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Skript zu den Begleitseminaren (Exzerpt aus ProGr@mm)

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Skript zu den Begleitseminaren (Exzerpt aus ProGr@mm)

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 2

Primäre Komponenten des Satzes andere Bezeichnungen: Satzglieder Sprachliche Ausdrücke können bestimmte Rollen beim Aufbau von komplexeren sprachlichen Einheiten übernehmen, das heißt, sie können syntaktische Funktionen erfüllen. In einem Satz wird das Prädikat typischerweise durch ein Verb bzw. eine Gruppe von Verben realisiert, den so genannten Verbalkomplex. Der Verbalkomplex ist dabei insofern auf andere Ausdrücke angewiesen, als er erst mit diesen zusammen einen Satz bildet. Die Funktion, den Verbalkomplex zu einem Satz zu ergänzen, erfüllen die Komplemente. Die Funktion, einen Verbalkomplex, eine bereits über den Verbalkomplex hinausgehende Verbgruppe bzw. einen ganzen Satz zu erweitern, kommt den Supplementen zu. So ergänzen in

[Wir ] haben [dieses Problem ] gelöst

die beiden Komplemente wir und dieses Problem den Verbalkomplex haben gelöst zu einem Satz. Dagegen wird in

[Wir ] haben [dieses Problem ] [schnell ] gelöst

der Verbalkomplex haben gelöst zunächst durch das Supplement schnell spezifiziert und erst anschließend durch die Komplemente wir und dieses Problem zu einem Satz vervollständigt. Schließlich kann in

[Damals ] haben wir dieses Problem schnell gelöst

durch das Supplement damals der gesamte Satz Wir haben dieses Problem schnell gelöst erweitert werden, wodurch sich ein neuer Satz ergibt. Als primäre funktionale Komponenten des Satzes werden somit der Verbalkomplex, die Komplemente und die Supplemente angesehen. Im Folgenden soll es um die Frage gehen, wie die funktionalen Komponenten des Satzes durch bestimmte Ausdruckskategorien realisiert und beim Aufbau von Sätzen in Beziehung zueinander gesetzt werden. Komplemente und Supplemente können mithilfe verschiedenartiger Ausdruckskategorien realisiert werden: Schon in obigen Beispielen erschienen als Komplemente ein Pronomen im Nominativ (wir ) und eine Nominalphrase im Akkusativ (dieses Problem ) und als Supplemente ein Adjektiv (schnell ) und ein Adverb (damals ). Dagegen bildet der Verbalkomplex, für den das finite Verb konstitutiv ist, bereits an sich eine bestimmte Ausdruckskategorie. Im Rahmen der aktuellen Informationseinheit werden die verschiedenen Klassen von Komplementen und Supplementen erarbeitet und ihre möglichen Realisierungen beschrieben. Der Verbalkomplex, der selbst eine Ausdruckskategorie bildet, wird in einer getrennten Informationseinheit auf einer Ebene mit anderen Ausdruckskategorien behandelt.

• Verbalkomplex • Komplement • Supplement

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Verbalkomplex ... weil Hans gerade den Brief schreibt. Der Verbalkomplex ist die typische Realisationsform des Prädikats und gehört als solche neben Komplementen und Supplementen zu den primären Komponenten des Satzes. Er besteht aus einer finiten Verbform (Beispiel (1)) oder aus mehreren Verbformen, von denen eine finit ist. Im letzteren Fall, der eigentlich erst die Bezeichnung Verbalkomplex rechtfertigt, weil er aus mehreren Elementen besteht, wird eine infinite Verbform oder eine Gruppe infiniter Verbformen durch ein finites Hilfsverb oder Modalverb zum Verbalkomplex vervollständigt (Beispiele (2)-(16)). Der Verbalkomplex ist bis an die Grenze der Verständlichkeit ausbaubar. Das finite Hilfsverb oder Modalverb ist in Verberst- und Verbzweitsätzen oft durch andere Satzelemente vom Rest des Verbalkomplexes getrennt (Beispiele (2)-(15)), der in der Regel am Ende des Satzes steht. In Verbletztsätzen ist es das finite Hilfsverb oder Modalverb, das am Ende des Verbalkomplexes steht (Beispiel (16): (1) Hans schreibt gerade den Brief. (2) Hat Hans gerade den Brief geschrieben? (3) Hans wird gerade den Brief schreiben. (4) Hans muss gerade den Brief schreiben. (5) Hans wird bis morgen den Brief geschrieben haben. (6) Hans muss gerade den Brief geschrieben haben. (7) Hans hat gerade den Brief schreiben müssen. (8) Hans hätte gerade den Brief geschrieben haben müssen. (9) Hans wird bis morgen den Brief geschrieben haben müssen. (10) Der Brief wird gerade (von Hans ) geschrieben . (11) Der Brief ist gerade (von Hans ) geschrieben worden . (12) Der Brief wird gerade (von Hans ) geschrieben werden . (13) Der Brief muss gerade (von Hans ) geschrieben werden . (14) Der Brief hätte gerade (von Hans ) geschrieben werden müssen . (15) Der Brief wird bis morgen (von Hans ) geschrieben worden sein . (16) ... weil der Brief bis morgen (von Hans) geschrieben worden sein muss. Die Hilfsverben sein , haben und werden beteiligen sich an der Bildung zusammengesetzter Tempus- und Genus-Verbi-Formen im verbalen Paradigma der Vollverben. Mit Modalverben wie dürfen , können , mögen , müssen , sollen , wollen werden Propositionen als möglich oder notwendig (und nicht faktisch) eingestuft. Die Modalverben weisen dabei einen unscharfen Übergangsbereich zu den Vollverben auf, der von peripheren Modalverben wie brauchen und Halbmodalen wie scheinen gebildet wird. Der Verbalkomplex ist bestimmt hinsichtlich aller Kategorisierungen des verbalen Paradigmas (Tempus, Modus, Genus Verbi, Person und Numerus). Durch die sukzessive Anbindung der einzelnen Komplemente an den Verbalkomplex entstehen immer größere Verbgruppen, die jeweils durch Supplemente ergänzt bzw. modifiziert werden können. Nach der Anbindung aller Komplemente ist die Ebene des Satzes erreicht. Der Verbalkomplex wird in folgenden Informationseinheiten behandelt:

• Funktionale Bestimmung des Verbalkomplexes • Rektion und Determination im Verbalkomplex • Valenzübertragung und Konversion

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 4

• Hilfsverben im Verbalkomplex • Modalverben im Verbalkomplex

Funktionale Bestimmung des Verbalkomplexes

• Aufgaben des Verbalkomplexes • Funktionale Einordnung des Verbalkomplexes

Aufgaben des Verbalkomplexes

Dem Verbalkomplex kommen zwei verschiedene Aufgaben zu: 1. Als Realisationsform des Prädikats repräsentiert er das Organisationszentrum der

Proposition. 2. Er trägt dazu bei, die Proposition in Zeit- und Realitätsbezüge einzuordnen, und

bereitet eine bestimmte Informationsstrukturierung für den Satz vor. Diese beiden Aufgaben werden durch verschiedene Teile des Verbalkomplexes wahrgenommen.

Verbalkomplex aus nur einer Verbform

Besteht der Verbalkomplex aus nur einer Verbform, so setzt er sich mindestens aus zwei Morphemen zusammen. Jede der zwei erwähnten Aufgaben wird von einem der beiden Morpheme übernommen. Dies ist etwa bei schwachen Verben im Präsens und Präteritum (Indikativ) der Fall (z. B. lachen in Der Junge lacht /lachte ). Hier wird Aufgabe 1 vom lexikalischen Morphem (lach- ), Aufgabe 2 vom Flexionsmorphem (-t /-te ) erfüllt. Die Morpheme bilden jeweils in sich abgeschlossene Einheiten, die einander nicht überlappen. In vielen anderen Fällen ist aber eine derartige lineare Trennung beider Aufgaben nicht möglich, weil das lexikalische Morphem von der Flexion überlagert wird. Man vergleiche etwa die starken Verben, bei denen flexionsbedingte Veränderungen des Wortstamms auftreten (z. B. schlafen in Der Junge schläft /schlief ; Genaueres zur Flexion in Vollverb). Beim Verbalkomplex aus nur einer Verbform wird oft von einer 'einfachen Verbform' gesprochen (Verbformen mit einem abtrennbaren Präverb wie in Der Junge schläft ein. sind hier eingeschlossen).

Verbalkomplex aus mehreren Verbformen

Besteht der Verbalkomplex aus mehreren Verbformen, werden die beiden oben genannten Aufgaben lexikalisch getrennt wahrgenommen: Das finite Hilfs- oder Modalverb leistet keinen Beitrag zur propositionalen Bedeutung, dient somit nicht der Erfüllung von Aufgabe 1. Sie übernehmen dafür Aufgabe 2 und zwar in allen ihren Teilbereichen. Sie sind beteiligt an:

a. der Herstellung des Zeitbezuges: Hans ist gekommen. Der Junge hat geschlafen.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 5

b. der modalen Charakterisierung der Proposition: Hans mag kommen. Der Junge muss schlafen.

c. der Passivbildung (Das Buch wird von Hans bearbeitet.) im Gegensatz zur Aktivbildung (Hans bearbeitet das Buch.)

Aufgabe1 wird in einem Verbalkomplex, der aus mehreren Verbformen besteht, durch das infinite Vollverb wahrgenommen, das als Ausdruck für das Prädikat im engeren Sinne dient: So ist gekommen in Wir werden gekommen sein Ausdruck dessen, was dem mit wir bezeichneten Gegenstand zugeschrieben wird. Weitere infinite Bestandteile des Verbalkomplexes sind - wenn überhaupt vorhanden - wiederum an der Erfüllung der einzelnen Teilbereiche von Aufgabe 2 beteiligt, das heißt, sie leisten einen Beitrag zur zeitlichen (a) und modalen (b) Einordnung der Proposition bzw. signalisieren eine Passivkonstruktion (c):

a.

b.

c.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 6

Die auf die einzelnen Teilbereiche von Aufgabe 2 spezialisierten Verben können miteinander kombiniert werden: ... weil der Leiter den Bericht abzeichnet. Prädikat Die folgende Tabelle fasst die bisherigen Überlegungen zu den Aufgaben des Verbalkomplexes und seiner Bestandteile zusammen:

Teile des Verbalkomplexes

Aufgaben im Verbalkomplex aus nur einer Verbform

im Verbalkomplex aus mehreren Verbformen

Realisation des Prädikats, Organisation der Proposition

lexikalisches Morphem, z.B.: geh-

infinites Vollverb, z.B.: geschrieben schreiben

Einordnung in Zeit- und Realitätsbezüge, Informationsstrukturierung

Flexionsmorphem /Flexion, z.B.: -t

finites Verb, z.B.: hat muss wird infinite Verben mit Ausnahme des Vollverbs, z.B.: müssen haben werden

Funktionale Einordnung des Verbalkomplexes

Unter Verbalkomplex ist das - in der linearen Abfolge möglicherweise diskontinuierliche - Vorkommen von einer finiten und gegebenenfalls einer oder mehrerer infiniter Verbformen innerhalb eines Satzes zu verstehen. Im Satz werden Komplemente an den Verbalkomplex angebunden. Ohne Anbindung von Komplementen ist die Stelligkeit des Verbalkomplex n. Durch Anbindung von n Komplementen an den Verbalkomplex entsteht ein Vollsatz.

Die Anbindung der Komplemente erfolgt sukzessive und ist quantitativ von der Valenz des Vollverbs abhängig. An den n-stelligen Verbalkomplex wird zunächst das unter semantischen Gesichtspunkten verbnächste Komplement angebunden. Dabei entstehet eine Verbgruppe, die dann nur noch n-1-stellig ist. In analoger Weise werden die übrigen Komplemente angebunden, bis keine freie Stelle mehr vorhanden ist und die nullstellige Verbgruppe, nämlich der Satz, erreicht ist. Auf jeder der Zwischenebenen kann die Verbgruppe durch Supplemente erweitert oder 'modifiziert' werden. Verbgruppen sind also Wortgruppen, die aus einem Verbalkomplex und dazugehörigen Komplementen bestehen. Bei einem n-stelligen Verbalkomplex liegt für den Satz folgendes abstraktes Strukturschema vor:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 7

Bei dem Satz Sicher haben wir dieses Problem schnell gelöst. kann das Strukturschema wie folgt konkretisiert werden:

Es gibt zwei Kategorien von Verben, die in Verbindung mit einer infiniten Verbform eines anderen Verbs einen Verbalkomplex bilden können: Hilfsverben und Modalverben. Finite Hilfsverben und Modalverben können einen (vollständigen) Verbalkomplex herstellen:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 8

Infinite Hilfsverben und Modalverben bilden zusammen mit einer anderen infiniten Verbform eine komplexere infinite Verbgruppe, die Teil eines größeren Verbalkomplexes ist.

Unter den Eigenschaften, die Hilfsverben und Modalverben von den Vollverben unterscheiden, gibt es einige, die sowohl den Hilfsverben als auch den Modalverben zukommen. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehören:

• Fehlen eines eigenen Valenzrahmens Zu syntaktischen und semantischen Unterschieden zwischen den beiden Verbklassen vgl. Abgrenzung der Modalverben von anderen Verbklassen.

Hilfsverben im Verbalkomplex

Die Hilfsverben haben , sein und werden beteiligen sich an der Bildung zusammengesetzter Tempus- und Genus-Verbi-Formen im Paradigma der Vollverben. Sie werden in folgenden Informationseinheiten behandelt:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 9

• Die Hilfsverben im Paradigma der Vollverben • Rektion und Funktion der Hilfsverben

Zur Kategorie Hilfsverb aus der Perspektive der Wortartenklassifikation vgl. Hilfsverb.

Hilfsverben im Formenparadigma der Vollverben

Als Hilfsverben werden die Verben haben , sein und werden bezeichnet, wenn sie mit einer oder mehreren infiniten Verbformen kombiniert werden, z. B.: (1) Die Studenten haben gerade eine Klausur geschrieben . (2) Niemand hat dem Betrunkenen helfen wollen . (3) Die Zahl der Arbeitslosen ist im Januar deutlich gestiegen. (4) Der Kampf um die Übernahme des schwächelnden Automobilriesen ist eröffnet. (5) In der Biotechnologie-Branche werden in den kommenden Jahren mehrere tausend Arbeitsplätze geschaffen. (6) In einem Jahr werden wir all den Ärger vergessen haben . Allerdings haben die Verben haben , sein und werden auch Vollverbverwendungen: Keine Hilfsverben sind sie z. B. im folgenden Beispiel: Aschenputtel hatte großes Glück: Am Anfang war sie in der Küche ihrer Stiefmutter, am Ende wurde sie Prinzessin. Die Verbindung der Hilfsverben mit einem Vollverb oder Modalverb kann als Verbalperiphrase gefasst werden, eine komplexe Verbform, die neben den einfachen Formen eines Vollverbs/Modalverbs zu dessen Formenparadigma gehört. Die Verbalperiphrasen heißen auch "umschriebene", "periphrastische" oder "analytische" Verbformen. In den zusammengesetzten Tempuskategorien (Präsensperfekt, Präteritumperfekt, Futur, Futurperfekt) und im Passiv kommen Tempus und Genus Verbi nur über mit Hilfsverben gebildete Verbalperiphrasen zur Geltung (vgl. syntaktische Eigenschaften von Hilfsverben).

Hauptkriterium für Hilfsverben: Die Verben haben , sein und werden werden als Hilfsverben verwendet, wenn sie zur Bildung von Verbalperiphrasen im verbalen Paradigma dienen. Dabei wird die Verbalperiphrase, bestehend aus Hilfsverb(en) und Vollverb oder Modalverb, als Tempus- bzw. Passivform des Vollverbs/Modalverbs aufgefasst.

Rektion und Funktion der Hilfsverben

Die Hilfsverben werden nach ihrer Rektion und Funktion im verbalen Paradigma in drei Gruppen geordnet:

• haben und sein • werden in der Verwendung werden I (= werden in Tempus-und Moduskonstruktionen) • werden in der rektional verschiedenen Verwendung werden II (= werden in

Passivkonstruktionen) haben und sein dienen in erster Linie zur Bildung der periphrastischen Formen des Präsensperfekts und Präteritumperfekts im Indikativ und in den entsprechenden

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 10

Konjunktiven (da jede Form sowohl hinsichtlich des Tempus als auch hinsichtlich des Modus spezifiziert ist, wird im Weiteren von Tempus-Modus-Formen gesprochen):

1. Beide Hilfsverben regieren dabei das Partizip II eines Vollverbs: a. Er hat/hatte gearbeitet .

Er habe/hätte gearbeitet . b. Er ist/war gekommen .

Er sei/wäre gekommen . 2. haben regiert auch das Partizip eines Modalverbs (a) oder den Infinitiv eines

Modalverbs (b): a. Er hat gewollt. b. Er hat kommen wollen.

3. Nur sein wird zur Bildung der beiden Perfektparadigmen im werden -Passiv gebraucht. Es regiert dann die Partizipialsonderform worden von werden II, auf diese Weise wird eine zweifache Präfigierung von ge - (beim Vollverb und beim Hilfsverb) vermieden (vgl. b):

a. Er ist/war gerufen worden . Er sei/wäre gerufen worden .

b. ??Er ist gerufen geworden. werden I dient zur Bildung der periphrastischen Tempusformen des Futurs und des Futurperfekts sowie der konjunktivischen würde -Form. In dieser Verwendung regiert werden :

• den Infinitiv eines Vollverbs: Das Mädchen wird/werde/würde rufen.

• den Infinitiv eines Modalverbs: Das Mädchen wird arbeiten müssen.

• den Infinitiv des Hilfsverbs haben oder sein (bzw. den Infinitiv Perfekt): Das Mädchen wird gerufen haben. Das Mädchen wird gekommen sein.

• den Infinitiv werden II: Das Mädchen wird gerufen werden.

werden II dient zur Bildung des werden -Passivs im Indikativ und in den entsprechenden Konjunktiven. In dieser Verwendung regiert werden

• das Partizip II eines Vollverbs: Das Mädchen wird/wurde gerufen. Das Mädchen werde/würde gerufen.

• das Partizip II eines Modalverbs: Das wird immer gewollt.

Das werden -Passiv wird hier als zentrales Passiv betrachtet. Am Rande des verbalen Paradigmas befindet sich das sein -Passiv. Dabei handelt es sich um Kombinationen aus dem Hilfsverb sein und dem Partizip II: Das Haus ist gebaut/war gebaut/wird gebaut sein/ist gebaut gewesen. Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über die Rektion der einzelnen Hilfsverben und die Funktion der jeweils entstehenden Verbalkomplexe: Hilfsverb regierte infinite Verbform Funktion des Verbalkomplexes

sein Partizip II eines Vollverbs Präsensperfekt und Präteritumperfekt, sein -Passiv

sein worden Präsensperfekt und Präteritumperfekt im

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 11

werden -Passiv

haben Partizip II eines Vollverbs/Modalverbs, Infinitiv eines Modalverbs Präsens- und Präteritumperfekt

werden I

Infinitiv eines Vollverbs/Modalverbs, Infinitiv des Hilfsverbs haben/sein (Infinitiv Perfekt), Infinitiv werden II

Futur, Futurperfekt, konjunktivische würde -Form

werden II Partizip II eines Vollverbs/Modalverbs werden -Passiv

Modalverben im Verbalkomplex

... weil Hans diesen Brief liest. Mithilfe von Modalverben werden Propositionen als möglich bzw. notwendig eingeordnet. Bei den Modalverben ist zwischen einem Kernbereich, einer noch in sich abgestuften Peripherie und den Halbmodalen zu unterscheiden (zur genauen Beschreibung aus der Perspektive der Wortartenklassifikation vgl. Modalverb). Bereich Bestand Rektion

Kernbereich

müssen sollen dürfen mögen/möchte- wollen können

reiner Infinitiv

Peripherie

(nicht) brauchen haben sein bleiben , stehen gehören

zu -Infinitiv zu -Infinitiv Partizip II

Halbmodale pflegen scheinen drohen

zu -Infinitiv

Der ehemalige Konjunktiv möchte ist nur in den finiten Formen möglich. Er wird heute als Indikativ Präsens verstanden. Präsentisches mögen und möchte werden zum Teil bedeutungsverschieden gebraucht, sie haben jedoch nur die eine gemeinsame Präteritalform mochte und werden daher zu einem Formenparadigma gerechnet. Modalverben im Verbalkomplex werden in folgenden Informationseinheiten behandelt:

• Funktionale Bestimmung der Modalverben

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 12

• Abgrenzung der Modalverben von anderen Verbklassen • Modalverbperipherie • Halbmodale

Abgrenzung der Modalverben von anderen Verbklassen

Um den Kernbereich der Modalverben aus der Gesamtheit aller Verben auszugrenzen, kann nicht ein einzelnes morphosyntaktisches oder semantisches Kriterium herangezogen werden. Notwendig ist vielmehr folgende, komplexe Bestimmung:

Zum Kernbereich der Modalverben zählen Verben, die folgende Merkmale aufweisen:

1. Sie regieren den reinen Infinitiv und können nicht gleichzeitig den Akkusativ eines Komplement regieren.

2. Sie werden nicht im Imperativ gebraucht. 3. Sie haben ein vollständiges Paradigma der Tempusformen. 4. Sie haben keinen eigenen Valenzrahmen. Sie übertragen lediglich den

Valenzrahmen des Verbs, auf dem sie operieren, auf den Verbalkomplex. 5. Sie werden dazu verwendet, Propositionen in bestimmten Kontexten, z. B.

situativen Umständen, Normen oder Wissensvoraussetzungen, als möglich bzw. notwendig einzuordnen.

Insgesamt können an diesen Kriterien bereits Parallelen und Unterschiede zu den Hilfsverben abgelesen werden, insbesondere am oben genannten Merkmal 5 gegenüber Merkmal 4 der Hilfsverben. Die Peripherie der Modalverben teilt mit dem Kernbereich Merkmale 2, 3, 4 und 5. Die Halbmodale sind mit den eigentlichen Modalverben vor allem durch die gleiche semantische Funktion (Merkmal 5) verbunden. Wollen , das hier zum Kernbereich gezählt wird, weist Besonderheiten im Hinblick auf Merkmal 2 und auf:

• Abweichungen von Merkmal 2: Ein Imperativ scheint bei wollen nicht gänzlich ausgeschlossen. Neben literarischen Beispielen (Rilke: "Wolle die Wandlung!") erscheint die Imperativform auch in der umgangsprachlichen Wendungen ("Wolle nur!") vor. Nicht als Imperativ (im Sinne des entsprechenden Verbmodus) ist wollen in den wenig gebräuchlichen Distanz- und Adhortativformen aufzufassen:

Wollen Sie bitte das Gedicht aufsagen! Wollen wir's hoffen! Wollen wir doch erst einmal sehen (...) Die Distanz- und Adhortativformen sind bei anderen Modalverben und bei Hilfsverben ausgeschlossen. Entscheidend für die Einordnung von wollen zum Kernbereich ist also das semantische Merkmal 5 und die Tatsache der Integration in das System der übrigen Modalverben, insbesondere durch die systematische Beziehung zu sollen.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 13

Modalverbperipherie

Die peripheren Modalverben werden behandelt in: • brauchen im System der Modalverben • Modale Verwendung von sein und haben sowie verwandte Verwendungen anderer

Verben Die Modalverbperipherie ist in sich abgestuft. Dem Kernbereich der Modalverben am nächsten steht dabei brauchen . Bestand Rektion

(nicht) brauchen haben sein

zu -Infinitiv

bleiben , stehen zu -Infinitiv

gehören Partizip II

brauchen im System der Modalverben. Unterschiede zu Modalverben des Kernbereichs

brauchen unterscheidet sich von den Modalverben des Kernbereichs im Wesentlichen nur durch zwei Merkmale:

• Konstruktionen mit brauchen enthalten in geschriebener Sprache in der Regel den Infinitivbestandteil zu . Vor allem in gesprochener Sprache werden sie aber auch ohne zu verwendet (Du brauchst nicht mehr zu kommen versus Du brauchst nicht mehr kommen ).

• Sie sind auf den Gebrauch in Sätzen mit negativem (Beispiel (1)) oder einschränkendem (Beispiel (2)) Charakter beschränkt bzw. auf Sätze, aus denen auf die Negation eines thematisierten Sachverhaltes geschlossen werden kann (Beispiel (3)):

(1) Da brauchst du keine Angst zu haben. (2) Sie brauchen erst später zu bezahlen. (3) Brauchen d i e nach Mallorca zu fahren! (Die brauchen doch nicht nach Mallorca zu fahren. )

Gebrauchsbedingungen

Ausdrückliche Negation oder Einschränkung

Der negierende oder einschränkende Ausdruck kann im gleichen (Teil-)Satz wie brauchen stehen, er kann aber auch im übergeordneten Satz erscheinen: - Negationsausdruck im gleichen (Teil-)Satz:

Sämtliche Maßnahmen werden abgestuft ergriffen, so daß es nicht zu Entlassungen von Eisenbahnpersonal zu kommen braucht . (FAZ, 22.12.1965, 1) Da brauchst du keine Angst zu haben. Ich verspreche Dir, dass du das nie zu tun brauchst.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 14

Niemand braucht das zu wissen. Wer diese beiden Passierscheine besitzt, braucht also nicht am Neujahrsmorgen um fünf Uhr nach West-Berlin zurückkehren, um zwei Stunden später wieder in den Ostsektor fahren zu dürfen. (FAZ, 20.12.1965, 1)

- einschränkende Partikeln oder Subjunktoren im gleichen (Teil-)Satz:

Sie brauchen erst später zu bezahlen . Sie brauchen hier nur zu unterschreiben . ... ohne dass es aufzufallen braucht . Ich brauchte kaum zu überlegen. Die Aufgabe war für ihn zu einfach, als dass er sich hätte zu verausgaben brauchen.

- Negation/Einschränkung im übergeordneten Satz:

Ich finde meine Frage nicht so abwegig, dass Sie mir die Antwort zu verweigern brauchen .

Schlussfolgerung mit Negation

Brauchen wird in exklamativen Äußerungen (Beispiel(1)) oder (rhetorischen) Fragen (Beispiel (2)) verwendet, in denen der Sprecher dem Angesprochenen eine Schlussfolgerung mit der Negation eines thematisierten Sachverhalts nahelegt:

(1) Brauchen d i e nach Mallorca zu fahren! (Die brauchen doch nicht nach Mallorca zu fahren! ) (2) ?Brauchst du denn das zu tun? (Das brauche ich eigentlich nicht zu tun. )

Integration von brauchen in das System der Modalverben

Die Integration von brauchen in das System der Modalverben, vor allem die zunehmende Ersetzung von nicht müssen durch nicht brauchen , spricht dafür, die vor allem umgangssprachlich bereits oft durchbrochene Norm, nach der brauchen nur mit zu korrekt sei, zu lockern. Sie ist ein Relikt des Vollverbstatus von brauchen bei Rektion eines Infinitivs. Bei Rektion eines Akkusativkomplementes wie in Ich brauche dringend ein neues Auto ist brauchen weiterhin Vollverb.

Modale Verwendung von sein und haben sowie verwandte Verwendungen anderer Verben

sein und haben und der Kernbereich der Modalverben

sein und haben mit zu -Infinitiv weisen die Merkmale 2, 3 und 5 der Modalverben auf, d. h.: • Sie haben keinen Imperativ. • Sie verfügen über ein volles Paradigma der Verbalformen. • Sie werden dazu genutzt, Propositionen in bestimmten Kontexten als notwendig

einzuordnen. Von den Modalverben des Kernbereichs unterscheidet sein und haben in modaler Verwendung, dass

• sie den zu -Infinitiv regieren, was mit Merkmal 1 der Modalverben kontrastiert, • dass auf sie Merkmal 4 der Modalverben (= Valenzübertragung) nur mit jeweils

spezifischen Modifikationen zutrifft.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 15

haben zu

haben zu überträgt den Valenzrahmen des Infinitivs, mit dem es sich verbindet, unverändert auf den gesamten Verbalkomplex. Die Verben bzw. Prädikatsausdrücke, auf die es angewendet wird, bezeichnen in der Regel Handlungen oder auch Prozesse und Zustände bezeichnen, die durch menschliche Handlungen beeinflusst, herbeigeführt oder durch Menschen verfügt werden können. Vgl.:

Ein Kind hat die Anweisungen der Eltern zu befolgen. Das Fenster hat immer offen zu sein. Diese Regel hat einfach zu stimmen.

Sporadisch können sie jedoch auch Prozesse und Zustände bezeichnen, die von menschlichen Handlungen und Intentionen weitgehend unabhängig sind. Vgl. etwa:

Das Kind hat zu wachsen.

sein zu

Konversion Der Verbalkomplex mit sein zu steht zu dem Vollverbinfinitiv in Konversion. Die Komplemente des Verbalkomplexes mit sein zu werden in umgekehrter Reihenfolge eingebunden als die Komplemente des Vollverbs:

Ein Akkusativkomplement des Vollverbs wird zum Subjekt des Verbalkomplexes mit sein zu , das Subjekt des Satzes mit Vollverb wird zum fakultativen Präpositivkomplement, das meist entfällt . In der Regel entsprechen die Möglichkeiten einer sein-zu -Konverse denen der Passivierbarkeit des entsprechenden Verbs:

Diese Arbeit wird bis morgen (von Hans ) erledigt . Diese Arbeit ist bis morgen (von Hans ) zu erledigen.

Verwandte Verwendungen der Verben bleiben, stehen und gehören

Ähnlich wie sein zu gehören bleiben zu, stehen zu und gehören (mit Rektion des Partizip II) neben dem Passiv zur Familie der grammatischen Konversen. Das modale bleiben ist - bei relativ niedriger Frequenz - nur auf eine Teilmenge der bei sein zu möglichen Kontexte eingeschränkt:

Das Ergebnis bleibt abzuwarten. Mir bleibt nichts zu tun als zu warten.

Stehen und gehören werden nur hin und wieder modal gebraucht. Vgl.: Das steht zu befürchten. "Das gehört doch verboten, das können die nur mit uns alten Frauen machen." (Mannheimer Morgen, 13.7.1985, 27)

Halbmodale

Die Verben scheinen , drohen und pflegen mit Rektion des zu -Infinitivs zeigen eine Reihe von Übereinstimmungen mit den Modalverben und unterscheiden sich deutlich von gleichen Verben im Vollverbgebrauch. Sie werden Halbmodale bzw. modalverbähnliche Verben genannt. Halbmodale

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 16

(1) Dass ich heute nicht kommen kann, schien ihm einzuleuchten . (2) Die Krise in Argentinien droht sich auszuweiten. (3) Er pflegt zum Essen Wein zu trinken. Vollverben (1a) Die Sonne schien (hell ). (2a) Der Vorgesetzte droht dem Angestellten (mit dem Rausschmiss ). (3a) Die Tochter pflegt den kranken Vater. Die Halbmodale werden genauer in folgenden Informationseinheiten behandelt:

• Übereinstimmungen zwischen Halbmodalen und Modalverben

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 17

Die Wortstellung Hier geht es um die Wortstellung im Satz. Die "Grammatik der deutschen Sprache" (GdS) sagt "Linearstruktur des Satzes". Andere Grammatiken überschreiben dieses Kapitel mit "Satzgliedstellung", "Wortfolgeregeln", "Wortabfolgeregeln". Die Wortstellung innerhalb von Phrasen wird an anderer Stelle behandelt, ebenso die Stellung von Nebensätzen in komplexen Sätzen. Wir gehen von einer unmarkierten, "normalen" Worstellung aus, die mit sehr vielen Kontexten verträglich ist. Wir gehen weiterhin zunächst von drei Hauptstellungsfeldern innerhalb des Satzes aus, die durch die Satzklammer entstehen. Die Satzklammer (Skl) hat einen linken und einen rechten Teil. Im linken Teil steht in allen Hauptsatztypen das finite Verb. Diese Klammer muss in Aussage- und Aufforderungssätzen immer besetzt sein. Im rechten Klammerteil stehen - wenn er besetzt ist - die infiniten Teile des Verbalkomplexes. In eingeleiteten Nebensätzen steht das Einleitungselement im linken Satzklammerteil (lSkl)und der gesamte Verbalkomplex, also das Finitum und eventuell infinite Verben im rechten Satzklammerteil (rSkl). Die Satzklammer strukturiert den Satz in die drei Hauptstellungsfelder: Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld. Die Position dieser Stellungsfelder wird in der folgenden Grafik deutlich. - Vorfeld lSkl Mittelfeld rSkl Nachfeld

1. Jeremies hat heute nicht so gut gespielt -

2. Gestern ist sie in besserer Laune gewesen als heute.

3. - Wollen Sie morgen früh abreisen? -

4. - Mach mal ein bisschen schneller. - -

5. - Wäre sie doch bloß hier geblieben! -

6. Die Wüste lebt. - - -

7. - weil er heute nicht so gut spielt wie Tom. Man sieht, dass nicht immer alle Satzfelder besetzt sind. Das hängt u.a. vom Satztyp ab. So ist z.B. in Ergänzungsfragesätzen (3), in Aufforderungs-(4) und Wunschsätzen (5) das Vorfeld in der Regel nicht besetzt. Es handelt sich bei diesen Beispielen um Verberstsätze, weil der Satz mit dem finiten Verb beginnt. Wir legen fest, dass auch Nebensätze kein Vorfeld haben (7). Oder andersherum gesagt: Das Vorfeld ist in der Regel nur in Verbzweitsätzen besetzt. Auch die rechte Satzklammer muss nicht besetzt sein (4, 6) außer in Nebensätzen/ Verbletztsätzen (7). Das Nachfeld ist nur relativ selten besetzt, obwohl es bei jedem Satztyp realisiert werden kann. Das Mittelfeld hat potenziell die größte Zahl von Stellungseinheiten. Deshalb sind hier die Wortstellungsregeln besonders wichtig. Mehr dazu unter Stellungsfelder und Satzklammer Die Wortstellung wird unter syntaktischen Gesichtspunkten betrachtet, um strukturelle Regeln aufzudecken aber auch unter kommunikativen, also mit der Frage nach der Informationsstruktur, d.h. nach der Art von Information, die mit den einzelnen Satzteilen übermittelt wird. Die syntaktische Detailbeschreibung - vor allem im Mittelfeld und im Vorfeld - bezieht sich u.a.auf die Stellungseigenschaften von Komplementen und von Supplementen. Unter der kommunikativen Perspektive wird z.B. beschrieben, dass in der unmarkierten Rede im Vorfeld gewöhnlich die Teile des Satzes stehen, die eine Hintergrund-Information

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 18

darstellen. Das ist dann eine bekannte bzw. im Vortext oder dem direkt vorangehenden Satz eingeführte Information. Im linken Satzklammerteil und am Anfang des Mittelfeldes stehen gewöhnlich auch noch Hintergrund-Informationen. Am Ende des Mittelfeldes und z.T. im rechten Satzklammerteil folgen dann Vordergrund-Informationen. Das sind meist neue Redegegenstände, also neue Informationen. Das Nachfeld hat keine eigenständige Rolle in der Informationsstruktur. Es kann unterschiedlich gewichtete Informationen aufnehmen bzw. generell durch Ausklammerung die Informationsfülle im Mittelfeld entlasten. Die besonderen Möglichkeiten der Intonation, die übermittelte Information zu strukturieren, wird in einer eigenen Einheit Wortstellung und Intonation beschrieben. Hier geht es unter anderem um das Verhältnis von Akzent und Stellung als Mittel der Hervorhebung., aber auch um Stellung und Tonmuster sowie um die Rolle von Pausen in der Strukturierung der Information.

Wozu Wortstellung? Eine naive Vorstellung von menschlicher Sprache besagt, dass sie aus Wörtern und Grammatik besteht. Und unter Grammatik versteht man dann meist die Formenlehre. Dass die Anordnung der Wörter im Satz bei der Interpretation der Bedeutung eine wichtige Rolle spielt, wird dabei oft vergessen. (Wir haben den Terminus "Wortstellung" beibehalten, weil er sehr weit verbreitet ist.) Wer Latein gelernt hat wird sich an den inhaltsschweren Satz "agricola gallinas numerat" (1) erinnern. Der wurde dann mit "Der Bauer zählt die Hühner" übersetzt. Dabei ist einem kaum aufgefallen, dass es im Original doch eigentlich anders heißt, nämlich "Der Bauer die Hühner zählt." Sehr viel später - wenn überhaupt - hat man dann erfahren, dass die Wortstellung im Lateinischen wegen seines großen Formenreichtums sehr frei bzw. variabel ist. Man kann also auch schreiben: "agricola numerat gallinas" (2) oder "numerat gallinas agricola" (3) oder "numerat agricola gallinas" (4) oder "gallinas agricola numerat" (5) oder "gallinas numerat agricola" (6). Die wörtliche Übertragung all dieser Sätze ins Deutsche zeitigt unterschiedlich akzeptable Ergebnisse: (1') der Bauer die Hühner zählt (2') der Bauer zählt die Hühner (3') zählt die Hühner der Bauer (4') zählt der Bauer die Hühner (5') die Hühner der Bauer zählt (6') die Hühner zählt der Bauer Ohne Probleme akzeptabel sind die Sätze (2') als Aussage- und (4') als Fragesatz. D.h., dass im Deutschen - anders als im Lateinischen - die Wortstellung für die Bildung von Satztypen mitverantwortlich ist. Bei (6') muss man sich einen bestimmten Kontext und eine spezifische Akzentuierung denken, um den Satz akzeptabel zu machen, etwa einen Vorsatz wie "Die Bäuerin zählt die Gänse.", dem dann kontrastiv der nachfolgende Satz gegenübergestellt wird: "Die Hühner zählt der Bauer". Mit einer vergleichbaren "Kontextualisierung" kann man (3') ?hinkriegen'. Die Sätze (1') und (5') sind als Hauptsätze aber in keinem Kontext weder als Aussage noch als Frage möglich. Sie verstoßen offensichtlich gegen die Bauprinzipien deutscher Hauptsätze. Möglich sind die Abfolgen in (1') und (5') aber als Nebensätze mit einem entsprechenden Einleitewort (weil der Bauer die Hühner zählt ).

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 19

Die Stellung des Verbalkomplexes ist also nicht generell festgelegt wie z.B. auf die Endstellung im Japanischen, sie ist aber für den jeweiligen Satztyp bindend festgelegt. Variabler ist die Wortstellung bei den nicht-verbalen Teilen des Satzes. Wenn man also die Aufgabe hätte - was im Fremdsprachenunterricht häufiger vorkommt - aus den folgenden vermischten Wörtern einen sinnvollen Satz zu bilden, muss man zunächst die Stellung des finiten Verbs festlegen.

entwickelt am Zeit für ProGr@mm seit

Mannheimer Deutsche wird Sprache Institut einiger Für diese zwölf Wörter gibt es 479001600 Möglichkeiten der Wortstellung, aber nur ganz wenige davon ergeben einen syntaktisch richtigen und sinnvollen Satz. Wie viele es sind hängt u.a. davon ab, wie viele Kontexte man zulässt. In jedem Fall muss man sich - wie gesagt- zunächst für einen Satztyp und damit für die Stellung des finiten Verbteils entscheiden. Zwei Beispiele: Aussagesatz

- finites Verb - infiniter

Verbteil -

Seit einiger Zeit wird am Mannheimer Institut für Deutsche Sprache

ProGr@mm entwickelt. -

Entscheidungsfragesatz

- finites Verb - infiniter Verbteil -

- Wird seit einiger Zeit am Manheimer Institut für Deutsche Sprache ProGr@mm entwickelt? -

Die Abfolge (7) Entwickelt wird ProGr@mm seit einiger Zeit am Institut für Deutsche Sprache. ist zwar auch auf Anhieb verständlich, signalisiert aber, dass es einen Vortext geben muss, in dem schon über ProGr@mm gesprochen wurde. Entweder wurde allgemein etwas über ProGr@mm gesagt und (7) ergänzt in einem thematischen Anschluss Informationen über die "Hersteller". Oder im Vortext wird zum Beispiel etwas darüber gesagt, dass ProGr@mm von einer Organisation, z.B. einem Deutschlehrerverband so und so bewertet wurde. Dann signalisiert die Voranstellung des infiniten Verbteils eine kontrastierende Hervorhebung. Die ungewöhnliche Besetzung des Satzabschnitts vor dem finiten Verb (wird ) passt den Satz in den größeren Kontext ein, macht ihn sozusagen "textfähig". Man kann durch Wortstellungsvariation besonders zwischen den Verbalklammerteilen (dem Mittelfeld) auch Gewichtungen der einzelnen Informationen vornehmen und damit bestimmte kommunikative Zwecke verfolgen. Der stellungsbezogene Gewichtungseffekt wird durch die zweigliedrige kommunikative Grundstruktur deutscher Sätze bewirkt, die die weniger wichtigen - meist bekannten -

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 20

Informationen dem Hintergrund und die wichtigeren - meist neuen Informationen - dem Vordergrund zuordnet. Das Ende des Mittelfelds ist ein typischer Vordergrundbereich. Die syntaktisch begründeten Abfolgeregeln und die kommunikative Gewichtung (" Informationsstruktur") sind auch die beiden Domänen der Wortstellung, die in dieser thematischen Einheit schwerpunktmäßig behandelt werden. Man erkennt bei den Stellungsvarianten der Beispiele (8) - (10), dass nicht alle Wörter umgestellt werden: (8) Seit einigen Jahren wird am Institut für Deutsche Sprache ProGr@mm entwickelt. (9) Seit einigen Jahren wird ProGr@mm am Institut für Deutsche Sprache entwickelt. (10) Am Institut für Deutsche Sprache wird ProGr@mm seit einigen Jahren entwickelt. Einige Wörter sind offensichtlich so eng miteinander verbunden, dass sie nur zusammen umgestellt werden können. (Eine Ausnahme bildet der Verbalkomplex).Diese Wortgruppen sind Satzglieder, die in ProGr@mm primäre Komponenten genannt werden. Mit der Stellungsvariation ändern sich auch - wie oben gesagt - die kommunikativen Ziele bzw. das, was (wichtige) Vordergrundinformation und was (weniger wichtige) Hintergrundinformation ist. Die jeweils zwölf Wörter in den Sätze (8) bis (10) oben gliedern sich in folgende vier Komponenten am Institut für Deutsche Sprache seit einigen Jahren ProGr@mm wird entwickelt Die ersten drei Komponentzen sind Phrasen, die letzte - der Verbalkomplex - gilt in Programm nicht als Phrase. Die interne Abfolge der Wörter in einer Phrase ist sehr fest. Die Abfolge der Elemente kann also nicht zu kommunikativen Zwecken verändert werden. Aber es gibt auch auf Satzebene Grenzen der Wortstellungsvariation. Die Abfolgen unten gehören nicht zu den syntaktisch möglichen Strukturen deutscher Sätze: (11) Am Institut für Deutsche Sprache wird entwickelt seit einiger Zeit ProGr@mm 12) ProGr@mm seit einiger Zeit wird am Institut für Deutsche Sprache entwickelt. Hier werden entweder die Stellungsregeln für einen bestimmten Satztyp verletzt, nämlich die die des Verbalkomplexes im Aussagemodus (11), oder die Art der Vorfeldbesetzung ist nicht zulässig (12). Aber nicht nur andere Gewichtungen können durch Worstellungsvariation entstehen, sondern auch andere Satzbedeutungen: (13) Er ist wieder nicht zum Kanzler gewählt worden. (14) Er ist nicht wieder zum Kanzler gewählt worden. In (13) hat der Kandidat schon mehrfach und auch dieses Mal erfolglos versucht. Kanzler zu werden. In (14) hat der Kanzler die Wiederwahl nicht geschafft. Es zeigen sich also vier Funktionen der Wortstellung, die jeweils für das Vorfeld, das Mittelfeld und das Nachfeld im Detail beschrieben werden:

1. Sie ist an der Bildung von Satztypen beteiligt. 2. Sie ist an der Entstehung bzw. Veränderung von Satzbedeutungen beteiligt. 3. Sie ermöglicht kommunikative Gewichtungen innerhalb des Satzes. 4. Sie kann den Satz in den umgebenden Kontext einpassen.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 21

Stellungsfelder und Satzklammer Hier werden zunächst die Stellungseinheiten definiert, dann folgt eine Beschreibung der Stellungsfelder, in denen die Stellungseinheiten vorkommen, und schließlich werden die Besetzungsmöglichkeiten in der Satzklammer und die Abfolgeregularitäten im rechten Satzklammerteil dargestellt

Stellungseinheiten

Die Wörter in einem Satz werden beim Sprechen oder beim Schreiben hintereinander - also linear - angeordnet. Sehr oft bilden aber zwei oder mehr Wörter, die von der Bedeutung her und oft auch grammatisch eng zusammengehören, eine feste Gruppe, die Satzteile oder Satzglieder und hier primäre Komponenten genannt werden. Normalerweise steht das, was inhaltlich und grammatisch eng zusammengehört, beieinander:

[Die ganze Mannschaft] fuhr [nach dem Spiel] [in das abgelegene "Landhaus Bachmair"]. (...), weil er [den Vorschlag] [abgelehnt hatte].

Aber das ist nicht immer so:

Er [hatte] den Vorschlag [abgelehnt]. Er [lehnte] den Vorschlag [ab]. [Zeit] hatte er immer [viel].

Wegen dieser Möglichkeit der Distanzstellung ist ein Satzglied (eine primäre Komponente) nicht automatisch auch eine Stellungseinheit.

Stellungseinheiten sind Wörter oder Wortgruppen, die bei gleichem Aufbau des Satzes innerhalb dieses Satzes verschoben werden können. Stellungseinheiten sind oft aber nicht immer mit primären Komponenten identisch. Im Beispiel [Zeit] hatte er immer [viel]. oben sind Zeit und viel zusammen eine Komponente aber zwei Stellungseinheiten. Die Stellungseinheiten werden nicht im Zusammenhang des ganzen Satzes beschrieben, sondern nach Vorkommen in den vier Stellungsfeldern Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld.

Stellungsfelder

Die Stellungsfelder ergeben sich aus der relativen Position zum linken und rechten Satzklammerteil. In der Satzklammer stehen die Teile des Verbalkomplexes. Deshalb wird sie manchmal auch Verbalklammer genannt. Im linken Klammerteil steht immer das finite Element, im der rechten Klammerteil das infinte bzw. die infiniten Elemente. Im Nebensatz bildet das Einleitungswort den linken Klammerteil und der gesamte Verbalkomplex - also auch das finite Verb - den rechten.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 22

Die Satzklammer kann in den drei Satztypen VERBERST (V-1), VERBZWEIT (V-2) und VERBLETZT (V-L) wie folgt mit finiten Verben (VFIN) mit infiniten Verben (VINF) und mit Einleitungselementen von Subjunktorsätzen (V-L Einl.) besetzt sein. (XXXXX = ist nicht besetzt)

- - linke Satzklammer - rechte Satzklammer -

V-1 XXXXX VFIN - (VINF) -

- XXXXX Kommt sie heute Abend? - -

- XXXXX Ist er gestern Abend hier gewesen? -

V-2 XXXXX VFIN - (VINF) -

- Sie kommt heute Abend. - -

- Sie ist gestern Abend nicht gekommen. -

- Leider ist sie gestern Abend nicht gekommen. -

V-L XXXXX V-L Einl. - (VINF) VFIN -

- XXXXX weil sie gestern Abend nicht gekommen ist. -

- XXXXX den ich gestern im Kino getroffen habe. -

- XXXXX wohin sie danach gegangen ist? - Aufgrund der Satzklammer ergeben sich - wie gesagt - die drei folgenden Stelllungsfelder: Vorfeld linke Satzklammer Mittelfeld rechte Satzklammer Nachfeld

Jeremies hat heute nicht so gut gespielt wie sonst.

Gestern ist sie in besserer Laune gewesen als heute.

(...) weil er heute nicht so gut gespielt hat. - Die einzelnen Stellungsfelder: Vorfeld linke Satzklammer Mittelfeld rechte Satzklammer Nachfeld Das Vorfeld ist der Teil des Satzes, der sich vor der linken Satzklammer befindet. Es ist nur in Verbzweitsätzen besetzt. Das Vorfeld enthält eine Informationseinheit und meist - aber nicht immer - nur eine syntaktische Stellungseinheit.

Jeremies hat heute nicht gut gespielt. Vor dem Vorfeld ist manchmal ein Bereich besetzt, der nicht an der grammatischen Konstruktion des Satzes beteiligt ist, aber der Teil der kommunikativen Einheit ist. Dort können interaktive Einheiten (1), Koordinierende Ausdrücke (2) und Thematisierungsausdrücke (3) stehen. Sie sind intonatorisch und oft auch grafisch (z.B. durch Komma oder Gedankenstrich) vom Satz abgetrennt.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 23

(1) Also, Jeremies hat heute nicht gut gespielt, wie sonst (2) Allerdings, in der Filmversion gehen diese Nuancen vollkommen verloren. (3) Die Wüste, das ist ein Lebensraum für große Zahl von Tieren.

Vorfeld linke Satzklammer Mittelfeld rechte Satzklammer Nachfeld Das Mittelfeld ist der Teil des Satzes, der sich zwischen dem linken und dem rechten Satzklammerteil befindet. Dieses Stellungsfeld kann in allen Typen von Verbstellungen besetzt sein, was auch in den meisten Sätzen der Fall ist. Deshalb sind hier die Stellungsregularitäten besonders wichtig.

Jeremies hat heute nicht gut gespielt. Dennoch haben die meisten Fachleute in diesem Fall Sabotage für unwahrscheinlich gehalten.

Vorfeld linke Satzklammer Mittelfeld rechte Satzklammer Nachfeld Das Nachfeld ist der Teil des Satzes, der sich rechts vom rechten Satzklammerteil befindet. Dieses Stellungsfeld kann in allen Typen von Verbstellungen realisiert sein, aber es ist relativ selten besetzt. Auch wenn der rechte Satzklammerteil nicht besetzt ist, kann das Nachfeld realisiert sein.

Jeremies hat heute nicht so gut gespielt wie sonst. (...) weil Jeremies heute nicht so gut spielt wie sonst .

Im Bereich des Nachfelds können auch Einheiten stehen, die an der grammatischen Konstruktion des Satzes nicht beteiligt sind, die aber, ähnlich wie das linke Außenfeld, Teil der kommunikativen Einheit sind. Im rechten Außenfeld (rA) stehen z.T. ähnliche Elemente wie im linken Außenfeld. Diese Einheiten können vor und nach Nachfeldeinheiten (Nf) stehen. Sie können diese auch einrahmen.

Ich hab' mir eine Erkältung geholt, Erich (rA), gestern beim Joggen (Nf). Jeremies hat heute nicht so gut gespielt wie sonst (Nf), Herr Höneß (rA). Ich hab' mir eine Erkältung geholt, Erich (rA), gestern beim Joggen (Nf), wirklich (rA).

Satzklammer

Die Satzklammer wird auch als "Verbalklammer" oder "Satzrahmen" bezeichnet. Sie besteht aus einem linken und einem rechten Satzklammerteil. Der linke Satzklammerteil (lSkl) ist immer besetzt, der rechte (rSkl) je nach Satztyp obligatorisch oder fakultativ. Fakultativ ist er in Verberst- (1, 2) und Verbzweitsätzen (3, 4) besetzt, obligatorisch in Verbletztsätzen (5, 6): - Vorfeld lSkl Mittelfeld rSkl Nachfeld

(1) - Holst du mir bitte den Mantel? - -

(2) - Hast du den Mantel abgeholt? -

(3) Gestern war ich in Köln. - -

(4) Gestern bin ich nach Köln gefahren. -

(5) (...), obwohl sie nichts zugibt. -

(6) (...), obwohl sie nichts hat zugeben wollen -

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 24

Da der linke Satzklammerteil nicht nur durch ein (finites) Verb, sondern in Verbletztsätzen auch durch Nebensatzeinleitungs-Elemente belegt sein kann, ist die Bezeichnung "Satzklammer" angemessener als "Verbalklammer". Man sieht schon an den Beispielen oben, dass der linke Satzklammerteil in Verberst- und Verbzweitsätzen immer nur durch ein Verb und zwar in einer finiten Form besetzt sein kann. In Verbletztsätzen steht dort in der Regel ein Subjunktor, der aber auch zu einer Phrase ausgebaut sein kann, besonders bei Relativsätzen, indirekten Fragesätzen und Infinitkonstruktionen:

Wir sahen uns zu einem Zeitpunkt wieder, bis zu dem ich von seiner Unschuld überzeugt war. Sie wollt wissen, in welcher Weise der Auftrag erledigt worden war. Wir waren über den Tisch gezogen worden, ohne dass wir es gemerkt hatten.

Die Besetzung des rechten Satzklammerteils ist viel komplexer. Besetzt wird er immer und ausschließlich durch ein oder mehrere verbale Elemente, zu denen wir auch die Präverben ("trennbaren Verbpräfixe") zählen.

Er ist gestern gekommen. Er hatte eigentlich vorgestern kommen wollen. Ich komme um 20.18 Uhr am Hauptbahnhof an.

Die Distanzstellung des Präverbs erfolgt nur bei Präsens- und Präteritumformen im Aktiv. Wenn in einem Verbletztsatz nur ein verbales Element auftritt, ist es notwendigerweise immer eine finite Verbform:

(...) weil er viel arbeitet. (...) obwohl es sie gewaltig ärgerte.

Abfolgeregularitäten im rechten Satzklammerteil

Im rechten Teil der Satzklammer stehen nur Elemente des Verbalkomplexes. Im Extremfall können das vier Verbformen sein, die vor allem in Nebensätzen vorkommen. Deren richtige Anordnung ist auch für Muttersprachler nicht immer ganz unproblematisch. Die Abfolge der verbalen Elemente im rechten Satzklammerteil bildet die kombinatorische Ordnung der Teile des Verbalkomplexes ab:

Er wird ans Telefon gerufen worden sein.

Noch deutlicher wird das in Verbletztsätzen, da bei diesen der gesamte Verbalkomplex im rechten Satzklammerteil steht:

(...), weil er ans Telefon gerufen worden sein wird.

Der jeweilige Operator folgt unmittelbar dem Operanden, auch wenn dieser schon komplex ist: Passiv: gerufen werden

Perfekt Passiv: gerufen worden sein

Futur Perfekt Passiv: gerufen worden sein wird

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 25

Das Element mit dem weitesten Skopus steht jeweils am weitesten rechts. Bei zwei oder mehr verbalen Elementen im Verbletztsatz muss also ein Element finit sein. Bei zwei verbalen Elementen steht das finite immer am Ende:

(...), weil er viel gearbeitet hat. (...), obwohl es sie gewaltig geärgert hatte. (...), weil wir viel arbeiten wollten. (...), weil er damals viel zu arbeiten schien.

Wenn der Verbalkomplex aus drei und mehr Verben besteht und das finite Verb ein Modalverb oder das Hilfsverb sein ist, bleibt die Regel "Finitum am Ende" erhalten:

(...), weil er zu spät gerufen worden ist. (...), weil auch kleine Kinder teilnehmen dürfen sollten. (...), weil es ihr natürlich auch geschenkt worden sein kann.

Zu der Abfolgeregel "Finitum am Ende" gibt es folgende Ausnahme: Die finite Form des Hilfsverbs haben steht - bei zwei (oder drei) Infinitiven - nicht am Ende, sondern am Anfang des gesamten Verbalkomplexes:

*(...), weil er nicht kommen dürfen hat. (...), weil er nicht hat kommen dürfen. *(...), weil er nicht kommen dürfen sollen hat. (...), weil er nicht hat kommen dürfen sollen. Ossietskys 80. Geburtstag, den er am 3. Oktober hätte feiern können, ging unbemerkt vorüber. (H. Pross, Söhne der Kassandra, 99)

Bei den finiten Formen des Hilfsverbs werden ist diese Umstellungsregel fakultativ:

(...), dass sie das Flugzeug landen sehen wird. (...), dass sie das Flugzeug wird landen sehen.

Wenn das Finitum ein Modalverb ist, ist bei zwei Infinitiven umgangssprachlich die Umstellung ausgeschlossen, bei drei Infinitiven aber möglich:

(...), weil Berghoff ihn wollte scheitern sehen. (...), weil Berghoff ihn scheitern sehen wollte. (...), weil Sonja ihn will kommen sehen haben. (...), weil Sonja ihn kommen sehen haben will.

In literarischen Texten findet sich bei der Konstellation mit zwei Infinitiven allerdings auch Voranstellung des Finitums:

Vorgestern noch hätte er es nicht für möglich gehalten, (...) daß er noch einmal den Strom des Lebens, der Freude, der Jugend so voll und drängend durch sein Blut könnte strömen fühlen. (H. Hesse, Narziß, 245; zit. nach Bech, 21983, 66)

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 26

Phrasen Andere Bezeichnungen: Wortgruppen Der strukturelle Aufbau eines Satzes erschließt sich nicht einfach dadurch, dass man ihn als eine lineare Ansammlung einzelner Wortformen auffasst. Zwischen Wortformen als Realisierungen einzelner Wortarten auf einer unteren Ebene und dem Satz auf höherer Ebene liegt eine weitere Beschreibungsebene, auf welcher die einzelnen Wortformen zu Wortgruppen zusammengefasst werden können. Sätze werden demnach durch spezifische Wortgruppen, sogenannte Phrasen konstituiert. Phrasen oder Kombinationen von Phrasen können als unmittelbare Konstituenten des Satzes fungieren. Die Verwendung der Lexeme Wortgruppe und Phrase ist insofern etwas ungenau, als beide intuitiv Mengen mehrerer lexikalischer Einheiten erwarten lassen. Phrasen können durch mehrere Elemente, Nominalphrasen, Pronominalphrasen, Adjektivphrasen und Adverbphrasen aber auch durch nur eine einzige Wortform realisiert werden. In solch einem Fall ist diese Wortform notwendigerweise auch der Kopf der Phrase, welcher die Eigenschaft der Phrase festlegt. Die Wortart des Kopfes legt darüber hinaus die Bezeichnung der Phrase fest. Der Satz

Grammatikseminare sind spannend.

besteht aus einer Verbform und aus zwei Phrasen, einer Nominalphrase und einer Adjektivphrase, die je aus nur einem Element bestehen, dem Nomen bzw. dem Adjektiv. Die Bezeichnungen Nomen und Adjektiv sind in diesem Fall nur die Bezeichnungen für die abstrakten Einheiten der jeweiligen Wortarten. Im konkreten Fall, nämlich im Satz, sind sie als Nominalphrase und Adjektivphrase realisiert. Das Nomen und das Adjektiv sind die Grundelemente - die sog. Köpfe - der jeweiligen Phrasen. Phrasen sind prinzipiell ausbaufähig:

Gute Grammatikseminare sind unheimlich spannend.

Nun sind aber Phrasen nicht nur beliebige Folgen von Wortformen. Phrasen sind Wortgruppen, deren Elemente syntaktisch und semantisch funktional zusammengehören, eine Einheit bilden und bestimmten syntaktischen Regeln folgen.

• Phrasen sind funktional selbständige Wortgruppen aus einem oder mehreren Elementen mit einem Kopf.

• Phrasen mit gemeinsamen Eigenschaften - insbesondere mit dem gleichen lexikalischen Kopf - werden als Phrasen eines bestimmten Typs kategorisiert. Der Kopf kann variable Formmerkmale anderer Elemente der Wortgruppe bestimmen. Die Wortart des Kopfes gibt der Phrase ihren spezifischen Namen.

• Phrasen desselben Typs können koordiniert werden. • Phrasen enthalten kein finites Verb als lexikalischen Kopf. • Phrasen können auch als Teile anderer Phrasen vorkommen.

Ph kö f i i ht T il d Ph i d ll i d

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 27

Vorfeld besetzen.

Syntaktische Eigenschaften von Phrasen Phrasen sind zentrale Einheiten des syntaktischen Formaufbaus unterhalb der Satzgrenze. Folgende Kriterien gelten für Phrasen: Phrasen können untereinander zu übergeordneten Phrasen kombiniert werden (Phrasen können Bestandteil anderer Phrasen sein):

[das interessante Grammatikseminar ] [letzter Woche ] -->[das interessante Grammatikseminar letzter Woche]

oder zusammen mit dem Verbalkomplex zu Sätzen kombiniert werden:

[Das interessante Grammatikseminar letzter Woche ] war [ein Genuss ].

Phrasen als Konstituenten des Satzes sind topikalisierbar, d. h. sie können im Aussagesatz im Vorfeld stehen:

Die Nominalphrase erklärte die Dozentin während der Seminarsitzung.

Sie sind als Ansammlung einer geordneten Menge sprachlichen Materials als ganzes verschiebbar (permutierbar), austauschbar (kommutierbar) und koordinierbar:

Die Dozentin erklärte während der Seminarsitzung die Präpositionalphrase. Während der Seminarsitzung erklärte die Dozentin die Präpositionalphrase. Die Dozentin erklärte die Präpositionalphrase während der Seminarsitzung. Die Dozentin erklärte während der Seminarsitzung die Präpositionalphrase. Die Dozentin erklärte in der Vorlesung die Präpositionalphrase. Die Dozentin erklärte während der Seminarsitzung die Präpositionalphrase. Sie erklärte während der Seminarsitzung die Präpositionalphrase. Die Dozentin erklärte während der Seminarsitzung die Präpositionalphrase und die Nominalphrase .

Es gibt verschiedene Arten von Phrasen. Die unterschiedlichen Arten werden nach der Wortart ihres lexikalischen Kopfs benannt:

Nominalphrase: die roten Schuhe Pronominalphrase: er mit seinen Hirngespinsten Präpositionalphrase: an der alten Brücke Adjunktorphrase/Adjunkt: wie ein Therapeut Adjektivphrase: recht berühmt Adverbphrase: knapp daneben

Der lexikalische Kopf modifiziert und spezifiziert keine weiteren Elemente der Phrase, kann selbst aber modifiziert oder spezifiziert werden. Er kann Formmerkmale anderer Elemente der Phrase steuern. Das Nomen Schuhe regiert das Genus (Maskulin) und den Numerus (Plural) von Artikel und Adjektiv in:

die roten Schuhe

Die Präposition an regiert in der folgenden Präpositionalphrase den Kasus (Dativ):

an der alten Brücke

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 28

Phrasen haben unterschiedliche syntaktische Funktionen. Sie können fungieren als Komplemente:

Die roten Schuhe müssen repariert werden. Claudia wohnt an der alten Brücke. Er mit seinen Hirngespinsten kommt ganz gut zurecht. Die Antwort ist knapp daneben.

und als Supplemente:

An der alten Brücke ist die Touristenkonzentration enorm. Recht berühmte Schriftsteller wohnten im kleinen Haus an der alten Brücke. Kurz davor hat er noch alles gewusst.

Komplemente und Supplemente sind neben dem Verbalkomplex die primären Komponenten des Satzes.

Semantisch-funktionale Eigenschaften von Phrasen In der Nominalphrase und der Pronominalphrase wird - insofern sie aus mehreren Elementen bestehen - der Kopf der Phrase, nämlich das Nomen oder das Pronomen spezifiziert:

der Schatten des Körpers des Kutschers jene vom Institut für Deutsche Sprache

Mit Präpositionalphrasen (PP) werden Relationen ausgedrückt zwischen den Nomen innerhalb der PP und Nomen außerhalb der PP:

Sie geht zur Grammatikvorlesung.

Die Adjunktorphrase hat prädikative oder modifizierende Funktion:

Das ist wie im richtigen Leben. Er als ihr bester Freund.

Auch Adjektivphrasen haben prädikative oder modifizierende Funktionen:

Sie ist recht berühmt. der angeblich bayrische Bundeskanzler

Adverbphrasen modifizieren Sätze, andere Phrasen oder den Verbalkomplex:

Immer montags geht er in seine Stammkneipe. Die Wohnung oben ist unbewohnt. Sie denkt sehr gern an ihn.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 29

Phrasentypen • Nominalphrase (NP) • Pronominalphrase (PROP) • Präpositionalphrase (PP) • Adjunktorphrase (AJKP) • Adjektivphrase (ADJP) • Adverbphrase (ADVP)

Nominalphrase

Andere Bezeichnungen: Nominalgruppe, Substantivphrase Die Nominalphrase ist als Ausdruckseinheit eine Konstituentenkategorie. Nominalphrasen können unmittelbare Konstituenten des Satzes sein.

Das Fest fand großen Anklang.

Die typische Nominalphrase besteht aus einem Nomen - dem Kopf der Nominalphrase -, aus einem Artikel und aus möglichen aber nicht notwendigen unterschiedlichen attributiven Erweiterungen:

Das Fest fand gestern statt. Das wundersame Fest fand gestern statt. Das höchst wundersame Fest anlässlich seiner Wahl fand gestern statt. Das höchst wundersame Fest, das anlässlich seiner Wahl ausgerichtet wurde, fand gestern statt.

• Die Nominalphrase (NP) ist der am häufigsten vorkommende Phrasentyp. • Nominalphrasen sind mehr oder weniger komplexe Ausdruckseinheiten. • Der lexikalische Kopf einer Nominalphrase ist ein Nomen. • Der Kopf der Nominalphrase ist auf unterschiedliche Arten ausbaufähig.

Als minimalste Ausdrucksform kann die Nominalphrase nur aus dem lexikalischen Kopf bestehen, wenn dieser entweder ein Eigenname:

Franz geht.

ein Stoffname:

Milch schmeckt nicht.

oder die artikellose Pluralform eines Gattungsnamens ist:

Grammatiken sind dick.

Darüberhinaus sind auch artikellose attributiv erweiterte und nichterweiterte Gattungsnamen im Singular Nominalphrasen, auch wenn sie artikellos im Satz nicht realisiert werden; z. B. die Nominalphrasen

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 30

Fest und wundersame Fest

die Teile der komplexeren Nominalphrase

das wundersame Fest

sind. Die so durch den Definiten Artikel erweiterte Nominalphrase kann nun - im Gegensatz zu ihrem Pendant ohne Artikel - Ausdruckseinheit des Satzes sein:

Das wundersame Fest fand gestern statt. *Fest fand gestern statt. *Wundersame Fest fand gestern statt.

Allenfalls in Schlagzeilen ist eine singularische attributiv erweiterte Nominalphrase ohne Artikel gebräuchlich:

Wundersames Fest fand gestern statt

morphologische Eigenschaften

Die Ausdruckseinheit Nominalphrase kann minimal durch ihren lexikalischen Kopf, Nomen, realisiert werden. Der Kopf der NP wird flektiert. Das Nomen kann ein Eigenname, ein Stoffname oder die Pluralform eines Gattungsnamens sein. Die typischste Realisierungsform der Nominalphrase ist jedoch die Verbindung von Artikel und Nomen. Dabei sind in der Position des Artikels - nämlich vor dem Nomen - alle Subklassen der Wortart Artikel möglich (Definiter Artikel, Indefiniter Artikel, Possessiv-Artikel, Demonstrativ-Artikel, W-Artikel, Quantifikativ-Artikel).

Erweiterungsmöglichkeiten

Ausbaufähig sind Nominalphrasen auf vielfältige Weise:

Erweiterungen links vom Kopf

Erweiterung durch einen Artikel und ein Adjektiv bzw. eine vorangestellte Adjektivphrase: Der Artikel fungiert als Determinator der Phrase, das Adjektiv fungiert als Attribut zum Nomen. Die Paradigmenkategorie Genus des Nomens regiert die Einheitenkategorie Genus beim Artikel und beim Adjektiv. Außerdem besteht Kongruenz zwischen Numerus und Kasus:

Artikel der Bundeskanzler

Adjektiv Adjektivphrase Partizipialphrase

kleine Bundeskanzler kleine sozialdemokratische Bundeskanzler hoch gelobte Bundeskanzler

Artikel + Adjektiv die kleinen Bundeskanzler

Gradpartikel + Artikel + Adjektivphrase sogar der recht kleine Bundeskanzler

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 31

Erweiterung durch eine vorangestellte Nominalphrase im Genitiv:

Hansens Hoffnungen Mutters Apfelkuchen

Nicht-restriktive Attribute der näheren Personenbeschreibung können als Erweiterungsnomen vor dem Kopf der Nominalphrase stehen:

Herr Schmidt, Genosse Schmidt, Dr. Schmidt, Abteilungsleiter Schmidt

Bei Appositionen ist es oftmals nicht eindeutig, welches Nomen Bezugsnomen, welches Apposition ist:

Bundeskanzler Helmut Schmidt oder Bundeskanzler Helmut Schmidt

Erweiterungen rechts vom Kopf

Dem lexikalischen Kopf nachgestellt können Attribute unterschiedlichster Art sein: Nominalphrasen im Genitiv die Macht des Staates

Adverbien/ Adverbphrasen

der Herr hier die Dame dort hinten

Präpositionalphrasen die Gedanken an die Zukunft

Adjektivphrase der Bundeskanzler, schlauer als zuvor

Relativsatz der Staat, der gute Gewinne macht

Adjunktorphrase der Bundeskanzler als Politiker

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 32

Präpositionalphrase

Andere Bezeichnungen: Präpositionalgruppe, Präpositionalgefüge Bei einer Beschreibung des Bildes der Bücherwurm von Carl Spitzweg werden sicherlich diverse Präpositionalphrasen verwendet.

Eine mögliche Auswahl von Präpositionalphrasen, die lokale Bezüge ausdrücken, könnte sein:

1. Ein Mann steht auf einer Leiter. 2. Ein Mann liest auf einer Leiter ein Buch. 3. Er hat sich ein Buch aus einem Bücherregal genommen.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 33

4. Er schaut in ein Buch und hält ein weiteres in der Hand. 5. Er hat ein Buch zwischen die Knie und ein anderes unter den Arm geklemmt. 6. Ein Mann steht vor einem Regal. 7. Wir sehen einen Mann auf einer Leiter.

Präpositionalphrasen verwenden wir in der sprachlichen Kommunikation, wenn wir Objekte unter bestimmten Gesichtspunkten zueinander in Bezug setzen. Die Relationen, die mit den Präpositionen ausgedrückt werden, können zu bestimmten semantischen Klassen zusammengefasst werden. Diese semantischen Klassen werden mit den folgenden Attributen bezeichnet: lokal 8. An die oberste Reihe kommt der alte Herr nur mit der Leiter.

instrumental 9. Die oberen Reihen sind nur mit der Leiter zu erreichen.

kausal 10. Aus Liebe zur Literatur wird sich der Bücherwurm noch den Hals brechen.

temporal 11. In diesem mörderisch heißen Sommer hält man es bestenfalls in der Bibliothek aus.

final 12. Für seine geistige Erbauung ist dem Bücherwurm jedes Buch recht.

syntaktische Struktur

Rein morphologisch betrachtet handelt es sich bei einer Präpositionalphrase (PP) um eine Nominalphrase (NP), eine Pronominalphrase (PROP) oder eine Adverbphrase (ADVP) mit einer Präposition als Kopf: Kopf NP

auf dem Lande

von der Regierung

Kopf PROP

auf uns alle

von manchem aus Mannheim

Kopf ADVP

auf heute abend

von hinten Selten ist die Präposition Kopf einer darauf folgenden Präpositionalphrase: Kopf PP

von unter dem Ladentisch Die Präposition als Kopf bildet in der Regel die linke Grenze der gesamten Phrase. Einige Präpositionen können und wenige müssen als Postpositionen nachgestellt werden:

wegen der widrigen Umstände der widrigen Umstände wegen Ihr zuliebe kommt Klaus mit ins Kino. *Zuliebe ihr kommt Klaus mit ins Kino.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 34

Nur eine Präposition kann eindeutig als Zirkumposition die Nominalphrase umschließen:

um seiner Seele willen

Die Präposition kann unter bestimmten Bedingungen mit dem definiten Artikel verschmolzen sein:

aufs Neue beim Aufräumen durchs Wasser im Vorübergehen ums Haar vom Bäcker

Pronominalphrase

Andere Bezeichnungen: Pronominalgruppe, Protermphrase

syntaktische Struktur

Der Kopf einer Pronominalphrase ist ein Pronomen (ich, du; er, sie; der; dieser; wer; jemand; niemand ... ). Das Pronomen steht in der Regel am linken Außenrand der Phrase. Kopf Pronominalphrase

anaphorisches Personalpronomen

Sie alle; er mit seinen Hirngespinsten; sie die großen Grammatiker; es;

Kommunikanten-Pronomen wir alle; ich, der wieder nichts kapiert hat; du allein; ihr;

w-Pronomen was alles; wer aus Mannheim; wen, den du willst; wer;

Possessiv-Pronomen meine alle; unsere mit dem roten Umschlag; eure, die mir nicht gefallen; deins;

Indefinit-Pronomen eine, die ihm gefällt; irgenetwas, was schön ist; jemand;

Quantifikativ-Pronomen sämtliche, die in der Grammatik Bescheid wissen; keiner von denen; alle;

Gegenüber Nominalphrasen ist der Ausbau stark eingeschränkt. Außer Fokuspartikeln und in wenigen Fällen Artikeln können keine lexikalischen Elemente links vor dem Pronomen stehen.

Fokuspartikel allein sie, die große Künstlerin lediglich Sie, die heute gekommen sind

Der definite Artikel kann nur bei Pronominalphrasen mit Possessiv-Pronomen, mit wenigen Indefinit-Pronomen und mit dem Quantifkativ-Pronomen alle als Kopf erscheinen: Possessiv-Pronomen Indefinit-Pronomen Quantifkativ-Pronomen alle

die meine die ihre

die eine der welche die alle, die zu spät kommen

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 35

Andere Kombinationen von Artikel und Pronominalphrase sind nicht möglich:

*das deins *der wen, den du kennst

Attribute, die eine Nominalphrase nach links erweitern können, sind bei der Pronominalphrase ausgeschlossen:

*schöne manche aus Mannheim *blaue meine alle

Nach rechts erweiterbar sind Pronominalphrasen durch: genitivische Nominalphrasen (NP)

jene der Freunde welche der Kandidaten

Präpositionalphrasen (PP)

Sie aus Mannheim er in seiner Zerstreutheit

Relativsätze alle, die gekommen sind wir, die gerne gut essen

appositive Zusätze sie, die Bundeskanzlerin deins, ein ganz besonders gutes Stück

Adverbphrasen (ADVP)

er dort sämtliche da hinten

Adjektivphrase

Andere Bezeichnungen: Adektivgruppe Der Kopf einer Adjektivphrase (ADJP) ist ein Adjektiv. Durch Erweiterung des Kopfs kann die Adjektivphrase auf unterschiedliche Art und Weise ausgebaut werden. Die Adjektivphrase kann attributiv, adverbial oder prädikativ verwendet werden. attributive Verwendung Unheimlich gutes Gerede gibt er von sich.

adverbiale Verwendung Er redet unheimlich gut.

prädikative Verwendung Die Rede ist unheimlich gut. Besondere Fälle der Adjektivphrase sind die Adkopulaphrase und die Partizipialphrase. Den Kopf einer Adkopulaphrase (ADKP) bildet eine Adkopula. Der Kopf einer Partizipialphrase (PARTP) ist entweder ein Partizip I oder - nach Konversion vom verbalen in den adjektivischen Bereich - auch ein Partizip II.

Syntaktische Struktur

Nur der Kopf der attributiv verwendeten Adjektivphrase wird flektiert. Die Köpfe der adverbial und prädikativ verwendeten Adjektivphrasen bleiben unflektiert. Verwendungsweise Adjektivphrase

attributiv der leuchtend grün e Baum

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 36

die ganz besonders zufrieden en Kunden

adverbial Der Baum schillert leuchtend grün. Die Kunden sehen ganz besonders zufrieden aus.

prädikativ Der Baum ist leuchtend grün. Die Kunden sind ganz besonders zufrieden.

In der Regel steht der Kopf an der rechten Grenze der Phrase. Erweiterungen gehen ihm voraus. Bei den Erweiterungen handelt es sich um Modifikatoren unterschiedlicher Art, die z. B. durch Adjektive, Adverbien oder Intensitätspartikeln realisiert werden.

Adjektivphrase

Adjektive angeblich schön

Adverbien ebenso gut

Intensitätspartikeln sehr bequem Wird der Kopf der Adjektivphrase durch eine Adjunktorphrase erweitert, steht diese rechts vom Kopf. Auf diese Art erweiterte Adjektivphrasen können nur adverbial oder prädikativ verwendet werden.

Adjunktorphrase Sie läuft schnell wie ein Wiesel. Er ist frech wie Oskar.

Adjektivische Erweiterungen von Adjektivphrasen werden nicht flektiert:

[ angeblich bayrisches] Bier *[angebliches bayrisches] Bier [ unglaublich gutes] Essen *[unglaubliches gutes] Essen [ völlig dummes] Gerede *[völliges dummes] Gerede

Werden Adjektive flektiert, sind sie Köpfe von Adjektivphrasen und modifizieren z. B. Nominalphrasen:

bayrisches [ Bier ] gutes [ bayrisches Bier ] frisches [ bayrisches Bier ]

Die Adjektivphrase, welche die Nominalphrase erweitert, kann wiederum durch ein unflektiertes Adjektiv erweitert werden:

[unglaublich gutes] [bayrisches Bier]

Koordinierte, eine Nominalphrase erweiternde Adjektive werden alle flektiert:

[unglaubliches, gutes, bayrisches Bier]

Werden Adjektive prädikativ verwendet, sind sie immer nicht-flektiert. Die Erweiterungsmöglichkeiten entsprechen den der attributiv verwendeten Adjektivphrasen:

Das Essen ist gut. Das Essen ist sehr gut. Das Essen ist unglaublich gut.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 37

Erweiterungen durch Adverbien und Intensitätspartikeln sind aufgrund der Eigenschaften dieser Wortarten immer unflektiert. Erweiterung durch Adverbien oder Adverbphrasen:

[genauso starkes] Bier [[üblicherweise genauso] starkes] Bier [[stets ebenso] gutes] [friesisches Bier]

Erweiterung durch Intensitätspartikeln:

[sehr helles] Bier [ungemein dunkles] Bier [besonders starkes] [bayrisches Bier]

Adjektivphrasen sind darüber hinaus durch unterschiedliche Komplemente erweiterbar: Kgen Er ist sich der Angelegenheit gewiss.

Kdat die ihrem Liebhaber hörige Ehefrau

Kakk Sie ist die Vorwürfe satt.

Kpräp das an Ressourcen arme Entwicklungsland

Kinf Die Frage ist schwer zu verstehen.

Partizipialphrase

Partizipialphrasen (PARTP) werden zu den Adjektivphrasen gezählt. Der Kopf der Partizipialphrase ist ein Partizip I oder ein Partizip II. Das Partizip I ist ein aus einem Verb gebildetes Adjektiv. Das Partizip II als Verbform kann als Adjektiv gebraucht werden. Der Kopf der Partizipialphrase steht an ihrer rechten Grenze. Erweiterungen des Kopfs gehen diesem voraus. Verb im Infinitiv PARTP mit Partizip I PARTP mit Partizip II

essen der schnell essende Gast der schnell gegessene Gänsebraten

fordern der ungemein fordernde Chef der ungemein geforderte Angestellte

Adkopulaphrase

Adjektivphrasen können in der Regel attributiv, adverbial und prädikativ verwendet werden. Einige Adjektivphrasen können allerdings nur prädikativ verwendet werden. Sie werden als Adkopulaphrasen (ADKP) bezeichnet. Wie bei den prädikativ verwendeten Adjektivphrasen ist der Kopf der Adkopulaphrase immer unflektiert. Adkopulaphrasen sind Prädikativkomplemente zu einem Kopulaverb (sein, werden, bleiben). Der Kopf einer Adkopulaphrase ist eine Adkopula, er steht am rechten Rand der Phrase. Der Kopf einer Adkopulaphrase ist durch Intensitätspartikeln oder Adjektive erweiterbar:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 38

Der Staat ist ziemlich pleite. Der Staat ist vollständig pleite. Nach dieser Aktion sind wir endlich einigermaßen quitt. Nach dieser Aktion sind wir endlich restlos quitt. Es ist sehr schade, dass du nicht kommen kannst. Es ist extrem schade, dass du nicht kommen kannst.

Die adjektivischen Erweiterungen der Adkopula verhalten sich wie die Erweiterungen innerhalb der Adjektivphrase.

Adverbphrase

Andere Bezeichnungen: Adverbgruppe Der Kopf einer Adverbphrase ist ein Adverb.

syntaktische Struktur

Adverbien sind nur sehr eingeschränkt zu Adverbphrasen ausbaubar. Die Erweiterungen durch Intensitätspartikeln oder durch Adverbien stehen in der Regel links vor dem Kopf: Erweiterungen durch Adverbphrase

Intensitätspartikeln

einigermaßen gern sehr gern recht oft überaus oft

Adjektive in der Funktion von Intensitätspartikeln

komplett anders ziemlich anders völlig blindlings total blindlings

Adverbien leider oft so oft

Präpositionalphrasen werden als Erweiterungen des Kopfes nachgestellt:

Präpositionalphrasen

immer am Sonntag immer nach drei Tagen damals vor der Wende damals nach dem Krieg

Adjunktorphrase

Andere Bezeichnungen: Vergleichsphrase Kopf einer Adjunktorphrase ist ein Adjunktor. Die Adjunktorphrase baut sich aus dem Adjunktor und verschiedenen Phrasentypen auf. Folgende Phrasentypen können neben dem Adjunktor Bestandteil der Adjunktorphrase sein:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 39

Phrasentyp Adjunktorphrase/Adjunkt

Nominalphrase als guter Mensch wie ein Dummkopf

Pronominalphrase als einer, der Politik macht wie einer, der alles aussitzen kann

Präpositionalphrase besser als im Theater wie im Bundesrat

Adjektivphrase als besonders gut wie blöd

Adverbphrase als da unten wie dort oben

Verbletztsatz wichtiger als du glaubtest so wichtig wie du gesagt hast

Durch den verknüpfenden Adjunktor werden die unterschiedlichen Phrasen zu Adjunkten.

syntaktische Struktur

Die Adjunktoren als und wie bilden eine Subklasse der Junktoren. Zusammen mit Phrasen unterschiedlichen Typs bilden sie Adjunktorphrasen. Adjunktoren regieren im Gegensatz zu Präpositionen keine Kasus. Sie sind kasustransparent. Der Kasus des Adjunkts ist identisch mit dem Kasus des Bezugsausdrucks außerhalb der Adjunktorphrase: Nominativ Er als großer Schauspieler ist bestens geeignet.

Akkusativ Maria betrachtet ihn wie einen, dem geholfen werden muss.

Genitiv Der Ruf des Hauses als eines der besten ist allgemein bekannt.

Dativ Einem Kerl wie dir kann man nichts vormachen. Adjunktorphrasen können in der Komparation an die Positivform und an die Komparativform des Adjektivs angebunden werden:

Hier war es auch nicht immer besser als dort drüben. Nie war er so wertvoll wie heute.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 40

Komplemente und Supplemente

Komplement

Einleitung

In ProGr@mm wird die Grundannahme vertreten, dass Sätze regelhaft aus kleineren Einheiten, also "kompositional", aufgebaut sind. Die drei wichtigsten Komponenten - die primären Komponenten - werden hier Verbalkomplex, Komplement und Supplement genannt. Der Verbalkomplex kann auch aus einer einzigen finiten Verbform bestehen. Jedes Wort, genauer: jede Wortform, jede Phrase im Satz muss zu einer dieser drei primären Komponenten gehören. Das heißt aber nicht, dass immer alle drei Komponenten realisiert sein müssen. Andere Bezeichnungen für Komplement sind Ergänzung oder Aktant. Komplemente sind nicht-verbale Ausdrücke (Nominalphrasen, Präpositionalphrasen, Adverbphrasen, Nebensätze), die einen Verbalkomplex zu einem Satz "sättigen". Im Fall der Termkomplemente (Subjekt und Objekte) sind sie nicht weglassbar. In der Form werden sie vom übergeordneten Verb bestimmt. Neben Termkomplementen gibt es die Klassen Adverbialkomplement, Prädikativkomplement und - als randständige Klassen - AcI-Komplement und Verbativkomplement. Beispiele:

(1) Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm. (2) Ich verrate dir aber nicht, wie es heißt. (3) Es kommt ganz darauf an, ob man Phantasie hat. (4) Ich heiße Rumpelstilzchen.

Es ist notorisch schwierig, Komplemente von Supplementen abzugrenzen. So ist die Phrase in Berlin in (5) ein Komplement, in (6) aber ein Supplement.

(5) Er wohnt in Berlin. (6) Die Sonne scheint in Berlin.

Von der Bedeutung des Verbs wohnen wird ein Ausdruck für einen Ort verlangt und zwar in der Realisierung einer Präpositionalphrase oder eines Lokaladverbs (z.B. dort). Diese starke Forderung der Valenz des Verbs wohnen bestimmt, dass in Berlin in Satz 1. ein Komplement ist. Das gilt auch, wenn es grammatisch komplette Sätze mit wohnen gibt, die kein solches Komplement enthalten: Er wohnt allein. Das Verb scheinen hat keine vergleichbare Komplementforderung. Es genügt das Subjekt, um einen grammatisch vollständigen Satz mit scheinen zu bilden. Diese ersten Überlegungen zur Abgrenzung von Komplementen und Supplementen werden in einem dreistufigenTestverfahren nachprüfbar differenziert, und zwar mit Hilfe des Reduktionstests, des Folgerungstests und des Anschlusstests. Aufgrund der Testergebnisse ergibt sich ein fließender Übergang zwischen Kern- und Randkomplementen und Supplementen.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 41

Wichtiger als diese z.T. schwierigen Testverfahren sind vielleicht die Einteilung der Komplemente in Klassen und Typen und der Überblick über die Komplementklassen, wobei die große Zahl der syntaktischen Realisierungsformen für manchen überraschend sein wird.

Gruppen und Typen von Komplementen

Man kann zwei Gruppen von Komplementklassen unterscheiden: eine zentrale oder Hauptgruppe und eine periphere Gruppe. Die Hauptgruppe kann man wiederum in drei Typen gliedern: Termkomplemente, Adverbialkomplemente und Prädikativkomplemente. Wie häufig bei lebenden Sprachen gibt es darüber hinaus noch ein Bereich mit Abgrenzungsproblemen und zwar bei festen Verbindungen von Verben und nominalen bzw. präpositionalen Bestandteilen. Die periphere Gruppe umfasst das AcI-Komplement und das Verbativkomplement.

Hauptgruppe

Termkomplemente

Die meisten Komplemente sind auch Terme, d.h. sie repräsentieren immer Argumente und entsprechen damit weitgehend den traditionellen Satzgliedern Subjekt und Objekt. Das trifft z.B. für die Wortgruppen mein reicher Onkel Emil und einen neuen Mercedes im folgenden Satz zu: Mein reicher Onkel Emil kauft jedes Jahr einen neuen Mercedes. Wir nennen diesen Typ von Komplementen Termkomplemente, weil sie in der aktuellen Verwendung Gegenstände konstituieren.

Adverbialkomplemente

Es gibt aber auch Komplemente, die keine Terme sind, d.h. die in ihrer aktuellen Verwendung keine Gegenstände konstituieren. Diese können in vergleichbarer Bedeutung in anderen Kontexten als Satzadverbialia, also als Supplemente, fungieren. Wir nennen diese deshalb Adverbialkomplemente. Der Brief lag im Küchenschrank. Theo fährt nicht nach Lodsch.

Prädikativkomplemente

Ausdrücke, die unter Umständen in anderen Kontexten als Terme oder Adverbialia fungieren, können zusammen mit bestimmten Verben (z.B. sein, bleiben, werden, heißen, nennen, aussehen als, halten für ) Prädikatsausdrücke bilden:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 42

Henner war eindeutig der Boss. Man hatte ihn lange für einen aufrechten Demokraten gehalten. Selbst dreißig Jahre später habe ich mehrfach festgestellt: Er war ein Pedant geblieben. Weil diese Ausdrücke zusammen mit dem Verb als Prädikat fungieren, heißen sie Prädikativkomplemente.

Periphere Gruppe

Zu diesen drei zentralen Komplementtypen kommen noch zwei weitere, periphere hinzu, die hier nur mit einigen Beispielen vorgestellt werden: das AcI-Komplement (bei Verben wie lassen, heißen, machen, ahnen, hören, sehen, fühlen, spüren, finden, haben ) und das Verbativkomplement (bei Verben wie gedenken, geruhen, verstehen und bestimmte Bedeutungen von gelten und heißen ).

AcI-Komplement

Er hörte sich selber schreien. Wir ahnten eine Katastrophe kommen. Sie lässt wieder die Puppen tanzen. Er spürte sein Herz in die Hose rutschen.

Verbativkomplement

Sie hat es geschickt verstanden, ihre Meinung durchzusetzen. Jetzt heißt es sparen. Nach der langen Durststrecke gilt es jetzt, die Ernte einzufahren.

Wie kann man Komplemente klassifizieren?

Es bestehen vor allem zwischen dem Verb als Valenzträger und seinen Begleitern Vorkommensbeschränkungen. Jedes Verb hat bestimmte Selektionseigenschaften. Damit ein akzeptabler und sinnvoller Satz entsteht, müssen die Komplemente die Bedingungen, die das Verb setzt, erfüllen. Semantische Konzepte wie die rollenbezogenen Charakterisierungen AGENS, EXPERIENS, ADRESSAT usw. stimmen nicht mit der formalen Klassifikation nach Kasus, Präposition usw. überein. Sie spielen deshalb für die Klassifikation keine Rolle. Nur adverbiale Komplemente und ein Teil der prädikativen Komplemente verfügen über direkt ablesbare Rollenbedeutungen. Auf der Grundlage der formalen und - weniger zentral - semantischen Restriktionen, kann man eine überschaubare und untereinander abgrenzbare Anzahl von Komplementklassen ermitteln. Die formalen Restriktionen lassen jeweils mehrere verschiedene Realisierungsformen zu. Die allgemeinsten davon können als Ersatz für alle Vertreter einer Komplementklasse dienen. Diese nennen wir "Leitform".

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 43

So ist die Leitform für das Akkusativkomplement das entsprechende anaphorische Personalpronomen im Akkusativ: Er isst täglich zwei Schnitzel. (Leitform: sie) Der Trainer wollte, dass Merkel spielte. (Leitform: es) Als Leitformen kommen in Frage:

• Pronomen (Anaphern) in spezifischen, verbregierten Kasus (er, es, sie, ihm ) • Präposition + Pronomen bzw. Präpositionaladverb (an ihn, daran) • bestimmte einfache Adverbien wie dann, dort, so und mit diesen gebildete

Ausdrücke.

Komplementklassen und Realisierungsformen

Mit Hilfe der Leitformen können insgesamt elf Komplementtypen unterschieden werden. Bei der Illustration von Komplementtypen durch Beispiele werden in Grammatiken häufig die unproblematischen oder typischen Satzstrukturen gewählt. D.h. die Kasuskomplemente sind meist mit Nomina bzw. Nominalphrasen belegt. Das ist aber nicht unbedingt die häufigste Realisierungsform. Und diese Verkürzung bei den Beispielen verdunkelt den Blick auf die strukturelle Vielfalt der Realisierungsformen. Man ist deshalb oft überrascht zu erfahren, dass man mit einem wenn -Satz ein Subjekt oder ein Akkusativkomplement realisieren kann. Diese Vielfalt soll am Beispiel des Akkusativkomplements gezeigt werden: Abkürzungen: ADJP Adjektivphrase

AJKP Adjunktorphrase (mit wie oder als )

ADVP Adverbphrase

IK Infinitivkonstruktionen

NP Nominalphrase

PP Präpositionalphrase

Präp-Adv Präpositionaladverb

PROP Pronominalphrase

SJS Subjunktorsatz

V2-Satz Verbzweitsatz (Vorfeld ist besetzt.)

W-Satz Fragesatz mit W-Wort (Wer, Wo, Wann, ... )

Akkusativkomplement (Kakk ) - Leitform: Anaphorisches Personalpronomen im Akkusativ

NP im Akkusativ Ich suche den Mann mit dem Sonnenschirm.

PROP im Akkusativ Ich hab ihn lange gesucht.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 44

dass/ob -Satz Dass sie die richtige Frau war, habe ich sofort gemerkt. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihm das damals gesagt habe.

W-Satz Warum er damals Depressionen hatte, wusste er nicht.

V-2-Satz Ich vermutete, er wenigstens könne mir helfen.

Infinitiv mit zu Die Ministerin hoffte vergeblich, Mitstreiter im Bauernverband zu finden.

reiner Infinitiv Du musst schwimmen lernen.

wenn -Satz Du wirst sofort merken, wenn das die richtige Medizin für dich ist. Alle weiteren Komplemente mit Beispielen nach diesem Muster finden sich im Überblick über die Komplementklassen

Überblick über die Komplementklassen

Die Bezeichnungen der Komplementklassen sind Merkhilfen und nicht wörtlich zu verstehen. Es werden jeweils links die Realisierungsmuster benannt und rechts daneben je ein Beispielsatz angeführt. Hier die Liste der verwendeten Abkürzungen: ADJP Adjektivphrase

AJKP Adjunktorphrase (mit wie oder als )

ADVP Adverbphrase

IK Infinitivkonstruktionen

NP Nominalphrase

PP Präpositionalphrase

Präp-Adv Präpositionaladverb

PROP Pronominalphrase

SJS Subjunktorsatz

V2-Satz Verbzweitsatz (Vorfeld ist besetzt.)

W-Satz Fragesatz mit W-Wort (Wer, Wo, Wann, ... )

Termkomplemente

• Subjekt • Akkusativkomplement • Dativkomplement • Genitivkomplement • Präpositivkomplement

Adverbialkomplemente • Situativkomplement • Direktivkomplement

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 45

• Dilativkomplement Prädikativkomplement Periphere Komplemente

• AcI-Komplement • Verbativkomplement

1. Termkomplemente

Subjekt (Ksub)- Leitform: Anaphorisches Personalpronomen im Nominativ: NP im Nominativ Der Vertreter hat sich nicht mehr gemeldet.

PROP im Nominativ Er hat sich nicht mehr gemeldet.

dass/ob -Satz Dass wir heute alle zusammen sind, freut mich besonders. Ob sie davon gewusst hat, kann ich nicht sagen.

W-Satz Wer nicht hören will, muss fühlen.

V-2-Satz: Von Wagner-Opern wird oft gesagt, sie seien zu lang.

Infinitiv mit zu Immer weiter zu verhandeln, macht keinen Sinn.

reiner Infinitiv Immer weiter verhandeln macht keinen Sinn.

wenn -Satz In Bezug auf die Forschungsförderung entspricht dieser Tendenz, wenn die Kosten-Leistung-Rechnung eingeführt wird.

Akkusativkomplement (Kakk ) - Leitform: Anaphorisches Personalpronomen im Akkusativ NP im Akkusativ Ich suche den Mann mit dem Sonnenschirm.

PROP im Akkusativ Ich hab ihn lange gesucht.

dass/ob -Satz Dass sie die richtige Frau war, habe ich sofort gemerkt. Ich weiß nicht mehr, ob ich ihm das damals gesagt habe.

W-Satz Warum er damals Depressionen hatte, wusste er nicht.

V-2-Satz Ich vermutete, er wenigstens könne mir helfen.

Infinitiv mit zu Die Ministerin hoffte vergeblich, Mitstreiter im Bauernverband zu finden.

reiner Infinitiv Du musst schwimmen lernen.

wenn -Satz Du wirst sofort merken, wenn das die richtige Medizin für dich ist. Dativkomplement (Kdat) - Leitform: Anaphorisches Personalpronomen im Dativ NP im Dativ Sag das mal der Zweigstellenleiterin.

PROP im Dativ Sag ihr das mal.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 46

W-Satz Wem viel gegeben wurde, kann viel genommen werden. (AMJ, 81)

Genitivkomplement (Kgen) - Leitform: Anaphorisches Personalpronomen im Genitiv NP im Genitiv Er entsann sich noch gut dieser Begegnung im Schlosspark.

PROP im Genitiv

Befreit oder besiegt, wessen gilt es also am 8. Mai zu gedenken? (Zeit, 3.5.1985, 6).

dass/ob -Satz Er entsann sich, dass eine E-Mail von ihr gekommen war. Er wollte sich zunächst vergewissern, ob ihn auch niemand gesehen habe.

W-Satz Kannst du dich noch entsinnen, wo wir uns damals getroffen haben?

V-2-Satz Er bezichtigte uns, wir hätten ihn betrügen wollen.

Infinitiv mit zu Jaschke war angeklagt, 88 Kriegsgefangene getötet zu haben. Präpositivkomplement (Kprp) - Leitform: Präposition +Anapher/Präpositionaladverb (Thematisch verwandte Bezeichnung: Präpositionalobjekt) PP Ich denke oft an Piroschka.

Präp-Adv Ich denke oft daran.

dass/ob -Satz + Korrelat

Er achtete streng darauf, dass er zuerst gefragt wurde. Ich erinnere mich nicht mehr daran, ob Kugler das erwähnt hat.

W-Satz + Korrelat Sie stritten lange darüber, wer zuerst das Schweigen gebrochen hatte.

V-2-Satz + Korrelat Wir hofften darauf, der Transport werde an Güstrow vorbei geleitet.

Infinitiv mit zu + Korrelat Er war nicht dazu zu bewegen, einzulenken.

wenn -Satz + Korrelat Er lächelte darüber, wenn seine Gedichte verrissen wurden.

2. Adverbialkomplemente

Situativkomplement (Ksit) - Leitform: dort, dann (Thematisch verwandte Bezeichnungen: Zeit-/Ortsbestimmung, Temporal-/Raumergänzung) PP Theo wohnt am Waldrand.

ADVP Der Brief lag im Küchenschrank.

W-Satz Ich will leben, wo sie gelebt hat.

SJS mit als, bevor, nachdem, wenn, seit, sobald

Es passierte, als die Bremse versagte. Was geschah, als Elvira eintrat? Wenn die letzten Gäste gehen, schließen wir.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 47

Direktivkomplement (Kdir) - Leitform: dahin, dorthin, von dort, hindurch (Thematisch verwandte Bezeichnungen: Richtungsbestimmung, Direktionalergänzung) PP Theo fährt nicht nach Lodsch.

ADVP Er fährt nicht dorthin.

W-Satz Ich will fahren, wohin du gefahren bist. Dilativkomplement (Kdil) - Leitform: (um ) soviel, soweit, solange. u.a. (Thematisch verwandte Bezeichnung: Expansivergänzung) NP im Akkusativ Die Sitzung dauerte den ganzen Tag.

PP Der DAX ist um 54 Punkte gestiegen.

SJS mit bis Er wartete vor der Tür, bis er im Haus kein Geräusch mehr hörte.

ADJP Die Sitzung dauerte lange - wie immer.

ADVP Soweit war er in der kurzen Zeit aufgestiegen.

3. Prädikativkomplement

(KPRD) - Leitform: es, so, als solch-, dafür (Thematisch verwandte Bezeichnungen: Prädikativum, Gleichsetzungsnominativ, Prädikatsnomen, Nominativ-/Subsumptiv-/Artergänzung) NP im Nominativ Er war ein Volksverhetzer.

NP im Akkusativ Sie nannten ihn einen Volksverhetzer.

PP Der Islam hält Jesus für einen Propheten. Erich ist noch in der Schule

AJKP Sie galt als intelligent. Ich bin eben nicht wie du.

ADJP Da war er sprachlos.

ADJP nur prädikativ (=Adkopulaphrase) Jetzt sind wir quitt.

NP im Genitiv Er war heiteren Gemüts.

ADVP Er heißt tatsächlich so. Das Konzert war schon gestern.

PROP Ich bin der Chef und will es noch lange bleiben. Wir sind wieder wer.

SJS mit als, als ob, wie wenn

Es schien ihm, als hätte er das alles schon einmal im Traum gesehen. Er fühlte sich, als ob er allein auf der Welt sei.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 48

4. Periphere Komplemente

AcI-Komplement (KAcI) - Keine Leitform Als AcI-Verben können Verben fungieren, die als Valenzforderung ein Nomen im Akkusativ mit einer Infinitivform haben können: lassen, heißen, machen, hören, sehen, fühlen, spüren, finden, haben.

Akkusativ + Infinitiv Er spürte seine Hand zittern. Wir sahen ihn die Treppe hinauf laufen.

Verbativkomplement (Kvrb) - Keine Leitform

Infinitiv (+ zu ) Jetzt gilt es, im Bundeshaushalt zu sparen. Jetzt heißt es sparen.

Es ist vielleicht überraschend, dass eine Reihe von Strukturen in vielen Komplementklassen vorkommen können. Man muss sich bewusst sein, dass isolierte Ausdrücke/Phrasen/Strukturen noch nichts darüber aussagen, zu welcher Komplementklasse sie gehören, und auch nichts darüber, ob es sich um ein Komplement oder ein Supplement handelt. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht mit Beispielen über die meist etwas schwieriger zu bestimmenden Komplementklassen, also die, die nicht Kasuskomplemente sind.

Komplementklasse Beispielsatz

1 Präpositivkomplement Er hat nicht darauf gewartet.

2 Prädikativkomplement Sie will partout Hauptschullehrerin werden.

3 Situativkomplement Diesen Montag beginnt der Schlussverkauf.

4 Dilativkomplement Steigern Sie dann die Temperatur um 40 Grad.

5 AcI-Komplement Lasset die Kindlein zu mir kommen.

6 Dilativkomplement Er wartete in seinem Versteck, bis der Lärm aufhörte.

7 Situativkomplement Wir können beginnen, wann ihr wollt.

8 Prädikativkomplement Das nenne ich Chuzpe.

9 Verbativkomplement Es gilt jetzt, deine Tochter aufzuklären.

10 Prädikativkomplement Es ist. wie wenn man Tabletten mit Alkohol nimmt.

11 Präpositivkomplement Es lag ihm viel daran, sich wieder mit seiner Frau zu versöhnen.

12 Situativkomplement Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Die Bezeichnungen der Komplementklassen sind für Sie sicher zum Teil neu und gewöhnungsbedürftig. Mit der folgenden Übung können Sie - jetzt oder in einigen Tagen - testen, ob Ihnen die Bezeichnungen schon vertraut sind.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 49

Testverfahren zur Unterscheidung von Komplementen und Supplementen Es werden insgesamt drei verschiedene Testverfahren vorgestellt. Sie haben eine festgelegte Reihenfolge. Was der erste Test nicht hinreichend unterscheidet wird vom zweiten geleistet. Eine solche Präzisierungsfunktion hat auch der dritte Test gegenüber dem zweiten. Man kann sie deshalb auch als Filter ansehen, die die jeweils verbliebene Restmenge noch deutlicher gliedern. Reduktionstest Folgerungstest Anschlusstest

Reduktionstest

Reduktionstest (R-Test) filtert bei positiver Entscheidung die obligatorischen Komplemente heraus. Der Reduktionstest (R-Test) geht von isolierten Einzelsätzen aus. D.h. ein möglicherweise mehrfach ausgebauter Satz wird so lange um jeweils eine Phrase reduziert bis ein Ausdruck übrig bleibt, der kein grammatisch vollständiger Satz mehr ist. Die Testfrage lautet bei jedem Reduktionsschritt: Ist der Ausdruck ohne die betreffende Phrase unvollständig? Wenn ja, ist diese Phrase ein obligatorisches Komplement. Es bleibt immer ein grammatischer Satz übrig, wenn man aus dem Satz Meine Großeltern haben in den dreißiger Jahren mit dem Geld aus einer Erbschaft im Norden Berlins eine kleine Villa gekauft. folgende (Präpositional-)Phrasen entfernt: in den dreißiger Jahren mit dem Geld aus einer Erbschaft im Norden Berlins Aus dem so ermittelten minimalen Satz Meine Großeltern haben eine Villa gekauft. kann man jeweils zusammen mit dem Verbalkomplex zwei weitere Phrasen herausfiltern. Das Ergebnis lautet: *Meine Großeltern haben gekauft. und *haben eine Villa gekauft. Diese beiden Ausdrücke sind unvollständig, genauer: ungrammatisch (Deshalb werden sie mit einem * gekennzeichnet). Beide Phrasen (Meine Großeltern und eine Villa) sind deshalb Komplemente. Der Reduktionstest sei noch einmal an folgendem Satz demonstriert: Die Brümmers besitzen seit drei Jahren ein Reihenhaus.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 50

Wenn man seit drei Jahren entfernt, bleibt der Restsatz grammatisch. Wenn man ein Reihenhaus entfernt, ist der Restsatz ungrammatisch. * Die Brümmers besitzen. Die Phrasen die Brümmers und ein Reihenhaus sind Komplemente. Was ist das Ergebnis dieses Tests? Wenn man in einem grammatisch vollständigen Satz einen Teil, genauer: eine Phrase weglässt, und der so entstandene Satz ungrammatisch ist, dann ist die Phrase, um die es geht, ein (obligatorisches) Komplement. Das gilt auch für den Fall, dass der Satz nach der Reduktion zwar grammatisch erscheint, aber die Interpretation des verbalen Prädikatsausdrucks sich ändert: a) Geldschrankknacker-Ede sitzt in der Badewanne. b) Geldschrankknacker-Ede sitzt. In a) hat sitzen die "normale" Bedeutung. Satz b) ist aber auch sinnvoll und grammatisch, da man hier automatisch auf die Bedeutung 'ist Häftling/Gefangener' umschaltet. b) ist also nur grammatisch, wenn eine andere Verbbedeutung greift. In diesem Fall sagen wir auch, dass der Test positiv verlaufen ist und in der Badewanne Ausdruck eines Komplements ist. Weitere Beispiele: a) Die Sitzung dauert vier Stunden. b) Die Sitzung dauert. a) Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr. b) Die Veranstaltung beginnt. a) Heiner trinkt gerade ein Glas Pfälzer Grauburgunder. b) Heiner trinkt. Die Verbbedeutung in den b)-Sätzen ist jeweils folgende: dauert (allzu) lange beginnt jetzt/gerade/im Augenblick trinkt gewohnheitsmäßig/ ist Trinker/Alkoholiker Fazit :

Phrasenklassen, für die der Reduktionstest positiv verläuft, sind obligatorische Komplemente.

Folgerungstest

Der Folgerungstest (F-Test) filtert bei negativer Entscheidung Supplemente heraus, bei positiver Entscheidung Komplement-Kandidaten, deren endgültiger Status durch den folgenden Anschlusstest festgelegt wird. Es gibt Sätze, die in Bezug auf die Valenz des Verbs minimal ausgestattet sind und die - um eine Phrase reduziert - dennoch einen vollständigen Satz darstellen. Der Folgerungstest muss also folgende Frage beantworten:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 51

Trifft es zu, dass aus dem reduzierten Ausdruck (in bestimmten Zusammenhängen und bestimmten Verwendungsweisen des Verbs) auf einen Ausdruck mit indefiniter Besetzung der fraglichen Stelle gefolgert werden kann? Der Inhalt dieser kompakten Formulierung wird am Beispiel sofort deutlich: a) Edmund isst Saumagen. b) Edmund isst. Auch Satz b), in dem Saumagen entfernt wurde, drückt einen nachvollziehbaren Sachverhalt aus. An Stelle dieser eliminierten Phrase Saumagen kann man eine unbestimmte Phrase, eine Art Variable, einsetzen. Aus Edmund isst. kann man folgern: c) Edmund isst etwas. Dass Edmund etwas isst, also eine bestimmte Nahrung zu sich nimmt, kann man aus der spezifischen Verbbedeutung von essen folgern. Auch wenn der "Gegenstand", das Nahrungsmittel in (b) nicht explizit als Komplement im Satz erscheint, kann man es bei Verben wie essen offensichtlich mitverstehen, so dass Edmund isst. ein sinnvoller Satz des Deutschen ist. Weitere Beispiele: a) Opa liest die Morgenzeitung. b) Opa liest. a) Der DAX ist um 63 Punkte gestiegen. b) Der DAX ist gestiegen. In diesen Fällen ist die Phrase, um die der ursprüngliche Satz reduziert wurde (z.B. die Morgenzeitung ) ein Komplement-Kandidat. Dass Edmund etwas isst, also eine bestimmte Nahrung zu sich nimmt, dass Opa etwas Geschriebenes z.B. ein Druckerzeugnis liest, dass der DAX um einen bestimmten Betrag gestiegen ist, kann man aus der spezifischen Verbbedeutung von essen, lesen und steigen folgern. Dass Ausdrücke (Sätze) von elementaren Propositionen um eine Komponente reduziert werden können und dennoch Propositionsaudrücke bleiben, wirkt auf den ersten Blick paradox. Das erklärt sich aber daraus, dass - bei bestimmten Verben - betroffene Gegenstände oder Umstände über Schlussfolgerungen zugänglich sein können, auch wenn sie nicht benannt sind. Als eindeutiges Ergebnis des F-Tests halten wir fest:

Fazit:

Phrasenklassen, für die der F-Test negativ verläuft, sind Supplemente.

Phrasenklassen, für die der F-Test uneingeschränkt positiv verläuft, sind Komplement-Kandidaten. Wenn die Testfrage nur in bestimmten Zusammenhängenen oder Verwendungsweisen mit ja beantwortet werden kann, sagen wir, dass der Test eingeschränkt positiv verläuft und eingeschränkt zu einem Komplement-Kandidaten führt.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 52

Die positiven Ergebnisse des F-Tests erweitern den Bereich der potentiellen Komplemente gegenüber traditionelleren Definitionen. Ob es sich wirklich um Komplemente handelt, muss der Anschlusstest erweisen.

Anschlusstest

Der Anschlusstest (An-Test) differenziert den Bereich der fakultativen Komplemente und den Übergangsbereich zu den Supplementen. Die Kandidaten werden auf den Grad der syntaktischen Integration auf der einen und auf die adverbiale Qualität auf der anderen Seite überprüft. Die Entscheidung, ob eine Phrase Komplement oder Supplement ist, hängt eng damit zusammen, wie stark diese Phrase syntaktisch integriert, also von der Verbbedeutung gesteuert oder über sie erschließbar ist. In dem Satz Sie nieste im Wald. ist wohl unzweifelhaft, dass die Benennung des Ortes nicht von der Verbbedeutung gesteuert sein kann. Sie ist eine zusätzliche Information, die den Kontext spezifiziert, also ein Supplement. Der Anschlusstest (abgekürzt An-Test) beinhaltet also Folgendes: Ein Satz AX ([Sie nieste ]A [im Wald ]X) wird um die Phrase X reduziert und das Ergebnis der Reduktion (Sie nieste ) gilt als minimaler Satz. X wird im Sinne des Folgerungstests in dem Sinne impliziert, dass Niesen immer irgendwo geschieht. Das ist die Eingangsbedingung. Das weitere Verfahren geht so: Der Test soll folgende Frage beantworten: Ist die Paraphrase des ursprünglichen Satzes AX in der Form 'A, und das X' nicht möglich?

• Bei einer klaren Nein-Antwort, wenn also der Anschluss klar möglich ist, ist X ein Supplement (Beispiel 1).

• Ist die Umformung von mittlerer Akzeptabilität, ist X eingeschränkt ein Komplement-Kandidat (Beispiel 2).

• Ist der umgeformte Satz nicht oder wenig akzeptabel, gilt er als Komplement-Kandidat (Beispiel 3).

1.a) Bülting beendete seinen Vortrag mit einem Gedicht von Kästner. 1.b) Bülting beendete seinen Vortrag, und das mit einem Gedicht von Kästner. (mit einem Gedicht von Kästner = Supplement) 2.a) Die Eltern sorgten sich um die Kinder, die mit dem Rad losgefahren waren. 2.b) Die Eltern sorgten sich, und das um die Kinder, die mit dem Rad losgefahren waren. (um die Kinder, die mit dem Rad losgefahren waren. = eingeschränkt Komplement-Kandidat) 3.a) Haider schimpfte auf die französische Regierung . 3.b) Haider schimpfte, und das auf die französische Regierung. (auf die französische Regierung = Komplement-Kandidat)

Diese Einstufung in Bezug auf die Akzeptabilität der b)-Sätze basiert auf mehreren Umfragen unter Muttersprachlern. Dabei gibt es naturgemäß Schwankungen, d.h. man wird individuell z.T. zu anderen Ergebnissen kommen.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 53

Testergebnisse

Zwei Testergebnisse konnten durch den Reduktionstest (R-Test) sowie durch den Folgerungstest (F-Test) und Anschlusstest (An-Test) schon festgelegt werden:

a. R-Test positiv ergab uneingeschränkt ein (obligatorisches) Komplement: Sie haben ihm zur Hochzeit den Sexualatlas geschenkt. Beckett wartet nicht mehr auf den Ernstfall.

b. R-Test und F-Test negativ ergab eindeutig Supplement. Er ist nach zehn Minuten ausgestiegen.

Die Menge der Komplement-Kandidaten aufgrund des F-Tests kann nach dem An-Test in folgende Gruppen eingeteilt werden:

c. F-Test und An-Test uneingeschränkt positiv = uneingeschränkt K-Kandidat

Realisiert werden sie durch fakultative Kasuskomplemente und eindeutige Präpositivkomplemente:

Sie hatte mich dreimal nach der Anfangszeit gefragt. Ich habe meinem Nachbarn einen Rasenmäher geschenkt.

d. F-Test uneingeschränkt positiv, An-Test eingeschränkt positiv = eingeschränkt Komplement-Kandidat.

Es handelt sich um Adverbialkomplemente oder um Präpositivkomplemente mit adverbialer Bedeutungskomponente:

Sie landeten auf dem nächstgelegenen Flugplatz. Er hat sich bei mir über seine Mutter beschwert.

e. F-Test uneingeschränkt positiv, An-Test negativ = eingeschränkt Komplement- Kandidat.

Diese Komplement-Kandidaten werden realisiert als Präpositivkomplement mit stark ausgeprägter adverbialer Bedeutungskomponente:

Wir wurden von seinem Tod durch das Rote Kreuz unterrichtet.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 54

f. F-Test und An-Text eingeschränkt positiv = fakultatives Komplement

Realisierungsformen: Präpositivkomplemente und dativische Komplemente mit adverbialer Bedeutungskomponente und schwacher Folgerungsbeziehung. Diese fakultativen Komplemente markieren schon den Übergangsbereich zu den Supplementen.

Er wachte vom Lärm der Straßenbahn auf. Peters Mutter hat unserer Tochter einen Gameboy gekauft.

g. F-Test eingeschränkt positiv = eingeschränkt Komplement-Kanditat, An-Test negativ = Supplement

Realisiert werden Einheiten dieser Klasse durch Präpositionalphrasen mit adverbialer Bedeutung bei schwacher Folgerungsbeziehung. Sie sind eng verwandt mit den fakultativen Komplementen unter f), aber ihr adverbialer Charakter ist eindeutig. Deshalb werden sie den Supplementen zugeschlagen:

Er wachte durch den Lärm der Straßenbahn auf. Peters Mutter hat für unsere Tochter einen Gameboy gekauft.

Die Testergebnissse sehen im grafischen Überblick wie folgt aus: (++ steht für uneingeschränkt positives, + für eingeschränkt positives und - für negatives Ergebnis)

Wir sind also durch die drei Tests zu insgesamt sieben Klassen von Phrasen gekommen, von den uneingeschränkten, obligatorischen Komplementen im Kernbereich über die fakultativen Komplemente im Randbereich zu den Supplementen. Man kann die Verteilung der Testergebnisse auf Komplemente im Kernbereich, im Randbereich bzw. auf Supplemente in folgender Grafik deutlich machen:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 55

Supplement Die syntaktische Komponente, um die es hier geht, läuft - je nach Grammatiktheorie - unter verschiedenen Namen: Angabe, freie Angabe, Adverbial, Umstandsbestimmung. Diese Komponente wird aber nicht nur anders benannt, sondern z.T. auch anders definiert bzw. "abgegrenzt". Sie umfasst dann z.B auch Satzkomponenten, die in dieser Grundgrammatik als (Adverbial-)Komplemente bezeichnet werden. Supplemente sind nicht-verbale Ausdrücke (z.B.: Adverbphrasen, Präpositionalphrasen, Nominalphrasen, Nebensätze, Abtönungspartikeln), die einen Satz, einen Verbalkomplex oder eine Verbgruppe weiter spezifizieren, z.B. in Hinblick auf Raum, Zeit, Art und Weise oder Relationen wie Ursache, Zweck etc. oder - im Fall der Abtönungspartikeln - in Hinblick auf Erwartungen und Einstellungen von Hörer und Sprecher. Zusammen mit den Komplementen und dem Verbalkomplex bilden Supplemente die primären Komponenten des Satzes. Vgl. folgende Satzanalyse: Damals haben wir dieses Problem doch schnell gelöst .

damals Supplement zum Satz, also Satzadverbiale zur Spezifizierung der Zeit

haben gelöst Verbalkomplex

wir, dieses Problem Komplemente

doch Abtönungspartikel, die auf gemeinsames Vorwissen hinweist

schnell Supplement zur Verbgruppe (also Verbgruppenadverbiale zu Spezifizierung der Art und Weise)

Supplemente sind aber nicht Teile des Ausdrucks der Kernsatzbedeutung. Sie sind oft weglassbar. Bei den Supplementen werden drei Typen unterschieden: Satzadverbialia Verbgruppenadverbialia Abtönungspartikeln

Satzadverbialia

Ein Satzadverbiale (Plural: Satzadverbialia) ist ein Adverbiale, das sich im Unterschied zum Verbgruppenadverbiale auf den ganzen Satz bezieht, d.h. zusammen mit einem vollständigen Satz einen neuen Satz ergibt. Als Satzadverbialia können Adverbien (1), Nominalphrasen (2), Präpositionalphrasen (3), Adjektive (4), Nebensätze (5) und Infinitivkonstruktionen (6) auftreten: (1) Vielleicht regnet es morgen. (2) Es hat den ganzen Tag geregnet. (3) Bei einer Temperatur von 40 Grad gerät man ins Schwitzen. (4) Wahrscheinlich findet eine Holzauktion statt. (5) Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich's Wetter oder bleibt, wie's ist. (6) Anstatt zu faulenzen, steigen wir auf den Wilden Kaiser. Zu bestimmten Verben können Satzadverbialia auch als Adverbialkomplemente treten.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 56

(7) Bruno wohnt dort schon lange. (8) Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr. (9) Der DAX ist um 123 Punkte gestiegen. Die Satzadverbialia unterteilen sich in zwei Großgruppen mit jeweils weiteren Untergruppen:

Modale Satzadverbialia

• Assertive Satzadverbialia: offenkundig, dummerweise, ohne Zweifel, wie erwartet, gewiss

• Modal abschwächende Satzadverbialia: eventuell, hoffentlich, wie verlautet • Negative Satzadverbialia: (gar/überhaupt) nicht, keineswegs, nirgendwo

Kontextspezifizierende Satzadverbialia:

• Quantifizierende Satzadverbialia: selten, manchmal, zum wiederholten Mal, lange, drei Stunden, ewig

• Temporaladverbialia: neulich, heute, jemals, bisher, wann, solange er da ist • Lokaladverbialia: da, daran, woanders, oberhalb, links, draußen, östlich, links neben

der Kirche • Redehintergrundadverbialia:wegen +NP, ungeachtet +NP, seinentwegen/~halben,

darum, dafür, dann, Nebensätze eingeleitet mit wenn, weil, obwohl, (so) dass

Verbgruppenadverbalia

Als Verbgruppenadverbiale (Plural: Verbgruppenadverbialia) bezeichnen wir ein Adverbiale, das eine Verbgruppe modifiziert, also zusammen mit einer Verbgruppe wieder eine (erweiterte) Verbgruppe ergibt. Ausdrücke für Verbgruppenadverbialia sind Adverbien (1), Adjektive (2), Adjunktorphrasen (3), Präpositionalphrasen (4) und Nebensätze(5). (1) Er arbeitet gern in Hoyerswerda. (2) Sie rannte schnell weg. (3) Sie rennt wie ein Wiesel. (4) Mit Begeisterung stürzte er sich auf die neue Aufgabe. (5) Sie rennt, als wäre eine Meute Hunde hinter ihr her. In seltenen Fällen können Verbgruppenadverbialia auch als Adverbialkomplemente fungieren: (6) Sie wohnten sehr behaglich. (7) Ihre Kinder benahmen sich unmöglich. Die Verbgruppenadverbialia unterteilen sich in drei Gruppen mit jeweils weiteren Untergruppen:

Dimensionsbezogene Modifikatoren

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 57

• Dimensionsmodifizierende Modifikatoren: träge, gern, kaum, leicht • Modifikatoren, die weitere Ereignisdimensionen einführen: damit, mit + NP (... spielt

mit seinem Hund ) • Dimensional bewertende Modifikatoren: falsch, schön, sehr elegant, eiskalt

Modifikatoren mit Bezug auf Ereignisbeteiligte

• Qualifizierende Modifikatoren: hungrig, elegant, betrunken, gerupft und ausgenommen

• Quantifizierende Modifikatoren: gemeinsam, einstimmig, im Chor, teilweise

Kausale Modifikatoren

• Kausative Modifikatoren: tödlich, erfolgreich, laut, sichtbar, bis zur Erschöpfung • Resultative Modifikatoren: dankbar, gehorsam, gezwungenermaßen, aus eigenem

Antrieb • Mediative Modifikatoren: brieflich, per E-Mail, kirchlich, polizeilich, steckbrieflich

Abtönungspartikeln

Abtönungspartikeln wie ja, halt, doch, denn, eben, vielleicht sind typisch für die gesprochene Sprache. Abtönungspartikeln fungieren nur als Supplemente. Sie spezifizieren Äußerungen in Bezug auf Erwartungen und Einstellungen des Sprechers und der Adressaten und tragen dadurch dazu bei, diese Äußerungen in den jeweiligen Handlungszusammenhang zu integrieren. Sie sind großteils unbetont, aber es gibt auch eine Reihe von betonten Abtönungspartikeln (= rote Schrift). Beispiele: Ist Erich etwa krank? Das ist ja die Höhe! Komm ja nicht zu spät nach Hause. Das ist vielleicht eine Hitze heute! Was hat er wohl heute Leckeres gekocht? Das war schon unangenehm! Abtönungspartikeln sind untereinander kombinierbar, können aber anders als die beiden anderen Supplementtypen keine Phrasen bilden: Du hast doch wohl nicht etwa Angst? Die Abtönungspartikeln werden formal und funktional abgegrenzt. Formal nach ihren Stellungseigenschaften, nach ihrem Vorkommen in bestimmten Satzmodi und nach ihren Akzentuierungsmöglichkeiten. Funktional unterscheiden sie sich nach der Differenzierung bzw. Abtönung von Satzmodi, nach den Arten des Wissens von Sprecher und Hörer sowie hinsichtlich ihrer textverknüpfenden Funktion.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 58

Satzadverbialia

Ein Satzadverbiale (Plural: Satzadvebialia) ist ein Adverbiale, das sich im Unterschied zum Verbgruppenadverbiale auf den ganzen Satz bezieht, d.h. zusammen mit einem vollständigen Satz einen neuen Satz ergibt. Satzadverbialia lassen sich über folgenden Test von Verbgruppenadverbialia unterscheiden: Ein Ausdruck m eines Satzes ist dann ein Satzadverbiale, modifiziert also einen ganzen Satz, wenn folgende Paraphrase eines Satzes s, der m enthält, möglich ist: Es ist / war .... m der Fall, dass s' , wobei s' aus s durch Weglassen von m entsteht. Beispiele zum Test: Vielleicht kommt ein Sturm. 'Vielleicht ist es der Fall, dass ein Sturm kommt.' Gestern hat es geregnet. 'Gestern war es der Fall, dass es regnet.' Maier ist beim Bergsteigen tödlich verunglückt. *'Es war tödlich der Fall, dass Maier beim Bergsteigen verunglückt.' 'Es war beim Bergsteigen der Fall, dass Meier tödlich verunglückt.' Als Satzadverbialia können Adverbien (1), Nominalphrasen (2), Präpositionalphrasen (3), Adjektive (4), Nebensätze (5) und Infinitivkonstruktionen (6) auftreten: (1) Vielleicht regnet es morgen. (2) Es hat den ganzen Tag geregnet. (3) Bei einer Temperatur von 40 Grad gerät man ins Schwitzen. (4) Wahrscheinlich findet eine Holzauktion statt. (5) Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich's Wetter oder bleibt, wie's ist. (6) Anstatt zu faulenzen, steigen wir auf den Wilden Kaiser. Zu bestimmten Verben können Satzadverbialia auch als Adverbialkomplemente treten. (7) Bruno wohnt dort schon lange. (8) Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr. (9) Der DAX ist um 123 Punkte gestiegen. In Grammatiken, die nach Wortarten untergliedert sind, erscheinen die Satzadverbialia im Kapitel "Adverb". Diese werden dann oft in syntaktische und semantische Subklassen gegliedert. Bei der hier folgenden Beschreibung der Satzadverbialia ist die Funktion als Supplement schon festgelegt (bis auf die o.a. Ausnahmen in den Beispielen 7 - 9). Deshalb interessieren im Folgenden vor allem die semantischen Subklassen. Die Satzadverbialia unterteilen sich in zwei Großgruppen mit jeweils weiteren Untergruppen. Modale Satzadverbialia Kontextspezifizierende Satzadverbialia

Modale Satzadverbialia

Eine besondere Rolle spielen modale Satzadverbialia, die sich auf die Geltung einer Äußerung beziehen. Je nachdem, wie sie sich auf die Geltung einer Äußerung auswirken, spricht man von assertiven, modal abschwächenden oder negativen Satzadverbialia.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 59

Bei Satzadverbialia, die die Gültigkeit eines Satzes bestätigen, sprechen wir von assertiven Satzadverbialia. Sie lassen den Schluss von einem Satz s mit einem Satzadverbial (Es schneit wirklich.) auf einen Satz s' ohne dieses zu (Es schneit. ). Als modal abschwächende Satzadverbialia gelten Ausdrücke, die zwar diesen Schluss nicht zulassen, aber darauf schließen lassen, dass der eingebettete Satz möglicherweise wahr ist (Wahrscheinlich schneit es. --> Möglicherweise schneit es.). Bei Sätzen mit negativen Satzadverbialia kann man auf die Falschheit des Satzes schließen, der um das Adverbiale reduziert wurde (Es schneit niemals.--> Es schneit nicht.) . Wie alle Adverbialia können auch Satzadverbialia allein im Vorfeld eines Aussagesatzes stehen. Komplexe Phrasen können sie allenfalls mit Intensitätspartikeln bilden (völlig unzweifelhaft, ganz offenbar).

Kontextspezifizierende Satzadverbialia

Die kontextspezifizierenden Satzadverbialia dienen der genaueren "Verortung" von Umständen für die der Restsatz gilt. Das sind überwiegend größenbezogene Ausdrücke, die sich auf Größen wie Zeit, Raum, Temperatur u.ä. beziehen. Diese Adverbialia bringen zum Ausdruck, dass die Wahrheit des eingebetteten Satzes von einer bestimmten Größe abhängig ist. In (1) ist es der Ort und in (2) die Zeit:

1. Die letzten olympischen Spiele fanden in Australien statt. 2. Die letzten olympischen Spiele fanden im Jahr 2000 statt.

Die Größe "Zeit" wird ausgedrückt durch quantifizierende oder temporale Satzadverbialia, die Größe "Raum" durch Lokaladverbialia. Weiterhin gibt es noch eine kleine Gruppe von nicht-größenbezogenen Satzadverbialia, die hier "Redehintergrundadverbialia" genannt werden. Diese spezifizieren Kontexte u.a. als Bedingung, Ursache, Folge oder Zweck. Quantifizierende Satzadverbialia: selten, manchmal, zum wiederholten Mal, lange, drei Stunden, ewig Temporaladverbialia: neulich, heute, jemals, bisher, wann, solange er da ist Lokaladverbialia: da, daran, woanders, oberhalb, links, draußen, östlich, links neben der Kirche Redehintergrundadverbialia: wegen +NP, ungeachtet +NP, seinentwegen/~halben, darum, dafür, infolgedessen Zum Stellungsverhalten siehe Mittelfeld/Kontextspezifizierende Satzadverbialia und Vorfeld/Adverbialsupplemente

Verbgruppenadverbialia

Wir haben den Verbalkomplex, die Komplemente und die Supplemente als die primären Komponenten (traditionell: Satzglieder) des Satzes festgelegt. Bei den Supplementen, um die es hier geht, gibt es drei Typen: Satzadverbialia, Abtönungspartikeln und Verbgruppenadverbialia (abgekürzt: VG-Adverbialia, Singular: Verbgruppenadverbiale). Letztere werden im Folgenden syntaktisch und semantisch beschrieben. Andere Bezeichnungen für VG-Adverbialia sind: Umstandsbestimmung, (modifizierende) Angabe, Prädikativ. Die ersten beiden sind auch alternative Bezeichnungen für Satzdaverbialia. D.h. diese beiden Klassen von Adverbialia werden traditionell oft gar nicht unterschieden. Man sieht sie hauptsächlich als Gegensatz zu den direkten und indirekten Objekten oder als nicht von der Verbbedeutung geforderte "Angaben". Mit

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 60

"Umstandsbestimmung" hat man versucht, ihren Beitrag zur Satzbedeutung zu umreißen. Es wurde dann noch differenziert in "Umstände des Ortes, des Raumes, der Zeit und der Art und Weise". Die hier gewählten Termini Verbgruppenadverbiale und Satzadverbiale machen die unterschiedliche Funktion, genauer den unterschiedlichen Bezugsbereich dieser beiden Adverbialklassen deutlich. Die Abgrenzung dieser beiden Supplementtypen und die genauerer Bestimmung der VG-Adverbialia erfolgt in der Einheit Definition. Wichtig ist festzuhalten, dass VG-Adverbialia eine syntaktische Klasse darstellen. Sie müssen deshalb streng von der Wortart Adverb unterschieden werden. Adverbien sind nur eine von mehreren Realisierungsformen von VG-Adverbialia. Weiterhin kann ihr semantischer Bezugsbereich (Skopus) und der Einfluss ihrer Stellungseigenschaften auf den Skopus beschrieben werden. Wie bei den Satzadverbialia gibt es auch bei den VG-Adverbialia mehrere semantische Subklassen:

• Dimensionsbezogene Modifikatoren (träge, gern, kaum ) • Modifikatoren mit Bezug auf Ereignisbeteiligte (hungrig, elegant, gemeinsam ) • Kausale Modifikatoren (erfolgreich, laut, dankbar )

Definition

Verbgruppenadverbialia (VG-Adverbialia) kann man mit folgendem Test von Satzadverbialia abgrenzen: Ein Ausdruck k ist dann ein Verbgruppenadverbiale, modifiziert also eine Verbgruppe, wenn die folgende Paraphrase eines Satzes s, der k enthält, nicht möglich ist: 'Es ist / war k der Fall, dass s' ', wobei s' aus s durch Weglassung von k entsteht. Er liest gern Kriminalromane. *'Es ist gern der Fall, dass er Kriminalromane liest.' Marina tanzt wunderschön. *'Es ist wunderschön der Fall, dass Marina tanzt.' An seinem Unterlauf fließt der Amazonas träge dahin. *'Es ist träge der Fall, dass der Amazonas an seinem Unterlauf dahin fließt.' Er spielte Tennis immer mit großem Einsatz. *'Es war mit großem Einsatz der Fall, dass er Tennis spielt.' Als Verbgruppenadverbiale bezeichnen wir ein Adverbiale, das eine Verbgruppe modifiziert, d.h. das zusammen mit einer Verbgruppe wieder eine (erweiterte) Verbgruppe ergibt. VG-Adverbialia sind also Modifikatoren, die im Satz i.d.R. die Rolle von Supplementen einnehmen. VG-Adverbialia sind eine syntaktische Klasse und müssen deutlich von der Wortart Adverb unterschieden werden. VG-Adverbialia können mit einfachen (gern) und mit zusammengesetzten Ausdrücken (mit Vorliebe) realisiert werden. Ausdrücke für Verbgruppenadverbialia sind Adverbien (1), Adjektive (2), Adjunktorphrasen (3), Präpositionalphrasen (4) und Nebensätze(5).

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 61

(1) Er arbeitet gern in Hoyerswerda. (2) Sie rannte schnell weg. (3) Sie rennt wie ein Wiesel. (4) Mit Begeisterung stürzte er sich auf die neue Aufgabe. (5) Sie rennt, als wäre eine Meute Hunde hinter ihr her. In seltenen Fällen können Verbgruppenadverbialia auch als Adverbialkomplemente fungieren, weil sie valenzgebunden sind: (6) Sie wohnten sehr behaglich. (7) Ihre Kinder benahmen sich unmöglich. Eine genaue Abgrenzung zwischen Supplement- und Komplementkonstruktionen ist nicht pauschal möglich, da sie in Abhängigkeit von den einzelnen Verbbedeutungen vorzunehmen ist. Übung: Verbgruppenadverbialia

Handelt es sich bei den folgenden Beispielen um Sätze, die gemäß der Definition VG-Adverbialia enthalten?

1. Sie ist teilweise von ihrer Aussage abgerückt.

2. In Hamburg hat es gestern geregnet. 3. Er hat das Abitur leider nicht geschafft. 4. Die Unstrut glitt träge unter der Holzbrücke dahin.

5. Wir haben das Problem gemeinsam gelöst.

6. Warum hat er eigentlich gebrüllt? 7. Sie hatte sich mit Begeisterung auf die neue Aufgabe gestürzt.

8. Die Erwachsenen haben sich unmöglich benommen.

9. Fazit: Testesser leben gefährlich.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 62

Abtönungspartikeln

Sie können sich vorab im Kapitel Wortarten über die Abtönungspartikeln informieren. Die für die Supplementfunktion wichtigen Eigenschaften werden aber im Folgenden zusammengefasst und ergänzt. Zu den Abtönungspartikeln rechnen wir in Progr@mm die folgenden: (Fettschrift = betonte Abtönungspartikeln): aber, auch, bloß, bloß, denn, denn, doch, doch, eben, eh, eigentlich, eigentlich, einfach, etwa, fei, halt, ja, ja, mal, man, nicht, nur, ruhig, ruhig, schon, schon, überhaupt, überhaupt, vielleicht, wohl, wohl. Eh, fei und man sind regional begrenzt, werden aber im ganzen deutschen Sprachraum verstanden. Einige Abtönungspartikeln haben - wie aus der Liste oben ersichtlich - betonte "Verwandte", die aber eigenständige Mitglieder dieser Partikelsubklasse sind. Eh kommt nur betont vor. Wie oft in der Grammatik, sind solche Abgrenzungen diffus bzw. an den Rändern offen. Bei manchen Einheiten - etwa bei überhaupt, eigentlich, einfach, erst - ist die Zuordnung unklar, da ihre abtönende Funktion im Mittelfeld von anderen Funktionen, wie z.B. der Satzverknüpfungsfunktion der Konnektoren, nur schwer zu unterscheiden ist. Entsprechend uneinheitlich werden diese Einheiten in der Partikelforschung behandelt. Einige Grammatiken zählen auch die betonten Einheiten nicht zu den Abtönungspartikeln. Die Abtönungspartikeln bilden keine Phrasen. Möglich sind allerdings Kombinationen von Abtönungspartikeln. Davon unberührt ist die Tatsache, dass einige davon auch Elemente anderer Wortklassen sein können, aus denen sie sich auch entwickelt haben, zum Beispiel: Konjunktoren (aber, denn ), Gradpartikeln (nur, schon ), Adverbien (vielleicht ) und Adjektive (einfach, ruhig ). Anders als diese, haben die Abtönungspartikeln aber die "ursprüngliche" Bedeutung weitgehend verloren, die sie als Elemente der o.a. Wortklassen hatten. Ihre Bedeutung ist abgeschwächt oder verblasst. Mit den Abgrenzungsproblemen und den Homonymen in anderen Wortklassen hängt zusammen, dass es für diese Subklasse der Partikeln verschiedene Bezeichnungen gibt bzw. gab. In den letzten dreißig Jahren ist die spezifische Leistung bzw. kommunikative Funktion der Abtönungspartikel herausgearbeitet worden. So z.B. durch Harald Weydt, Maria Thurmair und Armin Burkhardt. Abtönungspartikeln sind typisch für die gesprochene Sprache. Es bestehen generell Bindungen zwischen einzelnen Abtönungspartikeln und bestimmten Satzmodustypen. Abtönungspartikeln können nicht allein im Vorfeld stehen. Sie fungieren nur als Supplemente. Mit folgendem Test können Abtönungspartikeln von den beiden anderen Supplementtypen Satzadverbialia und Verbgruppenadverbialia unterschieden werden:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 63

Test für Abtönungspartikeln

Ein Ausdruck a ist dann eine Abtönungspartikel, wenn es nicht möglich ist, einen gegebenen Aussagesatz s, der a enthält, wie folgt zu paraphrasieren:

Es ist/war/... der Fall, dass s'. (s' enthält a.)

Beispiel: Es regnet ja. *'Es ist der Fall, dass es ja regnet.' Wenn die Paraphrase möglich ist, handelt es sich um einen Satz mit Satzadverbiale oder mit Verbgruppenadverbiale: Es regnet heute. 'Es ist der Fall, dass es heute regnet.' Es regnet in Strömen. 'Es ist der Fall, dass es in Strömen regnet.' Die Supplemente in Form von Abtönungspartikeln stellen eine Funktionsklasse dar, die im Deutschen besonders ausgebaut ist. Natürlich können diese Funktionen auch in anderen Sprachen ausgedrückt werden, aber meist nicht durch eine eigene Wort- oder Funktionsklasse. Als Beispiel mögen folgende drei Äußerungen aus "Tom Sawyer" von Mark Twain in drei verschiedenen Sprachen dienen (vgl. Weydt, 1969, 20). 1. engl. What do you call work?

franz. Qu'est-ce que tu appelles travailler?

deutsch Was nennst du eigentlich abeiten?

2. engl. What is it?

franz. Qu'est-ce que c'est?

deutsch Was is (!) es denn?

3. engl. What's your name?

franz. Comment t'appelles-tu?

deutsch Wie heißt du denn überhaupt? Der deutsche Übersetzer des "Tom Sawyer" hat an vielen Stellen Abtönungspartikeln eingebaut, ohne dass in der englischen Vorlage ein entsprechendes Wort vorhanden war. Die Abtönungsfunktion wird offensichtlich im Englischen und Französischen - zumindest in

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 64

diesen Beispielen - mit anderen Mitteln ausgedrückt, z. B. intonatorischen. Da es sich hierbei um die schriftliche Wiedergabe von mündlich konzipierten Äußerungen handelt, kann man in 2. und 3. für das englische Original eine stark ansteigende und dann ebenso stark abfallende Tonkurve erwarten, die einen Bezug zum Vortext und eine erhöhte Intensität der Frage signalisiert. Beides kann im Deutschen durch die Abtönungspartikel denn ausgedrückt werden. Diese Supplementklasse enthält nur die o.e. einfachen Abtönungspartikeln. Sie bilden keine Phrasen. Möglich sind allerdings Kombinationen von Abtönungspartikeln Du hast doch wohl nicht etwa Angst? Abtönungspartikeln sind typisch für die gesprochen Sprache und beziehen sich auf den Satz als kommunikative Einheit. Sie operieren auf Erwartungen und Einstellungen des Sprechers und der Adressaten und sind daher nicht erfragbar. Sie tragen dazu bei, Äußerungen in den jeweiligen Handlungszusammenhang zu integrieren. Damit verbunden ist oft eine bestimmte "Abtönung" oder "Einfärbung" der betreffenden Äußerung z.B. als Abschwächung einer Aufforderung durch mal oder als Ausdruck des Erstaunens in Ausrufen durch (das unbetonte) ja . Die abtönende Wirkung kann aber auch eine Verstärkung sein. z.B. bei einer Warnung oder Drohung mit (dem betonten) ja : Mach das ja nicht noch einmal ! Wie Satzadverbialia beziehen sich auch Abtönungspartikeln auf einen Satz. Besonders modale Satzadverbialia sind in ihrer Funktion den Abtönungspartikeln ähnlich: Das ist wohl ein Irrtum. (= Abtönungspartikel) Das ist wahrscheinlich ein Irrtum. (= Satzadverbiale) Den funktionalen Unterschied kann man wie folgt deutlich machen:

• Abtönungspartikeln setzen auf dem Satz als Einheit von Satzmodus und Proposition, also der Kernbedeutung des Satzes auf. Sie haben keine modifizierende Wirkung

• Modale Satzadverbialia modifizieren die Geltung einer Proposition.

Stellungsverhalten

Abtönungspartikeln sind typische Mittelfeldeinheiten. Die Abfolge der verschiedenen Typen von Supplementen wird im Kapitel Mittelfeld/Supplemente beschrieben. Innerhalb des Mittelfeldes ist die Position der Abtönungspartikeln nicht streng festgelegt. Verglichen mit anderen Supplementtypen haben sie den weitesten Skopus. Sie gehen deshalb meist den Adverbialia voraus. Die generelle Abfolgeregel lautet:

Abtönungspartikeln >> Satzadverbialia >> Verbgruppenadverbialia

Warum hat eigentlich der Chef gestern so laut gebrüllt? Ich habe das ja damals nicht richtig verstanden. Das Hemd ist halt leider eng ausgefallen. Zu dieser generellen Abfolgeregel gibt es - wie fast immer - Ausnahmen. So können Abtönungspartikeln vor oder nach temporalen Satzadverbialia stehen: Ich will doch nächste Woche zu meiner Mutter fahren. Ich will nächste Woche doch zu meiner Mutter fahren.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 65

Der Subtyp der Frequenzadverbialia ( z.B. wieder, immer, oft, selten ) steht allerdings immer nach den Abtönungspartikeln: Er wollte ja häufig allein sein. * Er wollte häufig ja allein sein. Die Reihenfolge der Abtönungspartikeln in Kombinationen ist dagegen relativ fest geregelt, das gilt vor allem für den häufigsten Fall von Zweierkombinationen:

• Ja steht in allen Kombinationen vorn: Ich hab ja bloß fragen wollen. Das ist ja einfach genial.

• Denn steht in Fragesätzen vorn:

Warum hast du denn auch nichts gesagt? Was ist denn bloß wieder passiert?

• Mal, nur, ja, bloß stehen in Aufforderungs- und Wunschsätzen an zweiter Stelle:

Das ist wohl bloß ein Patzer gewesen. Halt nur ja die Klappe!

• Etwa, nicht, schon stehen in Fragen an zweiter Stelle, wenn sie eine Hypothese des

Sprechers in Bezug auf die Geltung des Sachverhalts ausdrücken: Wer weiß denn schon, dass Goethe eine Schwester hatte? Was ist denn schon dabei?

Es ist eine allgemeine Tendenz festzustellen, dass die wichtigere oder spezifischere Abtönungspartikel nach der weniger spezifischen steht. Die Abtönungspartikel-Kombinationen können sowohl in Kontaktstellung stehen wie auch durch andere Elemente des Satzes getrennt sein: Kommt er denn seit der Scheidung etwa nicht mehr? Das ist wohl damals bei ihm bloß ein Patzer gewesen. Es gibt nur wenige feste Kombinationen wie doch nicht etwa, doch bloß, doch nur. Du hast doch nicht etwa mit Ulla getanzt. Das ist doch bloß wieder eine Finte. Wenn es doch nur aufhören würde zu regnen. Weitere Kombinationsmöglichkeiten sind beschrieben in Subklassifizierung nach Satzmodi.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 66

Wortarten Auf die Frage, worin sich Sprache gemeinhin manifestiert, wird die landläufigste Antwort lauten: Sprache manifestiert sich in Wörtern. Bei einer grammatischen Beschreibung der deutschen Sprache sind Wörter aber nur auf einer von verschiedenen Beschreibungsebenen angesiedelt. Bei der Beschreibung von Sprache gibt es grundsätzlich zwei Perspektiven. Einerseits kann man absteigend (deszendent), andererseits kann man aufsteigend (aszendent) vorgehen. Deszendentes Vorgehen bedeutet, dass Sprache von der größten Einheit aus betrachtet wird und in immer kleinere Einheiten segmentiert wird. Das aszendente Vorgehen ist das umgekehrte. Wenn wir deszendent vorgehen, gehen wir vom Text aus und beschreiben dann die Einheiten, die den Text aufbauen, nämlich die komplexen und die einfachen Sätze. Die Sätze wiederum sind aufgebaut aus Phrasen und diese aus den Wörtern. Damit sind wir aber noch nicht am unteren Ende der deszendenten Beschreibung angelangt. Wörter werden gebildet aus einem oder mehreren Morphemen, den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache. Diese wiederum setzen sich aus den kleinsten bedeutungsunterscheidenden Elementen der Sprache, den Phonemen, zusammen.

Aszendente Beschreibung

Texte können auf Grund verschiedener Eigenschaften zu Textsorten klassifiziert werden. Sätze werden nach dem Grad ihrer Komplexität und nach ihrer Form und ihrer Funktion klassifiziert. Und wenn wir hier Wörter nach bestimmten Eigenschaften klassifizieren, dann sprechen wir von Wortarten oder Wortklassen. Relevant für die Beschreibung der Satzstruktur werden Wörter als syntaktische Wörter, als spezifische grammatische Ausprägungen eines Worts in einer ganz bestimmten, flexivisch markierten Wortform. In Sätzen realisierte Wörter sind also immer syntaktische Wörter. Formgleiche syntaktische Wörter können unterschiedliche Funktionen einnehmen. So kann die Wortform zerstörte, die im Beispiel

Sie zerstörte seine Hoffnungen.

als 3. Person Singular Indikativ Aktiv Präteritum des Verbs zerstören bestimmt werden muss, in anderer lexikalischer Umgebung ein anderes syntaktisches Wort repräsentieren, z. B. die 1. Person Singular in ich zerstörte oder ein attributives Partizip in das zerstörte Reich. Die für die Beschreibung der Lexikon-Eigenschaften relevante Einheit, das Lexem, ergibt sich unter Absehung von grammatischen Kategorisierungen wie Person, Numerus, Kasus etc. sozusagen als Zusammenfassung des Paradigmas verschiedener syntaktischer Wörter unter einer Zitierform, hier das Verb zerstören. Die Zitierform bei Verben ist immer der Infinitiv, bei Substantiven ist es der Nominativ Singular. Wörter in diesem Sinne, also Lexeme oder lexikalische Einheiten, können hinsichtlich verschiedener Kriterien kategorisiert werden: nach ihren morphologischen, syntaktischen und semantischen Merkmalen. Nur die semantischen führen zu übereinzelsprachlichen Kategorien und können deshalb beim Sprachvergleich herangezogen werden. Die morphologischen und syntaktischen Eigenschaften sind jeweils einzelsprachliche Ausprägungen.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 67

semantische Eigenschaften

Einige zentrale semantische Eigenschaften, - kognitive und konzeptuelle Grundfunktionen - nach denen man Wörter klassifizieren kann, finden sich in allen Sprachen. Wörter können Prädikate ausdrücken, - das ist im Deutschen die Hauptaufgabe von Verben; Wörter können wie im Deutschen die Nomina Gegenstände charakterisieren; Wörter können Sachverhalte modifizieren und spezifizieren, das sind die Hauptaufgaben der Adjektive und der Adverbien; Wörter können aber auch Sachverhalte zueinander in Beziehung setzen, das leisten vor allem Junktoren, Präpositionen, Partikeln und Adverbien.

morphologische Eigenschaften

Nach morphologischen Eigenschaften unterscheidet man flektierbare von unflektierbaren Wortarten. Flektierbare Wortarten haben einen (von Ausnahmen abgesehen) unveränderbaren Stamm und veränderbare (Flexions-) Endungen/Flexive. In der Menge der flektierbaren Wörter ergeben sich die Hauptklassen Verb, Nomen, Adjektiv, Artikel, Pronomen. Ihre Veränderung erfolgt je nach der morphologischen Kategorisierung (Numerus, Genus, Kasus, Person, Tempus, Verbmodus, Genus verbi, Komparation). Üblicherweise bezeichnet man die Flexion des Verbs als Konjugation, die der nominalen Wortarten (Nomen, Adjektiv, Artikel, Pronomen) als Deklination. Unflektierbare Wörter dagegen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nie verändert werden, sie kommen nur in einer Form vor. Zu den Wortarten, deren Vertreter nicht flektiert werden, zählen die Adverbien, Partikeln, Präpositionen und Junktoren.

syntaktisch-distributionelle Eigenschaften

Für die genauere Ermittlung und die Subklassifizierung der vier traditionellen nominalen Wortarten Nomen, Adjektiv, Artikel und Pronomen müssen zusätzlich syntaktisch-distributionelle Kriterien herangezogen werden wie z. B. die Position von Wörtern in Sätzen oder Phrasen, die syntagmatischen (horizontalen) Beziehungen zu anderen Einheiten im Satz (Rektion, Kongruenz, Valenz) oder die Stellungseigenschaften in der linearen Satzstruktur. Bei den unflektierbaren Wörtern werden mangels eindeutiger morphologischer Flexive vor allem die syntaktisch-distributionellen Eigenschaften für die Klassenbildung relevant.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 68

Überblicksgrafik: die Hauptwortarten des Deutschen mit den wichtigsten differenzierenden Merkmalen

Begründung unserer Wortarten-Klassifikation

In der Geschichte der Sprachwissenschaft hat es seit der Antike immer wieder Versuche einer Strukturierung des Wortschatzes einer Sprache nach Wortarten gegeben (vgl. z. B. Junker (1997)). Anzahl und Art der ermittelten Klassen differieren dabei erheblich, etwa von den zwei Hauptklassen bei der semantischen Klassifikation in der bei Plato und Aristoteles begründeten griechisch-römischen Tradition (referierend vs. prädizierend; Onoma und Rhema; entspricht grosso modo der Unterscheidung zwischen Nomen und Verb) bis zu den 51 syntaktisch begründeten Klassen fürs Deutsche bei Bergenholtz / Schaeder. Prinzipiell kann man den Wortschatz einer Sprache nach ganz verschiedenen Kriterien in Gruppen einteilen, etwa nach der Anzahl der Buchstaben, Silben oder Morpheme, in Wörter

Wie kann man Wörter einteilen "Wir werden sagen können: in der Sprache (...) haben wir verschiedene Wortarten. Denn die Funktion des Wortes 'Platte' und des Wortes 'Würfel' sind einander ähnlicher als die von 'Platte' und von 'd'. Wie wir aber die Worte nach Arten zusammenfassen, wird vom Zweck der Einteilung abhängen, - und von unserer Neigung. Denke an die verschiedenen Gesichtspunkte, nach denen man Werkzeuge in Werkzeugarten einteilen kann. Oder Schachfiguren in Figurenarten." Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, §17

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 69

mit gleichem Wortstamm (sogenannten Wortfamilien) oder nach semantischen Feldern wie "Werkzeuge", "Fortbewegungsarten", "Sinneseindrücke" usw. Diese mögen in bestimmten Verwendungszusammenhängen durchaus Sinn haben, für die Grammatik sind aber nur grammatisch begründete Kategorien relevant, d.h. solche, auf die die - phonologischen, morphologischen und syntaktischen - Regeln der Grammatik Bezug nehmen. So kann man Klassen von Wörtern ermitteln, die z. B. zusammen mit einem Artikel wie der, ein, dieser eine im Satz verschiebbare Einheit

bilden: die Kuh, die Milch, ein Leben , aber nicht: die gehen, der rot, der aber, der auf, ein weil usw.

zusammen mit einer Nominalphrase, deren Kasus sie bestimmen, eine verschiebbare Einheit - eine Präpositionalphrase - bilden: durch den Wald, an den Vater, über den Zaun, aber zum Beispiel nicht: durch rot, auf aber, an weil, weil den Wald, grün den Zaun, Wald den Zaun usw.

über ein Tempusparadigma verfügen: gehe, ging, bin gegangen, sehe, sah, werde sehen usw.

Die Merkmale, nach denen wir hier in unseren Beispielen Gruppen gebildet haben, sind morphologische und syntaktische. Etwas komplizierter steht es mit semantischen Einteilungskriterien. Zwar werden seit je her Wortarten auch nach ihren semantischen Eigenschaften gekennzeichnet oder sogar benannt (Das Substantiv hat seiner Wortwurzel nach etwas mit Substanz, das Nomen mit Namen zu tun), es ist aber fraglich, inwieweit semantische Merkmale für alle Wortarten a) distinktiv, b) grammatisch relevant und c) auf eine einheitliche Bedeutungstheorie zurückzuführen sind. In einer Traditionslinie etwa werden über ontologisch-semantische, auf die außersprachliche Wirklichkeit bezogene Kategorien wie "Gegenstand", "Eigenschaft", "Prozess", "Relation" die drei Wortarten Nomen (Substantiv), Adjektiv, Verb und eine Restkategorie, die z. B. Präpositionen und Junktoren enthält, differenziert. Aber bezeichnen Nomina wie Härte oder Schönheit im Unterschied zu hart und schön Gegenstände oder Eigenschaften? Bezeichnet Explosion einen Gegenstand oder einen Prozess? Bezeichnet das Verb in das beruht auf einem Irrtum oder in A ist mit B verbunden Prozess oder Relation, und was bezeichnen Ausdrücke wie doch, auch, ja, hm, gern, vielleicht, müssen, dürfen, ich, hier, jetzt ? Über relational-semantische Etikettierungen wie kausal, konzessiv, temporal lassen sich wiederum Mengen bilden, deren Elemente man schon auf intuitiver Basis nicht einundderselben Wortart zuweisen würde; zum Beispiel bezeichnen weil, sodass, denn, wegen, infolge, deshalb, nämlich, begründet sein in, Ursache sein für sämtlich eine Ursache-Folge Relation zwischen zwei Sachverhalten. Im Rahmen einer kommunikativ-funktionalen Grammatik werden auch Wortarten funktional-semantisch bzw. funktional-pragmatisch, das heißt nach ihren kommunikativen Aufgaben und Zwecken im (Sprach-)Handlungszusammenhang unterschieden. Dabei beschreibt man ihre jeweilige Leistung für elementare sprachliche Funktionen wie das Entwerfen von Gegenständen und Sachverhalten, deren Thematisierung oder thematische Fortführung, und ihren jeweiligen Anteil am Aufbau von elementaren sprachlichen Funktionseinheiten wie Proposition, Prädikat, Argument, Modifikation, Gradierung sowie ihren Beitrag zur Organisation situationsgebundener Diskurse, beispielsweise beim Sprecherwechsel oder der Redekommentierung. In welchem Verhältnis stehen aber nun die morphologischen, syntaktischen und funktional-semantischen Charakterisierungen zueinander? Prinzipiell sind natürlich homogene Klassifikationen denkbar, die sich nur eines Merkmals bedienen. Nach dem morphologischen Kriterium "Flektierbarkeit/Veränderbarkeit" zerfallen Wörter in zwei Großklassen, wobei

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 70

innerhalb der veränderlichen noch weiter nach den Flexionskategorien untergliedert werden kann. Wenn man dies nun für die fünf traditionell etablierten Kategorien versucht, müssen z. B. Artikel und Nomen einer Klasse zugeordnet werden. Darüber hinaus fallen bei solch einer homogenen Klassifizierung Einheiten wie Milch, man, allerlei in eine Klasse mit doch, nun, ja, nicht, dass und zu . Alle Einheiten werden nicht verändert. Eine so gewonne Klasse wäre zu groß, um irgendwie operabel zu sein. Die morphologische Charakterisierung muss also mindestens um eine syntaktische ergänzt werden. Diese bezieht sich auf

die Position von Wörtern in Ausbaueinheiten (ob eine Einheit überhaupt zu einer Phrase ausbaubar ist, mit welchen Einheiten sie sich zu einer komplexeren Einheit verbindet)

die Position in der linearen Satzstruktur (z. B. ob eine Einheit selbständig im Vorfeld stehen kann)

die syntagmatischen Beziehungen zu anderen Einheiten im Satz (z. B. ob eine Einheit eine andere Konstituente im Satz hinsichtlich einer Kategorie wie Numerus, Person oder Kasus regiert oder darin mit ihr kongruiert, ob sie Valenz-Leerstellen für andere Konstituenten eröffnet)

Syntaktisch-distributionelle Eigenschaften werden vor allem bei der Klassenbildung der unflektierbaren Wortarten relevant. Ohne Charakterisierungen wie "bildet mit Artikel zusammen eine Nominalphrase", "hat ein inhärentes Genus", "regiert ein Nomen im Nominativ", "bildet eine Verbalphrase" könnten aber auch Einheiten wie Milch oder bruchrechnen nicht den Klassen Nomen respektive Verb zugeordnet werden. Schließlich kommen - vor allem bei der Feindifferenzierung in Subklassen - auch funktional-semantische Kriterien zum Tragen: so kann etwa über das semantische Merkmal "kann selbständig als Argument fungieren" man der Intuition entsprechend den Pronomina zugeordnet werden, obwohl es - anders als das Gros der Pronomina - nicht flektiert. Auch können die Artikel der, ein, dieser, jener nach der Art des Verweises, den ein Sprecher mit ihnen in einer sprachlichen Handlung tätigt, in die Subklassen definiter Artikel, indefiniter Artikel, Demonstrativ-Artikel eingeteilt werden. Für unsere Wortarten-Einteilung machen wir uns alle die genannten Kriterien zu Nutze und treffen eine Bestimmung jeweils auf der Basis eines Merkmal-Bündels aus funktional-semantischen, morphologischen und syntaktischen Eigenschaften. Diese Merkmale sind nun allerdings nicht als gleichberechtigte zu verstehen, sondern im Sinne einer Merkmalshierarchie: für die Einteilung gehen morphologische vor syntaktisch-distributionellen vor semantischen Kriterien. Die letzteren spielen teilweise überhaupt nur für die Differenzierung in feinere Subklassen eine Rolle. Auf diese Weise ermittelten wir die neun distinktiven Klassen Nomen, Pronomen, Artikel, Adjektiv, Verb, Präposition, Adverb, Partikel und Junktor, die ihrerseits wieder in feiner gerasterte Unterklassen zerfallen. Die neun Großklassen sind terminologisch und dem Gegenstand nach weitgehend mit traditionellen Wortarten identisch, dagegen findet sich bei den Subklassen manches Neue. Bei der von uns zugrundegelegten Merkmalshierarchie mit morphologischem und syntaktischem Primat lassen sich manche traditionellen Klassen wie "Interrogativpronomen", "Relativpronomen", nicht sauber als Wortarten klassifizieren. Solche Klassen enthalten - bei einer funktionalen Einheitlichkeit - formal recht unterschiedliche Elemente, die im Rahmen unserer Wortarteinteilung auch verschiedenen Wortarten angehören. Um diese unter funktionalem Gesichtspunkt dennoch adäquat beschreiben zu können, fassen wir sie als zu

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 71

den Wortarten querliegende Klassenbildungen zusammen: Es sind die Klassen der Interrogativ-Elemente, Relativ-Elemente und der interaktiven Einheiten.

Pronomen Pronomen im Überblick morphologische Eigenschaften syntaktische Eigenschaften semantische und funktionale Eigenschaften Subklassen

Pronomen im Überblick

Hier werden nur allgemeine Charakteristika zu Pronomen erläutert. Alles Weitere finden Sie in den Erklärungen der Subklassen. Unter Pronomen (Plural: Pronomina) verstehen wir eine zusammenfassende Sammelbezeichnung für eine Reihe verschiedener, formal wie funktional heterogener Wortklassen, die gemeinsam haben, dass sie in einem Satz selbständig als Komplemente fungieren können.

Katharina, Franz und Lydia sind zufrieden mit ihrer Arbeit. Alle sind zufrieden mit ihrer Arbeit.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen:

Proform, Fürwort, Stellvertreter. In der 'Grammatik der deutschen Sprache' werden Pronomina nach ihrer Funktion als Proterme bezeichnet. Manche Pronomina haben eine identische Artikel-Variante (Kennst du diesen Witz / diesen?). Artikel- und Pronomen-Funktion werden nicht in allen Grammatiken getrennt.

Bestand und Beispiele:

ich, sie, sich, wem, jene, dessen, einer, alle, jeden ...

Sie kann es sich nicht leisten.

Wem soll ich das berichten?

Man sollte einander in Frieden lassen.

morphologische Eigenschaften

Prinzipiell flektieren Pronomina nach Numerus, Kasus und Genus. Bei einzelnen Subklassen oder einzelnen Vertretern können Einschränkungen auftreten.

syntaktische Eigenschaften

Pronomina bilden alleine oder mit nachgestellten Attributen Pronominalphrasen. Viele (der Kollegen) kamen zum Fest.

Mit Ausnahme des Possessiv-Pronomens (die meinen) sind sie nicht mit Artikeln kombinierbar.

*Die alle waren ziemlich gesprächig.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 72

semantische und funktionale Eigenschaften

Die semantische Funktion der Pronomina wird anders als bei Gattungsnamen oder Stoffnamen nicht mittels eines charakterisierenden Prädikats erbracht. Pronomina sind oft polysem/mehrdeutig.

Jene laufen, jene gehen und jene bewegen sich überhaupt nicht ...

Anders als bei Eigennamen ist ihre semantische Funktion nicht auf der Basis vorgängiger Vereinbarungen (Namensgebungsakt) geregelt. Im Übrigen sind die funktionalen Eigenschaften je nach Pronomen-Subklasse sehr unterschiedlich. Subklassen

Kommunikanten-Pronomen: Sprecher-Pronomen und Hörer-Pronomen anaphorisches Personalpronomen generalisierendes Personalpronomen: man gebundenes Personalpronomen: Reflexiv-Pronomen Possessiv-Pronomen Demonstrativ-Pronomen w -Pronomen Indefinit-Pronomen Quantifikativ-Pronomen

Literatur zu Pronomina:

Braunmüller 1977, Haspelmath 1997, Lenerz 1992, Lenerz 1994, Schramm 1980, Vater 1985

Die Form es und ihre Verwendungen

Die Form es hat mehrere Verwendungen 1. anaphorisches Personalpronomen: das Mädchen - es 2. fixes es als semantisch leeres formales Subjekt, insbesondere bei Witterungs- und

Existenzverben: es regnet 3. fixes es als semantisch leeres formales Akkusativkomplement: wie hälst du's mit der

Religion? 4. expletives/Platzhalter- es zur Markierung des Vorfelds in Verbzweitsätzen: Es war

einmal ein Mann... 5. Korrelat zu einem Satz in Subjektfunktion: Was bedeutet es, dass... 6. Korrelat zu einem Akkusativkomplement: Wer wagt es, zu tauchen.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 73

1. anaphorisches Personalpronomen

Als anaphorisches Personalpronomen referiert es auf Personen, Gegenstände und Sachverhalte. Es kann für eine Nominalphrase im Neutrum stehen (1, 3) oder für einen durch einen Satz ausgedrückten Sachverhalt (2, 4), kann die Funktion des Subjekts (1, 2) oder des Akkusativkomplements (3, 4) haben.

1. "Wenn ein Mädchen nicht verheiratet ist, sollte es zumindest einen festen Freund haben", meint Antje (27) aus Hamburg. [Bild, 6.1.1967, S. 5]

2. "Willst du mir vielleicht doch verraten, warum du in den See gesprungen bist? Vielleicht erleichtert es dich?"

3. Wer das neue Pril kennt, wird es zu schätzen wissen . 4. Gelegentlich spielt er Schach und er tut es mit großem Erfolg. 5.

2. fixes es als semantisch leeres formales Subjekt

Das fixe es tritt bei vielen sematisch "nullstelligen" Verben und bei subjektlosen Konstruktionen auf. Es kann nicht als echtes Subjekt gelten.

Es regnet. Jedenfalls soll es heute regnen. Es gibt nichts, was es nicht gibt.

Liste von Verben mit formalem Subjekt-es: nullstellige Verben Beispiel

regnen Es regnet.

frieren Es friert.

schneien Es schneit.

hageln Es hagelt.

stürmen Es stürmt.

schütten Es schüttet.

gießen Es gießt.

ziehen Es zieht.

tauen Es taut.

tagen Es tagt.

nebeln Es nebelt.

blitzen Es blitzt.

dunkeln Es dunkelt.

3. fixes es als semantisch leeres formales Akkusativkomplement

Ein semantisch leeres fixes es kann auch Akkusativkomplement sein.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 74

Wie hältst du's mit der Religion? Er könnte es weit bringen. Falls du es auf den Kleinen abgesehen hast, bekommst du es mit mir zu tun!

Liste von Verben mit formalem Objekt-es

• es gut (schlecht) haben mit jdm. • es gut (schlecht) mit jdm. meinen • es auf jdn./etw. abgesehen haben • es auf etw. anlegen • es sich mit jdm. verderben • es bei etw. belassen • es mit jdm./etw. zu tun bekommen

4. expletives/Platzhalter- es zur Markierung des Vorfelds

Das expletive es besetzt als "Platzhalter" für eine andere Einheit (meist ein ins Satzinnere oder ans Satzende gerücktes Subjekt) die im Aussagesatz strukturell notwendige Vorfeldstelle. Es ist eine reine Stellungseinheit und kein Komplement. Tritt eine andere Einheit ins Vorfeld, kann es nicht mehr auftreten. Auch beim subjektlosen Passiv tritt dieses expletive es auf, wenn das Vorfeld nicht anderweitig besetzt ist.

Es klappert die Mühle am rauschenden Bach. Die Mühle am rauschenden Bach klappert. Es darf gelacht werden! Hier darf wohl gelacht werden. Gelacht werden darf ja wohl noch.

5. Korrelat-es zu einem Satz in Subjektfunktion

Das es in Korrelatfunktion weist im Vorfeld oder Mittelfeld auf einen extraponierten Satz in Subjektfunktion voraus. Dabei handelt es sich nicht um eine echte Besetzung einer Komplementstelle. Dieses Korrelat-es kann obligatorisch oder fakultativ sein und verschwindet nicht automatisch, wenn ein anderes Element als der Subjektsatz ins Vorfeld tritt.

Es war seine Überzeugung, dass es des Königs Aufgabe sei, "die Kirche zu regieren und zu verteidigen" (...) [MK1/WPE, S. 238] Seine Überzeugung war (es), dass ... Die Kirche zu regieren und zu verteidigen ist des Königs Aufgabe.

6. Korrelat- es zu einem Akkusativkomplement

Als Korrelat kann das es auf unterschiedliche Realisierungen eines Akkusativkomplements vorausweisen.

Er findet es gut, dass du kommst. Wer wagt es, auf die Bühne zu kommen?

Weiterführende Literatur zu es : Pütz 1986, Pütz 1991, Kemme 1979, Bergenholtz 1983, Marx-Moyse 1982, Cardinaletti 1990, Askedal 1990, Buscha 1988, Tomaselli 1986 bzw. Recherche unter Objektwort es in der Bibliografie.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 75

Artikel Artikel im Überblick morphologische Eigenschaften syntaktische Eigenschaften semantische und funktionale Eigenschaften Subklassen

Artikel im Überblick

Als Artikel werden eine Reihe von Wörtern bezeichnet, denen die Funktion der Determination gemeinsam ist. Sie können zusammen mit einem Nomen eine Nominalphrase bilden.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen:

Determinativ, Artikelwörter, Determinierer, Determinator. Viele Artikel haben ein Pendant bei den Pronomina (dieser Mensch - dieser; mein Land - meines). Beide Funktionen werden in anderen Darstellungen oft zusammen behandelt ("Begleiter und Stellvertreter des Substantivs").

Bestand und Beispiele:

der, diese, ein, unser, alle, irgendwelche, wieviele, dasselbe, jene ...

die neue Straße, ein altes Haus, diese Bäume, welches Dorf, alle Bürger unseres Dorfs, irgendwelche Neuigkeiten, wieviele Straßen, derselbe alte Hut ...

morphologische Eigenschaften

Artikel flektieren nach den Kategorisierungen Genus (nur im Singular), Numerus und Kasus. Es ergibt sich ein Paradigma mit 16 Stellen. Nur wenige Artikel flektieren nicht: all mein Sinnen und Trachten, welch ein Zwitschern, solch Tun.

syntaktische Eigenschaften

Artikel fungieren als Determinierer, sie bilden mit Nomina eine Nominalphrase. Als Kopf der Nominalphrase fungiert das Nomen. Sie stehen am Anfang der Nominalphrase vor möglichen Attributen. Artikel regieren nachfolgende attributive Adjektive hinsichtlich der Flexionskategorie stark oder schwach. Artikel kongruieren im Numerus mit dem Kopf der Nominalphrase, der seinerseits das Genus des Artikels regiert. Artikel sind nur minimal zu Artikelphrasen ausbaufähig, z.B. indem unflektierte Quantifikativ-Artikel vor eine Nominalphrase treten: all die/diese/meine/jene Entchen, welch ein Aufwand, in diesem unserem Land.

semantische und funktionale Eigenschaften

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 76

Alle Artikel haben die Funktion der Determination. Sie erfüllen als Teile von Termen die Funktionen des Verweisens, der Thematisierung oder der thematischen Fortführung.

Subklassen

definiter Artikel indefiniter Artikel Possessiv-Artikel Demonstrativ-Artikel w-Artikel Quantifikativ-Artikel

Literatur: Grimm 1986, Grimm 1987, Heim 1991, Vater 1979, Vater 1985, Vater 1986.

Adverb Adverb im Überblick morphologische Eigenschaften syntaktische Eigenschaften semantische und funktionale Eigenschaften Subklassen

Adverb im Überblick

Zur Wortart Adverb gehören unflektierbare Ausdrücke, deren prototypische Funktion darin besteht, ein Geschehen, einen Gegenstand oder einen Sachverhalt semantisch zu modifizieren. Adverbien operieren auf Nominalphrasen, unterschiedlich komplexen Verbgruppen bis hin zum Satz Sie fungieren dann als Attribute (die langweilige Besprechung gestern), Verbgruppenadverbialia (eilends eintreffen, unverrichteterdinge nach Hause gehen, sich kopfüber ins Wasser stürzen, krankheitshalber ausfallen) oder Satzadverbialia (Leider / sicher / glücklicherweise / dummerweise ist der Präsident eine Frau.) Adverbien können alleine das Vorfeld eines Aussagesatzes besetzen und sind selbständig, z.B. als Antwort auf eine Frage, verwendbar.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen:

Umstandswort, Umstandsbezeichnung, Beiwort. Sowohl in der Ausgliederung als auch in der Untergliederung der Klasse Adverb differieren Grammatiken erheblich. Besonders uneinheitlich wird das Verhältnis von Adverbien zu Partikeln beschrieben. In manchen Darstellungen werden Adverbien als eine von vielen Subklassen von Partikeln betrachtet. "Adverb" wird mitunter nicht nur für die Wortart, sondern auch für die syntaktische Funktion Adverbiale verwendet, die prototypisch durch die Kategorie Adverb realisiert wird. Das hat zur Folge, dass mitunter auch adverbial verwendete Adjektive (sie fährt schnell ) oder Präpositionalphrasen (sie fährt in einem Höllentempo ) als

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 77

Adverbien bezeichnet werden.

Bestand und Beispiele:

gern, dort, gestern, anders, kopfüber, hierher, darauf, landeinwärts, leider, wann ...

Der Eisvogel stürzt sich gern kopfüber in die Fluten. Gestern abend war keiner daheim. Wir haben leider schon zu. Der Turm hier stammt aus dem 15. Jahrhundert.

morphologische Eigenschaften

Adverbien sind unflektierbar und mit Ausnahme von oft, gern und bald nicht komparierbar.

syntaktische Eigenschaften

Adverbien können im Unterschied zu Partikeln allein im Vorfeld stehen und selbständige Antworten auf w-Fragen bilden. Adverbphrasen sind (in eingeschränktem Maße) ausbaubar: mit Intensitätspartikeln sehr gern, ganz anders, völlig erwartungsgemäß; oder als Adverbial-Kombinationen dort hinten neben dem Nussbaum, hoch oben in den Bergen in der Carabinieri-Station, weit hinein, dort enlang. Adverbphrasen fungieren prototypisch als adverbiale Supplemente aber auch als Adverbialkomplemente zu bestimmten Verben, in deren Valenzrahmen eine Stelle für einen adverbialen Mitspieler vorgesehen ist. Sie fungieren auch als nachgestellte Attribute in Nominalphrasen.

Adverbial-Supplement Nachts schlafen die Ratten. Dort sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Sicher guckt wieder kein Schwein.

Adverbial-Komplement Für eine Zigarette gehe ich überallhin / meilenweit. Die Sitzung findet morgen statt. Hier muss ein ganzes Nest sein. Das war doch erst gestern.

Attribut das Haus dort diese Geschichte gestern

Adverb oder adverbial gebrauchtes Adjektiv semantische und funktionale Eigenschaften

Adverbien operieren auf Nominalphrasen und auf Verbgruppen verschiedener Komplexität bis hin zum Satz. Die Art der Modifikation oder Spezifikation richtet sich nach den semantischen Eigenschaften des Adverbs: räumliche Spezifikation (oben liegen), zeitliche (die Aufführung morgen), konzessive (trotzdem nicht den Mut verlieren), modale (blindlings in sein Unglück rennen) usw.

Subklassen

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 78

Adverbien können nach ganz verschiedenen Kriterien subklassifiziert werden. Es können sich dabei einander überschneidende Klassen ergeben. Je nach Untersuchungsziel können formale, semantische oder syntaktische Kriterien zugrunde gelegt werden.

Präpositionaladverb und w-Präpositionaladverb deiktisches Adverb und deiktisches w-Adverb semantisch begründete Adverb-Subklassen Verbgruppenadverb und Satzadverb

Adverb oder adverbial gebrauchtes Adjektiv Auch Adjektive können adverbial gebraucht werden. Sie wechseln dadurch die Wortart/Wortklasse nicht. Ein adverbial gebrauchtes Adjektiv ist weiterhin ein Adjektiv, gehört weiterhin der Wortart Adjektiv an, übernimmt aber die gleiche Funktion wie Adverbien in der selben Position des Satzes. Diese Funktion des Adverbiales wird zwar prototypisch durch Vertreter der Wortart Adverb erfüllt, kann aber auch durch ein Adjektiv oder eine Präpositionalphrase realisiert werden.

Adverb adverbial gebrauchtes Adjektiv

adverbial gebrauchte Präpositionalphrase

Hänschen lernt gern. Hänschen lernt gut. Hänschen lernt mit Fleiß.

Er stürzt sich kopfüber in die Arbeit.

Er stürzt sich hastig in die Arbeit.

Er stürzt sich mit Unverdruss in die Arbeit.

Auch hier gilt, Adverbien sind nicht flektierbar. Adverbial gebrauchte Adjektive werden in diesem Fall ebenso nicht flektiert. Wenn sie allerdings prototypisch als Attribut gebraucht werden, müssen sie flektiert werden. adverbial gebrauchtes Adjektiv (unflektiert) attributiv gebrauchtes Adjektiv (flektiert)

Hänschen lernt gut. Er macht dabei gute Fortschritte.

Hänschen stürzt sich hastig in die Arbeit.

Wegen seines hastigen Arbeitens macht er viele Fehler.

Junktor Junktor im Überblick morphologische Eigenschaften syntaktische Eigenschaften semantische und funktionale Eigenschaften

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 79

Subklassen

Junktor im Überblick

Junktoren sind unflektierbare Ausdrücke. Ganz allgemein verknüpfen sie sprachliche Einheiten. Die unterschiedlichen Subklassen unterscheiden sich danach, von welchem Typ die verknüpften Einheiten sind (Sätze, Phrasen), und danach, ob sie diese koordinieren (nebenordnen) oder subordinieren (unterordnen). Einige Junktoren können ihrer besonderen, nicht regelhaft beschreibbaren Eigenschaften wegen weder eindeutig zu den koordinierenden Konjunktoren noch zu den subordinierenden Subjunktoren gezählt werden.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen

Konjunktionen, Fügewörter allerdings werden unter diesen Bezeichnungen in der Regel nicht die hier als eigene Subklasse Adjunktoren geführten Einheiten als und wie subsumiert.

Bestand und Beispiele:

und, oder, d. h., dass, ob, als ob, falls, da, weil, denn, wobei, angenommen, außer, es sei denn, als, wie ...

koordinierende Junktoren: der Hase und der Igel Nimm die Hände weg oder es knallt. Er ist wütend, ja er rast.

subordinierende Junktoren: Wer weiß, ob das mit rechten Dingen zugeht. Ich bin in der Bibliothek, falls jemand nach mir fragt. Angenommen, die Bayern verlieren am Sonntag, dann wird Kaiserslautern Meister.

Adjunktoren: Ein Kerl wie ein Bär Der Wal als Säugetier Er kommt wie versprochen.

morphologische Eigenschaften

Junktoren sind unflektierbar. Einige Junktoren sind morphologisch komplex, sie sind Mehrwortlexeme (sowohl ... als auch, vorausgesetzt dass, das heißt, es sei denn dass, je ... umso) oder zusammengesetzt (sodass, wobei ... )

syntaktische Eigenschaften

Konjunktoren und Subjunktoren gelten - wie Konnektivpartikeln - selbst nicht als Element des durch sie angeschlossenen Satzes. Adjunktoren hingegen können als Kopf einer Adjunktorphrase fungieren und sind somit Teil des angeschlossenen Satzes.

semantische und funktionale Eigenschaften

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 80

Junktoren verknüpfen sprachliche Einheiten. Sie dienen - mit Ausnahme von dass und ob - dem Ausbau der minimalen Satzstruktur.

Subklassen

Konjunktor Subjunktor Adjunktor idiosynkratische (nicht regelhaft beschreibbare) Einheiten

Konjunktor

Konjunktor im Überblick

Als Konjunktoren wie und, oder, sowie, sowohl ... als auch bezeichnen wir eine Klasse von Junktoren, die sprachliche Einheiten in einer spezifischen semantischen Relation "koordinierend" miteinander verknüpfen. Bei der Koordination üben zwei in Beziehung zu einander gesetzte Ausdrücke die gleiche syntaktische Funktion aus. Koordiniert werden können Sätze, Phrasen, Verbgruppen, Wörter und sogar Morpheme.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen

nebenordnende (beiordnende, koordinierende) Konjunktion, Fügewort, Bindewort

Liste der Konjunktoren

das heißt d. i. entweder ... oder ja oder respektive sondern sowie sowohl ... als auch sowohl ... wie (auch) sprich und und/oder will sagen

Beispiele

Satzkoordination Es wird regnen und die Hochwassergefahr wird wieder zunehmen. Touristen kamen aus Neugier und weil sie das Hochwasser sehen wollten.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 81

Phrasenkoordination Das Hochwasser wurde durch Dauerregen und durch die Schneeschmelze verursacht.

Wortkoordination Wir haben rote, gelbe oder grüne Laternen.

Morphemkoordination An- und Verkauf be- oder entladen

morphologische Eigenschaften

Konjunktoren sind unflektierbar. Einige Konjunktoren sind mehrteilig oder morphologisch komplex: entweder ... oder, sowohl ... wie, sowie ...

syntaktische Eigenschaften

Konjunktoren stehen immer zwischen den koordinierten Ausdrücken. Koordiniert werden können nur Ausdrücke mit identischer syntaktischer Funktion, auch wenn sie formal unterschiedlich realisiert sind.

Ich komme wegen der Tomaten und weil ich den Besen zurückbringen wollte.

Umgekehrt wirkt das folgende Zitat von Wilhelm Busch deshalb so "merkwürdig", weil es zwei Ausdrücke koordiniert, die trotz identischer Form nicht die gleiche syntaktische Funktion erfüllen: hier werden ein (instrumentales) Satzadverbial und ein (modifikatives) Verbgruppenadverbial miteinander koordiniert.

Mit einer Gabel und mit Müh, zieht ihn die Mutter aus der Brüh.

semantische und funktionale Eigenschaften

Konjunktoren stellen additive (und) und disjunktive (oder) semantische Relationen zwischen den koordinierten Ausdrücken her.

Subjunktor

Subjunktor im Überblick

Subjunktor ist eine Sammelbezeichnung für solche Junktoren, die einen Verbletztsatz/Nebensatz einleiten, d.h. einen Satz, in dem das finite Verb an der letzten Stelle steht. Funktional ist die Klasse der subordinierenden Junktoren jedoch sehr heterogen. Die Subjunktoren dass und ob stellen keine spezifische inhaltliche Beziehung zwischen dem subordinierten und dem übergeordneten Ausdruck her. Subjunktoren im engeren Sinne wie wenn, obwohl, weil, sodass, auf dass ... dagegen stellen spezifische inhaltliche Relationen zwischen den verknüpften Einheiten her. Wir bezeichnen sie deshalb auch als

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 82

relationale Subjunktoren.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen

unterordnende (subordinierende) Konjunktion, Subordinator, Nebensatzeinleiter, Fügewort

Bestand und Beispiele

abgesehen davon, dass alldieweil als als dass als ob als wenn andernfalls angesichts dessen, dass anstatt dass auf dass aufgrund dessen, dass bis dadass falls indem nachdem ob sodass während weil wenn wenngleich wobei zumal (da) Der Weissmüller, was ich gar nicht wusste, mag, mochte keine Affen - nicht - der hasste Affen, und weil die, weil die immer Folgendes machten bei ihm, das machte dieser Affe an dem Abend auch, das ist mir aber erst nachher dann deutlich gemacht worden, sobald er einen Affen in den Arm nehmen musste, war das Tier offenbar so erregt, dass es ihn von oben bis unten bepinkelte. [Dieter Kürten/Wolfgang Heim, 1996 in SDR3: Leute] Da ich aber nur einen gewonnen habe, werde ich Ihnen das gerade auf die Nase binden! [Harry Rowohlt, 1998 SWR 1: Leute]

morphologische Eigenschaften

Subjunktoren sind unflektierbar und überwiegend morphologisch einfach. Es gibt aber auch morphologisch komplexe und mehrteilige Einheiten, insbesondere Kombinationen mit dass : wenngleich, je nachdem, je ... umso, sodass, so ... dass, dadurch dass, indem dass, dergestalt dass, ...

syntaktische Eigenschaften

Subjunktoren leiten Verbletztsätze ein, die als Teile des übergeordneten Ausdrucks fungieren. Sie können als Komplemente, als Supplemente oder Attribute fungieren.

Funktion Beispiel

Komplement Man befürchtet, dass noch weitere Erdbeben folgen könnten.

Supplement Das Sportfest fiel aus, weil es den ganzen Tag regnete.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 83

Attribut Der Tag, als endlich der Regen kam, war einer der heißesten Augusttage.

semantische und funktionale Eigenschaften

Subjunktoren fungieren als Konnektoren und lassen sich somit nach inhaltlichen Gesichtspunkten in semantische Subklassen wie kausal (weil, da), konsekutiv (sodass), konzessiv (obwohl), konditional (wenn, falls), proportional (je ... desto), restriktiv (außer dass), substitutiv (anstatt dass), temporal (nachdem, während, sobald) usw. einteilen.

Adjunktor

Adjunktor im Überblick

Die Adjunktoren als und wie machen aus einer Phrase oder einem (Vergleichs-)Satz ein Adjunkt mit eigenständiger syntaktischer Funktion. Bezugsausdruck ist eine Nominalphrase, Präpositionalphrase, Pronominalphrase oder Verbgruppe, ein Nomen, Adjektiv oder Adverb. Adjunktoren regieren keinen Kasus. Sie sind "kasustransparent", d. h. enthält das Adjunkt eine Nominal- oder Pronominalphrase, dann stimmt diese im Kasus mit dem nominalen Kopf des Bezugsausdrucks überein.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen

Vergleichspartikeln. In manchen Darstellungen werden sie zu den Präpositionen gerechnet, sie regieren im Unterschied zu diesen aber keinen Kasus.

Bestand und Beispiele

als, wie

Beispiel Bezugsausdruck

Sie hat ihn wie eine Therapeutin befragt. Subjekt

Meier als Direktor kann sich das leisten. Subjekt

Sie hat ihn als Kind kennengelernt. Subjekt / Akkusativkomplement

Sie hat ihn als großen Feigling kennengelernt. Akkusativkomplement

Er starb wie er gelebt hatte. Verbgruppe

Männer wie wir Nomen

frech wie Oskar Adjektiv

Am 21. Juni saß er in unserem Berliner Studio und hörte sich die Frage an, ob er damals, als Stasi-General, denn auch die Bundesrepublik besucht habe. [Wolfgang Heim, 1995 in SDR 3: Leute]

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 84

morphologische Eigenschaften

Adjunktoren sind unflektierbar.

syntaktische Eigenschaften

Adjunktoren bilden den Kopf einer Adjunktorphrase. Diese können sehr unterschiedliche Formen haben.

Bestandteil der Adjunktorphrase Beispiel

Adjektivphrase Ich betrachte das als sehr gelungen.

Nominalphrase (Kasusidentität mit dem Bezugsausdruck)

Ich betrachte das als einen sehr gelungenen Fall.

Präpositionalphrase Es wurde gefeilscht wie auf einem Wochenmarkt.

Pronominalphrase (Kasusidentität mit dem Bezugsausdruck)

Einem Kerl wie dir kann man nichts vormachen.

Adverbphrase Ein Erker wie dort drüben

Verbletztsatz Er war so schnell, wie du gesagt hast.

Ihrer syntaktischen Funktion nach sind Adjunktorphrasen heterogen. Sie fungieren als

syntaktische Funktion Beispiel

Prädikativkomplement Es war wie immer. Er gilt als schlau.

Attribut ein Mann wie du, ich als Kunde, frech wie Oskar

Verbgruppen-Adverbiale Es wurde gefeilscht wie auf einem Wochenmarkt.

semantische und funktionale Eigenschaften

Mit einem Adjunkt wird die Person, der Gegenstand oder Sachverhalt zusätzlich charakterisiert und zwar über eine Relation der Identifikation, Klassifikation, Quantifikation oder über einen Vergleich.

Partikel Partikel im Überblick morphologische Eigenschaften syntaktische Eigenschaften

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 85

semantische und funktionale Eigenschaften Subklassen

Partikel im Überblick

Als Partikeln bezeichnen wir eine heterogene Klasse von unflektierbaren Einheiten. Im Unterschied zu den Adverbien zeigen manche Partikelklassen Beschränkungen in den Stellungsmöglichkeiten. Sie können nicht allein im Vorfeld eines Aussagesatzes stehen. Partikeln sind - besonders in der Alltagssprache - hochfrequent. Ein sprachtypisches Charakteristikum ist ihre Polyfunktionalität.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen:

Partikeln stellen wahrscheinlich den uneinheitlichsten Bereich der Wortartenklassfikation. Grob gesagt lassen sich drei Ansätze ausmachen: beim weitesten Partikelbegriff werden alle unflektierbaren Einheiten, also auch Präpositionen, Junktoren, Adverbien, als Partikeln klassifiziert. Ein engeres Konzept grenzt Präpositionen, Junktoren und Adverbien aufgrund von Satzgliedwert oder syntaktischen Eigenschaften aus den Partikeln aus, und drittens wird als Partikeln im engsten Sinn eine Restgruppe bezeichnet, die im wesentlichen mit den Klassen Abtönungspartikeln und Fokuspartikeln identisch ist.

Bestand und Beispiele:

doch, bloß, halt, mal, nicht, sehr, überaus, sogar, selbst, auch, erst, schon, also, übrigens, jedoch, aber ...

Also das ist doch auch nur langweilig. Gefällt Ihnen das etwa nicht? Sogar Elefanten werden hier sehr oft gesichtet.

morphologische Eigenschaften

Partikeln sind unflektierbar. syntaktische Eigenschaften

Allen Partikeln ist gemeinsam, dass sie keine Phrasen bilden können, dass sie nicht erfragbar und nicht selbständig, zum Beispiel als Antwort auf eine Frage, verwendbar sind. Partikeln sind aber untereinander kombinierbar. semantische und funktionale Eigenschaften

Die Subklassifizierung der Partikeln erfolgt in der Regel nach semantischen Gesichtspunkten. Die semantischen und funktionalen Eigenschaften von Partikeln sind je nach Subklasse sehr verschieden. Intensitätspartikeln (sehr, überaus, ungemein) wirken als Intensitätsmodifikatoren bei Adjektiven und Adverbien (sehr nützlich, überaus gern). Abtönungspartikeln (ja, halt, mal, doch, eben) operieren nicht auf der Satzbedeutung, sondern auf Erwartungen und Einstellungen des Sprechers und des Adressaten. Konnektivpartikeln (allerdings, aber, also, folglich, freilich, beziehungsweise, dennoch) haben die Funktion, spezifische inhaltliche Relationen zwischen Sätzen herzustellen. Mit

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 86

Fokuspartikeln (annähernd, gerade, erst, mindestens) können Einstufungen/Gradierungen von Sachverhalten auf einer tatsächlichen oder fiktiven Skala vorgenommen werden. Die Abgrenzung einiger Subklassen der Partikeln gegenüber der adverbial gebrauchten Adjektive in vergleichbarer Funktion ist oftmals schwierig:

Die Temperaturen in Novosibirsk waren überaus angenehm. (Intensitätspartikel) Die Temperaturen in Novosibirsk waren außergewöhnlich angenehm. (adverbial gebrauchtes Adjektiv)

Intensitätspartikel sind - wie alle Partikel - grundsätzlich unflektierbar, Adjektive müssen in anderen Kontexten, nämlich dann, wenn sie attributiv verwendet werden, flektiert werden:

*die überausen /überaus Temperaturen von Novosibirsk die außergewöhnlichen Temperaturen von Novosibirsk

Subklassen

Intensitätspartikel Fokuspartikel Abtönungspartikel Konnektivpartikel

Intensitätspartikel

Intensitätspartikel im Überblick

Als Intensitätspartikeln bezeichnen wir eine Klasse von Partikeln, die die von einem Adjektiv oder Adverb ausgedrückte Charakterisierung intensivierend-steigernd oder abschwächend-abstufend modifizieren.

andere Bezeichnungen: Steigerungspartikel, Intensifikator

Beispiele und Bestand: Ich hab von meiner Schulzeit profitiert, und ich hab sie in sehr guter Erinnerung. [Klaus Kinkel, 1998, in SWR 1 Leute] Und der erzählte ihm, dass er vor allem den Kollegen Polt sehr schätze und liebe. [Wolfgang Heim, 1996 in SDR 3: Leute] Im übrigen sagt ich nur, - Herr Müller-Lüdenscheid - bitte lassen Sie mich ausreden! Ich sagte, dass ich, wenn es die Situation erfordert, durchaus in der Lage wäre, auch mal ein Wannenbad ohne Wasser zu nehmen. [Loriot, Aufbruch, in Loriot's Klassiker]

Intensitätspartikeln:

einigermaßen etwas kaum recht

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 87

sehr überaus ungemein weitaus zu

Adjektive in derselben Funktion wie Intensitätspartikeln:

absolut außerordentlich außergewöhnlich enorm extrem ganz höchst komplett total ungewöhnlich viel völlig weit ziemlich

morphologische Eigenschaften

Die Intensitätspartikeln sind - wie alle Partikeln - unflektierbar. Intensitätspartikeln können einen Akzent erhalten.

Er hatte sie sehr vermisst.

syntaktische Eigenschaften

Die Intensitätspartikel steht unmittelbar vor dem modifizierten Adjektiv oder Adverb: (sehr glücklich, überaus gern, zu oft); in wenigen Fällen ist der Bezugsausdruck ein Verb (das schmerzt sehr, er leidet ziemlich), nie ein Nomen (*Sehr Lippenstift war an ihrem Likörglas). Intensitätspartikeln zeigen unterschiedliche Verträglichkeiten mit den einzelnen Steigerungsstufen ihrer Bezugsadjektive: manche können nur vor einem nicht-komparierten Adjektiv (Positiv) stehen (sehr / besonders / ungemein schön; aber: *sehr / *besonders / *ungemein schöner), andere vor einem Positiv und einem Komparativ (etwas faul / der etwas fleißigere Bruder), nur vor einem Komparativ (*viel gut, viel besser) oder vor dem Komparativ und dem Superlativ (*weitaus gut, weitaus besser, weitaus am besten).

semantische und funktionale Eigenschaften

Die Funktion von Intensitätspartikeln lässt sich charakterisieren als 'intensivierend-steigernd' (überaus, ungemein, sehr) bzw. 'abschwächend-abstufend' (kaum, etwas, einigermaßen).

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 88

Fokuspartikel

Fokuspartikel im Überblick

Mit Fokuspartikeln wird eine Einstufung des Gesagten bzw. bestimmter hervorgehobener Aspekte des Gesagten auf Skalen vorgenommen und dadurch hervorgehoben. Zu den Fokuspartikeln rechnen wir auch die Negationspartikel nicht.

andere Bezeichnungen: Gradpartikel, Skalarpartikel, Gradmodifikator

Beispiele und Bestand: Ich wäre gern auch weise. [Bertolt Brecht, 13. 12. 1953, An die Nachgeborenen] Das ist eine Marotte von mir. Ich rauche Zigarillos und immer fünf pro Tag, aber das ist nur der Durchschnitt.

[Roman Herzog, am 22.1.1994 in SDR3: Leute] Und der erzählte ihm, dass er vor allem den Kollegen Polt sehr schätze und liebe. [Wolfgang Heim, 1996 in SDR 3: Leute] So a Antwort bekommen Sie von einem Politiker nur, wenn sie falsch ist. [Manfred Rommel, 1996 in SDR3: Leute]

Liste der Fokuspartikeln

allein allenfalls annähernd auch ausgerechnet bereits besonders bestenfalls bloß einzig erst etwa frühestens gar gerade lediglich mindestens nicht noch nur schon selbst sogar spätestens

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 89

vor allem wenigstens zumindest.

morphologische Eigenschaften

Fokuspartikeln sind - wie alle Partikeln - unflektierbar.

syntaktische Eigenschaften

Als Bezugsausdrücke können Einheiten unterschiedlicher Komplexität - vom Satz bis zu einzelnen Wörtern - fungieren. Der Bezugsausdruck ist durch einen Gewichtungsakzent hervorgehoben.

Satz: Im Zirkus war es wunderschön. Sogar ein Trapezkünstler ist aufgetreten. Präpositionalphrase: Ausgerechnet im Urlaub bin ich krank geworden. Präposition: (Nicht nur auf) sondern sogar unter der Bettdecke fanden sich Wespen.

Fokuspartikeln stehen in der Regel vor, einige auch unmittelbar nach dem Bezugsausdruck. Auch Distanzstellung vom Bezugsausdruck kommt vor.

Nur zwei Jahre muss er sitzen. Zwei Jahre nur muss er sitzen. Zwei Jahre muss er nur sitzen.

semantische und funktionale Eigenschaften

Die primäre Funktion von Fokuspartikeln ist die Gradierung, d.h. die Einstufung auf einer Skala. So wird in der folgenden Äußerung die Wichtigkeit, die dem Beispiel im Gesprächszusammenhang zukommt, als relativ niedrig eingestuft.

Dieser Satz ist nur ein Beispiel. Einige Fokuspartikeln haben auch limitierende Funktion: der in einer Äußerung ausgedrückte Sachverhalt wird als oberer oder unterer Grenzfall in einer Skala möglicher Fälle ausgezeichnet.

Bei dieser Konkurrenz wird Dieter Baumann höchstens Vierter. Bei seiner Topform sollte Dieter Baumann wenigstens Vierter werden.

Negationspartikel

Negationspartikel im Überblick

Die Negationspartikel nicht bzw. Kombinationen damit wie gar nicht, überhaupt nicht hat ähnliche Eigenschaften wie die Fokuspartikeln, sie verändert aber im Unterschied zu diesen immer den Wahrheitswert des Satzes, auf den sie angewendet wird: die Weglassung oder Hinzufügung einer Negationspartikel kehrt den Wahrheitswert um.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen Negation, Verneinungswort

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 90

Beispiele Wir hatten nicht gewusst, dass man sich für die Kantine eintragen muss. [Harry Rowohlt, 1998 in SWR1: Leute] Großmutter weer, war in ihrem ganzen Leben noch nicht krank gewesen. [Proben deutscher Mundarten (Phonai Bd. 5, I/3822, Südtondern)] Nein, die Kollegen bei der Tagesschau, die wird das mit Sicherheit überraschen. Die wussten das na .., die wissen das eigentlich bis heute nicht, es sei denn, sie haben das Buch schon gelesen. [Jörg Wontorra, 1997 in SDR3: Leute] Und wenn Sie jetzt anfangen zu spekulieren, was wird sein, wenn wir unser Ziel nicht erreicht haben, machen Sie einen Fehler. [Wolfgang Schäuble, 1998 in SWR1: Leute]

syntaktische Eigenschaften

Die Negationspartikel hat als Bezugsbereich (Skopus) stets den gesamten Satz. Bezugsausdruck ist, was im Satz hervorgehoben (fokusiert) ist. Der Fokus kann je nach der beabsichtigten Kontrastierung variieren.

Die Gebrüder Grimm haben 1997 die dreibändige Grammatik des Englischen herausgegeben. Nicht die Gebrüder Grimm haben die dreibändige Grammatik des Englischen herausgegeben (sondern andere). Die Gebrüder Grimm haben nicht die Grammatik des Englischen herausgegeben (sondern die des Deutschen). Die Gebrüder Grimm haben die Grammatik des Englischen nicht herausgegeben (sondern entworfen).

Die Negationspartikel bildet nur in sehr eingeschränktem Maße formelhaft verfestigte Phrasen: aber schon gleich ganz und gar nicht. Sie kann nicht als Antwort auf Fragen verwendet werden - dafür gibt es im Deutschen das Responsiv nein.

semantische und funktionale Eigenschaften

Die Funktion der Negationspartikel ist es, Äußerungen zu negieren. Die Negation ist eine logische Operation, sie kehrt den Wahrheitswert eines Satzes um. Die Funktion der Negation kann im Deutschen durch ein breites Spektrum anderer sprachlicher Ausdrücke realisiert werden:

• Wortbildungsaffixe: ungeschickt, asozial, illegal, missvergnügt, Unrecht • Subjunktor: ohne dass • Quantifikativ-Artikel: kein Mensch • Quantifikativ-Pronomina: keiner, niemand, nichts • negative Satzadverbien: nie(mals), nirgendwo, nirgends, keinesfalls, mitnichten,

keineswegs • Responsiv: nein

Abtönungspartikel

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 91

Abtönungspartikel im Überblick

Abtönungspartikeln bringen Erwartungen und Einstellungen des Sprechers und des Hörers bezüglich der dargestellten Sachverhalte zum Ausdruck. D. h. sie drücken im konkreten sprachlichen Handlungszusammenhang die propositionale Einstellung des Sprechers aus.

andere Bezeichnungen:

Modalpartikel, Einstellungspartikel

Beispiele und Bestand: Und man muss sich nur vor einem hüten, dass man eben dann wirklich sagt, alle Leut' sind blöd, die etwas über einen schreiben, denn es gibt halt auch die wahnsinnig Guten.. [Jürgen von der Lippe, 1995 in SDR 3: Leute] Nun sei doch froh, dass wir hier in Ruhe frühstücken können. [Marietta Meguid, 1997, in: SDR 3, Die Schwabensaga, 2. Staffel] Das kann man immer wieder beobachten eben, dass RTL eben dann eher mit der Katastrophe aufmacht und die politische Nachricht erst an zweiter Stelle bringt, und beim ARD und ZDF wäre es dann doch umgekehrt gewichtet. [Petra Gerster, 1998 in SWR1: Leute] Am 21. Juni saß er in unserem Berliner Studio und hörte sich die Frage an, ob er damals, als Stasi-General, denn auch die Bundesrepublik besucht habe. [Wolfgang Heim, 1995 in SDR 3: Leute] Das war vielleicht eine Schweinerei! Möchtest du etwa in meiner Haut stecken?

Liste der unbetonten Abtönungspartikeln

aber auch bloß denn doch eben einfach eigentlich etwa fei (nur süddeutsch) halt ja mal man (nur norddeutsch) nicht nur ruhig schon überhaupt vielleicht wohl

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 92

Liste der betonten Abtönungspartikeln

bloß denn doch eh eigentlich ja ruhig schon überhaupt

morphologische Eigenschaften

Abtönungspartikeln sind - wie alle Partikeln - unflektierbar.

syntaktische Eigenschaften

Abtönungspartikeln bilden keine Phrasen, sind aber nach bestimmten Regeln kombinierbar: Ja, da muss man sich doch einfach hinlegen. Findest du das denn vielleicht schön?

Abtönungspartikeln fungieren als Supplemente.

semantische und funktionale Eigenschaften

Abtönungspartikeln operieren auf Einstellungen des Sprechers und der Adressaten und tragen dazu bei, Äußerungen in Handlungszusammenhänge zu integrieren. Sie können gesprächssteuernd wirken. So versucht z.B. ein Sprecher mit der Äußerung

Du kennst doch die Mitzi. einen Konsens mit dem Adressaten herzustellen, mit

Findest du die etwa schön? gibt er seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Antwort des Adressaten negativ ausfällt.

Konnektivpartikel

Konnektivpartikel im Überblick

Konnektivpartikeln fungieren - wie Konjunktoren und Subjunktoren - als satzverknüpfende Einheiten. Im Unterschied zu Konjunktoren und Subjunktoren sind sie in den zweiten Satz integriert. Sie stellen dabei spezifische inhaltliche Relationen (kausale, temporale etc.) zwischen zwei Sachverhalten her.

andere Bezeichnungen: Konjunktionaladverb, Konnektivadverb, Rangierpartikel

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 93

Beispiele und Bestand: Sicherlich keine aufregenden Zahlen, die deutsche Großchemie jedoch zeigt in dem kleinen Land erstaunlich stark Flagge. Produziert wird in Finnland allerdings nur von Hoechst. [Mannheimer Morgen, 10.09.85, S. 6] Eine Erhöhung hat den Effekt, daß die laufenden Beiträge bei konstanter Versicherungssumme niedriger werden; allerdings sinkt im Erlebensfall auch die Überschußbeteiligung, also der Betrag, der über die Versicherungssumme hinaus ausgezahlt wird. [Mannheimer Morgen, 25.10.85, S. 6] Allein im Großraum Hannover hat sich die Zahl der Szene-Projekte innerhalb von 3 Jahren verdoppelt. In der Nürnberger Region allerdings konnten sie nicht zulegen. [Mannheimer Morgen, 16.11.85, S. 7] Mein Gott, der Mann hat ja keine Ahnung - allerdings, woher soll er sie auch haben? Er war ja nicht dabei. [DIE ZEIT, 19.06.87, S. 39]

Bestand

aber, abermals, allein, allemal, allenfalls, allerdings, alsbald, alsdann, also, ander(e)nfalls, ander(er)seits, andernteils, anschließend, ansonsten, anstatt dessen, auch, aufgrund dessen, ausschließlich, außerdem, bald ... bald, beispielsweise, beziehungsweise, bestenfalls, bloß, da, dabei, dadurch, dafür, daher, dahingegen, damit, danach, daneben, dann, darauf, darauhfin, darüber hinaus, darum, davor, dazu, dazwischen, dementgegen, dementsprechend, demgegenüber, demgemäß, demnach, demzufolge, denn, dennoch, derweilen, desgleichen, deshalb, deswegen, ferner, folglich, freilich, gegebenenfalls, genauso, gleichwohl, gleichfalls, gleichzeitig, hernach, hierbei, hierdurch, hiermit, hingegen, hinterher, hinwiederum, immerhin, im Übrigen, indes, indessen, infolgedessen, insbesondere, insofern, insoweit, inzwischen, jedoch, kaum, mal, mithin, mittlerweile, nachher, nämlich, nebenbei, nebenher, nichtsdestominder, nichtsdestoweniger, nichtsdestotrotz, noch, nun, nunmehr, nur, obendrein, ohnedies, ohnehin, schließlich, schon, seitdem, seither, selbst, so, sodann, somit, sonst, soviel, soweit, sowieso, stattdessen, trotzdem, überdies, überhaupt, unterdessen, vielmehr, vor allem, vorher, währenddessen, weiter, weiterhin, weiters, wieder, wiederum, wohlgemerkt, z. B., zudem, zu guter Letzt, zumal, zusätzlich, zuvor, zwar, zwischendurch, zwischenzeitlich

morphologische Eigenschaften

Konnektivpartikeln sind - wie alle Partikeln - unflektierbar. Einige Einheiten sind ihrer Form nach komplex und haben phraseologische Bedeutung. Dazu zählen repetitive Konnektoren wie bald ... bald, teils ... teils, mal ... mal, korrelative wie einerseits ... anderseits, zwar ... aber, weder ... noch und zusammengesetzte wie vor allem.

Ich hab zwar das alles schon gehört gehabt, dass sowas möglich ist, aber ich habs nicht für realistisch gehalten, dass ich das verwirklichen könnte. [Manfred Rommel, in SWR1 1998, Leute]

syntaktische Eigenschaften

Nur wenige Konnektivpartikeln können nicht allein im Vorfeld stehen (aber, nämlich). Andere, vorfeldfähige Konnektivpartikeln unterscheiden sich danach, ob sie auch in der Nacherstposition, d.h. im Vorfeld nach einer anderen Konstituente, oder im linken Außenfeld, d.h. vor dem Vorfeld des zweiten Satzes stehen können.

Britta ist eine ausgezeichnete Köchin. Jedoch / dennoch /*aber überlässt sie den Abwasch lieber anderen. Britta ist eine ausgezeichnete Köchin. Den Abwasch jedoch / aber / *dennoch überlässt sie lieber anderen. Britta ist eine ausgezeichnete Köchin. Jedoch / aber / *dennoch den Abwasch überlässt sie lieber anderen.

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 94

semantische und funktionale Eigenschaften

Konnektivpartikeln stellen spezifische inhaltliche Relationen zwischen zwei Sachverhalten her wie z.B. konzessiv (trotzdem, dennoch), adversativ (demgegenüber, allerdings, jedoch, hingegen), temporal (inzwischen, währenddessen, hernach) u.a.

Funktionale Klassen quer zu den Wortarten Sozusagen quer zu den Wortarten als lexikalischen Kategorien stehen die folgenden rein nach ihrer Funktion zusammengefassten Klassen, deren Elemente entweder gar keiner Wortart im beschriebenen Sinne entsprechen oder verschiedenen lexikalischen Wortarten angehören. Die jeweiligen Einheiten lassen sich also nicht über ein Merkmalsbündel aus formalen (morphologischen, syntaktischen) und semantisch-funktionalen Kriterien zu einer homogenen Klasse zusammenfassen. Die Bündelung von Wortschatzeinheiten zu solchen funktionalen Mischklassen ist durch funktionale Kriterien unterschiedlicher Art begründet, die allerdings nicht die Annahme einer einheitlichen syntaktischen Funktion rechtfertigen. Interrogativ-Elemente teilen sich die auf die Interaktion bezogene Frage-Funktion, ungeachtet ihrer Wortartzugehörigkeit als Artikel (welcher Aufsatz?), Pronomen (wer?) oder Adverb (wann?) und ihrer syntaktischen Funktion als Komplement, Supplement oder Attribut. Relativ-Elemente haben die gemeinsame Funktion des Anschlusses eines Relativsatzes, also einer Spezifikation eines Gegenstands oder Sachverhalts. Sie können w-Pronomen (alles, was ... ), Demonstrativ-Pronomen (jeder, der ... ) oder Präpositionaladverbien (alles, wofür ... ) sein. Ihre jeweilige syntaktische Funktion wird relativsatzintern bestimmt. Die interaktiven Einheiten (Interjektionen wie äh, hm, huch und Responsive wie ja, nein) wiederum gehören gar keiner Wortart im herkömmlichen Sinne an. Sie sind selbständige Einheiten der Interaktion und fungieren als gesprächssteuernde Elemente. Sie tragen nicht zum Aufbau von Sätzen bei. In verschiedenen Grammatiken werden sie den Partikeln zugeordnet.

Interrogativ-Elemente Die Funktion der Bildung einer Frage kann im Deutschen von verschiedenen w- Elementen ausgeübt werden.

1. w-Pronomina:

Wer hat geklingelt? Mit wem hast du gesprochen? Wessen Auto ist das?

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 95

Was ist denn hier los?

2. w-Artikel: Mit welchem Auto ist sie gekommen? Was für einen Wagen fährt sie?

3. w-Präpositionaladverbien: Womit kann ich Ihnen helfen? Wohin soll ich die Kommode stellen? Weshalb fragst du?

4. deiktische w-Adverbien: Wo liegt das Problem? Wie soll das funktionieren? Wann kommst du?

Darüber hinaus haben die Interrogativ-Elemente andere Funktionen bei der Bildung von: Exklamativen: Welch herrliches Wetter! Termsätzen: Ich fragte, was das soll. Relativsätzen: Sie schrieb eine schlechte Klausur, was alle überraschte.

Relativ-Elemente Die Funktion des Anschlusses eines Relativsatzes an einen übergeordneten Ausdruck können im Deutschen Einheiten verschiedener Wortarten erfüllen. Gemeinsam ist diesen Relativ-Elementen die Funktion der Reorientierung auf einen zuvor verbalisierten Redegegenstand mit gleichzeitigem Anschluss einer Proposition.

Die mit den Relativ-Elementen angeschlossene Proposition dient der Klarstellung des Gegenstands (restriktiver Relativsatz), bringt darüber zusätzliche Informationen (appositiver Relativsatz) oder führt die Vorgängerproposition thematisch weiter (weiterführender Relativsatz).

Beispiele:

restriktiver Relativsatz: Kennen Sie die Frau, die das geschrieben hat?

Wir reden immer von der Kritik oder wir reden nur von den Leuten, die meinen, die Kritik bestimmen zu können. [Günter Grass, Oktober 1995 in SDR3: Leute] appositiver Relativsatz: Sie, die übrigens ein Buch geschrieben hat, ist vierzig. weiterführender Relativsatz: Sie schrieb einen Roman, was alle überraschte.

Relativ-Elemente kongruieren in Numerus und Genus mit dem Kopf der Nominalphrase oder Pronominalphrase, an die der Relativsatz angeschlossen ist, während der Kasus relativsatzintern bestimmt wird. Das Relativ-Element kann selbst Teil einer Nominal- oder Präpositionalphrase sein:

das Haus, an das sie gedacht hat das Haus, dessen Besitzer sie nicht kennt das Haus, mit dessen Besitzer sie gesprochen hat

Einheiten mit der Funktion des Relativsatz-Anschlusses:

1. Demonstrativ-Pronomina:

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 96

Hunde, die bellen, beißen nicht. der Schlüssel, mit dem ich mein Büro abschließe das Haus, an das sie gedacht hat das Haus, dessen Besitzer sie nicht kennt

2. w -Pronomina: Die Form was wird vor allem nach dem anaphorischen Personalpronomen das , nach nominalisierten Adjektiven und nach Indefinit-Pronomina eingesetzt: (das Wichtigste / alles / das, was wir erfahren haben ). Die Formen wer, wen, was, wem werden zur Einleitung gegenstandsfundierter w-Sätze ("freier Relativsatz") (Wer rastet, rostet) verwendet. alles, was ich weiß die Leute, welche ich meine Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

3. w -Präpositionaladverbien: nichts, wofür zu kämpfen es sich lohnen würde manches, womit nicht zu rechnen war Das Kaleidoskop ist eine Röhre, worin durch mehrfache Spiegelungen immer wieder bunte, sternförmige Muster entstehen.

4. deiktische w -Adverbien: Im Standarddeutschen gibt es keine bloß formal markierende Relativpartikel, lediglich dialektal werden die Formen wo und was synchron so verwendet. Als Relativ-Element hat wo standardsprachlich lokaldeiktischen Charakter, wird aber über die Besetzung einer im engeren Sinne 'lokalen' Stelle hinaus verwendet.

dort, wo die Zitronen blühn die Art und Weise, wie das vor sich geht so eine Sache, bei der / wo unklar ist, wer sie vertritt Deutschland, *in dem / wo ich lebe der Mann, wo mich gefragt hat (Nicht-Standard)

Interaktive Einheiten Interaktive Einheiten im Überblick

Interaktive Einheiten fungieren im Unterschied zu den traditionellen Wortarten als selbständige Einheiten der Interaktion, tragen aber nicht zum kompositionellen Aufbau von Sätzen bei. Sie wirken gesprächssteuernd, indem sie Reaktionen auf Äußerungen des Gesprächspartners zum Ausdruck bringen oder diesen über Emotionen des Sprechers informieren. Zu den Interaktiven Einheiten gehören die Interjektionen und die Responsive.

andere Bezeichnungen und Zuordnungen:

Gliederungspartikeln, Gesprächswörter, Antwortpartikeln

Interjektionen

Interjektionen fungieren im Diskurs als funktional selbständige Einheiten der Interaktion, mit denen der Gesprächspartner unmittelbar gelenkt oder über Emotionen des Sprechers informiert werden kann. Die Gesprächssteuerung kann sich auf die laufende Handlungskoordination und Wissensorganisation erstrecken. Interjektionen sind nur sehr eingeschränkt mit Phrasen oder Sätzen kombinierbar (ach Hans,

Skript zur Ruhrmeisterschaft Grammatik 97

na komm schon) .

Bestand und Beispiele

au, hm, oh, ach, äh, ih, pst, na, oi, oh, naja, oho, mhm, aua, eiei, tja,ne, gell, ah, äh...

Uiii, das wird schwer werden! [Harry Rowohlt, 1998 SWR 1: Leute] Ähm, wir haben das geahnt, dass das passieren würde. [Wolf von Lojewski , 1995 in SDR 3: Leute] Ach ich würd ' mir auch an Rockkonzert anhören oder würde in die, in die, nicht in die Premiere, sondern in die fünfte Aufführung der Volksbühne in Berlin gehen wollen. [Jens Reich, 1994 in SDR 3: Leute] Also als Fensterputzer hier am Fernsehturm wär' ich völlig ungeeignet. Da würd' 'zerscht der Eimer runterfallen, dann ich. [Manfred Rommel, 1996 in SDR 3: Leute] Richtige Klamotten? - Ich bin Damenschneiderin geworden. - Ja? - Also, wäre ich geworden, wenn ich's zuende gemacht hätte. [Heike Makatsch und Stefan Siller, 1997 in SDR 3: Leute]

Responsive Responsive können im Unterschied zu den traditionellen Wortarten als selbständige und vollständige Einheiten der Kommunikation (als kommunikative Minimaleinheiten) fungieren und ein Handlungssequenz durch eine erwartbare Reaktion abschließen (Antwort auf eine Frage, Annahme eines Angebots etc.). Sie sind nicht in einen Satz integrierbar und nur minimal ausbaufähig (ganz genau, ja gut) . Sie haben selbst keinen propositionalen Gehalt (drücken keine Proposition aus), sondern beziehen sich auf kontextuell vorhergehende sprachliche Einheiten wie z.B. Fragen.

Bestand und Beispiele

Genuine Responsive sind: ja, okay, nein. Andere Einheiten können die Funktion von Responsiven übernehmen: Adjektive: genau, eben Satzadverbien: vielleicht, bedauerlicherweise, leider Abtönungspartikeln: doch, schon Interjektion: hm

Ej, hast du dat aufgeschrieben? - Ja. [Redder, Angelika (1982): Schulstunden, 1. Transkripte. Tübingen: Narr, S. 103]

Und außerdem warens ja Euroschecks. - Nein, das waren keine Euroschecks, das waren Barschecks. [Gerichtskorpus Ludger Hoffmann; F.19.9 04 - 07]