Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

46
Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010 Dr. Philipp Spr¨ ussel Stand 22. September 2010 1 Grundlegende Begriffe 1.1 Topologische R¨ aume und stetige Abbildungen Beweise zu diesem Abschnitt sollten sich in jedem beliebigen Topologiebuch finden. Definition (Topologischer Raum, offene und abgeschlossene Mengen). Ein topologischer Raum ist eine Menge X zusammen mit einem System O von Teilmengen von X , so dass (i) Beliebige Vereinigungen von Elementen von O liegen in O. (ii) Durchschnitte von endlich vielen Elementen von O liegen in O. (iii) X und die leere Menge liegen in O. Die Mengen aus O heißen offen, ihre Komplemente sind abgeschlossen. Man nennt O auch eine Topologie auf X . Bemerkung. Erlaubt man leere Vereinigungen und Schnitte, kann man auf das letzte Axiom verzichten. Die Axiome f¨ ur abgeschlossene Mengen sind komplement¨ ar zu denen ur offene Mengen, das heißt, endliche Vereinigungen und beliebige Schnitte abgeschlos- sener Mengen sind abgeschlossen. Beispiel. Beispiele f¨ ur topologische R¨ aume sind: R n mit den bekannten offenen Mengen. Jede Menge X mit der diskreten Topologie : Jede Teilmenge von X ist offen. Jede Menge X mit der trivialen oder indiskreten Topologie : Nur X und die leere Menge sind offen. Die kofinite Topologie auf einer beliebigen Menge X : Eine Menge ist offen genau dann, wenn sie leer oder ihr Komplement endlich ist. Definition. Seien O, O 0 zwei Topologien auf einer Menge X . Wir nennen O feiner als O 0 (und umgekehrt O 0 gr¨ ober als O), falls O⊇O 0 . 1

Transcript of Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Page 1: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Skript zur Vorlesung”Topologie“, Sommersemester 2010

Dr. Philipp Sprussel

Stand 22. September 2010

1 Grundlegende Begriffe

1.1 Topologische Raume und stetige Abbildungen

Beweise zu diesem Abschnitt sollten sich in jedem beliebigen Topologiebuch finden.

Definition (Topologischer Raum, offene und abgeschlossene Mengen). Ein topologischerRaum ist eine Menge X zusammen mit einem System O von Teilmengen von X, so dass

(i) Beliebige Vereinigungen von Elementen von O liegen in O.

(ii) Durchschnitte von endlich vielen Elementen von O liegen in O.

(iii) X und die leere Menge liegen in O.

Die Mengen aus O heißen offen, ihre Komplemente sind abgeschlossen. Man nennt Oauch eine Topologie auf X.

Bemerkung. Erlaubt man leere Vereinigungen und Schnitte, kann man auf das letzteAxiom verzichten. Die Axiome fur abgeschlossene Mengen sind komplementar zu denenfur offene Mengen, das heißt, endliche Vereinigungen und beliebige Schnitte abgeschlos-sener Mengen sind abgeschlossen.

Beispiel. Beispiele fur topologische Raume sind:

• Rn mit den bekannten offenen Mengen.

• Jede Menge X mit der diskreten Topologie: Jede Teilmenge von X ist offen.

• Jede Menge X mit der trivialen oder indiskreten Topologie: Nur X und die leereMenge sind offen.

• Die kofinite Topologie auf einer beliebigen Menge X: Eine Menge ist offen genaudann, wenn sie leer oder ihr Komplement endlich ist.

Definition. Seien O, O′ zwei Topologien auf einer Menge X. Wir nennen O feiner alsO′ (und umgekehrt O′ grober als O), falls O ⊇ O′.

1

Page 2: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Bemerkung. Im Allgemeinen mussen zwei Topologien nicht vergleichbar (im Sinne vonfeiner/grober) sein.

Definition (Stetigkeit, Homoomorphismus). Eine Abbildung f : X → Y zwischen topo-logischen Raumen heißt stetig, falls das Urbild jeder offenen Menge in Y offen in X ist.Falls f bijektiv ist und sowohl f als auch f−1 stetig, dann ist f ein Homoomorphismus.

Beispiel. Seien (X,OX), (Y,OY ) topologische Raume.

• Ist OY die triviale Topologie oder OX die diskrete Topologie, so ist jede Abbildungf : X → Y stetig.

• Falls f(X) nur aus einem Punkt besteht, ist f stetig.

• Im Fall X = Y ist f genau dann stetig, wenn OX feiner als OY ist.

Satz. Sind f : X → Y und g : Y → Z stetige Abbildungen, dann ist auch g ◦ f : X → Zstetig.

Definition (Offene und abgeschlossene Abbildungen). Eine Abbildung f : X → Y heißtoffen, wenn das Bild jeder offenen Menge offen ist. Entsprechend sind abgeschlosseneAbbildungen definiert.

Bemerkung. Nicht jede offene Abbildung ist auch abgeschlossen. Umgekehrt ist auchnicht jede abgeschlossene Abbildung offen.

Satz. Eine bijektive Abbildung ist genau dann ein Homoomorphismus, wenn sie stetigund offen (aquivalent: abgeschlossen) ist.

Definition (Basis, Subbasis). Sei (X,O) ein topologischer Raum und B, S Teilmengenvon O.

(i) B heißt Basis (der Topologie O), falls jede Menge aus O die Vereinigung vonMengen aus B ist.

(ii) S heißt Subbasis, falls die Menge B′ von endlichen Durchschnitten von Mengen ausS eine Basis ist.

Bemerkung. Jede Basis ist auch eine Subbasis. Jede Topologie ist ihre eigene Basis.

Beispiel. • In Rn bilden die offenen Balle (Mengen der Form {y ∈ Rn | d(x, y) < ε}fur festes x und ε > 0) eine Basis der bekannten Topologie. Alternativ bildenauch die ”offenen Hyperwurfel“ eine Basis. In beiden Fallen genugt es, diejenigenMengen mit rationalem Zentrum zu wahlen, Rn hat also eine abzahlbare Basis.

• Fur die kofinite Topologie auf einer Menge X bilden die Komplemente der Ein-punktmengen eine Subbasis.

Satz. Sei X eine Menge und B ein System von Teilmengen von X. Genau dann ist Bdie Basis einer Topologie auf X, falls:

2

Page 3: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

(i) Jeder Punkt in X ist in einer Menge aus B enthalten.

(ii) Jeder Schnitt zweier (aquivalent: endlich vieler) Elemente von B ist Vereinigungvon Mengen aus B.

Satz. Seien (X,OX) und (Y,OY ) topologische Raume und sei B eine Basis von OY .Eine Abbildung f : X → Y ist genau dann stetig, wenn alle Urbilder von Mengen aus Bin OX liegen.

Satz. Sei (X,O) ein topologischer Raum und S eine Teilmenge von O. Genau dann istS eine Subbasis von O, wenn O die grobste Topologie auf X ist, in der alle Mengen ausS offen sind.

Definition (Umgebung, Umgebungsbasis). Sei (X,O) ein topologischer Raum und xein Punkt in X. Eine Teilmenge U von X heißt Umgebung von x, falls sie eine offeneMenge O 3 x enthalt. Eine Menge U von Umgebungen von x heißt Umgebungsbasis vonx, falls jede Umgebung von x eine Umgebung aus U enthalt.

Satz. Sei (X,O) ein topologischer Raum, B eine Basis von O und U eine Umgebungs-basis eines Punktes x ∈ X.

(i) Eine Menge B′ von Teilmengen von X ist genau dann eine Basis von O, wennjedes B ∈ B Vereinigung von Mengen aus B′ ist sowie jedes B′ ∈ B′ Vereinigungvon Mengen aus B.

(ii) Eine Menge U ′ von Teilmengen von X, die x enthalten, ist genau dann eine Um-gebungsbasis von x, wenn jedes U ∈ U ein U ′ ∈ U ′ enthalt und umgekehrt auchjedes U ′ ∈ U ′ ein U ∈ U .

Beispiel. • Im Rn bilden die abgeschlossenen Kugeln um einen Punkt x eine Um-gebungsbasis aus nicht-offenen Mengen.

• Im Rn bilden die ”offenen Quader“, Mengen der Form (a1, b1)× · · · × (an, bn), eineBasis.

Satz. Eine Abbildung f : X → Y ist genau dann stetig, wenn fur jedes x ∈ X und jedeUmgebung UY von f(x) das Urbild f−1(UY ) eine Umgebung von x ist.

1.2 Induzierte Topologien

Beweise zu diesem Abschnitt finden sich großtenteils in [8, Kapitel 3].

Definition (Unterraumtopologie). Ist (X,OX) ein topologischer Raum und U eine Teil-menge von X, dann definieren wir die Unterraumtopologie OU von U : Eine TeilmengeO von U ist offen (in U) genau dann, wenn es eine offene Menge OX in X gibt mitO = OX ∩ U .

3

Page 4: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Bemerkung. Im Allgemeinen muss U hierfur nicht als Teilmenge von X gegeben sein.Ist ι : U → X eine injektive Abbildung, so definieren wir eine Teilmenge von U als offen,falls ihr Bild unter ι offen in ι(U) (mit der gerade definierten Unterraumtopologie) ist.

Beispiel. • Die bekannte Topologie auf Rn ist auch die Unterraumtopologie bezug-lich der Abbildung Rn → Rn × {0} ⊂ Rn+1.

• Die Unterraumtopologie von Z in R ist die diskrete Topologie.

Satz. Die Unterraumtopologie von U ⊆ X ist die grobste Topologie, mit der die InklusionU → X stetig ist.

Definition (Quotiententopologie). Sei (X,OX) ein topologischer Raum und ∼ eineAquivalenzrelation auf X. In der Quotiententopologie von X/∼ ist eine Menge genaudann offen, wenn die Vereinigung ihrer Aquivalenzklassen offen in X ist.

Bemerkung. Wir konnen auch umgekehrt von einer surjektiven Abbildung π : X → Yausgehen; dann ist Y kanonisch isomorph zum Quotienten X/∼π. Eine Menge in Y istnun genau dann offen, wenn ihr Pendant in X/∼π offen ist.

Beispiel. • Die Abbildung [0, 1]→ {z ∈ C | ‖z‖ = 1}, x 7→ exp(2πix) definiert eineQuotiententopologie auf dem Einheitskreis. Diese stimmt mit der Unterraumtopo-logie aus C uberein.

• Die Quotiententopologie von Rm bezuglich der Projektion Rn → Rm (mit n > m)auf die ersten m Koordinaten ist gleich der ublichen Topologie auf Rm.

• Sei T ⊂ R3 der Torus. Die Quotiententopologie, welche von der Projektion [0, 1]2 →T induziert wird, entspricht der Unterraumtopologie von T in R3.

• Identifiziert man in R alle rationalen Zahlen, so ist im Quotientenraum X ={{Q}} ∪ {{x} | x ∈ R \ Q} eine Menge O genau dann offen, wenn {Q} in Oliegt und die Menge der x ∈ R mit {x} ∈ O offen in R \Q ist.

Satz. Sei (X,OX) ein topologischer Raum und π : X → Y eine Quotientenabbildung.Dann ist die Quotiententopologie von Y die feinste Topologie, fur die π stetig ist.

Definition (Disjunkte Vereinigungen). Seien (Xi,Oi), i ∈ I, topologische Raume. DieTopologie der disjunkten Vereinigung X :=

⊔i∈I Xi (auch Summentopologie) besteht

aus allen Teilmengen O von X, fur welche alle Mengen O ∩Xi offen in Xi sind.

Bemerkung. Fur jedes i sei Bi eine Basis von Oi. Dann ist die Vereinigung B aller Bieine Basis der Summentopologie. Insbesondere bildet die Menge aller offenen Mengen inden einzelnen Xi eine Basis.

Satz. Seien (Xi,Oi), i ∈ I, topologische Raume. Die Topologie der disjunkten Vereini-gung X ist die feinste Topologie, fur die alle Inklusionen ιi : Xi → X stetig sind.

4

Page 5: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Definition (Produkte). Seien (Xi,Oi), i ∈ I, topologische Raume. Die Topologie desProduktes X :=

∏i∈I Xi (Produkttopologie) ist die Topologie, welche durch die Subbasis

aller Mengen der Form Oi ×∏j∈I\{i}Xj mit Oi offen in Xi erzeugt wird.

Bemerkung. Die Schnitte der obigen Subbasis sind von der Form

Oi1 × · · · ×Oin ×∏

j∈I\{i1,...,in}

Xj

mit Oik offen in Xik . Diese Mengen bilden also eine Basis der Produkttopologie.

Beispiel. Die Topologie von Rn ist gleich der Produkttopologie, wenn man Rn als n-faches Produkt von R ansieht.

Satz. Seien Xi, i ∈ I, topologische Raume. Die Produkttopologie auf X :=∏i∈I Xi ist

die grobste Topologie, fur die alle Projektionen πi : X → Xi stetig sind.

Bemerkung. Auf einem Produkt kann man auch eine andere Topologie definieren,die Boxtopologie: Hierin sind alle Produkte von offenen Mengen in den Xi offen in X.Wahrend in der Produkttopologie jede punktweise konvergente Folge konvergiert, istdies in der Boxtopologie nicht der Fall. Hierbei heißt eine Folge (xn)n∈N von Punktenin X konvergent, falls es einen Punkt x ∈ X gibt, so dass jede Umgebung von x alle bisauf endlich viele xn enthalt. Die Folge heißt punktweise konvergent, falls fur jedes i dieFolge der Projektionen

(πi(xn)

)n∈N konvergent in Xi ist.

Definition (Initialtopologie, Finaltopologie). Sei X eine Menge und Xi, i ∈ I, topolo-gische Raume.

• Sind Abbildungen fi : X → Xi fur alle i gegeben, so ist die Initialtopologie bezuglich(fi)i∈I diejenige Topologie auf X, welche durch die Subbasis aller Mengen der Formf−1i (Oi) (mit Oi offen in Xi) erzeugt wird

• Sind Abbildungen fi : Xi → X fur alle i gegeben, so besteht die Finaltopologie aufX bezuglich (fi)i∈I aus genau denjenigen Mengen O ⊆ X, fur die jedes Urbildf−1i (O) offen in Xi ist.

Beispiel. • Beispiele fur Initialtopologien sind die Unterraumtopologie und die Pro-dukttopologie.

• Beispiele fur Finaltopologien sind die Quotiententopologie und die Topologie derdisjunkten Vereinigung.

Satz. Sei X eine Menge, Xi, i ∈ I, topologische Raume und fi : X → Xi, i ∈ I,Abbildungen. Dann ist stimmen folgende Topologien auf X uberein:

(i) Die Initialtopologie bezuglich (fi)i∈I .

(ii) Die grobste Topologie auf X, fur die alle fi stetig sind.

5

Page 6: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

(iii) Die (eindeutige) Topologie auf X mit der folgenden universellen Eigenschaft:

Fur jeden topologischen Raum Y und jede Abbildung g : Y → X gilt, dass g genaudann stetig ist, wenn jede Abbildung fi ◦ g : Y → Xi stetig ist.

Satz. Sei X eine Menge, Xi, i ∈ I, topologische Raume und fi : Xi → X, i ∈ I,Abbildungen. Dann ist stimmen folgende Topologien auf X uberein:

(i) Die Finaltopologie bezuglich (fi)i∈I .

(ii) Die feinste Topologie auf X, fur die alle fi stetig sind.

(iii) Die (eindeutige) Topologie auf X mit der folgenden universellen Eigenschaft:

Fur jeden topologischen Raum Y und jede Abbildung g : X → Y gilt, dass g genaudann stetig ist, wenn jede Abbildung g ◦ fi : Xi → Y stetig ist.

Bemerkung. Initialtopologien kann man verketten, ebenso wie Finaltopologien: DieInitialtopologie von X bezuglich (fi : X → Xi)i∈I , wobei jedes Xi mit der Initialto-pologie bezuglich (fi,j : Xi → Xi,j)j∈Ji ausgestattet ist, entspricht der Initialtopologievon X bezuglich (fi,j ◦ fi)i∈I,j∈Ji . Analog entspricht die Finaltopologie von X bezuglich(fi : Xi → X)i∈I , wobei jedes Xi mit der Finaltopologie bezuglich (fi,j : Xi,j → Xi)j∈Jiausgestattet ist, der Finaltopologie von X bezuglich (fi ◦ fi,j)i∈I,j∈Ji .

Definition (Metrische Raume). Sei X ein metrischer Raum mit Metrik d. Ein offenerBall um x ∈ X ist eine Menge der Form {y ∈ X | d(x, y) < ε} fur ein ε > 0. Die offenenBalle in X bilden die Basis einer Topologie Od auf X. Wir sagen, die Metrik d induziertdie Topologie Od.

1.3 Simpliziale Komplexe

Definition (Inneres, Rand, Abschluss). Sei A eine beliebige Teilmenge eines topologi-schen Raumes X.

(i) Das Innere von A ist die Menge A aller Punkte, die eine Umgebung haben, welchevollstandig in A enthalten ist.

(ii) Der Rand von A ist die Menge ∂A aller Punkte, fur die jede Umgebung sowohl Aalso auch X \A trifft.

(iii) Der Abschluss von A ist die Menge A aller Punkte, fur die jede Umgebung A trifft.

Alternativ kann man den Abschluss definieren als den Schnitt aller abgeschlossenenMengen in X, die A enthalten.

Satz. Sei A eine beliebige Teilmenge eines topologischen Raumes X. Dann gilt

(i) A ist die kleinste abgeschlossene Menge, die A enthalt.

(ii) A ist die disjunkte Vereinigung von A und ∂A.

6

Page 7: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

(iii) A = X \X \A.

(iv) ∂A = A ∩X \A.

(v) Ist B eine Menge mit A ⊆ B ⊆ A, dann ist B = A.

Definition (Simplex). Seien x0, . . . , xn Punkte im Rm (m ≥ n) in allgemeiner Lage,das heißt, die Vektoren xi − x0, i = 1, . . . , n, sind linear unabhangig. Die konvexe Hulle

[x0, . . . , xn] :={λ0x0 + · · ·+ λnxn | λ0 + · · ·+ λn = 1 und λi ≥ 0 fur alle i

}dieser Punkte (mit der Unterraumtopologie) heißt n-Simplex. Die Punkte xi sind seineEcken.

Bemerkung. Jeder n-Simplex ist homoomorph zum Standard-n-Simplex

∆n :={

(t0, . . . , tn)t ∈ Rn+1 | t0 + · · ·+ tn = 1 und ti ≥ 0 fur alle i}.

Bemerkung. Sei S = [x0, . . . , xn] ein n-Simplex und sei x = λ0x0 + · · · + λnxn ∈ S.Fur jedes ε > 0 ist die Menge

Sε(x) :={µ0x0 + · · ·+ µnxn ∈ S | ∀i : |λi − µi| < ε

}offen in S. Die Mengen Sε(x) fur festes x bilden eine Umgebungsbasis von x; die Mengenfur alle x bilden eine Basis von S.

Definition (Teilsimplex, Seitenflache, Rand). Sei S = [x0, . . . , xn] ein n-Simplex. Je-de (k + 1)-elementige Teilmenge der Ecken spannt ihrerseits ein k-Simplex auf, ein k-Teilsimplex von S. Insbesondere ist S ein n-Teilsimplex von sich selbst. Ein (n − 1)-Teilsimplex von S heißt Seitenflache von S. Die Vereinigung der Seitenflachen von S istder Rand von S.

Satz. Sei S ein n-Simplex im Rn. Der Rand von S ist ∂S.

Definition (Simplizialer Komplex). Ein (endlich dimensionaler) simplizialer n-KomplexKn ist ein topologischer Raum, der durch ”Zusammenkleben“ von Simplizes entsteht:Man beginnt mit der disjunkten Vereinigung K0 von 0-Simplizes (mit der Summento-pologie), dann bildet man induktiv fur k = 1, . . . , n die disjunkte Vereinigung von Kk−1

und einigen k-Simplizes und identifiziert den Rand jedes k-Simplexes mit einer Teilmengevon Kk−1 wie folgt:

(i) Die Ecken eines k-Simplexes werden mit 0-Simplizes in Kk−1 identifiziert.

(ii) Fur jeden k-Simplex S werden je zwei Ecken von S mit verschiedenen 0-Simplizesidentifiziert.

(iii) Betrachtet man fur einen k-Simplex S die 0-Simplizes, mit denen seine Ecken iden-tifiziert werden, dass sind je k von ihnen die Ecken eines (k−1)-Simplexes in Kk−1.Die Punkte dieses (k − 1)-Simplexes werden mit den Punkten der entsprechendenSeitenflache von S identifiziert. (Zwei Punkte werden identifiziert, wenn ihre Dar-stellungen als Linearkombination ubereinstimmen.)

7

Page 8: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

(iv) Es gibt keine zwei k-Simplizes, deren Ecken mit den gleichen 0-Simplizes identifi-ziert werden.

Die Simplizes, die wahrend der Konstruktion als disjunkte Vereinigung hinzugefugt wer-den, heißen Simplizes von Kn. Der k-Komplex Kk heißt k-Skelett von Kn.

Satz. Sei Kn ein simplizialer n-Komplex. Dann gibt es fur jeden k-Simplex S von Kn

eine Abbildung ι : S → Kn, welche ein Homoomorphismus zwischen S und ι(S) ist.

Definition (Stern). Sei Kn ein simplizialer n-Komplex und S eine Menge von Simplizesin Kn. Der Stern von S ist die Vereinigung in Kn der Inneren aller Simplizes, fur die einTeilsimplex in S liegt.

Definition (Polyeder). Ein Polyeder ist ein Unterraum vom R3, welcher isomorph zueinem endlichen simplizialen 2-Komplex K ist, in welchem jeder Stern eines SimplexesS homoomorph zu einer offenen Scheibe ist.

1.4 Invarianten von topologischen Raumen

Beweise zu diesem Abschnitt finden sich: Fur Kompaktheit, Zusammenhang und Weg-zusammenhang sowohl in [1, Kapitel 3] als auch in [8, Kapitel 4 und 8], fur die Tren-nungseigenschaften in [8, Kapitel 6] und fur lokale Kompaktheit und Zusammenhangin [8, Kapitel 4 und 8].

Definition (Topologische Invariante). Eine topologische Invariante ist eine Eigenschafttopologischer Raume (formal: eine Teilklasse der Klasse aller topologischen Raume),welche invariant unter Homoomorphismen ist, das heißt, homoomorphe Raume besitzenbeide diese Eigenschaft oder beide nicht.

Bemerkung. Topologische Invarianten werden haufig verwendet um zu beweisen, dassgegebene topologische Raume nicht homoomorph sind.

Bemerkung. Simple topologische Invarianten sind:

• Die Machtigkeit von O,

• die minimale Machtigkeit einer Basis von O,

• die Machtigkeiten von Umgebungsbasen.

Definition (Metrisierbarkeit). Ein topologischer Raum (X,O) heißt metrisierbar, fallses eine Metrik gibt, welche die Topologie O induziert (siehe Seite 6).

Beispiel. Sei (X,O) ein topologischer Raum.

• Ist O die diskrete Topologie, so ist (X,O) metrisierbar.

• Ist O die triviale Topologie (und besteht X aus mindestens zwei Punkten), so ist(X,O) nicht metrisierbar.

8

Page 9: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

• Ist X = R und O die kofinite Topologie, so ist (X,O) nicht metrisierbar.

Satz. Metrisierbarkeit ist eine topologische Invariante.

Bemerkung. In einem metrisierbaren topologischen Raum bilden die offenen Balle vomRadius 1

n um einen festen Punkt x eine abzahlbare Umgebungsbasis von x.

Bemerkung. Jeder metrisierbare Raum (X,O) ist metrisierbar durch eine Metrik, inder keine zwei Punkte Abstand großer 1 haben: Ist d irgendeine Metrik, die O induziert,dann wird O auch durch die Metriken d′ := d

1+d oder

d′′(x, y) :=

{d(x, y) falls d(x, y) ≤ 11 sonst

induziert.

Satz. Unterraume metrisierbarer Raume sind metrisierbar.

Satz. Disjunkte Vereinigungen metrisierbarer Raume sind metrisierbar.

Satz. Das Produkt abzahlbar vieler metrisierbarer Raume ist metrisierbar.

Definition (Kompaktheit). Ein topologischer Raum (X,O) heißt kompakt, falls es zujeder Menge A von offenen Mengen mit X =

⋃A (einer offenen Uberdeckung) eine endli-

che Teiluberdeckung gibt. Eine Teilmenge von X heißt kompakt, wenn sie als Unterraumvon X kompakt ist.

Beispiel. Beispiele fur kompakte Raume sind:

• Jeder endliche Raum,

• beschrankte, abgeschlossene Teilmengen im Rn,

• jeder Raum mit der trivialen oder kofiniten Topologie,

• die Zariski-Topologie auf dem Spektrum eines kommutativen Ringes.

Satz. Stetige Bilder kompakter Raume/Mengen sind kompakt.

Korollar. Kompaktheit ist eine topologische Invariante.

Korollar. Jeder Quotient eines kompakten Raumes ist kompakt.

Satz. Jede abgeschlossene Teilmenge eines kompakten Raumes ist kompakt.

Satz. In einem kompakten metrischen Raum ist die Metrik beschrankt.

Definition (Zusammenhang). Ein topologischer Raum (X,O) heißt zusammenhangend,falls es keine disjunkte, nicht-leere, offene Mengen A,B gibt mit X = A ∪B. Eine Teil-menge U von X heißt zusammenhangend, falls sie in der Unterraumtopologie zusam-menhangend ist.

9

Page 10: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Beispiel. Beispiele fur zusammenhangende Raume sind:

• Rn,

• Intervalle in R,

• jeder Raum mit der trivialen Topologie,

• jeder unendliche Raum mit der kofiniten Topologie.

Hingegen ist jeder Raum mit der diskreten Topologie (und mindestens zwei Punkten)nicht zusammenhangend, ebenso wie jede disjunkte Vereinigung. Auch Q als Teilmengevon R ist nicht zusammenhangend.

Satz. Stetige Bilder zusammenhangender Raume/Mengen sind zusammenhangend.

Korollar. Zusammenhang ist eine topologische Invariante.

Definition (Weg, Wegzusammenhang). Ein Weg in einem topologischen Raum X isteine stetige Abbildung ϕ : [0, 1] → X. Die Punkte ϕ(0) und ϕ(1) heißen Endpunktevon ϕ, und ϕ verbindet seine Endpunkte. Wir nennen X (oder eine Teilmenge von X)wegzusammenhangend, falls je zwei Punkte in X (in der Teilmenge) durch einen Weg inX (in der Teilmenge) verbunden werden.

Satz. Stetige Bilder wegzusammenhangender Raume/Mengen sind wegzusammenhan-gend.

Korollar. Wegzusammenhang ist eine topologische Invariante.

Satz. Jeder wegzusammenhangende Raum ist zusammenhangend.

Bemerkung. Die Umkehrung des obigen Satzes gilt nicht.

Definition (Trennungseigenschaften). Ein topologischer Raum (X,O) hat die Eigen-schaft

T0, wenn es zu jeden zwei Punkten in X eine offene Menge gibt, die genau einen dieserPunkte enthalt;

T1, wenn zu jeden zwei Punkten in X jeder dieser beiden eine Umgebung hat, die denanderen nicht enthalt;

T2, wenn jede zwei Punkte in X disjunkte Umgebungen besitzen;

T3, wenn jede abgeschlossene Menge A und jeder Punkt in X\A disjunkte Umgebungenbesitzen;

T3a, wenn es zu jeder abgeschlossenen Menge A und jedem Punkt x ∈ X \A eine stetigeFunktion f : X → [0, 1] gibt, die x auf 1 und ganz A auf 0 abbildet;

T4, wenn jede zwei disjunkte, abgeschlossene Mengen disjunkte Umgebungen haben.

10

Page 11: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Hierbei ist eine Umgebung einer Menge A eine Menge U , welche Umgebung aller Punktein A ist. Diese Eigenschaften heißen Trennungseigenschaften oder Trennungsaxiome.

Bemerkung. Die Eigenschaft T1 ist aquivalent dazu, dass jede Einpunktmenge abge-schlossen ist.

Satz. Die Trennungsaxiome sind topologische Invarianten.

Definition (Hausdorff-Raum). Ein topologischer Raum mit der Eigenschaft T2 heißtauch hausdorffsch oder Hausdorff-Raum.

Satz. In einem Hausdorff-Raum haben jede zwei disjunkte, kompakte Mengen disjunkteUmgebungen.

Bemerkung. Offenbar impliziert hausdorffsch T1, welches wiederum T0 impliziert. Eben-so wird T3 durch T3a impliziert.

Definition (Regulare, vollstandig regulare und normale Raume). Sei (X,O) ein T1-Raum.

(i) Falls X ein T3-Raum ist, heißt X auch regular.

(ii) Falls X ein T3a-Raum ist, heißt X vollstandig regular.

(iii) Falls X ein T4-Raum ist, heißt X normal.

Satz (ohne Beweis). Jeder normale Raum ist vollstandig regular (und somit auch regu-lar).

Satz. Jeder regulare Raum ist hausdorffsch. Somit sind auch vollstandig regulare Raumeund normale Raume hausdorffsch.

Beispiel. Sei N mit der folgenden Topologie ausgestattet: Eine Menge ist offen genaudann, wenn sie zu jedem ihrer Elemente auch alle kleineren naturlichen Zahlen enthalt.Mit dieser Topologie ist N ein T0-Raum aber kein T1-Raum.

Beispiel. Sei X eine unendliche Menge, die mit der kofiniten Topologie ausgestattet ist.Dann ist X ein T1-Raum aber kein T2-Raum.

Beispiel. Jeder Raum mit der trivialen Topologie (und mindestens zwei Punkten) istein T3-Raum, erfullt aber nicht T0 (und somit auch nicht T1 und T2).

Beispiel. Sei X eine Menge und a, o Punkte in X. Eine nichtleere echte Teilmenge vonX sei offen genau dann, wenn sie o enthalt aber nicht a. Dann ist X ein T4-Raum aberkein T3-Raum.

Satz. Ein metrischer Raum erfullt alle Trennungsaxiome.

Satz. Jeder kompakte Hausdorff-Raum ist normal.

11

Page 12: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Satz. Ist X ein Ti-Raum (i = 0, 1, 2, 3, 3a), dann ist auch jeder Unterraum von X einTi-Raum.

Beispiel. Sei X := {a, b, c, o} und sei die Topologie auf X definiert wie oben. DerUnterraum U := X \ {a} ist kein T4-Raum.

Satz. Jeder abgeschlossene Unterraum eines T4-Raumes ist ein T4-Raum.

Satz. Ein Produktraum∏i∈I Xi ist genau dann ein Ti-Raum (i = 0, 1, 2, 3, 3a), wenn

jedes Xi ein Ti-Raum ist.

Beispiel. In R bilden die halboffenen Intervalle [a, b) die Basis einer Topologie. Diesertopologische Raum wird Sorgenfrey-Gerade genannt und ist normal.

Das Produkt der Sorgenfrey-Gerade mit sich selbst heißt Sorgenfrey-Ebene und istnicht normal.

Definition (Lokale Kompaktheit). Ein topologischer Raum heißt lokal kompakt, fallsjeder Punkt eine Umgebungsbasis aus kompakten Mengen besitzt.

Beispiel. Der Rn ist lokal kompakt, ebenso jeder Raum mit der diskreten, trivialenoder kofiniten Topologie. Hingegen ist die Menge der rationalen Zahlen in [0, 1] wederkompakt noch lokal kompakt.

Definition (Lokaler Zusammenhang). Ein topologischer Raum heißt lokal zusammen-hangend, falls jeder Punkt eine Umgebungsbasis aus zusammenhangenden Mengen be-sitzt.

Beispiel. Der Raum X ⊂ R2 mit

X := {(x, y) ∈ R2 | x = 0 oder y = sin(1/x)}

ist zusammenhangend aber nicht lokal zusammenhangend.

Satz. Lokale Kompaktheit und lokaler Zusammenhang sind topologische Invarianten.

Bemerkung. Diese lokalen Eigenschaften bleiben im Allgemeinen nicht unter stetigenAbbildungen erhalten.

Definition (Abzahlbarkeitseigenschaften). Eine Teilmenge eines topologischen Raumesheißt dicht, wenn ihr Abschluss der gesamte Raum ist. Ein topologischer Raum heißtseparabel, wenn er eine abzahlbare, dichte Teilmenge enthalt.

Ein topologischer Raum erfullt das erste Abzahlbarkeitsaxiom (ist first countable),wenn jeder Punkt eine abzahlbare Umgebungsbasis hat. Der Raum erfullt das zweiteAbzahlbarkeitsaxiom (ist second countable), falls er eine abzahlbare Basis hat.

Beispiel. Der Rn erfullt alle drei obigen Eigenschaften.

Bemerkung. Das zweite Abzahlbarkeitsaxiom impliziert das erste und Separabilitat.

12

Page 13: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Beispiel. Ein uberabzahlbarer Raum mit der diskreten Topologie ist first countableaber nicht second countable.

Beispiel. Die Sorgenfrey-Gerade ist separabel und first countable aber nicht secondcountable.

Satz. Die Abzahlbarkeitseigenschaften sind topologische Invarianten.

Satz. Ist X separabel und f : X → Y stetig und surjektiv, dann ist auch Y separabel.

Bemerkung. Die Abzahlbarkeitsaxiome bleiben im Allgemeinen nicht unter stetigenAbbildungen erhalten.

1.5 Flachen

Definition (Flache). Ein Hausdorff-Raum Σ heißt Flache, wenn er lokal homoomorphzum R2 ist, das heißt, jeder Punkt hat eine Umgebung, die homoomorph zum R2 ist.

Σ heißt Flache mit Rand, wenn jeder Punkt eine Umgebung hat, die homoomorphzum R2 oder zur Halbebene

{(x, y) ∈ R2 | y ≥ 0}

ist. Die Menge der Punkte der letzteren Art heißt Rand von Σ.

Bemerkung. In der Literatur werden anstelle von ”Flache mit Rand“ und ”Flache“ oftdie Begriffe ”Flache“ und ”Flache ohne Rand“ verwendet.

Bemerkung. Wir werden lediglich abgeschlossene Flachen betrachten: Eine Flacheheißt abgeschlossen, wenn sie kompakt und zusammenhangend ist.

Beispiel. Flachen sind:

• Die SphareS2 := {x ∈ R3 | ‖x‖ = 1}.

• Der Torus, der Quotient von [0, 1]2 bei der linearen Identifizierung der in Abbil-dung 1 mit gleichen Buchstaben versehenen ”Kanten“ in der vorgegebenen Orien-tierung.

• Der Doppeltorus, der Quotient eines regelmaßigen Achtecks bei der Identifizierungder Kanten nach Abbildung 2.

• Der n-fache Torus, der Quotient eines regelmaßigen 4n-Ecks bei Identifizierungder ersten mit der dritten Kante, der zweiten mit der vierten, der funften mit dersiebten und so weiter. Hierbei sind die Orientierungen zweier identifizierter Kanten(im Vergleich zum Uhrzeigersinn) stets entgegengesetzt.

• Die projektive Ebene, der Quotient von [0, 1]2 bei Identifizierung nach Abbildung 3.

13

Page 14: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

b

a

b

a

Abbildung 1: Schema des Torus

a

b

a

b

c

d

c

d

Abbildung 2: Schema des Doppeltorus

b

a

b

a

Abbildung 3: Schema der projektiven Ebene

14

Page 15: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

b

a

b

a

Abbildung 4: Schema der Kleinschen Flasche

• Die Kleinsche Flasche, der Quotient von [0, 1]2 bei Identifizierung nach Abbil-dung 4.

Beispiel. Flachen mit Rand sind:

• Der Zylinder, der Quotient von [0, 1]2 nach Abbildung 5.

Abbildung 5: Der Zylinder als Quotient

• Das Mobiusband, der Quotient von [0, 1]2 nach Abbildung 6.

Abbildung 6: Das Mobiusband

Definition (Scheibe). Sei X ein topologischer Raum. Eine Scheibe in X ist ein Unter-raum D von X, der homoomorph zur Einheitskreisscheibe

B2 := {x ∈ R2 | ‖x‖ ≤ 1}

ist.

15

Page 16: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Definition (Henkel, Kreuzhaube). Eine Flache Σ entsteht aus der Sphare S2 durch An-nahen von Henkeln, falls es 2n disjunkte Scheiben D1, . . . , D2n auf der Sphare gibt, sodass Σ homoomorph zum Quotientenraum der disjunkten Vereinigung von S2 \ (

⋃Di)

und Zylindern Z1, . . . , Zn ist, wenn die beiden ”Randkreise“ von Zi mit den Randern vonD2i−1 und D2i identifiziert werden. Hierbei sind die Orientierungen der beiden Randkrei-se von Zi gleich gerichtet, die Orientierungen von D2i−1 und D2i jedoch entgegengesetzt.

Eine Flache Σ1 entsteht aus einer Flache Σ2 durch Einnahen einer Kreuzhaube, wennΣ1 homoomorph zum Quotienten von Σ2 − D ist (mit D eine Scheibe in Σ2), wenn jezwei gegenuberliegende Punkte in ∂D (gegenuberliegend unter dem Homoomorphismuszu B2) identifiziert werden.

Beispiel (Ohne Beweis). Der n-fache Torus ensteht aus der Sphare durch Annahen vonn Henkeln, die projektive Ebene durch Einnahen einer Kreuzhaube und die KleinscheFlasche durch Einnahen zweier Kreuzhauben.

Theorem (Klassifikation der Flachen). Jede (abgeschlossene) Flache ist von einem derfolgenden Typen:

(i) Die Sphare,

(ii) Die Sphare mit n angenahten Henkeln,

(iii) Die Sphare mit n eingenahten Kreuzhauben.

Diese Flachen sind allesamt voneinander verschieden.

Bemerkung (Ohne Beweis). Insbesondere erhalt man keine neuen Flachen, wenn mandie Sphare zunachst mit einigen Henkel und dann mit Kreuzhauben versieht.

1.6 Zusammenhang

Beweise zu diesem Abschnitt finden sich in [1, Kapitel 3] und in [8, Kapitel 4].

Satz. Sei X ein topologischer Raum. Folgende Aussagen sind aquivalent:

(i) X ist zusammenhangend

(ii) Nur die leere Menge und X sind sowohl offen als auch abgeschlossen in X.

(iii) Fur alle nicht-leere Mengen A,B mit A ∪B = X gilt A ∩B 6= ∅ oder A ∩B 6= ∅.

(iv) Es gibt keine surjektive stetige Funktion von X auf einen Raum mit diskreter To-pologie (und mindestens zwei Punkten).

Satz. R ist zusammenhangend.

Definition (Intervall). Eine Teilmenge I von R heißt Intervall, wenn sie zu jeden zweiPunkten a, b ∈ I auch alle Punkte c mit a < c < b enthalt.

16

Page 17: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Korollar. Eine nicht-leere Teilmenge von R ist genau dann zusammenhangend, wennsie ein Intervall ist.

Bemerkung. Dies beweist, dass jeder wegzusammenhangende Raum zusammenhan-gend ist (siehe Seite 10).

Satz. Sei Z eine dichte Teilmenge eines topologischen Raumes X. Ist Z zusammenhan-gend, dann ist es auch X.

Korollar. Ist Z eine zusammenhangende Teilmenge eines topologischen Raumes, dannist auch jede Menge Y mit Z ⊆ Y ⊆ Z zusammenhangend. Insbesondere ist der Abschlussjeder zusammenhangenden Menge zusammenhangend.

Satz. Sei A eine Menge von zusammenhangenden Teilmengen eines topologischen Raum-es X und sei

⋃A∈AA = X. Ist fur jede zwei Elemente von A der Durchschnitt ihrer

Abschlusse nicht-leer, dann ist auch X zusammenhangend.

Satz. Ein Produkt topologischer Raume ist genau dann zusammenhangend, wenn jederFaktor zusammenhangend ist.

Definition (Komponente). Eine maximale zusammenhangende Menge in einem topo-logischen Raum X heißt (Zusammenhangs-)Komponente von X.

Satz (Lemma von Zorn). Sei A eine (nicht-leere) partiell geordnete Menge. Falls je-de total geordnete Teilmenge ( Kette) eine obere (untere) Schranke hat, besitzt A einmaximales (minimales) Element.

Satz. Sei X ein topologischer Raum. Dann gilt:

(i) Je zwei Komponenten von X sind disjunkt.

(ii) Jede zusammenhangende Teilmenge von X ist in einer Komponente enthalten.

(iii) Jede Komponente von X ist abgeschlossen.

Beispiel. Eine zusammenhangender Raum hat nur eine Komponente. In jedem diskretenRaum bestehen alle Komponenten aus einem einzelnen Punkt, ebenso beim CantorschenDiskontinuum oder bei Q (mit der Unterraumtopologie aus R). Ein topologischer Raum,in dem jede Komponente nur einen Punkt enthalt, heißt total unzusammenhangend.

Bemerkung. Im Allgemeinen gibt es zu zwei Komponenten C,D keine disjunkten of-fenen Mengen A ⊃ C und B ⊃ D, die X uberdecken.

Satz. Jede zusammenhangende offene Teilmenge des Rn ist wegzusammenhangend.

Definition (Wegkomponenten). Eine maximale wegzusammenhangende Menge in ei-nem topologischen Raum X heißt Weg(zusammenhangs)komponente von X.

Bemerkung. Wegkomponenten mussen im Gegensatz zu Komponenten nicht abge-schlossen sein.

17

Page 18: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Bemerkung. Jede Komponente eines topologischen Raumes ist Vereinigung von Weg-komponenten.

Beispiel. Es gibt eine zusammenhangende Teilmenge von R2, deren Wegkomponentenaus jeweils einem einzelnen Punkt bestehen. Diese kann man rekursiv definieren, indemman in jedem Schritt (von uberabzahlbar vielen) einen Punkt aus dem Rand einer offenenMenge hinzufugt und einen Punkt aus dem Bild eines Weges ausschließt.

1.7 Kompaktheit

Beweise zu diesem Abschnitt (abgesehen von den Kompaktheits-Varianten) finden sichin [1, Kapitel 3] sowie in [8, Kapitel 8]. In letzterer Quelle werden auch einige derKompaktheits-Varianten behandelt.

Satz. Sei X ein topologischer Raum und B eine Basis seiner Topologie. X ist genaudann kompakt, wenn jede offene Uberdeckung durch Mengen aus B eine endliche Teil-uberdeckung hat.

Satz (Beweis spater). Sei X ein topologischer Raum und S eine Subbasis seiner Topolo-gie. X ist genau dann kompakt, wenn jede offene Uberdeckung durch Mengen aus S eineendliche Teiluberdeckung hat.

Satz. Jedes Intervall [a, b] ∈ R ist kompakt.

Satz (Tychonoff, Beweis spater). Ein Produkt∏i∈I Xi ist genau dann kompakt, wenn

alle Faktoren kompakt sind.

Satz. Eine Teilmenge von Rn ist genau dann kompakt, wenn sie beschrankt und abge-schlossen ist.

Korollar. Jede kompakte Teilmenge eines Hausdorff-Raumes ist abgeschlossen.

Korollar. Das Bild eines Weges in einem Hausdorff-Raum ist abgeschlossen.

Satz. Sei f : X → Y eine bijektive stetige Abbildung. Ist X kompakt und Y hausdorffsch,dann ist f ein Homoomorphismus.

Korollar. Jede injektive stetige Abbildung f von einem kompakten Raum X in einenHausdorff-Raum Y ist eine Einbettung (ein Homoomorphismus zwischen X und f(X)).

Satz. Eine stetige Funktion von einem kompakten Raum nach R ist beschrankt undnimmt ihr Maximum und Minimum an.

Satz. Jede Folge (xn)n∈N von Punkten in einem kompakten Raum X besitzt einen Hau-fungspunkt, einen Punkt, fur den jede Umgebung unendlich viele xn enthalt.

Satz. Sei X ein kompakter metrischer Raum und sei A eine offene Uberdeckung vonX. Dann gibt es ein δ > 0, so dass jede Menge vom Durchmesser hochstens δ in einerMenge aus A enthalten ist.

18

Page 19: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Bemerkung. Eine solche Zahl δ heißt Lebesgue-Zahl der Uberdeckung A.

Definition (Varianten von Kompaktheit). Sei X ein topologischer Raum.

(i) X heißt pseudokompakt, wenn jede stetige Funktion von X nach R beschrankt ist.

(ii) X heißt abzahlbar kompakt, wenn jede abzahlbare offene Uberdeckung von X eineendliche Teiluberdeckung besitzt.

(iii) X heißt schwach abzahlbar kompakt, wenn jede unendliche Teilmenge von X einenHaufungspunkt hat.

(iv) X heißt folgenkompakt, wenn jede Folge in X eine konvergente Teilfolge besitzt.

Satz. Stetige Bilder von pseudokompakten, abzahlbar kompakten, schwach abzahlbar kom-pakten oder folgenkompakten Raumen sind ebenfalls pseudokompakt, abzahlbar kompakt,schwach abzahlbar kompakt beziehungsweise folgenkompakt.

Bemerkung. Jeder kompakte Raum ist auch pseudokompakt, abzahlbar kompakt undschwach abzahlbar kompakt. Jeder abzahlbar kompakte Raum ist auch pseudokompaktund schwach abzahlbar kompakt.

Beispiel. Sei {0, 1} mit der diskreten Topologie ausgestattet und {0, 1}P(N) mit derProdukttopologie. Dieser Raum ist kompakt (nach Tychonoff) aber nicht folgenkompakt.

Satz (Ohne Beweis). Fur metrische Raume sind alle Kompaktheits-Begriffe aquivalent.

1.8 Topologische Dimension

Mehr uber topologische Dimensionen findet sich in [2] sowie (in knapperer Form) in [3].

Definition (Kleine induktive Dimension). Sei X ein regularer Raum. Wir definieren diekleine induktive Dimension ind(X) von X wie folgt.

(i) Der leere Raum hat Dimension −1.

(ii) Fur jedes n ≥ 0 gilt ind(X) ≤ n, falls jeder Punkt eine Umgebungsbasis aus offenenMengen hat, fur die der Rand jeder Basisumgebung Dimension hochstens n − 1hat.

(iii) X hat Dimension n, falls ind(X) ≤ n aber ind(X) 6≤ n− 1.

(iv) Falls ind(X) 6≤ n fur alle n, so hat X unendliche Dimension.

Beispiel. • ind(Rn) = n.

• Fur das Cantorsche Diskontinuum C gilt ind(C) = 0.

• Fur das Sierpinski-Dreieck S gilt ind(S) = 1.

19

Page 20: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

• [0, 1]I mit I unendlich hat unendliche Dimension.

Bemerkung. Die kleine induktive Dimension ist eine topologische Invariante, bleibtaber nicht unter stetigen Abbildungen erhalten: Das stetige Bild eines n-dimensionalenRaumes (n 6= −1) kann beliebige Dimension (6= −1) haben.

Satz. Ist Y ein Unterraum eines regularen Raumes X, dann gilt ind(Y ) ≤ ind(X).

Definition (Große induktive Dimension). Sei X ein normaler Raum. Wir definieren diegroße induktive Dimension Ind(X) von X wie folgt.

(i) Der leere Raum hat Dimension −1.

(ii) Fur jedes n ≥ 0 gilt Ind(X) ≤ n, falls es zu jeder abgeschlossenen Menge A undjeder offenen Umgebung U von A eine offene Umgebung V ⊆ U von A existiert,deren Rand Dimension hochstens n− 1 hat.

(iii) X hat Dimension n, falls Ind(X) ≤ n aber Ind(X) 6≤ n− 1.

(iv) Falls Ind(X) 6≤ n fur alle n, so hat X unendliche Dimension.

Beispiel. Der Rn hat große induktive Dimension n. Jeder diskrete Raum hat großeinduktive Dimension 0.

Satz. Ist Y ein abgeschlossener Unterraum eines normalen Raumes X, dann gilt Ind(Y ) ≤Ind(X).

Satz. Fur jeden normalen Raum X gilt ind(X) ≤ Ind(X).

Definition (Lebesguesche Uberdeckungs-Dimension). Sei X ein normaler Raum. Wirdefinieren die Lebesguesche Uberdeckungs-Dimension (auch topologische Dimension) dim(X)von X wie folgt.

(i) Fur jedes n ≥ −1 gilt dim(X) ≤ n, falls jede endliche offene Uberdeckung U vonX eine endliche offene Verfeinerung U ′ hat (das heißt, jede Menge aus U ′ ist ineiner Menge aus U enthalten), so dass jeder Punkt in hochstens n+ 1 Mengen ausU ′ liegt.

(ii) X hat Dimension n, falls dim(X) ≤ n aber dim(X) 6≤ n− 1.

(iii) Falls dim(X) 6≤ n fur alle n, so hat X unendliche Dimension.

Bemerkung. Bei der Definition von topologischer Dimension wird in der Literatur ge-legentlich auf die Forderung nach endlichen Uberdeckungen verzichtet. In diesem Fallmuss entweder jede endliche Uberdeckung eine geeignete (nicht unbedingt endliche) Ver-feinerung haben oder jede (nicht unbedingt endliche) Uberdeckung eine geeignete Ver-feinerung.

Beispiel. Der Rn hat topologische Dimension n. Das Cantorsche Diskontinuum hattopologische Dimension 0.

20

Page 21: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Satz (Ohne Beweis). Ein normaler Raum hat genau dann topologische Dimension 0,wenn er total unzusammenhangend ist.

Satz. Ist Y ein abgeschlossener Unterraum eines normalen Raumes X, dann gilt dim(Y ) ≤dim(X).

Satz (Ohne Beweis). Ist X separabel und metrisierbar, dann gilt

ind(X) = Ind(X) = dim(X)

Satz (Urysohn, ohne Beweis). Sei X normal und second countable. Dann ist X separabelund metrisierbar.

Korollar. Ist X normal und second countable, dann gilt

ind(X) = Ind(X) = dim(X)

Satz (Ohne Beweis). Fur jede Teilmenge von Rn stimmen die drei Dimensionsbegriffeuberein. X ⊆ Rn hat genau dann Dimension n, wenn es eine offene Teilmenge von Rn

enthalt.

Satz (Ohne Beweis). Sei X separabel und metrisierbar. Dann existiert eine Einbettungvon X in den R2 dim(X)+1.

Satz (Ohne Beweis). Seien X und Y normale Raume. Es gilt dim(X ×Y ) ≤ dim(X) +dim(Y ), sofern

(i) beide Raume metrisierbar sind oder

(ii) mindestens einer der beiden Raume kompakt ist.

Bemerkung. Es gibt Raume, fur welche die obige Ungleichung strikt ist.

2 Klassifikation der Flachen

Theorem (Klassifikation der Flachen). Jede (abgeschlossene) Flache ist von einem derfolgenden Typen:

(i) Die Sphare,

(ii) Die Sphare mit n angenahten Henkeln,

(iii) Die Sphare mit n eingenahten Kreuzhauben.

Diese Flachen sind allesamt voneinander verschieden.

Bemerkung (Ohne Beweis). Bei der Konstruktion ist es egal, wie die Scheiben auf derSphare gewahlt werden.

21

Page 22: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

2.1 Verkleben von Raumen

Beweise zu diesem Abschnitt finden sich (mit etwas anderer Notation) in [1, Abschnitt4.2]. Alternativ siehe [6, Abschnitt 3.7].

Definition (Verkleben, Klebeabbildung). Seien X,Y topologische Raume, A ein Un-terraum von X und f : A → Y eine stetige Abbildung. Dann bezeichnet X ∪f Y denQuotientenraum der disjunkten Vereinigung von X und Y , der durch Identifikation jedesPunktes in f(A) mit allen seinen Urbildern entsteht. Hierbei heißt f Klebeabbildung.

Beispiel. Uber Klebeabbildungen lassen sich definieren:

• Simpliziale Komplexe

• Das Annahen eines Henkels

• Das Verkleben eines Polygons zu einer Flache wie in den Abbildungen 1–6

Satz. Seien X, Y , A und f gegeben. Sei ferner π : X t Y → X ∪f Y die Quotientenab-bildung. Dann stimmt die Unterraumtopologie von π(Y ) in X ∪f Y mit der Topologievon Y uberein, die Abbildung π|Y ist also eine Einbettung.

Bemerkung. Informell konnen wir Y als Teilmenge von X ∪f Y auffassen. Nach demobigen Satz behalt Y dabei seine Topologie.

Bemerkung. Umgekehrt konnen wir X nur dann als Teilmenge von X ∪f Y auffassen,wenn f bijektiv ist. Die Topologie auf X bleibt dabei im Allgemeinen jedoch nichterhalten.

Definition (Induzierte Abbildung). Seien X, Y , A und f gegeben. Wir nennen zweiPunkte aus A aquivalent, wenn sie das gleiche Bild unter f haben. Dies ist eine Aqui-valenzrelation ∼ auf A und auch auf X (jeder Punkt aus X \ A ist nur zu sich selbstaquivalent). Die Abbildung f ′ : A/∼ → X∪f Y definiert durch f ′([a]) := f(a) ist die vonf induzierte Abbildung.

Bemerkung. Genau dann bleibt die Topologie von X/∼ in X ∪f Y erhalten, wenn f ′

eine Einbettung ist.

Definition (Identifikationsabbildung). Eine Klebeabbildung heißt Identifikationsabbil-dung, falls die induzierte Abbildung eine Einbettung ist.

Satz. Eine Klebeabbildung f : A→ Y ist genau dann eine Identifikationsabbildung, wenndie induzierte Abbildung f ′ offen ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn

(i) f offen ist oder

(ii) A kompakt und Y hausdorffsch ist.

Beispiel. • Identifiziert man zwei Scheiben entlang eines Abschnittes ihrer Rander,ist das Ergebnis wiederum homoomorph zu einer Scheibe.

22

Page 23: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

• Bezeichnet Bn die n-dimensionale Einheitskugel und Sn−1 ihren Rand, die (n−1)-dimensionale Einheitssphare, dann ist Bn/Sn−1 homoomorph zu Sn.

• S1 × S1 ist homoomorph zum Torus.

Satz (Klebelemma). Sei X ein topologischer Raum und seien A,B Teilmengen von X,deren Vereinigung X ist und die beide offen oder beide abgeschlossen sind. Stimmenzwei stetige Abbildungen fA : A→ Y und fB : B → Y auf A∩B uberein, so ist auch diekombinierte Abbildung f = fA ∪ fB stetig.

Beispiel. Ein Torus entsteht aus der Sphare durch Einnahen eines Henkels.

2.2 Schemata

Die Beweise zu diesem Abschnitt finden sich großtenteils in [7]. Die dortige Form derKlassifikation entspricht jedoch nicht der unseren.

Satz (Rado, nur Beweisidee). Jede (abgeschlossene) Flache ist triangulierbar, das heißt,homoomorph zu einem endlichen 2-Komplex. Ein solcher 2-Komplex heißt Triangulie-rung.

Bemerkung. In einem solchen 2-Komplex liegt jedes 1-Simplex in genau zwei 2-Simplizesund fur jedes 0-Simplex lassen sich die es enthaltenden 2-Simplizes derart zyklisch anord-nen, dass zwei dieser 2-Simplizes genau dann eine Seitenflache gemeinsam haben, wennsie in der Anordnung aufeinander folgen.

Definition (Polygon). Ein Polygon P ist eine Scheibe in R2, fur welche es Punktev0, . . . , vn gibt (die Ecken des Polygons), so dass der Rand von P die Vereinigung derStrecken v0v1, . . . , vn−1vn, vnv0 ist und diese Strecken bis auf ihre Endpunkte disjunktsind.

Definition (Schema). Ein Schema ist ein Polygon zusammen mit einer Menge vondisjunkten Paaren seiner Kanten und einer Orientierung aller Kanten. Ein Schema heißtvollstandig, wenn jede Kante in einem Paar enthalten ist.

Definition (Symbol eines Schemas). Jedes vollstandige Schema definiert ein Symbol :Wir beginnen an einer beliebigen Ecke und zahlen fur alle Kanten (ublicherweise imUhrzeigersinn) auf, in welchem Paar sie enthalten sind und ob sie vorwarts oder ruck-warts (relativ zur Umlaufrichtung) orientiert sind. Liegt also die n-te Kante des Polygonsim Paar a und ist in Umlaufrichtung gerichtet, so ist a das n-te Zeichen des Symbols.Ist die Kante gegen die Umlaufrichtung gerichtet, ist es a−1.

Bemerkung. Aufgrund der Wahl der Anfangsecke im Polygon ist das Symbol einesSchemas lediglich eindeutig bis auf zyklische Permutation und Invertierung der Reihen-folge.

23

Page 24: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Bemerkung. Die Zeichen in dem Symbol nennen wir auch Buchstaben. Buchstabender Form a, a−1 nennen wir invers zueinander. Im Symbol eines vollstandigen Schemaskommt also fur jedes Paar dieser Buchstabe entweder genau zweimal vor oder sowohl erals auch sein Inverses kommen genau einmal vor.

Definition (Quotient eines Schemas). Der Quotient eines Schemas ist der Quotien-tenraum des Polygons bei Identifikation der Kanten, die ein Paar bilden, gemaß ihrerOrientierung.

Satz. Jede (abgeschlossene) Flache Σ ist Quotient eines vollstandigen Schemas.

Bemerkung. Wenn wir in einem Schema die Orientierungen der beiden Kanten in einemPaar umkehren, erhalten wir offenbar essentiell das gleiche Schema (jedoch nicht formal).

Definition (Aquivalente Schemata). Zwei Schemata heißen aquivalent, falls ihre Quo-tienten homoomorph sind.

Satz. Haben zwei Schemata das gleiche Symbol, so sind sie aquivalent.

Satz. Zu jedem vollstandigen Schema (mit mindestens 6 Ecken) gibt es ein aquivalentesSchema, fur welches je zwei Ecken des Polygons im Quotienten identifiziert sind.

Bemerkung. Ob zwei Ecken u, v identifiziert werden, erkennen wir wie folgt: Sie werdengenau dann identifiziert, wenn es Ecken w0 = u,w1, . . . , wn = v gibt, so dass fur jedesi = 1, . . . , n die Ecken wi−1 und wi die Endecken oder die Anfangsecken der beidenKanten eines Paares des Schemas sind.

Bemerkung. Diese Eigenschaft des Schemas wird bei allen folgenden Operationen er-halten bleiben.

Satz. Sei ein Schema gegeben und sei sein Symbol von der Form xxPQ, wobei x einBuchstabe und P und Q Sequenzen von Buchstaben sind. Dann ist das Schema aquivalentzum Schema mit dem Symbol yP−1yQ, wobei P−1 die inverse Sequenz zu P bezeichnet(mit den jeweils inversen Buchstaben in umgekehrter Reihenfolge).

Bemerkung. Beim Ubergang zum aquivalenten Schema mussen wir den Buchstaben xin y andern, da es sich formal nicht um das gleiche Paar handelt.

Korollar. Jedes Schema ist aquivalent zu einem Schema, in dessen Symbol jeder Buch-stabe nur dann zweimal vorkommt, wenn dies an benachbarten Positionen geschieht.

Satz. Sei ein Schema gegeben und sei sein Symbol von der Form xPQx−1R, wobei xein Buchstabe und P,Q,R Sequenzen sind. Dann ist das Schema aquivalent zum Schemamit dem Symbol yQPy−1R.

Definition (Kreuzende Buchstabenpaare). Seien x, y Buchstaben eines Symbols einesSchemas, so dass auch x−1 und y−1 Buchstaben dieses Symbols sind. Die beiden Buch-stabenpaare (x, x−1) und (y, y−1) heißen kreuzend, falls das Symbol (bis auf zyklischePermutation) von der Form xPyQx−1Ry−1S ist.

24

Page 25: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Korollar. Jedes Schema ist aquivalent zu einem Schema, in dessen Symbol alle kreu-zenden Buchstabenpaare aufeinanderfolgende Positionen einnehmen.

Satz. Jedes vollstandige Schema (mit mindestens 6 Ecken) ist aquivalent zu einem Sche-ma, dessen Symbol folgende Eigenschaften hat:

(i) Falls ein Buchstabe zweimal auftritt, geschieht dies an aufeinander folgenden Po-sitionen.

(ii) Falls ein Buchstabe zweimal auftritt, gilt dies fur alle Buchstaben.

(iii) Die Buchstaben von zwei sich kreuzenden Paaren nehmen aufeinander folgendePositionen ein.

(iv) Falls ein Buchstabe und sein Inverses auftreten, kreuzt sich dieses Buchstabenpaarmit (genau) einem anderen Paar.

Satz. Jede (abgeschlossene) Flache ist homoomorph zu einer der Flachen aus der Klas-sifikation.

Definition (Orientierbarkeit). Eine Orientierung eines 2-Simplexes ist eine zyklischeNummerierung seiner Ecken. Eine Orientierung eines 2-Simplexes induziert eine Orien-tierung auf jeder Kante (Seitenflache): Sind a, b, c die Ecken des Simplexes (in dieserReihenfolge nummeriert), dann sind die Kanten entsprechend orientiert, namlich (a, b),(b, c) und (c, a). Eine Flache heißt orientierbar, wenn man fur jedes 2-Simplex einerTriangulierung eine Orientierung wahlen kann, so dass fur jede Kante die induziertenOrientierungen der beiden sie enthaltenden 2-Simplizes entgegengesetzt sind.

Bemerkung (Ohne Beweis). Orientierbarkeit ist unabhangig von der Wahl der Trian-gulierung.

Satz. Die Sphare ist orientierbar.

Bemerkung. Die zweite Halfte der Klassifikation – dass die aufgezahlten Flachen nichthomoomorph sind – folgt bei der Betrachtung von Fundamentalgruppen. Eine andereAlternative, diese Flachen zu unterscheiden, ist anhand von Orientierbarkeit und Euler-Charakteristik, welche als n0−n1 +n2 definiert ist, wobei nk die Anzahl der k-Simplizesin einer Triangulierung bezeichnet.

3 Kompakte Raume

3.1 Der Satz von Tychonoff

Die Beweise konnen in [6, Kapitel 10] nachgelesen werden.

Satz (Tychonoff). Ein Produkt∏i∈I Xi ist genau dann kompakt, wenn alle Faktoren

kompakt sind.

25

Page 26: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Definition (Filter). Sei X eine Menge. Ein Filter auf X ist eine Menge F von Teilmen-gen von X mit den folgenden Eigenschaften.

(i) Fur F, F ′ ∈ F ist auch F ∩ F ′ ∈ F .

(ii) Ist F ∈ F und F ′ ⊃ F , dann ist auch F ′ ∈ F .

(iii) ∅ /∈ F .

Bemerkung. Aus den obigen Bedingungen folgt direkt, dass je zwei Elemente einesFilters nicht disjunkt sind.

Beispiel. • Ist X ein topologischer Raum und x ∈ X, dann bilden die Umgebungenvon x einen Filter. Dieser heißt Umgebungsfilter von x.

• Ist X unendlich, so bilden die kofiniten Teilmengen von X einen Filter.

• Fur jede (nicht-leere) Menge X und jeden Punkt x ∈ X bilden die Mengen, welchex enthalten, einen Filter.

Definition (Konvergenz eines Filters). Sei X ein topologischer Raum und F ein Filterauf X. Wir sagen, dass F gegen einen Punkt x ∈ X konvergiert, falls F den Umgebungs-filter von x enthalt.

Bemerkung. Ist (xi)i∈N eine Folge in einem topologischen Raum X, dann ist

F :={F ⊆ {xi | i ∈ N} | ∃n ∈ N : xi ∈ F∀i ≥ n

}ein Filter auf X, der genau dann konvergiert, wenn (xi) konvergiert.

Bemerkung. In einem Hausdorffraum konvergiert ein Filter gegen maximal einen Punkt.

Definition. Ein maximaler Filter auf einer Menge X heißt Ultrafilter.

Satz. Jeder Filter auf einer Menge X ist in einem Ultrafilter enthalten.

Satz. Ist U ein Ultrafilter auf X und A eine Teilmenge von X, dann liegt entweder Aoder X \A in U .

Satz. Ein topologischer Raum X ist genau dann kompakt, wenn jeder Ultrafilter auf Xkonvergiert.

Satz. Sei X ein topologischer Raum und S eine Subbasis seiner Topologie. X ist ge-nau dann kompakt, wenn jede offene Uberdeckung durch Mengen aus S eine endlicheTeiluberdeckung hat.

26

Page 27: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

3.2 Kompaktifizierungen

Zur Einpunkt-Kompaktifizierung siehe etwa [8, Abschnitt 8.B], zur Freudenthal-Kom-paktifizierung siehe [4] und zur Stone-Cech-Kompaktifizierung siehe [8, Abschnitt 12.B].

Satz. Jeder topologische Raum ist Unterraum eines kompakten Raumes.

Definition (Kompaktifizierung). Sei X ein Hausdorffraum. Eine Kompaktifizierung vonX ist ein kompakter Hausdorffraum X ′, der X (beziehungsweise einen zu X homoomor-phen Raum) als dichte Teilmenge enthalt.

3.2.1 Einpunkt-Kompaktifizierung

Definition (Einpunkt-Kompaktifizierung). Sei X ein lokal kompakter Hausdorffraum,der nicht kompakt ist. Sei X ′ := X∪{∞} der topologische Raum, in welchem eine Mengegenau dann offen ist, wenn sie

(i) eine Teilmenge von X und dort offen oder

(ii) das Komplement in X ′ einer kompakten Menge in X

ist. Dann heißt X ′ Einpunkt-Kompaktifizierung (auch Alexandroff-Kompaktifizierung)von X.

Satz. Ist X ein lokal kompakter Hausdorffraum und nicht kompakt, so ist die Einpunkt-Kompaktifizierung von X eine Kompaktifizierung von X.

Beispiel. • Die Einpunkt-Kompaktifizierung von Rn ist Sn.

• Die Einpunkt-Kompaktifizierung von (0, 1] ist [0, 1].

• Die Einpunkt-Kompaktifizierung von N ist homoomorph zu {0, 1, 12 ,

13 , . . . } (mit

der Unterraumtopologie aus R).

3.2.2 Freudenthal-Kompaktifizierung

Definition (Enden). Sei X ein Hausdorffraum. Wir betrachten Folgen U1 ⊇ U2 ⊇ · · ·nicht-leerer, offener, zusammenhangender Mengen in X, deren Rander kompakt sindund die

⋂i∈N Ui = ∅ erfullen. Zwei solche Folgen nennen wir aquivalent, wenn jedes

Folgenglied der beiden Folgen alle bis auf endlich viele Folgenglieder der jeweils anderenFolge enthalt. Die Aquivalenzklassen dieser Relation heißen Enden von X.

Beispiel. • R besitzt zwei Enden.

• Rn (mit n > 1) besitzt nur ein Ende.

• Der binare Baum (der simpliziale 1-Komplex mit 0-Simplizes v1, v2, . . . und 1-Simplizes [vn, v2n] und [vn, v2n+1] fur alle n ≥ 1) hat |R| Enden.

27

Page 28: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Im Folgenden sei X ein zusammenhangender, lokal zusammenhangender, lokal kom-pakter, second countable Hausdorffraum.

Lemma. Sei ω ein Ende von X. Fur jede Folge U1 ⊇ U2 ⊇ · · · in ω und jede kompakteMenge K in X gibt es ein n ∈ N, so dass K ∩ Ui = ∅ fur alle i ≥ n.

Bemerkung. Fur jedes Ende ω und jede kompakte Menge K gibt es also eine Kom-ponente von X \ K, welche fur jede Folge in ω alle bis auf endlich viele Folgengliederenthalt. Wir bezeichnen diese Komponente mit C(K,ω) und sagen, dass ω in C(K,ω)lebt. Mit C(K,ω) bezeichnen wir die Menge aller Enden, die in C(K,ω) leben.

Definition (Freudenthal-Kompaktifizierung). Der Raum X bestehe aus X und denEnden von X. Die Topologie auf X wird durch die Mengen erzeugt, die

(i) eine offene Teilmenge von X oder

(ii) von der Form C(K,ω) ∪ C(K,ω) fur K ⊆ X kompakt und ω ein Ende von X

sind. Der Raum X heißt Freudenthal-Kompaktifizierung von X.

Beispiel. • Die Freudenthal-Kompaktifizierung von R ist (homoomorph zu) [0, 1].

• Die Freudenthal-Kompaktifizierung eines Raumes mit einem Ende ist gleich derEinpunkt-Kompaktifizierung.

Lemma. Seien ω, ω′ zwei Enden von X und seien U1 ⊇ U2 ⊇ · · · und U ′1 ⊇ U ′2 ⊇ · · ·darin enthaltene Folgen. Dann gilt Ui ∩ U ′i = ∅ fur alle hinreichend großen i.

Lemma. Ist K kompakt in X, dann ist jede Komponente von X \K offen.

Lemma (Ohne Beweis). Sei K kompakt in X und U eine Umgebung von K. Dann hatK eine kompakte Umgebung U ′ ⊆ U .

Lemma (Ohne Beweis). Sei K kompakt in X und U eine Umgebung von K. Dannenthalt U alle bis auf endlich viele Komponenten von X \K.

Lemma (Ohne Beweis). Fur jedes kompakte K ⊆ X sind alle Komponenten von X \Kvon der Form C(K,ω) ∪ C(K,ω) fur ein Ende ω.

Lemma (Ohne Beweis). Es gibt kompakte Mengen K1,K2, . . . in X mit Ki ⊆ Ki+1 undX =

⋃i∈NKi.

Satz. Fur jeden zusammenhangenden, lokal zusammenhangenden, lokal kompakten, se-cond countable Hausdorffraum X ist X eine Kompaktifizierung von X.

28

Page 29: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

3.2.3 Stone-Cech-Kompaktifizierung

Definition (Stone-Cech-Kompaktifizierung). Sei X hausdorffsch. Eine Kompaktifizie-rung X ′ von X heißt Stone-Cech-Kompaktifizierung von X, wenn jede stetige Abbildungf von X in einen kompakten Hausdorff-Raum Y stetig auf X ′ fortsetzbar ist.

Bemerkung. Die Fortsetzung eines solchen f ist eindeutig bestimmt.

Bemerkung. Falls X eine Stone-Cech-Kompaktifizierung hat, ist diese bis auf Homoo-morphie (sogar unter den Zusatzbedingung, dass X durch den Homoomorphismus punkt-weise fixiert wird) eindeutig bestimmt.

Satz. Jeder vollstandig regulare Raum X hat eine Stone-Cech-Kompaktifizierung βX.Diese ist eindeutig bestimmt.

Bemerkung. Jeder RaumX, der eine Kompaktifizierung besitzt, ist vollstandig regular:Da die Kompaktifizierung kompakt und hausdorffsch ist, ist sie normal und somit auchvollstandig regular (jeder normale Raum ist vollstandig regular). Damit muss auch Xals Unterraum vollstandig regular sein.

Satz. Sei X vollstandig regular und X ′ eine Kompaktifizierung von X. Dann ist X ′ einQuotientenraum von βX.

4 Die Fundamentalgruppe

4.1 Homotopie

Der Inhalt dieses Abschnittes ist in [1, Kapitel 5] zu finden.

Definition (Produkte von Wegen). Sind α, β Wege in einem topologischen Raum X undgilt α(1) = β(0), dann ist das Produkt dieser Wege (oder die Hintereinandersetzung) derWeg αβ definiert durch

αβ(t) :=

{α(2t) fur t ∈ [0, 1

2 ]β(2t− 1) fur t ∈ [12 , 1]

Definition (Geschlossene Wege, Basispunkte). Ein Weg α in einem topologischen RaumX heißt geschlossen, wenn α(0) = α(1). In diesem Fall heißt α(0) Basispunkt von α.Umgekehrt sagen wir, dass α ein geschlossener Weg an α(0) ist.

Bemerkung. Betrachtet man alle geschlossenen Wege an einem festen Punkt x0, soist das Produkt eine Verknupfung auf dieser Menge. Allerdings gibt diese Verknupfungkeine Gruppenstruktur, denn es gilt noch nicht einmal Assoziativitat.

Definition (Homotope Abbildungen). Seien f, g : X → Y stetig. Wir nennen f und ghomotop, falls es eine Familie (ft)t∈[0,1] von Abbildungen von X nach Y gibt, so dassf0 = f und f1 = g gilt und die assoziierte Abbildung F : X × [0, 1]→ Y definiert durchF (x, t) := ft(x) stetig ist. Die Familie (ft)t∈[0,1] heißt Homotopie (zwischen f und g).

29

Page 30: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Beispiel. Ist Y wegzusammenhangend und X = [0, 1], dann sind alle stetigen Abbildun-gen X → Y homotop. Fur allgemeines X gilt dies nicht (auch wenn Y wegzusammen-hangend ist): Fur X = Y = S1 ist die Abbildung exp(2πix) 7→ exp(4πix) nicht homotopzur Identitat.

Definition (Relative Homotopie). Ist zusatzlich eine Teilmenge A von X gegeben, furdie f |A = g|A gilt, so nennen wir f und g homotop relativ A, falls es (ft)t∈[0,1] wie obengibt, welche außerdem ft|A = f |A fur alle t erfullen.

Bemerkung. Bei Wegen mit identischen Endpunkten (insbesondere bei geschlossenenWegen am gleichen Punkt) werden stets Homotopien relativ zu {0, 1} betrachtet.

Beispiel. Ist Y eine konvexe Teilmenge des Rn, dann sind alle stetigen AbbildungenX → Y fur festes X homotop durch die Geradenhomotopie: Sind f, g gegeben, so setzenwir ft(x) := tg(x) + (1− t)f(x) fur jedes x ∈ X.

Beispiel. Seien zwei Abbildungen f, g : X → Sn gegeben. Falls f(x) 6= −g(x) fur allex ∈ X gilt, dann sind f und g homotop.

Beispiel. Sei α der Weg in S1 mit α(x) = exp(2πix) und β der Weg mit

β(x) =

exp(4πix) fur x ∈ [0, 1

2 ]exp(4πi(2x− 1)) fur x ∈ [12 ,

34 ]

exp(8πi(1− x)) fur x ∈ [34 , 1]

Diese beiden Wege in S1 sind homotop.

1

α

1

β

Abbildung 7: Die Wege α und β

Satz. Homotopie ist eine Aquivalenzrelation auf der Menge alle stetigen AbbildungenX → Y . Homotopie relativ zu einer Menge A ⊆ X ist eine Aquivalenzrelation auf derMenge aller stetigen Abbildungen X → Y , die auf A ubereinstimmen.

Satz. Seien e : W → X, f, g : X → Y und h : Y → Z stetige Abbildungen. Sind f und ghomotop (relativ A ⊆ X), so sind auch h ◦ f und h ◦ g homotop (relativ A), ebenso wief ◦ e und g ◦ e (relativ e−1(A)).

30

Page 31: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Definition (Homotopieklassen). Sei X ein topologischer Raum und x0 ∈ X. Die Homo-topie relativ {0, 1} definiert eine Aquivalenzrelation auf der Menge aller geschlossenenWege an x0. Die Aquivalenzklassen dieser Relation heißen Homotopieklassen, die Ho-motopieklasse eines geschlossenen Wegs α wird mit 〈α〉 bezeichnet und wir sagen, α istein Reprasentant von 〈α〉. Enthalt 〈α〉 die konstante Abbildung [0, 1] → x0, so heißt αnullhomotop.

Satz. Sind 〈α〉 und 〈β〉 Homotopieklassen, dann ist die Homotopieklasse 〈αβ〉 unabhan-gig von der Wahl der Reprasentanten α und β.

Satz. Die Menge der Homotopieklassen von geschlossenen Wegen an x0 bildet eineGruppe mit der Multiplikation 〈α〉 · 〈β〉 := 〈αβ〉.

Definition (Fundamentalgruppe (mit Basispunkt)). Fur einen topologischen Raum Xund einen Punkt x0 ∈ X heißt die obige Gruppe Fundamentalgruppe von X mit Basis-punkt x0 und wird mit π1(X,x0) bezeichnet.

Satz. Ist X wegzusammenhangend, so sind je zwei Fundamentalgruppen von X mitverschiedenen Basispunkten isomorph.

Definition (Fundamentalgruppe). Ist X wegzusammenhangend, so bezeichnen wir mitπ1(X) die Fundamentalgruppe von X, die Gruppe, welche homoomorph zu allen Funda-mentalgruppen mit Basispunkten ist. Ein Raum mit trivialer Fundamentalgruppe heißteinfach zusammenhangend.

Satz. Ist f : X → Y stetig und x0 ∈ X, so ist die Abbildung f∗ : π1(X,x0)→ π1(Y, f(x0))definiert durch f∗(〈α〉) := 〈f ◦ α〉 ein Homomorphismus.

Definition (Induzierter Homomorphismus). Ist f : X → Y stetig, so heißt der Homo-morphismus f∗ : π1(X)→ π1(Y ) der von f induzierte Homomorphismus.

Satz. Es gilt id∗ = id (fur id die Identitat) und (g ◦f)∗ = g∗ ◦f∗ fur stetige Abbildungenf : X → Y und g : Y → Z.

Korollar. Homoomorphe Raume haben isomorphe Fundamentalgruppen.

Satz. Ist X die Vereinigung zweier offener, einfach zusammenhangender Mengen, derenSchnitt wegzusammenhangend ist, dann ist X einfach zusammenhangend

Bemerkung. Insbesondere ist Bn fur n ≥ 2 einfach zusammenhangend.

Satz. Fur wegzusammenhangende Raume X,Y ist π1(X × Y ) isomorph zu π1(X) ×π1(Y ).

Definition (Homotopieaquivalenz). Zwei Raume X,Y heißen homotopieaquivalent, fallses stetige Abbildungen f : X → Y und g : Y → X gibt, so dass g ◦ f und f ◦ g homotopsind zur Identitat auf X beziehungsweise Y .

Bemerkung. Homoomorphe Raume sind homotopieaquivalent.

31

Page 32: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Satz. Homotopieaquivalenz ist eine Aquivalenzrelation auf der Menge der topologischenRaumen.

Beispiel. Jede konvexe Teilmenge des Rn ist homotopieaquivalent zu einem Punkt.

Beispiel. Die punktierte Ebene ist homotopieaquivalent zum Einheitskreis. Allgemeinerist Rn \ {0} homotopieaquivalent zu Sn−1.

Satz. Homotopieaquivalente Raume haben isomorphe Fundamentalgruppen.

Definition (Deformationsretraktion). Sei A ⊆ X. Ist eine stetige Abbildung X → A,welche auf A die Identitat ist, homotop relativ A zur Identitat auf X, so heißt jede Ho-motopie (relativ A) zwischen diesen beiden Abbildungen Deformationsretraktion (oderkurz Retraktion) von X auf A. In diesem Fall heißt X auf A retrahierbar und A heißtRetrakt von X.

Satz. Ist X auf A ⊆ X retrahierbar, so sind X und A homotopieaquivalent.

Beispiel. Eine zweifach punktierte Ebene R2 \ {p, q} ist retrahierbar auf alle drei Un-terraume in Abbildung 8. Daher haben alle diese Raume die gleiche (isomorphe) Funda-mentalgruppe.

p

q

p

q

p

q

Abbildung 8: Drei Retrakte von R2 \ {p, q}

Definition (Kontrahierbarkeit). Ein topologischer Raum X heißt kontrahierbar, falls eseinen Punkt x ∈ X gibt, so dass die Identitat auf X homotop zur konstanten AbbildungX → x ist.

Satz. Ein Raum X ist genau dann kontrahierbar, wenn er homotopieaquivalent zu einemPunkt ist. Ist X kontrahierbar, dann ist die Identitat auf X homotop zur konstantenAbbildung X → x fur jedes x ∈ X.

4.2 Der Satz von Seifert-van Kampen

Zu diesem Abschnitt siehe [5].

32

Page 33: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Definition (Freies Produkt von Gruppen). Seien Gi, i ∈ I, Gruppen. Das freie Produktder Gi ist eine Gruppe ∗IGi mit einer Familie von injektiven Homomorphismen ϕi : Gi →∗IGi und der folgenden universellen Eigenschaft: Fur jede Gruppe H und jede Familievon Homomorphismen fi : Gi → H gibt es einen eindeutig bestimmten Homomorphismusf : ∗I Gi → H, so dass f ◦ ϕi = fi gilt fur alle i ∈ I.

Bemerkung. Die Eindeutigkeit des freien Produktes folgt unmittelbar aus der univer-sellen Eigenschaft.

Definition (Worter, Reduktionen). Seien Gi, i ∈ I, Gruppen. Ein Wort (in Gi, i ∈ I)ist eine formale endliche Folge von Elementen aus den Gi. Die Folgenelemente heißenBuchstaben des Wortes. Ist w = g1 · · · gn ein Wort, so sei Gij die Gruppe, welche gjenthalt. Nun heißt w reduziert, falls kein gj die Einheit in Gij ist und ij 6= ij+1 gilt furalle j.

Bemerkung (Ohne Beweis). Nicht reduzierte Worter kann man reduzieren, indem man(gegebenenfalls mehrfach) aufeinander folgende Buchstaben, welche aus dem gleichen Gistammen, durch ihr Produkt ersetzt und Buchstaben, welche die Identitat in ihrem Gisind, aus dem Wort loscht. Jedes Wort w ist auf diese Weise zu einem eindeutigen Wortr(w) reduzierbar.

Satz. Die reduzierten Worter in Gi, i ∈ I, bilden eine Gruppe, wobei die Gruppenver-knupfung als (w1, w2) 7→ r(w1w2) definiert ist. (Hierbei bezeichnet w1w2 die Hinterein-andersetzung von w1 und w2, also die Folge, die erst alle Elemente von w1 und dannalle Elemente von w2 enthalt.) Diese Gruppe ist das freie Produkt der Gi, i ∈ I.

Definition (Seifert-van Kampen-Uberdeckung). Sei X ein topologischer Raum und x0 ∈X. Eine Seifert-van Kampen-Uberdeckung von X (mit x0 als Basispunkt) ist eine Familie(Ai)i∈I offener wegzusammenhangender Mengen, so dass

(i) Jedes Ai enthalt den Basispunkt x0;

(ii) Jeder Schnitt Ai ∩Aj ist wegzusammenhangend;

(iii)⋃i∈I Ai = X.

Bemerkung. Die Bezeichnung Seifert-van Kampen-Uberdeckung findet sich in der Li-teratur nicht. Sie wird hier lediglich zur Vereinfachung der Sprechweise eingefuhrt.

Definition. Ist (Ai)i∈I eine Seifert-van Kampen-Uberdeckung von X, dann bezeichnenwir mit ιi : π1(Ai)→ π1(X) den Homomorphismus, welcher durch die Inklusion von Ai inX induziert wird. Mit ιij : π1(Ai ∩Aj)→ π1(Ai) bezeichnen wir den Homomorphismus,welcher durch die Inklusion von Ai ∩Aj in Ai induziert wird.

Theorem (Satz von Seifert-van Kampen). Sei X ein topologischer Raum, x0 ∈ X und(Ai)i∈I eine Seifert-van Kampen-Uberdeckung von X. Dann ist der HomomorphismusΦ: ∗I π1(Ai) → π1(X), welcher durch die universelle Eigenschaft des freien Produktesund die Homomorphismen ιi gegeben ist, surjektiv.

33

Page 34: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Ist zusatzlich jeder Durchschnitt Ai ∩Aj ∩Ak wegzusammenhangend, dann ist ker Φder Normalteiler N von ∗Iπ1(Ai), welcher von den Elementen der Form ιij(x)ιji(x)−1

erzeugt wird (mit x ∈ π1(Ai ∩Aj)). Also ist in diesem Fall π1(X) ' ∗Iπ1(Ai)/N

Bemerkung. Der zweite Teil vom Satz von Seifert-van Kampen besagt, dass die Ele-mente der Fundamentalgruppen der Durchschnitte Ai∩Aj aus dem freien Produkt herausgekurzt werden (da sie zweifach in das freie Produkt eingehen).

Beispiel. Sei X der Raum, der durch Verkleben einer Familie (Ci)i∈I disjunkter Kreisean einem Punkt x0 entsteht, welchen wir auch als Basispunkt verwenden. Die Menge Aibestehe aus Ci und einem offenen Intervall um x0 auf jedem anderen Cj .

x0C1 C2A1 A2

Abbildung 9: Seifert-van Kampen auf zwei Kreise angewendet

Jedes Ai ist auf Ci retrahierbar und hat somit die Fundamentalgruppe des Kreises.Der Schnitt von zwei oder mehr Ai besteht lediglich aus offenen Intervallen um x0 undist somit wegzusammenhangend und kontrahierbar. Also ist der Normalteiler im Satzvon Seifert-van Kampen trivial und wir erhalten, dass die Fundamentalgruppe von Xdas freie Produkt von |I| Kopien der Fundamentalgruppe des Kreises (also Z) ist.

Beispiel. Sei X die Vereinigung von S1 mit der Strecke von x0 = (0,−1) nach (0, 1).Wahlt man als Uberdeckung die drei Bogen von x0 nach (0, 1) (plus eine kleine Umge-bung), dann ergibt sich keine Seifert-van Kampen-Uberdeckung, weil die Durchschnittenicht wegzusammenhangend sind, siehe Abbildung 10. Auch die Aussage von Seifert-vanKampen ist falsch, da alle Ai einfach zusammenhangend sind, X jedoch nicht.

x0

A1 A2 A3

Abbildung 10: Keine Seifert-van Kampen-Uberdeckung

34

Page 35: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Wahlt man stattdessen die Ai als Vereinigung von je zwei Bogen (plus eine kleineUmgebung), dann gilt Seifert-van Kampen fur diese Uberdeckung, wir haben also eineSurjektion Z∗Z∗Z→ π1(X). Die Bedingung fur den zweiten Teil von Seifert-van Kampenist jedoch nicht gegeben (siehe Abbildung 11), weshalb der Satz keine Aussage uber denKern der Abbildung trifft.

x0

A1

A2

A3

Abbildung 11: Seifert-van Kampen-Uberdeckung, fur die A1 ∩A2 ∩A3 nicht wegzusam-menhangend ist.

Nimmt man nur zwei der obigen offenen Mengen (siehe Abbildung 12), dann liefertSeifert-van Kampen einen Isomorphismus π1(X) ' Z ∗ Z, da der Durchschnitt A1 ∩ A2

kontrahierbar ist.

x0

A1 A2

Abbildung 12: Seifert-van Kampen-Uberdeckung, fur die der Satz von Seifert-van Kam-pen eine Darstellung von π1(X) liefert.

Beispiel. Die Fundamentalgruppe einer Flache Σ kann man aus dem dazugehorigenStandard-Schema (also mit Symbol aabb · · · im Fall der Sphare mit Kreuzhauben undSymbol aba−1b−1cdc−1d−1 · · · im Fall der Sphare mit Henkeln) berechnen: Sei A1 das In-nere des Polygons und A2 das Komplement des Mittelpunktes p des Polygons. WahrendA1 einfach zusammenhangend ist, ist A2 auf den Quotienten des Randes des Polygonsretrahierbar. Da dieser Quotient aus n Kreisen besteht (wobei das Polygon 2n Kantenhat), die sich in einem Punkt schneiden, ist π1(A2) das freie Produkt von n Kopien vonZ.

35

Page 36: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Der Durchschnitt A1 ∩ A2 ist auf einen Kreis retrahierbar und hat somit Fun-damentalgruppe Z. Die Fundamentalgruppe wird erzeugt durch einen Weg der Formt 7→ p + r exp(2πit). Dieser Weg ist nullhomotop in A1. In A2 jedoch entspricht er demDurchlaufen der n Kreise in der Reihenfolge des Symbols. Die Fundamentalgruppe vonΣ ist also ein freies Produkt von n Kopien von Z, geteilt durch den Normalteiler, welchervon dem Symbol entsprechenden Element von Z ∗ · · · ∗Z (wenn man a mit der 1 aus derersten Kopie identifiziert, b mit der 1 aus der zweiten Kopie und so weiter) erzeugt wird.

Diese Gruppen sind paarweise nicht isomorph. Dies zu beweisen, ist jedoch nicht Teildieser Vorlesung.

4.3 Uberlagerungen

Siehe auch [6, Kapitel 9].

Definition (Uber, Faser). Sei X ein topologischer Raum. Ein Raum uber X ist eintopologischer Raum Y mit einer stetigen surjektiven Abbildung π : Y → X. Fur x ∈ Xist die Faser uber x die Menge Yx := π−1(x).

Beispiel. Mit der Projektion auf die erste Koordinate ist R2 ein Raum uber R, sowie B2

und S1 Raume uber [0, 1]. Die Fasern uber x sind die Punkte mit x als erste Koordinate.

Definition (Homoomorphie uber X). Zwei Raume Y, Y ′ uber X (mit Projektionenπ, π′) heißen homoomorph uber X, falls es einen Homoomorphismus ϕ : Y → Y ′ gibt,der mit den Projektionen vertraglich ist, also π = π′ ◦ ϕ.

Definition (Triviale Faserung). Ein Raum Y uber X heißt triviale Faserung (kurz:trivial), falls er homoomorph uber X zu einem Produkt X × Z (mit der kanonischenProjektion) ist. Y heißt lokal triviale Faserung (kurz: lokal trivial), falls jeder Punkt inX eine Umgebung U hat, so dass das Urbild von U unter der Projektion eine trivialeFaserung ist.

Bemerkung. Ist Y lokal trivial uber X, dann sind ”lokal“ alle Fasern homoomorph.Insbesondere haben je zwei Punkte in der gleichen Komponente von X homoomorpheFasern.

Definition (Uberlagerung). Sei Y lokal trivial uber X. Dann heißt Y Uberlagerung vonX, falls alle Fasern diskret sind. Die Machtigkeit von Yx heißt Blatterzahl an der Stellex. Ist die Blatterzahl uberall gleich n (was etwa bei zusammenhangendem X der Fallist), so heißt Y n-blattrige Uberlagerung von X.

Bemerkung. Die Projektion einer Uberlagerung ist lokal ein Homoomorphismus: Zujedem Punkt x ∈ X und jedem Punkt y ∈ Yx gibt es Umgebungen von x und y, furwelche die Projektion ein Homoomorphismus ist.

Bemerkung. In der Funktionentheorie versteht man unter einer Uberlagerung ein etwasschwacheres Objekt: Hier wird nicht gefordert, dass Y lokal trivial ist (woraus die lokaleHomoomorphie folgt), sondern lediglich, dass die Projektion stetig und offen ist.

36

Page 37: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Beispiel. Mit der Projektion z 7→ zn ist S1 eine n-blattrige Uberlagerung von sichselbst.

Beispiel. Mit der Projektion t 7→ exp(2πit) ist R eine abzahlbar unendlich-blattrigeUberlagerung von S1.

Beispiel. Sei X der Quotientenraum von Sn bei Identifizierung jedes Punktes x mit−x. Dann ist Sn mit der Quotientenabbildung eine zweiblattrige Uberlagerung von X.Insbesondere ist S2 eine zweiblattrige Uberlagerung der projektiven Ebene.

Definition (Hochhebung). Sei Y eine Uberlagerung von X und sei α ein Weg in X. EinWeg β in Y heißt Hochhebung von α, wenn α die Verknupfung von β und der ProjektionY → X ist. Wir nennen β Hochhebung zum Anfangspunkt β(0).

Satz (Hochheben von Wegen). Sei Y eine Uberlagerung von X. Zu jedem Weg α in Xund jedem Punkt y ∈ Yα(0) gibt es genau eine Hochhebung von α zum Anfangspunkt y.

Satz (Hochheben von Homotopien). Sei Y eine Uberlagerung von X (mit Projektion π)und Z ein weiterer Raum. Sei außerdem F : Z × [0, 1] → X stetig und g : Z → Y eine

”Hochhebung“ von F |Z×{0}, es gelte also π ◦ g = F |Z×{0} (wobei man Z × {0} in derkanonischen Weise als Z auffasst). Fur jedes z ∈ Z sei gz die Hochhebung des WegesF |{z}×[0,1] zum Anfangspunkt g(z). Dann ist die Abbildung G : Z × [0, 1] → Y definiertdurch G(z, t) := gz(t) stetig.

Korollar (Monodromielemma). Sei Y eine Uberlagerung von X und α, β zwei homotopeWege (relativ {0, 1}) in X. Sind dann α′, β′ Hochhebungen zum gleichen Anfangspunkt,so haben sie auch den gleichen Endpunkt und sind homotop.

Korollar. Sei Y eine Uberlagerung von X mit Projektion π. Außerdem seien x0 ∈X und y0 ∈ Y mit π(y0) = x0 gegeben. Dann ist der induzierte Homomorphismusπ∗ : π1(Y, y0)→ π1(X,x0) injektiv.

Bemerkung. Im Folgenden werden wir zu jedem Raum X immer einen Basispunkt x0

wahlen. Zu jeder Uberlagerung Y von X wahlen wir dann auch stets einen Basispunkty0 (mit π(y0) = x0) fest. Wir sprechen dann von (Y, y0) als Uberlagerung von (X,x0).

Definition (Hochhebeverhalten). Sind (Y, y0) und (Y ′, y′0) zwei Uberlagerungen von(X,x0), so haben diese das gleiche Hochhebeverhalten, wenn fur je zwei Wege in X mitAnfangspunkt x0 und gleichem Endpunkt gilt: Die Hochhebungen dieser Wege nach Yzum Anfangspunkt y0 haben genau dann den gleichen Endpunkt, wenn die Hochhebun-gen nach Y ′ zum Anfangspunkt y′0 den gleichen Endpunkt haben.

Bemerkung. Homoomorphe Uberlagerungen haben das gleiche Hochhebeverhalten.

Definition (Charakteristische Untergruppe). Sei (Y, y0) eine Uberlagerung von (X,x0).Das Bild des induzierten Homomorphismus π∗ heißt charakteristische Untergruppe derUberlagerung und wird mit G(Y, y0) bezeichnet.

37

Page 38: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Bemerkung. Eine Homotopieklasse in π1(X,x0) liegt genau dann in G(Y, y0), wennsich (eines seiner Elemente und somit) alle seine Elemente zu geschlossenen Wegen any0 hochheben lassen. Zwei Uberlagerungen haben also genau dann das gleiche Hochhe-beverhalten, wenn sie die gleiche charakteristische Untergruppe haben.

Satz (Hebbarkeitskriterium). Sei (Y, y0) eine Uberlagerung von (X,x0). Sei Z ein weg-zusammenhangender und lokal wegzusammenhangender Raum, z0 ∈ Z und f : Z → Xstetig mit f(z0) = x0. Es gibt genau dann eine Hochhebung f : Z → Y von f (mitf(z0) = y0), wenn f∗(π1(Z, z0)) ⊆ G(Y, y0). Ferner ist f in diesem Fall eindeutig.

Satz (Eindeutigkeitssatz der charakteristischen Untergruppen). Zwischen zwei wegzu-sammenhangenden und lokal wegzusammenhangenden Uberlagerungen (Y, y0) und (Y ′, y′0)von (X,x0) gibt es genau dann einen Homoomorphismus uber X, welcher die Basispunk-te aufeinander abbildet, wenn die charakteristischen Untergruppen identisch sind.

Bemerkung. Im obigen Satz muss G(Y, y0) = G(Y ′, y′0) gelten, eine Isomorphie derUntergruppen genugt nicht.

Definition (Semilokal einfach zusammenhangend). Ein topologischer Raum X heißtsemilokal einfach zusammenhangend, wenn jeder Punkt x eine Umgebung besitzt, sodass jeder geschlossene Weg an x in dieser Umgebung nullhomotop in X ist.

Bemerkung. Der Begriff ”semilokal“ soll den Unterschied zu ”lokal“ verdeutlichen: Diegeschlossenen Wege sind ”lokal“, also in der Umgebung von x, wahrend ihre Homotopiezur konstanten Abbildung ”global“ ist, also in ganz X verlauft.

Satz (Existenzsatz der charakteristischen Untergruppen). Sei X wegzusammenhangend,lokal wegzusammenhangend und semilokal einfach zusammenhangend. Fur jede Unter-gruppe von π1(X,x0) gibt es eine wegzusammenhangende und lokal wegzusammenhangen-de Uberlagerung von (X,x0), welche diese Untergruppe als charakteristische Untergruppehat.

Im folgenden sei jeder Raum wegzusammenhangend und lokal wegzusammenhan-gend.

Definition (Deckbewegung). Sei Y eine Uberlagerung von X. Ein HomoomorphismusY → Y uber X heißt Deckbewegung (oder Decktransformation) von Y . Die Deckbewe-gungen bilden eine Gruppe DX(Y ), die Deckbewegungsgruppe.

Korollar. Ist Y eine Uberlagerung von X und sind y0, y1 Punkte uber x0, so gibt esgenau dann eine Deckbewegung, welche y0 auf y1 abbildet, wenn G(Y, y0) = G(Y, y1).Die Deckbewegung ist zudem eindeutig.

Definition (Gruppenoperation). Eine Gruppe G operiert auf einer Menge X, wennes einen Homomorphismus ϕ von G in die Permutationsgruppe von X gibt. In diesemFall schreibt man fur

(ϕ(g)

)(x) kurz gx. Die Gruppenoperation heißt frei, falls nur die

Identitat inG Fixpunkte hat, also Elemente vonX auf sich selbst abbildet. Die Operationheißt transitiv, wenn es zu jeden x, x′ ∈ X ein g ∈ G mit gx = x′ gibt.

38

Page 39: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Bemerkung. Die Deckbewegungsgruppe operiert frei auf der Uberlagerung.

Bemerkung. Seien y0 und y1 Punkte uber x0, sei β ein Weg in Y von y0 nach y1 undseine Projektion α nach X. Dann kommutiert das folgende Diagramm. Alle Abbildungenim Diagramm sind Isomorphismen.

π1(Y, y0)ϕβ //

π∗��

π1(Y, y1)

π∗��

G(Y, y0)ϕα // G(Y, y1)

Hierbei bezeichnen ϕα und ϕβ die Konjugation mit α beziehungsweise β, also die Abbil-dung 〈γ〉 7→ 〈α−γα〉 = 〈α〉−1〈γ〉〈α〉 beziehungsweise 〈γ〉 7→ 〈β−γβ〉.

Definition (Normalisator). Ist G eine Gruppe und U eine Untergruppe, dann heißt

NG(U) := {g ∈ G | gUg−1 = g−1Ug = U}

Normalisator von U (in G).

Bemerkung. Der Normalisator von U ist die großte Untergruppe von G, in welcher Unormal ist.

Satz. Sei (Y, y0) eine Uberlagerung von (X,x0). Zu jedem Element 〈α〉 des Normali-sators von G(Y, y0) in π1(X,x0) gibt es genau eine Deckbewegung, welche y0 auf denEndpunkt von β abbildet, wobei β die Hochhebung von α zum Anfangspunkt y0 ist.Diese Abbildung definiert einen Gruppenisomorphismus Nπ1(X,x0)(G(Y, y0))/G(Y, y0)→DX(Y, y0).

Korollar. Die Deckbewegungsgruppe operiert genau dann transitiv auf jeder Faser, wennfur ein y0 ∈ Y die charakteristische Untergruppe G(Y, y0) Normalteiler von π1(X,π(y0))ist.

Definition (Normale Uberlagerung). Eine Uberlagerung mit der obigen Eigenschaftheißt normal.

Bemerkung. Bei einer normalen Uberlagerung ist die charakteristische Untergruppezu jedem Basispunkt normal in der Fundamentalgruppe von X.

Bemerkung. Sei (Y, y0) eine normale Uberlagerung von (X,x0). Dann gilt

(i) DX(Y ) ' π1(X,x0)/G(Y, y0).

(ii) Die Blatterzahl der Uberlagerung ist gleich der Ordnung der Deckbewegungsgrup-pe.

(iii) Nennen wir zwei Punkte aus einer gemeinsamen Faser aquivalent und bilden dendazugehorigen Quotientenraum Y von Y , dann induziert die Projektion π einenHomoomorphismus Y → X.

39

Page 40: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Definition (Universelle Uberlagerung). Eine Uberlagerung Y von X heißt universell,wenn sie einfach zusammenhangend ist.

Satz. Jeder wegzusammenhangende, lokal zusammenhangende und semilokal einfach zu-sammenhangende Raum X besitzt eine universelle Uberlagerung. Diese ist bis auf Ho-moomorphie uber X eindeutig bestimmt.

Bemerkung. Zwischen zwei universellen Uberlagerungen (mit festem Basispunkt) gibtes genau einen Homoomorphismus uber X.

Satz. Die universelle Uberlagerung eines wegzusammenhangenden, lokal wegzusammen-hangenden und semilokal einfach zusammenhangenden Raumes uberlagert kanonisch jedeandere Uberlagerung dieses Raumes.

Korollar (Ohne Beweis). Ist Γ eine Untergruppe von DX(X), dann ist der Raum X/Γ– der Quotientenraum von X bei der Identifizierung jedes Punktes mit seinen Bildernunter den Elementen von Γ – eine wegzusammenhangende Uberlagerung von X. Bis aufHomoomorphie uber X erhalt man auf diese Weise alle Uberlagerungen von X.

Satz. Sei X wegzusammenhangend, lokal wegzusammenhangend und semilokal einfachzusammenhangend. Sei (X, x0) die universelle Uberlagerung von (X,x0). Dann ist DX(X)kanonisch isomorph zu π1(X,x0).

Beispiel. R ist die universelle Uberlagerung von S1 (mit Projektion x 7→ exp(2πix).Somit gilt π1(S1) ' DS1(R) ' Z. Genauer: Die Fundamentalgruppe von S1 wird erzeugtdurch den geschlossenen Weg t 7→ exp(2πit).

Beispiel. Der n-dimensionale projektive Raum – definiert als Quotient von Sn bei Iden-tifizierung von x mit −x – hat Fundamentalgruppe Z2. Dies gilt insbesondere fur dieprojektive Ebene.

Beispiel. Die universelle Uberlagerung der Kleinschen Flasche ist durch R2 gegeben.Die Projektion ist wie in Abbildung 13 angedeutet.

Die Fundamentalgruppe der Kleinschen Flasche erhalt man somit als Deckbewe-gungsgruppe von R2 bezuglich der gegebenen Projektion. Diese Gruppe wird erzeugtdurch die Abbildungen α : (x, y) 7→ (x + 1, y) und β : (x, y) 7→ (−x, y − 1). Die Deckbe-wegungsgruppe kann daher als Quotient von Z∗Z dargestellt werden (eine Kopie erzeugtdurch α, die andere durch β), geteilt durch den Normalteiler, welcher von αβαβ−1 er-zeugt wird (denn dies ist die Identitat).

5 Homologie

Zu diesem Abschnitt siehe [5, Kapitel 2].

40

Page 41: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

a

b

a

b

a

b

a

b

a

b

a

b

a

b

a

b

a

b

a

b

a

b

a

b

Abbildung 13: R2 als Uberdeckung der Kleinschen Flasche.

5.1 Simpliziale Homologie

Definition (Ketten). Sei K ein simplizialer Komplex. Eine n-Kette in K ist eine formaleSumme

∑S∈S λSS, wobei S eine endliche Familie von (nicht notwendig verschiedenen)

Simplizes von K und λS ∈ Z ist. Dabei sehen wir zwei Ketten als gleich an, wenn furjedes Simplex die Summe der Koeffizienten identisch ist. Die Gruppe aller n-Ketten inK wird mit Cn(K) bezeichnet.

Bemerkung. Im Rahmen der Homologie werden Simplizes stets mit einer festgelegtenReihenfolge ihrer Ecken betrachtet. Im Folgenden werden wir daher immer annehmen,dass die Ecken nummeriert sind – ublicherweise als v0, . . . , vn. Bei einem simplizialenKomplex gehen wir davon aus, dass die Nummerierungen kompatibel sind, dass die Num-merierung der Ecken eines Teilsimplexes mit der Nummerierung des großeren Simplexesubereinstimmen.

Definition (Randoperator). Der Rand eines n-Simplexes S = [v0, . . . , vn] ist die (n−1)-Kette

∑ni=0(−1)i[v0, . . . , vi, . . . , vn], wobei [v0, . . . , vi, . . . , vn] das (n−1)-Simplex bezeich-

net, welches von allen Ecken von S bis auf vi aufgespannt wird. Der Rand von S wird mit

41

Page 42: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

∂nS bezeichnet. Der Rand ∂nc einer n-Kette c =∑

S∈S λSS ist definiert als∑

S∈S λS∂S.

v0 v1− +

∂[v0, v1] = [v1]− [v0]

v0 v1

v2

∂[v0, v1, v2] = [v1, v2]− [v0, v2] + [v0, v1]

v0

v1

v2

v3

∂[v0, v1, v2, v3] =[v1, v2, v3]− [v0, v2, v3]+ [v0, v1, v3]− [v0, v1, v2]

Satz. Fur die Abbildungen ∂n : Cn(K)→ Cn−1(K) gilt ∂n ◦ ∂n+1 = 0.

Definition (Zyklen, Rander). Eine n-Kette heißt Zyklus, wenn sie Rand 0 (die leere(n − 1)-Kette) hat. Eine n-Kette heißt Rand, wenn sie Rand einer (n + 1)-Kette ist.Mit Zn und Bn bezeichnen wir die Untergruppen von Cn aller Zyklen beziehungsweiseRander.

Bemerkung. Nach obigem Satz ist Bn eine Untergruppe von Zn.

Definition (Simpliziale Homologiegruppen). Sei K ein simplizialer Komplex. Die Quo-tientengruppe Hn(K) := Zn(K)/Bn(K) heißt n-te simpliziale Homologiegruppe von K.

Beispiel. Ist K ein 0-Komplex, dann sind offenbar alle Kettengruppen Cn(K) mit n 6= 0trivial, die Gruppe C1(K) ist eine direkte Summe von Z’s, fur jeden 0-Simplex in K eines.Dementsprechend ist auch Z0 = C0 und B0 = 0, also H0 = C0.

Beispiel. Der 1-Komplex K bestehe aus drei Ecken v0, v1 und v2 und drei Kanten[v0, v1], [v1, v2] und [v2, v0]. Alle Kettengruppen mit n > 1 sind wieder trivial, fur diebeiden anderen Dimensionen gilt C0 = C1 = Z⊕Z⊕Z. Die Abbildung ∂1 bildet (a, b, c) ∈C1 auf (c − a, a − b, b − c) ab. Somit liegt genau dann ein Zyklus vor, wenn a = b = c.Da es in Dimension 1 keine Rander gibt, folgt H1 = Z1 = Z. Ein Element (x, y, z) vonC0 ist genau dann ein Rand, wenn x+ y+ z = 0 gilt. Da alle 0-Ketten Zyklen sind, folgt

H0 = Z⊕ Z⊕ Z/{(x, y, z) | x = −y − z} ' Z.

Satz. Ist K ein n-Komplex, dann ist H0(K) eine direkte Summe von Z’s, eines fur jedeKomponente von K.

42

Page 43: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Bemerkung. Man kann simpliziale Homologie auch fur sogenannte ∆-Komplexe defi-nieren. Diese werden wie simpliziale Komplexe durch induktives Verkleben von Simplizesdefiniert: Man beginnt mit disjunkten 0-Simplizes. Dann klebt man 1-Simplizes an die0-Simplizes, indem man die beiden Randpunkte jedes 1-Simplexes mit je einem der 0-Simplizes identifiziert. Dann klebt man 2-Simplizes an die 0- und 1-Simplizes, indemman jede Ecke jedes 2-Simplexes mit einem der 0-Simplizes identifizert und jede seinerSeitenflachen mit einem 1-Simplex zwischen den 0-Simplizes, mit denen die Ecken derSeitenflache identifiziert wurden, und so weiter.

Im Gegensatz zu simplizialen Komplexen durfen bei ∆-Komplexen verschiedene Sim-plizes den gleichen Rand haben (ihre Rander mit den gleichen Simplizes verklebt werden)und die Ecken eines Simplexes mussen nicht mit verschiedenen 0-Simplizes verklebt wer-den.

Zum Beispiel ist S1 als ∆-Komplex mit nur einem 0-Simplex und einem 1-Simplexdarstellbar. Allgemeiner ist die Vereinigung von n Kreisen mit einem gemeinsamen Punktein ∆-Komplex mit einem 0-Simplex und n 1-Simplizes.

Die Definition der Homologiegruppen von ∆-Komplexen ist vollstandig analog zusimplizialen Komplexen: Gegeben eine Nummerierung der Ecken jedes Simplexes (kom-patibel unter Bildung von Teilsimplizes), definiert man die Kettengruppen Cn wie ge-habt. Die Definition von Zyklen, Randern und den Homologiegruppen ubertragt sichunmittelbar.

Singulare Homologie

Definition (Singularer Simplex, Kette). Sei X ein topologischer Raum. Ein singularesn-Simplex in X ist eine stetige Abbildung vom Standard-n-Simplex ∆n nach X. Eine(singulare) n-Kette in X ist eine endliche Summe von singularen n-Simplizes in X. DieGruppe der n-Ketten bezeichnen wir wieder mit Cn(X).

Definition (Randabbildung (singular)). Sei σ ein singulares n-Simplex in X. Jede Sei-tenflache von ∆n ist ein (n − 1)-Simplex (mit der Reihenfolge der Ecken wie in ∆n).Bezeichnen wir mit ϕi den linearen Homoomorphismus zwischen ∆n−1 und der i-tenSeitenflache von ∆n (welche durch die Loschung der i-ten Ecke entsteht), dann ist∂nσ :=

∑ni=0(−1)iσ ◦ϕi der Rand von σ. Der Rand einer n-Kette ist als die Summe der

Rander seiner Simplizes definiert.

Definition (Singulare Homologiegruppen). Sei X ein topologischer Raum. Die n-tesingulare Homologiegruppe Hn(X) ist der Quotient Zn/Bn, wobei Zn und Bn erneut dieGruppe aller Zyklen beziehungsweise Rander bezeichnet.

Satz. Seien Xi, i ∈ I, die Wegkomponenten von X. Dann gilt Hn(X) =⊕

i∈I Hn(Xi).

Satz. Fur wegzusammenhangendes (nicht-leeres) X gilt H0(X) = Z.

Satz (Ohne Beweis). Ist X ein simplizialer Komplex (oder ein ∆-Komplex), dann stim-men die simplizialen und die singularen Homologiegruppen gleicher Dimension uberein.Insbesondere haben homoomorphe Komplexe identische Homologiegruppen.

43

Page 44: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Definition (Induzierte Homomorphismen auf Ketten). Jede stetige Abbildung f : X →Y induziert einen Homomorphismus f] : Cn(X) → Cn(Y ) durch f](σ) := f ◦ σ fursingulare Simplizes σ und lineare Erweiterung auf Ketten.

Satz. Sei f : X → Y stetig. Fur den Homomorphismus f] gilt

(i) f]∂n = ∂nf] fur alle n;

(ii) f](Zn(X)) ⊆ Zn(Y );

(iii) f](Bn(X)) ⊆ Bn(Y ).

Definition (Induzierte Homomorphismen auf Homologiegruppen). Sei f : X → Y stetig.Nach obigem Satz induziert f] einen Homomorphismus f∗ : Hn(X)→ Hn(Y ).

Satz. Fur induzierte Homomorphismen gilt

(i) (f ◦ g)∗ = f∗ ◦ g∗;

(ii) id∗ = id.

Satz (Ohne Beweis). Sind zwei stetige Abbildungen f, g : X → Y homotop, dann sinddie induzierten Homomorphismen f∗ und g∗ identisch.

Definition (Reduzierte Homologie). Ersetzt man in der Definition der Homologiegrup-pen die Gruppe Z0 durch die Gruppe aller 0-Ketten, deren Koeffizienten sich zu 0 ad-dieren, dann nennt man die hierbei erhaltenen Homologiegruppen Hn reduzierte Homo-logiegruppen.

Bemerkung. Offenbar gilt Hn(X) = Hn(X) fur n > 0. Fur einen wegzusammenhan-genden Raum X gilt H0(X) = 0, die 0-te Homologiegruppe wird also von Z auf 0

”reduziert“.

Definition (Exakte Sequenz). Eine Sequenz

· · · −→ Gn+1ϕn+1−→ Gn

ϕn−→ Gn−1 −→ · · ·

von Homomorphismen heißt exakt, falls fur jedes n der Kern von ϕn gleich dem Bild vonϕn+1 ist.

Satz (Ohne Beweis). Sei A ⊆ X nicht-leer und abgeschlossen. Es gebe eine Umgebung Uvon A in X, so dass A Deformationsretrakt von U ist. Dann gibt es eine exakte Sequenz

· · · −→ Hn(A) ι∗−→ Hn(X) π∗−→ Hn(X/A) ∂−→ Hn−1(A) −→ · · · −→ H0(X/A) −→ 0.

Hierbei bezeichnet ι die Inklusion A ↪→ X und π die Projektion X → X/A.

Bemerkung. Die Idee bei der Konstruktion der Abbildung ∂ ist wie folgt: Eine Homo-logieklasse in Hn(X/A) wird durch eine Kette in X reprasentiert, deren Rand ein Zyklusin A ist. Dessen Homologieklasse wird dann als Bild unter ∂ definiert.

44

Page 45: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

Beispiel. Setzen wir im obigen Satz X = Bn (die n-dimensionale Einheitskugel) undA = Sn−1, dann konnen wir wegen X/A ' Sn induktiv die Homologiegruppen von Sn

berechnen. Wir erhalten Hn(Sn) ' Z und Hi(Sn) = 0 fur i 6= n. Insbesondere sind dieEinheitsspharen verschiedener Dimensionen nicht homoomorph. Hieraus folgt auch, dassRm und Rn fur m 6= n nicht homoomorph sind.

Korollar (Brouwerscher Fixpunktsatz). Jede stetige Abbildung f : Bn → Bn hat einenFixpunkt.

Bemerkung. Jeder geschlossene Weg lasst sich auch als singulare 1-Kette auffassen undist als solche offenbar ein Zyklus. Diese Zuweisung ist ein naheliegender Kandidat fureine Abbildung π1(X,x0)→ H1(X).

Definition (Kommutator, Abelianisierung). Sei G eine Gruppe. Ein Kommutator ist einElement von G der Form aba−1b−1. Die Kommutator-Untergruppe von G ist die Grup-pe K(G), welche aus allen Produkten von Kommutatoren besteht. Die Abelianisierung(manchmal auch Abelisierung) von G ist der Quotient G/K(G).

Bemerkung. Die Abelianisierung einer Gruppe ist abelsch.

Satz. Die Abbildung h : π1(X,x0) → H1(X), welche eine Homotopieklasse 〈α〉 aufdie Homologieklasse des (einelementigen) Zyklus α abbildet, ist wohldefiniert und einGruppenhomomorphismus. Fur wegzusammenhangendes X ist h surjektiv und hat KernK(π1(X)). Somit induziert h einen Isomorphismus zwischen der Abelianisierung vonπ1(X) und H1(X).

Definition (Homologe Ketten). Zwei n-Ketten c, c′ heißen homolog, falls c−c′ ein Randist. Eine Kette heißt nullhomolog, falls sie zur leeren Kette homolog ist.

Lemma. Jeder konstante Weg (formal: die Kette, welche nur aus diesem Weg mit Ko-effizient 1 besteht) ist nullhomolog.

Lemma. Homotope Wege sind homolog.

Lemma. Sind f, g Wege in X mit f(1) = g(0), dann ist ihre Hintereinandersetzung fghomolog zur Kette f + g.

Lemma. Ist f ein Weg, dann ist f− homolog zur Kette −f .

Literatur

[1] M.A. Armstrong, Basic Topology, Springer-Verlag, 1983.

[2] R. Engelking, Dimension Theory, North-Holland, 1978.

[3] R. Engelking, General Topology, Warszawa, 1977.

45

Page 46: Skript zur Vorlesung Topologie , Sommersemester 2010

[4] H. Freudenthal, Uber die Enden topologischer Raume und Gruppen, Dissertation,1931.http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN314386130

[5] A. Hatcher, Algebraic Topology, Cambrigde Univ. Press, 2002.http://www.math.cornell.edu/~hatcher/AT/AT.pdf

[6] K. Janich, Topologie, 8. Auflage, Springer-Verlag, 2005.

[7] R. Koch, Classification of Surfaces, Vorlesungsskript, 2005.http://www.uoregon.edu/~koch/math431/Surfaces.pdf

[8] B.v. Querenburg, Mengentheoretische Topologie, 3. Auflage, Springer-Verlag,2001.

46