ 1) · . . . · (x+ n)≤ f(x) ≤ nxn!

x(x+ 1) · . . . · (x+ n)· x+ n

n︸ ︷︷ ︸→1 (n→∞)

.

Mithilfe der Gaußschen Formel folgt dann

f(x) = Γ(x), x ∈ (0, 1].

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nun wollen wir fur Re z > 0 eine Integraldarstellung herleiten.

Lemma 6.8.5. Es sei S := z ∈ C : a ≤ Re z ≤ A mit 0 < a < A <∞. Dann gelten:

a) Zu jedem ε > 0 existiert ein δ > 0, sodass fur alle z ∈ S und 0 < α < β < δ gilt:∣∣∣∣∣∣β∫α

e−ttz−1 dt

∣∣∣∣∣∣ < ε.

b) Zu jedem ε > 0 existiert ein κ > 0, sodass fur alle z ∈ S und β > α > κ gilt:∣∣∣∣∣∣β∫α

e−ttz−1 dt

∣∣∣∣∣∣ < ε.

Beweis.

a) 1 Fur t ∈ (0, 1] und z ∈ S gilt:

(Re z − 1) log t ≤ (α− 1) log t.

2 Da e−t ≤ 1 gilt, folgt |e−ttz−1| ≤ tRe z−1 ≤ tα−1.

3 Ist nun 0 < α < β < 1, so gilt fur z ∈ S:∣∣∣∣∣∣β∫α

e−ttz−1 dt

∣∣∣∣∣∣ ∆−UGL

≤β∫α

ta−1 dt =1

a(βa − αa) .

4 Wahle δ < 1 so klein, dass fur α < β < δ gilt:

1

a(βa − αa) < ε.

-29-

Page 30: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

Damit folgt die Behauptung.

b) 1 Fur t ≥ 1 und z ∈ S gilt |tz−1| ≤ tA−1.

2 Die Funktion t 7→ tA−1e−t/2 ist stetig auf [1,∞) und geht gegen 0 fur t→∞,

d.h. es existiert ein C > 0, sodass tA−1e−t/2 ≤ C. Somit folgt∣∣e−ttz−1∣∣ ≤ Ce−t/2.

3 Ist nun β > α > 1, so gilt fur z ∈ S:∣∣∣∣∣∣β∫α

e−ttz−1 dt

∣∣∣∣∣∣ ∆−UGL

≤ C

β∫α

e−t2

dt = 2C(e−α/2 − e−β/2

).

4 Jetzt wahle κ > 1, sodass 2C(e−α/2 − e−β/2

)< ε fur β > α > κ. Damit folgt

die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lemma 6.8.6. Es sei H = z ∈ C : Re z > 0. Fur n ∈ N definieren wir fn : H → Cdurch

fn(z) =

n∫1/n

e−ttz−1 dt.

Dann ist jedes fn holomorph in H und (fn) konvergiert lokal gleichmaßig gegen eine in Hholomorphe Funktion f .

Beweis.

1 Wie im Reellen68 zeigt man zunachst, dass jedes fn in z ∈ H komplex differenzier-

bar und daher holomorph in H ist.

2 Jetzt sei K ⊂ H kompakt. Dann existiert ein Streifen S wie im vorigen Lemma

mit K ⊂ S. Sind nun m,n ∈ N mit m > n, so gilt

fm(z)− fn(z) =

1/n∫1/m

e−ttz−1 dt+

m∫n

e−ttz−1 dt.

3 Aus dem vorigen Lemma und dem Cauchykriterium fur gleichmaßige Konvergenz

folgt dann die Behauptung.

68Stichwort: Parameterabhangiges Integral.

-30-

Page 31: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lemma 6.8.7. Es gelten:

a) Die Folge((

1 + zn

)n)konvergiert lokal gleichmaßig in C gegen ez.

b) Fur alle t ∈ [0,∞) und alle n ∈ N mit n ≥ A gilt:(1− t

n

)n≤ e−t.

Beweis.

a) 1 Es sei K ⊂ C kompakt und n so groß, dass |z| < n fur alle z ∈ K. Dann

genugt es zu zeigen, dass

limn→∞

n log(

1 +z

n

)= z

fur z ∈ K, wobei log der (wohldefinierte) Hauptzweig des komplexen Loga-

rithmus ist.

2 Die Potenzreihenentwicklung des Logarithmus lautet

log(1 + w) =∞∑k=1

(−1)k−1

k

zk

nk−1fur |w| < 1.

Hieraus folgt nun fur n > |z|

n log(

1 +z

n

)− z = −z

∞∑k=2

(−1)k

k

zk−1

nk−1. (∗)

3 Logarithmieren und Anwendung der Dreiecksungleichung liefert nun unter

Ausnutzung der geometrischen Reihe

∣∣∣n log(

1 +z

n

)− z∣∣∣ ≤ |z|2

n

1

1− |z|n

=|z2|

n− |z|≤ R2

n−R→ 0 (n→∞)

gleichmaßig auf K, wobei |z| ≤ R. Dies ist gerade die Behauptung.

b) Es sei t ≥ 0. Wir setzen nun z = −t in (∗) ein und erhalten:

n log

(1− t

n

)+ t = −t

∞∑k=2

1

k

(t

n

k−1)≤ 0.

Daraus folgt sofort die Behauptung.

-31-

Page 32: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nun konnen wir fur z ∈ H definieren:

f(z) =

∞∫0

e−ttz−1 dt. (6.39)

Die vorigen Ergebnisse zeigen, dass f holomorph in H ist. Wir wollen jetzt zeigen, dass

f(z) = Γ(z) fur z ∈ H gilt. Wegen des Identitatssatzes genugt es, dies fur x ∈ [1,∞) zu

zeigen.

Satz 6.8.8. Fur Re z > 0 gilt

Γ(z) =

∞∫0

e−ttz−1 dt. (6.40)

Beweis.

1 Es sei r ≥ 1 und ε > 0. Nach Lemma 6.8.5 b) konnen wir κ > 0 finden mit

r∫κ

e−ttx−1 dt <ε

4(∗)

fur alle r > κ. Nun sei n > κ und fn die Funktionen aus Lemma 6.8.6. Dann gilt:

fn(x)−n∫

0

(1− t

n

)ntx−1 dt = −

1/n∫0

(1− t

n

)ntx−1 dt+

n∫1/n

[e−t −

(1− t

n

)n]tx−1 dt.

2 Aus Lemma 6.8.7 b) und Lemma 6.8.5 a) folgt:

1/n∫0

(1− t

n

)ntx−1 dt ≤

1/n∫0

e−ttx−1 dt <ε

4(∗∗)

fur alle hinreichend großen n.

Teil a) des vorigen Lemmas impliziert fur alle hinreichend großen n:∣∣∣∣(1− t

n

)n− e−t

∣∣∣∣ ≤ ε

4Mκ

-32-

Page 33: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

fur t ∈ [0, κ], wobei M =∫ κ

0tx−1 und x fest ist. Dann gilt∣∣∣∣∣∣∣

κ∫1/n

[e−t −

(1− t

n

)n]tx−1 dt

∣∣∣∣∣∣∣ ≤ε

4. (∗ ∗ ∗)

3 Mit Lemma 6.8.7 b) und (∗) folgt fur n > κ:∣∣∣∣∣∣κ∫n

[e−t −

(1− t

n

)n]tx−1 dt

∣∣∣∣∣∣ ≤ 2

n∫κ

e−ttx−1 dt ≤ ε

2.

Kombinieren wir (∗∗) und (∗ ∗ ∗), so folgt∣∣∣∣∣∣fn(x)−n∫

0

(1− t

n

)ntx−1 dt

∣∣∣∣∣∣ < ε

fur n hinreichend groß. Somit folgt durch n-maliges partielles Integrieren:

limn→∞

[fn(x)− n!nx

x · (x+ 1) · . . . · (x+ n)

]= 0

und hieraus die Behauptung mittels der Gauß’schen Darstellung und Lemma 6.8.6.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiel 6.8.9. Fur z ∈ C \ Z gilt:

Γ(z) · Γ(1− z) =π

sin(πz). (6.41)

Beweis. Nachrechnen mittels Gaußscher Formel und dem Sinusprodukt.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Setzt man in obigem Beispiel speziell t = 12, so folgt Γ(1/2) =

√π. Aus der Funktional-

gleichung erhalt man sofort

Γ

(n+

1

2

)=

1 · 3 · 5 · . . . · (2n− 1)

2n√π (6.42)

Beispiel 6.8.10. Wegen Γ(1/2) =√π folgt durch Substitution aus der Integraldarstellung

unmittelbar∫∞

0e−t

2dt =

√π

2.

-33-

Page 34: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6.9 Die Riemannsche Zetafunktion

Fur z = x+ iy ∈ C und n ∈ N gilt

|nz| =∣∣ez logn

∣∣ = ex logn = nx.

Ist nun δ > 0 und x ≥ 1 + δ, so gilt fur n ∈ N:

n∑k=1

∣∣k−z∣∣ =n∑k=1

k−x ≤n∑k=1

k−(1+δ),

wobei die letzte Reihe konvergiert. Das heißt, z 7→∞∑n=1

1nz

ist in H1 := z ∈ C : Re(z) > 1

lokal gleichmaßig konvergent und stellt dort eine holomorphe Funktion dar.

Definition 6.9.1. Die Riemannsche Zetafunktion ist in H1 definiert durch

ζ(z) =∞∑n=1

1

nz. (6.43)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lemma 6.9.2.

a) Es sei Sr := z ∈ C : Re(z) ≥ a, wobei a > 1. Dann existiert zu jedem ε > 0 ein

δ ∈ (0, 1). sodass fur alle z ∈ Sr und δ > β > α gilt:∣∣∣∣∣∣β∫α

(et − 1

)−1tz−1 dt

∣∣∣∣∣∣ < ε ∀z ∈ Sr. (6.44)

b) Es sei Sl := z ∈ C : Re(z) ≤ A, wobei A ∈ R. Dann existiert zu jedem ε > 0 ein

κ > 1, sodass fur β > α > κ gilt:∣∣∣∣∣∣β∫α

(et − 1

)−1tz−1 dt

∣∣∣∣∣∣ < ε ∀z ∈ Sl. (6.45)

Beweis.

a) Fur t ≥ 0 und z ∈ Sr gilt:

et − 1 ≥ t.

Daher folgt fur 0 < t ≤ 1 und z ∈ Sr:∣∣∣(et − 1)−1

tz−1∣∣∣ ≤ ta−2.

-34-

Page 35: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

Wegen a > 1 existiert das Integral1∫0

ta−2 dt. Hieraus erhalt man die Behauptung.

b) Fur t ≥ 1 und z ∈ Sl erhalt man ahnlich wie im Beweis von Lemma 6.8.5 b) eine

Konstante C > 0, sodass∣∣∣(et − 1)−1

tz−1∣∣∣ ≤ (et − 1

)−1tA−1 ≤ Cet/2

(et − 1

)−1.

Da die Funktion t 7→ et/2 (et − 1)−1

auf [1,∞) integrierbar ist, finden wir ein κ > 1,

sodass die Behauptung gilt.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Folgerung 6.9.3.

a) Es sei Sb := z ∈ C : a ≤ Re(z) ≤ A, wobei 1 < a < A < ∞. Dann konvergiert

das Integral

∞∫0

(et − 1

)−1tz−1 dt

gleichmaßig in Sb.

b) Es sei Sl := z ∈ C : Re(z) ≤ A, A ∈ R. Dann konvergiert das Integral

∞∫1

(et − 1

)−1tz−1 dt

gleichmaßig in Sl.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 6.9.4. Fur Re(z) > 1 gilt

ζ(z)Γ(z) =

∞∫0

(et − 1

)−1tz−1 dt. (6.46)

Beweis.

1 Aufgrund von Folgerung 6.9.3 stellt das Integral auf der rechten Seite eine holomor-

phe Funktion in H1 dar. Daher genugt es wieder, obige Formel fur z = x ∈ (1,∞)

zu zeigen.

-35-

Page 36: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

2 Nach Lemma 6.9.2 existieren Zahlen α, β mit 0 < α < β <∞, sodass

α∫0

(et − 1

)−1tx−1 dt <

ε

4und

∞∫β

(et − 1

)−1tx−1 dt <

ε

4.

Wegen∞∑k=1

e−kt = (et − 1)−1

folgt

∞∑n=1

α∫0

e−nttx−1 dt <ε

4und

∞∑n=1

∞∫β

e−nttx−1 dt <ε

4.

3 Aufgrund der Integraldarstellung der Γ-Funktion gilt fur Re(z) < 0 sofort

Γ(z) =

∞∫0

e−ttz−1 dt.

Substituiere nun t = nu, dt = n du. Dies ergibt:

Γ(z) = nz−1

∞∫0

e−nuuz−1 · n du = nz ·∞∫

0

e−nuuz−1 du.

Somit ergibt sich

n−zΓ(z) =

∞∫0

e−nuuz−1 du, Re(z) > 0.

4 Fur Re(z) > 1 konnen wir aufsummieren:

ζ(z)Γ(z) =∞∑n=1

∞∫0

e−nuuz−1 du.

Hiermit folgt:∣∣∣∣∣∣ζ(x)Γ(x)−∞∫

0

(et − 1

)−1tx−1 dt

∣∣∣∣∣∣ ≤ ε

2+

∣∣∣∣∣∣∞∑n=1

β∫α

e−nttx−1 dt−β∫α

(et − 1

)−1tx−1 dt

∣∣∣∣∣∣ .Aufgrund der gleichmaßigen Konvergenz der Reihe ist der hintere Betrag 0 und

somit folgt die Behauptung.

-36-

Page 37: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mit diesem Ergebnis wollen wir jetzt die ζ-Funktion in die Halbebene H−1 analytisch

fortsetzen, vielleicht sogar nach ganz C.

Satz 6.9.5. Die Riemannsche Zetafunktion kann zu einer in C meromorphen Funktion

fortgesetzt werden. Dabei ist z = 1 die einzige Polstelle mit Residuum

Res(ζ, 1) = 1. (6.47)

Fur z 6= 1 gilt die Funktionalgleichung

ζ(z) = 2 · (2π)z−1Γ(1− z)ζ(1− z) sinπz

2. (6.48)

Beweis.

1 Zunachst setzen wir ζ in die Halbebene H−1 fort. Dazu betrachten wir die Lau-

rententwicklung von z 7→ (ez − 1)−1 um 0, d.h.

1

ez − 1=

1

z− 1

2+∞∑k=1

anzn

mit gewissen Koeffizienten an ∈ C. Daher ist[(ez − 1)−1 − 1

z

]aufgrund des Rie-

mannschen Hebbarkeitssatzes (vgl. Funktionentheorie I, Folgerung 3.2.4 ) in einer

Umgebung von 0 beschrankt. Daher ist

1∫0

(1

et − 1− 1

t

)tz−1 dt

lokal gleichmaßig konvergent in der rechten Halbebene H und stellt dort eine ho-

lomorphe Funktion dar.

2 Hiermit ergibt sich nun

ζ(z)Γ(z) =

1∫0

(1

et − 1− 1

t

)tz−1 dt+

1

z − 1+

∞∫1

tz−1

et − 1dt. (∗)

Die drei Terme auf der rechten Seite sind dabei bis auf den mittleren holomorph

in H. Also konnen wir mit dieser Formel ζ in H \ 1 definieren, indem wir durch

Γ(z) dividieren. Damit ist ζ meromorph in H mit Pol in z = 1 und Res(ζ, 1) = 1.

-37-

Page 38: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

3 Nun sei 0 < Re(z) < 1. Dann gilt

1

z − 1= −

∞∫1

tz−2 dt.

Mit Hilfe von (∗) folgt nun

ζ(z)Γ(z) =

∞∫0

(1

et − 1− 1

t

)tz−1 dt. (∗∗)

Betrachten wir wieder die obige Laurententwicklung, so sehen wir, dass es eine

Konstante c > 0 gibt mit[(et − 1)−1 − 1

t+ 1

2

]≤ ct fur t ∈ [0, 1]. Somit konvergiert

1∫0

[(et − 1)−1 − 1

t+

1

2

]tz−1 dt

lokal gleichmaßig in H−1 und stellt dort eine homolomorphe Funktion dar.

4 Wegen limt→∞

t(

1et−1− 1

t

)= −1 existiert eine Konstante c′ > 0 mit

∣∣ 1et−1− 1

t

∣∣ ≤ c′

t

fur t ≥ 1. Somit ist

∞∫1

(1

et − 1− 1

t

)tz−1 dt

lokal gleichmaßig konvergent fur Re(z) < 1. Benutzen wir diese beiden Integrale

zusammen mit (∗∗), so folgt:

ζ(z)Γ(z) =

1∫0

(1

et − 1− 1

t+

1

2

)dt− 1

2z+

∞∫1

(1

et − 1− 1

t

)tz−1 dt. (∗ ∗ ∗)

Durch diese Gleichung konnen wir jetzt ζ durch (∗ ∗ ∗) im Streifen

z ∈ C : − 1 ≤ Re(z) < 1

definieren, indem wir durch Γ(z) dividieren.

5 Bleibt die Holomorphie in z = 0 zu klaren.

Wegen 12zΓ(z)

= 12Γ(z+1)

und der Holomorphie dieser Funktion in z = 0 folgt dies

aber sofort.

Zwischenstand: Wir haben bisher ζ meromorph nach H−1 mit einem Pol in z = 1 fortge-

setzt. Nun setzen wir auf ganz C fort und leiten die Funktionalgleichung her.

-38-

Page 39: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

6 Nun sei −1 < Re(z) < 1. Dann gilt

−1

z=

∞∫1

tz−1 dt.

Mit Hilfe von (∗ ∗ ∗) folgt dann:

ζ(z)Γ(z) =

∞∫0

(1

et − 1− 1

t+

1

2

)tz−1 dt (∗4)

fur −1 < Re(z) < 1.

7 Mittels Eulerscher Formel, der Definition des komplexen Sinus und der Partial-

bruchzerlegung des Kotangens in (6.33) rechnet man nach:

1

et − 1+

1

2=

i

2cot

1

2it =

i

(2

it− 4it

∞∑n=1

1

t2 + 4n2π2

).

Setzen wir dies in (∗4) ein, so folgt fur −1 < Re(z) < 1:

ζ(z)Γ(z) = 2 ·∞∫

0

(∞∑n=1

1

t2 + 4n2π2

)t2 dt

= 2 ·∞∑n=1

∞∫0

tz

t2 + 4n2π2dt

= 2 ·∞∑n=1

(2πn)z−1

∞∫0

tz

t2 + 1dt

= 2 · (2π)z−1ζ(1− z) ·∞∫

0

tz

t2 + 1dt.

8 Weiter folgt69:

∞∫0

tx

t2 + 1dt

s=t2=

1

2·∞∫

0

s(x−1)/2

s+ 1ds =

π

2 sin(π(1− x)/2)=

π

2 cos πx2

.

Weiterhin wissen wir:

1

Γ(x)=

Γ(1− x)

πsinπx =

Γ(1− x)

π·[2 sin

πx

2cos

πx

2

].

69Fur Details der Rechnung siehe Conway, Ex. V 2.12, pp. 119-120.

-39-

Page 40: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

9 Kombinieren wir die letzten drei Formeln, so folgt fur −1 < Re(z) < 1 die Funk-

tionalgleichung (6.48), wobei wir vom Identitatssatz Gebrauch gemacht haben.

10 Da die rechte Seite in der linken Halbebene holomorph ist, konnen wir die ζ-

Funktion in diese Halbebene fortsetzen und die Behauptung folgt.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nullstellen der ζ-Funktion:

Da Γ(1− z) Pole in z = 1, 2, 3, 4, . . . hat und ζ holomorph in z = 2, 3, 4, . . . ist, folgt aus

der Riemannschen Funktionalgleichung:

ζ(1− z) sinπz

2= 0 (6.49)

fur z = 2, 3, 4, . . ..

Da die Pole von Γ alle einfach sind, mussen diese Nullstellen auch einfach sein. Da sin πz2

=

0 in allen geraden ganzen Zahlen, ist ζ(1− z) = 0 fur z = 3, 5, 7, . . .. Somit folgt ζ(z) = 0

fur z = −2,−4,−6, . . ..

Ahnliche Uberlegungen liefern, dass ζ außerhalb des abgeschlossenen Streifens

z ∈ C : 0 ≤ Re(z) ≤ 1 (6.50)

keine weiteren Nullstellen hat.

Definition 6.9.6. Die Nullstellen −2,−4,−6, . . . der ζ-Funktion heißen die trivialen

Nullstellen. Der in (6.50) erwahnte Streifen heißt kritischer Streifen.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Riemannsche Vermutung:

Ist z eine Nullstelle von ζ im kritischen Streifen, so gilt Re(z) = 12.

Diese Vermutung ist bis heute ungelost. Ware sie richtig, so hatte dies weitreichende Kon-

sequenzen in der analytischen Zahlentheorie.

Zum Abschluss dieses Kapitels wollen wir nun eine wichtige Verbindung zwischen Zah-

lentheorie und Funktionentheorie kennenlernen.

Satz 6.9.7 (Satz von Euler). Fur Re(z) > 1 gilt:

ζ(z) =∞∏n=1

1

1− p−zn, (6.51)

wobei (pn) die Folge der Primzahlen ist.

-40-

Page 41: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen

Beweis. Aus der geometrischen Reihe folgt fur n ∈ N:

1

1− p−zn=

∞∑m=0

p−mzn .

Somit ergibt sich

n∏k=1

1

1− p−zn=∞∑j=1

n−zj ,

wobei uber alle naturlichen Zahlen nj summiert wir, die Produkt der Primzahlen p1, . . . , pn

sind. Grenzubergang n→∞ liefert dann die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Herleitung der Eulerschen Formeln fur ζ(2k), k ∈ N:

Betrachte die Laurententwicklung

π cotπz =1

z−∞∑k=1

(−1)k+1(2π)2k · 1

(2k)!·B2kz

2k−1 (∗)

fur 0 < |z| < 1. Bk sind die sogenannten Bernoullizahlen:

Bk ∈ Q, B0 = 1, B2k+1 = 0, B2k hat alternierendes Vorzeichen und es gilt:(n

0

)B0 +

(n

1

)B1 +

(n

2

)B2 + . . .+

(n

n− 1

)Bn−1 = 0.

Zum Beispiel: B2 = 16, B4 = − 1

30, B6 = 1

42, . . .

Weiterhin bestimmen wir die Laurententwicklung der rechten Seite von (6.33):

π cotπz =1

z− 2z

∞∑n=1

1

n2

1

1− z2

n2

=1

z− 2

∞∑n=1

∞∑k=0

z2k+1

n2(k+1)=

1

z− 2

∞∑k=1

(∞∑n=1

1

n2k

)z2k−1

fur 0 < |z| < 1. Ein Koeffizientenvergleich mit (∗) liefert nun

ζ(2k) = (−1)k−1 (2π)2k

2 · (2k)!·B2k, k ∈ N. (6.52)

Diese Formeln kannte bereits Euler 1734. Speziell ergibt sich:

ζ(2) =π2

6, ζ(4) =

π4

90, ζ(6) =

π6

945, . . . .

-41-

Page 42: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

7 Ganze Funktionen

7 Ganze Funktionen

Wir knupfen an den Weierstraßschen Faktorisierungssatz an:

f(z) = eg(z)∞∏n=1

Epn

(z

zn

). (7.1)

Im Allgemeinen kann man uber g bzw. pn fast nichts sagen.

Frage: Gibt es Bedingungen an f , sodass man genauere Aussagen uber g und pn treffen

kann?

Es stellt sich heraus, dass es nutzlich ist, einen Zusammenhang zwischen dem Wachstum

von f und den Nullstellen – genauer der Anzahl der Nullstellen – von f herzustellen. Als

Hilfsmittel dient dazu die sogenannte Jensensche Formel. Zu deren Beweis benotigen wir

einige weiter Eigenschaften uber harmonische Funktionen.

Inhalt des Kapitels

7.1 Harmonische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

-42-

Page 43: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

7 Ganze Funktionen

7.1 Harmonische Funktionen

Wir wissen, dass Real- und Imaginarteil holomorpher Funktionen harmonisch sind und

umgekehrt lokal jede harmonische Funktion Realteil einer holomorphen Funktion ist.

Nutzlich ist noch folgende Eigenschaft:

Sind D,G Gebiete, u harmonisch in G, f holomorph in D mit f(D) ⊂ G, so ist u fharmonisch in D.70

Satz 7.1.1 (Mittelwerteigenschaft). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, u : D → R harmonisch,

z0 ∈ D, r > 0 mit Ur(z0) ⊂ D. Dann gilt:

u(z0) =1

2π∫0

u(z0 + reit) dt. (7.2)

Beweis. Es gilt u = Re(f) mit einer in Ur+δ(z0) holomorphen Funktion f . Anwenden

der Mittelpunktformel fur f und anschließende Realteilbildung liefert die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 7.1.2 (Maximumprinzip, 1. Version). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, u harmonisch in D

und u habe in z0 ∈ D ein globales Maximum. Dann ist u konstant.71

Beweis.

1 Es sei A := z ∈ D : u(z) = u(z0). Da u stetig ist, ist A abgeschlossen und wegen

z0 ∈ A ist A 6= ∅. Wir zeigen nun, dass A auch offen ist, denn dann folgt aufgrund

des Zusammenhangs von D sofort A = D und wir sind fertig.

2 Sei ζ ∈ A und r > 0 mmit Ur(ζ) ⊂ D. Dies ist immer moglich, da D als Gebiet

offen ist. Wir zeigen nun Ur(ζ) ⊂ A.

Annahme: ∃z1 ∈ Ur(ζ) : u(z1) < u(z0) = u(ζ).

Aus Stetigkeitsgrunden gilt u(z) < u(z0) = u(ζ) fur alle z in einer Umgebung U

von z1. Wir schreiben nun z1 = ζ+ρeiα mit ρ = |z1 − ζ|. Die Mittelwerteigenschaft

7.1.1 liefert nun:

u(ζ) =1

2π∫0

u(ζ + ρeit) dt < u(ζ)

wegen u(z) < u(ζ).

70Dies nennt man auch holomorphe Substitution.71Fur ein analoges Minimumprinzip betrachte einfach −u.

-43-

Page 44: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

7 Ganze Funktionen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung: Wir haben im Beweis nur benutzt, dass u stetig ist und die Mittelwerteigen-

schaft erfullt.

Satz 7.1.3 (Maximumprinzip, 2. Version). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, u harmonisch in D

und es existiert eine Konstante M ∈ R mit lim supz→ζ

u(z) ≤M fur alle ζ ∈ ∂D und ζ =∞,

falls D unbeschrankt.72 Dann ist u konstant oder u(z) < M fur alle z ∈ D.

Beweis. Es sei u nicht-konstant. Nach Voraussetzung ist m := sup u(z) : z ∈ D <∞.

Dann existiert eine Folge (zn) in D mit u(zn) → m (n → ∞). Nun besitzt (zn) eine

Teilfolge (znk) mit znk → ζ (k → ∞), wobei ζ ∈ D oder ζ = ∞ gilt. Nach der ersten

Version des Maximumprinzips gilt ζ ∈ ∂D oder ζ =∞. Somit folgt m = limk→∞

u(znk) ≤M ,

also u(z) < m ≤M fur z ∈ D. Hieraus folgt die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wir wollen jetzt ein Analogon zur Cauchy-Integralformel herleiten. Fur z, ζ ∈ C mit z 6= ζ

setzen wir

P (ζ, z) = Reζ + z

ζ − z=|ζ|2 − |z|2

|ζ − z|2. (7.3)

P heißt Poissonkern. Fur festes ζ ist P harmonisch in C \ ζ. Ist speziell ζ = eiϑ, so

ist P (ζ, ·) harmonisch in D und P (ζ, z) > 0. Fur z = reit schreibt sich P wie folgt:

P (ζ, z) =1− r2

1− 2r cos(ϑ− t) + r2=

1− r2

(1− r)2 + 4r sin2(ϑ−t

2

) (7.4)

Motivation:

Es sei D ⊂ C ein Gebiet und g : ∂D → R eine stetige Funktion. Gesucht ist u : D → Cstetig, harmonisch in D und u |∂D= g. Dies ist das sogenannte Dirichletproblem.

Ist D beschrankt, so existiert hochstens eine Losung. Dies folgt leicht aus dem Maximum-

prinzip.

Ist D unbeschrankt, so kann es mehrere Losungen geben, aber nur eine beschrankte.

Wir lernen nun die sogenannte Poisson-Integralgleichung kennen.

Satz 7.1.4. Es sei u harmonisch in U1+δ(0) fur ein δ > 0. Dann gilt fur z ∈ D:

u(z) =1

2π∫0

P (eiϑ, z)u(eiϑ) dϑ. (7.5)

Fur z = 0 ist dies die Mittelwerteigenschaft.

72Hier betrachten wir den Rand auf C, also ζ ∈ ∂∞D.

-44-

Page 45: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

7 Ganze Funktionen

Beweis.

1 Fur a ∈ D ist z 7→ z+a1+az

konforme Abbildung von D auf sich, die auch ∂D bijek-

tiv auf ∂D abbildet. Definiere dazu U(z) = u(z+a1+az

). Somit ist U harmonisch in

U1+δ′(0) mit δ′ > 0.

2 Anwenden der Mittelwerteigenschaft fuhrt zu folgender Rechnung:

u(a) = U(0) =1

2π∫0

U(eiϑ) dϑ

=1

2π∫0

u

(eiϑ + a

1 + aeiϑ

)dϑ

=1

2π∫0

u(eiϕ(ϑ)

)dϑ.

Hierbei ist eiϕ(ϑ) = eiϑ+a1+aeiϑ

, also eiϑ = eiϕ(ϑ)−a1−aeiϕ(ϑ) .

3 Hiermit ergibt sich durch einfaches Nachrechnen

ieiϑ dϑ = ieiϕ(ϑ) 1− |a|2

(1− aeiϕ(ϑ))2

Einsetzen von eiϑ ergibt nun

dϑ = P(eiϕ, a

)dϕ

und somit schlussendlich

u(a) =1

2π∫0

P(eiϕ, a

)u(eiϕ)dϕ.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung: Wenden wir die Poisson-Formel mit u ≡ 1 an, so folgt

1

2π∫0

P(eiϕ, a

)dϕ = 1. (7.6)

Jetzt losen wir das Dirichletproblem fur den Spezialfall D = D.

-45-

Page 46: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

7 Ganze Funktionen

Satz 7.1.5. Es sei h : ∂D→ R stetig.

Dann lost

u(z) =1

2π∫0

P (eiϑ, z)h(eiϑ) dϑ, z ∈ D, (7.7)

das Dirichletproblem fur D mit Randfunktion h.

Beweis.

1 Schreibe P (eiϑ, z) = 1−x2−y2(x−cosϑ)2+(y−sinϑ)2

. Dann folgt durch Nachrechnen, dass P (eiϑ, ·)harmonisch in D ist, folglich ist auch u harmonisch in D.

Es bleibt also noch zu zeigen, dass limz→eiϑ

u(z) = h(eiϑ). Hierbei genugt es, dies fur eiϑ = 1

durchzufuhren.

2 Sei nun ε > 0. Da h stetig in z = 1 ist, existiert ein δ > 0 mit∣∣h(eiϑ)− h(1)

∣∣ < ε fur

alle |ϑ| < δ. Da h beschrankt ist, existiert eine Konstante M > 0 mit∣∣h(eiϑ)

∣∣ ≤M

fur alle ϑ. Aus (7.6) folgt nun

u(z)− h(1) =1

2π∫0

P (eiϑ, z)[h(eiϑ)− h(1)

]dϑ.

Wir setzen nun u1(z) = 12π

δ∫−δP (eiϑ, z)

[h(eiϑ)− h(1)

]dϑ und

u2(z) = 12π

2π−δ∫δ

P (eiϑ, z)[h(eiϑ)− h(1)

]dϑ.

3 Wir schatzen zunachst u1 ab:

|u1(z)| ≤ 1

δ∫−δ

P (eiϑ, z)∣∣h(eiϑ)− h(1)

∣∣︸ ︷︷ ︸<ε

dϑ < ε.

4 Zur Abschatzung von u2 schatzen wir wie folgt73 die Sinusfunktion nach unten ab:

Wir schreiben

P (eiϑ, z) =1− r2

(1− r)2 + 4r sin2(ϑ−t

2

) ≤ 1− r2

4r sin2(δ4

) ≤ π2(1− r2)

rδ2.

Fur r hinreichend nache bei 1 folgt nun

|u2(z)| ≤ 2Mπ2(1− r2)

rδ2< ε.

73Der Sinus wird nach unten durch die Sehne abgeschatzt.

-46-

Page 47: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

7 Ganze Funktionen

5 Wegen u(z)− h(1) = u1(z) + u2(z) folgt aus 3 und 4 sofort die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Als Folgerung erhalten wir

Satz 7.1.6 (Satz von Schwarz ). Es sei f ∈ H(D), u = Re(f), v = Im(f) und u ∈ C0(D).

Dann gilt:

f(z) =1

2π∫0

eiϑ + z

eiϑ − zu(eiϑ) dϑ+ i · v(0). (7.8)

Beweis.

1 Wir definieren F : D→ C durch

F (z) =1

2π∫0

eiϑ + z

eiϑ − zu(eiϑ) dϑ, z ∈ D.

Dann ist F ∈ H(D) und wegen der Poisson-Integralformel gilt Re(f) = u auf D.

2 Somit ist Re(F − f) = 0 und somit F − f konstant und rein imaginar. Somit muss

gelten:

c := i · Im(F (0)− f(0)) = −iv(0).

Daraus folgt die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 7.1.7. Es sei u stetig im Gebiet D ⊂ C. Dann gilt:

u ist harmonisch in D genau dann, wenn fur jedes z0 ∈ D und r > 0 mit Ur(z0) ⊂ D gilt:

u(z0) =1

2π·

2π∫0

u(z0 + reit) dt. (7.9)

Beweis.

”⇒“: Dies folgt sofort aus Satz 7.1.1.

”⇐“: Es seien z0 ∈ D, r > 0 und Ur(z0) ⊂ D.

-47-

Page 48: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

7 Ganze Funktionen

1 Sei nun U die Losung des Dirichletproblems fur Ur(z0) mit Randfunktion u.

Dann gilt U = u auf ∂Ur(z0). Somit erfullen U −u und u−U die Mittelwer-

teigenschaft.

2 Da wir im Beweis des Maximumprinzips nur die Mittelwerteigenschaft be-

nutzt haben, konnen wir dieses auf U − u und u− U anwenden. Dies ergibt

U − u ≤ 0 und u− U ≤ 0,

also U = u in Ur(z0).

3 Da u Losung des Dirichletproblems ist, ist U harmonisch auf Ur(z0). Damit

ist u harmonisch auf Ur(z0).

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rest von Kapitel 7 folgt.

-48-

Page 49: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

8 Normale Familien und Anwendungen

Inhalt des Kapitels

8.1 Gleichgradig stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508.2 Normale Familien holomorpher Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 548.3 Der Satz von Montel und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . 588.4 Normale Familien meromorpher Funktionen . . . . . . . . . . . . . 648.5 Die Picardschen Satze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

-49-

Page 50: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

8.1 Gleichgradig stetige Funktionen

Definition 8.1.1. Es seien (X, d) und (Y, ρ) metrische Raume und F 6= ∅ eine Familie

von Funktionen f : X → Y . F heißt gleichgradig stetig in x0 ∈ X, wenn es zu jedem

ε > 0 ein δ = δ(ε, x0) gibt, sodass fur alle x ∈ Uδ(x0) und alle f ∈ F gilt:

ρ(f(x), f(y)) < ε. (8.1)

Beachte: δ darf von x0, aber nicht von f abhangen.

F heißt gleichgradig stetig auf X, wenn f in jedem x0 ∈ X gleichgradig stetig ist.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 8.1.2. Es seien (X, d) und (Y, ρ) metrische Raume, K ⊂ X kompakt und F eine

Familie von Funktionen f : X → Y , die auf K gleichgradig stetig ist.

Dann existiert zu jedem ε > 0 ein δ = δ(ε,K) > 074, sodass fur alle x, x′ ∈ K mit

d(x, x′) < δ und alle f ∈ F gilt:

ρ(f(x), f(x′)) < ε. (8.2)

Beweis.

1 Es sei ε > 0. Da F auf K gleichgradig stetig ist, existiert zu jedem x0 ∈ K ein

δ = δ(x0), sodass fur alle x ∈ Uδ(x0) und alle f ∈ F gilt:

ρρ(f(x), f(x0)) <ε

2.

Dann ist Uδ(x0) : x0 ∈ K eine offene Uberdeckung von K.

2 Da K kompakt ist, reichen endlich viele solcher Kreisscheiben zur Uberdeckung

aus. Ohne Einschrankung seien dies Uδ1(x1), . . . , Uδm(xm) mit x1, . . . , xm ∈ K.

Setze

δ :=1

2· minj=1,...,m

δj > 0.

3 Nun seien x, x′ ∈ K mit d(x, x′) < δ. Dann existiert ein j ∈ 1, . . . ,m mit

x ∈ Uδ(xj). Damit folgt

d(x′, xj) ≤ d(x′, x) + d(x, xj) < δ +1

2δj ≤ δj.

74δ hangt nur von ε und K ab, aber nicht vom einzelnen Punkt, d.h. f ist gleichmaßig gleichgradig stetig.

-50-

Page 51: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

Somit ist x′ ∈ Uδ(xj) und somit

ρ(f(x), f(x′)) ≤ ρ(f(x), f(xj)) + ρ(f(xj), f(x′)) <ε

2+ε

2= ε.

Dies ist die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 8.1.3. Es seien (X, d) und (Y, ρ) metrische Raume und (fn) eine Folge stetiger Funk-

tionen fn : X → Y , die auf X gleichmaßig gegen eine Funktion f : X → Y konvergiert.

Dann ist f stetig auf X und F := fn : n ∈ N ist gleichgradig stetig auf X.

Beweis.

1 Es sei x0 ∈ X und ε > 0. Da fn → f gleichmaßig auf X gilt, existiert ein N ∈ Nmit ρ(fn(x), f(x)) < ε

3fur alle n > N und alle x ∈ X.

2 Da fn stetig in x0 ist, existiert ein δn > 0 mit ρ(fn(x), fn(x0)) < ε3

fur alle x ∈Uδn(x0).

3 Aus Analysis I/II ist bekannt, dass f stetig in x0 ist. D.h. ex existiert ein δ′ > 0

mit ρ(f(x), f(x0)) < ε3.

4 Setze nun δ := min δ′, δ1, . . . , δN. Es sei zudem x ∈ Uδ(x0) und n ∈ N.

Ist n ≤ N , so folgt ρ(fn(x), fn(x0)) < ε.

Ist n > N , so folgt

ρ(fn(x), fn(x0)) ≤ ρ(fn(x), f(x)) + ρ(f(x), f(x0)) + ρ(f(x0), fn(x0)) < ε

Dies ist die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Frage: Gibt es eine Art Umkehrung von Satz 8.1.3?

Antwort: Nein! Beispiel hierfur ist die Funktion fn(z) = z + n. Dann ist fn : n ∈ Ngleichgradig stetig auf C, aber nirgends konvergent.

Aber: Unter Zusatzvoraussetzungen gibt es eine Umkehrung. Dazu zunachst eine Vorbe-

reitung.

Lemma 8.1.4. Es seien (X, d) und (Y, ρ) metrische Raume und Y vollstandig, K ⊂ X

kompakt, (fn) eine Folge von Funktionen, fn : X → Y , die gleichgradig stetig ist und (fn)

konvergiere auf einer dichten Teilmenge A von K.

Dann ist fn gleichmaßig konvergent auf K.

-51-

Page 52: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

Beweis.

1 Aufgrund des Cauchykriteriums zeigen wir:

Zu jedem ε > 0 gibt es ein N = N(ε) mit ρ(fm(x), fn(x)) < ε fur alle m,n ≥ N

und alle x ∈ K.

2 Es sei nun also ε > 0. Da (fn) gleichgradig stetig auf K ist, wahlen wir δ =

δ(ε,K) > 0 wie im Beweis von Satz 8.1.2 und uberdecken K mit endlich vielen

offenen Kreisscheiben Uδ(x1), . . . , Uδ(xk), wobei x1, . . . , xk ∈ K.

3 Da A dicht in K ist, gibt es zu jedem j ∈ 1, . . . , k ein aj ∈ A, sodass d(aj, xj) < δ

ist. Da ferner (fn) aufA konvergent ist, gibt es nun einN ∈ N mit ρ(fm(aj), fn(aj)) <ε5

fur alle m,n ≥ N und j = 1, . . . , k.

4 Nun sei x ∈ K. Dann existiert ein j ∈ 1, . . . , k mit d(x, xj) < δ. Damit gilt:

ρ(fm(x), fn(x)) ≤ ρ(fm(x), fm(xj))︸ ︷︷ ︸< ε

3

+ρ(fm(xj), fn(xj)) + ρ(fn(xj), fn(x))︸ ︷︷ ︸< ε

3

<2

5ε+ ρ(fm(xj), fm(aj))︸ ︷︷ ︸

< ε5

+ ρ(fm(aj), fn(aj))︸ ︷︷ ︸< ε

5

+ ρ(fn(aj), fn(xj))︸ ︷︷ ︸< ε

5

<2

5ε+

3

5ε = ε.

Damit folgt die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 8.1.5 (Satz von Arzela-Ascoli). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, (Y, ρ) ein vollstandiger

metrischer Raum und (fn) eine Folge von Funktionen fn : D → Y , die gleichgradig stetig

auf D ist. Weiterhin sei fur jedes z ∈ D die Menge fn(z) : n ∈ N relativ kompakt75 in

Y .

Dann besitzt (fn) eine Teilfolge (fnk), die lokal gleichmaßig in D gegen eine Funktion

f ∈ C(D, Y ) konvergiert.

Beweis.

1 Aus Analysis I/II ist bekannt, dass in einem metrischen Raum die Begriffe kompakt

und folgenkompakt aquivalent sind.

2 Es sei nun z0 ∈ D und r > 0 mit K := Ur(z0) ⊂ D. Wir wahlen nun eine abzahlbare

dichte Teilmenge A := zn : n ∈ N von D76. Dann ist nach Voraussetzung die

Menge fn(z1) : n ∈ N relativ kompakt in Y .

75Eine Menge A ⊂ X heißt relativ kompakt in X, falls A kompakt in X ist.76Zum Beispiel A = Q[i] ∩D.

-52-

Page 53: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

3 Daher gibt es eine Teilfolge (f(1)nk ) von (fn), die in z1 konvergiert. Daher ist Men-

gef

(1)nk (z2) : n ∈ N

ebenfalls relativ kompakt in Y . Folglich besitzt (f

(1)nk ) eine

Teilfolge (f(2)nk ), die in z1 und z2 konvergiert.

4 So konnen wir induktiv Teilfolgen (f(p)nk ) von (fn) erhalten, die in z1, . . . , zp konver-

gieren. Dann konvergiert die Diagonalfolge (f(k)nk ) auf A.

5 Da B := A ∩K dicht in K liegt, konnen wir Lemma 8.1.4 anwenden und erhalten

daraus die gleichmaßige Konvergenz der Folge (f(k)nk ) auf K.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Ist Y = C mit der ublichen Metrik, so genugt die Voraussetzung, dass (fn) punktweise

beschrankt ist, d.h. zu jedem z ∈ D existiert eine Konstante Mz > 0 mit |fn(z)| ≤ Mz

fur alle n ∈ N. Dies folgt sofort aus dem Satz von Heine-Borel.

-53-

Page 54: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

8.2 Normale Familien holomorpher Funktionen

Definition 8.2.1. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F eine Familie holomorpher Funktionen

f : D → C. F heißt normal in D, wenn jede Folge (fn) in F eine Teilfolge (fnk) besitzt,

die lokal gleichmaßig in D gegen eine Funktion f : D → C konvergiert. F heißt normal

in z0 ∈ D, wenn F in einer Umgebung von z0 normal ist.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Es folgt dann f ∈ H(D), aber nicht notwendig f ∈ F . Dies ist in der Definition auch

nicht verlangt.

Die Definition ist fur die praktische Uberprufung der Normalitat nicht geeignet. Daher

ist eine aquivalente Umformulierung gesucht. Vorher noch zwei Beispiele.

Beispiele:

1) Wir betrachten F := fn : n ∈ N mit fn(z) = nz und D = C. Dann gilt fn(0) = 0,

aber |fn(z)| → ∞ (n→∞) fur z 6= 0. Daher ist F in keinem Punkt normal.

2) Wir betrachten F := fn : n ∈ N mit fn(z) = zn und D = C. Dann gilt fn →0 (n→∞) lokal gleichmaßig in D, also ist F normal in D. Aber wegen |fn(z0)| →∞ (n→∞) fur |z0| > 1 ist F in keinem Punkt z0 ∈ C \ D normal.

Nun zeigen wir, dass Normalitat eine lokale Eigenschaft ist.

Satz 8.2.2. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F ⊂ H(D). Dann gilt:

F ist normal in D. ⇔ F ist in jedem Punkt z0 ∈ D normal.

Beweis.

”⇒“: Klar.

”⇐“: Es sei F in jedem z0 ∈ D normal.

1 Sei nun A := zn : n ∈ N eine abzahlbar dichte Teilmenge von D. Fur jedes

n ∈ N sei rn > 0 die großte Zahl, sodass Urn(zn) ⊂ D und F normal in

Urn(zn).

Behauptung:⋃n∈N

Urn/2(zn) = D.

”⊂“: Klar.

”⊃“: Es sei ζ ∈ D. Dann existiert ein r > 0, sodass F in Ur(ζ) normal ist. Da

A dicht in D liegt, existiert ein n ∈ N mit zn ∈ Ur/4(ζ). Da rn maximal

gewahlt wurde, folgt

rn ≥3

4r ⇒ rn

2≥ 3

8r >

r

4.

Also ist ζ ∈ Urn/2(zn). ♦

-54-

Page 55: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

2 Nun sei (fk) eine Folge in F . Mit dem Cantorschen Diagonalverfahren (wie

im Beweis von Satz 8.1.5) findet man eine Teilfolge (fnk) von (fk), die in

jeder Kreisscheibe Urn/2(zn) gleichmaßig konvergiert.

3 Ist nun K ⊂ D kompakt, so istUrn/2(zn) : n ∈ N

eine offene Uberdeckung

von K, also reichen endlich viele zur Uberdeckung aus. Somit ist (fnk)

gleichmaßig konvergent auf K, woraus die Behauptung folgt.

Fur das angekundigte Normalitatskriterium benotigen wir folgenden Begriff.

Definition 8.2.3. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F eine Familie in H(D). F heißt lokal

beschrankt in D, wenn es zu jedem z0 ∈ D ein r = r(z0) > 0 und ein M = M(z0) > 0

gibt, sodass Ur(z0) ⊂ D und |f(z)| ≤M fur alle z ∈ Ur(z0) und alle f ∈ F .

D.h., r und M konnen von z0 abhangen, aber nicht von f ∈ F . Ist M auch unabhangig

von z0, so heißt F gleichmaßig beschrankt in D.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung 8.2.4. Aus der Definition folgt leicht:

F ist lokal beschrankt in D.⇔ F ist auf jeder kompakten Teilmenge K ⊂ D gleichmaßig

beschrankt.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 8.2.5. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F lokal beschrankt in D.

Dann ist auch die Familie F ′ := f ′ : f ∈ F lokal beschrankt in D.

Beweis. Es sei z0 ∈ D. Wir wahlen nun r > 0 und M > 0 mit Ur(z0) ⊂ D und

|f(z)| ≤ M fur alle z ∈ Ur(z0) und f ∈ F . Dann gilt fur z ∈ Ur/2(z0) wegen der

Cauchyschen Integralformel

|f ′(z)| ≤ 1

∫|ζ−z0|=r

|f(ζ)||(ζ − z)|2

|dζ| ≤ 2πr

M

(r/2)2=

4M

r.

Somit ist F ′ lokal beschrankt in D.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Die Umkehrung ist i.A. falsch. Als Gegenbeispiel dient wieder die Familie F = fn : n ∈ Nmit fn(z) = z + n.

Aber: Unter geeigneten Zusatzvoraussetzungen gilt die Umkehrung, wie der folgende Satz

zeigt.

Satz 8.2.6. Es sei D ⊂ C ein Gebiet, F ⊂ H(D) und F ′ lokal beschrankt in D. Weiterhin

gebe es ein z0 ∈ D und eine Konstante K > 0 mit |f(z0)| ≤ K fur alle f ∈ F .

Dann ist F lokal beschrankt.

-55-

Page 56: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

Beweis.

1 Es sei z1 ∈ D. Wir wahlen einen Weg γ zwischen z0 und z1. Dann gilt

f(z1) = f(z0) +

∫γ

|f ′(ζ)| dζ.

2 Da F ′ lokal beschrankt ist, ist F ′ auf |γ| gleichmaßig beschrankt, d.h. ex existiert

eine Konstante M > 0 mit |f ′(ζ)| ≤M fur alle ζ ∈ |γ| und alle f ∈ F . Somit folgt

|f(z1)| = |f(z0)|+∫γ

|f ′(ζ)| dζ ≤ |f(z0)|+M · L(γ) =: M ′.

3 Wir wahlen nun r > 0 und M ′′ > 0 mit |f ′(z)| ≤ M ′′ fur alle z ∈ Ur(z1) ⊂ D und

alle f ∈ F (vgl. Abbildung 4). Dann folgt fur alle z ∈ Ur(z1) und alle f ∈ F :

|f(z)| ≤ |f(z1)|+z∫

z1

|f ′(ζ)| |dζ| ≤M ′ + r ·M ′′ =: M ′′′.

Dann ist F lokal beschrankt in D.

Abbildung 4: Skizze der Beweissituation mit zwei moglichen Wegen γ und γ.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 8.2.7. Es sei F ⊂ H(D) lokal beschrankt. Dann ist F gleichgradig stetig.

Beweis.

1 Da F lokal beschrankt ist, folgt aufgrund der Holomorphie, dass F ′ lokal beschrankt

ist.

-56-

Page 57: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

2 Sei nun z0 ∈ D. Dann existiert ein r > 0 und M > 0 mit Ur(z0) ⊂ D und

|f ′(ζ)| ≤M fur alle ζ ∈ Ur(z0). Dann folgt fur z ∈ Ur(z0):

|f(z)− f(z0)| ≤z∫

z0

|f ′(ζ)| |dζ| ≤M |z − z0| fur alle f ∈ F .

Somit ist F gleichgradig stetig in z0 und somit folgt die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Die Umkehrung von Satz 8.2.7 gilt im Allgemeinen nicht. Als Gegenbeispiel betrachte

wieder fn(z) = z + n bzw. die dazugehorige Familie F .

-57-

Page 58: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

8.3 Der Satz von Montel und Folgerungen

Wir kommen nun zum Hauptergebnis.

Satz 8.3.1 (Satz von Montel). Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F ⊂ H(D). Dann gilt:

F ist normal. ⇔ F ist lokal beschrankt.

Beweis.

”⇐“: Es ist F lokal beschrankt, also nach Satz 8.2.7 gleichgradig stetig. Daher folgt die

Behauptung aus dem Satz von Arzela-Ascoli.77

”⇒“: 1 Es sei F normal und nicht lokal beschrankt in D. Daraus folgt durch Ver-

neinung der Definition: Es gibt ein z0 ∈ D und r > 0 mit K := Ur(z0) ⊂ D

und folgender Eigenschaft:

∀n ∈ N ∃zn ∈ K, fn ∈ F : |fn(z)| > n. (∗)

2 Da F normal in D ist, besitzt (fn) eine Teilfolge (fnk), die in D lokal

gleichmaßig gegen ein f ∈ H(D) konvergiert, d.h. (fnk) konvergiert auf K

gleichmaßig.

3 Somit existiert ein k0 ∈ N mit |fnk(z)− f(z)| < 1 fur alle z ∈ K. Somit

ergibt sich mit M := maxz∈K|f(z)| nun

|fnk(z)| < 1 + |f(z)| ≤ 1 +M.

Somit ergibt sich |fnk(znk)| ≤ 1 +M fur k ≥ k0 und dies ist ein Widerspruch

zu (∗).

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Dieser Satz heißt auch kleiner Satz von Montel.

Folgerung 8.3.2. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F normal in D. Dann ist F ′ normal in D.

Beweis. Folgt sofort aus dem Satz von Montel und Satz 8.2.5.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Folgerung 8.3.3. Es sei D ⊂ C ein Gebiet, F ⊂ H(D) und F ′ normal in D. Weiter gebe

es z0 ∈ D und M > 0 mit |f(z0)| ≤M fur alle f ∈ F .

Dann ist F normal in D.

77Beachte: Dies ist die schwierige Richtung des Beweises, da hier die gesamte bisherige Theorie eingeht.

-58-

Page 59: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

Beweis. Folgt sofort aus dem Satz von Montel und Satz 8.2.6.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiel 8.3.4.

a) F := fn : n ∈ N mit fn(z) = zn.

Dann ist F normal in D.

b) F := fn : n ∈ N mit fn(z) = zn.

Dann ist F normal in C.

c) Es sei M > 0, D ⊂ C ein Gebiet und F := f ∈ H(D) : |f(z)| ≤M ∀z ∈ D.Dann ist F gleichmaßig beschrankt in D und somit dort normal.

d) Es sei F ⊂ H(D) und fur f ∈ F sei f(z) =∞∑n=0

an(f)zn die Potenzreihenentwick-

lung von f um 0. Dann gilt:

F ist normal in D genau dann, wenn es eine Folge (Mn) in (0,∞) gibt mit

lim supn→∞

M1/nn ≤ 1 und |an(f)| ≤Mn fur alle n ∈ N0 und fur alle f ∈ F .

Beweis.

”⇒“: 1 Es sei F normal. Aus dem Satz von Montel folgt dann sofort die lokale

Beschranktheit von F . Somit gibt es zu jedem r ∈ (0, 1) eine Konstante

M(r) > 0 mit |f(z)| ≤M(r) fur |z| ≤ r.

2 Die Cauchyschen Koeffizientenabschatzungen liefern nun |an(f)| ≤ M(r)rn

fur alle f ∈ F und n ∈ N0.

3 Wir konnen annehmen, dass M(r) stetig ist und dass M(r) ∞ fur

r 1. Wir wahlen nun speziell r = rn mit M(rn) = n+M(0) + 1 und

setzen Mn = M(rn)rnn

.

4 Dann folgt |an(f)| ≤ Mn und fur n hinreichend groß gilt M1/nn ≤

M(rn)1/n

rn≤ 1

rn21/nn1/n → 1 fur n → ∞. Somit gilt lim sup

n→∞M

1/nn = 1

und diese Richtung ist bewiesen.

”⇐“: Fur |z| ≤ r und alle f ∈ F gilt |f(z)| ≤

∞∑n=0

|an(f)| rn ≤∞∑n=0

Mnrn =: B(r) <

∞. Somit ist F lokal beschrankt und nach dem Satz von Montel normal in

D.

e) F := f ∈ H(D) : f(0) = 1, Re(f(z)) > 0, z ∈ D.Fur f ∈ F setze g(z) = 1−f(z)

1+f(z)fur z ∈ D. Dann ist g ∈ H(D) mit |g(z)| < 1 fur

z ∈ D und g(0) = 0. Mit dem Lemma von Schwarz folgt sofort |g(z)| ≤ |z| und

-59-

Page 60: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

Auflosen nach f(z) ergibt dann

|f(z)| =∣∣∣∣1− g(z)

1 + g(z)

∣∣∣∣ ≤ 1 + |z|1− |z|

.

Somit ist F lokal beschrankt und somit nach dem Satz von Montel normal in D.

f) Es sei D ⊂ C ein Gebiet, M > 0 und F :=

f ∈ H(D) :

∫∫D

|f(z)|2 dxdy ≤M

.

Dann ist F normal in D.

Beweis.

1 Es sei a ∈ D und R > 0 mit UR(a) ⊂ D. Fur 0 ≤ r ≤ R folgt aus der

Mittelpunktsformel zunachst f(a) = 12π

2π∫0

f(a+ reit) dt.

2 Multiplikation mit r und integrieren uber r liefert:

R2

2f(a) = f(a) ·

R∫0

r dr =1

2π∫0

R∫0

f(a+ reit) · r drdt.

Somit folgt

|f(a)| ≤ 1

πR2

2π∫0

R∫0

∣∣f(a+ reit)∣∣ · r drdt =

1

πR2

∫∫UR(a)

|f(z)| dxdy.

3 Ersetze nun f durch f 2. Dies liefert die Abschatzung

|f(a)|2 ≤ 1

πR2

∫∫UR(a)

|f(z)|2 dxdy. (∗)

4 Sei nun z ∈ D 6= C. Setze nun ρ(z) := dist(z, ∂D) und R := ρ(z) − ε fur

ε > 0. Dann folgt aus (∗):

|f(z)|2 ≤ 1

π(ρ(z)− ε)2

∫∫UR(z)

|f(ζ)|2 dxdy ≤ M

π(ρ(z)− ε)2.

Grenzubergang ε→ 0 liefert nun

|f(z)| ≤√M

π

1

ρ(z)fur z ∈ D. (∗∗)

Somit ist F lokal beschrankt und somit nach dem Satz von Montel normal

in D.

-60-

Page 61: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Die Menge A2(D) :=

f ∈ H(D) :

∫∫D

|f(z)|2 dxdy <∞

spielt in der Funktionentheo-

rie eine wichtige Rolle, z.B. in der Approximation im Komplexen. Wegen A2(D) =

H(D) ∩ L2(D) ist A2(D) ein Hilbertraum. Er heißt auch Bergman-Raum. Wegen (∗∗)gilt A2(C) = 0.

Jetzt ziehen wir einige unmittelbare Folgerungen aus dem Satz von Montel.

Satz 8.3.5 (Satz von Vitali). Es sei D ⊂ C ein Gebiet und (fn) eine Folge in D, die lokal

beschrankt in D ist. Weiter sei A eine Teilmenge von D mit Haufungspunkt in D und

(fn) sei punktweise konvergent auf A.

Dann ist (fn) lokal gleichmaßig konvergent in D.

Beweis.

1 Nach dem Satz von Montel ist F := fn : n ∈ N normal in D. Also existiert eine

Teilfolge (fnk) von (fn), die in D lokal gleichmaßig in D gegen ein f ∈ H(D) kon-

vergiert. Insbesondere gilt limk→∞

fnk(z) = f(z) fur jedes z ∈ A und jede konvergente

Teilfolge (fnk) von (fn).

2 Wir nehmen nun an, dass (fn) nicht lokal gleichmaßig in D konvergiert.

Dann existieren ε > 0, z0 ∈ D, r > 0 mit Ur(z0) ⊂ D, eine Teilfolge (fnj) von (fn)

und zj ∈ K mit∣∣fmj(zj)− f(zj)∣∣ ≥ ε fur alle j ∈ N. (∗)

3 Nun besitzt (fmj) eine Teilfolge, die lokal gleichmaßig in D gegen ein g ∈ H(D)

konvergiert. Somit gilt g(z) = f(z) fur z ∈ A, also liefert der Identitatssatz f = g

in D. Dies ist ein Widerspruch zu (∗) und somit folgt die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 8.3.6. Es sei D ⊂ C ein Gebiet, (fn) eine Folge, die lokal beschrankt in D ist und

weiterhin besitzt jede konvergente Teilfolge von (fn) die gleiche Grenzfunktion g ∈ H(D).

Dann ist (fn) lokal gleichmaßig konvergent gegen g in D.

Beweis.

1 Nach dem Satz von Vitali reicht es, die punktweise Konvergenz von (fn) gegen g

zu zeigen.

-61-

Page 62: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

2 Wir nehmen an, dass dies falsch ist. Dann existieren ein ζ ∈ D, δ > 0 und eine

Teilfolge (fnk) von (fn) mit |fnk(ζ)− g(ζ)| ≥ δ fur alle k ∈ N.

3 Nach dem Satz von Montel existiert eine Teilfolge von (fnk), die nach Voraussetzung

lokal gleichmaßig gegen g konvergiert. Dies ist ein Widerspruch zu 2 , also folgt

die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zum Beweis des nachsten Ergebnisses benotigen wir einen Begriff aus der Topologie.

Definition 8.3.7. Es sei X ein metrischer Raum und M ⊂ X. M heißt nirgends dicht

in X, wenn (M) = ∅ gilt. A ⊂ X heißt mager oder von erster Kategorie, wenn

A eine abzahlbare Vereinigung von nirgends dichten Mengen ist. A heißt von zweiter

Kategorie, wenn A nicht von erster Kategorie ist.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 8.3.8 (Bairescher Kategoriensatz ). Es sei X ein vollstandiger metrischer Raum.

Dann ist jede offene Menge G ⊂ X von zweiter Kategorie.

Beweis.

1 Wir zeigen zunachst folgende Aussage:

Ist (Un) eine Folge offener und dichter Teilmengen von X, so ist auch⋂n∈N

Un dicht

in X.

Dafur reicht es aus, wenn wir nachweisen, dass fur jedes x0 ∈ X und ε > 0 gilt:

Uε(x0) ∩⋂n∈N

Un 6= ∅.

2 U1 ist offen und dicht in X, also ist Uε(x0) ∩ U1 6= ∅ und zudem offen. Somit gibt

es ein x1 ∈ X und r1 > 0 mit r1 ≤ 1 und K1 := Ur1(x1) ⊂ Uε(x0) ∩ U1. Dann ist

Ur1(x1) ∩ U2 6= ∅ und offen. Somit gibt es ein x2 ∈ X und r2 > 0 mit r2 ≤ 12

und

K2 := Ur2(x2) ⊂ Uε(x1) ∩ U2. So fortfahrend konstruieren wir Folgen (xn) in X

und (rn) in (0,∞) mit rn ≤ 1n

und Kn := Urn ⊂ Urn−1(xn−1) ∩ Un.

3 Zu η > 0 wahlen wir n0 mit 1n0

< η2. Damit erhalten wir d(xm, xn) < η fur alle

m,n ≥ n0 und somit ist (xn) eine Cauchyfolge. Da X vollstandig ist, gibt es ein

x ∈ X mit limn→∞

xn = x. Wegen xn ∈ Km fur alle n ≥ m ist x ∈ Km fur alle m ∈ N,

also x ∈ Uε(x0) und x ∈ Um fur alle m ∈ N. Daraus folgt die obige Aussage.

4 Nun beweisen wir noch die eigentliche Aussage des Satzes, indem wir zeigen, dass

wenn A ⊂ X mager ist, sofort A = ∅ folgt.

Sei also A ⊂ X mager. Dann folgt A =⋃n∈N

An mit An = ∅. Angenommen, es gibt

-62-

Page 63: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

eine offene Menge U ⊂ X mit U ⊂ A ⊂⋃n∈N

An. Da X \ U abgeschlossen ist, folgt

mit der Aussage aus 1 nun

X \ U ⊃ X \⋃n∈N

An =⋂n∈N

X \ An = X,

denn X \ An ist offen und dicht in X, da X \ An = X \ An = X \ ∅ = X ist. Also

ist U = ∅. Damit folgt die Behauptung des Satzes.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiel:

Q ist von erster Kategorie in R.

R \Q ist von zweiter Kategorie in R.

Satz 8.3.9 (Satz von Osgood). Es sei D ⊂ C ein Gebiet und (fn) eine Folge in H(D), die

in D punktweise konvergiert.

Dann existiert eine offene und dichte Teilmenge Ω vonD, sodass (fn) in Ω lokal gleichmaßig

konvergiert.

Beweis.

1 Fur n ∈ N setze Dn := z ∈ D : |fk(z)| ≤ n ∀k ∈ N =⋂k∈Nz ∈ D : |fk(z)| ≤ n.

Dann ist Dn abgeschlossen in D und es gilt⋃n∈N

Dn = D.

2 Da D nach dem Satz von Baire von zweiter Kategorie ist, existiert ein N ∈ Nmit DN 6= ∅. Wir setzen Ω :=

⋃n∈N

Dn. Dann ist Ω ⊂ D, Ω 6= ∅ und Ω ist offen.

Insbesondere enthalt Ω eine Kreisscheibe, in der gilt:

|fk(z)| ≤ n fur alle k und ein n ∈ N. Ω ist dann die Vereinigung aller dieser

Kreisscheiben.

3 Ω ist dicht in D, denn andernfalls argumentiert man so:

Ware Ω nicht dicht in D, so ware D \Ω 6= ∅ und offen. Nach obigem Argument in

2 findet man eine Kreisscheibe U ⊂ D \ Ω und ein n ∈ N mit |fk(z)| ≤ n fur

alle k ∈ N und z ∈ U . Somit ware U ⊂ Ω, was einen Widerspruch darstellt.

4 (fk) konvergiert lokal gleichmaßig in Ω.

Sei dazu K := Ur(z0) ⊂ Ω. Dann ist K kompakt und es existiert ein N ∈ N mit

K ⊂ D1 ∪ . . .∪DN . Somit ist (fk) lokal beschrankt auf K und drer Satz von Vitali

liefert die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

-63-

Page 64: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

8.4 Normale Familien meromorpher Funktionen

Es sei C = C ∪ ∞ die Riemannsche Zahlenkugel mit der chordalen Metrik χ. Man

uberlegt sich leicht, dass C kompakt und damit vollstandig ist.

Wir betrachten eine in D ⊂ C meromorphe Funktion immer als Funktion f : D → C.

Dabei definiert man f(z0) :=∞, wenn z0 ein Pol von f ist.

Dann folgt aufgrund der Verwendung der chordalen Metrik, dass f stetig in D ist.

Beachte:

Ist (zn) eine Folge in C, so konvergiert (zn) gegen ein z∗ ∈ C in der euklidischen Metrik

genau dann, wenn dies in der chordalen Metrik gilt.

Beispiel:

Ein Polynom bzw. eine rationale Funktion ist meromorph in C. Ein Polynom P mit

degP ≥ 1 hat in ∞ einen Pol der Ordnung degP .

Definition 8.4.1. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F ⊂M(D). F heißt normal in D, wenn

jede Folge (fn) in F eine Teilfolge besitzt, die in D lokal gleichmaßig bezuglich χ (im

Bild) konvergiert. Die Grenzfunktion ist dann meromorph in D oder ≡ ∞, muss aber

selbst nicht in F liegen.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Problem:

Fur holomorphe Funktionen haben wir nun zwei Definitionen fur Normalitat. Bei holomor-

phen Funktionen nennt man F dann endlich normal und/oder meromorphe Funktionen

normal im verallgemeinerten Sinne.

Beispiel:

F := fn : n ∈ N, fn(z) = nz in D = C.

F ist in keinem Punkt endlich normal, aber F ist in C \ 0 normal im verallgemeinerten

Sinne, da fn → ∞ lokal gleichmaßig in C \ 0. Wir sehen also, dass als Grenzfunktion

wirklich ∞ vorkommen kann.

Ab nun meinen wir mit Normalitat immer Normalitat im verallgemeinerten Sinne.

Wir suchen nun nach einem geeigneten Normalitatskriterium. Dazu benotigen wir fol-

genden Begriff:

Definition 8.4.2. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und f ∈ M(D). Ist z ∈ D kein Pol von f , so

setze

f# :=|f ′(z)|

1 + |f(z)|2=

1

2limh→0

χ (f(z + h), f(z))

|h|≥ 0. (8.3)

In einem Pol kann f# stetig fortgesetzt werden, sodass f# in ganz D definiert und stetig

ist. f# heißt spharische Ableitung von fff .

-64-

Page 65: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Die stetige Fortsetzbarkeit folgt aus der Tatsache, dass

(1

f

)#

=

∣∣∣− f ′

f2

∣∣∣1 +

∣∣∣ 1f

∣∣∣2 = f#. (8.4)

Ist z ein einfacher Pol, so ist f#(z) = 1|Res(f,z)| und in einem mehrfachen Pol gilt f#(z) = 0.

Satz 8.4.3 (Normalitatskriterium von Marty). Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F ⊂M(D).

Dann gilt:

F ist normal in D. ⇔ F# :=f# : f ∈ F

ist lokal beschrankt in D.

Beweis.

”⇐“: 1 Sei F# lokal beschrankt, z0 ∈ D, r > 0 mit Ur(z0) =: K ⊂ D. Dann existiert

eine Konstante M > 0 mit f#(z) ≤M fur alle z ∈ K und alle f ∈ F . Somit

folgt fur z, w ∈ K:

χ(f(z), f(w)) =

w∫z

f#(ζ) dζ ≤M |z − w| .

Daher ist F spharisch gleichgradig stetig.

2 Da C kompakt ist, folgt die Behauptung aus dem Satz von Arzela-Ascoli

angewandt auf Y = C und ρ = χ.

”⇒“: 3 Sei nun F normal. Wir nehmen an, dass F# nicht lokal beschrankt ist. Dann

gilt:

Es existiert ein z0 ∈ D und r > 0 sodass Ur(z0) ⊂ D, (zn) ⊂ K und (fn) ⊂ F ,

sodass f#n (zn)→∞ fur n→∞.

4 Da F normal ist, existiert eine Teilfolge (fnk) von (fn), die in D lokal

gleichmaßig konvergiert. Die Grenzfunktion sei f . Ohne Einschrankung konnen

wir annehmen, dass zn → z′ ∈ J (n → ∞). Dann konvergiert (f#nk

) lo-

kal gleichmaßig gegen f# (vgl. Ubung). Somit folgt f#nk

(znk) → f#(z′) fur

k →∞.

Dies ist ein Widerspruch zu 2 , sofern z′ kein Pol von f und f 6=∞ gilt.

Ist dies doch der Fall, so betrachte gn = 1fn

, g = 1f

und wiederhole obiges

Argument.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

-65-

Page 66: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

Satz 8.4.4 (Lemma von Zalcmann). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, F eine Familie meromor-

pher Funktionen in D und z0 ∈ D. Dann gilt:

F ist nicht normal in z0. ⇔Es existiert eine Folge (zn) ⊂ D mit zn → z0 (n → ∞), eine Folge (ρn) ⊂ (0,∞) mit

ρn → 0 (n → ∞) und eine Folge (fn) ⊂ F , sodass limn→∞

fn(zn + ρnz) =: g(z) lokal

gleichmaßig in C, wobei g eine nicht-konstante meromorphe Funktion in C ist.

Ist F eine Familie holomorpher Funktionen in D, so ist g eine ganze Funktion.

Beweis.

”⇒“: 1 Ohne Einschrankung konnen wir annehmen, dass D = D und z0 = 0 gilt.

Da F in keiner Umgebung von 0 normal ist, existiert nach dem Kriterium

von Marty (8.4.3) zu jedem n ∈ N ein z∗n ∈ U1/2n(0) und ein fn ∈ F mit

f#n (z∗n) ≥ n2.78

2 Fur n ∈ N setze

Mn := max|z|≤ 1

n

(1− n2 |z|2)f#n (z) = (1− n2 |zn|2)f#

n (zn),

wobei zn ∈ U1/n(0). Dies existiert, da f#n stetig ist. Insbesondere liegt dieses

Mn nicht auf dem Rand, da dort die Funktion 0 ist.

Dann gilt zn → 0 fur n→∞ und

Mn ≥

1− n2 |z∗n|2︸︷︷︸

≤ 14n2

︸ ︷︷ ︸

≥ 34

f#n (z∗n)︸ ︷︷ ︸≥n2

≥ 3

4n2 →∞ (n→∞).

3 Weiterhin setzen wir

ρn :=1

Mn

(1− n2 |zn|2) =1

f#n (zn)

. (∗)

Dann gilt ρn → 0 fur n→∞ und

nρn1− |zn|n

=n(1 + n |zn|)

Mn

≤ 2n

Mn

≤ 8

3n→ 0 (n→∞).

4 Definiere nun gn(z) = fn(ρnz + zn) fur |z| < Rn mit Rn := 1−n|zn|nρn

. Dann gilt

Rn → ∞ fur n → ∞. Somit ist g#n (0) = ρnf

#n (ρnz + zn) = ρnf

#n (zn) = 1

nach (∗).

78Dies ist im Prinzip die Verneinung der Normalitat mithilfe des Marty-Kriteriums.

-66-

Page 67: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

5 Sei nun |z| ≤ R < Rn. Dann folgt

|ρnz + zn| < ρnRn + |zn| =1

n,

nach Definition von Rn. Ferner gilt g#n (z) = ρnf

#n (ρnz + zn) ≤ ρnMn

1−n2|ρnz+zn|2,

nach Definition von Mn. Nun berechnet man weiter

ρnMn

1− n2 |ρnz + zn|2=

1 + n |zn|1 + n |ρnz + zn|

· 1− n |zn|1− n |ρnz + zn|

≤ 21− n |zn|

1− n |zn| − ρnR

gemaß (∗). Somit ist (g#n ) lokal beschrankt in C.

6 Das Normalitatskriterium von Marty liefert nun, dass (gn) normal in C ist,

d.h. es existiert eine Teilfolge (gnk) von (gn), die in C lokal gleichmaßig gegen

eine Grenzfunktion g konvergiert. Wegen g#n (0) = 1 fur alle n ∈ N ist g#(0) =

1, also ist g auch nicht-konstant.

”⇐“: 7 Es seien nun die Voraussetzungen wie oben auf der rechten Seite gegeben.

Wir nehmen an, dass F normal in D ist. Nach dem Normalitatskriterium

von Marty ist dann F# lokal beschrankt in D. Dann existiert zu 0 < r < 1

eine Konstante M > 0 mit max|z|≤ 1+r

2

f#(z) ≤M fur alle f ∈ F .

8 Fur festes ζ ∈ C ist |zn + ρnζ| ≤ 1+r2

fur n hinreichend groß und daher folgt

ρnf#n (zn + ρnζ) ≤ ρnM . Somit folgt g#(ζ) = lim

n→∞ρnf

#n (zn + ρnζ) = 0. Da ζ

beliebig war, folgt g konstant, was ein Widerspruch ist.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

-67-

Page 68: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

8.5 Die Picardschen Satze

Satz 8.5.1. Satz von Picard Es sei f eine ganze nicht-konstante Funktion.

Dann nimmt f jeden Wert w ∈ C an bis auf hochstens eine Ausnahme.

Beweis.

1 Annahme: f lasst die Werte a, b ∈ C mit a 6= b aus.

Ohne Einschrankung konnen wir a = 0 und b = 1 annehmen, sonst betrachten wir

g(z) := f(z)−af(z)−b . Wir konnen weiterhin ohne Einschrankung f ′(0) 6= 0 annehmen,

sonst betrachten wir g(z) := f(z+z0)−af(z+z0)−b , wobei z0 ∈ C mit f ′(z0) 6= 0 ist.

2 Fur n ∈ N betrachten wir fn(z) = 2n√f(2nz), wobei irgendein holomorpher Zweig

der Wurzel gewahlt wird, da C einfach zusammenhangend ist und die Funktion

den Wert 0 auslasst. Damit lasst fn die Werte 0 und e2jπi/2n fur j = 1, . . . , 2n − 1

aus.

Wir unterscheiden nun zwei Falle:

3 Fall 1: (fn) ist in 0 nicht normal.

Dann existiert nach Zalcman eine Teilfolge (fnk) von (fn), eine Folge (zk) in Cmit zk → 0, eine Folge (ρk) in (0,∞) mit ρk → 0 und eine nicht-konstante ganze

Funktion g mit limk→∞

fk(ρkz+ zk) = g(z) = g(z) lokal gleichmaßig in C. Dabei lasst

fnk fur nk ≥ m die Werte e2jπi/2m aus. Aus dem Satz von Hurwitz folgt, dass dies

auch fur g gilt.

4 Diese Punkte liegen dicht auf ∂D. Daher gilt |g(z)| 6= 1 fur alle z ∈ C. Wegen der

Satz von der Gebietstreue ist g(C) ⊂ D oder g(C) ⊂ C \ D. Im ersten Fall folgt g

konstant nach Liouville, also ist dies ein Widerspruch. Im zweiten Fall ist 1g

ganz,

also 1g

konstant nach Liouville und somit ist auch g konstant, was auch hier ein

Widerspruch ist. Somit kann Fall 1 nicht eintreten.

5 Fall 2: (fn) ist in 0 normal.

Dann existiert ein δ > 0, sodass (fn) in Uδ(0) normal ist. Fur m,n ∈ N mit n ≥ m

gilt dann

fn−m(z))(

2n√f(2n−mz)

)2m

=[fn(2n−mz)

]2m.

Daher ist (fn)n≥m normal in U2mδ(0), also ist (fn) normal in C.

6 Somit existiert eine Teilfolge (fnk), die lokal gleichmaßig gegen eine ganze Funktion

g konvergiert. Hieraus ergibt sich

g′(0)

g(0)= lim

k→∞

f ′nk(0)

fnk(0)=f ′(0)

f(0)6= 0.

-68-

Page 69: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

Daher ist f ′(0) 6= 0, also auch g′(0) 6= 0. g ist damit nicht-konstant. Nun erhalt

man mit der gleichen Argumentation wie in 4 einen Widerspruch, daher kann

Fall 2 auch nicht eintreten und es folgt die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Ein Wert kann ausgelassen werden. Beispiel: f(z) = a + ez mit a ∈ C lasst den Wert a

aus.

Bei meromorphen Funktionen konnen zwei Werte ausgelassen werden. Beispiel: f(z) =

tan z = −i e2iz−1

e2iz+1lasst ±i aus.

Mehr als zwei Werte konnen nicht ausgelassen werden:

Folgerung 8.5.2. Es sei f meromorph in C.

Dann nimmt f jeden Wert w ∈ C an mit hochstens zwei Ausnahmen.

Beweis.

1 Annahme: f lasst drei Werte a, b, c ∈ C aus.

Ist a = ∞, b = ∞ oder c = ∞, so ist f ganz und aus dem Satz von Picard folgt

ein Widerspruch.

2 Seien also a, b, c ∈ C. Wir betrachten g(z) = c−ac−b ·

f(z)−af(z)−b . Die Pole von f sind

hebbare Singularitaten von g, somit ist g ganz und g(z) 6= 0 und g(z) 6= 1. Dar-

aus folgt ebenfalls mit dem Satz von Picard ein Widerspruch, also insgesamt die

Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 8.5.3 (Großer Satz von Montel). Es seien a, b, c ∈ C verschieden, D ⊂ C ein Gebiet

und F := f ∈M(D) : f(D) ∩ a, b, c = ∅.Dann ist F normal.

Beweis.

1 Annahme: F ist nicht normal in z0 ∈ D.

Nach Zalcman existieren Folgen (zn) in D mit zn → z (n→∞), (ρn) in (0,∞) mit

ρn → 0 (n→∞) und (fn) in F mit limn→∞

fn(ρnz + zn) = g(z) lokal gleichmaßig in

D, wobei g meromorph in C und nicht-konstant ist.

2 Aus dem Satz von Hurwitz folgt aber, dass g die Werte a, b und c auslasst. Aus

dem kleinen Satz von Picard folgt nun, dass g konstant ist, was ein Widerspruch

ist. Somit folgt die Behauptung.

-69-

Page 70: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Dieser Satz heißt auch Normalitatskriterium von Montel.

Satz 8.5.4 (Großer Satz von Picard). Es sei z0 ∈ C, r > 0, f holomorph in Ur(z0) und f

habe in z0 eine wesentliche Singularitat.

Dann nimmt f in jeder Umgebung U von z0 jeden Wert w ∈ C unendlich ofr an mit

hochstens einer Ausnahme.

Beweis.

1 Wir konnen annehmen, dass z0 = 0 und R = 1, d.h. f ist holomorph in D und f

hat in 0 eine wesentliche Singularitat.

Annahme: f lasst zwei Werte a, b ∈ C aus.

2 Wir setzen fn(z) := f(2−nz) fur z ∈ D. Aus dem großen Satz von Montel folgt

nun, dass (fn) normal in D ist. Somit existiert eine Teilfolge (fnk) von (fn), die

lokal gleichmaßig in D gegen eine Funktion g konvergiert. Somit ist g holomorph

in D oder g ≡ ∞.

3 Zunachst sei g holomorph. Insbesondere konvergiert (fnk) gleichmaßig auf K =

∂U1/2(0). Somit existiert eine Konstante M > 0 mit |fnk(z)| ≤ M fur |z| = 12

und

k ∈ N. Somit gilt auch |f(z)| ≤ M fur |z| = 12nk+1 und k ∈ N. Das Maximum-

prinzip liefert nun |f(z)| ≤ M in den daraus induzierten Kreisringen, wodurch f

beschrankt in D ist. Somit folgt aus dem Riemannschen Hebbarkeitssatz, dass f in

0 eine hebbare Singularitat hat und dies ist ein Widerspruch.

4 Jetzt sei g ≡ ∞. Wir betrachten nun hnk(z) = 1fnk−a

mit Grenzfunktion h = 1f−a .

Dann gilt hnk → 0 (k →∞). Somit hat h eine hebbare Singularitat in 0 und f hat

daher in 0 eine hebbare Singularitat oder einen Pol, was ein Widerspruch ist.

5 Damit haben wir gezeigt, dass f in einer Umgebung Ur(0) jeden Wert bis auf

hochstens eine Ausnahme annimmt. Da dies fur jedes r > 0 gilt, folgt, dass f in

jeder Umgebung von 0 jeden Wert bis auf hochstens eine Ausnahme unendlich oft

annimmt und dies ist die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiel:

f(z) = e1/z zeigt, dass ein Ausnahmewert tatsachlich vorkommen kann.

-70-

Page 71: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

8 Normale Familien und Anwendungen

Folgerung 8.5.5. Es sei z0 ∈ C, r > 0, f meromorph in Ur(z0) und f habe in z0 eine

wesentliche Singularitat oder z0 sein ein Haufungspunkt von Polen.

Dann nimmt f jeden Wert a ∈ C mit hochstens zwei Ausnahmen an.

Beweis. Die Aussage folgt aus Satz 8.5.4 mit demselben Argument wie in Folgerung

8.5.2.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

f(z) = 1

1+ez−1 = 11+e1/z

lasst die Werte 0 und 1 aus.

Folgerung 8.5.6.

1) Es sei f eine ganze transzendente Funktion (d.h. f ist kein Polynom). Dann besitzt

f hochstens einen Picardschen Ausnahmewert.79

2) Es sei f eine in C meromorphe transzendente Funktion (d.h. f ist nicht rational).

Dann besitzt f hochstens zwei Picardsche Ausnahmewerte.

Beweis. Betrachte g(z) = f(

1z

)und wende Folgerung 8.5.5 an.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79Dies ist im Wesentlichen Definition ??, die im Moment noch nicht verfugbar ist. Fur eine Funktionf ∈ M(C) heißt w ∈ C Picardscher Ausnahmewert, wenn f den Wert w hochstens endlich oftannimmt.

-71-

Page 72: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

9 Konforme Abbildungen

Inhalt des Kapitels

9.1 Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739.2 Der Riemannsche Abbildungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759.3 Das Schwarzsche Spiegelungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

-72-

Page 73: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

9.1 Definition und Eigenschaften

Definition 9.1.1.

1) Es sei D ⊂ C ein Gebiet und f : D → C eine Funktion. f heißt schlicht in D,

falls f holomorph und injektiv ist.

2) Es seien D,G ⊂ C Gebiete und f : D → G. f heißt konforme Abbildung von D

auf G, falls f schlicht in D ist und f(D) = G gilt. D und G heißen dann konform

aquivalent.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung 9.1.2. Folgende Resultate sind bereits bekannt:

1) D ⊂ C Gebiet, f ∈ H(D) und nicht-konstant. Dann ist f(D) ein Gebiet.

2) D ⊂ C Gebiet, f schlicht in D. Dann ist f ′(z) 6= 0 fur alle z ∈ D. Weiterhin ist f

winkeltreu.

Ist f ′(z) 6= 0 fur alle z ∈ D, so heißt f auch lokal schlicht oder lokal konform in D.

Aber: f muss dann nicht schlicht sein, wie das Beispiel D = C und f(z) = ez zeigt.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Das folgende Ergebnis zeigt allerdings, dass unter zusatzlichen Voraussetzungen aus der

lokalen Schlichtheit die Schlichtheit gefolgert werden kann.

Satz 9.1.3 (Satz von Noshiro-Warschawski). Es sei D ⊂ C ein konvexes Gebiet, f ∈H(D) und Re(f ′(z)) > 0 fur alle z ∈ D. Dann ist f schlicht in D.

Beweis. Es seien z1, z2 ∈ D mit z1 6= z2 und γ die Verbindungsstrecke von z1 nach z2.

Dann ist |γ| ⊂ D und

f(z2)− f(z1) =

∫γ

f ′(z) dz = (z2 − z1)f ′(tz2 + (1− t)z1)dt.

Somit gilt

Ref(z2)− f(z1)

z1 − z2

=

1∫0

Re (f ′(tz2 + (1− t)z1) dt > 0.

Somit ist f(z1) 6= f(z2), somit ist f injektiv, also auch schlicht.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiel.

Die ganze Funktion f(z) = z + ez ist schlicht in H := z ∈ C : Re(z) < 0, denn es

ist f ′(z) = 1 + ez und fur z ∈ H ist |ez| = eRe(z) < 1, d.h. ez ∈ D. Somit gilt

-73-

Page 74: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

Re(f ′(z)) = 1 + Re(z) > 1− 1 = 0. Somit folgt die Behauptung aus Satz 9.1.3.

Wir wollen nun die Frage untersuchen, welche Gebiete konform aquivalent sind.

Satz 9.1.4. Es sei D ⊂ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet und f eine konforme

Abbildung von D auf G. Dann ist auch G einfach zusammenhangend.

Beweis. Es sei g : G→ D die Umkehrabbildung von f .

Annahme: G ist mehrfach zusammenhangend. Dann gibt es einen Zyklus γ in G und

ein a ∈ C \ G mit n(γ; a) = 1. Dann ist σ := g(γ) ein Zyklus in D. Mit der Cauchy-

Integralformel, der Substitutionsregel und dem Argumentprinzip folgt nun

1 =1

2πi

∫γ

dz

z − a=

1

2πi

∫σ

f ′(w)

f(w)− a= 0.

Dies ist ein Widerspruch und somit folgt die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiel 9.1.5. C und D sind einfach zusammenhangend, aber nicht konform aquivalent.

Ware f : C → D konform, so ware f beschrankt und ganz, nach Liouville also konstant.

Dies ist ein Widerspruch.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

-74-

Page 75: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

9.2 Der Riemannsche Abbildungssatz

Satz 9.2.1. Es sei D ⊂ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet mit D 6= C und

z0 ∈ D. Dann gibt es genau eine konforme Abbildung f von D auf D mit f(z0) = 0 und

f ′(z0) > 0.

Beweis.

1) Eindeutigkeit:

1 Es seien f und g zwei solche Abbildungen. Wir betrachten Φ = f g−1. Dann

ist Φ schlicht in D mit Φ(D) = D und Φ(0) = 0.

2 Wegen f ′(z0) > 0 und g′(z0) > 0 gilt Φ′(0) = f ′(z0)g′(z0)

> 0. Mit dem Lemma

von Schwarz folgt dann |Φ′(0)| ≤ 1.

Betrachte Ψ = g f−1 = Φ−1. Dann folgt analog |Ψ′(0)| ≤ 1. Wiederum aus

dem Lemma von Schwarz folgt somit wegen |Φ′(0)| = 1 nun Φ(z) = z, also

f = g.

2) Existenz:

3 Da D einfach zusammenhangend ist und D 6= C gilt, besitzt D mindestens

zwei Randpunkte. Diese seien a, b mit a 6= b. Wir konnen annehmen, dass

a = 0 und b = ∞, denn sonst schalten wir die Mobiustransformation w =

T (z) = z−az−b vor.

Nun betrachten wir die Familie

F := f ∈ H(D) : f schlicht in D, f(D) ⊂ D, f(z0) = 0, f ′(z0) > 0 .

4 Wir zeigen: F 6= ∅.

a) Zunachst setzen wir dazu ϕ(z) := z0z

. Wegen 0,∞ 6∈ D ist ϕ ∈ H(D),

z0 6= 0 und ϕ(z) 6= 0 fur alle z ∈ D.

b) Nach Satz 4.2.580 gibt es ein g ∈ H(D) mit ϕ(z) = eg(z). Wegen ϕ(z0) =

1 konnen wir g(z0) = 0 wahlen. g ist offensichtlich schlicht in D, also

insbesondere g′(z0) 6= 0.

c) Ist a ∈ g(D), d.h. g(z1) = a fur ein z1 ∈ D, so ist a+ 2πi 6∈ g(D), denn

sonst ware g(z2) = a+ 2πi fur ein z2 ∈ D. Dann gilt eg(z1) = eg(z2), also

ϕ(z1) = ϕ(z2) und somit z1 = z2, was ein Widerspruch ist.

d) Wegen g(z0) = 0 und dem Satz von der Gebietstreue gibt es ein r > 0

mit Ur(0) ⊂ g(D), also Ur(2πi) ⊂ C \ g(D). Nun wahlen wir eine

Mobiustransformation T mit T (C \ Ur(2πi) = D und T (0) = 0, zum

80Siehe Funktionentheorie I, Satz 4.2.5.

-75-

Page 76: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

Beispiel T := T2 T1 mit T1(z) := rz−2πi

und T2(w) = w−w0

1−w0wmit w =

T1(0).

e) Wir setzen nun f := eit(Tg) mit t ∈ R so, dass f ′(z0) = eitT ′(0)g′(z0) >

0. Somit ist f ∈ F .

5 Wir zeigen nun, dass das Extremalproblem f ′(z0) : f ∈ F = max! eine

Losung f0 ∈ F besitzt.

a) Wir setzen A := sup f ′(z0) : f ∈ F. Nun zeigen wir zunachst, dass

A <∞ gilt.

b) Dazu wahlen wir ein r > 0 mit Ur(z0) ⊂ D. Dann folgt aus der Cauchy-

Integralformel fur f ∈ F

f ′(z0) =1

2πi

∫|z−z0|=r

f(z)

(z − z0)2dz,

also f ′(z0) = |f ′(z0)| ≤ 12π· 1r2· 2πr = 1

rund damit A ≤ 1

r<∞.

c) Nun gibt es eine Folge (fn) in F mit f ′n(z0) → A (n → ∞). Wegen

f(D) ⊂ D fur alle f ∈ F ist F gleichmaßig beschrankt in D, also

normal nach dem Satz von Montel. Daher gibt es eine Teilfolge (fnk)

von (fn), die in D lokal gleichmaßig gegen ein f0 ∈ H(D) konvergiert.

Wir zeigen nun, dass sogar f0 ∈ F gilt.

d) Wegen fnk(z0) = 0 fur alle k ∈ N ist f0(z0) = 0. Weiter ist f ′(z0) =

A > 0, also ist f0 nicht-konstant. Nach dem Satz von Hurwitz ist daher

f0 schlicht in D. Schließlich ist f0(D) ⊂ D und nach dem Satz von der

Gebietstreue sogar f0(D) ⊂ D. Somit ist f0 ∈ F und somit eine Losung

obigen Extremalproblems.

6 Wir zeigen nun, dass f0 eine konforme Abbildung von D auf D ist.

Dazu mussen wir nur noch zeigen, dass f0(D) = D ist.

a) Annahme: Es gibt ein w ∈ D mit w 6∈ f0(D).

Es sei T eine Mobiustransformation von D auf D mit T (w) = 0, z.B.

T (ζ) = ζ−w1−wζ , und h := T f0. Dann ist h schlicht in D und h(z) 6= 0

fur alle z ∈ D, also h = eg fur ein g ∈ H(D) nach Satz 4.2.5.

b) Wegen h(D) ⊂ D ist g(D) ⊂ H := z ∈ C : Re(z) < 0. Weiter ist g

schlicht in D, da h schlicht in D ist, also g′(z0) 6= 0 gilt.

c) Wir betrachten noch eine Mobiustransformation S von H auf D mit

S(g(z0)) = 0, z.B. S(v) = v−v0v+v0

mit v0 = g(z0). Nun setzen wir F :=

eit(S g) mit t ∈ R so, dass F ′(z0) = eitS ′(g(z0))g′(z0) > 0. Dann ist

F ∈ F .

-76-

Page 77: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

Nun zeigen wir, dass F ′(z0) > f ′0(z0) gilt, was einen Widerspruch zu 5

ergibt.

d) Es gilt F = eit(S log T f0) = eit(Φ f0) und F ′(z0) = eitΦ′(0)f ′0(0),

wobei Φ : D \ w → D definiert ist durch Φ := S log T und zudem

surjektiv ist.

e) Wir definieren noch Ψ : D → D ⊂ w durch Ψ := T−1 exp S−1.

Dann ist Ψ ∈ H(D), Ψ(0) = 0, Ψ(D) ⊂ D und w 6∈ Ψ(D). Also folgt

aus dem Lemma von Schwarz |Ψ′(0)| < 1. Es ist ferner Φ : f0(D) →F (D) bijektiv, also Φ−1(w) = Ψ(w) fur w ∈ F (D). Somit ist |Φ′(0)| =|Ψ′(0)|−1 > 1 und dies ist der gewunschte Widerspruch.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung:

Es gibt noch einen anderen Beweis nach Caratheodory und Koebe.

Beweisskizze. Suche f1 schlicht in D mit f1(D) ⊂ D, f1(z0) = 0 und f1(z0) > 0 (vgl.

4 in obigem Beweis). Ist f1(D) = D, so sind wir fertig.

Ansonsten bestimmte man ein z0 ∈ D ∩ ∂f1(D) mit minimalem Abstand zu 0 und zieht

diesen Punkt mit einer Mischung aus Wurzel und Logarithmus nach draußen. So fahrt man

fort und erhalt eine Folge von Funktionen, die gegen die Abbildungsfunktion konvergiert.

Satz 9.2.2. Es seien D,G ⊂ C einfach zusammenhangende Gebiete, D,G 6= C, z0 ∈ Dund w0 ∈ G. Dann gibt es genau eine konforme Abbildung f : D → G mit f(z0) = w0

und f ′(z0) > 0.

Beweis.

1) Existenz:

Wir wahlen konforme Abbildungen g bzw. h von D bzw. G auf D mit g(z0) =

h(w0) = 0, g′(z0) > 0 und h′(w0) > 0. Dann erfullt f := h−1 g die Behauptung.

2) Eindeutigkeit:

Es seien f eine solche Abbildung und g, h wie in 1). Betrachte F := h f g−1.

Dann ist F schlicht in D, F (D) = D, F (0) = 0 und F ′(0) > 0. Somit gilt nach dem

Lemma von Schwart F (z) = z fur alle z ∈ D und somit ist f = h−1 g.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

-77-

Page 78: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

Satz 9.2.3. Es sei K ⊂ C eine kompakte Menge, die mindestens zwei Punkte enthalt und

C \K sei einfach zusammenhangend in C, d.h. K und C \K sind zusammenhangend.

Dann gibt es genau eine konforme Abbildung f von C \D auf C \K mit f(∞) =∞ und

C := f ′(∞) > 0, d.h. f besitzt die Entwicklung

f(z) = cz + c0 +c1

z+c2

z2+ . . . (|z| > 1). (9.1)

Beweis.

1) Existenz:

Wahle a ∈ K und setze Φ(z) = 1z−a und D := Φ(C \K). Dann ist D ( C einfach

zusammenhangend und 0 ∈ D. Wir wahlen nun eine konforme Abbildung g von Dauf D mit g(0) = 0 und g′(0) > 0. Nun setzen wir f(z) := Φ−1

(g(

1z

))= a+ 1

g( 1z )

.

2) Eindeutigkeit:

Wie im Beweis von Satz 9.2.2.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiele:

a) c heißt auch Kapazitat von K.

b) Ist K = UR(z0) eine abgeschlossene Kreisscheibe um z0 ∈ C mit Radius R > 0, so

ist f(z) = Rz + z0, also c = R.

c) Ist K = [−1, 1], so ist f(z) = 12

(z + 1

z

), also c = 1

2. Ist allgemeiner K = [a, b], so

ist c = 14(b− a).

-78-

Page 79: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

9.3 Das Schwarzsche Spiegelungsprinzip

Definition 9.3.1. Es sei D ⊂ C Gebiet. Dann heißt

D? := z ∈ C : z ∈ D (9.2)

das Spiegelungsprinzip von D bezuglich R.

D heißt symmetrisch bezuglich R, wenn D? = D gilt. In diesem Fall setzen wir

D+ := z ∈ D : Im(z) > 0 , D− := z ∈ C : Im(z) < 0 und D0 := D ∩ R. (9.3)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 9.3.2. Es sei D ⊂ C ein bezuglich R symmetrisches Gebiet, v : D+∪D0 → R stetig,

v harmonisch in D+ und v(z) = 0 auf D0.

Dann gibt es eine in D harmonische Funktion V mit V (z) = v(z) fur alle z ∈ D+ ∪D0.

Beweis.

1 Wir setzen

V (z) :=

v(z) : z ∈ D+ ∪D0

−v(z) : z ∈ D−.

Dann ist V stetig in D und harmomnisch in D+ ∪D−.

2 Es sei nun x0 ∈ D0 und r > 0 mit Ur(x0) ⊂ D. Dann gilt

1

2π∫0

V (x0 + reit) dt =1

π∫0

v(x0 + reit) dt− 1

2π∫π

v(x0 + reit) dt

=1

π∫0

v(x0 + reit) dt− 1

π∫0

v(x0 + reit) dt = 0 = V (x0),

d.h. V erfullt die Mittelwerteigenschaft in x0 auch. Aus Satz 7.1.7 folgt dann, dass

V harmonisch in D ist.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 9.3.3 (Schwarzsches Spiegelungsprinzip). Es sei D ⊂ C ein bezuglich R symmetri-

sches Gebiet, f : D+ ∪ D0 → C, f holomorph in D+, f(D0) ⊂ R und Im(f) stetig auf

D+ ∪D0.

Dann gibt es ein g ∈ H(D) mit g(z) = f(z) fur alle z ∈ D+ ∪D0.

-79-

Page 80: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

Beweis.

1 Wir setzen v := Im(f). Dann erfullt v die Voraussetzungen von Satz 9.3.2. Somit

gibt es eine in D harmonische Funktion V mit V (z) = v(z) fur alle z ∈ D+ ∪D0

und V (z) = −v(z) fur alle z ∈ D−. Wir setzen

g(z) =

f(z) : z ∈ D+

f(z) : z ∈ D−.

Mit den Cauchy-Riemann-DGLen folgt nun, dass g holomorph in D+ ∪D− ist mit

Im(g) = V .

2 Zu x0 ∈ D wahlen wir ein r0 > 0 mit Ur0(x0) ⊂ D. Da Ur0(x0) einfach zusam-

menhangend ist, gibt es nach Satz 4.2.4 b) eine in Ur0(x0) holomorphe Funktion

h0 mit h0(z0) = g(z0) fur ein z0 ∈ Ur0(x0) mit Im(z0) > 0 und Im(h0) = V .

3 Da h0 eindeutig bestimmt ist, folgt h0 = g in D+∩Ur0(x0). Da h0 reell auf Ur0(x0)∩R ist, folgt h0(z) = h0(z) (mittels Potenzreihenentwicklung), also auch h0 = g in

D−. Wir definieren also g := h0 in (x0 − r0, x0 + r0). Ist x1 ∈ D0 und x1 6= x0

mit Ur1(x1) ∩ Ur0(x0) 6= ∅, so stimmen h1 und h0 im Durchschnitt wegen des

Identitatssatzes uberein, so dass g in D wohldefiniert und holomorph ist.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wir wollen nun das Spiegelungsprinzip benutzen, um konforme Abbildungen unter geeig-

neten Voraussetzungen uber den Rand hinaus fortzusetzen.

Definition 9.3.4. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und ∂D enthalte eine Strecke γ. γ heißt ein

freier Randbogen von D, wenn gilt:

∀ζ ∈ |γ| ∃δ > 0: Uδ(ζ) ∩ ∂D = Uδ(ζ) ∩ |γ| . (9.4)

γ heißt ein einseitig freier Randbogen von D, wenn die eine Halfte von Uδ(ζ) ganz

in D und die andere Halfte ganz außerhalb von D liegt. Sonst heißt γ ein zweiseitiger

freier Randbogen.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiele:

Siehe Abbildung 5.

Satz 9.3.5. Es sei D ⊂ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet und ∂D enthalte eine

Strecke γ als einseitgen freien Randbogen. Weiter sei f eine konforme Abbildung von D

auf D. Dann kann f zu einer auf D∪ |γ| holomorphen Funktion fortgesetzt werden, f ist

injektiv auf |γ| und γ′ := f(γ) ist ein Bogen auf ∂D.

-80-

Page 81: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

Abbildung 5: (a) Einseitiger freier Randbogen. (b) Zweiseitiger freier Randbogen.(c) Kein freier Randbogen. Beachte: Stets gilt |γ| ⊂ ∂D.

Beweis.

1 Es sei z0 ∈ D und f(z) = 0. Wir konnen annehmen, dass |γ| ⊂ R. Zu x0 ∈ |γ| sei

r := r(x0) > 0 so, dass U+r (x0) := z ∈ Ur(x0) : Im(z) > 0 ⊂ D, z0 6∈ U+

r (x0) und

Ur(x0) ∩ ∂D = Ur(x0) ∩ |γ|. Dann ist g := log f holomorph in U+r (x0).

2 Ist z ∈ U+r (x0) und z → |γ|, so folgt f(z)→ ∂D nach Satz ???, also gilt Re(g(z)) =

log |f(z)| → 0. Also kann g nach dem Spiegelungsprinzip in Ur(x0) holomorph

fortgesetzt werden. Somit ist auch f holomorph in Ur(x0) fortsetzbar und nach

dem Identitatssatz stimmen die Fortsetzung in uberlappenden Kreisen uberein.

Wie zeigen nun, dass f ′(x) 6= 0 fur alle x ∈ |γ| gilt.

3 Dazu nehmen wir an, dass f ′(x0) = 0 fur ein x0 ∈ |γ| gilt. Dann gilt in Uδ(x0):

f(z) = f(x0) + (z − x0)mg(z),

mit g holomorph in Uδ(x0), m ≥ 2 und g(x0) 6= 0.

4 Wir setzen speziell z = x0 + reit mit 0 < r < δ und 0 ≤ t ≤ π. Dann folgt

1 ≥ |f(z)|2 = |f(x0)|2︸ ︷︷ ︸=1

+2Re[f(x0)(z − x0)mg(z)

]+ |z − z0|2m |g(z)|2 ,

also Re[f(x0)rmeimtg(z)

]≤ 0. Division durch rm und Grenzubergang r → 0 liefert

nun wegen z → x0 (r → 0):

Re[f(x0)eimtg(z)

]≤ 0⇒ cos

[mt+ arg

f(x0)g(x0)

]≤ 0, t ∈ [0, π].

Dies ist ein Widerspruch, da m ≥ 2 gilt.

Schließlich zeigen wir noch, dass f auf |γ| injektiv ist.

-81-

Page 82: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

5 Andernfalls gibt es x1, x2 ∈ |γ| mit x1 6= x2 und f(x1) = f(x2) =: w0.

Da f ′(x1) 6= 0 und f ′(x2) 6= 0 gibt es disjunkte Umgebungen U1, U2 von x1, x2, die

bijektiv auf eine Umgebung U von w0 abgebildet werden. Jedes w ∈ U ∩D hat also

mindestens zwei Urbilder z1, z2 ∈ U1 ∪ U2. Es folgt z1, z2 ∈ D, da fur z ∈ U1 ∪ U2

mit Im(z) ≤ 0 gilt: |f(z)| ≥ 1. Dies ist ein Widerspruch zur Schlichtheit von f in

D.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Definition 9.3.6.

1) Es sei γ ein (offener) Jordanbogen81 in C. γ heißt analytisch, wenn gilt:

Es gibt ein bezuglich R symmetrisches, einfach zusammenhangendes Gebiet T mit

T ∩ R = (0, 1) und eine in T schlichte Funktion g mit g((0, 1)) = |γ|.Wegen g′(t) 6= 0 fur alle t ∈ (0, 1) ist dann γ insbesondere glatt.

2) Es sei γ ein analytischer Jordanbogen und z ∈ C mit z = g(t) fur ein t ∈ T . Dann

heißt z? := g(t) Spiegelpunkt von z an γ.

3) Es sei D ⊂ C ein Gebiet und ∂D enthalte einen analytischen Jordanbogen γ. γ

heißt ein freier Randbogen von D, wenn gilt:

∀z0 = g(t0) ∈ |γ| ∃δ > 0: Uδ(t0) ⊂ T und g(Uδ(t0)) ∩ ∂D = g(Uδ(t0)) ∩ |γ| . (9.5)

Hierbei ist t0 ∈ (0, 1) wegen 1). γ heißt ein einseitiger freier Randbogen, wenn

g(U+δ (t0)) ⊂ D und g(U−δ (t0)) ∩ D = ∅ gilt (oder umgekehrt).

4) Eine Jordankurve γ heißt analytisch, wenn es r1, r2 gibt mit 0 ≤ r1 < 1 < r2 und

eine in A(0; r1, r2) schlichte Funktion g mit g(∂D) = |γ|.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 9.3.7. Es sei D ⊂ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet uund ∂D enthalte

einen einseitigen freien analytischen Rundbogen γ. Weiter sei f eine konforme Abbildung

von D auf D.

Dann kann f zu einer auf D∪|γ| holomorphen Funktion fortgesetzt werden, f ist injektiv

auf |γ| und γ′ := f(γ) ist ein Bogen auf ∂D.

Beweis. Zu x0 = g(t0) ∈ |γ| wahlen wir r > 0 hinreichend klein so, dass h := f gholomorph und nullstellenfrei in U+

r (t0) ist. Analog zum Beweis von Satz 9.3.5 kann dann

h nach Ur(t0) fortgesetzt werden. Da g injektiv ist, erhalt man somit eine Fortsetzung von

f . Alles Weitere zeigt man ahnlich wie im Beweis von Satz 9.3.5.

81Ein Jordanbogen ist ein Weg γ : [0, 1]→ C, sodass fur alle t1, t2 ∈ [0, 1] mit t1 < t2 gilt: γ(t1) 6= γ(t2).γ ist also ein Homoomorphismus von [0, 1] auf γ([0, 1]).

-82-

Page 83: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

9 Konforme Abbildungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Aus diesen Ergebnissen erhalten wir

Satz 9.3.8 (Satz von Schwarz ). Es sei g eine konforme Abbildung von D auf ein Gebiet

D ⊂ C. Dann gilt:

g lasst sich schlicht nach UR(0) fur ein R > 1 fortsetzen. ⇔ ∂D ist eine analytische

Jordankurve.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wir erwahnen noch zwei weitere Ergebnisse zum Randverhalten bzw. zur Fortsetzung

konformer Abbildungen, die schwierig zu beweisen sind.

Satz 9.3.9 (Stetigkeitssatz ). Es sei g eine konforme Abbildung von D auf ein beschranktes

Gebiet D ⊂ C. Dann sind die folgenden Aussagen aquivalent:

a) g lasst sich stetig auf D fortsetzen.

b) ∂D ist eine Kurve, d.h. ∂D = ϕ(t) : t ∈ ∂D mit einer stetigen Funktion ϕ : ∂D→C.

c) ∂D ist lokal zusammenhangend, d.h.:

Zu jedem ε > 0 gibt es ein δ > 0 mit folgender Eigenschaft: Sind a, b ∈ ∂D mit

|a− b| < δ, so gibt es eine zusammenhangende Menge A ⊂ ∂D mit a, b ∈ A und

diam(A) := sup |α− β| : α, β ∈ A < ε.

d) C \D ist lokal zusammenhangend.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 9.3.10 (Satz von Caratheodory). Es sei g eine konforme Abbildung von D auf ein

beschranktes Gebiet D ⊂ C. Dann sind die folgenden Aussagen aquivalent:

a) g lasst sich zu einem Homoomorphismus von D auf D fortsetzen.

b) ∂D ist eine Jordankurve.

c) ∂D ist lokal zusammenhangend und besitzt keine Zerschneidungspunkte, d.h. es

gibt kein ζ ∈ ∂D so, dass ∂D \ ζ nicht mehr zusammenhangend ist.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ist f eine konforme Abbildung von D auf ein Jordangebiet D, so kann man erreichen, dass

drei vorgegebene Punkte z1, z2, z3 ∈ ∂D auf drei vorgegebene Punkte w1, w2, w3 ∈ ∂D

abgebildet werden, wobei die Orientierung zu beachten ist. Diese muss jeweils die gleiche

sein und dadurch ist die Abbildung f eindeutig bestimmt.

Dass dies tatsachlich moglich ist, sieht man wie folgt:

Es sei g eine konforme Abbildung von D auf D und ζj := g(wj) fur j = 1, 2, 3.

Dann gibt es genau eine Mobiustransformation T , die D bijektiv auf D und ∂Dbijektiv auf ∂D abgebildet und dabei T (ζj) = zj, j = 1, 2, 3, erfullt. Dann setzt

man f := g−1 T−1.

-83-

Page 84: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

Inhalt des Kapitels

10.1 Einfuhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8510.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

10.2.1 Iteration von z 7→ z2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8810.2.2 Iteration von z 7→ 1

2

(z + 1

z

). . . . . . . . . . . . . . . . . 89

10.2.3 Iteration von z 7→ z2 + c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8910.3 Julia- und Fatoumenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9310.4 Juliamengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

-84-

Page 85: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

10.1 Einfuhrung

Motivation: Newton-Verfahren zur Nullstellenbestimmung von Polynomen P .

Wir betrachten eine Folge (zn) in C mit Startwert z0 und Iterationsvorschrift zn+1 =

zn− P (zn)P ′(zn)

. Wir wissen: Ist z0 hinreichend nahe an eine Nullstelle ζ von P , so konvergiert

(zn)”schnell“ 82 gegen ζ, sofern P ′(ζ) 6= 0.

Allgemeiner betrachten wir folgendes Setting:

Sei R eine rationale Funktion, z0 ∈ C und (zn) definiert durch

zn+1 = R(zn) = Rn+1(z0), (10.1)

wobei Rn := R . . . ︸ ︷︷ ︸n−mal

mit R0 = id gelte. Beachte: Rn ist wieder rational, daher ist diese

Iterationsvorschrift wohldefiniert. Auf diese Weise entstehen Folgen (zn) und (Rn).

Fragen:

1) Fur welche Startwerte z0 konvergiert (zn) bzw. (Rn)?

2) Wie verhalt sich (zn), wenn es nicht konvergiert?

3) Wie reagiert (zn) auf kleine Anderungen von z0?

Speziell fur das Newton-Verfahren erhalten wir als Iterationsfunktion

R(z) = z − P (z)

P ′(z), (10.2)

die auch Newtonfunktion genannt wird.

Wir vereinbaren nun folgende Bezeichnungen:

Mit Dr(z0) ist ab nun immer eine Kreisscheibe in chordaler Metrik gemeint, d.h.

Dr(z0) :=z ∈ C : χ(z, z0) < r

. (10.3)

Fur eine rationale Funktion R = PQ

setzen wir d := degR := max degP, degQ. Ab

sofort gelte zudem stets d ≥ 2, da fur d = 1 Mobiustransformationen entstehen und die

komplexe Dynamik dieser wurde in Abschnitt 2.5 bereits diskutiert.

Zudem bezeichnen wir mit (zn) ab jetzt stets eine Iterationsfolge wie in (10.1).

Bemerkung 10.1.1. Falls (zn) gegen ein ζ ∈ C konvergiert, so folgt wegen der Stetigkeit

von R: ζ ← zn+1 = R(zn)→ R(ζ) (n→∞). ζ ist dann also ein Fixpunkt von R.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Beispiel: R(z) = z2 − 4z + 6.

Dann hat R die Fixpunkte 2, 3 und∞. Wegen R(z)−2 = (z−2)2 folgt zn+1−2 = (zn−2)2,

82Genauer ist die Konvergenzgeschwindigkeit quadratisch, solange die Nullstelle einfach ist.

-85-

Page 86: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

also zn − 2 = (z0 − 2)2n → 0 (n → ∞) fur alle z0 mit |z0 − 2| < 1. Weiter folgt zn → ∞fur |z0 − 2| > 1.

Bemerkung 10.1.2. Es sei ζ ∈ C ein Fixpunkt von R mit |R′(ζ)| < 1 (attraktiver

Fixpunkt). Wahlen wir ein q > 0 mit |R′(z)| < q < 1 fur z ∈ Ur(ζ) fur ein r > 0, so

folgt fur dieses z:

R(z)− ζ = R(z)−R(ζ) =

z∫ζ

R′(ω) dω.

Somit gilt also |R(z)− ζ| ≤ q · |z − ζ| und induktiv |Rn(z)− ζ| ≤ rqn → 0 (n→∞).

Ist andererseits |R′(ζ)| > 1 (abstoßender Fixpunkt), so kann (zn) nur dann gegen ζ

konvergieren, wenn es ein n0 ∈ N gibt mit zn = ζ fur alle n ≥ n0, denn:

Gilt zn → ζ (n → ∞), so existiert eine Teilfolge (znk) von (zn) mit |znk+1 − ζ| <|znk − ζ|. Hieraus folgt

1 >

∣∣∣∣R(znk)−R(ζ)

znk − ζ

∣∣∣∣→ R′(ζ) (k →∞),

also |R′(ζ) ≤ 1|, was ein Widerspruch zur Annahme ist.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zentrale Idee:

Es seien R rational, z0, w0 ∈ C zwei Startwerte und (zn),(wn) Iterationsfolgen wie in

(10.1).

Frage: Fur welche z0 ∈ C existiert ein δ > 0, so dass sich fur w0 ∈ Uδ(z0) die beiden

Folgen (zn) und (wn)”ahnlich“ verhalten?

Definition 10.1.3. Es sei R rational und

F := F(R) :=z ∈ C : Rn ist gleichgradig stetig in einer Umgebung von z

. (10.4)

F heißt Fatou-Menge von R oder auch stabile Menge. Es ist F eine offene Menge (da

die Umgebungen in (10.4) offen gewahlt werden konnen) und eine Komponente von Fheißt stabiles Gebiet. Die Menge

J := J (R) := C \ F(R) (10.5)

heißt Julianmenge von R.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Aus dem Satz von Arzela-Ascoli folgt sofort:

Folgerung 10.1.4. Es ist F :=z ∈ C : (Rn) ist normal in einer Umgebung von z

.

-86-

Page 87: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

F heißt auch Normalitatsgebiet und wurde in alteren Arbeiten mit N(R) bezeichnet.

Die Bezeichnung Fatoumenge stammt von Blanchard. Die Juliamenge wurde auch mit

F(R) bezeichnet.

-87-

Page 88: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

10.2 Beispiele

10.2.1 Iteration von z 7→ z2

Abbildung 6: Visualisierung der komplexen Dynamik von z 7→ z2, der innere schwarzeKreis ist gerade D.

In diesem Fall ist P (z) = z2, also P n(z) = z2n . Attraktive Fixpunkte sind 0 und ∞, 1

ist ein abstoßender Fixpunkt. Somit gilt P n(z) → 0 (n → ∞) fur z ∈ D und P n(z) →∞ (n→∞) fur z ∈ C \ D. Somit ist F = D ∪

(C \ D

), also gibt es zwei stabile Gebiete

und es folgt J = ∂D.

Verhalten von P n auf ∂D:

Fur z ∈ ∂D sei z = eiϑ. Dann gilt P n(z) = ei·2n·ϑ. Sei nunA :=z ∈ ∂D : z = e2πik/2m , k,m ∈ N

und B := ∂D \ A. Beide Mengen sind dicht in ∂D. Ist z.B. z ∈ B, so ist P n(z) 6= 1 fur

alle n ∈ N. Mit 10.1.2 folgt nun P n(z) 6→ 1 (n→∞).

Ist I ein Bogen auf ∂D, so existiert ein m ∈ N mit P n(I) = ∂D fur alle n ≥ m.

Periodische Punkte sind Fixpunkte von P p. Dies sind hier die (2p − 1)-ten Einheits-

wurzeln und diese liegen dicht in ∂D (und sind alle abstoßend).

Betrachte O+(z) := P n(z) : n ∈ N0 (den sogenannten Orbit). Dann existiert ein z ∈∂D, sodass O+(z) dicht in ∂D ist. Ferner existiert ein z ∈ ∂D, sodass O+(z) eine unend-

liche Menge ist, aber der Abschluss nicht ganz ∂D ist.

Alle diese Aussagen gelte auch fur P (z) = czd, |c| = 1 und d ∈ N \ 1.

Definition 10.2.1. Es sei X 6= ∅ eine Menge, f : X → X eine Abbildung und E ⊂ X. E

heißt

a) (vorwarts) invariant, wenn f(E) ⊂ E gilt.

b) ruckwarts invariant, wenn f−1(E) ⊂ E gilt.

c) vollstandig invariant, wenn f(E) = E gilt.

-88-

Page 89: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Satz 10.2.2. Es sei P ein Polynom vom Grad d ∈ N \ 1 und ∂D vollstandig in variant.

Dann ist P (z) = αzd mit |α| = 1.

Beweis. Wir zeigen sogar ein allgemeineres Resultat:

Ist f eine ganze Funktion und ∂D invariant unter f , so ist f(z) = αzd mit |α| = 1.

1 Nach dem Identitatssatz hat f in D nur endlich viele Nullstellen. Diese seien

0, z1, . . . , zm mit Vielfachheiten k0, k1, . . . , km.

2 Wir setzen das Blaschkeprodukt

B(z) =n∏j=0

(z − zj1− zjz

)kj

und g(z) = f(z)

zk0B(z). Dann ist g holomorph in D und ∂D invariant.

3 Aus dem Maximum- und Minimumprinzip folgt |g(z)| = 1 fur z ∈ D. Somit ist

g(z) ≡ α, also f(z) = αzk0B(z). Es sind nun 1zj

Pole von f , im Widerspruch dazu,

dass f ganz ist. Somit folgt zj = 0 fur j = 1, . . . ,m und dies ist die Behauptung.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.2.2 Iteration von z 7→ 12

(z + 1

z

)Diese tritt auf, wenn man das Newton-Verfahren auf z2 − 1 anwendet. Setze g(z) =z−1z+1

. Dann ist S(z) = (g R g−1)(z) = z2, also lasst sich dieser Fall auf den vorigen

zuruckfuhren.

10.2.3 Iteration von z 7→ z2 + c

Hier ist nun P (z) = Pc(z) = z2 + c. Einige Beispielwerte:

c = 0: (P n(0)) = (0, 0, 0, 0, . . .)

c = −1: (P n(0)) = (0,−1,−1, 0, . . .)

c = −2: (P n(0)) = (0,−2, 2, 2, . . .)

c = −3: (P n(0)) = (0,−3, 6, 33, . . .)

i) Wir suchen alle c ∈ C, sodass Pc einen attraktiven Fixpunkt hat. Dafur mussen

wir die Gleichung Pc(z) = z ⇔ z2 − z + c = 0 losen.

Seien α, β die Losungen dieser quadratischen Gleichung. Nach dem Satz von Vieta

-89-

Page 90: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

gilt α+ β = 1 und αβ = 1. Nun gilt P ′(α) +P ′(β) = 2α+ 2β = 2(α+ β) = 2, d.h.

P kann hochstens einen attraktiven Fixpunkt in C haben, z.B. α. Eine notwendige

Bedingung an α ist∣∣α < 1

2

∣∣ und c = α− α2. Die gesucht Menge ist daher das Bild

von U1/2(0) unter der Abbildung z 7→ z − z2. Diese ist von der Form f g h mit

h(z) = z − 12, g(z) = z2 und f(z) = 1

4− z.

Abbildung 7: Abbildungsverhalten von U1/2(0) unter f g h.

ii) Wir suchen jetzt alle c ∈ C, sodass Pc einen attraktiven Zweierzyklus hat, d.h.

attraktiver Fixpunkt von P 2c ist. Man erhalt U1/4(−1).

Sucht man nach den attraktiven N -Zyklen, so erweist es sich als sinnvoll, die Menge

M := c ∈ C : P nc (0) 6→ ∞ (n→∞) (10.6)

zu betrachten. Dies ist die sogenannte Mandelbrotmenge, siehe Abbildung 8.

Abbildung 8: Die Mandelbrotmenge M.

iii) Ist |z0| hinreichend groß, so gilt offensichtlich P nc (z0) → ∞ (n → ∞). Dies gilt

auch, wenn |Pmc (0)| fur ein m hinreichend groß ist. (Dazu lege diesen Wert als

-90-

Page 91: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

neuen Startwert fest und iteriere mit P n.) Daher betrachten wir fur ein beliebiges

Polynom vom Grad d ≥ 2 die Menge

A(∞) = AP (∞) :=z ∈ C : P n(z)→∞ (n→∞)

. (10.7)

Dazu betrachten wir folgenden

Satz 10.2.3. Es ist A(∞) ein vollstandig invariantes stabiles Gebietun es gibt ein r0 > 0,

sodass fur alle r ≥ r0 gilt:

A(∞) =∞⋃m=0

z ∈ C : |Pm(z)| > r

. (10.8)

Beweis.

1 Die vollstandige Invarianz von A(∞) ist klar.

2 Wir schreiben P (z) = adzd + . . . a1z + a0. Fur |z| ≥ r ≥ 1 gilt∣∣∣∣P (z)

zd

∣∣∣∣ ≥ |ad| − . . . ∣∣∣∣a11

zd−1

∣∣∣∣− ∣∣∣∣a0 ·1

zd

∣∣∣∣≥ |ad| −

1

r· (|ad−1|+ . . .+ |a1|+ |a0|)︸ ︷︷ ︸

=:M

≥ |ad| −M

r≥ 1

rd−1,

falls r ≥ r0 hinreichend groß. Fur diese r folgt nun |P (z)| ≥ r ·∣∣ zr

∣∣d. Induktion

liefert nun

|P n(z)| ≥ r ·∣∣∣zr

∣∣∣dn fur |z| ≥ r. (∗)

3 Es ist klar, dass A(∞) ⊂∞⋃m=0

z ∈ C : |Pm(z)| > r

.

Sei nun umgekehrt z ∈∞⋃m=0

z ∈ C : |Pm(z)| > r

. Dann gilt |Pm(z)| > r fur ein

m ∈ N, also

∣∣P n+m(z)∣∣ (∗)≥ r ·

∣∣∣zr

∣∣∣dn →∞ (n→∞). (∗∗)

Somit ist z ∈ A(∞) und es folgt die Darstellung aus (10.8).

4 Nach (10.8) istA(∞) offen. WareA(∞) nicht zusammenhangend, so enthaltA(∞)

eine beschrankte Komponente C. Somit ist |Rn(z)| ≤ r fur z ∈ ∂C. Das Maximum-

prinzip liefert nun |Rn(z)| ≤ r fur z ∈ C und dies ist ein Widerspruch. Somit ist

A(∞) ein Gebiet.

-91-

Page 92: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

5 Noch zu zeigen ist die Stabilitat, also P n → ∞ (n → ∞) lokal gleichmaßig in

A(∞). Hieraus folgt dann A(∞) ⊂ F .

Dazu sei K ⊂ A(∞) kompakt. Aus (∗∗) folgtz ∈ C : Pm(z) > r

⊂z ∈ C : Pm+1(z) > r

.

Daher gilt

K ⊂z ∈ C : Pm(z) ≥ s

fur ein m ∈ N und ein s > r.

Dann gilt fur z ∈ K: |P n+m(z)| ≥ r ·(sr

)dn → ∞ (n → ∞). Somit gilt P n →∞ (n→∞) gleichmaßig auf K.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung.

Fur Pc kann man r0 = 1+|c| wahlen. Eine genauere Analyse zeigt r0 = 12·(

1 +√

1 + 4 |c|)

.

Man kann zeigen, dass fur jedes Polynom P gilt: ∂P (∞) = J . Daher ist die folgende

Definition motiviert.

Definition 10.2.4. Es sei P ein Polynom vom Grad d ≥ 2. Dann heißt

K := KP := C \ A(∞) (10.9)

die ausgefullte Juliamenge von P . Es gilt:

K = z ∈ C : (P nc (z)) ist beschrankt . (10.10)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

-92-

Page 93: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

10.3 Julia- und Fatoumenge

Definition 10.3.1. Sind R, S rationale Funktionen und ist M eine Mobiustransformation

mit S = M R M−1, so heißen S und R konjugiert, in Zeichen S ∼ R.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Es ist ∼ eine Aquivalenzrelation auf der Menge aller rationalen Funktionen. Ist M(z) = 1z,

so ist S(z) = 1

R( 1z )

.

Ist S ∼ R, so gilt offensichtlich Sn = M Rn M−1. Damit ist F(S) = M(F(R)) und

J (S) =M(J (R)).

Jedes Polynom vom Grad 2 ist konjugiert zu genau einem Polynom der Form Pc(z) = z2+c

oder zu genau einem Polynom der Form Qλ(z) = λz + z2.

Definition 10.3.2. Es sei R rational. Ist ζ ∈ C ein Fixpunkt von R, so heißt λ = R′(ζ)

der Multiplikator von ζ. Fur ζ =∞ definiert man λ := S ′(0), wobei S(z) = 1

R( 1z )

.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Definition 10.3.3. Es sei R ational und ζ ∈ C ein Fixpunkt von Rp fur ein p ∈ N, aber

kein Fixpunkt von Rn fur n < p, d.h. p ist minimal gewahlt.

Dann heißt α := ζ, R(ζ), . . . , Rp−1(ζ) ein Zyklus der Lange ppp oder kurz ppp-Zyklus. Der

Multiplikator λ von α ist definiert als der Multiplikator des Fixpunktes ζ. Die Elemente

von α heißen periodische Punkte und sie sind auch Fixpunkte von Rp.

Ein Punkt ζ heißt pra-periodischer Punkt von R, wenn es ein m ∈ N gibt, sodass

Rm(ζ) ein periodischer Punkt von R ist.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bemerkung 10.3.4. Ist α ein p-Zyklus, ∞ 6∈ α, so folgt mit der Kettenregel

(Rp)′(ζ) =

p−1∏j=0

R′(Rj(ζ)). (10.11)

D.h. λ hangt nur von α ab, aber nicht vom speziell gewahlten Fixpunkt.

Sind R, S konjugiert und α ein p-Zyklus von R, so ist M(α) ein p-Zyklus von S.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Definition 10.3.5. Es sei α ein Zyklus von R und λ sein Multiplikator. Dann heit α

a) attraktiv, wenn |λ| < 1. Ist λ = 0, so heißt α superattraktiv.

b) abstoßend, wenn |λ| > 1.

c) indifferent, wenn |λ| = 1. Ist λm = 1 fur ein m ∈ N, so heißt α rational indif-

ferent, sonst irrational indifferent.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

-93-

Page 94: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

Satz 10.3.6. Es sei R rational und α ein p-Zyklus.

Ist α attraktiv, so gilt α ⊂ F . Ist α abstoßend, so gilt α ⊂ J . Ist α rational indifferent,

so gilt α ⊂ J .

Beweis. Wir konnen annehmen, dass∞ 6∈ α, denn sonst konjugiere mit einer geeigneten

Mobiustransformation.

1 Ist α attraktiv, so ist |(Rp)′(z0)| < 1 und man zeigt wie in Bemerkung 10.1.2,

dass es ein δ > 0 gibt mit Rpn(z0) → z0 (n → ∞) gleichmaßig in Uδ(z0). Da R

gleichmaßig stetig auf Uδ(z0) ist, folgt Rpn+k(z0)→ Rk(z0) gleichmaßig auf Uδ(z0)

fur n→∞ und k = 0, 1, . . . , p− 1. Somit ist α ⊂ F .

2 Ist α abstoßend, so ist |(Rp)′(z0)| > 1. Dann gilt

(Rpn)′(z0) =

(Rp)′(z0)︸ ︷︷ ︸>1

n →∞ (n→∞). (∗)

Ware α ⊂ F , so ware (Rn) normal in einer Umgebung U von z0 und es gabe eine

Teilfolge (Rpnk) von (Rpn), die in U lokal gleichmaßig gegen eine holomorphe Funk-

tion f konvergiert. Somit gilt (Rpn)′(z0) → f ′(z0) ∈ C (n → ∞), im Widerspruch

zu (∗). Somit ist α ⊂ J .

3 Ist α rational indifferent, so ist |(Rp)′(z0)| = 1 mit (Rp)′(z0) = e2πir/s, r ∈ Z, s ∈ N.

Wir setzen nun S := Rps. Dann ist S(z0) = z0 und S ′(z0) = 1. Die Taylorreihe

liefert in einer Umgebung von z0 nun S(z) = z0 + am(z − z0)m + . . . kmit am 6= 0

und m = 2. Damit gilt nun (Sn)(m)(z0) = namm!→∞ (n→∞). Nun fuhrt man

die Annahme α ⊂ F wie in 2 zum Widerspruch.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Folgerung 10.3.7. Es sei R rational, G ⊂ C eine offene Menge, C\G enthalte mindestens

drei Punkte und G sei vorwarts invariant unter R. Dann ist G ⊂ F .

Beweis. Da G vorwarts invariant unter R ist, gilt R(G) ⊂ G. Somit folgt induktiv

Rn(G) ⊂ G. Daher lasst (Rn(G))C drei Werte aus und nach dem großen Satz von Montel

ist R normal in G. Somit ist G ⊂ F .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

-94-

Page 95: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

10.4 Juliamengen

Satz 10.4.1. Es sei R rational. Dann ist J 6= ∅.

Beweis.

1 Annahme: Es gelte J = ∅.Dann gibt es zu jedem z ∈ C eine Umgebung Uz von z, so dass (Rn) normal in

Uz ist. Da Normalitat nach Satz 8.2.2 eine lokale Eigenschaft ist, ist (Rn) normal

in C. Also existiert eine Teeilfolge (Rnk) von (Rn), die in C gleichmaßig gegen

eine rationale Funktion S oder gegen ∞ konvergiert83. Wir setzen zur Abkurzung

Sk := Rnk .

2 Sei nun S konstant. Ohne Einschrankung konnen wir annehmen, dass S ≡ 0, an-

sonsten schalten wir eine Mobiustransformation vor. Damit gilt fur alle hinreichend

großen k:

χ(Sk(z), 0) < 1 ∀z ∈ C.

Wegen χ(∞, 0) = 2, folgt, dass Sk keine Pole hat. Somit ist Sk konstant, was ein

Widerspruch ist. Somit muss S meropmorph sein.

3 Wir zeigen nun, dass es ein k0 ∈ N gibt mit

degSk = degS. (∗)

Wir konnen dabei annehmen, dass S(∞) 6= 0, ansonsten schalten wir eine Mobius-

transformation vor. Mit dieser Festlegung besitzt S die verschiedenen z1, . . . , zm ∈C.

4 Wir wahlen nun Kreisscheiben Dj := Uδ(zj) mit Dj∩Dk = ∅ fur k 6= j und δ > 084.

Damit setzen wir K := C \ D1 ∪ . . . ∪Dm, also ist K kompakt. Wir setzen nun

noch ε := min S(z) : z ∈ ∂D1 ∪ . . . ∪ ∂Dm. Dann folgt fur k hinreichend groß

|Sk(z)− S(z)| < ε ≤ S(z) fur z ∈ ∂D1 ∪ . . . ∪ ∂Dm.

5 Nach dem Satz von Rouche haben S und Sk in jedem Dj gleich viele Nullstellen.

Weiterhin existiert eine Konstante M > 0 mit χ(S(z), 0) ≥ 2M fur alle z ∈ K.

Somit haben S und Sk in C die gleiche Anzahl von Nullstellen. Aus dem Funda-

mentalsatz der Algebra folgt dann (∗). Ist d = degR, so ist dn = degRn und dies

liefert einen Widerspruch zu (∗).

83Die Konvergenz ist gleichmaßig, da C kompakt ist. Aus den Picardschen Satzen folgt uberdies, dasseine meromorphe Funktion auf C rational sein muss.

84Da dies nur endlich viele Kreisscheiben, kann δ uniform gewahlt werden.

-95-

Page 96: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Man kann noch zeigen:

• F und J sind vollstandig invariant.

• F(Rp) = F(R), J (Rp) = J (R).

• J ist immer perfekt, d.h. kompakt und jeder Punkt ist Haufungspunkt. Daher ist

J immer uberabzahlbar.

• J oder J = C.

• J ist der Abschluss der abstoßenden periodischen Punkte.

• Fur jedes z0 ∈ J ist J = O−(z0).

• Fur jede Kreisscheibe K mit K ∩ J 6= ∅ gibt es n0 ∈ N mit Rn(K ∩ J ) = J .

(Selbstahnlichkeit)

-96-

Page 97: Skript - homepage-baukasten-dateien.de€¦ · n) eine Folge in C. F ur n2N, k2N 0 mit n k+ 1 sei p n;k= Yn v=k+1 z v; (6.2) wobei p n = p n;0 gelte. Wenn ein N 2N existiert mit z

Abbildungsverzeichnis

1 Skizze der Beweissituation von Satz 6.3.1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2 Skizze der Beweissituation von Satz 6.4.1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

3 Die Mengen An und Dn im Beweis von Satz 6.4.1. . . . . . . . . . . . . . . 20

4 Skizze der Beweissituation von Satz 8.2.6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

5 Beispiele fur Randbogen in Definition 9.3.4. . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

6 Visualisierung der komplexen Dynamik von z 7→ z2. . . . . . . . . . . . . . 88

7 Visualisierung von f g h. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

8 Die Mandelbrotmenge M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90