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Funktionentheorie II
Skript
Sommersemester 2018
B.Sc. Matthias Schulte
Technische Universitat Dortmund
Version vom 26. Juli 2018
1
Inhaltsverzeichnis
Einleitung, Motivation und Disclaimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen 46.1 Unendliche Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56.2 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur die Ebene . . . . . . . . . . . . 96.3 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur beliebige Gebiete . . . . . . . . 136.4 Der Mittag-Lefflersche Teilbruchsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 176.5 Ein Interpolationssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226.6 Partialbruchzerlegung des Kotangens . . . . . . . . . . . . . . . . 236.7 Produktdarstellung des Sinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256.8 Die Eulersche Gammafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266.9 Die Riemannsche Zetafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
7 Ganze Funktionen 427.1 Harmonische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
8 Normale Familien und Anwendungen 498.1 Gleichgradig stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508.2 Normale Familien holomorpher Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 548.3 Der Satz von Montel und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . 588.4 Normale Familien meromorpher Funktionen . . . . . . . . . . . . . 648.5 Die Picardschen Satze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
9 Konforme Abbildungen 729.1 Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739.2 Der Riemannsche Abbildungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759.3 Das Schwarzsche Spiegelungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme 8410.1 Einfuhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8510.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
10.2.1 Iteration von z 7→ z2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8810.2.2 Iteration von z 7→ 1
2
(z + 1
z
). . . . . . . . . . . . . . . . . 89
10.2.3 Iteration von z 7→ z2 + c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8910.3 Julia- und Fatoumenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9310.4 Juliamengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
Inhaltsverzeichnis
Einleitung, Motivation und Disclaimer
Das vorliegende Skript ist eine digitale Abschrift der Vorlesung Funktionentheorie II,
wie sie im Sommersemester 2018 an der Technischen Universitat Dortmund von Prof. Dr.
Rainer Bruck gehalten wurde.
Die Vorlesung schließt direkt an die Vorlesung Funktionentheorie I aus dem Winterse-
mester 2017/18 an. Das Skript zu dieser Vorlesung ist hier zu finden. Der Vollstandigkeit
halber sind die Kapitel 6.1 und 6.2 zum Themenblock”Unendliche Produkte“ auch in
diesem Skript noch einmal aufgefuhrt.
Fur etwaige Tippfehler in diesem Skript ubernehme ich keine Haftung.
Viel Erfolg (und ein wenig Spaß) mit diesem Skript.
Matthias Schulte, 2018.
3
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6 Unendliche Produkte undPartialbruchreihen
Inhalt des Kapitels
6.1 Unendliche Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56.2 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur die Ebene . . . . . . . . . . . . 96.3 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur beliebige Gebiete . . . . . . . . 136.4 Der Mittag-Lefflersche Teilbruchsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 176.5 Ein Interpolationssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226.6 Partialbruchzerlegung des Kotangens . . . . . . . . . . . . . . . . 236.7 Produktdarstellung des Sinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256.8 Die Eulersche Gammafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266.9 Die Riemannsche Zetafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
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6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6.1 Unendliche Produkte
Gegeben sei ein Gebiet D ⊂ C und eine Folge (an) in D ohne Haufungspunkt in D.
Frage: Existiert eine holomorphe Funktion f in D mit Nullstellen in an mit Vielfachheit
mn und sonst nullstellenfrei?
Ist die Folge (an) endlich, so konnen wir das Polynom f(z) =N∏n=1
(z − an)mn oder f(z) =
N∏n=1
(1− z
an
)mn, sofern alle an 6= 0, wahlen. Fur eine unendliche Folge (an) lautet also die
Idee:
f(z) =∞∏n=1
(1− z
an
)mn. (6.1)
Problem: Konvergiert das Produkt?
Als Vorbereitung behandeln wir einige Tatsachen uber unendliche Produkte.
Definition 6.1.1. Es sei (zn) eine Folge in C. Fur n ∈ N, k ∈ N0 mit n ≥ k + 1 sei
pn,k =n∏
v=k+1
zv, (6.2)
wobei pn = pn,0 gelte. Wenn ein N ∈ N existiert mit zn 6= 0 fur alle n > N und
PN = limn→∞
pn,N existiert (d.h. PN ∈ C) mit PN 6= 0, so heißt das unendliche Produkt∞∏n=1
zn
konvergent zum Wert P = PN · pn 6= 0P = PN · pn 6= 0P = PN · pn 6= 0. In allen anderen Fallen heißt das Produkt
divergent. (Pn) heißt Folge der Teilprodukte oder Partialprodukte.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Folgerung 6.1.2. Das unendliche Produkt∞∏n=1
zn sei konvergent zum Wert P ∈ C. Dann
gilt:
a) P = 0 ⇒ zn = 0 fur ein n ∈ N.
b) limn→∞
zn = 1.
Beweis. Teil a) ist klar. Fur Teil b) wahlen wir ein N ∈ N mit zn 6= 0 fur n > N . Dann
gilt pn,N 6= 0 fur n > N und zn+1 =zN+1 · zN+2 · . . . · zn+1 · zn
zN+1 · zN+2 · . . . · zn=pn+1,N
pn,N→ PN
PN= 1 fur
n→∞.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Wegen 6.1.2 b) schreiben wir unendliche Produkte in Zukunft meistens in der Form
∞∏n=1
(1 + un). (6.3)
-5-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
Notwendig fur Konvergenz ist folglich limn→∞
un = 0.
Lemma 6.1.3. Es seien u1, . . . , uN ∈ C und PN :=N∏n=1
(1 + un), P ?N :=
N∏n=1
(1 + |un|).
Dann gilt
P ?N ≤ exp (|u1|+ . . .+ |uN |) (6.4)
und
|PN − 1| ≤ |P ?N − 1| . (6.5)
Beweis. Mit der Taylordarstellung von exp gilt 1 + x ≤ ex fur x ≥ 0. Ersetzt man nun
x durchN∑j=1
|uj| und multipliziert aus, so folgt aus der Funktionalgleichung fur exp
N∏n=1
(1 + |un|) ≤N∏n=1
exp|un| = exp
(N∑n=1
|un|
).
Daraus folgt (6.4). Die Ungleichung (6.5) zeigen wir mit Induktion:
Fur N = 1 ist nichts zu zeigen. Mit N → N + 1 folgt
PN+1 − 1 = PN · (1 + uN+1)− 1 = (PN − 1)(1 + uN+1) + uN+1.
Hieraus ergibt sich mit der Induktionsvoraussetzung
|PN+1 − 1|∆−UGL
≤ |PN − 1| (1 + |uN+1|) + |uN+1|I.V.
≤ (P ?N − 1)(1 + uN+1) + |uN+1| =
∣∣P ?N+1 − 1
∣∣ .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 6.1.4. Es sei S ⊂ C, un : S → C eine Folge beschrankter Funktionen und∞∑n=1
|un|
sei gleichmaßig konvergent auf S. Dann ist das unendliche Produkt
f(s) :=∞∏n=1
(1 + un(s)) (6.6)
gleichmaßig konvergent auf S. Ist n1, n2, n3, . . . eine Umordnung von 1, 2, 3, . . ., so
gilt
f(s) =∞∏k=1
(1 + unk(s)), s ∈ S. (6.7)
-6-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
Beweis. Nach Voraussetzung existiert ein n0 ∈ N mit∞∑
n=n0
|un(s)| < 1. Daraus folgt
sofort |un(s)| < 1 und somit 1 + un(s) 6= 0 fur alle n ≥ n0. Ohne Einschrankung sei
n0 = 1.
Weiterhin folgt aus der Voraussetzung, dass∞∑n=1
|un(s)| beschrankt ist. Es sei nun PN(s) =
N∏n=1
(1 + un(s)) fur s ∈ S. Dann gibt es nach Lemma 6.1.3 eine Konstante C > 0 mit
|PN(s)|(6.4)
≤ C, da die Reihe gleichmaßig konvergiert.
Sei nun 0 < ε < 12. Dann existiert ein N0 ∈ N mit
∞∑n=N0
|un(s)| < ε. (6.8)
Fur n ≥ N0 sei M ∈ N so groß, dass
1, 2, 3, . . . , N ⊂ n1, n2, n3, . . . , nM (6.9)
gilt und es sei qM(s) =M∏k=1
(1 + unk(s)) fur s ∈ S.
Wegen (6.9) folgt dann
qM(s)− PN(s) = PN(s) ·
(M∏
k=1,nk>N
(1 + unk(s))− 1
).
Wegen (6.8) und Lemma 6.1.3 folgt jetzt
|qM(s)− PN(s)|(6.4)
≤ |PN(s)| (eε − 1)ε<1/2
≤ 2 |PN(s)| ε ≤ 2Cε. (6.10)
Ist nk = n, so ist qM(s) = PM(s) und das Cauchy-Kriterium fur gleichmaßige Konver-
genz und (6.10) liefern die gleichmaßige Konvergenz in (6.6). Wegen |qM(s)− f(s)| ≤|qM(s)− PN(s)| + |PN(s)− f(s)| folgt aus (6.6) und (6.10) die gleichmaßige Konvergenz
in (6.7).
Noch zu zeigen: f(s) 6≡ 0.
Aus (6.10) folgt |PM(S)− PN0(s)| ≤ 2 |PN0(s)| ε. Mit der umgekehrten Dreiecksunglei-
chung folgt
|PM(s)| ≥ |PN0(s)| (1− 2ε) > 0
fur s ∈ S. Grenzubergang M →∞ liefert |f(s)| ≥ 1− 2ε > 0.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 6.1.5. Es sei D ⊂ C ein Gebiet, (fn) eine Folge holomorpher Funktionen in D,
-7-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
fn 6≡ 0 fur n ∈ N und die Reihe
∞∑n=1
|1− fn(s)| (6.11)
sei in D lokal gleichmaßig konvergent.
Dann ist das unendliche Produkt
f(z) =∞∏n=1
fn(z) (6.12)
inD lokal gleichmaßig konvergent und stellt eine inD holomorphe Funktion dar. Weiterhin
gilt
m(f ; z) =∞∑n=1
m(fn; z), z ∈ D, (6.13)
wobei m(f ; z) die Vielfachheit der Nullstelle z von f bezeichnet. Im Fall f(z) 6= 0 sei
m(f ; z) = 0.
Beweis. Die lokale gleichmaßige Konvergenz des unendlichen Produkts in (6.12) folgt aus
Satz 6.1.4. Zum Beweis von (6.13) sei z ∈ D. Wegen der lokal gleichmaßigen Konvergenz
der Reihe (6.11) existiert eine Umgebung Uz(z) und nz ∈ N mit fn(ζ) 6= 0 fur alle ζ ∈ Uzund n ≥ nz. Wegen der Konvergenz des Produkts (6.12) gilt f(z) = g(z) ·
nz∏n=1
fn(z)
mit einer in D holomorphen, nullstellenfreien Funktion g in D. Daraus folgt m(f ; z) =nz∑n=1
m(fn; z), also ergibt sich (6.13).
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beachte: In der Reihe (6.13) sind immer nur endlich viele Summanden ungleich 0.
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6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6.2 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur die Ebene
Wie schon oben bemerkt, kann das unendliche Produkt∞∏n=1
(1− z
an
)divergieren. Die Idee
ist daher, nullstellenfreie, konvergenzerzeugende Faktoren anzufugen, sodass die Faktoren
nahe an 1 sind. Wir notieren formal:
1− z
an= elog(1− z
an) = exp
(−∞∑k=1
1
k
(z
an
)k). (6.14)
Definition 6.2.1. Fur p ∈ N0 setzen wir E0(z) := 1− z und rekursiv
Ep(z) = E0(z) exp
(p∑
k=1
zk
k
), p ∈ N. (6.15)
Ep(z) heißt Weierstraß’scher Elementarfaktor. Es gilt:
Ep(z) = 0⇒ z = 1.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lemma 6.2.2. Fur |z| ≤ 1 und p ∈ N0 gilt |1− Ep(z)| ≤ |z|p+1.
Beweis. Fur p = 0 ist nichts zu zeigen. Fur p ∈ N folgt mit kurzer Rechnung
−E ′p(z) = zp exp
(z +
z2
2+ . . .+
zp
p
).
Also hat E ′p in z = 0 eine p-fache Nullstelle, d.h. 1 − Ep hat in z = 0 eine (p + 1)-fache
Nullstelle. Wir betrachten nun
Φ(z) :=1− Ep(z)
zp+1.
Dann ist Φ eine ganze Funktion und die Koeffizienten der Potenzreihe von −E ′p um 0 sind
großer oder gleich 0. Somit ist Φ(z) =∞∑n=0
anzn mit an ≥ 0. Fur |z| ≤ 1 folgt dann
|Φ(z)| ≤∞∑n=0
an |z|n ≤∞∑n=0
an = Φ(1) = 1.
Daraus folgt die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 6.2.3 (Weierstraß’scher Produktsatz, 1876 ). Es sei (zn) eine Folge in C? mit |zn| →∞ fur n→∞. Ist (pn) eine Folge in N0 mit
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6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
∞∑n=1
(r
rn
)1+pn
<∞, r ∈ (0,∞), (6.16)
wobei rn = |zn|, so definiert das unendliche Produkt
P (z) :=∞∏n=1
Epn
(z
zn
)(6.17)
eine ganze Funktion mit P (zn) = 0 fur alle n ∈ N und sonst P (z) 6== 0. Genauer gilt:
Kommt α in der Folge (zn) m-mal vor, so gilt m(P ;α) = m.55 Die Bedingung (6.16) ist
sicher erfullt, wenn man pn = n− 1 wahlt.
Beweis.
i) Ist r > 0, so existiert ein N ∈ N mit rN > 2r fur alle n ≥ N . Somit folgtr
rN≤ 1
2
fur n ≥ N , also auch∞∑n=0
(r
rn
)n≤
∞∑n=N
(1
2
)n< ∞. Mit pn = n − 1 ist (6.16)
erfullt.
ii) Nach Satz 6.1.5 genugt es zu zeigen, dass∞∑n=1
∣∣∣∣1− Epn ( z
zn
)∣∣∣∣ in C lokal gleichmaßig
konvergiert.
Dazu sei r > 0 und K = Ur(0). Wahle N ∈ N mit rn > r fur n ≥ N . Dann ist∣∣∣∣ zrn∣∣∣∣ ≤ 1 fur alle z ∈ K und n ≥ N . Mit Lemma 6.2.2 folgt hiermit nun
∣∣∣∣1− Epn ( z
zn
)∣∣∣∣ ≤ ∣∣∣∣ zzn∣∣∣∣1+pn
≤(r
rn
)1+pn
.
Hieraus folgt die Behauptung aus Voraussetzung (6.16) und dem Weierstraß’schen
Majorantenkriterium.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung 6.2.4. Es sei (zn) eine Folge wie im obigen Satz. Man mochte die Zahlen pn
so klein wie moglich wahlen, damit das Produkt eine moglichst einfache Form hat. Man
kann zeigen, dass immer pn = [log n] gewahlt werden kann.56
55Der Fall m(P ;α) =∞ kann nicht vorkommen, da sonst die Folge (zn) einen Haufungspunkt hatte undP nach dem Identitatssatz identisch Null ware – im Widerspruch zur Konvergenz des Produkts in(6.17).
56Diese Schranke ist allerdings fur die Praxis nicht relevant.
-10-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
Falls ein α > 0 existiert mit
∞∑n=1
1
rαn<∞, (6.18)
so setzen wir
ρ1 := inf
α > 0 :
∞∑n=1
1
rαn<∞
. (6.19)
Gibt es kein solches α, so setze ρ1 =∞. ρ1 heißt Konvergenzexponent der Folge (zn)(zn)(zn).
Weiter definieren wir p ∈ N0 ∪ ∞ durch
p =
∞ : ρ1 =∞
min
α ∈ N :
∞∑n=1
1rαn<∞
: ρ1 <∞
. (6.20)
p heißt das Geschlecht der Folge (zn)(zn)(zn) und erfulltp = [ρ1] : ρ1 6∈ N
ρ1 − 1 ≤ p ≤ ρ1 : immer.
Ist p ∈ N0 (p < ∞), so kann man im Weierstraß’schen Produktsatz pn = p wahlen. Das
zugehorige Produkt∞∏n=1
Ep
(z
zn
)heißt dann das kanonische Produkt vom Geschlecht
ppp.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiele:
• zn = n: ρ1 = 1, p = 1
• zn = n2: ρ1 = 12, p = 0
• zn = log n: ρ1 =∞
• zn =√n: ρ1 = 2, p = 2
• zn = n!: ρ1 = 0, p = 0
• zn = n log2 n: ρ1 = 1, p = 0
Satz 6.2.5 (Weierstraß’scher Faktorisierungssatz, 1876 ). Es sei f eine ganze Funktion
und z1, z2, z3, . . . die Nullstellen von f in C?, entsprechend ihrer Vielfachheit oft aufgefuhrt.
Dann existiert eine ganze Funktion g und eine Folge (pn) in N0 mit
f(z) = zmeg(z) ·M∏n=1
Epn
(z
zn
), z ∈ C, (6.21)
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6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
wobei m = m(f ; 0) ∈ N0 und M ∈ N0 ∪∞ die Anzahl der Nullstellen von f in C? sind.
Beweis. Wir setzen
P (z) =
1 : N = 0
N∏n=1
E0
(zzn
): N ∈ N
∞∏n=1
Epn
(zzn
): pn wie in (6.18)
.
Dann ist h(z) =f(z)
zmP (z)eine ganze Funktion57 und nullstellenfrei. Dann folgt die Be-
hauptung aus Satz 4.2.5 (siehe hier, Seite 57).
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Die obige Darstellung ist nicht eindeutig. Ob wir uber g genauere Aussagen treffen konnen,
sehen wir spater.
57Alle Singularitaten, die auftreten, sind hebbar.
-12-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6.3 Der Weierstraß’sche Produktsatz fur beliebige
Gebiete
Satz 6.3.1. Es sei D ⊂ C ein Gebiet mit D 6= C, (an) eine Folge in D ohne Haufungspunkt
in D, an 6= am fur n 6= m und (mn) eine Folge in N.
Dann existiert eine Funktion f ∈ H(D) mit f(an) = 0, m(f ; an) = mn und f(z) 6= 0
sonst.
Beweis.
1 O.B.d.A. sei ∞ ∈ D und an 6= ∞ fur alle n ∈ N, was mithilfe einer Mobiustrans-
formation erreicht werden kann. Wir definieren nun eine neue Folge (αn) durch
(a1, . . . , a1︸ ︷︷ ︸m1−mal
, a2, . . . , a2︸ ︷︷ ︸m2−mal
, . . .) (6.22)
und setzen noch M = C \D ⊂ C. Dann folgt, dass M kompakt ist.
2 Zu n ∈ N wahle βn ∈M mit
|βn − α| ≤ |β − αn| ∀β ∈M. (6.23)
Dies ist moglich, da M kompakt ist. Somit folgt βn 6= αn und es gilt |βn − αn| → 0
fur n→∞, da (αn) keinen Haufungspunkt in D hat.58
3 Wir zeigen jetzt, dass
f(z) =∞∏n=0
En
(αn − βnz − βn
), z ∈ D, (6.24)
die gewunschten Eigenschaften hat.59 Dazu mussen wir nur zeigen, dass das un-
endliche Produkt in (6.24) lokal gleichmaßig konvergiert.
Wir setzen dazu rn := 2 |αn − βn| und K := Ur(z0) mit z0 ∈ D, r > 0 und
Ur(z0) ⊂ D (vgl. auch Abbildung 1).
Wegen rn → 0 fur n→∞ und dist(K,M) > 0 existiert einN ∈ N mit |z − βn| > rn
fur alle n ≥ N . Somit folgt∣∣∣∣αn − βnz − βn
∣∣∣∣ ≤ 1
2∀n ∈ N. (6.25)
58Sonst konnte man eine Teilfolge wahlen mit |βnk− αnk
| > δ. 59Beachte: Da z ∈ D und βn ∈M gilt, ist der Nenner in (6.24) stets ungleich Null.789
-13-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
Aus Lemma 6.2.2 folgt nun∣∣∣∣1− En(αn − βnz − βn
)∣∣∣∣ ≤ (1
2
)n+1
fur z ∈ K, n ≥ N. (6.26)
Hieraus folgt die Behauptung mit Satz 6.1.4.
Abbildung 1: Skizze der Beweissituation.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hieraus wollen wir nun einige interessante Folgerungen ziehen.
Satz 6.3.2. Es sei D ⊂ C und f ∈M(D).
Dann existieren holomorphe Funktionen g, h ∈ D mit f = gh.
Beweis. Es seien b1, b2, . . . die Pole von f mit Vielfachheiten60 aufgefuhrt. Nach obigem
Satz konnen wir eine holomorphe Funktion h wahlen, so dass h genau die Nullstellen
b1, b2, . . . hat. Setze nun g = h · f . Dann ist jede Polstelle von f eine hebbare Singularitat
von g und somit g ∈ H(D). Also ist f = gh.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Algebraische Interpretation:
H(D) ist ein kommutativer, nullteilerfreier61 Ring mit Eins, d.h. H(D) ist ein Inte-
gritatsring. Jeder solche Ring ist in einem kleinsten Korper enthalten, der bis auf Isomor-
phie eindeutig bestimmt ist, namlich in dem sogenannten Quotientenkorper. Satz 6.3.2
60Lies: Polordnungen61Beachte: Hier geht der Identitatssatz ein. Die Aussage wird bereits fur den Raum C(D) falsch.
-14-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
sagt also aus, dass M(D) der Quotientenkorper von H(D) ist.
Wir benotigen nun noch zwei Vorbereitungen.
Lemma 6.3.3. Es sei D ⊂ C ein Gebiet. Dann existiert eine Folge kompakter Mengen
Kn ⊂ D mit
(1)∞⋃n=1
Kn = D
(2) Kn ⊂ Kn+1
(3) Zu jeder kompakten Menge K ⊂ D existiert ein n0 ∈ N mit K ⊂ Kn fur alle
n ≥ n0.
Eine solche Folge heißt auch Ausschopfungsfolge.62
Beweis.
1 Fur n ∈ N setzen wir
Kn := Un(0) ∩z ∈ D : dist(z, ∂D) ≥ 1
n
. (6.27)
Dann ist Kn beschrankt und abgeschlossen, da die Funktion dist stetig ist. Somit
ist Kn kompakt.
2 (1) ist klar. Da Kn+1 = Un+1(0)∩z ∈ D : dist(z, ∂D) > 1
n+1
gilt, folgt (2). Ferner
gilt noch D =∞⋃n=1
Kn und somit ist Kn : n ∈ N eine offene Uberdeckung von
K ⊂ D. Fur eine kompakte Menge K ⊂ D reichen also bereits endlich viele zur
Uberdeckung aus.63 Wegen (2) folgt somit auch (3).
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lemma 6.3.4. Es sei D ⊂ C ein Gebiet.
Dann existiert eine Folge (an) in D mit an 6= am fur m 6= n, sodass (an) keinen Haufungs-
punkt in D besitzt, aber jedes ζ ∈ ∂D Haufungspunkt von (an) ist.
Beweis.
62Das Konzept kann leicht auf den Rn ubertragen werden. Wahle hierzu beispielsweise die Folge (Ik) mitIk := [−k, k]n.
63Stichwort: Uberdeckungskompaktheit.
-15-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
1 Wir wahlen zunachst eine abzahlbare dichte Teilmenge B := b1, b2, . . . von D,
z.B. B = D∩Q(i).64 Sei nun rn := dist(bn,C\D) und (Kn) eine Ausschopfungsfolge
von D. Zu jedem n ∈ N wahlen wir nun ein an ∈ C \Kn mit |an − bn| < rn und
an 6= am fur m 6= n. Somit ist an ∈ D und (an) hat keinen Haufungspunkt in D.
2 Nun sei ζ ∈ ∂D und ε > 0. Dann existiert ein n ∈ N mit |ζ − bn| < ε2. Dies
impliziert sofort rn <ε2
und somit folgt
|ζ − an| ≤ |ζ − bn|+ |bn − an| <ε
2+ rn < ε.
Somit folgt die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 6.3.5. Es sei D ⊂ C ein Gebiet.
Dann existiert eine in D holomorphe Funktion f , sodass f in kein großeres Gebiet G )D analytisch fortgesetzt werden kann, d.h. f ist uber keinen Randpunkt von D hinaus
analytische fortsetzbar. Genauer gilt:
Ist ζ ∈ ∂D und r > 0, so existiert keine in Ur(ζ) meromorphe Funktion g mit g(z) = f(z)
auf D ∩ Ur(ζ).
Beweis. Wir wahlen eine Folge (an) in D gemaß Lemma 6.3.4 und dann nach dem
Weierstraß’schen Produktsatz fur beliebige Gebiete (6.3.1) eine in D holomorphe Funktion
f , die genau an den an Nullstellen hat.
Annahme: Es gibt ein ζ ∈ ∂D, r > 0 und g ∈M(Ur(ζ)) mit g(z) = f(z) auf D ∩ Ur(ζ)).
Dann existiert eine Teilfolge (ank) von (an) mit (ank) → ζ fur k → ∞ und f(ank) = 0.
Dann ist auch g(ank) = 0 und somit hat g keinen Pol in ζ, da die Folge (an) konvergent
ist. Somit ist g holomorph in einer Umgebung U von ζ. Aus dem Identitatssatz folgt nun
g ≡ 0 auf U und somit f ≡ 0 auf D ∩ U .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64Die genaue Wahl dieser Menge ist nicht wichtig. Zudem existiert stets eine solche, da C separabel istund somit auch jede Teilmenge.
-16-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6.4 Der Mittag-Lefflersche Teilbruchsatz
Es sei R eine rationale Funktion mit Polen a1, . . . , an der Ordnungen m1, . . . ,mn. Dann
kann man R in Partialbruche zerlegen:
R(z) = P (z) +n∑k=1
mk∑j=1
cjk(z − ak)j
, (6.28)
wobei P ein Polynom und cjk gewisse komplexe Zahlen sind.
Wir werden dies nun auf unendlich viele Pole erweitern.
Satz 6.4.1 (Mittag-Lefflerscher Teilbruchsatz, 1884 ).
Es sei D ⊂ C ein Gebiet, A := a1, a2, a3, . . . eine Menge in D ohne Haufungspunkte in
D, m1,m2,m3, . . . eine Menge in N und Rn(z) =mn∑j=1
cjn(z−an)j
.
Dann existiert eine meromorphe Funktion in D mit Polen genau an den Stellen an und
vorgegebenen Hauptteilen Rn.
Beweis. Ist A eine endliche Menge, so addiere einfach die Hauptteile.
Also sei A unendlich. Wir konnen annehmen, dass 0 6∈ A, denn andernfalls losen wir das
Problem fur A \ 0 und addieren hinterher den Hauptteil an der 0.
Zusatzlich setzen wir noch
δn := dist(an, ∂D) ∈ (0,∞]. (6.29)
Nun unterscheiden wir drei Falle.
Abbildung 2: Skizze der Beweissituation.
Fall 1: |an| δn ≥ 1 ∀n ∈ N.
1 Zunachst ist in diesem Fall der Fall D = C enthalten. Dann ist δn =∞ und wegen
an 6= 0 ist obige Bedingung erfullt.
2 Wir zeigen zunachst: |an| → ∞ fur n→∞, d.h., D ist unbeschrankt.
Nehmen wir an, dass dies nicht gilt, so existiert eine Teilfolge (ank) von (an) mit
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6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
ank → a ∈ C fur k →∞. Somit ist a ein Haufungspunkt von (an).
Im Fall D = C ergibt sich sofort ein Widerspruch, da A nach Voraussetzung keine
Haufungspunkte in D hat.
Sei also nun D 6= C und z ∈ C \D. Dann gilt nach Voraussetzung dieses Falles
|a− z| = limk→∞|ank − z| ≥ lim
k→∞
1
|ank |=
1
|a|> 0.
Somit ist a 6= 0 und a ∈ D, da diese Ungleichung fur alle z ∈ C \D gilt. Dies ist
ein Widerspruch wie oben.
3 Die rationale Funktion Rn ist holomorph in Dn := U|an|(0), denn da 0 6∈ A sind
alle Hauptteile holomorph in 0 und in jeder Kreisscheibe um 0 mit Radius kleiner
|an|. Daher kann mann Rn in eine Potenzreihe um 0 entwickeln, d.h.
Rn(z) =∞∑k=0
ankzk, z ∈ Dn.
Somit gilt fur d ∈ N sofort
d∑n=0
ankzk → Rn(z) (d→∞)
gleichmaßig in Kn := U|an|/2(0). Daher existiert ein Index d(n) ∈ N, sodass fur das
Polynom Pn mit Pn(z) =d(n)∑k=0
ankzn gilt:
|Rn(z)− Pn(z)| < 2−n fur z ∈ Kn. (∗)
4 Jetzt zeigen wir, dass die Reihe
∞∑n=1
(Rn − Pn)(z)
lokal gleichmaßig auf ganz C konvergiert.
Dazu genugt es, zu zeigen, dass die Reihe gleichmaßig auf K = Ur(0) fur jedes
r > 0 konvergiert.
Da |an| → ∞ existiert ein N ∈ N mit Ur(0) ⊂ Kn fur alle n > N . Fur diese n
liegt der Pol an von Rn − Pn außerhalb von K. Ebenso gilt die Abschatzung (∗)fur alle z ∈ K. Jetzt folgt die Konvergenz aus dem Weierstraß’schen Majoranten-
kriterium.65
65Es sei∑fn eine Funktionenreihe auf einem Gebiet D. Dann ist diese Reihe gleichmaßig konvergent,
wenn positive Konstanten Mn existieren mit |fn(x)| ≤Mn fur alle n ∈ N und x ∈ D und∑Mn <∞.
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6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
5 Nun definieren wir
f :=∞∑n=1
(Rn − Pn). (6.30)
Dann ist f meromorph in C und hat die gewunschten Eigenschaften, denn durch
die Polynome Pn werden weder Pole noch Hauptteile geandert.
Fall 2: |an| δn ≤ 1 fur alle n ∈ N.
1 Wir zeigen nun δnn→∞−→ 0.
Falls dies nicht gilt, so existiert ein ε > 0 und eine Teilfolge (δnk) von (δn) mit
δnk ≥ ε fur alle k ∈ N. Aus der Voraussetzung dieses Falles folgt hiermit nun
|ank | =1
δnk≤ 1
ε
fur alle k ∈ N, d.h. die Folge (ank) ist beschrankt und hat daher einen Haufungspunkt
a ∈ C. Wir konnen nun annehmen, dass ank gegen a konvergiert.
Fur jedes z ∈ C \D gilt nun
|z − ank | ≥ δnk ≥ εk→∞=⇒ |z − a| ≥ ε.
Daher ist a ∈ D.
2 Wegen δn <∞ gibt es zu jedem n ∈ N ein ζn ∈ ∂D mit |an − ζn| = δn. Wir setzen
noch
Dn := z ∈ C : |z − ζn| > δn .
Entwickelt man 1z−an um ζn in eine Laurentreihe mit Pol in ζn ∈ C \D so folgt
1
z − an=∞∑k=1
(an − ζn)k−1
(z − ζn)k
und sukzessives Ableiten ergibt entsprechende Entwicklungen fur 1(z−an)j
in Dn.
Setzt man diese Entwicklung in Rn ein, so folgt
Rn(z) =∞∑k=1
ank(z − ζn)k
, z ∈ Dn,
wobei die ank gewisse komplexe Zahlen sind, die sich durch Zusammenfassen der
konstanten Terme in Rn und obiger Laurententwicklung ergeben. Diese Reihe kon-
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6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
vergiert nun gleichmaßig in
An := z ∈ C : |z − ζn| ≥ 2δn .
Abbildung 3: An und Dn.
3 Zu jedem n ∈ N existiert ein d(n) ∈ N, sodass fur die rationale Funktion
Sn(z) =
d(n)∑k=1
ank(z − ζn)k
gilt, dass |Rn(z)− Sn(z)| < 2−n fur z ∈ An ist. Wir zeigen nun, dass die Reihe
∞∑k=1
(Rn(z)− Sn(z))
lokal gleichmaßig in D konvergiert.
Dazu sei z0 ∈ D und r > 0 mit K = Ur(0) ⊂ D. Die Pole von Rn − Sn (namlich
an und ζn) liegen nicht in An. Da δn wegen oben gegen 0 konvergiert, existiert ein
N > 0 mit K ⊂ An fur alle n ≥ N (da K kompakt ist). Damit folgt die lokal
gleichmaßige Konvergenz in D.
4 Nun definieren wir
f :=∞∑n=1
(Rn − Sn)
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6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
fur z ∈ D \ an : n ∈ N. Dann ist f meromorph in D und hat die gewunschten
Eigenschaften, da die Pole ζn von Sn außerhalb von D liegen.66
Fall 3: Es liegt weder Fall 1 noch Fall 2 vor.
Wir setzen in diesem Fall J := n ∈ N : |an| δn ≥ 1, A1 := an : n ∈ J und A2 := A\A1.
Wende nun Fall 1 auf A1 und Fall 2 auf A2 an und addiere.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 6.4.2 (Partialbruchzerlegung meromorpher Funktionen).
Es sei D ⊂ C ein Gebiet, f eine meromorphe Funktion mit Polen a1, a2, a3, . . . und
Hauptteilen R1, R2, R3, . . ..
Dann gibt es rationale Funktionen Sn mit Polen in C \ D und eine in D holomorphe
Funktion g mit
f(z) =∞∑n=1
(Rn(z)− Sn(z)) + g(z) (6.31)
fur z ∈ D \ an : n ∈ N.
Beweis. Wir konstruieren gemaß Satz 6.4.1 eine inD meromorphe Funktion h und setzen
g := f − h. Die Pole von f sind hebbare Singularitaten von g, also ist g holomorph in D
und erfullt Formel (6.31).
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66Aber die Reihe konvergiert eventuell nicht mehr auf einem großeren Gebiet, anders als in Fall 1.
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6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6.5 Ein Interpolationssatz
Satz 6.5.1 (Interpolationssatz von Germay, 1946 ).
Es sei D ⊂ C ein Gebiet, (ak) eine Folge verschiedener Punkte in D ohne Haufungspunkt
in D, (mk) eine Folge in N und wnk ∈ C fur n = 0, . . . ,mk, k ∈ N.
Dann existiert eine holomorphe Funktion f in D mit f (n)(ak) = wnk fur n = 0, . . . ,mk,
k ∈ N.
Beweis. Nach Satz 6.3.1 existiert eine in D holomorphe Funktion g mit g(ak) = 0,
m(g, ak) = mk und g(z) 6= 0 sonst. Wir zeigen nun:
Zu jedem k ∈ N existieren Funktionen pk der Form pk(z) =mk+1∑j=1
ckj(z − ak)j
, sodass fur die
Potenzreihenentwicklung von g · pk um ak die Form
g(z)pk(z) = w0,k +w1,k
1!(z − ak) + . . .+
wmk,kmk!
(z − ak)mk + . . .
fur z ∈ Uδk(ak) gilt.
1 Dazu nehmen wir oBdA ak = 0 an (fest!), schreiben m = mk und wnk = wn. Fur
z ∈ Uδ(0) gilt dann:
g(z) = b1zm+1 + b2z
m+2 + . . .+ . . . , b1 6= 0.
2 Ist P (z) = c1z
+ c2z2
+ . . .+ cm+1
zm+1 , so gilt:
g(z) · P (z) =(b1 + b2z + b3z
2 + . . .)· (cm+1 + cmz + . . . c1z
m)
!= w0 +
w1
1!z + . . .+
wmm!
zm + . . .
Ausmultiplizieren und Vergleich der Koeffizienten liefert folgendes Gleichungssys-
tem:
b1cm+1 = w0
b2cm+1 + b1cm = w1
...
bm+1cm+1 + bmcm + . . . + b1c1 = wmm!
3 Wegen b1 6= 0 hat dieses (lineare) Gleichungssystem genau eine Losung. Dieses
Vorgehen fuhrt man fur jede Polstelle ak durch und konstruiert dann mit dem Satz
von Mittag-Leffler eine meromorphe Funktion h mit Polen genau an den ak und
den Hauptteilen pk. Setze dann f = g · h.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
-22-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6.6 Partialbruchzerlegung des Kotangens
Wir betrachten zunachst die Funktion f(z) =π2
sin2(πz). f ist meromorph in C mit Polen
an z = n ∈ Z und Hauptteilen1
(z − n)2. f hat ferner Periode 1 und die Funktion
g(z) =∑n∈Z
1
(z − n)2
ist meromorph in C mit gleichen Polen und Hauptteilen wie f . Insbesondere hat g auch
Periode 1. Somit ist h := f − g eine ganze Funktion.
Ziel: Zeige h ≡ 0.
Wir schreiben nun z = x+ iy. Dann folgt
|sin(πz)|2 = sin2(πx) + sinh2(πy).
Also ist |f(z)| ≤ π2
sinh2(πy)→ 0 fur y →∞ gleichmaßig in x.
Jetzt zeigen wir, dass auch |g(z)| → 0 fur |y| → ∞ gilt. Wegen der Periodizitat konnen
wir annehmen, dass 0 ≤ x ≤ 1 gilt.
Sei nun ε > 0. Wahle N ∈ N mit∞∑
n=N+1
1(n−1)2
< ε4
und halte N fest. Dann gilt mit
z = x+ iy:
|g(z)| ≤∑|n|≤N
1
(n− x)2 + y2+∑|n|>N
1
(n− x)2 + y2
≤ 2N + 1
y2+ 2 ·
∞∑n=N+1
1
(n− 1)2
≤ 2N + 1
y2+ε
2→ ε
2(|y| → ∞).
Wegen der Periodizitat ist h beschrankt, also konstant nach Liouville. Wegen h → 0 fur
|y| → ∞ folgt nun h ≡ 0.
⇒ π2
sin2(πz)=∑n∈Z
1
(z − n)2, z ∈ C \ Z. (6.32)
Die Konvergenz ist dabei sogar gleichmaßig. Wir setzen nun F (z) = π cot(πz) und G(z) =
1z
+∑n6=0
(1
z−n + 1n
)= 1
z+∞∑n=1
2zz2−n2 . Diese Reihen konvergieren lokal gleichmaßig in C \ Z.
Nun liefert Differenzieren F ′(z) = f(z) und F ′(z) = −g(z). Aus Formel (6.32) folgt also
-23-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
F (z) = G(z) + c fur ein c ∈ C. Da F und G ungerade sind, muss c = 0 sein.
⇒ π cot(πz)[...]=
1
z+∞∑n=1
2z
z2 − n2. (6.33)
-24-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6.7 Produktdarstellung des Sinus
Aus dem Weierstraßschen Faktorisierungssatz und Bemerkung 6.2.4 folgt zunachst
sin(πz) = zeg(z)∏n6=0
(1− z
n
)ez/n = zeg(z)
∞∏n=1
(1− z2
n2
)(6.34)
mit einer ganzen Funktion g. Mit Hilfe logarithmischer Ableitung f ′
ffolgt nun
n cot(πz) =1
z+ g′(z) +
∞∑n=1
2z
z2 − n2.
Mit Gleichung (6.33) folgt g′(z) = 0, also eg(z) = c fur ein c ∈ C.
Division von (6.34) durch z und Grenzubergang z → 0 liefert nun eg(z) = π.
Fazit:
sin(πz) = πz∞∏n=1
(1− z2
n2
), z ∈ C \ Z. (6.35)
Diese Produktdarstellung wurde bereits von Euler 1734 gefunden.
Wir setzen in (6.35) fur z spezielle Werte ein:
• z = 12⇒ π
2=∞∏n=1
4n2
4n2−1(Wallis-Produkt)
• z = i⇒∞∏n=1
(1 + 1
n2
)= eπ−e−π
2π
• z = 1⇒∞∏n=1
(1− 1
n2
)= 1
2
-25-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6.8 Die Eulersche Gammafunktion
Frage: Existiert eine”sinnvolle“ Funktion, die die Fakultat interpoliert?
Dies ist die Eulersche Gammafunktion. Es gibt verschiedene Moglichkeiten, diese Funktio-
nen einzufuhren. Wir wollen hier einen funktionentheoretischen Zugang mit unendlichen
Produkten. Nach dem Weierstraßschen Produktsatz ist das unendliche Produkt
∞∏n=1
(1 +
z
n
)e−z/n
konvergent gegen eine ganze Funktion und daher ist
∞∏n=1
(1 +
z
n
)−1
ez/n
eine (in C \ −n : n ∈ N holomorphe) in C meromorphe Funktion mit einfachen Polen
in z = −n, n ∈ N.
Definition 6.8.1. Die Gammafunktion Γ ist eine in C meromorphe Funktion mit ein-
fachen Polen in z = −n, n ∈ N0, definiert durch
Γ(z) :=e−γz
z
∞∏n=1
(1 +
z
n
)−1
ez/n, (6.36)
wobei γ ∈ C so gewahlt ist, dass Γ(1) = 1 gilt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wir mussen nun zeigen, dass ein solches γ tatsachlich existiert. Wir schreiben die Defini-
tion von Γ dazu etwas um:
eγ =∞∏n=1
(1 +
1
n
)−1
e1/n ⇒ γ =∞∑k=1
log
[(1 +
1
k
)−1
e1/k
]
= limn→∞
n∑k=1
1
n− log
(n+ 1
n
)︸ ︷︷ ︸→0 (n→∞)
− log n
Dieser Grenzwert existiert und ist die Euler-Mascheroni-Konstante. Es gilt 1
2< γ < 1.
Mit dieser Formel konnen wir nun eine weitere Darstellung fur Γ zeigen.
Satz 6.8.2 (Gauß’sche Formel). Fur z 6= −n, n ∈ N gilt:
Γ(z) = limn→∞
n!nz
z(z + 1) · . . . · (z + n). (6.37)
-26-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
Beweis. Aus der Definition von Γ folgt
Γ(z) =e−γz
2limn→∞
n∏k=1
kez/k
z + k
= limn→∞
e−γzn!
z(z + +1) · . . . · (z + n)exp
(z ·(
1 +1
2+ . . .+
1
n
)).
Wegen e−γz exp(z ·(1 + 1
2+ . . .+ 1
n
))= nz · exp
z(−γ + 1 +
1
2+ . . .+
1
n− log n
)︸ ︷︷ ︸
→0 (n→∞)
folgt hieraus die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aus dieser Darstellung erhalten wir folgende Funktionalgleichung:
Satz 6.8.3 (Funktionalgleichung der Gammafunktion).
Fur z 6= −n, n ∈ N, gilt:
Γ(z + 1) = zΓ(z). (6.38)
Beweis. Ersetzt man in der Gaußschen Formel z durch z + 1, so folgt die Behauptung
durch Nachrechnen.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hieraus folgt fur n ∈ N sofort Γ(z+n) = z(z+ 1) · . . . · (z+n−1) ·Γ(z), also insbesondere
Γ(n+ 1) = n!. Damit haben wir unser Ziel erreicht.
Frage: Gibt es noch weitere”sinnvolle“ Funktionen mit dieser Eigenschaft?
Zunachst leiten wir einige weitere Eigenschaften von Γ her.
Γ hat in jedem Punkt z = −n, n ∈ N, einen einfachen Pol mit Residuum Res(Γ;−n) =(−1)n
n!. Weiterhin folgt durch zweimaliges67 logarithmisches Ableiten fur z 6= −n, n ∈ N:
Γ′(z)
Γ(z)= −γ − 1
z+∞∑n=1
z
n(n+ z)und
d
dz
Γ′(z)
Γ(z)=
1
z2+∞∑n=1
1
(n+ z)2.
Fur x > 0 ist Γ(x) > 0, d.h. log Γ(x) ist wohldefiniert. Aus obiger Formel folgt somit:
d2
dx2log Γ(x) =
1
x2+∞∑n=1
1
(n+ x)2> 0.
Somit ist Γ logarithmisch-konvex, d.h. log Γ ist konvex auf (0,∞).
67Weitere Ableitungen dieser Art liefern keine sinnvollen Ergebnisse mehr.
-27-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
Jetzt zeigen wir, dass diese Eigenschaft zusammen mit obiger Funktionalgleichung und
Γ(1) ausreicht, die Gammafunktion zu charakterisieren.
Satz 6.8.4 (Satz von Bohr-Mollerup). Es sei f : (0,∞)→ (0,∞) eine Funktion mit
(a) log f ist konvex auf (0,∞),
(b) f(x+ 1) = xf(x), x > 0,
(c) f(1) = 1.
Dann ist f(x) = Γ(x) fur x > 0.
Beweis.
1 Aus (b) und (c) folgt induktiv fur n ∈ N und x > 0:
f(x+ n) = x(x+ 1)(x+ 2) · . . . · (x+ n− 1) · f(x) (∗)
2 Wegen (∗) genugt es, f(x) = Γ(x) fur x ∈ (0, 1] zu zeigen. Sei also x ∈ (0, 1], n ∈ N,
n > 2. Die Voraussetzung (a) und Eigenschaften konvexer Funktionen liefert:
log f(n− 1)− log f(n)
(n− 1)− n≤ log f(n+ 1)− log f(n)
(n+ 1)− n.
3 Wegen (∗) gilt f(m) = (m− 1)! fur m ∈ N. Damit folgt:
− log(n− 2)! + log(n− 1)! ≤ log n!− log(n− 1)!
Kurzen und mit x multiplizieren liefert:
x log(n− 1) ≤ log f(x+ n)− log(n− 1)! ≤ x log n.
4 Wir addieren log(n− 1)! und wenden exp an:
(n− 1)x(n− 1)! ≤ f(x+ n) ≤ nx(n− 1)!.
Mit (∗) folgt hieraus nun
(n− 1)x(n− 1)!
x(x+ 1) · . . . · (x+ n− 1)≤ f(x) ≤ nx · n!
x(x+ 1) · . . . · (x+ n)· x+ n
n.
5 Da der mittlerer Term nicht von n abhangt, kann man auf der linken Seite n durch
-28-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
n+ 1 ersetzen:
nxn!
x(x+ 1) · . . . · (x+ n)≤ f(x) ≤ nxn!
x(x+ 1) · . . . · (x+ n)· x+ n
n︸ ︷︷ ︸→1 (n→∞)
.
Mithilfe der Gaußschen Formel folgt dann
f(x) = Γ(x), x ∈ (0, 1].
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nun wollen wir fur Re z > 0 eine Integraldarstellung herleiten.
Lemma 6.8.5. Es sei S := z ∈ C : a ≤ Re z ≤ A mit 0 < a < A <∞. Dann gelten:
a) Zu jedem ε > 0 existiert ein δ > 0, sodass fur alle z ∈ S und 0 < α < β < δ gilt:∣∣∣∣∣∣β∫α
e−ttz−1 dt
∣∣∣∣∣∣ < ε.
b) Zu jedem ε > 0 existiert ein κ > 0, sodass fur alle z ∈ S und β > α > κ gilt:∣∣∣∣∣∣β∫α
e−ttz−1 dt
∣∣∣∣∣∣ < ε.
Beweis.
a) 1 Fur t ∈ (0, 1] und z ∈ S gilt:
(Re z − 1) log t ≤ (α− 1) log t.
2 Da e−t ≤ 1 gilt, folgt |e−ttz−1| ≤ tRe z−1 ≤ tα−1.
3 Ist nun 0 < α < β < 1, so gilt fur z ∈ S:∣∣∣∣∣∣β∫α
e−ttz−1 dt
∣∣∣∣∣∣ ∆−UGL
≤β∫α
ta−1 dt =1
a(βa − αa) .
4 Wahle δ < 1 so klein, dass fur α < β < δ gilt:
1
a(βa − αa) < ε.
-29-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
Damit folgt die Behauptung.
b) 1 Fur t ≥ 1 und z ∈ S gilt |tz−1| ≤ tA−1.
2 Die Funktion t 7→ tA−1e−t/2 ist stetig auf [1,∞) und geht gegen 0 fur t→∞,
d.h. es existiert ein C > 0, sodass tA−1e−t/2 ≤ C. Somit folgt∣∣e−ttz−1∣∣ ≤ Ce−t/2.
3 Ist nun β > α > 1, so gilt fur z ∈ S:∣∣∣∣∣∣β∫α
e−ttz−1 dt
∣∣∣∣∣∣ ∆−UGL
≤ C
β∫α
e−t2
dt = 2C(e−α/2 − e−β/2
).
4 Jetzt wahle κ > 1, sodass 2C(e−α/2 − e−β/2
)< ε fur β > α > κ. Damit folgt
die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lemma 6.8.6. Es sei H = z ∈ C : Re z > 0. Fur n ∈ N definieren wir fn : H → Cdurch
fn(z) =
n∫1/n
e−ttz−1 dt.
Dann ist jedes fn holomorph in H und (fn) konvergiert lokal gleichmaßig gegen eine in Hholomorphe Funktion f .
Beweis.
1 Wie im Reellen68 zeigt man zunachst, dass jedes fn in z ∈ H komplex differenzier-
bar und daher holomorph in H ist.
2 Jetzt sei K ⊂ H kompakt. Dann existiert ein Streifen S wie im vorigen Lemma
mit K ⊂ S. Sind nun m,n ∈ N mit m > n, so gilt
fm(z)− fn(z) =
1/n∫1/m
e−ttz−1 dt+
m∫n
e−ttz−1 dt.
3 Aus dem vorigen Lemma und dem Cauchykriterium fur gleichmaßige Konvergenz
folgt dann die Behauptung.
68Stichwort: Parameterabhangiges Integral.
-30-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lemma 6.8.7. Es gelten:
a) Die Folge((
1 + zn
)n)konvergiert lokal gleichmaßig in C gegen ez.
b) Fur alle t ∈ [0,∞) und alle n ∈ N mit n ≥ A gilt:(1− t
n
)n≤ e−t.
Beweis.
a) 1 Es sei K ⊂ C kompakt und n so groß, dass |z| < n fur alle z ∈ K. Dann
genugt es zu zeigen, dass
limn→∞
n log(
1 +z
n
)= z
fur z ∈ K, wobei log der (wohldefinierte) Hauptzweig des komplexen Loga-
rithmus ist.
2 Die Potenzreihenentwicklung des Logarithmus lautet
log(1 + w) =∞∑k=1
(−1)k−1
k
zk
nk−1fur |w| < 1.
Hieraus folgt nun fur n > |z|
n log(
1 +z
n
)− z = −z
∞∑k=2
(−1)k
k
zk−1
nk−1. (∗)
3 Logarithmieren und Anwendung der Dreiecksungleichung liefert nun unter
Ausnutzung der geometrischen Reihe
∣∣∣n log(
1 +z
n
)− z∣∣∣ ≤ |z|2
n
1
1− |z|n
=|z2|
n− |z|≤ R2
n−R→ 0 (n→∞)
gleichmaßig auf K, wobei |z| ≤ R. Dies ist gerade die Behauptung.
b) Es sei t ≥ 0. Wir setzen nun z = −t in (∗) ein und erhalten:
n log
(1− t
n
)+ t = −t
∞∑k=2
1
k
(t
n
k−1)≤ 0.
Daraus folgt sofort die Behauptung.
-31-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nun konnen wir fur z ∈ H definieren:
f(z) =
∞∫0
e−ttz−1 dt. (6.39)
Die vorigen Ergebnisse zeigen, dass f holomorph in H ist. Wir wollen jetzt zeigen, dass
f(z) = Γ(z) fur z ∈ H gilt. Wegen des Identitatssatzes genugt es, dies fur x ∈ [1,∞) zu
zeigen.
Satz 6.8.8. Fur Re z > 0 gilt
Γ(z) =
∞∫0
e−ttz−1 dt. (6.40)
Beweis.
1 Es sei r ≥ 1 und ε > 0. Nach Lemma 6.8.5 b) konnen wir κ > 0 finden mit
r∫κ
e−ttx−1 dt <ε
4(∗)
fur alle r > κ. Nun sei n > κ und fn die Funktionen aus Lemma 6.8.6. Dann gilt:
fn(x)−n∫
0
(1− t
n
)ntx−1 dt = −
1/n∫0
(1− t
n
)ntx−1 dt+
n∫1/n
[e−t −
(1− t
n
)n]tx−1 dt.
2 Aus Lemma 6.8.7 b) und Lemma 6.8.5 a) folgt:
1/n∫0
(1− t
n
)ntx−1 dt ≤
1/n∫0
e−ttx−1 dt <ε
4(∗∗)
fur alle hinreichend großen n.
Teil a) des vorigen Lemmas impliziert fur alle hinreichend großen n:∣∣∣∣(1− t
n
)n− e−t
∣∣∣∣ ≤ ε
4Mκ
-32-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
fur t ∈ [0, κ], wobei M =∫ κ
0tx−1 und x fest ist. Dann gilt∣∣∣∣∣∣∣
κ∫1/n
[e−t −
(1− t
n
)n]tx−1 dt
∣∣∣∣∣∣∣ ≤ε
4. (∗ ∗ ∗)
3 Mit Lemma 6.8.7 b) und (∗) folgt fur n > κ:∣∣∣∣∣∣κ∫n
[e−t −
(1− t
n
)n]tx−1 dt
∣∣∣∣∣∣ ≤ 2
n∫κ
e−ttx−1 dt ≤ ε
2.
Kombinieren wir (∗∗) und (∗ ∗ ∗), so folgt∣∣∣∣∣∣fn(x)−n∫
0
(1− t
n
)ntx−1 dt
∣∣∣∣∣∣ < ε
fur n hinreichend groß. Somit folgt durch n-maliges partielles Integrieren:
limn→∞
[fn(x)− n!nx
x · (x+ 1) · . . . · (x+ n)
]= 0
und hieraus die Behauptung mittels der Gauß’schen Darstellung und Lemma 6.8.6.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiel 6.8.9. Fur z ∈ C \ Z gilt:
Γ(z) · Γ(1− z) =π
sin(πz). (6.41)
Beweis. Nachrechnen mittels Gaußscher Formel und dem Sinusprodukt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Setzt man in obigem Beispiel speziell t = 12, so folgt Γ(1/2) =
√π. Aus der Funktional-
gleichung erhalt man sofort
Γ
(n+
1
2
)=
1 · 3 · 5 · . . . · (2n− 1)
2n√π (6.42)
Beispiel 6.8.10. Wegen Γ(1/2) =√π folgt durch Substitution aus der Integraldarstellung
unmittelbar∫∞
0e−t
2dt =
√π
2.
-33-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6.9 Die Riemannsche Zetafunktion
Fur z = x+ iy ∈ C und n ∈ N gilt
|nz| =∣∣ez logn
∣∣ = ex logn = nx.
Ist nun δ > 0 und x ≥ 1 + δ, so gilt fur n ∈ N:
n∑k=1
∣∣k−z∣∣ =n∑k=1
k−x ≤n∑k=1
k−(1+δ),
wobei die letzte Reihe konvergiert. Das heißt, z 7→∞∑n=1
1nz
ist in H1 := z ∈ C : Re(z) > 1
lokal gleichmaßig konvergent und stellt dort eine holomorphe Funktion dar.
Definition 6.9.1. Die Riemannsche Zetafunktion ist in H1 definiert durch
ζ(z) =∞∑n=1
1
nz. (6.43)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lemma 6.9.2.
a) Es sei Sr := z ∈ C : Re(z) ≥ a, wobei a > 1. Dann existiert zu jedem ε > 0 ein
δ ∈ (0, 1). sodass fur alle z ∈ Sr und δ > β > α gilt:∣∣∣∣∣∣β∫α
(et − 1
)−1tz−1 dt
∣∣∣∣∣∣ < ε ∀z ∈ Sr. (6.44)
b) Es sei Sl := z ∈ C : Re(z) ≤ A, wobei A ∈ R. Dann existiert zu jedem ε > 0 ein
κ > 1, sodass fur β > α > κ gilt:∣∣∣∣∣∣β∫α
(et − 1
)−1tz−1 dt
∣∣∣∣∣∣ < ε ∀z ∈ Sl. (6.45)
Beweis.
a) Fur t ≥ 0 und z ∈ Sr gilt:
et − 1 ≥ t.
Daher folgt fur 0 < t ≤ 1 und z ∈ Sr:∣∣∣(et − 1)−1
tz−1∣∣∣ ≤ ta−2.
-34-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
Wegen a > 1 existiert das Integral1∫0
ta−2 dt. Hieraus erhalt man die Behauptung.
b) Fur t ≥ 1 und z ∈ Sl erhalt man ahnlich wie im Beweis von Lemma 6.8.5 b) eine
Konstante C > 0, sodass∣∣∣(et − 1)−1
tz−1∣∣∣ ≤ (et − 1
)−1tA−1 ≤ Cet/2
(et − 1
)−1.
Da die Funktion t 7→ et/2 (et − 1)−1
auf [1,∞) integrierbar ist, finden wir ein κ > 1,
sodass die Behauptung gilt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Folgerung 6.9.3.
a) Es sei Sb := z ∈ C : a ≤ Re(z) ≤ A, wobei 1 < a < A < ∞. Dann konvergiert
das Integral
∞∫0
(et − 1
)−1tz−1 dt
gleichmaßig in Sb.
b) Es sei Sl := z ∈ C : Re(z) ≤ A, A ∈ R. Dann konvergiert das Integral
∞∫1
(et − 1
)−1tz−1 dt
gleichmaßig in Sl.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 6.9.4. Fur Re(z) > 1 gilt
ζ(z)Γ(z) =
∞∫0
(et − 1
)−1tz−1 dt. (6.46)
Beweis.
1 Aufgrund von Folgerung 6.9.3 stellt das Integral auf der rechten Seite eine holomor-
phe Funktion in H1 dar. Daher genugt es wieder, obige Formel fur z = x ∈ (1,∞)
zu zeigen.
-35-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
2 Nach Lemma 6.9.2 existieren Zahlen α, β mit 0 < α < β <∞, sodass
α∫0
(et − 1
)−1tx−1 dt <
ε
4und
∞∫β
(et − 1
)−1tx−1 dt <
ε
4.
Wegen∞∑k=1
e−kt = (et − 1)−1
folgt
∞∑n=1
α∫0
e−nttx−1 dt <ε
4und
∞∑n=1
∞∫β
e−nttx−1 dt <ε
4.
3 Aufgrund der Integraldarstellung der Γ-Funktion gilt fur Re(z) < 0 sofort
Γ(z) =
∞∫0
e−ttz−1 dt.
Substituiere nun t = nu, dt = n du. Dies ergibt:
Γ(z) = nz−1
∞∫0
e−nuuz−1 · n du = nz ·∞∫
0
e−nuuz−1 du.
Somit ergibt sich
n−zΓ(z) =
∞∫0
e−nuuz−1 du, Re(z) > 0.
4 Fur Re(z) > 1 konnen wir aufsummieren:
ζ(z)Γ(z) =∞∑n=1
∞∫0
e−nuuz−1 du.
Hiermit folgt:∣∣∣∣∣∣ζ(x)Γ(x)−∞∫
0
(et − 1
)−1tx−1 dt
∣∣∣∣∣∣ ≤ ε
2+
∣∣∣∣∣∣∞∑n=1
β∫α
e−nttx−1 dt−β∫α
(et − 1
)−1tx−1 dt
∣∣∣∣∣∣ .Aufgrund der gleichmaßigen Konvergenz der Reihe ist der hintere Betrag 0 und
somit folgt die Behauptung.
-36-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mit diesem Ergebnis wollen wir jetzt die ζ-Funktion in die Halbebene H−1 analytisch
fortsetzen, vielleicht sogar nach ganz C.
Satz 6.9.5. Die Riemannsche Zetafunktion kann zu einer in C meromorphen Funktion
fortgesetzt werden. Dabei ist z = 1 die einzige Polstelle mit Residuum
Res(ζ, 1) = 1. (6.47)
Fur z 6= 1 gilt die Funktionalgleichung
ζ(z) = 2 · (2π)z−1Γ(1− z)ζ(1− z) sinπz
2. (6.48)
Beweis.
1 Zunachst setzen wir ζ in die Halbebene H−1 fort. Dazu betrachten wir die Lau-
rententwicklung von z 7→ (ez − 1)−1 um 0, d.h.
1
ez − 1=
1
z− 1
2+∞∑k=1
anzn
mit gewissen Koeffizienten an ∈ C. Daher ist[(ez − 1)−1 − 1
z
]aufgrund des Rie-
mannschen Hebbarkeitssatzes (vgl. Funktionentheorie I, Folgerung 3.2.4 ) in einer
Umgebung von 0 beschrankt. Daher ist
1∫0
(1
et − 1− 1
t
)tz−1 dt
lokal gleichmaßig konvergent in der rechten Halbebene H und stellt dort eine ho-
lomorphe Funktion dar.
2 Hiermit ergibt sich nun
ζ(z)Γ(z) =
1∫0
(1
et − 1− 1
t
)tz−1 dt+
1
z − 1+
∞∫1
tz−1
et − 1dt. (∗)
Die drei Terme auf der rechten Seite sind dabei bis auf den mittleren holomorph
in H. Also konnen wir mit dieser Formel ζ in H \ 1 definieren, indem wir durch
Γ(z) dividieren. Damit ist ζ meromorph in H mit Pol in z = 1 und Res(ζ, 1) = 1.
-37-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
3 Nun sei 0 < Re(z) < 1. Dann gilt
1
z − 1= −
∞∫1
tz−2 dt.
Mit Hilfe von (∗) folgt nun
ζ(z)Γ(z) =
∞∫0
(1
et − 1− 1
t
)tz−1 dt. (∗∗)
Betrachten wir wieder die obige Laurententwicklung, so sehen wir, dass es eine
Konstante c > 0 gibt mit[(et − 1)−1 − 1
t+ 1
2
]≤ ct fur t ∈ [0, 1]. Somit konvergiert
1∫0
[(et − 1)−1 − 1
t+
1
2
]tz−1 dt
lokal gleichmaßig in H−1 und stellt dort eine homolomorphe Funktion dar.
4 Wegen limt→∞
t(
1et−1− 1
t
)= −1 existiert eine Konstante c′ > 0 mit
∣∣ 1et−1− 1
t
∣∣ ≤ c′
t
fur t ≥ 1. Somit ist
∞∫1
(1
et − 1− 1
t
)tz−1 dt
lokal gleichmaßig konvergent fur Re(z) < 1. Benutzen wir diese beiden Integrale
zusammen mit (∗∗), so folgt:
ζ(z)Γ(z) =
1∫0
(1
et − 1− 1
t+
1
2
)dt− 1
2z+
∞∫1
(1
et − 1− 1
t
)tz−1 dt. (∗ ∗ ∗)
Durch diese Gleichung konnen wir jetzt ζ durch (∗ ∗ ∗) im Streifen
z ∈ C : − 1 ≤ Re(z) < 1
definieren, indem wir durch Γ(z) dividieren.
5 Bleibt die Holomorphie in z = 0 zu klaren.
Wegen 12zΓ(z)
= 12Γ(z+1)
und der Holomorphie dieser Funktion in z = 0 folgt dies
aber sofort.
Zwischenstand: Wir haben bisher ζ meromorph nach H−1 mit einem Pol in z = 1 fortge-
setzt. Nun setzen wir auf ganz C fort und leiten die Funktionalgleichung her.
-38-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
6 Nun sei −1 < Re(z) < 1. Dann gilt
−1
z=
∞∫1
tz−1 dt.
Mit Hilfe von (∗ ∗ ∗) folgt dann:
ζ(z)Γ(z) =
∞∫0
(1
et − 1− 1
t+
1
2
)tz−1 dt (∗4)
fur −1 < Re(z) < 1.
7 Mittels Eulerscher Formel, der Definition des komplexen Sinus und der Partial-
bruchzerlegung des Kotangens in (6.33) rechnet man nach:
1
et − 1+
1
2=
i
2cot
1
2it =
i
2·
(2
it− 4it
∞∑n=1
1
t2 + 4n2π2
).
Setzen wir dies in (∗4) ein, so folgt fur −1 < Re(z) < 1:
ζ(z)Γ(z) = 2 ·∞∫
0
(∞∑n=1
1
t2 + 4n2π2
)t2 dt
= 2 ·∞∑n=1
∞∫0
tz
t2 + 4n2π2dt
= 2 ·∞∑n=1
(2πn)z−1
∞∫0
tz
t2 + 1dt
= 2 · (2π)z−1ζ(1− z) ·∞∫
0
tz
t2 + 1dt.
8 Weiter folgt69:
∞∫0
tx
t2 + 1dt
s=t2=
1
2·∞∫
0
s(x−1)/2
s+ 1ds =
π
2 sin(π(1− x)/2)=
π
2 cos πx2
.
Weiterhin wissen wir:
1
Γ(x)=
Γ(1− x)
πsinπx =
Γ(1− x)
π·[2 sin
πx
2cos
πx
2
].
69Fur Details der Rechnung siehe Conway, Ex. V 2.12, pp. 119-120.
-39-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
9 Kombinieren wir die letzten drei Formeln, so folgt fur −1 < Re(z) < 1 die Funk-
tionalgleichung (6.48), wobei wir vom Identitatssatz Gebrauch gemacht haben.
10 Da die rechte Seite in der linken Halbebene holomorph ist, konnen wir die ζ-
Funktion in diese Halbebene fortsetzen und die Behauptung folgt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nullstellen der ζ-Funktion:
Da Γ(1− z) Pole in z = 1, 2, 3, 4, . . . hat und ζ holomorph in z = 2, 3, 4, . . . ist, folgt aus
der Riemannschen Funktionalgleichung:
ζ(1− z) sinπz
2= 0 (6.49)
fur z = 2, 3, 4, . . ..
Da die Pole von Γ alle einfach sind, mussen diese Nullstellen auch einfach sein. Da sin πz2
=
0 in allen geraden ganzen Zahlen, ist ζ(1− z) = 0 fur z = 3, 5, 7, . . .. Somit folgt ζ(z) = 0
fur z = −2,−4,−6, . . ..
Ahnliche Uberlegungen liefern, dass ζ außerhalb des abgeschlossenen Streifens
z ∈ C : 0 ≤ Re(z) ≤ 1 (6.50)
keine weiteren Nullstellen hat.
Definition 6.9.6. Die Nullstellen −2,−4,−6, . . . der ζ-Funktion heißen die trivialen
Nullstellen. Der in (6.50) erwahnte Streifen heißt kritischer Streifen.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Riemannsche Vermutung:
Ist z eine Nullstelle von ζ im kritischen Streifen, so gilt Re(z) = 12.
Diese Vermutung ist bis heute ungelost. Ware sie richtig, so hatte dies weitreichende Kon-
sequenzen in der analytischen Zahlentheorie.
Zum Abschluss dieses Kapitels wollen wir nun eine wichtige Verbindung zwischen Zah-
lentheorie und Funktionentheorie kennenlernen.
Satz 6.9.7 (Satz von Euler). Fur Re(z) > 1 gilt:
ζ(z) =∞∏n=1
1
1− p−zn, (6.51)
wobei (pn) die Folge der Primzahlen ist.
-40-
6 Unendliche Produkte und Partialbruchreihen
Beweis. Aus der geometrischen Reihe folgt fur n ∈ N:
1
1− p−zn=
∞∑m=0
p−mzn .
Somit ergibt sich
n∏k=1
1
1− p−zn=∞∑j=1
n−zj ,
wobei uber alle naturlichen Zahlen nj summiert wir, die Produkt der Primzahlen p1, . . . , pn
sind. Grenzubergang n→∞ liefert dann die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Herleitung der Eulerschen Formeln fur ζ(2k), k ∈ N:
Betrachte die Laurententwicklung
π cotπz =1
z−∞∑k=1
(−1)k+1(2π)2k · 1
(2k)!·B2kz
2k−1 (∗)
fur 0 < |z| < 1. Bk sind die sogenannten Bernoullizahlen:
Bk ∈ Q, B0 = 1, B2k+1 = 0, B2k hat alternierendes Vorzeichen und es gilt:(n
0
)B0 +
(n
1
)B1 +
(n
2
)B2 + . . .+
(n
n− 1
)Bn−1 = 0.
Zum Beispiel: B2 = 16, B4 = − 1
30, B6 = 1
42, . . .
Weiterhin bestimmen wir die Laurententwicklung der rechten Seite von (6.33):
π cotπz =1
z− 2z
∞∑n=1
1
n2
1
1− z2
n2
=1
z− 2
∞∑n=1
∞∑k=0
z2k+1
n2(k+1)=
1
z− 2
∞∑k=1
(∞∑n=1
1
n2k
)z2k−1
fur 0 < |z| < 1. Ein Koeffizientenvergleich mit (∗) liefert nun
ζ(2k) = (−1)k−1 (2π)2k
2 · (2k)!·B2k, k ∈ N. (6.52)
Diese Formeln kannte bereits Euler 1734. Speziell ergibt sich:
ζ(2) =π2
6, ζ(4) =
π4
90, ζ(6) =
π6
945, . . . .
-41-
7 Ganze Funktionen
7 Ganze Funktionen
Wir knupfen an den Weierstraßschen Faktorisierungssatz an:
f(z) = eg(z)∞∏n=1
Epn
(z
zn
). (7.1)
Im Allgemeinen kann man uber g bzw. pn fast nichts sagen.
Frage: Gibt es Bedingungen an f , sodass man genauere Aussagen uber g und pn treffen
kann?
Es stellt sich heraus, dass es nutzlich ist, einen Zusammenhang zwischen dem Wachstum
von f und den Nullstellen – genauer der Anzahl der Nullstellen – von f herzustellen. Als
Hilfsmittel dient dazu die sogenannte Jensensche Formel. Zu deren Beweis benotigen wir
einige weiter Eigenschaften uber harmonische Funktionen.
Inhalt des Kapitels
7.1 Harmonische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
-42-
7 Ganze Funktionen
7.1 Harmonische Funktionen
Wir wissen, dass Real- und Imaginarteil holomorpher Funktionen harmonisch sind und
umgekehrt lokal jede harmonische Funktion Realteil einer holomorphen Funktion ist.
Nutzlich ist noch folgende Eigenschaft:
Sind D,G Gebiete, u harmonisch in G, f holomorph in D mit f(D) ⊂ G, so ist u fharmonisch in D.70
Satz 7.1.1 (Mittelwerteigenschaft). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, u : D → R harmonisch,
z0 ∈ D, r > 0 mit Ur(z0) ⊂ D. Dann gilt:
u(z0) =1
2π
2π∫0
u(z0 + reit) dt. (7.2)
Beweis. Es gilt u = Re(f) mit einer in Ur+δ(z0) holomorphen Funktion f . Anwenden
der Mittelpunktformel fur f und anschließende Realteilbildung liefert die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 7.1.2 (Maximumprinzip, 1. Version). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, u harmonisch in D
und u habe in z0 ∈ D ein globales Maximum. Dann ist u konstant.71
Beweis.
1 Es sei A := z ∈ D : u(z) = u(z0). Da u stetig ist, ist A abgeschlossen und wegen
z0 ∈ A ist A 6= ∅. Wir zeigen nun, dass A auch offen ist, denn dann folgt aufgrund
des Zusammenhangs von D sofort A = D und wir sind fertig.
2 Sei ζ ∈ A und r > 0 mmit Ur(ζ) ⊂ D. Dies ist immer moglich, da D als Gebiet
offen ist. Wir zeigen nun Ur(ζ) ⊂ A.
Annahme: ∃z1 ∈ Ur(ζ) : u(z1) < u(z0) = u(ζ).
Aus Stetigkeitsgrunden gilt u(z) < u(z0) = u(ζ) fur alle z in einer Umgebung U
von z1. Wir schreiben nun z1 = ζ+ρeiα mit ρ = |z1 − ζ|. Die Mittelwerteigenschaft
7.1.1 liefert nun:
u(ζ) =1
2π
2π∫0
u(ζ + ρeit) dt < u(ζ)
wegen u(z) < u(ζ).
70Dies nennt man auch holomorphe Substitution.71Fur ein analoges Minimumprinzip betrachte einfach −u.
-43-
7 Ganze Funktionen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung: Wir haben im Beweis nur benutzt, dass u stetig ist und die Mittelwerteigen-
schaft erfullt.
Satz 7.1.3 (Maximumprinzip, 2. Version). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, u harmonisch in D
und es existiert eine Konstante M ∈ R mit lim supz→ζ
u(z) ≤M fur alle ζ ∈ ∂D und ζ =∞,
falls D unbeschrankt.72 Dann ist u konstant oder u(z) < M fur alle z ∈ D.
Beweis. Es sei u nicht-konstant. Nach Voraussetzung ist m := sup u(z) : z ∈ D <∞.
Dann existiert eine Folge (zn) in D mit u(zn) → m (n → ∞). Nun besitzt (zn) eine
Teilfolge (znk) mit znk → ζ (k → ∞), wobei ζ ∈ D oder ζ = ∞ gilt. Nach der ersten
Version des Maximumprinzips gilt ζ ∈ ∂D oder ζ =∞. Somit folgt m = limk→∞
u(znk) ≤M ,
also u(z) < m ≤M fur z ∈ D. Hieraus folgt die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wir wollen jetzt ein Analogon zur Cauchy-Integralformel herleiten. Fur z, ζ ∈ C mit z 6= ζ
setzen wir
P (ζ, z) = Reζ + z
ζ − z=|ζ|2 − |z|2
|ζ − z|2. (7.3)
P heißt Poissonkern. Fur festes ζ ist P harmonisch in C \ ζ. Ist speziell ζ = eiϑ, so
ist P (ζ, ·) harmonisch in D und P (ζ, z) > 0. Fur z = reit schreibt sich P wie folgt:
P (ζ, z) =1− r2
1− 2r cos(ϑ− t) + r2=
1− r2
(1− r)2 + 4r sin2(ϑ−t
2
) (7.4)
Motivation:
Es sei D ⊂ C ein Gebiet und g : ∂D → R eine stetige Funktion. Gesucht ist u : D → Cstetig, harmonisch in D und u |∂D= g. Dies ist das sogenannte Dirichletproblem.
Ist D beschrankt, so existiert hochstens eine Losung. Dies folgt leicht aus dem Maximum-
prinzip.
Ist D unbeschrankt, so kann es mehrere Losungen geben, aber nur eine beschrankte.
Wir lernen nun die sogenannte Poisson-Integralgleichung kennen.
Satz 7.1.4. Es sei u harmonisch in U1+δ(0) fur ein δ > 0. Dann gilt fur z ∈ D:
u(z) =1
2π
2π∫0
P (eiϑ, z)u(eiϑ) dϑ. (7.5)
Fur z = 0 ist dies die Mittelwerteigenschaft.
72Hier betrachten wir den Rand auf C, also ζ ∈ ∂∞D.
-44-
7 Ganze Funktionen
Beweis.
1 Fur a ∈ D ist z 7→ z+a1+az
konforme Abbildung von D auf sich, die auch ∂D bijek-
tiv auf ∂D abbildet. Definiere dazu U(z) = u(z+a1+az
). Somit ist U harmonisch in
U1+δ′(0) mit δ′ > 0.
2 Anwenden der Mittelwerteigenschaft fuhrt zu folgender Rechnung:
u(a) = U(0) =1
2π
2π∫0
U(eiϑ) dϑ
=1
2π
2π∫0
u
(eiϑ + a
1 + aeiϑ
)dϑ
=1
2π
2π∫0
u(eiϕ(ϑ)
)dϑ.
Hierbei ist eiϕ(ϑ) = eiϑ+a1+aeiϑ
, also eiϑ = eiϕ(ϑ)−a1−aeiϕ(ϑ) .
3 Hiermit ergibt sich durch einfaches Nachrechnen
ieiϑ dϑ = ieiϕ(ϑ) 1− |a|2
(1− aeiϕ(ϑ))2
Einsetzen von eiϑ ergibt nun
dϑ = P(eiϕ, a
)dϕ
und somit schlussendlich
u(a) =1
2π
2π∫0
P(eiϕ, a
)u(eiϕ)dϕ.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung: Wenden wir die Poisson-Formel mit u ≡ 1 an, so folgt
1
2π
2π∫0
P(eiϕ, a
)dϕ = 1. (7.6)
Jetzt losen wir das Dirichletproblem fur den Spezialfall D = D.
-45-
7 Ganze Funktionen
Satz 7.1.5. Es sei h : ∂D→ R stetig.
Dann lost
u(z) =1
2π
2π∫0
P (eiϑ, z)h(eiϑ) dϑ, z ∈ D, (7.7)
das Dirichletproblem fur D mit Randfunktion h.
Beweis.
1 Schreibe P (eiϑ, z) = 1−x2−y2(x−cosϑ)2+(y−sinϑ)2
. Dann folgt durch Nachrechnen, dass P (eiϑ, ·)harmonisch in D ist, folglich ist auch u harmonisch in D.
Es bleibt also noch zu zeigen, dass limz→eiϑ
u(z) = h(eiϑ). Hierbei genugt es, dies fur eiϑ = 1
durchzufuhren.
2 Sei nun ε > 0. Da h stetig in z = 1 ist, existiert ein δ > 0 mit∣∣h(eiϑ)− h(1)
∣∣ < ε fur
alle |ϑ| < δ. Da h beschrankt ist, existiert eine Konstante M > 0 mit∣∣h(eiϑ)
∣∣ ≤M
fur alle ϑ. Aus (7.6) folgt nun
u(z)− h(1) =1
2π
2π∫0
P (eiϑ, z)[h(eiϑ)− h(1)
]dϑ.
Wir setzen nun u1(z) = 12π
δ∫−δP (eiϑ, z)
[h(eiϑ)− h(1)
]dϑ und
u2(z) = 12π
2π−δ∫δ
P (eiϑ, z)[h(eiϑ)− h(1)
]dϑ.
3 Wir schatzen zunachst u1 ab:
|u1(z)| ≤ 1
2π
δ∫−δ
P (eiϑ, z)∣∣h(eiϑ)− h(1)
∣∣︸ ︷︷ ︸<ε
dϑ < ε.
4 Zur Abschatzung von u2 schatzen wir wie folgt73 die Sinusfunktion nach unten ab:
Wir schreiben
P (eiϑ, z) =1− r2
(1− r)2 + 4r sin2(ϑ−t
2
) ≤ 1− r2
4r sin2(δ4
) ≤ π2(1− r2)
rδ2.
Fur r hinreichend nache bei 1 folgt nun
|u2(z)| ≤ 2Mπ2(1− r2)
rδ2< ε.
73Der Sinus wird nach unten durch die Sehne abgeschatzt.
-46-
7 Ganze Funktionen
5 Wegen u(z)− h(1) = u1(z) + u2(z) folgt aus 3 und 4 sofort die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Als Folgerung erhalten wir
Satz 7.1.6 (Satz von Schwarz ). Es sei f ∈ H(D), u = Re(f), v = Im(f) und u ∈ C0(D).
Dann gilt:
f(z) =1
2π
2π∫0
eiϑ + z
eiϑ − zu(eiϑ) dϑ+ i · v(0). (7.8)
Beweis.
1 Wir definieren F : D→ C durch
F (z) =1
2π
2π∫0
eiϑ + z
eiϑ − zu(eiϑ) dϑ, z ∈ D.
Dann ist F ∈ H(D) und wegen der Poisson-Integralformel gilt Re(f) = u auf D.
2 Somit ist Re(F − f) = 0 und somit F − f konstant und rein imaginar. Somit muss
gelten:
c := i · Im(F (0)− f(0)) = −iv(0).
Daraus folgt die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 7.1.7. Es sei u stetig im Gebiet D ⊂ C. Dann gilt:
u ist harmonisch in D genau dann, wenn fur jedes z0 ∈ D und r > 0 mit Ur(z0) ⊂ D gilt:
u(z0) =1
2π·
2π∫0
u(z0 + reit) dt. (7.9)
Beweis.
”⇒“: Dies folgt sofort aus Satz 7.1.1.
”⇐“: Es seien z0 ∈ D, r > 0 und Ur(z0) ⊂ D.
-47-
7 Ganze Funktionen
1 Sei nun U die Losung des Dirichletproblems fur Ur(z0) mit Randfunktion u.
Dann gilt U = u auf ∂Ur(z0). Somit erfullen U −u und u−U die Mittelwer-
teigenschaft.
2 Da wir im Beweis des Maximumprinzips nur die Mittelwerteigenschaft be-
nutzt haben, konnen wir dieses auf U − u und u− U anwenden. Dies ergibt
U − u ≤ 0 und u− U ≤ 0,
also U = u in Ur(z0).
3 Da u Losung des Dirichletproblems ist, ist U harmonisch auf Ur(z0). Damit
ist u harmonisch auf Ur(z0).
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rest von Kapitel 7 folgt.
-48-
8 Normale Familien und Anwendungen
8 Normale Familien und Anwendungen
Inhalt des Kapitels
8.1 Gleichgradig stetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508.2 Normale Familien holomorpher Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 548.3 Der Satz von Montel und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . 588.4 Normale Familien meromorpher Funktionen . . . . . . . . . . . . . 648.5 Die Picardschen Satze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
-49-
8 Normale Familien und Anwendungen
8.1 Gleichgradig stetige Funktionen
Definition 8.1.1. Es seien (X, d) und (Y, ρ) metrische Raume und F 6= ∅ eine Familie
von Funktionen f : X → Y . F heißt gleichgradig stetig in x0 ∈ X, wenn es zu jedem
ε > 0 ein δ = δ(ε, x0) gibt, sodass fur alle x ∈ Uδ(x0) und alle f ∈ F gilt:
ρ(f(x), f(y)) < ε. (8.1)
Beachte: δ darf von x0, aber nicht von f abhangen.
F heißt gleichgradig stetig auf X, wenn f in jedem x0 ∈ X gleichgradig stetig ist.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 8.1.2. Es seien (X, d) und (Y, ρ) metrische Raume, K ⊂ X kompakt und F eine
Familie von Funktionen f : X → Y , die auf K gleichgradig stetig ist.
Dann existiert zu jedem ε > 0 ein δ = δ(ε,K) > 074, sodass fur alle x, x′ ∈ K mit
d(x, x′) < δ und alle f ∈ F gilt:
ρ(f(x), f(x′)) < ε. (8.2)
Beweis.
1 Es sei ε > 0. Da F auf K gleichgradig stetig ist, existiert zu jedem x0 ∈ K ein
δ = δ(x0), sodass fur alle x ∈ Uδ(x0) und alle f ∈ F gilt:
ρρ(f(x), f(x0)) <ε
2.
Dann ist Uδ(x0) : x0 ∈ K eine offene Uberdeckung von K.
2 Da K kompakt ist, reichen endlich viele solcher Kreisscheiben zur Uberdeckung
aus. Ohne Einschrankung seien dies Uδ1(x1), . . . , Uδm(xm) mit x1, . . . , xm ∈ K.
Setze
δ :=1
2· minj=1,...,m
δj > 0.
3 Nun seien x, x′ ∈ K mit d(x, x′) < δ. Dann existiert ein j ∈ 1, . . . ,m mit
x ∈ Uδ(xj). Damit folgt
d(x′, xj) ≤ d(x′, x) + d(x, xj) < δ +1
2δj ≤ δj.
74δ hangt nur von ε und K ab, aber nicht vom einzelnen Punkt, d.h. f ist gleichmaßig gleichgradig stetig.
-50-
8 Normale Familien und Anwendungen
Somit ist x′ ∈ Uδ(xj) und somit
ρ(f(x), f(x′)) ≤ ρ(f(x), f(xj)) + ρ(f(xj), f(x′)) <ε
2+ε
2= ε.
Dies ist die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 8.1.3. Es seien (X, d) und (Y, ρ) metrische Raume und (fn) eine Folge stetiger Funk-
tionen fn : X → Y , die auf X gleichmaßig gegen eine Funktion f : X → Y konvergiert.
Dann ist f stetig auf X und F := fn : n ∈ N ist gleichgradig stetig auf X.
Beweis.
1 Es sei x0 ∈ X und ε > 0. Da fn → f gleichmaßig auf X gilt, existiert ein N ∈ Nmit ρ(fn(x), f(x)) < ε
3fur alle n > N und alle x ∈ X.
2 Da fn stetig in x0 ist, existiert ein δn > 0 mit ρ(fn(x), fn(x0)) < ε3
fur alle x ∈Uδn(x0).
3 Aus Analysis I/II ist bekannt, dass f stetig in x0 ist. D.h. ex existiert ein δ′ > 0
mit ρ(f(x), f(x0)) < ε3.
4 Setze nun δ := min δ′, δ1, . . . , δN. Es sei zudem x ∈ Uδ(x0) und n ∈ N.
Ist n ≤ N , so folgt ρ(fn(x), fn(x0)) < ε.
Ist n > N , so folgt
ρ(fn(x), fn(x0)) ≤ ρ(fn(x), f(x)) + ρ(f(x), f(x0)) + ρ(f(x0), fn(x0)) < ε
Dies ist die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Frage: Gibt es eine Art Umkehrung von Satz 8.1.3?
Antwort: Nein! Beispiel hierfur ist die Funktion fn(z) = z + n. Dann ist fn : n ∈ Ngleichgradig stetig auf C, aber nirgends konvergent.
Aber: Unter Zusatzvoraussetzungen gibt es eine Umkehrung. Dazu zunachst eine Vorbe-
reitung.
Lemma 8.1.4. Es seien (X, d) und (Y, ρ) metrische Raume und Y vollstandig, K ⊂ X
kompakt, (fn) eine Folge von Funktionen, fn : X → Y , die gleichgradig stetig ist und (fn)
konvergiere auf einer dichten Teilmenge A von K.
Dann ist fn gleichmaßig konvergent auf K.
-51-
8 Normale Familien und Anwendungen
Beweis.
1 Aufgrund des Cauchykriteriums zeigen wir:
Zu jedem ε > 0 gibt es ein N = N(ε) mit ρ(fm(x), fn(x)) < ε fur alle m,n ≥ N
und alle x ∈ K.
2 Es sei nun also ε > 0. Da (fn) gleichgradig stetig auf K ist, wahlen wir δ =
δ(ε,K) > 0 wie im Beweis von Satz 8.1.2 und uberdecken K mit endlich vielen
offenen Kreisscheiben Uδ(x1), . . . , Uδ(xk), wobei x1, . . . , xk ∈ K.
3 Da A dicht in K ist, gibt es zu jedem j ∈ 1, . . . , k ein aj ∈ A, sodass d(aj, xj) < δ
ist. Da ferner (fn) aufA konvergent ist, gibt es nun einN ∈ N mit ρ(fm(aj), fn(aj)) <ε5
fur alle m,n ≥ N und j = 1, . . . , k.
4 Nun sei x ∈ K. Dann existiert ein j ∈ 1, . . . , k mit d(x, xj) < δ. Damit gilt:
ρ(fm(x), fn(x)) ≤ ρ(fm(x), fm(xj))︸ ︷︷ ︸< ε
3
+ρ(fm(xj), fn(xj)) + ρ(fn(xj), fn(x))︸ ︷︷ ︸< ε
3
<2
5ε+ ρ(fm(xj), fm(aj))︸ ︷︷ ︸
< ε5
+ ρ(fm(aj), fn(aj))︸ ︷︷ ︸< ε
5
+ ρ(fn(aj), fn(xj))︸ ︷︷ ︸< ε
5
<2
5ε+
3
5ε = ε.
Damit folgt die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 8.1.5 (Satz von Arzela-Ascoli). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, (Y, ρ) ein vollstandiger
metrischer Raum und (fn) eine Folge von Funktionen fn : D → Y , die gleichgradig stetig
auf D ist. Weiterhin sei fur jedes z ∈ D die Menge fn(z) : n ∈ N relativ kompakt75 in
Y .
Dann besitzt (fn) eine Teilfolge (fnk), die lokal gleichmaßig in D gegen eine Funktion
f ∈ C(D, Y ) konvergiert.
Beweis.
1 Aus Analysis I/II ist bekannt, dass in einem metrischen Raum die Begriffe kompakt
und folgenkompakt aquivalent sind.
2 Es sei nun z0 ∈ D und r > 0 mit K := Ur(z0) ⊂ D. Wir wahlen nun eine abzahlbare
dichte Teilmenge A := zn : n ∈ N von D76. Dann ist nach Voraussetzung die
Menge fn(z1) : n ∈ N relativ kompakt in Y .
75Eine Menge A ⊂ X heißt relativ kompakt in X, falls A kompakt in X ist.76Zum Beispiel A = Q[i] ∩D.
-52-
8 Normale Familien und Anwendungen
3 Daher gibt es eine Teilfolge (f(1)nk ) von (fn), die in z1 konvergiert. Daher ist Men-
gef
(1)nk (z2) : n ∈ N
ebenfalls relativ kompakt in Y . Folglich besitzt (f
(1)nk ) eine
Teilfolge (f(2)nk ), die in z1 und z2 konvergiert.
4 So konnen wir induktiv Teilfolgen (f(p)nk ) von (fn) erhalten, die in z1, . . . , zp konver-
gieren. Dann konvergiert die Diagonalfolge (f(k)nk ) auf A.
5 Da B := A ∩K dicht in K liegt, konnen wir Lemma 8.1.4 anwenden und erhalten
daraus die gleichmaßige Konvergenz der Folge (f(k)nk ) auf K.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Ist Y = C mit der ublichen Metrik, so genugt die Voraussetzung, dass (fn) punktweise
beschrankt ist, d.h. zu jedem z ∈ D existiert eine Konstante Mz > 0 mit |fn(z)| ≤ Mz
fur alle n ∈ N. Dies folgt sofort aus dem Satz von Heine-Borel.
-53-
8 Normale Familien und Anwendungen
8.2 Normale Familien holomorpher Funktionen
Definition 8.2.1. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F eine Familie holomorpher Funktionen
f : D → C. F heißt normal in D, wenn jede Folge (fn) in F eine Teilfolge (fnk) besitzt,
die lokal gleichmaßig in D gegen eine Funktion f : D → C konvergiert. F heißt normal
in z0 ∈ D, wenn F in einer Umgebung von z0 normal ist.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Es folgt dann f ∈ H(D), aber nicht notwendig f ∈ F . Dies ist in der Definition auch
nicht verlangt.
Die Definition ist fur die praktische Uberprufung der Normalitat nicht geeignet. Daher
ist eine aquivalente Umformulierung gesucht. Vorher noch zwei Beispiele.
Beispiele:
1) Wir betrachten F := fn : n ∈ N mit fn(z) = nz und D = C. Dann gilt fn(0) = 0,
aber |fn(z)| → ∞ (n→∞) fur z 6= 0. Daher ist F in keinem Punkt normal.
2) Wir betrachten F := fn : n ∈ N mit fn(z) = zn und D = C. Dann gilt fn →0 (n→∞) lokal gleichmaßig in D, also ist F normal in D. Aber wegen |fn(z0)| →∞ (n→∞) fur |z0| > 1 ist F in keinem Punkt z0 ∈ C \ D normal.
Nun zeigen wir, dass Normalitat eine lokale Eigenschaft ist.
Satz 8.2.2. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F ⊂ H(D). Dann gilt:
F ist normal in D. ⇔ F ist in jedem Punkt z0 ∈ D normal.
Beweis.
”⇒“: Klar.
”⇐“: Es sei F in jedem z0 ∈ D normal.
1 Sei nun A := zn : n ∈ N eine abzahlbar dichte Teilmenge von D. Fur jedes
n ∈ N sei rn > 0 die großte Zahl, sodass Urn(zn) ⊂ D und F normal in
Urn(zn).
Behauptung:⋃n∈N
Urn/2(zn) = D.
”⊂“: Klar.
”⊃“: Es sei ζ ∈ D. Dann existiert ein r > 0, sodass F in Ur(ζ) normal ist. Da
A dicht in D liegt, existiert ein n ∈ N mit zn ∈ Ur/4(ζ). Da rn maximal
gewahlt wurde, folgt
rn ≥3
4r ⇒ rn
2≥ 3
8r >
r
4.
Also ist ζ ∈ Urn/2(zn). ♦
-54-
8 Normale Familien und Anwendungen
2 Nun sei (fk) eine Folge in F . Mit dem Cantorschen Diagonalverfahren (wie
im Beweis von Satz 8.1.5) findet man eine Teilfolge (fnk) von (fk), die in
jeder Kreisscheibe Urn/2(zn) gleichmaßig konvergiert.
3 Ist nun K ⊂ D kompakt, so istUrn/2(zn) : n ∈ N
eine offene Uberdeckung
von K, also reichen endlich viele zur Uberdeckung aus. Somit ist (fnk)
gleichmaßig konvergent auf K, woraus die Behauptung folgt.
Fur das angekundigte Normalitatskriterium benotigen wir folgenden Begriff.
Definition 8.2.3. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F eine Familie in H(D). F heißt lokal
beschrankt in D, wenn es zu jedem z0 ∈ D ein r = r(z0) > 0 und ein M = M(z0) > 0
gibt, sodass Ur(z0) ⊂ D und |f(z)| ≤M fur alle z ∈ Ur(z0) und alle f ∈ F .
D.h., r und M konnen von z0 abhangen, aber nicht von f ∈ F . Ist M auch unabhangig
von z0, so heißt F gleichmaßig beschrankt in D.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung 8.2.4. Aus der Definition folgt leicht:
F ist lokal beschrankt in D.⇔ F ist auf jeder kompakten Teilmenge K ⊂ D gleichmaßig
beschrankt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 8.2.5. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F lokal beschrankt in D.
Dann ist auch die Familie F ′ := f ′ : f ∈ F lokal beschrankt in D.
Beweis. Es sei z0 ∈ D. Wir wahlen nun r > 0 und M > 0 mit Ur(z0) ⊂ D und
|f(z)| ≤ M fur alle z ∈ Ur(z0) und f ∈ F . Dann gilt fur z ∈ Ur/2(z0) wegen der
Cauchyschen Integralformel
|f ′(z)| ≤ 1
2π
∫|ζ−z0|=r
|f(ζ)||(ζ − z)|2
|dζ| ≤ 2πr
2π
M
(r/2)2=
4M
r.
Somit ist F ′ lokal beschrankt in D.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Die Umkehrung ist i.A. falsch. Als Gegenbeispiel dient wieder die Familie F = fn : n ∈ Nmit fn(z) = z + n.
Aber: Unter geeigneten Zusatzvoraussetzungen gilt die Umkehrung, wie der folgende Satz
zeigt.
Satz 8.2.6. Es sei D ⊂ C ein Gebiet, F ⊂ H(D) und F ′ lokal beschrankt in D. Weiterhin
gebe es ein z0 ∈ D und eine Konstante K > 0 mit |f(z0)| ≤ K fur alle f ∈ F .
Dann ist F lokal beschrankt.
-55-
8 Normale Familien und Anwendungen
Beweis.
1 Es sei z1 ∈ D. Wir wahlen einen Weg γ zwischen z0 und z1. Dann gilt
f(z1) = f(z0) +
∫γ
|f ′(ζ)| dζ.
2 Da F ′ lokal beschrankt ist, ist F ′ auf |γ| gleichmaßig beschrankt, d.h. ex existiert
eine Konstante M > 0 mit |f ′(ζ)| ≤M fur alle ζ ∈ |γ| und alle f ∈ F . Somit folgt
|f(z1)| = |f(z0)|+∫γ
|f ′(ζ)| dζ ≤ |f(z0)|+M · L(γ) =: M ′.
3 Wir wahlen nun r > 0 und M ′′ > 0 mit |f ′(z)| ≤ M ′′ fur alle z ∈ Ur(z1) ⊂ D und
alle f ∈ F (vgl. Abbildung 4). Dann folgt fur alle z ∈ Ur(z1) und alle f ∈ F :
|f(z)| ≤ |f(z1)|+z∫
z1
|f ′(ζ)| |dζ| ≤M ′ + r ·M ′′ =: M ′′′.
Dann ist F lokal beschrankt in D.
Abbildung 4: Skizze der Beweissituation mit zwei moglichen Wegen γ und γ.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 8.2.7. Es sei F ⊂ H(D) lokal beschrankt. Dann ist F gleichgradig stetig.
Beweis.
1 Da F lokal beschrankt ist, folgt aufgrund der Holomorphie, dass F ′ lokal beschrankt
ist.
-56-
8 Normale Familien und Anwendungen
2 Sei nun z0 ∈ D. Dann existiert ein r > 0 und M > 0 mit Ur(z0) ⊂ D und
|f ′(ζ)| ≤M fur alle ζ ∈ Ur(z0). Dann folgt fur z ∈ Ur(z0):
|f(z)− f(z0)| ≤z∫
z0
|f ′(ζ)| |dζ| ≤M |z − z0| fur alle f ∈ F .
Somit ist F gleichgradig stetig in z0 und somit folgt die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Die Umkehrung von Satz 8.2.7 gilt im Allgemeinen nicht. Als Gegenbeispiel betrachte
wieder fn(z) = z + n bzw. die dazugehorige Familie F .
-57-
8 Normale Familien und Anwendungen
8.3 Der Satz von Montel und Folgerungen
Wir kommen nun zum Hauptergebnis.
Satz 8.3.1 (Satz von Montel). Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F ⊂ H(D). Dann gilt:
F ist normal. ⇔ F ist lokal beschrankt.
Beweis.
”⇐“: Es ist F lokal beschrankt, also nach Satz 8.2.7 gleichgradig stetig. Daher folgt die
Behauptung aus dem Satz von Arzela-Ascoli.77
”⇒“: 1 Es sei F normal und nicht lokal beschrankt in D. Daraus folgt durch Ver-
neinung der Definition: Es gibt ein z0 ∈ D und r > 0 mit K := Ur(z0) ⊂ D
und folgender Eigenschaft:
∀n ∈ N ∃zn ∈ K, fn ∈ F : |fn(z)| > n. (∗)
2 Da F normal in D ist, besitzt (fn) eine Teilfolge (fnk), die in D lokal
gleichmaßig gegen ein f ∈ H(D) konvergiert, d.h. (fnk) konvergiert auf K
gleichmaßig.
3 Somit existiert ein k0 ∈ N mit |fnk(z)− f(z)| < 1 fur alle z ∈ K. Somit
ergibt sich mit M := maxz∈K|f(z)| nun
|fnk(z)| < 1 + |f(z)| ≤ 1 +M.
Somit ergibt sich |fnk(znk)| ≤ 1 +M fur k ≥ k0 und dies ist ein Widerspruch
zu (∗).
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Dieser Satz heißt auch kleiner Satz von Montel.
Folgerung 8.3.2. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F normal in D. Dann ist F ′ normal in D.
Beweis. Folgt sofort aus dem Satz von Montel und Satz 8.2.5.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Folgerung 8.3.3. Es sei D ⊂ C ein Gebiet, F ⊂ H(D) und F ′ normal in D. Weiter gebe
es z0 ∈ D und M > 0 mit |f(z0)| ≤M fur alle f ∈ F .
Dann ist F normal in D.
77Beachte: Dies ist die schwierige Richtung des Beweises, da hier die gesamte bisherige Theorie eingeht.
-58-
8 Normale Familien und Anwendungen
Beweis. Folgt sofort aus dem Satz von Montel und Satz 8.2.6.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiel 8.3.4.
a) F := fn : n ∈ N mit fn(z) = zn.
Dann ist F normal in D.
b) F := fn : n ∈ N mit fn(z) = zn.
Dann ist F normal in C.
c) Es sei M > 0, D ⊂ C ein Gebiet und F := f ∈ H(D) : |f(z)| ≤M ∀z ∈ D.Dann ist F gleichmaßig beschrankt in D und somit dort normal.
d) Es sei F ⊂ H(D) und fur f ∈ F sei f(z) =∞∑n=0
an(f)zn die Potenzreihenentwick-
lung von f um 0. Dann gilt:
F ist normal in D genau dann, wenn es eine Folge (Mn) in (0,∞) gibt mit
lim supn→∞
M1/nn ≤ 1 und |an(f)| ≤Mn fur alle n ∈ N0 und fur alle f ∈ F .
Beweis.
”⇒“: 1 Es sei F normal. Aus dem Satz von Montel folgt dann sofort die lokale
Beschranktheit von F . Somit gibt es zu jedem r ∈ (0, 1) eine Konstante
M(r) > 0 mit |f(z)| ≤M(r) fur |z| ≤ r.
2 Die Cauchyschen Koeffizientenabschatzungen liefern nun |an(f)| ≤ M(r)rn
fur alle f ∈ F und n ∈ N0.
3 Wir konnen annehmen, dass M(r) stetig ist und dass M(r) ∞ fur
r 1. Wir wahlen nun speziell r = rn mit M(rn) = n+M(0) + 1 und
setzen Mn = M(rn)rnn
.
4 Dann folgt |an(f)| ≤ Mn und fur n hinreichend groß gilt M1/nn ≤
M(rn)1/n
rn≤ 1
rn21/nn1/n → 1 fur n → ∞. Somit gilt lim sup
n→∞M
1/nn = 1
und diese Richtung ist bewiesen.
”⇐“: Fur |z| ≤ r und alle f ∈ F gilt |f(z)| ≤
∞∑n=0
|an(f)| rn ≤∞∑n=0
Mnrn =: B(r) <
∞. Somit ist F lokal beschrankt und nach dem Satz von Montel normal in
D.
e) F := f ∈ H(D) : f(0) = 1, Re(f(z)) > 0, z ∈ D.Fur f ∈ F setze g(z) = 1−f(z)
1+f(z)fur z ∈ D. Dann ist g ∈ H(D) mit |g(z)| < 1 fur
z ∈ D und g(0) = 0. Mit dem Lemma von Schwarz folgt sofort |g(z)| ≤ |z| und
-59-
8 Normale Familien und Anwendungen
Auflosen nach f(z) ergibt dann
|f(z)| =∣∣∣∣1− g(z)
1 + g(z)
∣∣∣∣ ≤ 1 + |z|1− |z|
.
Somit ist F lokal beschrankt und somit nach dem Satz von Montel normal in D.
f) Es sei D ⊂ C ein Gebiet, M > 0 und F :=
f ∈ H(D) :
∫∫D
|f(z)|2 dxdy ≤M
.
Dann ist F normal in D.
Beweis.
1 Es sei a ∈ D und R > 0 mit UR(a) ⊂ D. Fur 0 ≤ r ≤ R folgt aus der
Mittelpunktsformel zunachst f(a) = 12π
2π∫0
f(a+ reit) dt.
2 Multiplikation mit r und integrieren uber r liefert:
R2
2f(a) = f(a) ·
R∫0
r dr =1
2π
2π∫0
R∫0
f(a+ reit) · r drdt.
Somit folgt
|f(a)| ≤ 1
πR2
2π∫0
R∫0
∣∣f(a+ reit)∣∣ · r drdt =
1
πR2
∫∫UR(a)
|f(z)| dxdy.
3 Ersetze nun f durch f 2. Dies liefert die Abschatzung
|f(a)|2 ≤ 1
πR2
∫∫UR(a)
|f(z)|2 dxdy. (∗)
4 Sei nun z ∈ D 6= C. Setze nun ρ(z) := dist(z, ∂D) und R := ρ(z) − ε fur
ε > 0. Dann folgt aus (∗):
|f(z)|2 ≤ 1
π(ρ(z)− ε)2
∫∫UR(z)
|f(ζ)|2 dxdy ≤ M
π(ρ(z)− ε)2.
Grenzubergang ε→ 0 liefert nun
|f(z)| ≤√M
π
1
ρ(z)fur z ∈ D. (∗∗)
Somit ist F lokal beschrankt und somit nach dem Satz von Montel normal
in D.
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8 Normale Familien und Anwendungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Die Menge A2(D) :=
f ∈ H(D) :
∫∫D
|f(z)|2 dxdy <∞
spielt in der Funktionentheo-
rie eine wichtige Rolle, z.B. in der Approximation im Komplexen. Wegen A2(D) =
H(D) ∩ L2(D) ist A2(D) ein Hilbertraum. Er heißt auch Bergman-Raum. Wegen (∗∗)gilt A2(C) = 0.
Jetzt ziehen wir einige unmittelbare Folgerungen aus dem Satz von Montel.
Satz 8.3.5 (Satz von Vitali). Es sei D ⊂ C ein Gebiet und (fn) eine Folge in D, die lokal
beschrankt in D ist. Weiter sei A eine Teilmenge von D mit Haufungspunkt in D und
(fn) sei punktweise konvergent auf A.
Dann ist (fn) lokal gleichmaßig konvergent in D.
Beweis.
1 Nach dem Satz von Montel ist F := fn : n ∈ N normal in D. Also existiert eine
Teilfolge (fnk) von (fn), die in D lokal gleichmaßig in D gegen ein f ∈ H(D) kon-
vergiert. Insbesondere gilt limk→∞
fnk(z) = f(z) fur jedes z ∈ A und jede konvergente
Teilfolge (fnk) von (fn).
2 Wir nehmen nun an, dass (fn) nicht lokal gleichmaßig in D konvergiert.
Dann existieren ε > 0, z0 ∈ D, r > 0 mit Ur(z0) ⊂ D, eine Teilfolge (fnj) von (fn)
und zj ∈ K mit∣∣fmj(zj)− f(zj)∣∣ ≥ ε fur alle j ∈ N. (∗)
3 Nun besitzt (fmj) eine Teilfolge, die lokal gleichmaßig in D gegen ein g ∈ H(D)
konvergiert. Somit gilt g(z) = f(z) fur z ∈ A, also liefert der Identitatssatz f = g
in D. Dies ist ein Widerspruch zu (∗) und somit folgt die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 8.3.6. Es sei D ⊂ C ein Gebiet, (fn) eine Folge, die lokal beschrankt in D ist und
weiterhin besitzt jede konvergente Teilfolge von (fn) die gleiche Grenzfunktion g ∈ H(D).
Dann ist (fn) lokal gleichmaßig konvergent gegen g in D.
Beweis.
1 Nach dem Satz von Vitali reicht es, die punktweise Konvergenz von (fn) gegen g
zu zeigen.
-61-
8 Normale Familien und Anwendungen
2 Wir nehmen an, dass dies falsch ist. Dann existieren ein ζ ∈ D, δ > 0 und eine
Teilfolge (fnk) von (fn) mit |fnk(ζ)− g(ζ)| ≥ δ fur alle k ∈ N.
3 Nach dem Satz von Montel existiert eine Teilfolge von (fnk), die nach Voraussetzung
lokal gleichmaßig gegen g konvergiert. Dies ist ein Widerspruch zu 2 , also folgt
die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zum Beweis des nachsten Ergebnisses benotigen wir einen Begriff aus der Topologie.
Definition 8.3.7. Es sei X ein metrischer Raum und M ⊂ X. M heißt nirgends dicht
in X, wenn (M) = ∅ gilt. A ⊂ X heißt mager oder von erster Kategorie, wenn
A eine abzahlbare Vereinigung von nirgends dichten Mengen ist. A heißt von zweiter
Kategorie, wenn A nicht von erster Kategorie ist.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 8.3.8 (Bairescher Kategoriensatz ). Es sei X ein vollstandiger metrischer Raum.
Dann ist jede offene Menge G ⊂ X von zweiter Kategorie.
Beweis.
1 Wir zeigen zunachst folgende Aussage:
Ist (Un) eine Folge offener und dichter Teilmengen von X, so ist auch⋂n∈N
Un dicht
in X.
Dafur reicht es aus, wenn wir nachweisen, dass fur jedes x0 ∈ X und ε > 0 gilt:
Uε(x0) ∩⋂n∈N
Un 6= ∅.
2 U1 ist offen und dicht in X, also ist Uε(x0) ∩ U1 6= ∅ und zudem offen. Somit gibt
es ein x1 ∈ X und r1 > 0 mit r1 ≤ 1 und K1 := Ur1(x1) ⊂ Uε(x0) ∩ U1. Dann ist
Ur1(x1) ∩ U2 6= ∅ und offen. Somit gibt es ein x2 ∈ X und r2 > 0 mit r2 ≤ 12
und
K2 := Ur2(x2) ⊂ Uε(x1) ∩ U2. So fortfahrend konstruieren wir Folgen (xn) in X
und (rn) in (0,∞) mit rn ≤ 1n
und Kn := Urn ⊂ Urn−1(xn−1) ∩ Un.
3 Zu η > 0 wahlen wir n0 mit 1n0
< η2. Damit erhalten wir d(xm, xn) < η fur alle
m,n ≥ n0 und somit ist (xn) eine Cauchyfolge. Da X vollstandig ist, gibt es ein
x ∈ X mit limn→∞
xn = x. Wegen xn ∈ Km fur alle n ≥ m ist x ∈ Km fur alle m ∈ N,
also x ∈ Uε(x0) und x ∈ Um fur alle m ∈ N. Daraus folgt die obige Aussage.
4 Nun beweisen wir noch die eigentliche Aussage des Satzes, indem wir zeigen, dass
wenn A ⊂ X mager ist, sofort A = ∅ folgt.
Sei also A ⊂ X mager. Dann folgt A =⋃n∈N
An mit An = ∅. Angenommen, es gibt
-62-
8 Normale Familien und Anwendungen
eine offene Menge U ⊂ X mit U ⊂ A ⊂⋃n∈N
An. Da X \ U abgeschlossen ist, folgt
mit der Aussage aus 1 nun
X \ U ⊃ X \⋃n∈N
An =⋂n∈N
X \ An = X,
denn X \ An ist offen und dicht in X, da X \ An = X \ An = X \ ∅ = X ist. Also
ist U = ∅. Damit folgt die Behauptung des Satzes.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiel:
Q ist von erster Kategorie in R.
R \Q ist von zweiter Kategorie in R.
Satz 8.3.9 (Satz von Osgood). Es sei D ⊂ C ein Gebiet und (fn) eine Folge in H(D), die
in D punktweise konvergiert.
Dann existiert eine offene und dichte Teilmenge Ω vonD, sodass (fn) in Ω lokal gleichmaßig
konvergiert.
Beweis.
1 Fur n ∈ N setze Dn := z ∈ D : |fk(z)| ≤ n ∀k ∈ N =⋂k∈Nz ∈ D : |fk(z)| ≤ n.
Dann ist Dn abgeschlossen in D und es gilt⋃n∈N
Dn = D.
2 Da D nach dem Satz von Baire von zweiter Kategorie ist, existiert ein N ∈ Nmit DN 6= ∅. Wir setzen Ω :=
⋃n∈N
Dn. Dann ist Ω ⊂ D, Ω 6= ∅ und Ω ist offen.
Insbesondere enthalt Ω eine Kreisscheibe, in der gilt:
|fk(z)| ≤ n fur alle k und ein n ∈ N. Ω ist dann die Vereinigung aller dieser
Kreisscheiben.
3 Ω ist dicht in D, denn andernfalls argumentiert man so:
Ware Ω nicht dicht in D, so ware D \Ω 6= ∅ und offen. Nach obigem Argument in
2 findet man eine Kreisscheibe U ⊂ D \ Ω und ein n ∈ N mit |fk(z)| ≤ n fur
alle k ∈ N und z ∈ U . Somit ware U ⊂ Ω, was einen Widerspruch darstellt.
4 (fk) konvergiert lokal gleichmaßig in Ω.
Sei dazu K := Ur(z0) ⊂ Ω. Dann ist K kompakt und es existiert ein N ∈ N mit
K ⊂ D1 ∪ . . .∪DN . Somit ist (fk) lokal beschrankt auf K und drer Satz von Vitali
liefert die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8 Normale Familien und Anwendungen
8.4 Normale Familien meromorpher Funktionen
Es sei C = C ∪ ∞ die Riemannsche Zahlenkugel mit der chordalen Metrik χ. Man
uberlegt sich leicht, dass C kompakt und damit vollstandig ist.
Wir betrachten eine in D ⊂ C meromorphe Funktion immer als Funktion f : D → C.
Dabei definiert man f(z0) :=∞, wenn z0 ein Pol von f ist.
Dann folgt aufgrund der Verwendung der chordalen Metrik, dass f stetig in D ist.
Beachte:
Ist (zn) eine Folge in C, so konvergiert (zn) gegen ein z∗ ∈ C in der euklidischen Metrik
genau dann, wenn dies in der chordalen Metrik gilt.
Beispiel:
Ein Polynom bzw. eine rationale Funktion ist meromorph in C. Ein Polynom P mit
degP ≥ 1 hat in ∞ einen Pol der Ordnung degP .
Definition 8.4.1. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F ⊂M(D). F heißt normal in D, wenn
jede Folge (fn) in F eine Teilfolge besitzt, die in D lokal gleichmaßig bezuglich χ (im
Bild) konvergiert. Die Grenzfunktion ist dann meromorph in D oder ≡ ∞, muss aber
selbst nicht in F liegen.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Problem:
Fur holomorphe Funktionen haben wir nun zwei Definitionen fur Normalitat. Bei holomor-
phen Funktionen nennt man F dann endlich normal und/oder meromorphe Funktionen
normal im verallgemeinerten Sinne.
Beispiel:
F := fn : n ∈ N, fn(z) = nz in D = C.
F ist in keinem Punkt endlich normal, aber F ist in C \ 0 normal im verallgemeinerten
Sinne, da fn → ∞ lokal gleichmaßig in C \ 0. Wir sehen also, dass als Grenzfunktion
wirklich ∞ vorkommen kann.
Ab nun meinen wir mit Normalitat immer Normalitat im verallgemeinerten Sinne.
Wir suchen nun nach einem geeigneten Normalitatskriterium. Dazu benotigen wir fol-
genden Begriff:
Definition 8.4.2. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und f ∈ M(D). Ist z ∈ D kein Pol von f , so
setze
f# :=|f ′(z)|
1 + |f(z)|2=
1
2limh→0
χ (f(z + h), f(z))
|h|≥ 0. (8.3)
In einem Pol kann f# stetig fortgesetzt werden, sodass f# in ganz D definiert und stetig
ist. f# heißt spharische Ableitung von fff .
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8 Normale Familien und Anwendungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Die stetige Fortsetzbarkeit folgt aus der Tatsache, dass
(1
f
)#
=
∣∣∣− f ′
f2
∣∣∣1 +
∣∣∣ 1f
∣∣∣2 = f#. (8.4)
Ist z ein einfacher Pol, so ist f#(z) = 1|Res(f,z)| und in einem mehrfachen Pol gilt f#(z) = 0.
Satz 8.4.3 (Normalitatskriterium von Marty). Es sei D ⊂ C ein Gebiet und F ⊂M(D).
Dann gilt:
F ist normal in D. ⇔ F# :=f# : f ∈ F
ist lokal beschrankt in D.
Beweis.
”⇐“: 1 Sei F# lokal beschrankt, z0 ∈ D, r > 0 mit Ur(z0) =: K ⊂ D. Dann existiert
eine Konstante M > 0 mit f#(z) ≤M fur alle z ∈ K und alle f ∈ F . Somit
folgt fur z, w ∈ K:
χ(f(z), f(w)) =
w∫z
f#(ζ) dζ ≤M |z − w| .
Daher ist F spharisch gleichgradig stetig.
2 Da C kompakt ist, folgt die Behauptung aus dem Satz von Arzela-Ascoli
angewandt auf Y = C und ρ = χ.
”⇒“: 3 Sei nun F normal. Wir nehmen an, dass F# nicht lokal beschrankt ist. Dann
gilt:
Es existiert ein z0 ∈ D und r > 0 sodass Ur(z0) ⊂ D, (zn) ⊂ K und (fn) ⊂ F ,
sodass f#n (zn)→∞ fur n→∞.
4 Da F normal ist, existiert eine Teilfolge (fnk) von (fn), die in D lokal
gleichmaßig konvergiert. Die Grenzfunktion sei f . Ohne Einschrankung konnen
wir annehmen, dass zn → z′ ∈ J (n → ∞). Dann konvergiert (f#nk
) lo-
kal gleichmaßig gegen f# (vgl. Ubung). Somit folgt f#nk
(znk) → f#(z′) fur
k →∞.
Dies ist ein Widerspruch zu 2 , sofern z′ kein Pol von f und f 6=∞ gilt.
Ist dies doch der Fall, so betrachte gn = 1fn
, g = 1f
und wiederhole obiges
Argument.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8 Normale Familien und Anwendungen
Satz 8.4.4 (Lemma von Zalcmann). Es sei D ⊂ C ein Gebiet, F eine Familie meromor-
pher Funktionen in D und z0 ∈ D. Dann gilt:
F ist nicht normal in z0. ⇔Es existiert eine Folge (zn) ⊂ D mit zn → z0 (n → ∞), eine Folge (ρn) ⊂ (0,∞) mit
ρn → 0 (n → ∞) und eine Folge (fn) ⊂ F , sodass limn→∞
fn(zn + ρnz) =: g(z) lokal
gleichmaßig in C, wobei g eine nicht-konstante meromorphe Funktion in C ist.
Ist F eine Familie holomorpher Funktionen in D, so ist g eine ganze Funktion.
Beweis.
”⇒“: 1 Ohne Einschrankung konnen wir annehmen, dass D = D und z0 = 0 gilt.
Da F in keiner Umgebung von 0 normal ist, existiert nach dem Kriterium
von Marty (8.4.3) zu jedem n ∈ N ein z∗n ∈ U1/2n(0) und ein fn ∈ F mit
f#n (z∗n) ≥ n2.78
2 Fur n ∈ N setze
Mn := max|z|≤ 1
n
(1− n2 |z|2)f#n (z) = (1− n2 |zn|2)f#
n (zn),
wobei zn ∈ U1/n(0). Dies existiert, da f#n stetig ist. Insbesondere liegt dieses
Mn nicht auf dem Rand, da dort die Funktion 0 ist.
Dann gilt zn → 0 fur n→∞ und
Mn ≥
1− n2 |z∗n|2︸︷︷︸
≤ 14n2
︸ ︷︷ ︸
≥ 34
f#n (z∗n)︸ ︷︷ ︸≥n2
≥ 3
4n2 →∞ (n→∞).
3 Weiterhin setzen wir
ρn :=1
Mn
(1− n2 |zn|2) =1
f#n (zn)
. (∗)
Dann gilt ρn → 0 fur n→∞ und
nρn1− |zn|n
=n(1 + n |zn|)
Mn
≤ 2n
Mn
≤ 8
3n→ 0 (n→∞).
4 Definiere nun gn(z) = fn(ρnz + zn) fur |z| < Rn mit Rn := 1−n|zn|nρn
. Dann gilt
Rn → ∞ fur n → ∞. Somit ist g#n (0) = ρnf
#n (ρnz + zn) = ρnf
#n (zn) = 1
nach (∗).
78Dies ist im Prinzip die Verneinung der Normalitat mithilfe des Marty-Kriteriums.
-66-
8 Normale Familien und Anwendungen
5 Sei nun |z| ≤ R < Rn. Dann folgt
|ρnz + zn| < ρnRn + |zn| =1
n,
nach Definition von Rn. Ferner gilt g#n (z) = ρnf
#n (ρnz + zn) ≤ ρnMn
1−n2|ρnz+zn|2,
nach Definition von Mn. Nun berechnet man weiter
ρnMn
1− n2 |ρnz + zn|2=
1 + n |zn|1 + n |ρnz + zn|
· 1− n |zn|1− n |ρnz + zn|
≤ 21− n |zn|
1− n |zn| − ρnR
gemaß (∗). Somit ist (g#n ) lokal beschrankt in C.
6 Das Normalitatskriterium von Marty liefert nun, dass (gn) normal in C ist,
d.h. es existiert eine Teilfolge (gnk) von (gn), die in C lokal gleichmaßig gegen
eine Grenzfunktion g konvergiert. Wegen g#n (0) = 1 fur alle n ∈ N ist g#(0) =
1, also ist g auch nicht-konstant.
”⇐“: 7 Es seien nun die Voraussetzungen wie oben auf der rechten Seite gegeben.
Wir nehmen an, dass F normal in D ist. Nach dem Normalitatskriterium
von Marty ist dann F# lokal beschrankt in D. Dann existiert zu 0 < r < 1
eine Konstante M > 0 mit max|z|≤ 1+r
2
f#(z) ≤M fur alle f ∈ F .
8 Fur festes ζ ∈ C ist |zn + ρnζ| ≤ 1+r2
fur n hinreichend groß und daher folgt
ρnf#n (zn + ρnζ) ≤ ρnM . Somit folgt g#(ζ) = lim
n→∞ρnf
#n (zn + ρnζ) = 0. Da ζ
beliebig war, folgt g konstant, was ein Widerspruch ist.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
-67-
8 Normale Familien und Anwendungen
8.5 Die Picardschen Satze
Satz 8.5.1. Satz von Picard Es sei f eine ganze nicht-konstante Funktion.
Dann nimmt f jeden Wert w ∈ C an bis auf hochstens eine Ausnahme.
Beweis.
1 Annahme: f lasst die Werte a, b ∈ C mit a 6= b aus.
Ohne Einschrankung konnen wir a = 0 und b = 1 annehmen, sonst betrachten wir
g(z) := f(z)−af(z)−b . Wir konnen weiterhin ohne Einschrankung f ′(0) 6= 0 annehmen,
sonst betrachten wir g(z) := f(z+z0)−af(z+z0)−b , wobei z0 ∈ C mit f ′(z0) 6= 0 ist.
2 Fur n ∈ N betrachten wir fn(z) = 2n√f(2nz), wobei irgendein holomorpher Zweig
der Wurzel gewahlt wird, da C einfach zusammenhangend ist und die Funktion
den Wert 0 auslasst. Damit lasst fn die Werte 0 und e2jπi/2n fur j = 1, . . . , 2n − 1
aus.
Wir unterscheiden nun zwei Falle:
3 Fall 1: (fn) ist in 0 nicht normal.
Dann existiert nach Zalcman eine Teilfolge (fnk) von (fn), eine Folge (zk) in Cmit zk → 0, eine Folge (ρk) in (0,∞) mit ρk → 0 und eine nicht-konstante ganze
Funktion g mit limk→∞
fk(ρkz+ zk) = g(z) = g(z) lokal gleichmaßig in C. Dabei lasst
fnk fur nk ≥ m die Werte e2jπi/2m aus. Aus dem Satz von Hurwitz folgt, dass dies
auch fur g gilt.
4 Diese Punkte liegen dicht auf ∂D. Daher gilt |g(z)| 6= 1 fur alle z ∈ C. Wegen der
Satz von der Gebietstreue ist g(C) ⊂ D oder g(C) ⊂ C \ D. Im ersten Fall folgt g
konstant nach Liouville, also ist dies ein Widerspruch. Im zweiten Fall ist 1g
ganz,
also 1g
konstant nach Liouville und somit ist auch g konstant, was auch hier ein
Widerspruch ist. Somit kann Fall 1 nicht eintreten.
5 Fall 2: (fn) ist in 0 normal.
Dann existiert ein δ > 0, sodass (fn) in Uδ(0) normal ist. Fur m,n ∈ N mit n ≥ m
gilt dann
fn−m(z))(
2n√f(2n−mz)
)2m
=[fn(2n−mz)
]2m.
Daher ist (fn)n≥m normal in U2mδ(0), also ist (fn) normal in C.
6 Somit existiert eine Teilfolge (fnk), die lokal gleichmaßig gegen eine ganze Funktion
g konvergiert. Hieraus ergibt sich
g′(0)
g(0)= lim
k→∞
f ′nk(0)
fnk(0)=f ′(0)
f(0)6= 0.
-68-
8 Normale Familien und Anwendungen
Daher ist f ′(0) 6= 0, also auch g′(0) 6= 0. g ist damit nicht-konstant. Nun erhalt
man mit der gleichen Argumentation wie in 4 einen Widerspruch, daher kann
Fall 2 auch nicht eintreten und es folgt die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Ein Wert kann ausgelassen werden. Beispiel: f(z) = a + ez mit a ∈ C lasst den Wert a
aus.
Bei meromorphen Funktionen konnen zwei Werte ausgelassen werden. Beispiel: f(z) =
tan z = −i e2iz−1
e2iz+1lasst ±i aus.
Mehr als zwei Werte konnen nicht ausgelassen werden:
Folgerung 8.5.2. Es sei f meromorph in C.
Dann nimmt f jeden Wert w ∈ C an mit hochstens zwei Ausnahmen.
Beweis.
1 Annahme: f lasst drei Werte a, b, c ∈ C aus.
Ist a = ∞, b = ∞ oder c = ∞, so ist f ganz und aus dem Satz von Picard folgt
ein Widerspruch.
2 Seien also a, b, c ∈ C. Wir betrachten g(z) = c−ac−b ·
f(z)−af(z)−b . Die Pole von f sind
hebbare Singularitaten von g, somit ist g ganz und g(z) 6= 0 und g(z) 6= 1. Dar-
aus folgt ebenfalls mit dem Satz von Picard ein Widerspruch, also insgesamt die
Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 8.5.3 (Großer Satz von Montel). Es seien a, b, c ∈ C verschieden, D ⊂ C ein Gebiet
und F := f ∈M(D) : f(D) ∩ a, b, c = ∅.Dann ist F normal.
Beweis.
1 Annahme: F ist nicht normal in z0 ∈ D.
Nach Zalcman existieren Folgen (zn) in D mit zn → z (n→∞), (ρn) in (0,∞) mit
ρn → 0 (n→∞) und (fn) in F mit limn→∞
fn(ρnz + zn) = g(z) lokal gleichmaßig in
D, wobei g meromorph in C und nicht-konstant ist.
2 Aus dem Satz von Hurwitz folgt aber, dass g die Werte a, b und c auslasst. Aus
dem kleinen Satz von Picard folgt nun, dass g konstant ist, was ein Widerspruch
ist. Somit folgt die Behauptung.
-69-
8 Normale Familien und Anwendungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Dieser Satz heißt auch Normalitatskriterium von Montel.
Satz 8.5.4 (Großer Satz von Picard). Es sei z0 ∈ C, r > 0, f holomorph in Ur(z0) und f
habe in z0 eine wesentliche Singularitat.
Dann nimmt f in jeder Umgebung U von z0 jeden Wert w ∈ C unendlich ofr an mit
hochstens einer Ausnahme.
Beweis.
1 Wir konnen annehmen, dass z0 = 0 und R = 1, d.h. f ist holomorph in D und f
hat in 0 eine wesentliche Singularitat.
Annahme: f lasst zwei Werte a, b ∈ C aus.
2 Wir setzen fn(z) := f(2−nz) fur z ∈ D. Aus dem großen Satz von Montel folgt
nun, dass (fn) normal in D ist. Somit existiert eine Teilfolge (fnk) von (fn), die
lokal gleichmaßig in D gegen eine Funktion g konvergiert. Somit ist g holomorph
in D oder g ≡ ∞.
3 Zunachst sei g holomorph. Insbesondere konvergiert (fnk) gleichmaßig auf K =
∂U1/2(0). Somit existiert eine Konstante M > 0 mit |fnk(z)| ≤ M fur |z| = 12
und
k ∈ N. Somit gilt auch |f(z)| ≤ M fur |z| = 12nk+1 und k ∈ N. Das Maximum-
prinzip liefert nun |f(z)| ≤ M in den daraus induzierten Kreisringen, wodurch f
beschrankt in D ist. Somit folgt aus dem Riemannschen Hebbarkeitssatz, dass f in
0 eine hebbare Singularitat hat und dies ist ein Widerspruch.
4 Jetzt sei g ≡ ∞. Wir betrachten nun hnk(z) = 1fnk−a
mit Grenzfunktion h = 1f−a .
Dann gilt hnk → 0 (k →∞). Somit hat h eine hebbare Singularitat in 0 und f hat
daher in 0 eine hebbare Singularitat oder einen Pol, was ein Widerspruch ist.
5 Damit haben wir gezeigt, dass f in einer Umgebung Ur(0) jeden Wert bis auf
hochstens eine Ausnahme annimmt. Da dies fur jedes r > 0 gilt, folgt, dass f in
jeder Umgebung von 0 jeden Wert bis auf hochstens eine Ausnahme unendlich oft
annimmt und dies ist die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiel:
f(z) = e1/z zeigt, dass ein Ausnahmewert tatsachlich vorkommen kann.
-70-
8 Normale Familien und Anwendungen
Folgerung 8.5.5. Es sei z0 ∈ C, r > 0, f meromorph in Ur(z0) und f habe in z0 eine
wesentliche Singularitat oder z0 sein ein Haufungspunkt von Polen.
Dann nimmt f jeden Wert a ∈ C mit hochstens zwei Ausnahmen an.
Beweis. Die Aussage folgt aus Satz 8.5.4 mit demselben Argument wie in Folgerung
8.5.2.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
f(z) = 1
1+ez−1 = 11+e1/z
lasst die Werte 0 und 1 aus.
Folgerung 8.5.6.
1) Es sei f eine ganze transzendente Funktion (d.h. f ist kein Polynom). Dann besitzt
f hochstens einen Picardschen Ausnahmewert.79
2) Es sei f eine in C meromorphe transzendente Funktion (d.h. f ist nicht rational).
Dann besitzt f hochstens zwei Picardsche Ausnahmewerte.
Beweis. Betrachte g(z) = f(
1z
)und wende Folgerung 8.5.5 an.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79Dies ist im Wesentlichen Definition ??, die im Moment noch nicht verfugbar ist. Fur eine Funktionf ∈ M(C) heißt w ∈ C Picardscher Ausnahmewert, wenn f den Wert w hochstens endlich oftannimmt.
-71-
9 Konforme Abbildungen
9 Konforme Abbildungen
Inhalt des Kapitels
9.1 Definition und Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739.2 Der Riemannsche Abbildungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759.3 Das Schwarzsche Spiegelungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
-72-
9 Konforme Abbildungen
9.1 Definition und Eigenschaften
Definition 9.1.1.
1) Es sei D ⊂ C ein Gebiet und f : D → C eine Funktion. f heißt schlicht in D,
falls f holomorph und injektiv ist.
2) Es seien D,G ⊂ C Gebiete und f : D → G. f heißt konforme Abbildung von D
auf G, falls f schlicht in D ist und f(D) = G gilt. D und G heißen dann konform
aquivalent.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung 9.1.2. Folgende Resultate sind bereits bekannt:
1) D ⊂ C Gebiet, f ∈ H(D) und nicht-konstant. Dann ist f(D) ein Gebiet.
2) D ⊂ C Gebiet, f schlicht in D. Dann ist f ′(z) 6= 0 fur alle z ∈ D. Weiterhin ist f
winkeltreu.
Ist f ′(z) 6= 0 fur alle z ∈ D, so heißt f auch lokal schlicht oder lokal konform in D.
Aber: f muss dann nicht schlicht sein, wie das Beispiel D = C und f(z) = ez zeigt.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das folgende Ergebnis zeigt allerdings, dass unter zusatzlichen Voraussetzungen aus der
lokalen Schlichtheit die Schlichtheit gefolgert werden kann.
Satz 9.1.3 (Satz von Noshiro-Warschawski). Es sei D ⊂ C ein konvexes Gebiet, f ∈H(D) und Re(f ′(z)) > 0 fur alle z ∈ D. Dann ist f schlicht in D.
Beweis. Es seien z1, z2 ∈ D mit z1 6= z2 und γ die Verbindungsstrecke von z1 nach z2.
Dann ist |γ| ⊂ D und
f(z2)− f(z1) =
∫γ
f ′(z) dz = (z2 − z1)f ′(tz2 + (1− t)z1)dt.
Somit gilt
Ref(z2)− f(z1)
z1 − z2
=
1∫0
Re (f ′(tz2 + (1− t)z1) dt > 0.
Somit ist f(z1) 6= f(z2), somit ist f injektiv, also auch schlicht.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiel.
Die ganze Funktion f(z) = z + ez ist schlicht in H := z ∈ C : Re(z) < 0, denn es
ist f ′(z) = 1 + ez und fur z ∈ H ist |ez| = eRe(z) < 1, d.h. ez ∈ D. Somit gilt
-73-
9 Konforme Abbildungen
Re(f ′(z)) = 1 + Re(z) > 1− 1 = 0. Somit folgt die Behauptung aus Satz 9.1.3.
Wir wollen nun die Frage untersuchen, welche Gebiete konform aquivalent sind.
Satz 9.1.4. Es sei D ⊂ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet und f eine konforme
Abbildung von D auf G. Dann ist auch G einfach zusammenhangend.
Beweis. Es sei g : G→ D die Umkehrabbildung von f .
Annahme: G ist mehrfach zusammenhangend. Dann gibt es einen Zyklus γ in G und
ein a ∈ C \ G mit n(γ; a) = 1. Dann ist σ := g(γ) ein Zyklus in D. Mit der Cauchy-
Integralformel, der Substitutionsregel und dem Argumentprinzip folgt nun
1 =1
2πi
∫γ
dz
z − a=
1
2πi
∫σ
f ′(w)
f(w)− a= 0.
Dies ist ein Widerspruch und somit folgt die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiel 9.1.5. C und D sind einfach zusammenhangend, aber nicht konform aquivalent.
Ware f : C → D konform, so ware f beschrankt und ganz, nach Liouville also konstant.
Dies ist ein Widerspruch.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
-74-
9 Konforme Abbildungen
9.2 Der Riemannsche Abbildungssatz
Satz 9.2.1. Es sei D ⊂ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet mit D 6= C und
z0 ∈ D. Dann gibt es genau eine konforme Abbildung f von D auf D mit f(z0) = 0 und
f ′(z0) > 0.
Beweis.
1) Eindeutigkeit:
1 Es seien f und g zwei solche Abbildungen. Wir betrachten Φ = f g−1. Dann
ist Φ schlicht in D mit Φ(D) = D und Φ(0) = 0.
2 Wegen f ′(z0) > 0 und g′(z0) > 0 gilt Φ′(0) = f ′(z0)g′(z0)
> 0. Mit dem Lemma
von Schwarz folgt dann |Φ′(0)| ≤ 1.
Betrachte Ψ = g f−1 = Φ−1. Dann folgt analog |Ψ′(0)| ≤ 1. Wiederum aus
dem Lemma von Schwarz folgt somit wegen |Φ′(0)| = 1 nun Φ(z) = z, also
f = g.
2) Existenz:
3 Da D einfach zusammenhangend ist und D 6= C gilt, besitzt D mindestens
zwei Randpunkte. Diese seien a, b mit a 6= b. Wir konnen annehmen, dass
a = 0 und b = ∞, denn sonst schalten wir die Mobiustransformation w =
T (z) = z−az−b vor.
Nun betrachten wir die Familie
F := f ∈ H(D) : f schlicht in D, f(D) ⊂ D, f(z0) = 0, f ′(z0) > 0 .
4 Wir zeigen: F 6= ∅.
a) Zunachst setzen wir dazu ϕ(z) := z0z
. Wegen 0,∞ 6∈ D ist ϕ ∈ H(D),
z0 6= 0 und ϕ(z) 6= 0 fur alle z ∈ D.
b) Nach Satz 4.2.580 gibt es ein g ∈ H(D) mit ϕ(z) = eg(z). Wegen ϕ(z0) =
1 konnen wir g(z0) = 0 wahlen. g ist offensichtlich schlicht in D, also
insbesondere g′(z0) 6= 0.
c) Ist a ∈ g(D), d.h. g(z1) = a fur ein z1 ∈ D, so ist a+ 2πi 6∈ g(D), denn
sonst ware g(z2) = a+ 2πi fur ein z2 ∈ D. Dann gilt eg(z1) = eg(z2), also
ϕ(z1) = ϕ(z2) und somit z1 = z2, was ein Widerspruch ist.
d) Wegen g(z0) = 0 und dem Satz von der Gebietstreue gibt es ein r > 0
mit Ur(0) ⊂ g(D), also Ur(2πi) ⊂ C \ g(D). Nun wahlen wir eine
Mobiustransformation T mit T (C \ Ur(2πi) = D und T (0) = 0, zum
80Siehe Funktionentheorie I, Satz 4.2.5.
-75-
9 Konforme Abbildungen
Beispiel T := T2 T1 mit T1(z) := rz−2πi
und T2(w) = w−w0
1−w0wmit w =
T1(0).
e) Wir setzen nun f := eit(Tg) mit t ∈ R so, dass f ′(z0) = eitT ′(0)g′(z0) >
0. Somit ist f ∈ F .
5 Wir zeigen nun, dass das Extremalproblem f ′(z0) : f ∈ F = max! eine
Losung f0 ∈ F besitzt.
a) Wir setzen A := sup f ′(z0) : f ∈ F. Nun zeigen wir zunachst, dass
A <∞ gilt.
b) Dazu wahlen wir ein r > 0 mit Ur(z0) ⊂ D. Dann folgt aus der Cauchy-
Integralformel fur f ∈ F
f ′(z0) =1
2πi
∫|z−z0|=r
f(z)
(z − z0)2dz,
also f ′(z0) = |f ′(z0)| ≤ 12π· 1r2· 2πr = 1
rund damit A ≤ 1
r<∞.
c) Nun gibt es eine Folge (fn) in F mit f ′n(z0) → A (n → ∞). Wegen
f(D) ⊂ D fur alle f ∈ F ist F gleichmaßig beschrankt in D, also
normal nach dem Satz von Montel. Daher gibt es eine Teilfolge (fnk)
von (fn), die in D lokal gleichmaßig gegen ein f0 ∈ H(D) konvergiert.
Wir zeigen nun, dass sogar f0 ∈ F gilt.
d) Wegen fnk(z0) = 0 fur alle k ∈ N ist f0(z0) = 0. Weiter ist f ′(z0) =
A > 0, also ist f0 nicht-konstant. Nach dem Satz von Hurwitz ist daher
f0 schlicht in D. Schließlich ist f0(D) ⊂ D und nach dem Satz von der
Gebietstreue sogar f0(D) ⊂ D. Somit ist f0 ∈ F und somit eine Losung
obigen Extremalproblems.
6 Wir zeigen nun, dass f0 eine konforme Abbildung von D auf D ist.
Dazu mussen wir nur noch zeigen, dass f0(D) = D ist.
a) Annahme: Es gibt ein w ∈ D mit w 6∈ f0(D).
Es sei T eine Mobiustransformation von D auf D mit T (w) = 0, z.B.
T (ζ) = ζ−w1−wζ , und h := T f0. Dann ist h schlicht in D und h(z) 6= 0
fur alle z ∈ D, also h = eg fur ein g ∈ H(D) nach Satz 4.2.5.
b) Wegen h(D) ⊂ D ist g(D) ⊂ H := z ∈ C : Re(z) < 0. Weiter ist g
schlicht in D, da h schlicht in D ist, also g′(z0) 6= 0 gilt.
c) Wir betrachten noch eine Mobiustransformation S von H auf D mit
S(g(z0)) = 0, z.B. S(v) = v−v0v+v0
mit v0 = g(z0). Nun setzen wir F :=
eit(S g) mit t ∈ R so, dass F ′(z0) = eitS ′(g(z0))g′(z0) > 0. Dann ist
F ∈ F .
-76-
9 Konforme Abbildungen
Nun zeigen wir, dass F ′(z0) > f ′0(z0) gilt, was einen Widerspruch zu 5
ergibt.
d) Es gilt F = eit(S log T f0) = eit(Φ f0) und F ′(z0) = eitΦ′(0)f ′0(0),
wobei Φ : D \ w → D definiert ist durch Φ := S log T und zudem
surjektiv ist.
e) Wir definieren noch Ψ : D → D ⊂ w durch Ψ := T−1 exp S−1.
Dann ist Ψ ∈ H(D), Ψ(0) = 0, Ψ(D) ⊂ D und w 6∈ Ψ(D). Also folgt
aus dem Lemma von Schwarz |Ψ′(0)| < 1. Es ist ferner Φ : f0(D) →F (D) bijektiv, also Φ−1(w) = Ψ(w) fur w ∈ F (D). Somit ist |Φ′(0)| =|Ψ′(0)|−1 > 1 und dies ist der gewunschte Widerspruch.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung:
Es gibt noch einen anderen Beweis nach Caratheodory und Koebe.
Beweisskizze. Suche f1 schlicht in D mit f1(D) ⊂ D, f1(z0) = 0 und f1(z0) > 0 (vgl.
4 in obigem Beweis). Ist f1(D) = D, so sind wir fertig.
Ansonsten bestimmte man ein z0 ∈ D ∩ ∂f1(D) mit minimalem Abstand zu 0 und zieht
diesen Punkt mit einer Mischung aus Wurzel und Logarithmus nach draußen. So fahrt man
fort und erhalt eine Folge von Funktionen, die gegen die Abbildungsfunktion konvergiert.
Satz 9.2.2. Es seien D,G ⊂ C einfach zusammenhangende Gebiete, D,G 6= C, z0 ∈ Dund w0 ∈ G. Dann gibt es genau eine konforme Abbildung f : D → G mit f(z0) = w0
und f ′(z0) > 0.
Beweis.
1) Existenz:
Wir wahlen konforme Abbildungen g bzw. h von D bzw. G auf D mit g(z0) =
h(w0) = 0, g′(z0) > 0 und h′(w0) > 0. Dann erfullt f := h−1 g die Behauptung.
2) Eindeutigkeit:
Es seien f eine solche Abbildung und g, h wie in 1). Betrachte F := h f g−1.
Dann ist F schlicht in D, F (D) = D, F (0) = 0 und F ′(0) > 0. Somit gilt nach dem
Lemma von Schwart F (z) = z fur alle z ∈ D und somit ist f = h−1 g.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
-77-
9 Konforme Abbildungen
Satz 9.2.3. Es sei K ⊂ C eine kompakte Menge, die mindestens zwei Punkte enthalt und
C \K sei einfach zusammenhangend in C, d.h. K und C \K sind zusammenhangend.
Dann gibt es genau eine konforme Abbildung f von C \D auf C \K mit f(∞) =∞ und
C := f ′(∞) > 0, d.h. f besitzt die Entwicklung
f(z) = cz + c0 +c1
z+c2
z2+ . . . (|z| > 1). (9.1)
Beweis.
1) Existenz:
Wahle a ∈ K und setze Φ(z) = 1z−a und D := Φ(C \K). Dann ist D ( C einfach
zusammenhangend und 0 ∈ D. Wir wahlen nun eine konforme Abbildung g von Dauf D mit g(0) = 0 und g′(0) > 0. Nun setzen wir f(z) := Φ−1
(g(
1z
))= a+ 1
g( 1z )
.
2) Eindeutigkeit:
Wie im Beweis von Satz 9.2.2.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiele:
a) c heißt auch Kapazitat von K.
b) Ist K = UR(z0) eine abgeschlossene Kreisscheibe um z0 ∈ C mit Radius R > 0, so
ist f(z) = Rz + z0, also c = R.
c) Ist K = [−1, 1], so ist f(z) = 12
(z + 1
z
), also c = 1
2. Ist allgemeiner K = [a, b], so
ist c = 14(b− a).
-78-
9 Konforme Abbildungen
9.3 Das Schwarzsche Spiegelungsprinzip
Definition 9.3.1. Es sei D ⊂ C Gebiet. Dann heißt
D? := z ∈ C : z ∈ D (9.2)
das Spiegelungsprinzip von D bezuglich R.
D heißt symmetrisch bezuglich R, wenn D? = D gilt. In diesem Fall setzen wir
D+ := z ∈ D : Im(z) > 0 , D− := z ∈ C : Im(z) < 0 und D0 := D ∩ R. (9.3)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 9.3.2. Es sei D ⊂ C ein bezuglich R symmetrisches Gebiet, v : D+∪D0 → R stetig,
v harmonisch in D+ und v(z) = 0 auf D0.
Dann gibt es eine in D harmonische Funktion V mit V (z) = v(z) fur alle z ∈ D+ ∪D0.
Beweis.
1 Wir setzen
V (z) :=
v(z) : z ∈ D+ ∪D0
−v(z) : z ∈ D−.
Dann ist V stetig in D und harmomnisch in D+ ∪D−.
2 Es sei nun x0 ∈ D0 und r > 0 mit Ur(x0) ⊂ D. Dann gilt
1
2π
2π∫0
V (x0 + reit) dt =1
2π
π∫0
v(x0 + reit) dt− 1
2π
2π∫π
v(x0 + reit) dt
=1
2π
π∫0
v(x0 + reit) dt− 1
2π
π∫0
v(x0 + reit) dt = 0 = V (x0),
d.h. V erfullt die Mittelwerteigenschaft in x0 auch. Aus Satz 7.1.7 folgt dann, dass
V harmonisch in D ist.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 9.3.3 (Schwarzsches Spiegelungsprinzip). Es sei D ⊂ C ein bezuglich R symmetri-
sches Gebiet, f : D+ ∪ D0 → C, f holomorph in D+, f(D0) ⊂ R und Im(f) stetig auf
D+ ∪D0.
Dann gibt es ein g ∈ H(D) mit g(z) = f(z) fur alle z ∈ D+ ∪D0.
-79-
9 Konforme Abbildungen
Beweis.
1 Wir setzen v := Im(f). Dann erfullt v die Voraussetzungen von Satz 9.3.2. Somit
gibt es eine in D harmonische Funktion V mit V (z) = v(z) fur alle z ∈ D+ ∪D0
und V (z) = −v(z) fur alle z ∈ D−. Wir setzen
g(z) =
f(z) : z ∈ D+
f(z) : z ∈ D−.
Mit den Cauchy-Riemann-DGLen folgt nun, dass g holomorph in D+ ∪D− ist mit
Im(g) = V .
2 Zu x0 ∈ D wahlen wir ein r0 > 0 mit Ur0(x0) ⊂ D. Da Ur0(x0) einfach zusam-
menhangend ist, gibt es nach Satz 4.2.4 b) eine in Ur0(x0) holomorphe Funktion
h0 mit h0(z0) = g(z0) fur ein z0 ∈ Ur0(x0) mit Im(z0) > 0 und Im(h0) = V .
3 Da h0 eindeutig bestimmt ist, folgt h0 = g in D+∩Ur0(x0). Da h0 reell auf Ur0(x0)∩R ist, folgt h0(z) = h0(z) (mittels Potenzreihenentwicklung), also auch h0 = g in
D−. Wir definieren also g := h0 in (x0 − r0, x0 + r0). Ist x1 ∈ D0 und x1 6= x0
mit Ur1(x1) ∩ Ur0(x0) 6= ∅, so stimmen h1 und h0 im Durchschnitt wegen des
Identitatssatzes uberein, so dass g in D wohldefiniert und holomorph ist.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wir wollen nun das Spiegelungsprinzip benutzen, um konforme Abbildungen unter geeig-
neten Voraussetzungen uber den Rand hinaus fortzusetzen.
Definition 9.3.4. Es sei D ⊂ C ein Gebiet und ∂D enthalte eine Strecke γ. γ heißt ein
freier Randbogen von D, wenn gilt:
∀ζ ∈ |γ| ∃δ > 0: Uδ(ζ) ∩ ∂D = Uδ(ζ) ∩ |γ| . (9.4)
γ heißt ein einseitig freier Randbogen von D, wenn die eine Halfte von Uδ(ζ) ganz
in D und die andere Halfte ganz außerhalb von D liegt. Sonst heißt γ ein zweiseitiger
freier Randbogen.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiele:
Siehe Abbildung 5.
Satz 9.3.5. Es sei D ⊂ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet und ∂D enthalte eine
Strecke γ als einseitgen freien Randbogen. Weiter sei f eine konforme Abbildung von D
auf D. Dann kann f zu einer auf D∪ |γ| holomorphen Funktion fortgesetzt werden, f ist
injektiv auf |γ| und γ′ := f(γ) ist ein Bogen auf ∂D.
-80-
9 Konforme Abbildungen
Abbildung 5: (a) Einseitiger freier Randbogen. (b) Zweiseitiger freier Randbogen.(c) Kein freier Randbogen. Beachte: Stets gilt |γ| ⊂ ∂D.
Beweis.
1 Es sei z0 ∈ D und f(z) = 0. Wir konnen annehmen, dass |γ| ⊂ R. Zu x0 ∈ |γ| sei
r := r(x0) > 0 so, dass U+r (x0) := z ∈ Ur(x0) : Im(z) > 0 ⊂ D, z0 6∈ U+
r (x0) und
Ur(x0) ∩ ∂D = Ur(x0) ∩ |γ|. Dann ist g := log f holomorph in U+r (x0).
2 Ist z ∈ U+r (x0) und z → |γ|, so folgt f(z)→ ∂D nach Satz ???, also gilt Re(g(z)) =
log |f(z)| → 0. Also kann g nach dem Spiegelungsprinzip in Ur(x0) holomorph
fortgesetzt werden. Somit ist auch f holomorph in Ur(x0) fortsetzbar und nach
dem Identitatssatz stimmen die Fortsetzung in uberlappenden Kreisen uberein.
Wie zeigen nun, dass f ′(x) 6= 0 fur alle x ∈ |γ| gilt.
3 Dazu nehmen wir an, dass f ′(x0) = 0 fur ein x0 ∈ |γ| gilt. Dann gilt in Uδ(x0):
f(z) = f(x0) + (z − x0)mg(z),
mit g holomorph in Uδ(x0), m ≥ 2 und g(x0) 6= 0.
4 Wir setzen speziell z = x0 + reit mit 0 < r < δ und 0 ≤ t ≤ π. Dann folgt
1 ≥ |f(z)|2 = |f(x0)|2︸ ︷︷ ︸=1
+2Re[f(x0)(z − x0)mg(z)
]+ |z − z0|2m |g(z)|2 ,
also Re[f(x0)rmeimtg(z)
]≤ 0. Division durch rm und Grenzubergang r → 0 liefert
nun wegen z → x0 (r → 0):
Re[f(x0)eimtg(z)
]≤ 0⇒ cos
[mt+ arg
f(x0)g(x0)
]≤ 0, t ∈ [0, π].
Dies ist ein Widerspruch, da m ≥ 2 gilt.
Schließlich zeigen wir noch, dass f auf |γ| injektiv ist.
-81-
9 Konforme Abbildungen
5 Andernfalls gibt es x1, x2 ∈ |γ| mit x1 6= x2 und f(x1) = f(x2) =: w0.
Da f ′(x1) 6= 0 und f ′(x2) 6= 0 gibt es disjunkte Umgebungen U1, U2 von x1, x2, die
bijektiv auf eine Umgebung U von w0 abgebildet werden. Jedes w ∈ U ∩D hat also
mindestens zwei Urbilder z1, z2 ∈ U1 ∪ U2. Es folgt z1, z2 ∈ D, da fur z ∈ U1 ∪ U2
mit Im(z) ≤ 0 gilt: |f(z)| ≥ 1. Dies ist ein Widerspruch zur Schlichtheit von f in
D.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Definition 9.3.6.
1) Es sei γ ein (offener) Jordanbogen81 in C. γ heißt analytisch, wenn gilt:
Es gibt ein bezuglich R symmetrisches, einfach zusammenhangendes Gebiet T mit
T ∩ R = (0, 1) und eine in T schlichte Funktion g mit g((0, 1)) = |γ|.Wegen g′(t) 6= 0 fur alle t ∈ (0, 1) ist dann γ insbesondere glatt.
2) Es sei γ ein analytischer Jordanbogen und z ∈ C mit z = g(t) fur ein t ∈ T . Dann
heißt z? := g(t) Spiegelpunkt von z an γ.
3) Es sei D ⊂ C ein Gebiet und ∂D enthalte einen analytischen Jordanbogen γ. γ
heißt ein freier Randbogen von D, wenn gilt:
∀z0 = g(t0) ∈ |γ| ∃δ > 0: Uδ(t0) ⊂ T und g(Uδ(t0)) ∩ ∂D = g(Uδ(t0)) ∩ |γ| . (9.5)
Hierbei ist t0 ∈ (0, 1) wegen 1). γ heißt ein einseitiger freier Randbogen, wenn
g(U+δ (t0)) ⊂ D und g(U−δ (t0)) ∩ D = ∅ gilt (oder umgekehrt).
4) Eine Jordankurve γ heißt analytisch, wenn es r1, r2 gibt mit 0 ≤ r1 < 1 < r2 und
eine in A(0; r1, r2) schlichte Funktion g mit g(∂D) = |γ|.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 9.3.7. Es sei D ⊂ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet uund ∂D enthalte
einen einseitigen freien analytischen Rundbogen γ. Weiter sei f eine konforme Abbildung
von D auf D.
Dann kann f zu einer auf D∪|γ| holomorphen Funktion fortgesetzt werden, f ist injektiv
auf |γ| und γ′ := f(γ) ist ein Bogen auf ∂D.
Beweis. Zu x0 = g(t0) ∈ |γ| wahlen wir r > 0 hinreichend klein so, dass h := f gholomorph und nullstellenfrei in U+
r (t0) ist. Analog zum Beweis von Satz 9.3.5 kann dann
h nach Ur(t0) fortgesetzt werden. Da g injektiv ist, erhalt man somit eine Fortsetzung von
f . Alles Weitere zeigt man ahnlich wie im Beweis von Satz 9.3.5.
81Ein Jordanbogen ist ein Weg γ : [0, 1]→ C, sodass fur alle t1, t2 ∈ [0, 1] mit t1 < t2 gilt: γ(t1) 6= γ(t2).γ ist also ein Homoomorphismus von [0, 1] auf γ([0, 1]).
-82-
9 Konforme Abbildungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aus diesen Ergebnissen erhalten wir
Satz 9.3.8 (Satz von Schwarz ). Es sei g eine konforme Abbildung von D auf ein Gebiet
D ⊂ C. Dann gilt:
g lasst sich schlicht nach UR(0) fur ein R > 1 fortsetzen. ⇔ ∂D ist eine analytische
Jordankurve.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wir erwahnen noch zwei weitere Ergebnisse zum Randverhalten bzw. zur Fortsetzung
konformer Abbildungen, die schwierig zu beweisen sind.
Satz 9.3.9 (Stetigkeitssatz ). Es sei g eine konforme Abbildung von D auf ein beschranktes
Gebiet D ⊂ C. Dann sind die folgenden Aussagen aquivalent:
a) g lasst sich stetig auf D fortsetzen.
b) ∂D ist eine Kurve, d.h. ∂D = ϕ(t) : t ∈ ∂D mit einer stetigen Funktion ϕ : ∂D→C.
c) ∂D ist lokal zusammenhangend, d.h.:
Zu jedem ε > 0 gibt es ein δ > 0 mit folgender Eigenschaft: Sind a, b ∈ ∂D mit
|a− b| < δ, so gibt es eine zusammenhangende Menge A ⊂ ∂D mit a, b ∈ A und
diam(A) := sup |α− β| : α, β ∈ A < ε.
d) C \D ist lokal zusammenhangend.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 9.3.10 (Satz von Caratheodory). Es sei g eine konforme Abbildung von D auf ein
beschranktes Gebiet D ⊂ C. Dann sind die folgenden Aussagen aquivalent:
a) g lasst sich zu einem Homoomorphismus von D auf D fortsetzen.
b) ∂D ist eine Jordankurve.
c) ∂D ist lokal zusammenhangend und besitzt keine Zerschneidungspunkte, d.h. es
gibt kein ζ ∈ ∂D so, dass ∂D \ ζ nicht mehr zusammenhangend ist.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ist f eine konforme Abbildung von D auf ein Jordangebiet D, so kann man erreichen, dass
drei vorgegebene Punkte z1, z2, z3 ∈ ∂D auf drei vorgegebene Punkte w1, w2, w3 ∈ ∂D
abgebildet werden, wobei die Orientierung zu beachten ist. Diese muss jeweils die gleiche
sein und dadurch ist die Abbildung f eindeutig bestimmt.
Dass dies tatsachlich moglich ist, sieht man wie folgt:
Es sei g eine konforme Abbildung von D auf D und ζj := g(wj) fur j = 1, 2, 3.
Dann gibt es genau eine Mobiustransformation T , die D bijektiv auf D und ∂Dbijektiv auf ∂D abgebildet und dabei T (ζj) = zj, j = 1, 2, 3, erfullt. Dann setzt
man f := g−1 T−1.
-83-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
Inhalt des Kapitels
10.1 Einfuhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8510.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
10.2.1 Iteration von z 7→ z2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8810.2.2 Iteration von z 7→ 1
2
(z + 1
z
). . . . . . . . . . . . . . . . . 89
10.2.3 Iteration von z 7→ z2 + c . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8910.3 Julia- und Fatoumenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9310.4 Juliamengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
-84-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
10.1 Einfuhrung
Motivation: Newton-Verfahren zur Nullstellenbestimmung von Polynomen P .
Wir betrachten eine Folge (zn) in C mit Startwert z0 und Iterationsvorschrift zn+1 =
zn− P (zn)P ′(zn)
. Wir wissen: Ist z0 hinreichend nahe an eine Nullstelle ζ von P , so konvergiert
(zn)”schnell“ 82 gegen ζ, sofern P ′(ζ) 6= 0.
Allgemeiner betrachten wir folgendes Setting:
Sei R eine rationale Funktion, z0 ∈ C und (zn) definiert durch
zn+1 = R(zn) = Rn+1(z0), (10.1)
wobei Rn := R . . . ︸ ︷︷ ︸n−mal
mit R0 = id gelte. Beachte: Rn ist wieder rational, daher ist diese
Iterationsvorschrift wohldefiniert. Auf diese Weise entstehen Folgen (zn) und (Rn).
Fragen:
1) Fur welche Startwerte z0 konvergiert (zn) bzw. (Rn)?
2) Wie verhalt sich (zn), wenn es nicht konvergiert?
3) Wie reagiert (zn) auf kleine Anderungen von z0?
Speziell fur das Newton-Verfahren erhalten wir als Iterationsfunktion
R(z) = z − P (z)
P ′(z), (10.2)
die auch Newtonfunktion genannt wird.
Wir vereinbaren nun folgende Bezeichnungen:
Mit Dr(z0) ist ab nun immer eine Kreisscheibe in chordaler Metrik gemeint, d.h.
Dr(z0) :=z ∈ C : χ(z, z0) < r
. (10.3)
Fur eine rationale Funktion R = PQ
setzen wir d := degR := max degP, degQ. Ab
sofort gelte zudem stets d ≥ 2, da fur d = 1 Mobiustransformationen entstehen und die
komplexe Dynamik dieser wurde in Abschnitt 2.5 bereits diskutiert.
Zudem bezeichnen wir mit (zn) ab jetzt stets eine Iterationsfolge wie in (10.1).
Bemerkung 10.1.1. Falls (zn) gegen ein ζ ∈ C konvergiert, so folgt wegen der Stetigkeit
von R: ζ ← zn+1 = R(zn)→ R(ζ) (n→∞). ζ ist dann also ein Fixpunkt von R.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Beispiel: R(z) = z2 − 4z + 6.
Dann hat R die Fixpunkte 2, 3 und∞. Wegen R(z)−2 = (z−2)2 folgt zn+1−2 = (zn−2)2,
82Genauer ist die Konvergenzgeschwindigkeit quadratisch, solange die Nullstelle einfach ist.
-85-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
also zn − 2 = (z0 − 2)2n → 0 (n → ∞) fur alle z0 mit |z0 − 2| < 1. Weiter folgt zn → ∞fur |z0 − 2| > 1.
Bemerkung 10.1.2. Es sei ζ ∈ C ein Fixpunkt von R mit |R′(ζ)| < 1 (attraktiver
Fixpunkt). Wahlen wir ein q > 0 mit |R′(z)| < q < 1 fur z ∈ Ur(ζ) fur ein r > 0, so
folgt fur dieses z:
R(z)− ζ = R(z)−R(ζ) =
z∫ζ
R′(ω) dω.
Somit gilt also |R(z)− ζ| ≤ q · |z − ζ| und induktiv |Rn(z)− ζ| ≤ rqn → 0 (n→∞).
Ist andererseits |R′(ζ)| > 1 (abstoßender Fixpunkt), so kann (zn) nur dann gegen ζ
konvergieren, wenn es ein n0 ∈ N gibt mit zn = ζ fur alle n ≥ n0, denn:
Gilt zn → ζ (n → ∞), so existiert eine Teilfolge (znk) von (zn) mit |znk+1 − ζ| <|znk − ζ|. Hieraus folgt
1 >
∣∣∣∣R(znk)−R(ζ)
znk − ζ
∣∣∣∣→ R′(ζ) (k →∞),
also |R′(ζ) ≤ 1|, was ein Widerspruch zur Annahme ist.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zentrale Idee:
Es seien R rational, z0, w0 ∈ C zwei Startwerte und (zn),(wn) Iterationsfolgen wie in
(10.1).
Frage: Fur welche z0 ∈ C existiert ein δ > 0, so dass sich fur w0 ∈ Uδ(z0) die beiden
Folgen (zn) und (wn)”ahnlich“ verhalten?
Definition 10.1.3. Es sei R rational und
F := F(R) :=z ∈ C : Rn ist gleichgradig stetig in einer Umgebung von z
. (10.4)
F heißt Fatou-Menge von R oder auch stabile Menge. Es ist F eine offene Menge (da
die Umgebungen in (10.4) offen gewahlt werden konnen) und eine Komponente von Fheißt stabiles Gebiet. Die Menge
J := J (R) := C \ F(R) (10.5)
heißt Julianmenge von R.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aus dem Satz von Arzela-Ascoli folgt sofort:
Folgerung 10.1.4. Es ist F :=z ∈ C : (Rn) ist normal in einer Umgebung von z
.
-86-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
F heißt auch Normalitatsgebiet und wurde in alteren Arbeiten mit N(R) bezeichnet.
Die Bezeichnung Fatoumenge stammt von Blanchard. Die Juliamenge wurde auch mit
F(R) bezeichnet.
-87-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
10.2 Beispiele
10.2.1 Iteration von z 7→ z2
Abbildung 6: Visualisierung der komplexen Dynamik von z 7→ z2, der innere schwarzeKreis ist gerade D.
In diesem Fall ist P (z) = z2, also P n(z) = z2n . Attraktive Fixpunkte sind 0 und ∞, 1
ist ein abstoßender Fixpunkt. Somit gilt P n(z) → 0 (n → ∞) fur z ∈ D und P n(z) →∞ (n→∞) fur z ∈ C \ D. Somit ist F = D ∪
(C \ D
), also gibt es zwei stabile Gebiete
und es folgt J = ∂D.
Verhalten von P n auf ∂D:
Fur z ∈ ∂D sei z = eiϑ. Dann gilt P n(z) = ei·2n·ϑ. Sei nunA :=z ∈ ∂D : z = e2πik/2m , k,m ∈ N
und B := ∂D \ A. Beide Mengen sind dicht in ∂D. Ist z.B. z ∈ B, so ist P n(z) 6= 1 fur
alle n ∈ N. Mit 10.1.2 folgt nun P n(z) 6→ 1 (n→∞).
Ist I ein Bogen auf ∂D, so existiert ein m ∈ N mit P n(I) = ∂D fur alle n ≥ m.
Periodische Punkte sind Fixpunkte von P p. Dies sind hier die (2p − 1)-ten Einheits-
wurzeln und diese liegen dicht in ∂D (und sind alle abstoßend).
Betrachte O+(z) := P n(z) : n ∈ N0 (den sogenannten Orbit). Dann existiert ein z ∈∂D, sodass O+(z) dicht in ∂D ist. Ferner existiert ein z ∈ ∂D, sodass O+(z) eine unend-
liche Menge ist, aber der Abschluss nicht ganz ∂D ist.
Alle diese Aussagen gelte auch fur P (z) = czd, |c| = 1 und d ∈ N \ 1.
Definition 10.2.1. Es sei X 6= ∅ eine Menge, f : X → X eine Abbildung und E ⊂ X. E
heißt
a) (vorwarts) invariant, wenn f(E) ⊂ E gilt.
b) ruckwarts invariant, wenn f−1(E) ⊂ E gilt.
c) vollstandig invariant, wenn f(E) = E gilt.
-88-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Satz 10.2.2. Es sei P ein Polynom vom Grad d ∈ N \ 1 und ∂D vollstandig in variant.
Dann ist P (z) = αzd mit |α| = 1.
Beweis. Wir zeigen sogar ein allgemeineres Resultat:
Ist f eine ganze Funktion und ∂D invariant unter f , so ist f(z) = αzd mit |α| = 1.
1 Nach dem Identitatssatz hat f in D nur endlich viele Nullstellen. Diese seien
0, z1, . . . , zm mit Vielfachheiten k0, k1, . . . , km.
2 Wir setzen das Blaschkeprodukt
B(z) =n∏j=0
(z − zj1− zjz
)kj
und g(z) = f(z)
zk0B(z). Dann ist g holomorph in D und ∂D invariant.
3 Aus dem Maximum- und Minimumprinzip folgt |g(z)| = 1 fur z ∈ D. Somit ist
g(z) ≡ α, also f(z) = αzk0B(z). Es sind nun 1zj
Pole von f , im Widerspruch dazu,
dass f ganz ist. Somit folgt zj = 0 fur j = 1, . . . ,m und dies ist die Behauptung.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.2.2 Iteration von z 7→ 12
(z + 1
z
)Diese tritt auf, wenn man das Newton-Verfahren auf z2 − 1 anwendet. Setze g(z) =z−1z+1
. Dann ist S(z) = (g R g−1)(z) = z2, also lasst sich dieser Fall auf den vorigen
zuruckfuhren.
10.2.3 Iteration von z 7→ z2 + c
Hier ist nun P (z) = Pc(z) = z2 + c. Einige Beispielwerte:
c = 0: (P n(0)) = (0, 0, 0, 0, . . .)
c = −1: (P n(0)) = (0,−1,−1, 0, . . .)
c = −2: (P n(0)) = (0,−2, 2, 2, . . .)
c = −3: (P n(0)) = (0,−3, 6, 33, . . .)
i) Wir suchen alle c ∈ C, sodass Pc einen attraktiven Fixpunkt hat. Dafur mussen
wir die Gleichung Pc(z) = z ⇔ z2 − z + c = 0 losen.
Seien α, β die Losungen dieser quadratischen Gleichung. Nach dem Satz von Vieta
-89-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
gilt α+ β = 1 und αβ = 1. Nun gilt P ′(α) +P ′(β) = 2α+ 2β = 2(α+ β) = 2, d.h.
P kann hochstens einen attraktiven Fixpunkt in C haben, z.B. α. Eine notwendige
Bedingung an α ist∣∣α < 1
2
∣∣ und c = α− α2. Die gesucht Menge ist daher das Bild
von U1/2(0) unter der Abbildung z 7→ z − z2. Diese ist von der Form f g h mit
h(z) = z − 12, g(z) = z2 und f(z) = 1
4− z.
Abbildung 7: Abbildungsverhalten von U1/2(0) unter f g h.
ii) Wir suchen jetzt alle c ∈ C, sodass Pc einen attraktiven Zweierzyklus hat, d.h.
attraktiver Fixpunkt von P 2c ist. Man erhalt U1/4(−1).
Sucht man nach den attraktiven N -Zyklen, so erweist es sich als sinnvoll, die Menge
M := c ∈ C : P nc (0) 6→ ∞ (n→∞) (10.6)
zu betrachten. Dies ist die sogenannte Mandelbrotmenge, siehe Abbildung 8.
Abbildung 8: Die Mandelbrotmenge M.
iii) Ist |z0| hinreichend groß, so gilt offensichtlich P nc (z0) → ∞ (n → ∞). Dies gilt
auch, wenn |Pmc (0)| fur ein m hinreichend groß ist. (Dazu lege diesen Wert als
-90-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
neuen Startwert fest und iteriere mit P n.) Daher betrachten wir fur ein beliebiges
Polynom vom Grad d ≥ 2 die Menge
A(∞) = AP (∞) :=z ∈ C : P n(z)→∞ (n→∞)
. (10.7)
Dazu betrachten wir folgenden
Satz 10.2.3. Es ist A(∞) ein vollstandig invariantes stabiles Gebietun es gibt ein r0 > 0,
sodass fur alle r ≥ r0 gilt:
A(∞) =∞⋃m=0
z ∈ C : |Pm(z)| > r
. (10.8)
Beweis.
1 Die vollstandige Invarianz von A(∞) ist klar.
2 Wir schreiben P (z) = adzd + . . . a1z + a0. Fur |z| ≥ r ≥ 1 gilt∣∣∣∣P (z)
zd
∣∣∣∣ ≥ |ad| − . . . ∣∣∣∣a11
zd−1
∣∣∣∣− ∣∣∣∣a0 ·1
zd
∣∣∣∣≥ |ad| −
1
r· (|ad−1|+ . . .+ |a1|+ |a0|)︸ ︷︷ ︸
=:M
≥ |ad| −M
r≥ 1
rd−1,
falls r ≥ r0 hinreichend groß. Fur diese r folgt nun |P (z)| ≥ r ·∣∣ zr
∣∣d. Induktion
liefert nun
|P n(z)| ≥ r ·∣∣∣zr
∣∣∣dn fur |z| ≥ r. (∗)
3 Es ist klar, dass A(∞) ⊂∞⋃m=0
z ∈ C : |Pm(z)| > r
.
Sei nun umgekehrt z ∈∞⋃m=0
z ∈ C : |Pm(z)| > r
. Dann gilt |Pm(z)| > r fur ein
m ∈ N, also
∣∣P n+m(z)∣∣ (∗)≥ r ·
∣∣∣zr
∣∣∣dn →∞ (n→∞). (∗∗)
Somit ist z ∈ A(∞) und es folgt die Darstellung aus (10.8).
4 Nach (10.8) istA(∞) offen. WareA(∞) nicht zusammenhangend, so enthaltA(∞)
eine beschrankte Komponente C. Somit ist |Rn(z)| ≤ r fur z ∈ ∂C. Das Maximum-
prinzip liefert nun |Rn(z)| ≤ r fur z ∈ C und dies ist ein Widerspruch. Somit ist
A(∞) ein Gebiet.
-91-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
5 Noch zu zeigen ist die Stabilitat, also P n → ∞ (n → ∞) lokal gleichmaßig in
A(∞). Hieraus folgt dann A(∞) ⊂ F .
Dazu sei K ⊂ A(∞) kompakt. Aus (∗∗) folgtz ∈ C : Pm(z) > r
⊂z ∈ C : Pm+1(z) > r
.
Daher gilt
K ⊂z ∈ C : Pm(z) ≥ s
fur ein m ∈ N und ein s > r.
Dann gilt fur z ∈ K: |P n+m(z)| ≥ r ·(sr
)dn → ∞ (n → ∞). Somit gilt P n →∞ (n→∞) gleichmaßig auf K.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung.
Fur Pc kann man r0 = 1+|c| wahlen. Eine genauere Analyse zeigt r0 = 12·(
1 +√
1 + 4 |c|)
.
Man kann zeigen, dass fur jedes Polynom P gilt: ∂P (∞) = J . Daher ist die folgende
Definition motiviert.
Definition 10.2.4. Es sei P ein Polynom vom Grad d ≥ 2. Dann heißt
K := KP := C \ A(∞) (10.9)
die ausgefullte Juliamenge von P . Es gilt:
K = z ∈ C : (P nc (z)) ist beschrankt . (10.10)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
-92-
10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
10.3 Julia- und Fatoumenge
Definition 10.3.1. Sind R, S rationale Funktionen und ist M eine Mobiustransformation
mit S = M R M−1, so heißen S und R konjugiert, in Zeichen S ∼ R.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Es ist ∼ eine Aquivalenzrelation auf der Menge aller rationalen Funktionen. Ist M(z) = 1z,
so ist S(z) = 1
R( 1z )
.
Ist S ∼ R, so gilt offensichtlich Sn = M Rn M−1. Damit ist F(S) = M(F(R)) und
J (S) =M(J (R)).
Jedes Polynom vom Grad 2 ist konjugiert zu genau einem Polynom der Form Pc(z) = z2+c
oder zu genau einem Polynom der Form Qλ(z) = λz + z2.
Definition 10.3.2. Es sei R rational. Ist ζ ∈ C ein Fixpunkt von R, so heißt λ = R′(ζ)
der Multiplikator von ζ. Fur ζ =∞ definiert man λ := S ′(0), wobei S(z) = 1
R( 1z )
.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Definition 10.3.3. Es sei R ational und ζ ∈ C ein Fixpunkt von Rp fur ein p ∈ N, aber
kein Fixpunkt von Rn fur n < p, d.h. p ist minimal gewahlt.
Dann heißt α := ζ, R(ζ), . . . , Rp−1(ζ) ein Zyklus der Lange ppp oder kurz ppp-Zyklus. Der
Multiplikator λ von α ist definiert als der Multiplikator des Fixpunktes ζ. Die Elemente
von α heißen periodische Punkte und sie sind auch Fixpunkte von Rp.
Ein Punkt ζ heißt pra-periodischer Punkt von R, wenn es ein m ∈ N gibt, sodass
Rm(ζ) ein periodischer Punkt von R ist.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bemerkung 10.3.4. Ist α ein p-Zyklus, ∞ 6∈ α, so folgt mit der Kettenregel
(Rp)′(ζ) =
p−1∏j=0
R′(Rj(ζ)). (10.11)
D.h. λ hangt nur von α ab, aber nicht vom speziell gewahlten Fixpunkt.
Sind R, S konjugiert und α ein p-Zyklus von R, so ist M(α) ein p-Zyklus von S.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Definition 10.3.5. Es sei α ein Zyklus von R und λ sein Multiplikator. Dann heit α
a) attraktiv, wenn |λ| < 1. Ist λ = 0, so heißt α superattraktiv.
b) abstoßend, wenn |λ| > 1.
c) indifferent, wenn |λ| = 1. Ist λm = 1 fur ein m ∈ N, so heißt α rational indif-
ferent, sonst irrational indifferent.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
Satz 10.3.6. Es sei R rational und α ein p-Zyklus.
Ist α attraktiv, so gilt α ⊂ F . Ist α abstoßend, so gilt α ⊂ J . Ist α rational indifferent,
so gilt α ⊂ J .
Beweis. Wir konnen annehmen, dass∞ 6∈ α, denn sonst konjugiere mit einer geeigneten
Mobiustransformation.
1 Ist α attraktiv, so ist |(Rp)′(z0)| < 1 und man zeigt wie in Bemerkung 10.1.2,
dass es ein δ > 0 gibt mit Rpn(z0) → z0 (n → ∞) gleichmaßig in Uδ(z0). Da R
gleichmaßig stetig auf Uδ(z0) ist, folgt Rpn+k(z0)→ Rk(z0) gleichmaßig auf Uδ(z0)
fur n→∞ und k = 0, 1, . . . , p− 1. Somit ist α ⊂ F .
2 Ist α abstoßend, so ist |(Rp)′(z0)| > 1. Dann gilt
(Rpn)′(z0) =
(Rp)′(z0)︸ ︷︷ ︸>1
n →∞ (n→∞). (∗)
Ware α ⊂ F , so ware (Rn) normal in einer Umgebung U von z0 und es gabe eine
Teilfolge (Rpnk) von (Rpn), die in U lokal gleichmaßig gegen eine holomorphe Funk-
tion f konvergiert. Somit gilt (Rpn)′(z0) → f ′(z0) ∈ C (n → ∞), im Widerspruch
zu (∗). Somit ist α ⊂ J .
3 Ist α rational indifferent, so ist |(Rp)′(z0)| = 1 mit (Rp)′(z0) = e2πir/s, r ∈ Z, s ∈ N.
Wir setzen nun S := Rps. Dann ist S(z0) = z0 und S ′(z0) = 1. Die Taylorreihe
liefert in einer Umgebung von z0 nun S(z) = z0 + am(z − z0)m + . . . kmit am 6= 0
und m = 2. Damit gilt nun (Sn)(m)(z0) = namm!→∞ (n→∞). Nun fuhrt man
die Annahme α ⊂ F wie in 2 zum Widerspruch.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Folgerung 10.3.7. Es sei R rational, G ⊂ C eine offene Menge, C\G enthalte mindestens
drei Punkte und G sei vorwarts invariant unter R. Dann ist G ⊂ F .
Beweis. Da G vorwarts invariant unter R ist, gilt R(G) ⊂ G. Somit folgt induktiv
Rn(G) ⊂ G. Daher lasst (Rn(G))C drei Werte aus und nach dem großen Satz von Montel
ist R normal in G. Somit ist G ⊂ F .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
10.4 Juliamengen
Satz 10.4.1. Es sei R rational. Dann ist J 6= ∅.
Beweis.
1 Annahme: Es gelte J = ∅.Dann gibt es zu jedem z ∈ C eine Umgebung Uz von z, so dass (Rn) normal in
Uz ist. Da Normalitat nach Satz 8.2.2 eine lokale Eigenschaft ist, ist (Rn) normal
in C. Also existiert eine Teeilfolge (Rnk) von (Rn), die in C gleichmaßig gegen
eine rationale Funktion S oder gegen ∞ konvergiert83. Wir setzen zur Abkurzung
Sk := Rnk .
2 Sei nun S konstant. Ohne Einschrankung konnen wir annehmen, dass S ≡ 0, an-
sonsten schalten wir eine Mobiustransformation vor. Damit gilt fur alle hinreichend
großen k:
χ(Sk(z), 0) < 1 ∀z ∈ C.
Wegen χ(∞, 0) = 2, folgt, dass Sk keine Pole hat. Somit ist Sk konstant, was ein
Widerspruch ist. Somit muss S meropmorph sein.
3 Wir zeigen nun, dass es ein k0 ∈ N gibt mit
degSk = degS. (∗)
Wir konnen dabei annehmen, dass S(∞) 6= 0, ansonsten schalten wir eine Mobius-
transformation vor. Mit dieser Festlegung besitzt S die verschiedenen z1, . . . , zm ∈C.
4 Wir wahlen nun Kreisscheiben Dj := Uδ(zj) mit Dj∩Dk = ∅ fur k 6= j und δ > 084.
Damit setzen wir K := C \ D1 ∪ . . . ∪Dm, also ist K kompakt. Wir setzen nun
noch ε := min S(z) : z ∈ ∂D1 ∪ . . . ∪ ∂Dm. Dann folgt fur k hinreichend groß
|Sk(z)− S(z)| < ε ≤ S(z) fur z ∈ ∂D1 ∪ . . . ∪ ∂Dm.
5 Nach dem Satz von Rouche haben S und Sk in jedem Dj gleich viele Nullstellen.
Weiterhin existiert eine Konstante M > 0 mit χ(S(z), 0) ≥ 2M fur alle z ∈ K.
Somit haben S und Sk in C die gleiche Anzahl von Nullstellen. Aus dem Funda-
mentalsatz der Algebra folgt dann (∗). Ist d = degR, so ist dn = degRn und dies
liefert einen Widerspruch zu (∗).
83Die Konvergenz ist gleichmaßig, da C kompakt ist. Aus den Picardschen Satzen folgt uberdies, dasseine meromorphe Funktion auf C rational sein muss.
84Da dies nur endlich viele Kreisscheiben, kann δ uniform gewahlt werden.
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10 Exkurs in komplexe dynamische Systeme
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Man kann noch zeigen:
• F und J sind vollstandig invariant.
• F(Rp) = F(R), J (Rp) = J (R).
• J ist immer perfekt, d.h. kompakt und jeder Punkt ist Haufungspunkt. Daher ist
J immer uberabzahlbar.
• J oder J = C.
• J ist der Abschluss der abstoßenden periodischen Punkte.
• Fur jedes z0 ∈ J ist J = O−(z0).
• Fur jede Kreisscheibe K mit K ∩ J 6= ∅ gibt es n0 ∈ N mit Rn(K ∩ J ) = J .
(Selbstahnlichkeit)
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Abbildungsverzeichnis
1 Skizze der Beweissituation von Satz 6.3.1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2 Skizze der Beweissituation von Satz 6.4.1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
3 Die Mengen An und Dn im Beweis von Satz 6.4.1. . . . . . . . . . . . . . . 20
4 Skizze der Beweissituation von Satz 8.2.6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
5 Beispiele fur Randbogen in Definition 9.3.4. . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
6 Visualisierung der komplexen Dynamik von z 7→ z2. . . . . . . . . . . . . . 88
7 Visualisierung von f g h. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
8 Die Mandelbrotmenge M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90