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Skriptum Gew¨ ohnliche Differentialgleichungen mit Professor Pabel urzburg, 2001 c by M E

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Skriptum

Gewohnliche Differentialgleichungenmit Professor Pabel

Wurzburg, 2001c©by ME

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Vorwort: To be or not to be

So, eine kleine Bemerkung vornewech: Fur Hinweise auf Fehler, Verbesserungsvorschlage, moglicheErganzungen und ahnliches ware ich sehr dankbar. Solche Dinge konnen mir jederzeit per Tele-fon (0931/8041200), e-mail ([email protected]) oder auf normalem Postweg (Zeppelinstrasse 56a,97074 Wurzburg) mitgeteilt werden.

Die jeweils aktuellste Version dieses Dokuments gibt es auf meiner Festplatte, also einfach malmelden. Alternativ hilft vielleicht auch ein Blick unter:http://www.lohnt-nicht.de/studium/index.html

Marcel Schuster

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Inhaltsverzeichnis

0 Einleitung 11 Systematik der Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.A Gewohnliche Differentialgleichungen (fur Funktionen einer Veranderlichen) 11.B Partielle Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1 Elementare Losungsmethoden 51.1 Lineare Differentialgleichungen 1.Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1.1.1 Homogene Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.1.2 Inhomogene lineare Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1.2 Bernoullische Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121.3 Riccatische Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.4 Differentialgleichungen mit getrennten Veranderlichen . . . . . . . . . . . . . . . . 151.5 Exakte Differentialgleichungen und Hamiltonsche Systeme . . . . . . . . . . . . . . 171.6 Spezielle implizite Differentialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2 Allgemeine Satze, Teil 1 232.0 Zwei Hilfssatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232.1 Lipschitzstetigkeit und Eindeutigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242.2 Der Existenzsatz von Picard-Lindelof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272.3 Verlauf der Integralkurven im Großen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312.4 Der Existenzsatz von Peano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

3 Lineare Differentialgleichungen 393.1 Lineare Differentialgleichungen 1.Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

3.1.1 Homogene lineare Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403.1.2 Inhomogene lineare System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423.1.3 Reduktion homogener Systeme (nach d’Alembert) . . . . . . . . . . . . . 433.1.4 Homogene Systeme mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . 44

3.2 Lineare Differentialgleichungen hoherer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473.2.1 Spezialfall: Homogene lineare Differentialgleichungen hoherer Ordnung mit

konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.3 Spezielle nichtlineare Differntialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

3.3.1 Eulersche Differentialgleichungen der Ordnung n . . . . . . . . . . . . . . . 513.3.2 Reduzierbare Differentialgleichungen der Ordnung 2 . . . . . . . . . . . . . 51

4 Allgemeine Satze uber explizite Differentialgleichungssysteme 1. Ordnung (Teil2) 534.0 Ein Abschatzungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534.1 Eigenschaften der charakteristischen Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544.2 Abhangigkeit von Parametern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

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5 Stabilitatsfragen bei autonomen Systemen 615.1 Allgemeines uber autonome Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615.2 Stabilitat von kritischen Punkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635.3 Die Ljapunov-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

6 Der Satz von Frobenius uber partielle Differentialgleichungen 1. Ordnung 73

A Index 77

B Alle Satze im Uberblick 79

C My definitions are this 85

D Open Publication License 89

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Kapitel 0

Einleitung

Eine Differentialgleichung ist eine ”differentielle Relation“ zwischen Funktionen (einer oder mehre-rer Veranderlicher) und ihrer Ableitungen. Losen einer Differentialgleichung bedeutet: Auffindenaller Funktionen, die diese Relation erfullen, eventuell unter bestimmten Anfangs-, Rand- odersonstiger Zusatzbedingungen.

1 Systematik der Differentialgleichungen (im Reellen)

1.A Gewohnliche Differentialgleichungen (fur Funktionen einerVeranderlichen)

Diese werden im Englischen als Ordinary Differential Equations oder kurz ODE bezeichnet.

(Gewohnliche explizite) Differentialgleichungen 1. Ordnung im Rn

Standardform

y′ = f(x, y)

fur gesuchte vektorwertige Funktionen y : I ⊂ R → Rn, x 7→ y(x), wobei die ”rechte Seite“f : D ⊂ R× Rn → Rn, (x, y) 7→ f(x, y) vorgegeben ist.

Fur Losungen x 7→ y(x) muss also gelten: ∀x∈I y′(x) = f(x, y(x)

). Insbesondere muss also

gelten: graph y = {(x, y(x) | x ∈ I} ⊂ D.Spezialfall: Autonome Systeme der Form

y′ = f(y)

(die rechte Seite ist von x unabhangig).

Zur Schreibweise: Losungen x ∈ I → y(x) ∈ Rn kann man auch als parametrisierte Raumkur-ven auffasssen, deswegen ist die Schreibweise t ∈ I 7→ x(t) ∈ Rn ublich, die Differentialgleichunglautet dann: x = f(t, x).

Interpretation fur n = 1: (x, y) 7→ f(x, y) definiert ein Richtungsfeld auf D. Der Wertf(x, y) = p = tan α kann als Steigung gedeutet werden.

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2 KAPITEL 0. EINLEITUNG

y

x

D

Gesucht sind Funktionen x 7→ y(x), die in dieses Richtungsfeld ”passen“. Das Tripel (x, y, p) =(x, y, f(x, y)

)heißt auch Linienelement (Punkt und Richtung).

I Bemerkung:

1. Es gibt auch implizite gewohnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung der Form

F (x, y, y′) = 0

die im allgemeinen nicht eindeutig nach y′ auflosbar sind (zum Beispiel: y′2 = y). In einem

Punkt (x, y) konnen mehrere Richtungen p existieren. Dies verursacht Arger. AllgemeineSatze beschaftigen sich mit expliziten Differentialgleichungen.

2. Bei n > 1 spricht man auch von Differentialgleichungs-Systemen 1.Ordnung. Ausfuhrlich

y′1 = f1(x; y1, . . . , yn)...

...y′n = fn(x; y1, . . . , yn)

(Gewohnliche explizite) Differentialgleichungen p-ter Ordnung (p > 1) in R (hier nurn = 1)

Standardform:

(1) y(p) = f(x, y, y′, . . . , y(p−1)

)fur gesuchte Funktion y : I ⊂ R→ R, x 7→ y(x), wobei f : D ⊂ R× Rp → R vorgegeben ist.

Beispiel 0.1 Die Schwingungsgleichung: y′′+y = 0 ist eine der bekanntesten Differentialgleichun-gen dieser Art.

Jede solche Differentialgleichung lasst sich in ein System 1. Ordnung umwandeln: Setze y1 := y,y2 := y′, . . . , yp := y(p−1). Dann ist (1) aquivalent zu:

y′1 = y2

y′2 = y3

...y′p−1 = yp

y′p = f(x, y1, y2, . . . , yp)

⇐⇒ Y ′ = F (x, Y )

Satze uber Differentialgleichungen 1. Ordnung lassen sich damit auf Differentialgleichungenhoherer Ordnung ubertragen.

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1. SYSTEMATIK DER DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 3

1.B Partielle Differentialgleichungen (fur Funktionen mehrererVeranderlicher),

”PDE’s“

(Explizite) Partielle Differentialgleichungen 1. Ordnung

Standardform:∀m

%=1 ∂%y = f%(x, y)

oder kurzgrad y = f(x, y)

oder ganz ausfuhrlich∀m

%=1 ∀ni=1 ∂%y

i = fi%(x1, . . . , xm, y1, . . . , yn)

fur gesuchte Abbildungen y : G ⊂ Rm → Rn, x 7→ y(x).Solche Differentialgleichungen lassen sich mit Methoden gewohnlicher Differentialgleichungen

behandeln (Satz von Frobenius).

Partielle Differentialgleichungen hoherer Ordnung

Diese mussen ganz anders behandelt werden (eigene Vorlesung).Beispiel: Die Laplace-Gleichung in der Ebene:

∆y = ∂11y + ∂22y = 0

fur Funktionen (x1, x2) 7→ y(x1, x2). Die Losungen hiervon sind harmonische Funktionen (=Real-teil komplex-differenzierbarer Funktionen.)

I Bemerkung: Zu jedem Differentialgleichungstyp gibt es ein komplexes Analogon (wird nur beiBedarf behandelt).

Bezeichnungen

Wir schreiben f ∈ Cr(M) fur: Die Funktion f ist auf M r-mal stetig differenzierbar. (Naturlichist dabei r ≥ 0, und im Fall r = 0 soll f ∈ C0(M) bedeuten, dass f auf M stetig ist.).

Mit I, J werden offene Intervalle in R (]a; b[, ]a,∞[, . . . ) bezeichnet,I, J sind stets kompakte Intervalle ([a; b])und mit G bezeichnen wir grundsatzlich ein Gebiet des Rn (also eine offene und zusam-

menhangende Menge).

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4 KAPITEL 0. EINLEITUNG

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Kapitel 1

GewohnlicheDifferentialgleichungen1. Ordnung: ElementareLosungsmethoden

Vorgegeben: Eine Differentialgleichung 1. Ordnung

y′ = f(x, y)

mit einer Abbildung R2 ⊃ D 3 (x, y) 7→ f(x, y) ∈ R.

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6 KAPITEL 1. ELEMENTARE LOSUNGSMETHODEN

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1.1. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 7

Eine Funktion y : I ⊂ R 7→ y(x) ∈ R heißt Losung der Differentialgleichung (oder Integral),wenn gilt:

• Die Funktion y : I → R ist differenzierbar

• Es graph y = {(x, y(x) | x ∈ I} ⊂ D.

• Fur alle x ∈ I ist y′(x) = f(x, y(x)

).

Fragen

1. Wie lautet die Losungsgesamtheit, die sogenannte allgemeine Losung (im allgemeinen voneiner Integrationskonstanten abhangig)?

2. Ist das Anfangswertproblem (AWP)

y′ = f(x, y), y(x0) = y0

fur alle (x0, y0) ∈ D losbar?

3. Wenn ja, ist diese Losung eindeutig?

4. Wie groß ist das Losungsintervall maximal?

5. Wie andern sich die Losungen, wenn man die Anfangsbedingungen (x0, y0) beziehungsweisedie rechte Seite f der Differentialgleichung leicht abandert?

Bevor wir diese Fragen allgemein diskutieren beschaftigen wir uns zunachst mit einigen Spezi-alfallen, die ”elementar“ zu behandeln sind. Elementare Losungsverfahren beinhalten:

• das Auffinden von Stammfunktionen (Quadraturen) und

• das (erlaubte) Bilden von Umkehrfunktionen.

1.1 Lineare Differentialgleichungen 1. Ordnung

Sie sind vom Typ:

(1.1) y′ = f(x) · y + g(x)

mit f, g ∈ C0(I). Definitionsbereich D = I × R.

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8 KAPITEL 1. ELEMENTARE LOSUNGSMETHODEN

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1.1. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 9

Die Differentialgleichung heißt homogen, falls g ≡ 0 ist, sonst inhomogen. Die Funktion g heißtauch Storfunktion (oder Storung) der homogenen Differentialgleichung y′ = f(x)y.

1.1.1 Homogene Differentialgleichungen

y′ = f(x) · y

Eigenschaften:

1. Die Funktion y = 0: I → R ist immer eine triviale Losung.

2. Ist F =∫

f : I → R eine festgewahlte Stammfunktion von f , so ist yH := eF = e∫

f : I → Reine nichttriviale Losung.

3. Die allgemeine Losung ist

y = c · yH = c · eF mit c ∈ R

(definiert auf ganz I).

Die Losungsmenge bildet einen eindimensionalen Vektorunterraum in C1(I) mit BasislosungyH .

Beweis 1.1 Ist y : I ⊂ I → R eine Losung, so folgt fur u := yyH

= ye−F : I → R sofort:u′ = e−F (y′ − fy) ≡ 0, das heißt u = c = const. Daher ist y = cyH ist sogar auf ganz ILosung.

4. Das AWP y′ = f(x)y, y(x0) = y0 ist fur jeden Punkt (x0, y0) ∈ D = I ×R eindeutig losbar.

Beweis 1.2 Bestimmung der Integrationskonstanten:

y(x0) = c · eF (x0) = y0 ⇒ c = y0e−F (x0).

Die eindeutige Losung ist also

y(x) = y0eF (x)−F (x0) = y0 exp

[∫ x

x0

f(t) dt

]auf ganz I.

1.1.2 Inhomogene lineare Differentialgleichungen

y′ = f(x) · y + g(x)

Eigenschaften:

1. Ist yp : I → R eine spezielle Losung der inhomogenen Differentialgleichung (ein partikularesIntegral), so gilt:

y : I → R (irgendeine) Losung der inhomogenen Differentialgleichung ⇐⇒ yp − y Losungder zugehorigen homogenen Differentialgleichung.

Beweis 1.3 (y − yp)′ = f · (y − yp)

2. Ein partikulares Integral yp : I → R findet man stets durch Variation der Konstanten, alsoden Ansatz y(x) = c(x)eF (x), wenn yH = eF eine nichttriviale Losung der zugehorigenhomogenen Differentialgleichung y′ = f(x) · y ist.

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10 KAPITEL 1. ELEMENTARE LOSUNGSMETHODEN

Beweis 1.4 Einsetzen in die inhomogene Differentialgleichung liefert:

y′ = c′eF + ceF f!= f · ceF + g ⇐⇒ c′ = ge−F ⇐⇒ c =

∫ge−F (+c0)

Eine spezielle Losung ist also

x ∈ I 7→ yp(x) =(∫

g(x)e−F (x) dx

)eF (x) ∈ R

3. Die allgemeine Losung ist nach 1. und 2.:

y = yp + c · yH mit c ∈ R

(definiert auf ganz I), wobei yp eine spezielle Losung der inhomogenen Differenti-algleichung und yH eine (nichttriviale) Losung der homogenen Differentialgleichungist. Die Losungsmenge bildet einen eindimensionalen affinen Unterraum im C1(I).

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1.1. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 11

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12 KAPITEL 1. ELEMENTARE LOSUNGSMETHODEN

4. Das AWPy′ = f(x)y + g(x), y(x0) = y0

ist wieder fur jeden Punkt (x0, y0) ∈ I × R = D eindeutig losbar:

y(x) =(

y0 +∫ x

x0

g(t)e−F (t) dt

)eF (x)

mit F (x) =∫ x

x0f(t) dt.

Beispiel 1.1 Betrachte die Differentialgleichung

y′ + y sinx = sin3 x; I = R, D = R2.

Die allgemeine Losung der homogenen Differentialgleichung ist y(x) = c · ecos x.Die Variation der Konstanten liefert:

c′(x) = g(x)e−F (x) = (sin3)xe− cos x

⇒ c(x) =∫

(sin3)xe− cos x dx =∫

(1− t2)et dt∣∣t=− cos x

= −(1− 2t + t2)et∣∣t=− cos x

= −(1 + cos x)2e− cos x (+c0)Ein partikulares Integral ist yp(x) = −(1 + cos x)2. Die allgemeine Losung ist also:

y(x) = −(1 + cos x)2 + cecos x

I Bemerkung: Eine spezielle Losung kann auch durch Ansatz oder ”Raten“ gefunden werden.

1.2 Bernoullische Differentialgleichungen

Typ:

(1.2) y′ = f(x)y + g(x)yα

mit f, g ∈ C0(J) und α ∈ R\{0, 1}.Definitionsbereich: D = J × R+ (bei beliebigem α).

Eine Ruckfuhrung auf eine lineare Differentialgleichung ist durch Variablentransformation y =u

11−α beziehungsweise u = y1−α moglich. Sie liefert:

u′ = (1− α)y−αy′ = (1− α)[f(x)u + g(x)],also

(1.3) u′ = (1− α)f(x)u + (1− α)g(x)

Es gilt: y ist (positive) Losung von (1.2) ⇐⇒ u positive Losung von (1.3).

Folgerung

1. Die allgemeine Losung von (1.2) ist von der Form

y = (up + cuH)1

1−α ,

wobei aber im allgemeinen der Wertebereich von c und (bei festem c) der Definitionsbereichvon up + c · uH auf ein Teilintervall I(c) ⊂ J einzuschranken ist, um up + c · uH > 0 zuerreichen.

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1.3. RICCATISCHE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 13

2. Das AWP (1.2) mit y(x0) = y0 > 0 ist fur jeden Punkt (x0, y0) ∈ J×R+ = D eindeutig losbar(y0 → u0). Die Losung ist allerdings im allgemeinen nur auf einem Teilintervall I(x0, y0) ⊂ Jdefiniert.

Beispiel 1.2

(1.4) y′ = 2(y +√

y) J = R, α =12

zunachst D = R × R+. Substitution u =√

y liefert u′ = u + 1 mit der allgemeinen Losungu(x) = cex − 1 (c ∈ R). Damit u > 0, muss gelten c > 0 und x > − log c; das heißt I(c) =]− log c,∞[( J = R.

Die allgemeine Losung von (1.4) ist:x ∈ I(c) 7→ y(x) = (cex − 1)2

1x

1

uHxL

1x

1

yHxL

Zusatz Lasst man als Definitions-Bereich D = R× [0,∞[, zu, so ist auch y ≡ 0: R→ R Losung.Durch einen Punkt (x0, 0) gehen dann unendlich viele C1-Losungen, namlich

y(x) = 0 fur x ∈ Rund

y(x) =

{0 fur x ≤ − log c

(cex − 1)2 fur x > − log cfur alle c mit − log c ≥ x0.

I Bemerkung: Fur α ∈ Z ist D = J×R\{0}, fur α ∈ N sogar D = J×R, mogliche Konsequenz:siehe Ubungen.

1.3 Riccatische Differentialgleichungen

Typ

(1.5) y′ = f(x)y2 + g(x)y + h(x)

mit f, g, h ∈ C(J), f 6= 0. Definitionsbereich: D = J × R.

Sie konnen im allgemeinen nicht elementar gelost werden. Aber: Ist ein partikulares Integralyp : Ip ⊂ J → R irgendwoher bekannt, so lassen sich alle anderen auf einem Teilintervall I ⊂ Ip

definierten Losungen elementar bestimmen: Die Substitution u = y−yp fuhrt auf eine BernoullischeDifferentialgleichung mit α = 1, die nach Abschnitt 1.2 gelost werden kann.

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14 KAPITEL 1. ELEMENTARE LOSUNGSMETHODEN

Ergebnis Eine Funktion y : I ⊂ Ip → R ist genau dann Losung von (1.5) mit ∀x∈I y(x) 6= yp(x),wenn z := 1

y−yp: I → R ein nullstellenfreies Integral der linearen Differentialgleichung

(1.6) z′ + (2fyp + g)(x)z + f(x) = 0

ist.

Beweis 1.5 y′ = fy2 − gy − h = y′ − y′p − f · (y2 − y2p)− g · (y − yp)

=(

1z

)′− f · 1

z·(

1z

+ 2yp

)− g · 1

z= − 1

z2[z′ + (2fyp + g)z + f ] .

Zur Struktur der Losungsmenge Sei yp ein partikulares Integral undzc = zp + czH = z0 + c(z1 − z0) = (1− c)z0 + cz1 (mit z0 := zp, z1 := zp + zH)

die allgemeine Losung von (1.6). Dann sind y0 := yp + 1z0

und y1 := yp + 1z1

spezielle Losungenvon (1.5) und fur die Losungen yc = yp + 1

zcgilt:

yc = yp +1

(1− c) 1yp−y0

+ c 1yp−y1

= · · · langweilige Rechnung · · ·

=(y1 − yp)y0 − c(y1 − y0)yp

(y1 − yp)− c(y1 − y0)mit c ∈ R

Die ursprungliche Losung erhalt man fur c → ∞, so dass mit y∞ := yp die allgemeine Losunglautet:

yc =(y1 − y∞)y0 − c(y1 − y0)y∞

(y1 − y∞)− c(y1 − y0)mit c ∈ R = R ∪ {∞}

Drei verschiedene Losungen bestimmen vollkommen die Losungsmenge (c ∈ R ≡ Kreis). Vergleich:Bei linearen Differentialgleichungen bestimmen zwei verschiedene Losungen die Losungsgerade.Auflosen nach c liefert:

c =yc − y0

yc − y∞

/y1 − y0

y1 − y∞Allgemein gilt: Fur je vier verschiedene Losungen y1, y2, y3, y4 : I → R der Riccati-Differentialgleichung (1.5) ist das Doppelverhaltnis:

DV(y1, y2, y3, y4) =y4 − y2

y4 − y1

/y3 − y2

y3 − y1= const.

Beispiel 1.3 Betrachte die Differentialgleichung

(1.7) y′ = 1− y2 mit D = R2

In unserem Formalismus ist also f = −1, g = 0, h = 1. Eine Losung ist y∞ ≡ 1 (auch y ≡ −1ist Losung). Die zugehorige lineare Differentialgleichung ist z′ − 2z − 1 = 0 mit der allgemeinenLosung zc(x) = − 1

2 + ce2x.Die allgemeine Losung von (1.7) ist also

yc(x) = y∞(x) +1

zc(x)= 1 +

1− 1

2 + ce2x=

2ce2x + 12ce2x − 1

mit c ∈ R.

Gestalt der Losungen:

• c < 0: 2c = −e−2x0 ⇒ y(x) =±e2(x−x0) ∓ 1±e2(x−x0) ± 1

= tanh(x− x0),

• c = 0: y(x) = −1,

• c > 0: 2c = e−2x ⇒ y(x) = coth(x− x0) =1

tanh(x− x0)(x 6= x0),

• c =∞: y(x) = +1.

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1.4. DIFFERENTIALGLEICHUNGEN MIT GETRENNTEN VERANDERLICHEN 15

-1 1x

1

y

I Bemerkung: Bis jetzt noch unbekannt, ob bei einer Riccati-Differentialgleichung durch jedenPunkt (x0, y0) eine Losung existiert.

1.4 Differentialgleichungen mit getrennten Veranderlichen

Typ

(1.8) y′ = f(x)g(y) mit f ∈ C0(J1), g ∈ C0(J2)

Der Definitionsbereich ist D = J1 × J2.

Bestimmung aller Losungen durch einen festen Punkt (x0, y0) ∈ D:

Fall 1 g(y0) = 0. Dann ist y ≡ y0 : J1 → J2 konstante Losung durch (x0, y0).

Fall 2 g(y0) 6= 0, also g(y) 6= 0 in einer ganzen Umgebung U(y0). Falls eine lokale C1-Losungx 7→ y(x) des AWPs existiert, muss gelten:y′(x)

g(y(x))= f(x) ⇐⇒

∫ x

x0

y′(t)g(y(t))

dty(t)=s

=∫ y

y0

1g(s)

ds︸ ︷︷ ︸G(y(x))

!=∫ x

x0

f(t) dt︸ ︷︷ ︸F (x)

⇐⇒ G(y(x)) = F (x).

Wegen G′(s) = 1g(s) 6= 0 in U(y0) (Monotonie) existiert eindeutig eine Umkehrfunktion G−1,

so dass gilt y(x) = G−1(F (x)) in einem Intervall I ⊂ J1 um x0 ist. Diese Funktion istwirklich Losung des AWPs wegen:

y′(x) =1

G′(G−1(F (x)))F ′(x) = g(y(x))f(x),

y(x0) = G−1(F (x0)) = G−1(0) = y0, wegen F (x0) = 0, G(y0) = 0.

Ergebnis Bei einer Differentialgleichung (1.8) mit getrennten Veranderlichen ist das AWPy(x0) = y0 fur (x0, y0) ∈ J1 × J2 = D losbar.

1. Falls g(y0) = 0 ist y ≡ y0 : J1 → R eine Losung.

2. Falls g(y0) 6= 0 gibt es eine in einem Intervall I ∈ J1 um x0 definierte lokal eindeutige Losungmit der Darstellung:

y(x) = G−1(F (x)) mit F (x) =∫ x

x0

f(t) dt,G(y) =∫ y

y0

1g(s)

ds.

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16 KAPITEL 1. ELEMENTARE LOSUNGSMETHODEN

I Bemerkung:

1. Durch einen Punkt (x0, y0) ∈ J1×J2 mit g(y0) = 0 konnen mehrere C1-Losungen existieren!

2. Lokal eindeutige Losbarkeit fur g(y0) 6= 0 bedeutet nur, dass alle Losungen x 7→ y(x) mity(x0) = y0 in einer Umgebung von x0 ubereinstimmen. Außerhalb (an einer Stelle (x, y) mitg(y) = 0) konnen sie sich verzweigen.

Beispiel 1.4 Betrachte y′ = 3√

y2 = y23 , D = R× R.

1. Die Nullfunktion y ≡ 0 ist Losung auf R (durch (x0, 0)).

2. Fur Losungen ungleich Null muss gelten:

y′y−23 = 1 ⇐⇒ y

13

13

= x + c ⇐⇒ y(x) =(

13(x + c)

)3

,(1.9)

y(x0) = y0(6= 0) ⇐⇒ c = −x0 + 3 3√

y0,

das heißt y(x) =13(x− x0 + 3 3

√y0)3 lost das AWP y(x0) = y0 (sogar fur y0 = 0).

Durch einen Punkt (x0, y0) mit y0 6= 0 verlauft lokal eindeutig eine Losung, die sich beimEinmunden in die x-Achse verzweigt.

(Hier Bild fehlen tut)Durch einen Punkt (x, 0) verlaufen die Losungen

• x 7→ y(x) = 0,

• x 7→ y(x) =(

13 (x− x0)

)3,• C1-zusammengesetzte Losungen der Form (1.9) mit der Null-Losung.

Anhang: (Euler)-homogene Differentialgleichungen

Typ:

y′ = f(y

x

)mit f ∈ C0(J)

Die Substitution y(x) = xu(x) liefert y′(x) = xu′(x) + u(x) != f(u(x)

), fuhrt also auf die

Differentialgleichung

u′ =1x

(f(u)− u

)mit getrennten Veranderlichen. Verallgemeinerung, Typ:

y′ = f

(ax + by + c

αx + βy + γ

)mit f ∈ C0(J)

Annahme: det(

a bα β

)6= 0. Dann existieren eindeutig x0, y0 ∈ R mit

ax0 + by0 + c = 0αx0 + βy0 + γ = 0

Die Transformation z(x) = y(x + x0 − y0) beziehungsweise y(x) = z(x− x0) + y0 fuhrt wegen

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1.5. EXAKTE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN UND HAMILTONSCHE SYSTEME 17

z′(x) = y′(x− xx0) = f

(a(x−x0)+b

(z(x)+y0

)+c

α(x−x0)+β(z(x)+y0

)+γ

)= f

(ax+bz(x)αx+βz(x)

)= f

(a+b

z(x)x

α+βz(x)

x

)= f

(z(x)

x

)auf eine (euler-) homogene Differentialgleichung z′ = f

(zx

)die wieder elementar gelost werden

kann.Zum Fall det

(a bα β

)= 0: Siehe Ubungen (??).

1.5 Exakte Differentialgleichungen und Hamiltonsche Sy-steme

Vorgegeben:

(1.10) f(x, y) + g(x, y)y′ = 0 mit f, g ∈ C0(G), G ⊂ R2 Gebiet

I Bemerkung: Falls g nullstellenfrei, ist (1.10) aquivalent zu einer expliziten Differentialglei-chung y′ = f(x, y). (Jede explizite Differentialgleichung lasst sich in der Form (1.10) schreiben).

Der Differentialgleichung (1.10) zugeordnet ist eine Differentialform

(x, y) 7→ ω(x, y) = f(x, y)dx + g(x, y)dy

Losen von (1.10) bedeutet, Funktionen x 7→ y(x) zu finden mit

ω(x, y(x)

)=[f(x, y(x)

)+ g(x, y(x)

)y′(x)

]dx = 0

Analog kann man versuchen, Funktionen y 7→ x(y) zu finden mit

ω(x(y), y

)=[f(x(y), y

)x′ + g

(x(y), y

)]dy = 0

oder allgemein ebene parametrisierte Kurven t ∈ I ⊂ R→(x(t), y(t)

)∈ G ⊂ R2 mit

ω(x(t), y(t)

)=[f(x(t), y(t)

)x(t) + g

(x(t), y(t)

)y(t)

]dt = 0

G(x(t),y(t))

Losungsidee: Wir suchen C1-Funktionen F : G → R, so dass sich die Losungen x 7→ y(x)implizit als Niveaulinien (Aquipotentiallinien) F (x, y) = const darstellen lassen. Fur eine solcheFunktion F muss gelten:

F(x, y(x)

)= const ⇐⇒ d

dx

[F(x, y(x)

)]= ∂xF

(x, y(x)

)+ ∂yF

(x, y(x)

)y′(x) = 0,

also gradF =(∂xF∂yF

)= µ

(fg

)mit µ : G→ R.

In Differentialschreibweise:dF := ∂xF dx + ∂yF dy

!= µ(f dx + g dx) = µ · ω

1. Versuch: µ ≡ 1, also gesucht: F mit gradF =(fg

)beziehungsweise dF = ω

Definition 1.1 Eine Differentialgleichung (1.10) [beziehungsweise die dazugehorige Differential-form ω] heißt exakt, falls eine C1-Stammfunktion F : G→ R mit

gradF =(

f

g

)beziehungsweise dF = ω

existiert.

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18 KAPITEL 1. ELEMENTARE LOSUNGSMETHODEN

Ergebnis: Fur jede Losung x 7→ y(x) einer exakten Differentialgleichung (1.10) mit Stammfunk-tion F durch (x0, y0) gilt F

(x, y(x)

)= c = F (x0, y0). Ist g nullstellenfrei, so definiert umgekehrt

jede Niveaumenge F (x, y) = c = F (x0, y0) implizit eine lokale Losung x 7→ g(x) von (1.10) durch(x0, y0).

Beweis 1.6 Nach Definition gilt ddx

[F(x, y(x)

)]= f

(x, y(x)

)+ g

(x, y(x)

)y′(x) = 0. Wegen

∂yF ′(x0, y0) = g(x0, y0) 6= 0 existiert umgekehrt nach dem Satz uber implizite Funktionen ei-ne lokale C1-Auflosung x 7→ y(x) mit y(x0) = y0, welche die Differentialgleichung (1.10) lost.]

Beispiel 1.5 x + yy′ = 0 G = {(x, y) | y 6= 0}Stammfunktion F (x) = 1

2 (x2 + y2). Die allgemeine Losung ist:

F (x, y) = 12 (x2 + y2) = 1

2r2 = const > 0 ⇐⇒ y(x) = ±√

a2 − x2

Kriterium fur Exaktheit Falls f, g ∈ C1(G) und eine C2-Stammfunktion F existiert, mussendie Integrabilitatsbedingungen

∂y∂xF = ∂yf = ∂xg = ∂x∂yF

erfullt sein.In Differentialschreibweise: Das totale Differential

dω = (∂yf − ∂xg)dx ∧ dy

muss verschwinden. Differentialformen ω mit dω = 0 heißen geschlossen, und es gilt trivialerweise

ω exakt [ω = dF ]⇒ ω geschlossen [dω = ddF ] = 0

Lokal ist obige Integrabilitatsbedingung [bzw. die Geschlossenheit von ω] auch hinreichend fur dieExistenz einer Stammfunktion.

Falls f, g : G→ R C1-Funktionen mit ∂yf = ∂xg, so existiert um jeden Punkt (x0, y0) ∈ G einelokale Stammfunktion (x, y) ∈ U(x0, y0) 7→ F (x, y) ∈ R.

Beweis 1.7 In einem Rechteck R um (x0, y0) ∈ G [es existiert, da G offen] lasst sich eine Stamm-funktion F durch das Kurvenintegral

(x, y) 7→ F (x, y) =∫ (x,y)

(x,y)

f(x, y) dx + g(x, y) dy

langs des Rechteckwegs (x0, y0)→ (x0, y0)→ (x, y) angeben:

F (x, y) =∫ x

x0

f(x, y0) dx +∫ y

y0

g(x, y) dy.

Es ist dann wirklich

∂xF (x, y) = f(x, y0) +∫ y

y0

∂xg(x, y) dy = f(x, y0) +∫ y

y

∂yf(x, y) dy

= f(x, y0) +(f(x, y)− f(x, y0)

)= f(x, y),

∂yF (x, y) = g(x, y).

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1.5. EXAKTE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN UND HAMILTONSCHE SYSTEME 19

Praktische Berechnung einer Stammfunktion (wenn man weiß, dass es sie gibt):

∂yF (x, y) = g(x, y) ⇐⇒ F (x, y) =∫

g(x, y) dy + c(x),

∂xF (x, y) =∂

∂x

(∫g(x, y) dy

)+ c′(x) != f(x, y)

⇐⇒ c′(x) = f(x, y)− ∂

∂x

(∫g(x, y) dy

)⇒ c(x) = · · · [+c0].

(Stammfunktionen sind bis auf eine additive Konstante eindeutig bestimmt.)

I Bemerkung:

1. Ist das Gebiet G einfach zusammenhangend (etwa ein Sterngebiet),

dann gibt es unter den obigen Vorraussetzungen sogar eine globale Stammfunktion F : G→ R.Als Integrationsweg kann jede Kurve t ∈ [0, 1] 7→

(x(t), y(t)

)∈ G zwischen (x0, y0) und (x, y)

verwendet werden:

F (x, y) =∫ 1

0

[f(x(t), y(t)

)x(t) + g

(x(t), y(t)

)y(t)

]dt

2. Ist das Gebiet G nicht einfach zusammenhangend, braucht keine globale Stammfunktion zuexistieren.

Beispiel 1.6 f, g : G := R2\{0} → R mit f(x, y) = −yx2+y2 und g(x, y) = x

x2+y2

Die Integrabilitatsbedingung ∂yf = ∂xg ist erfullt, es gibt also eine lokale Stammfunktion F .Annahme: Es gibt eine globale Stammfunktion F : R2\{0}. Fur die C1-Abbildung:t ∈ [0, 2π]→ c(t) = F (cos t, sin t) ∈ Rgilt dann c(0) = c(2π) = F (1, 0), aberc(t) = −∂xF (cos t, sin t) sin t + ∂yF (cos t, sin t) cos t = −f(cos t, sin t) sin t + g(cos t, sin t) cos t

= sin2 t + cos2 t = 1 Widerspruch!

2. Moglichkeit: Falls die Differentialgleichung (1.10) (beziehungsweise die Differentialform ω)nicht exakt ist, kann man versuchen, sie durch Multiplikation mit einem integrierenden Faktor(Eulerscher Multiplikator) (x, y) 7→ µ(x, y) 6= 0 exakt zu machen. Es genugt eine Funktion F zufinden mit gradF = µ

(fg

)=(µfµg

)[beziehungsweise dF = µ · ω]: Falls µ nullstellenfrei ist, haben

f + gy′ = 0 und (µf) + (µg)y′ = 0 diesselben Losungen.

Beispiel 1.7 y + 2xy′ = 0. Die Differentialgleichung ist wegen ∂yf(x, y) = 1 6= 2 = ∂xg(x, y)nicht exakt. Multiplikation mit µ(x, y) = y liefert die aquivalente Gleichung y2 + 2xyy′ = 0, diewegen ∂y(µf)(x, y) = 2y = ∂x(µg)(x, y) exakt ist.

Berechnung einer Stammfunktion: ∂xF (x, y) = y2 ⇐⇒ F (x, y) = xy2 + c(y)

∂yF (x, y) = 2x · y + c′(y) != 2xy ⇐⇒ c′(y) = 0 ⇐⇒ c(y) = 0.Eine Stammfunktion ist also F (x, y) = xy2.Losungen der Differentialgleichung sind die Kurven F (x, y) = xy2 = const = c, das heißt

y(x) = ±√

cx .

I Bemerkung:

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20 KAPITEL 1. ELEMENTARE LOSUNGSMETHODEN

1. Ein integrierender Faktor µ muss fur C1-Funktionen f, g wegen ∂y(µf) = ∂x(µg) der impli-ziten partiellen Differentialgleichungµyf + µfy = µxg + µgx

genugen, die im allgemeinen nicht elementar integrierbar ist.

2. Manchmal lasst sich ein integrierender Faktor der Form x 7→ µ(x) oder y 7→ µ(y) bestimmen.

Beispiel 1.8 Differentialgleichung fur y 7→ µ(y):

µ′f + µfy = µgx ⇐⇒µ′(y)µ(y)

=gx − fy

f(x, y).

Eine solche Funktion µ existiert, falls gx−fy

f nur von y abhangt.

3. Es wird sich spater zeigen, dass jede Differentialgleichung (1.10) mit f, g ∈ C1(G) einenintegrierenden Faktor besitzt (auch wenn er nicht elementar bestimmbar ist).

Mit den gleichen Methoden kann man versuchen, (parametrisierte) Losungskurven t ∈ I ⊂R 7→

(x(t), y(t)

)∈ R2 einer Differentialgleichung der Form

(1.11) f(x(t), y(t)

)· x(t) + g

(x(t), y(t)

)· y(t) = 0

[beziehungsweise ω((x(t), y(t)

)= 0] zu finden. Falls (f, g) [beziehungsweise ω] exakt (eventuell

nach Multiplikation mit einem integrierenden Faktor) ist, erhalt man sie in der impliziten FormF(x(t), y(t)

)= c = const = F (x0, y0).

Durch F (x, y) = const wird allerdings nur die Spur (die Bahn oder der Orbit) der Losungskurvefestgelegt, nicht der ”zeitliche Verlauf“, ihre Parametrisierung.

Beispiel 1.9 Betrache die Funktionen f(x, y) = 2x und g(x, y) = 2y.Gesuchte Kurven: t 7→

(x(t), y(t)

)mit 2x(t)x(t) + 2y(t)y(t) = 0

[= d

dt

(x2(t) + y2(t)

)]. Mit

der Stammfunktion F (x, y) = x2 + y2 erhalt man als Losungsbahnen die konzentrischen Kreisex2 + y2 = r2 ≥ 0, aber nicht eine ausgezeichnete Parametrisierung.

Moglich sind etwa(

x(t)y(t)

)= r ( cos t

sin t ), aber auch zum Beispiel(

x(t)y(t)

)= r

(tanh t

1cosh t

).

Anwendung Gegeben: Ebenes autonomes Differentialgleichungssystem

(1.12)x = f(x, y),y = g(x, y)

mit f, g ∈ C0(G).

Gesucht: Eigentlich Losungskurven t 7→(x(t)y(t)

)∈ G ⊂ R2.

Offensichtlich gilt −g(x, y)x+f(x, y)y = 0. Das System (1.12) heißt ein hamiltonsches System,falls eine sogenannte Hamiltonfunktion G 3 (x, y) 7→ H(x, y) ∈ R existiert mit

∂xH = −g,

∂yH = f,also eine Stammfunktion der Differentialform (x, y) 7→ ω(x, y) = −g(x, y) dx + f(x, y) dy. DieLosungsbahnen des Systems (1.12) durch (x0, y0) ∈ G erhalt man dann durch H(x, y) = const =H(x0, y0), aber nicht die Losungskurven selbst.

Beispiel 1.10 Das Differentialgleichungs-Paarx = y,

y = −x

ist ein hamiltonsches System mit Hamiltonfunktion H(x, y) = 12 (x2 + y2). Die Losungsbahnen

(Orbits) sind Kreise x2 + y2 = r2 ≥ 0.Tatsachliche allgemeine Losung: t 7→

(x(t)y(t)

)=(

a cos t+b sin t−a sin t+b cos t

)= r(cos(t−t0)sin(t−t0)

)[siehe spater].

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1.6. SPEZIELLE IMPLIZITE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 1.ORDNUNG 21

1.6 Spezielle implizite Differentialgleichungen 1. Ordnung

Vorgegeben:

(1.13) F (x, y, y′) = 0

mit einer C1-Funktion (x, y, p) ∈ G ⊂ Rn 7→ F (x, y, p) ∈ R.Ein Linienelement (x, y, p) mit F (x, y, p) = 0 heißt regular, wenn die Gleichung F (x, y, p) = 0

in der Umgebung von (x, y, p) eindeutig nach p aufgelost werden kann und somit eine expliziteDifferentialgleichung y′ = f(x, y) in der Umgebung (x, y) definiert ist. Andernfalls heißt es singular.

Hinreichende Bedingung fur regulare Linienelemente:F (x, y, p) = 0 und ∂pF (x, y, p) 6= 0

(Dahinter steckt der Satz uber implizite Funktionen).

I Bemerkung: Diese Bedingung ist nicht notwendig.

Beispiel 1.11 y′3 = y2, das heißt F (x, y, p) = p3 − y2.

Es gilt ∂pF (0, 0, 0) = 0. Trotzdem existiert eine eindeutige Auflosung y′ = y23 = f(x, y) mit

f(0, 0) = 0.

Eine Losung x 7→ y(x) von (1.13) heißt regular (beziehungsweise singular), wenn alle Lini-enelemente

(x, y(x), y′(x)

)regular (beziehungsweise singular) sind.

Manchmal kann (1.13) gelost werden, ohne explizit nach y′ aufzulosen. Hier: nur C2-Losungen.

Idee:

1. Geradlinige Losungen x 7→ y(x) = ax+b konnen durch Losen der Gleichung F (x, ax+b, a) =0 bestimmt werden.

2. Fur eine nichtgeradlinige C2-Losung x 7→ y(x) ist y′′ 6= 0 und in Intervallen mit y′′(x) 6= 0ist die Abbildung x 7→ p(x) := y′(x) invertierbar. Es existiert eine C1-Umkehrabbildungp 7→ x(p), die zusammen mit p 7→ y(x) = y

(x(p)

)eine C1-Parameterdarstellung p 7→

(x(p)y(p)

)der Losung definiert. (”y

′ = p wird als Kurvenparameter benutzt“). Es gilt dann

y(p) =dy

dp(p) =

dy

dx

(x(p)

)x(p) = p · x(p).

Die Losungskurve p 7→(

x(p)y(p)

)erfullt also die Gleichung

(1.14)y(p) = px(p) mit der Nebenbedingung

F(x(p), y(p), p) = 0.

Ist umgekehrt eine C1-Losung p 7→(

x(p)y(p)

)von (1.14) mit x 6= 0 gefunden, so existiert

in Intervallen mit x(p) 6= 0 eine C1-Umkehrabbildung x 7→ p(x) und fur die C1-Funktionx 7→ y(x) := y

(p(x)

)gilt

y′(x) =y

x

(p(x)

) (1.14)= p(x) (⇒ y ist sogar C2-Abbildung).

Diese Funktion lost (1.13) wegen

F(x, y(p(x)

), p(x)

)= F

(x, y(x), y′(x)

) (1.14)= 0.

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22 KAPITEL 1. ELEMENTARE LOSUNGSMETHODEN

Beispiel 1.12 1. Typ:x = g(y′) mit g ∈ C1(J), g 6≡ 0.

Beispiel: ey′ + sin y′ = x.

(a) Keine geradlinigen Losungen moglich.

(b) Nichtgeradlinige Losungen in Parameterformx(p) = g(p) , [NB!]

y(p) = pg(p)⇒ y(p) =∫

pg(p) dp.

Analog: αx + βy = g(y′).

2. Typ:y = xy′ − g(y′) mit g ∈ C2(J)

(Clairautsche Differentialgleichung)

Hier ist also F (x, y, p) = g(p)− px + y.

(a) Geradlinige Losungen: Der Ansatz y(x) = ax + b liefert: y(x) = ax − g(a) mit a ∈ J(1-Parameterschar von Geraden).Sie sind regular (ausser im Punkt x = g(a)), wegen ∂pF

(x, y(x), y′(x)

)= g(a)− x 6= 0.

(b) Nichtgeradlinige Losungen: (1.14) lautet: y(p) = px(p) unter der Nebenbedingungy(p) = px(p)− g(p)

⇒ y(p) = x(p) + px(p)− g(p) != px(p)⇒ x(p) = g(p).Solange g(p) 6= 0 ist, wird dadurch wirklich eine Losung x 7→ y(x) definiert. Sie ist (imallgemeinen) singular, wegen∂pF

(x(p), y(p), p

)= g(p)− x(p) ≡ 0.

I Bemerkung: Die Clairautsche Differentialgleichung heißt auch Differentialgleichung vonGeradenscharen. Die Losungsgeraden sind die Tangenten an die singulare nichtgeradlinigeLosung. Umgekehrt: Die singulare Losung ist die Einhullende der Losungsgeradenschar.

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Kapitel 2

Allgemeine Satze uber expliziteDifferentialgleichungssysteme1. Ordnung (Teil 1)

Untersuchungsgegenstand sind hier explizite Differentialgleichungen

y′ = f(x, y)

fur gesuchte Abbildungen y : I ⊂ R → Rn und x 7→ y(x) =(

y1(x)...

yn(x)

), wobei die ”rechte Seite“

f : G ⊂ R× Rn, (x, y) 7→ f(x, y) stets als stetig auf einem Gebiet G vorausgesetzt wird.Differentiation und Integration im Rn sei komponentenweise definiert, als Norm im Rn wird

meist die Maximumsnorm |y| := maxi=1,...,n |yi| verwendet.

Gesucht: Kriterien fur die Existenz und Eindeutigkeit von (lokalen) C1-Losungen durch An-fangspunkte (ξ, η) ∈ G und Aussagen uber den Verlauf der Integralkurven im Großen (Fortsetz-barkeit).

2.0 Zwei Hilfssatze

Zunachst eine andere Beschreibung eines Anfangswertproblems:

Hilfssatz 2.0.1 Sei f : G ⊂ R × Rn → Rn stetig und (ξ, η) ∈ G vorgegeben. Eine C1-Abbildungy : I ⊂ R→ Rn ist genau dann Losung des Anfangswertproblems

y′ = f(x, y), y(ξ) = η

wenn y der Integralgleichung

∀x ∈ I y(x) = η +∫ x

ξ

f(t, y(t)

)dt

genugt.

Beweis 2.1 Vergleiche Ubung 1.4. Es gilt:

∀x ∈ I y′(x) = f(x, y(x)

), y(x) = η ⇐⇒

∫ x

ξ

y′(t) dt = y(x)− η!=∫ x

ξ

f(t, y(t)

)dt. ]

23

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24 KAPITEL 2. ALLGEMEINE SATZE, TEIL 1

Wichtig fur die Theorie gewohnlicher Differentialgleichungen ist

Hilfssatz 2.0.2 (Lemma von Gronwall, 1918) Seien eine stetige Funktion ϕ : I ⊂ R, ein be-liebiger Punkt x0 ∈ I sowie Konstanten L > 0 und a, b ≥ 0 vorgegeben.

Genugt dann ϕ der Integralungleichung

∀x ∈ I : 0 ≤ ϕ(x) ≤ L ·∣∣∣∣∫ x

x0

ϕ(t) dt

∣∣∣∣+ a + b|x− x0|

so folgt daraus die explizite Abschatzung

∀x ∈ I 0 ≤ ϕ(x) ≤ a · eL|x−x0| +b

L(eL|x−x0| − 1)

Im Spezialfall b = 0, das heißt ∀x ∈ I : 0 ≤ ϕ(x) ≤ L∣∣∣∫ x

x0ϕ(t) dt

∣∣∣+ a folgt

∀x ∈ I : ϕ(x) ≤ aeL|x−x0|

Und im Trivialfall a = b = 0, das heißt ∀x ∈ I : 0 ≤ ϕ(x) ≤ L∣∣∣∫ x

x0ϕ(t) dt

∣∣∣ folgt

ϕ ≡ 0 auf I.

Beweis 2.2 1. Die Translation ϕ(x) = ϕ(x0 + x) =: ϕ(x) reduziert das Problem auf denSpezialfall x0 = 0 und die nachfolgende Spiegelung ϕ(x) = ϕ(−x) = ϕ(x) fur x < 0 auf denSpezialfall x ≥ 0.

2. Sei jetzt x0 = 0 und x ≥ 0.

Fur die C1-Funktion Φ(x) :=∫ x

0ϕ(t) dt ≥ 0 gilt nach Voraussetzung

Φ′(x)− LΦ(x) ≤ a + bx

und fur Ψ(x) := Φ(x)e−Lx weiter

Ψ′(x) =(Φ′(x)− LΦ(x)

)e−Lx ≤ (a + bx)e−Lx

mit Ψ(0) = Φ(0) = 0. Daraus folgt (Monotonie des Integrals):

Ψ(x) =∫ x

0

Ψ′(t) dt ≤∫ x

0

(a + bt)e−Lt dt = · · · = 1L

[(a +

b

L

)+ bt

]e−Lt

∣∣∣∣x0

=a

L− 1

L(a + bx)e−L +

b

L2(1− e−Lx)

und somitϕ(x) ≤ LΦ(x) + a + bx = LΨ(x)e+Lx + a + bx

≤ aeLx − (a + bx) +b

L(eLx − 1) + (a + bx) = aeLx +

b

L(eLx − 1). ]

2.1 Lipschitzstetigkeit und Eindeutigkeit

Die Stetigkeit der rechten Seite f eines Anfangswertproblems y′ = f(x, y), y(ξ) = η ist fur dieeindeutige Losbarkeit nicht ausreichend.

Beispiel 2.1 Wie bereits in Beispiel 1.4 gezeigt, hat das Anfangsswertproblem y′ = y23 , y(0) = η

keine eindeutige Losung.

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2.1. LIPSCHITZSTETIGKEIT UND EINDEUTIGKEIT 25

Wir mussen zusatzlich fordern, dass das Richtungsfeld ”nicht allzusehr schwankt“ bezuglich y,dass die Differenzenquotienten |f(x,y)−f(x,y)|

|y−y| beschrankt bleiben.

Definition 2.1 Sei (x, y) ∈ D ⊂ R× Rn 7→ f(x, y) ∈ Rn vorgegeben.

1. Die Funktion f erfullt auf D eine (globale) Lipschitzbedingung bezuglich y (ist bezuglich yglobal L-beschrankt), wenn eine sogenannte Lipschitzkonstante L ≥ 0 existiert mit

∀(x,y)∈D ∀(x,y) |f(x, y)− f(x, y)| ≤ L|y − y|.

2. Die Funktion f erfullt auf D eine lokale L-Bedingung bezuglich y (ist bezuglich y L-stetigoder bezuglich y lokal L-beschrankt), wenn jeder Punkt aus D eine Umgebung U besitzt, sodass f

∣∣U∩D

eine globale L-Bedingung bezuglich y erfullt.

I Bemerkung: Entsprechend heißt eine Abbildung f : Rn × Rm, y 7→ f(y) L-stetig (lokal L-beschrankt), wenn jeder Punkt y ∈ D eine Umgebung U besitzt mit

∀y,y∈D |f(y)− f(y)| ≤ L|y − y|

mit L ≥ 0.

Es gilt: f ist L-stetig ⇒ f ist stetig, aber im allgemeinen nicht umgekehrt.Eine hinreichende Bedingung fur L-Stetigkeit bezuglich y liefert

Satz 2.1.1 Besitzt eine Abbildung (x, y) ∈ G ⊂ R × Rn 7→ f(x, y) ∈ Rn auf einem Gebiet G

stetige partielle Ableitungen (x, y) 7→ ∂f

∂yk(x, y) nach den Komponenten von y, so ist f auf G lokal

L-stetig bezuglich y.

Beweis 2.3 Jeder Punkt aus G besitzt, da G offen ist, eine kompakte Quaderumgebung Q ⊂ G.Auf ihr sind die partiellen Ableitungen ∂kfj := ∂fj

∂ykbeschrankt, das heißt es gilt:

∀(x,y)∈Q |∂kfj(x, y)| ≤Mjk

Fur Punkte (x, y), (x, y) aus dem Inneren von Q gilt dann nach dem Mittelwertsatz (MWS):

fj(x, y) = fj(x, y) +n∑

k=1

∂kfj

(x, y + ϑx(y − y)

)· (yk − yk)

mit ϑx ∈]0, 1[. Also ist

|fj(x, y)− fj(x, y)| ≤n∑

k=1

Mjk|yk − yk|

und|f(x, y)− f(x, y)| = max

j=1,...,n|fj(x, y)− fj(x, y)| ≤ n max

j,kMjk︸ ︷︷ ︸

L

max |yj − yj |︸ ︷︷ ︸|y−y|

. ]

I Bemerkung: Entsprechend gilt fur Abbildungen y 7→ f(y) auf einem Gebiet:

f ist C1-differenzierbar ⇒ f ist L-stetig (⇒ f ist stetig).

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26 KAPITEL 2. ALLGEMEINE SATZE, TEIL 1

Man kann zeigen, dass eine L-stetige Funktion fast uberall (bis auf eine Lebesgue-Nullmenge)differenzierbar ist.

Beispiel 2.2 (Im Eindimensionalen)

1. f(x, y) = |y| =√

y2

Diese Funktion ist in G = R2 nicht nach y differenzierbar. Trotzdem erfullt f dort sogar eineglobale L-Bedingung, denn

|f(x, y)− f(x, y)| =∣∣|y| − |y|∣∣ ≤ 1 · |y − y|

2. f(x, y) = y23 = 3

√y2 erfullt in keiner Umgebung eines Punktes (ξ, 0) eine L-Bedingung:

Die Differenzenquotienten∣∣∣∣y 2

3−y23

y−y

∣∣∣∣ y=0=∣∣∣∣y 2

3

y

∣∣∣∣ = |y− 13 | = 1

3√y (−→y→0

∞) bleiben nicht be-

schrankt.

Zum Zusammenhang zwischen lokaler und globaler L-Beschranktheit.

Satz 2.1.2 Eine stetige Abbildung f : G ⊂ R × Rn → Rm, (x, y) 7→ f(x, y) die auf dem GebietG bezuglich y (lokal) L-stetig ist, erfullt auf jeder kompakten Teilmenge K ⊂ G sogar eine globaleL-Bedingung bezuglich y.

Beweis 2.4 Ware die Aussage falsch, so gabe es zu jedem L > 0 zwei Punkte (x, y), (x, y) ∈ Kmit |f(x, y)− f(x, y)| > L|y − y|. Insbesondere gabe es zwei Folgen (xk, yk)k∈N, (xk, yk)k∈N mit

∀k∈N |f(xk, yk)− f(xk, yk)| > k|yk − yk|.

Wegen der Kompaktheit von K existieren konvergente Teilfolgen (xkj , ykj )j∈N und (xkj , ykj ) mitetwa limj→∞ xkj = x∗, limj→∞ ykj = y∗ und limj→∞ ykj = y∗, wobei (x∗, y∗) und (x∗, y∗) in Kliegen. [Benutztes Kompaktheitskriterium: K ⊂ Rn kompakt ⇐⇒ Jede Folge in K besitzt einekonvergente Teilfolge mit Grenzwert in K ⇐⇒ jede Folge besitzt einen Haufungspunkt in K]

Wegen der Konvergenz der linken Seite in

(2.1) |f(xkj , ykj )− f(xkj , ykj )| > kj |ykj − ykj |

muss (wegen des Faktors kj →∞)(|ykj − ykj |

)j∈N eine Nullfolge bilden, das heißt es gilt y∗ = y∗.

Wegen der L-Stetigkeit von f bezuglich y besitzt der Punkt (x∗, y∗) = (x∗, y∗) ∈ K eine UmgebungU mit |f(x, y) − f(x, y)| ≤ L|y − y| fur alle (x, y), (x, y) ∈ U ∩ K. In U ∩ K liegen fast alleFolgenglieder (xkj , ykj ), (xkj , ykj ), so dass fur alle j ≥ n0 gilt

|f(xkj , ykj )− f(xkj , ykj )| ≤ L|ykj − ykj |

im Widerspruch zu (2.1) fur kj > L. ]

Eine erste Anwendung der L-Stetigkeit ist

Satz 2.1.3 (Eindeutigkeitssatz) Sei f : G ⊂ R × Rn → Rn, (x, y) 7→ f(x, y) auf dem GebietG stetig und bezuglich y (lokal) L-stetig. Sind dann y, y : I → Rn zwei Losungen des AWP’sy′ = f(x, y), f(ξ) = η, so gilt y ≡ y in I.

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2.2. DER EXISTENZSATZ VON PICARD-LINDELOF 27

Beweis 2.5 Wir nehmen an, es existieren zwei Losungen y, y des AWP’s mit etwa y(x1) 6= y(x1)fur ein x1 > ξ (analog fur x1 < ξ).

Fur die stetige Funktion x ∈ I 7→ ϕ(x) := |y(x)− y(x)| ∈ R gilt dann ϕ(ξ) = 0 und ϕ(x) > 0.Also muss ein x0 ∈ [ξ, x1[ existieren mit ϕ(x0) = 0 und ∀x∈]x0,x1[ ϕ(x) > 0.

Mit y0 := y(x0) = y(x0) erfullen also y, y auch das AWP y(x0) = y0. Sei I0 × Q0 eine offeneQuaderumgebung von (x0, y0) in der der (nach Satz 2.1.2) eine globale L-Konstante L existiert. Siekann so gewahlt werden, dass die Graphen y|I0 und y|I0 ganz in I0×Q0 liegen (sonst Verkleinerungvon I0). Dann gilt nach Hilfssatz 2.0.1 fur alle x ∈ I0:

ϕ(x) = |y(x)− y(x)| =∣∣∣∣∫ x

x0

f(t, y(t)

)dt−

∫ x

x0

f(t, y(t)

)dt

∣∣∣∣ ≤ ∣∣∣∣∫ x

x0

∣∣f(t, y(t))dt− f

(t, y(t)

)∣∣∣∣∣∣≤ L

∫ x

x0

|y(t)− y(t)| dt = L

∣∣∣∣∫ x

x0

ϕ(t) dt

∣∣∣∣Das Gronwallsche Lemma (Hilfssatz 2.0.2, Trivialfall a = b = 0) liefert ϕ|I0 ≡ 0 im Widerspruch

zur Wahl von x0 ∈ I0. ]

Anwendung: Solange eine Losung von y′ = y23 den Bereich y > 0 nicht verlaßt, so ist sie (lokal)

eindeutig bestimmt [f lokal L-stetig, da differenzierbar]. Erst auf der x-Achse (y = 0) kann siesich verzweigen. [es existiert keine L-Konstante].

I Bemerkung: Es gibt schwachere Kriterien fur die Eindeutigkeit als L-Stetigkeit (siehe Wal-ter, §12 Erganzung)

2.2 Der Existenzsatz von Picard-Lindelof

Wir versuchen die Existenz von (lokalen) Losungen eines AWP’sy′ = f(x, y), y(ξ) = η

beziehungsweise der Integralgleichung

y = Ty mit ∀x Ty(x) = η +∫ x

ξ

f(t, y(t)

)dt

mit Hilfe sukzessiver Approximation (”picardsche Iteration“) zu beweisen.

Idee: Anfangsnaherung y0 : I → Rn mit y(ξ) = η, etwa y ≡ η

(Verbesserung?) y1 := Ty0

y2 := Ty1

(Hoffnung) ↓ ↓y T y (Losung?)

Beispiel 2.3 Wir betrachten das AWP y′ = y, y(ξ) = η.Als Anfangsnaherung nehmen wir y0(x) = η.y1(x) = Ty0(x) = η +

∫ x

ξy0(t) dt = η +

∫ x

ξη dt = η

(1 + (x− ξ)

)y2(x) = Ty1(x) = η +

∫ x

ξy1(t) dt = η +

∫ x

ξη(1 + (t− ξ)

)dt = η

(1 + (x− ξ) + 1

2 (x− ξ)2)

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28 KAPITEL 2. ALLGEMEINE SATZE, TEIL 1

...yk(x) = η

(∑kl=0

1l! (x− ξ)l

)−→k→∞

y(x) = ηex−ξ (wirklich Losung)

Probleme:

1. Ist die Picardsche Iteration immer definiert, verbleiben die Iterationen im Gebiet G?

2. Wenn ja, konvergiert die Funktionenfolge (yk)k∈N?

3. Wenn ja, ist die Grenzfunktion y Losung des AWP’s?

Auskunft uber die Losung solcher Probleme gibt der Banachsche Fixpunktsatz.

Definition 2.2 Ein normierter Raum (X, | · |) (also ein Vektorraum, versehen mit einer Norm| · |) heißt vollstandig oder Banachraum, wenn in ihm jede Cauchy-Folge (xk ∈ X)k∈N (das heißt∀ε>0 ∃n∈N ∀k,l≥n |xk − xl| < ε) gegen einen Punkt x ∈ X konvergiert.

Beispiel 2.4 1. Der Rn mit einer seiner aquivalenten Normen |·|2, |·|∞, . . . (euklidische Norm,Maximums-Norm,. . . ) ist vollstandig. (Cauchy-Konvergenzkriterium)

2. Der Vektorraum C0(K → Rn) aller stetigen Abbildungen auf einem Kompaktum K ⊂ Rversehen mit der Supremumsnorm

‖f‖ := sup{|f(x)| : x ∈ K} (= max{|f(x)| : x ∈ K})ist vollstandig.

Beweis 2.6 (fk) Cauchyfolge in C0(K → Rn)

⇐⇒ ∀ε>0 ∃m∈N ∀k,l≥m‖fk − fl‖ < ε

⇐⇒ ∀ε>0 ∃m∈N ∀k,l≥m∀x∈K |fk(x)− fl(x)| < ε

⇐⇒ (fk) konvergiert gleichmassig gegen eine stetige Grenzfunktion f ∈ C0(K → Rn)

⇐⇒ (fk) konvergiert in der Norm ‖ · ‖ gegen eine Funktion f in C0(K → Rn)

Satz 2.2.1 (Banachscher Fixpunktsatz fur kontrahierende Abbildungen) Es sei A eineabgeschlossene Teilmenge eines Banachraums (X, |·|) und T : A ⊂ X→ A ⊂ X eine kontrahierendeSelbstabbildung, das heißt es gilt:

(2.2) ∀y,y∈A |Ty − T y| ≤ L′|y − y|

mit einer Konstanten L′ ∈ [0, 1[.Dann besitzt T genau einen Fixpunkt y ∈ A (mit T y = y). Man erhalt ihn als Grenzwert

y = limk→∞ yk fur jede durch

(2.3) ∀k∈N yk+1 = Tyk (= T k+1y0)

rekursiv gebildete Folge bei beliebigem Startwert y0 ∈ A. Weiter gilt die Abschatzung

∀k∈N |y − yk| ≤L′

k

1− L′|y1 − y0|.

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2.2. DER EXISTENZSATZ VON PICARD-LINDELOF 29

I Bemerkung: Die ”L-Beschrankheit“ (2.2) zeigt, dass der Operator T stetig ist.

Beweis 2.7 1. Eindeutigkeit: Ist T y1 = y1 und T y2 = y2, dann folgt:

|y1 − y2| = |T y1 − T y2| ≤ L<1

′|y1 − y2|, also muss gelten y1 = y2.

2. Existenz: Sei y0 ∈ A beliebig. Wegen T [A] ⊂ A ist die durch (2.3) gegebene Folge(yk ∈ A)k∈N wohldefiniert. Wir zeigen, dass sie eine Cauchyfolge ist. Fur y, y ∈ A giltzunachst:

|Ty − T y| ≤ L′|y − y| ⇒ |T 2y − T 2y| ≤ L′|Ty − T y| ≤ L′2|y − y|

(2.4) volls. Ind.⇒ ∀k∈N |T k − T ky| ≤ L′k|y − y|

Daraus folgt fur beliebige k, j ∈ N:

(2.5)

|yk+j − yk| = |T kyj − T ky0|(2.4)

≤ L′k|yj − y0|

≤ L′k(|yj − yj−1|+ |yj−1 − yj−2|+ · · ·+ |y1 − y0|

)(2.4)

≤ L′k(L′j−1 + L′

j−2 + · · ·+ 1)|y1 − y0|0≤L′<1

≤ L′k

1− L′|y1 − y0|.

Wegen (L′)k → 0 zeigt dies, dass (yk)k∈N eine Cauchyfolge ist, die wegen der Vollstandigkeitvon X einen Grenzwert y = limk→∞ yk ∈ X besitzt.

Da ∀k∈N yk ∈ A und A abgeschlossen, ist sogar y ∈ A.

Die Rekursionsformel (2.3) zeigt (da T stetig), dass y ein Fixpunkt von T ist. Grenzubergangj →∞ in (2.4) liefert die Abschatzung

|y − yk| ≤L′

k

1− L′|y1 − y0|. ]

Anwendung auf unser spezielles Fixpunktproblem

y = Ty mit ∀x Ty(x) = η +∫ x0

ξ

f(t, y(t)

)dt

wobei f : G ⊂ R× Rn → Rn stetig und (ξ, η) ∈ G.Sei I = [ξ − a, ξ + a] (a > 0) ein kompaktes Intervall um ξ. Dann ist X := C0(I → Rn)

zusammen mit der Supremumsnorm ein Banachraum.

Problem 1: Wir suchen ein geeignetes Intervall I und eine abgeschlossene Teilmenge A ⊂C0(I → Rn), die den Picardschen Iterator T auf sich abbildet, um sicher zu gehen, dass diePicardsche Operation definiert ist, nicht aus dem Gebiet G herausfuhrt.

Satz 2.2.2 Ist die Abbildung f : G ⊂ R × Rn → Rn auf dem Gebiet G stetig, so besitzt jederPunkt (ξ, η) ∈ G eine kompakte Quaderumgebung I × Q mit I = [ξ − a, ξ + a] und Q = {y ∈ Rn :|y − η|∞ ≤ b} (a, b > 0), so dass gilt

M · a ≤ b, wobei M = max{|f(x, y)| : (x, y) ∈ I × Q}.Durch den Operator T definiert durch

∀x Ty(x) = η +∫ x

ξ

f(t, y(t)

)dt,

wird dann jeder C0-Abbildung y : I → Q wieder eine C0-Abbildung T y : I → Q zugeordnet. Ins-besondere ist in I × Q bei beliebiger C0-Startabbildung y0 : I → Q mit y0(ξ) = η die PicardscheIteration ∀k yk+1 = Tyk durchfuhrbar.

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30 KAPITEL 2. ALLGEMEINE SATZE, TEIL 1

Beweis 2.8 1. Existenz: Da G offen ist, existiert eine Quaderumgebung I ′× Q ⊂ G von (ξ, η)mit I ′ = [ξ − a′, ξ + a′], Q wie oben. Dort ist die stetige Funktion f beschrankt, das heißt∀x∈I ∀y∈Q |f(x, y)| ≤M ′ mit M ′ > 0.

Setze a := min{a′, bM ′ }, sowie I = [ξ − a, ξ + a]. Dann gilt

Maa≤a′

≤ Ma′ ≤M ′ b

M ′ = b.

2. Fur eine C0-Abbildung y : I → Q gilt

∀x∈I |Ty(x)− η| =∣∣∣∣∫ x

ξ

∣∣f(t, y(t))∣∣︸ ︷︷ ︸

≤M

dt

∣∣∣∣ ≤M |x− ξ| ≤M · a ≤ b,

das heißt ∀x∈I Ty(x) ∈ Q. Also ist ebenfalls Ty : I → Q. ]

Geometrische Bedeutung der Bedingung Ma ≤ b (fur n = 1)

Die Bildfunktion Ty verlauft wegen

∀x∈I |(Ty)′(x)| =∣∣f(x, y(x)

)∣∣ ≤M ≤ b

aim Winkelraum der von den Diagonalen mit Steigung ± b

a begrenzt wird.

Interpretation im Sinne des Fixpunktsatzes: Die Teilmenge A := C0(I → Q) ⊂ X =

C0(I → Rn) ist abgeschlossen, denn ist y ein HP von A und (yk)k∈N eine Folge in A mit (yk)glm→ y,

so gilt wegen ∀x∈I ∀k∈N |yk(x)− y| ≤ b auch ∀x∈I |y(x)− η| ≤ b; das heißt es ist auch y ∈ A. Alsoenthalt A alle seine Haufungspunkte.

Der Picardsche Operator T ist eine Selbstabbildung T : A→ A.

Problem 2: Obwohl unter den Voraussetzungen von Satz 2.2.2 die Picardsche Iteration definiertist, braucht die Folge (yk)k∈N nicht zu konvergieren (siehe Ubungen und Abschnitt 2.4).

Unter der Zusatzvoraussetzung ”f ist auf G lokal L-beschrankt“ konnen wir sicherstellen, dassder Operator T : A→ A (sogar global) L-beschrankt und insbesondere stetig ist.

Auf dem kompakten Quader I × Q existiert namlich dann eine globale L-Konstante (sieheSatz 2.1.2 und fur beliebige C0-Abbildungen y, y : I → Q gilt:

∀x∈I |Ty(x)− T y(x)| ≤∣∣∣∣∫ x

ξ

∣∣f(t, y(t))− f

(t, y(t)

)∣∣ dt

∣∣∣∣ ≤ L

∣∣∣∣∫ x

ξ

|y(t)− y(t)|︸ ︷︷ ︸≤‖y−y‖

dt

∣∣∣∣≤ L|x− ξ|‖y − y‖ ≤ L · a‖y − y‖,

das heißt ‖Ty − T y‖ ≤ L · a‖y − y‖ = L′‖y − y‖.Durch Verkleinern von a kann man erreichen, dass L′ = L ·a < 1 ist, der Operator T also sogar

kontrahierend ist.

I Bemerkung: Die Verkleinerung von I = [ξ−a; ξ +a] ist an sich unnotig. Man kann dies direktbeweisen (siehe Ubung 5.20). Ein anderes Argument ist:

Man kann in X = C0(I → Rn) auch mit der gewichteten Norm

‖y‖α := supx∈I

|y(x)|e−αx (α > 0)

operieren, die wieder einen Banachraum liefert (Ubung 4.19). Dann gilt:

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2.3. VERLAUF DER INTEGRALKURVEN IM GROSSEN 31

∀x∈Ix≥ξ

∣∣Ty(x)− T y(x)∣∣ ≤ L

∫ x

ξ

(|y(t)− y(t)|e−αt︸ ︷︷ ︸

≤‖y−y‖α

)eαt dt ≤ L

(∫ x

ξ

eαt dt

)‖y − y‖α

≤ Leαx

α‖y − y‖α,

also ‖Ty − T y‖α ≤ Lα‖y − y‖α, wobei L

α < 1 fur genugend großes α (ahnliches fur x < ξ).

Anwendung des Fixpunktsatzes liefert auf jeden Fall

Satz 2.2.3 (Existenz- [und Eindeutigkeits-] Satz von Picard-Lindelof) Sei (x, y) ∈ G ⊂R × Rn → f(x, y) ∈ Rn auf dem Gebiet G stetig und bezuglich y lokal L-beschrankt. Dann gibtes um jeden Punkt (ξ, η) ∈ G eine kompakte Quaderumgebung I × Q ⊂ G mit der Eigenschaft:Das AWP

y′ = f(x, y), f(ξ) = ηbesitzt eine (auf I eindeutige) Losung y : I → Q. Diese kann bei beliebiger C0-Startfunktiony0 : I → Q (mit y0(ξ) = η) durch Picardsche Iteration ∀k∈N yk+1 = Tyk gewonnen werden. Esgilt limk→∞ yk = y.

Zusatz: Ein Quader I×Q mit aM ≤ b tut es, auch wenn L ·a ≥ 1 ist. Zu Fehlerabschatzungenfur |y − yk|: siehe Satz 2.2.1 und Ubungen 5.20.

I Bemerkung:

1. Die Eindeutigkeitsaussage in Satz 2.3.3 ist schwacher als der Eindeutigkeitssatz 2.1.3!

2. Es gibt auch eine ”Streifenversion“ des Satzes von Picard-Lindelof fur Gebiete der FormG = J × Rn (siehe Abschnitt 2.3)

2.3 Verlauf der Integralkurven im Großen

Gegeben: AWP y′ = f(x, y), y(ξ) = η mit f auf G stetig, bezuglich y lokal L-beschrankt. Nach2.3.3 existiert eine (eindeutig bestimmte) Losung y : I → Rn.

Sei jetzt (ξ, η) ∈ graph y ⊂ G. Dann existiert wieder eine (eindeutig bestimmte) Losung y : I →Rn des AWP’s y(ξ) = η. Wegen y

∣∣I∩I

= y∣∣I∩I

nach dem Eindeutigkeitssatz hat man damit eineLosung y : I ∪ I → Rn unseres ursprunglichen AWP’s auf einem eventuell großerem IntervallI ∪ I ⊃ I.

”Transfinite“ Iteration fuhrt auf:

Satz 2.3.1 Sei (x, y) ∈ G ⊂ R × Rn stetig und bezuglich y lokal L-beschrankt. Dann gibt es zujedem (ξ, η) ∈ G genau eine maximal fortgesetzte Losung

x ∈ I(ξ, η) 7→ y(x; ξ, η) ∈ Rn

des AWP’sy′ = f(x, y), y(ξ) = η.

Jede andere Losung ist eine Restriktion davon.

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32 KAPITEL 2. ALLGEMEINE SATZE, TEIL 1

Beweis 2.9 Sei {yα : Iα → Rn | α ∈ A} die Menge aller lokalen C1-Losungen des AWP’s aufoffenen Intervallen Iα um ξ. (A ist riesengroß !) Dann ist I :=

⋃α∈A Iα wieder ein offenes Intervall

um ξ. Definiere y : I → Rn durch y(x) := yα(x), wenn x ∈ Iα (α ∈ A). Diese Definition ist eindeutig,denn fur ein anderes β ∈ A mit x ∈ Iβ gilt nach dem Eindeutigkeitssatz 2.1.3 yα

∣∣Iα∩Iβ

= yβ

∣∣Iα∩Iβ

,also y(x) := yα(x) = yβ(x). [Fur Profis: Es wird das Auswahlaxiom der Mengenlehre benutzt!]

Die Abbildung y : I → Rn ist ebenfalls Losung des Anfangswertproblems: Zu jedem x0 ∈ I mitx0 ≥ ξ existiert namlich eine Losung yα : Iα → Rn (α ∈ A) mit x0 ∈ Iα und sogar x0 + ε ∈ Iα (daIα offen ist). Es folgt [ξ, x0 + ξ[⊂ Iα und nach Konstruktion ∀x∈[ξ,x0+ξ] y(x) = yα(x). Also erfullty die Differentialgleichung in x0. Analog verfahrt man fur x0 ≤ ξ. ]

Definition 2.3 Die nach Satz 2.3.1 auf der Menge B = {(x, ξ, η) ∈ Rn+2 | (ξ, η) ∈ G, x ∈ I(ξ, η)}definierte Abbildung (x, ξ, η) ∈ B 7→ y(x, ξ, η) ∈ Rn heißt allgemeine Losung oder charakteristischeFunktion der Differentialgleichung y′ = f(x, y).

I Bemerkung: Es gilt immer y(ξ, ξ, η) = η. (Nichttriviale) Eigenschaften der charakteristischenFunktion werden wir in Kapitel 4 behandeln.

Wichtige Frage: Wie weit reicht das maximale (offene) Definitions-Intervall I(ξ, η) =]α, β[(mit −∞ ≤ α < β ≤ +∞)?

Antwort: Die maximal fortgesetzte Losung kann ”nicht im Inneren von G enden“, das heißtsie verlauft in G ”von Rand zu Rand“ oder: Der Graph dieser Losung ”kommt dem Rand von Gbeliebig nahe“.

Mogliche Situationen

Satz 2.3.2 (Fortsetzungssatz) Sei f : G ⊂ R × Rn, x 7→ f(x, y) auf dem Gebiet G stetig undbezuglich y lokal L-beschrankt.Dann gilt fur das maximale (offene) Existenzintervall I(ξ, η) =]α;β[ der Losung y des AWP’s

y′ = f(x, y), y(ξ) = ηFolgendes: Entweder ist

β =∞ oderβ <∞ und graph y ∩Gβ = ∅ mit Gβ = {(x, y) ∈ G | x = β}

und analog ist entwederα = −∞ oderα > −∞ und graph y ∩Gα = ∅ mit Gα = {(x, y) ∈ G | x = α}.

I Bemerkung: Die Menge graph y beschreibt die Menge graph y mitsamt ihrer Haufungspunkte.Ein Grenzwert limx→β

(x, y(x)

)braucht nicht zu existieren.

Die Menge Gβ ist der Schnitt der Hyperebene {(x, y) ∈ R× Rn | x = β} mit dem Gebiet G.

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2.3. VERLAUF DER INTEGRALKURVEN IM GROSSEN 33

(Ein anndere Formulierung des Satzes lautet: Kein Haufungspunkt (x1, y1) von graph y mit x1 = β(bzw. x1 = α) liegt [im Inneren von] in G)

Beweis 2.10 Sei β <∞, Gβ 6= ∅ (sonst ist die Behauptung trivial).

Annahme: Es existiert ein Punkt (x1, y1) ∈ graph y∩Gβ (also x1 = β). Er besitzt eine kompakteWurfelumgebung

Wr = {(x, y) : |x− xr| ≤ r, |y − yr|∞ ≤ r} ⊂ G.

Sei M := max(x,y)∈Wr|f(x, y)|

o.E.> 0 und b = r

2 , a = min{b, b

M

}. In der Quaderumgebung

Q′ = {(x, y) : |x − x1| < a, |y − y1| < b} ⊂ Wr ⊂ G von (x1, y1) liegt dann (da (x1, y1) einHaufungspunkt von graph y ist) ein Punkt (x2, y2) ∈ graph y mit x1 − a < x2 < x1 = β. Fur denverschobenen Quader

Q := {(x, y) : |x− x2| ≤ a, |y − y2| ≤ b}um (x2, y2) ∈ graph y gilt dann

• Q ⊂ Wr (Das ist klar wegen a ≤ b = r2 ), also M := max(x,y)∈Q |f(x, y)| ≤ M und somit

a ·M ≤ aM ≤ b,

• x2 + a > x1 = β.

In Q ist also nach Satz 2.2.2 die Picardsche Iteration fur das AWPy′ = f(x, y), y(x2) = y2

definiert und liefert eine Losung y : I =]x2−a, x+a[→ Rn. Auch y selbst lost diese AWP. Zusammenhat man eine Losung des ursprunglichen AWP’s

y′ = f(x, y), y(ξ) = ηdie uber β hinausreicht. Widerspruch zur Maximalitat von I(ξ, η) =]α, β[. (Analog verfahrt manfur a > −∞, Gα 6= ∅.) ]

Noch eine andere Interpretation des (rechten) Randverhaltens maximaler Losungen:

• Entweder ist β = +∞

• oder es ist y : ]α, β[→ Rn unbeschrankt fur x→ β

• oder es gilt (falls ∂G 6= ∅) limx→β dist((

x, y(x)), ∂G

)= 0 (siehe [1, Seite 80ff]).

Beispiel 2.5 Das Differentialgleichungssystem

y′1 = − 1x2

y2,

y′2 =1x2

y1

auf G = R+ × R2

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34 KAPITEL 2. ALLGEMEINE SATZE, TEIL 1

besitzt die spezielle, maximal fortgesetzte Losung x ∈]0,+∞[, x 7→ y(x) =(

sin 1x

cos 1x

)∈ R2 (etwa

durch ( sin 1cos 1 )).

Es gilt graph y = graph y ∪ {(0, cos t, sin t) | t ∈ [0, 2π[ }

Dieses Verhalten ist erlaubt wegen G0 = {(x, y1, y2) ∈ G | x = 0} = ∅ bzw. HP⊂ ∂G.

Selbst wenn der Definitionsbereich einer Differentialgleichung nach allen Richtungen unbe-schrankt ist, brauchen die Losungen nur auf einem (vom Anfangspunkt abhangigen) beschranktenIntervall zu existieren.

Beispiel 2.6 y′ = 1 + y2, y(x; ξ, η) = tan(x− ξ + arctan η)(und viele weitere Beispiel aus Kapitel 1)

xi

Unter bestimmten Voraussetzungen kann man solche ”endliche Entweichzeiten“ verhindern.

Satz 2.3.3 (Linear beschrankte Differentialgleichungen) Die Abbildung (x, y) ∈ G := J ×Rn 7→ f(x, y) ∈ Rn sei auf dem Streifen G = J × Rn stetig und bezuglich y lokal L-beschrankt.

Ist dann f bezuglich y sogar linear beschrankt, das heißt es gilt

∀x∈J ∀y∈Rn |f(x, y)| ≤ α(x)|y|+ β(x)

mit stetigen nichtnegativen Funktionen α, β : J → R, so besitzt jedes AWP

y′ = f(x, y), y(ξ) = η (mit ξ ∈ J, η ∈ Rn)

(genau eine) auf ganz J definierte Losung y : J → Rn.

Beweis 2.11 Wir nehmen an, fur das maximale Definitionsintervall I(ξ, η) =]α, β[ einer Losung ydurch (ξ, η) gelte β < supJ (analog fur α > inf J). Dann existiert ein kompaktes Intervall [a, b] ⊂mit a < ξ < β < b sowie A := maxx∈[a,b] α(x) und B := maxx∈[a,b] β(x).

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2.4. DER EXISTENZSATZ VON PEANO 35

Fur die Losung y folgt:

∀x∈[ξ,β[ |y(x)| =∣∣∣∣η +

∫ x

ξ

f(t, y(t)

)dt

∣∣∣∣ ≤ |η|+ ∫ x

ξ

∣∣f(t, y(t))∣∣ dt

≤ |η|+∫ x

ξ

(α(t)|y(t)|+ β(t)

)dt ≤ |η|+ A

∫ x

ξ

|y(t)| dt + B(x− ξ).

Es gilt also (fur A = 0: ∀x∈[ξ,β[ |y(x)| ≤ |η|+ B(b− ξ) =: M) fur A > 0 nach dem GronwallschenLemma (Lemma 2.0.2):

∀x∈[ξ,β[ |y(x)| ≤ |η|eA(x−ξ) +B

A(eA(x−ξ) − 1) ≤ |η|eA(b−ξ) +

B

A(eA(b−ξ) − 1) =: M.

Folglich bleibt die Losung fur x → β beschrankt und muss (wegen Gβ = {b} × Rn) uber βhinausreichen. Widerspruch zur Maximalitat von β. ]

Beispiel 2.7 1. Lineare Differentialgleichungen aus Abschnitt 1.1 (Die Verallgemeinerung wirduns in Kapitel 3 beschaftigen).

2. Betrachte die Differentialgleichung y′ = x4y sin y + ex2= f(x, y).

x

y

Obwohl das Richtungsfeld sehr steil ist, ist jede Losung des AWP’s y′ = f(x, y), y(ξ) = η

auf ganz R definiert, denn |f(x, y)| ≤ x4

α(x)|y|+ ex2

β(x).

2.4 Der Existenzsatz von Peano

Kernstuck diese Abschnitts: Die Existenzaussage im Satz von Picard-Lindelof sowie die Fort-setzbarkeitsaussage (Satz 2.3.2) fur ein AWP y′ = f(x, y), y(ξ) = η lasst sich schon bei stetigerrechter Seite f beweisen. Nur die Eindeutigkeitsaussage (Satz 2.1.3) benotigt das Erfulltsein einerlokalen L-Bedingung (oder ahnlicher Bedingungen).

↗ Existenz ↖Picard-Lindelof → Eindeutigkeit 6← Peano

(f stetig, bzgl. y L-beschrankt) ↘ Fortsetzbarkeit ↙ (f stetig)

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36 KAPITEL 2. ALLGEMEINE SATZE, TEIL 1

Satz 2.4.1 (Existenzsatz von Peano) Sei f : G ⊂ R × Rn → Rn auf dem Gebiet G stetig.Dann gibt es um jeden Punkt (ξ, η) ∈ G eine kompakte Quaderumgebung I × Q ⊂ G mit derEigenschaft:

Das AWP y′ = f(x, y), y(ξ) = η besitzt mindestens eine Losung y : I → Q (sie kann imallgemeinen nicht konstruktiv bestimmt werden).

Zusatz: Jede Losung eines solchen AWP’s besitzt eine Fortsetzung, die dem Rand von Gbeliebig nahe kommt.

Beweis 2.12 Wir wahlen (wie bei Picard-Lindelof) eine Quaderumgebung I×Q um (ξ, η) ∈ G,so dass Ma ≤ b ist. (Dort ist also die Picardsche Iteration definiert, liefert aber im allgemeinenkeine Losung, siehe Ubung). Zur Vereinfachung kummern wir uns nur um die Existenz einer Losungauf I+ = [ξ, ξ + a] (analog geht der Beweis fur I = [ξ − a, ξ + a]).

Statt der Picardschen Iterierten yk konstruieren wir fur jedes k ∈ N eine C0-Naherungslosungzk : I → Q durch:

zk(x) = η +∫ x

ξ

f(t, η) dt fur ξ ≤ x ≤ ξ +1k

zk(x) = zk

(ξ +

1k

)+∫ x

ξ+ 1k

f

(t, zk

(t− 1

k

))dt fur ξ +

1k≤ x ≤ ξ +

2k

zk(x) = zk

(ξ +

2k

)+∫ x

ξ+ 2k

f

(t, zk

(t− 1

k

))dt fur ξ +

2k≤ x ≤ ξ +

3k

...und so weiter, bis zk auf ganz [ξ, ξ + a] definiert ist. Die Folge zk ist wohldefiniert und verbleibtim Quader I+ × Q, denn

ξ ≤ x ≤ ξ +1k⇒ |zk(x)− η| ≤M · 1

k(≤Ma ≤ b)

ξ +1k≤ x ≤ ξ +

2k⇒ |zk(x)− η| ≤

∣∣∣∣zk

(ξ +

1k

)− η

∣∣∣∣+ ∣∣∣∣zk(x)− zk

(ξ +

1k

)∣∣∣∣ ≤M · 1k

+ M · 1k

= M · 2k

(≤Ma ≤ b)

und so weiter, und insgesamt: ∀x∈[ξ,ξ+a] |zk(x) − η| ≤ Ma ≤ b. Eine andere Beschreibung dafurist: Falls zk(x) := η fur x ≤ ξ gesetzt wird (nur technische Annahme), gilt auf ganz [ξ, ξ + a]:

(2.6) zk(x) = η +∫ ξ

x

f

(t, zk

(t− 1

k

))dt

und damit

(2.7) z′k(x) = f

(x, zk

(x− 1

k

)).

Die entstandene Folge (zk : I+ → Q)k∈N konvergiert leider immer noch nicht, aber sie ist

1. Gleichgradig beschrankt:

∀x∈I+∀k∈N |zk(x)| ≤ |zk(x)− η|+ |η| ≤ b + |η| =: C

2. Gleichgradig stetig, denn fur alle x1, x2 ∈ I+, k ∈ N gilt:

∀nj=1|zk,j(x1)− zk,j(x2)|

MWS= |z′k,j(x∗k,j)| · |x2 − x1| ≤M · |x2 − x1|

⇒ |zk(x1)− zk(x2)|∞ ≤M |x2 − x1|.

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2.4. DER EXISTENZSATZ VON PEANO 37

Fur beliebige ε > 0 gilt also:

|x2 − x1| < δ := εM ⇒ ∀k∈N|zk(x1)− zk(x2)| < ε.

Nach dem Satz von Arcela-Ascoli existiert damit eine gleichmassig konvergente Teilfolge(yl)l∈N = (zkl

)l∈N mit l→ kl monoton→∞(Zum Beweis siehe zum Beispiel [2, Seite 57] oder [1, Anhang B]) (Ubrigens weiß keiner so genau,wie sie aussieht)

Die stetige Grenzfunktion sei y = liml→∞ yl : I+ → Rn. Es ist nur noch zu zeigen, dass y unserAWP auf [ξ, ξ + a] lost. Es gilt nach (2.6):

∀l∈N yl(x) = η +∫ x

ξ

f

(t, yl

(t− 1

kl

))dt.

Die Folge x 7→(yl

(x− 1

kl

))l∈N

konvergiert ebenfalls gleichmassig gegen x 7→ y(x), denn fur alle

x ∈ [ξ, ξ + a] gilt:∣∣∣∣yl

(x− 1

kl

)− y(x)

∣∣∣∣ ≤ ∣∣∣∣yl

(x− 1

kl

)− yl(x)

∣∣∣∣+ |yl(x)− y(x)| ≤ |y′l(x∗l )|︸ ︷︷ ︸≤M

1kl

l→∞−→0

+ |yl(x)− y(x)|l→∞−→0

2+

ε

2= ε

ab einem Index l0 ∈ N. Also ist ∀x∈I+y(x) = η +

∫ x

ξf(t, y(t)

)dt, das heißt y lost das AWP

y′(x) = f(x, y), y(ξ) = η auf I. ]

Zum Zusatz Wie beim Beweis von Satz 2.3.2 kann man zeigen, dass jede Losung eines AWP’s,die im Inneren von G endet, mindestens eine Fortsetzung uber diesen Punkt hinaus besitzt.

I Bemerkung:

1. Man kann zum Beweis des ”Peano“ auch andere gleichgradig beschrankte und gleichgradigstetige Funktionenfolgen verwenden (etwa approximierende Eulersche Polygonzuge).

2. Der Satz kann auch als Spezialfall des Schauderschen Fixpunktsatzes bewiesen werden.

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38 KAPITEL 2. ALLGEMEINE SATZE, TEIL 1

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Kapitel 3

Lineare Differentialgleichungen

3.1 Lineare Differentialgleichungen 1. Ordnung

Typ:y′ = f(x, y)

wobei die Funktion f(x, y) (affin)-linear in den Komponenten von y ist, das heißt:

y′1 = a11(x)y1 + · · ·+ a1n(x)yn + b1(x)... =

...y′n = an1(x)y1 + · · ·+ ann(x)yn + bn(x)

oder kurz geschrieben:

y′ = A(x) · y + b(x)

mit A : I ⊂ R→M(n, n, R) = Rn2und b : I ⊂ R→ Rn.

Definitionsbereich: G = I × Rn (”Streifen“) (Haufig werden der-artige Differntialgleichungen als Funktion x von t geschrieben: x =A(t)x + b(t), wobei t der Zeitparameter ist. Man spricht dann auchvon dynamischen Systemen.)

Im Matrixraum M(n, n, R) wird meist die Operatornorm

‖A‖ = max|y|=1

|A · y| = maxy 6=0

|Ay||y|

mit der Vertraglichkeitseigenschaft∀y∈Rn |A · y| ≤ ‖A‖ · |y|

verwendet (oder eine andere mit |y| = maxi=1,...,n |yi| vertraglicheNorm).

Satz 3.1.1 Eine lineare Differentialgleichung 1.Ordnung

y′ = A(x) · y + b(x)

im Rn mit A, b ∈ C0(I) besitzt durch jeden Punkt (ξ, η) ∈ I × Rn

genau eine auf ganz I definierte Losung y : I → Rn.

Zusatz: Diese Losung kann durch Picardsche Iteration gewonnenwerden.

39

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40 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

Beweis 3.1 Da f(x, y) = A(x) · y + b(x) nach den Komponentenvon y stetig differenzierbar ist, existiert nach dem Satz von Picard-Lindelof durch jeden Punkt genau eine lokale Losung. Diese ist we-gen

|f(x, y) ≤ ‖A(x)‖ · |y|+ |b(x)| (lineare Beschranktheit)

sogar auf ganz I (eindeutig) definiert.(Zum Zusatz: Siehe Ubungen) ]

Folgerung 1 Die charakteristische Funktion

(x, ξ, η) ∈ B ⊂ Rn+1 7→ y(x, ξ, η) ∈ Rn

einer linearen Differentialgleichung

y′ = A(x) · y + b(x) mit A, b ∈ C0(I)

ist auf B = I × I × Rn definiert.

Wichtig: Satz 3.1.1 lasst sich (wortlich) auf komplexwertige li-neare Differentialgleichungen der Form y′ = A(x)y+b(x) mit stetigenA : I ⊂ R → M(n, n, C) und b : I ⊂ R → Cn fur gesuchte Abbildun-gen y : I ⊂ R→ Cn ubertragen.

Begrundung: Die Differentialgleichung y′ = A(x)y + b(x)→ Cn

in Cn ist aquivalent zu(<y=y

)′=(<A −=A=A <A

)(x)(<y=y

)+(<b=b

)(x) in R2n.

Ab jetzt betrachten wir lineare Differentialgleichungen wahlweiseuber K = R oder K = C.

3.1.1 Homogene lineare Systeme

Wir betrachten homogene lineare Differntialgleichungen der Form

y′ = A(x) · y

mit A ∈ C0(I →M(n, n, K)).Zur Struktur der Losungsmenge L ⊂ C1(I → Kn):

Satz 3.1.2 1. Die Losungsmenge L eines homogenen Systemsy′ = A(x)y in Kn mit einer Matrixfunktion A ∈ C0(I) bil-det einen n-dimensionalen linearen Unterraum im VektorraumC1(I → Kn) uber K.

Jede Losung lasst sich als Linearkombination von n linear un-abhangigen Losungen darstellen.

2. Fur jeden Punkt x ∈ I ist die Wertbildung

lx : L → Kn, y 7→ lx(y) = y(x)

ein Vektorraum-Isomorphismus.

Die lineare Unabhangigkeit von Losungen braucht nur an einerfesten (aber beliebigen) Stelle untersucht zu werden.

Beweis 3.2 1. Die Losungsmenge L ist Unterraum von C1(I),denn mit y1, y2 ∈ L sind auch c1y1 + c2y2 Losungen.

Sei ξ ∈ I fest gewahlt. Dann bilden die (eindeutig be-stimmten) Losungen y1, . . . , yn der Anfangswertprobleme y′ =

A(x)y, y(ξ) = ek =

( 0...1...0

)eine Basis von L:

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3.1. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 41

Lineare Unabhangigkeit: Ist∑n

i=1 ciyi = 0 die Nullabbildung,

dann folgt∑n

i=1 ciyi(ξ) =∑n

i=1 ciei =( c1...

cn

)!= 0.

Erzeugendeneigenschaft: Es sei y : I → Kn eine beliebigeLosung mit etwa y(ξ) = c =

( c1...cn

).

Fur y :=∑n

i=1 ciyi gilt dann ebenfalls y(ξ) =∑

ciyi(ξ) =∑ciei = c.

Die Eindeutigkeit der Losung von Anfangswertproblemenliefert y ≡ y =

∑ni=1 ciyi.

2. Zur Linearitat der Wertebildung: Es gilt lx(c1y1 + c2y2) =(c1y1 + c2y2)(x) = c1y1(x) + c2y2(x) = c1lx(y1) + c2lx(y2).

Bestimmung des Kerns von lx: Ist lx(y) = y(x) = 0 !=Nulllosung, so ist wegen der Eindeutigkeit einer Losung y ≡ 0,das heißt lx ist injektiv und wegen ord(I) = ord(Kn) folgt dieBijektivitat von lx.

Beispiel 3.1 Das System y′ =(

0 −11 0

)y besitzt die Losungen y1(x) =

(cos xsin x

)und y2(x) =

(− sin xcos x

).

Sie bilden eine Basis des Losungsraums L, denn(y1(0), y2(0)

)=((

10

),(01

))bildet eine Basis des

K2. Fur jede Losung gilt alsoy(x) = c1y1(x) + c2y2(x)

mit c1, c2 ∈ K.

Definition 3.1 Sei y′ = A(x)y eine homogenes lineares System mit A ∈ C0(I).

1. Eine (Integral-)Basis (y1, . . . , yn) des Losungsraums heißt auch ein Fundamentalsystem(oder Hauptsystem).

2. Ordnet man n beliebige Losungen y1, . . . , yn des Systems spaltenweise zu einer (n×n)-Matrix

Y = (y1, . . . , yn) =

y11 · · · y1n

......

yn1 · · · ynn

(dabei bezeichnet der 1. Index (Zeile) die Komponente und der 2. Index (Spalte) die Nummerder Losung) an, so nennt man Y auch eine Wronski-Matrix mit zugehoriger Wronski-Determinante

W := det Y : I → K.

3. Falls (y1, . . . , yn) ein Fundamentalsystem ist, so heißt die Wronski-Matrix Y = (y1, . . . , yn)auch eine Fundamentalmatrix des Systems.

I Bemerkung: Eine Wronski-Matrix genugt der Matrix-Differentialgleichung:

Y ′ = A(x) · Y (⇐⇒ ∀nk=1Y

′k = A(x) · Yk)

Wie erkennt man Fundamental-Systeme beziehungsweise Fundamental-Matrizen? Wegen desIsomorphismus: L → Kn (x ∈ I) gilt:

Satz 3.1.3 Sei Y = (y1, . . . , yn) eine Wronski-Matrix des homogenen Systems y′ = A(x) · y mitA ∈ C0(I). Es sind gleichwertig

(i) Die Matrix Y = (y1, . . . , yn) ist eine Fundamentalmatrix.

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42 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

(ii) Die Losungen (y1, . . . , yn) bilden ein Fundamentalsystem.

(iii) Fur alle x ∈ I ist(y1(x), . . . , yn(x)

)eine Basis von Kn.

(iv) Es existiert ein ξ ∈ I, so dass(y1(ξ), . . . , yn(ξ)

)eine Basis von Kn ist.

(v) Fur alle x ∈ I ist Y (x) regular.

(vi) Fur alle x ∈ I ist W (x) = det Y (x) 6= 0.

(vii) Es existiert ein ξ ∈ I mit Y (ξ) ist regular.

(viii) Es existiert ein ξ ∈ I mit W (ξ) 6= 0.

I Bemerkung:

1. Bei beliebigen Funktionen y1, . . . , yn ∈ C1(I) kann es vorkommen, dass zwar (y1, . . . , yn)linear unabhangig in C1(I) sind, aber ∀x∈I

(y1(x), . . . , yn(x)

)linear abhangig in Kn sind.

[Beispiel als Ubung]

2. Die allgemeine Losung eines homogenen linearen System laßt sich schreiben in der Form

Y = Y.c =n∑

k=1

ckyk

mit einer Fundamentalmatrix Y und c ∈ Kn.

3. Ist ξ+I fest gewahlt, so laßt sich eine spezielle normierte Fundamentalmatrix◦Y konstruieren

mit◦Y (ξ) = E. (Man bestimme zu den Einheitsvektoren e1, . . . , en ∈ Kn Losungen

◦y1, . . . ,

◦yn

mit◦yk(ξ) = ek und setze

◦Y = (

◦y1, . . . ,

◦yn).)

Die Losung eines beliebigen Anfangswertproblems y(ξ) = η erhalt man dann durch

y(x) =◦Y (x) · η.

Ohne Normierung erhalt man y(x) = Y (x) · Y −1(ξ) · η.

3.1.2 Inhomogene lineare System

Wir betrachten jetzt Differentialgleichungen der Form

y′ = A(x)y + b(x)

mit A, b ∈ C0(I).Wie fur n = 1 gilt, wenn yp : I → Kn ein partikulares Integral ist: Eine Funktion y ist genau

dann Losung des inhomogenen Systems, wenn y− yp Losung des zugehorigen homogenen Systemsist. Daraus folgt:

Satz 3.1.4 1. Die Losungsmenge L eines inhomogenen linearen Systems y′ = A(x)y + b(x)in Kn mit A, b ∈ C0(I) bildet einen n-dimensionalen affinen Unterraum im VektorraumC0(I → Kn). Fur jede Losung gilt

y = yp +n∑

i=1

ciyi = yp + Y c

mit einem partikularen Integral yp des inhomogenen Systems, einem Fundamentalsystem(y1, . . . , yn) des zugehorigen homogenen Systems (bzw. einer Fundamentalmatrix Y ) sowie

einem Vektor c =( c1...

cn

)∈ Kn.

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3.1. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 43

2. Ein partikulares Integral yp des inhomogenen Systems kann aus einer Fundamentalmatrix Ydes zugehorigen homogenen Systems durch Variation der Konstanten bestimmt werden:

yp = Y ·∫

(Y −1b).

Beweis 3.3 1. Das kennen wir schon, da brauchen wir nichts mehr zu beweisen.

2. Der Ansatz y(x) = Y (x) · c(x) liefert:

y′ = Y ′c + Y c′!= AY c + b wobei Y ′ = AY

⇐⇒ Y · c′ = b

(lineares Gleichungssystem fur c′ =

(c′1...c′n

))⇐⇒ c′ = Y −1b.

Eine spezielle Losung ist also:

yp = Y ·∫

(Y −1b)

und die allgemeine Losung lautet

y = Y

(∫(Y −1b) + c0

)mit c0 ∈ Kn.

I Bemerkung: Auch ein Ansatz in Form des Inhomogenitatsanteils kann zum Ziel fuhren.

3.1.3 Reduktion homogener Systeme (nach d’Alembert)

Gegeben: Eine Differentialgleichung y′ = A(x)y mit A ∈ C0(I 7→ M(n, n, K)) und p linearunabhangige Losungen y1, . . . , yp : I → Kn (wobei 1 ≤ p ≤ n− 1) dieser Differentialgleichung.

Behauptung: Das Losungssystem (y1, . . . , yp) lasst sich zu einem Fundamentalsystem(y1, . . . , yn) erganzen durch Losen eines linearen Systems

z′ = A(x)z mit A ∈ C0(I 7→M(n− p, n− p, K))(Reduktion der Ordnung eines linearen Systems)

Wegen (y1, . . . , yp) linear unabhangig, also rg Y = rg(y1, . . . , yp) = p, konnen wir annehmen,

dass detY1 :=(

y11 ··· y1p......

y1p ··· ypp

)6= 0 ist (sonst Umnummerieren der Gleichungen des Systems).

Wir verwenden folgende Bezeichnungen: Zur Abkurzung schreiben wir zunachst p = n− p.Es sei Y = (y1, . . . , yp) =

(Y1Y2

)und A =

(A1 A3A2 A4

)mit Blockmatrizen: Y1(x), A1(x) ∈M(p, p); Y2(x), A2(x) ∈M(p, p); A3(x), [Y3(x)] ∈M(p, p) sowieA4(x), [Y4(x)] ∈M(p, p).

Wir machen folgenden Ansatz fur eine vollstandige Fundamentalmatrix Y =(

Y1 Y3Y2 Y4

):

Y3 = Y1 · FY4 = Y2 · F + Z

mit F (x) ∈M(p, p) und Z(x) ∈M(p, p).Es gilt:

Y ′ = A · Y ⇐⇒(

Y ′1 Y ′

3

Y ′2 Y ′

4

)=(

A1 A3

A2 A4

)·(

Y1 Y3

Y2 Y4

)

⇐⇒

Y ′1 = A1Y1 + A3Y2

Y ′2 = A2Y1 + A4Y2

}⇐⇒ Y ′ = A · Y (erfullt, da y1, . . . , yp Losungen)

Y ′3 = Y ′

1F + Y1F′ != A1Y3 + A3Y4 = A1Y1F + A3Y2F + A3Z

Y ′4 = Y ′

2F + Y2F′ + Z ′ != A2Y3 + A4Y4 = A2Y1F + A4Y2F + A4Z

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44 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

⇐⇒

{Y1F

′ = A3Z

Y2F′ + Z ′ = A4Z

Weil Y1 regular ist, erhalten wir somit das Gleichungssystem:

Z ′ = (A4 − Y2Y−11 A3)Z = AZ

F ′ = Y −11 A3Z

(1)(2)

Ist Z eine Fundamentalmatrix von (1) mit det Z 6= 0 und F =∫

(Y −1A3Z), so ist Y =(Y1 Y3Y2 Y4

)=(

Y1 Y1FY2 Y2F+Z

)eine Fundamentalmatrix von y′ = Ay. Denn nach Konstruktion ist Y ′ = AY

(⇐⇒ Y ist eine Wronski-Matrix) und es gilt:

det Y =∣∣∣∣Y1 Y1FY2 Y2F + Z

∣∣∣∣ = ∣∣∣∣Y1 Y1FY2 Y2F

∣∣∣∣︸ ︷︷ ︸=0

+∣∣∣∣Y1 0Y2 Z

∣∣∣∣ = detY1︸ ︷︷ ︸6=0n.V.

·det Z︸ ︷︷ ︸6=0

6= 0.

Beispiel 3.2 Wir betrachten das reelle zweidimensionale System

y′ = A(x)y mit A(x) =(

1x −11x2

2x

)fur x > 0.

Durch Polynomansatz erkennt man:

y1(x) =(

x2

−x

)ist Losung. Mit Y1(x) = x2 6= 0, Y2(x) = −x, A3(x) = −1 und A4(x) = 2

x ist zu losen:

z′ =(

2x− (−x)

1x2· (−1)

)z =

1x

z mit nichttrivialer Losung z(x) = x,(1)

F ′(x) =1x2· (−1) · x = − 1

xalso etwa F (x) = − log x.(2)

Eine vollstandige Fundamentalmatrix ist somit Y (x) =(

x2 −x2 log x−x x log x+x

), das heißt

y2(x) =(−x2 log x

x(log x + 1)

)ist zweite unabhangige Losung.

3.1.4 Homogene Systeme mit konstanten Koeffizienten

(Lauft auch unter der Bezeichnung autonome lineare Systeme)Typ:

y′ = Ay oder x = Ax

mit A = const ∈M(n, n, K). Definitionsbereich: G = R× Rn.Im Gegensatz zu nichtautonomen Systemen sind sie stets elementar losbar.Losungsidee: Transformation von A auf eine einfache Normalform J = T−1AT mit regularer

Matrix T . Dann gilt:z Losung von z′ = Jz ⇐⇒ y := T ·z Losung von y′ = Ay, denn y′ = T ·z′ = T ·J ·z = A·T ·z =

A · y beziehungsweise Z Fundamentalmatrix von z′ = Jz ⇐⇒ Y := T · Z Fundamentalmatrixvon y′ = Ay.

I Bemerkung: Auch Y = TZT−1 ist eine Fundamentalmatrix von y′ = Ay (bei [1] generellbenutzt). Vorteil dieser Matrix: Es gilt Z(0) = E, deswegen ist Y (0) = T und Y (0) = E.

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3.1. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 1. ORDNUNG 45

Spezialfall Sei A diagonalisierbar, das heißt A = TDT−1 mit D = diag(λ1, . . . , λn). Die Trans-formationsmatrix T = (z1, . . . , zn) enthalt dann die (linear unabhangigen) Eigenvektoren zu denEigenwerten λ1, . . . , λn.

Offensichtlich ist Z(x) = diag(eλ1x, . . . , eλnx) eine Fundamentalmatrix von z′ = Dz, denn esist Z ′(x) = diag(λ1e

λ1x, . . . , λneλnx) = D · Z(x) mit Z(0) = E. Also ist Y (x) = T · Z(x) =(z1e

z1x, . . . , zneznx) eine Fundamentalmatrix von y′ = Ay mit Y (0) = T .Kommen wir jetzt zur allgemeinen Situation:

1. K = C: Dann ist A ahnlich zu einer Jordanmatrix J =

J1...

Jr

= T−1AT ∈

M(n, n, C) mit Jordanblocken Jα =(

λ 1......

)∈M(l, l, C) fur α = 1, . . . , r.

Die Transformationsmatrix T = (z1, . . . , zn) enthalt die zugehorigen Eigen- beziehungsweise

Hauptvektoren. Eine Fundamentalmatrix von z′ = JZ ist dann Z =

Z1...

Zr

mit

Blocken der Form Zα(x) =

1 x x2

2! ··· xl−1(l−1)!

1 x ··· xl−1(l−2)!

1 ···......1

eλx, denn wegen Z ′ =

Z ′1

...

Z ′r

und

J · Z =

J1 · Z1...

Jr · Zr

braucht nur Z ′α = JαZα uberpruft zu werden, und es ist

wirklich Z ′α(x) =

λ (λx+1) ···(λ xl−1

(l−1)!+xl−2(l−2)!

......

...λ

eλx = Jα · Zα(x) mit Zα(0) = 0, also auch

Z(0) =

E...

E

.

Die Matrix Y (x) = T · Z(x) ist dann eine Fundamentalmatrix von y′ = Ay.

Beispiel 3.3 (a) Schauen wir uns mal y′ = Ay mit A =

(λ 10 λ

µ

), λ, µ ∈ C (Jordan-

form) an.

Eine Fundamentalmatrix ist Y (x) =

eλx xeλx

eλx

eµx

.

Fundamentallosungen sind also y1(x) =(

100

)eλx und y2(x) =

(x10

)eλx sowie y3(x) =(

001

)eµx.

Die allgemeine Losung ist y(x) = c1y1(x)+c2y2(x)+c3y3(x) = Y (x)·c mit c1, c2, c3 ∈ C.

(b) Betrachten wir y′ = Ay mit A =(

1 −11 1

), also das System

y′1 = y1 − y2

y′2 = y1 + y2

.

Fur die Eigenwerte ergibt sich: χA(λ) = det(A−λE) = (1−λ)2+1 = 0, also λ1,2 = 1±i.Und fur die Eigenvektoren entsprechend:

(A− λ1E)z1 = 0 ⇐⇒ z1 ∈ 〈〈(

i

1

)〉〉,

(A− λ2E)z2 =⇐⇒ z2 ∈ 〈〈(−i

1

)〉〉.

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46 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

Also ist J = D =(

1+i 00 1−i

)und T = (z1, z2) =

(i −i1 1

).

Die Fundamentalmatrix von z′ = Jz ist Z(x) =(

ie(1+i)x 00 e(1−i)x

). Eine Fundamental-

matrix von y′ = Ay ist somit Y (x) = T · Z(x), das heißt

Y (x) =(

ie(1+i)x −ie(1−i)x

e(1+i)x e(1−i)x

)=(

ieix −ie−ix

eix e−ix

)ex.

Die allgemeine Losung ist y(x) = c1

(i1

)eixex + c2

(−i1

)eixex, wobei c1, c2 ∈ C.

Zur Gestalt der Fundamentallosungen von y′ = Ay:

Sei Z(x) =

Z1...

Zr

Fundamentalmatrix von z′ = Jz und T = (z1, . . . , zl; . . . ) die

zugehorige Transformationsmatrix mit Eigen-/Hauptvektoren z1, . . . , zl zum Eigenwert λ1

(im ersten Jordanblock J1). Dann gilt fur eine Fundamentalmatrix von y′ = Ay:

Y (x) = T · Z(x) =(z1e

λ1x, (xz1 + z2)eλ1x, . . . ,(

xl−1

(l−1)!z1 + xl−2

(l−2)!z2 + · · ·+ 1 · zl

)eλ1x, . . .

)=(p1(x)eλ1x, p2(x)eλ1x, . . . , pl(x)eλ1x, . . .

).

Als Ergebnis erhalten wir damit

Satz 3.1.5 Ein Differentialgleichungssystem y′ = Ay mit A = const ∈ M(n, n, C) besitzt einFundamentalsystem von Losungen der Form y(x) = p(x)eλx, wobei λ ∈ C ein Eigenwert von Aund p ein (vektorielles) Polynom ist, dessen Grad kleiner als die algebraische Vielfachheit von λist, denn es gilt

grad p < Lange des Jordanblocks zum Eigenwert λ, in dem es auftaucht≤ Lange der langsten Hauptvektorkette zum Eigenwert λ

≤ algebraische Vielfachheit von λ.

2. K = R: Man kann zunachst y′ = Ay als komplexes System auffassen. Da A reell ist, tretenecht komplexe Eigenwerte als konjugiert komplexe Paare λ, λ auf. Die zugehorigen Eigen-beziehungsweise Hauptvektoren sind ebenfalls konjugiert komplex wahlbar, denn

(A− λE)kz = 0 ⇐⇒ (A− λE)kz = 0.

Es gilt daher J =

...

Jα...

Jα...

und T = (. . . , z1, . . . , zl , . . . , z1, . . . , zl , . . . ) sowie

Z(x) =

...

Zα(x)...

Zα(x)...

, denn es ist eλx = eλx und somit ergibt sich Y (x) =

(. . . , y1(x), . . . , yl(x) , . . . , y1(x), . . . , yl(x) , . . . ).

Die echt komplexwertigen Losungspaare (y, y) kann man dann durch reelle Paare (y1, y2)mit y1 = <y = 1

2 (y + y) und y2 = 12 (y− y) ersetzen und erhalt damit eine reelle Fundamen-

talmatrix

Y (x) = (. . . ,<y1(x), . . .<y2(x), . . . ,=y1(x), . . . ,=y2(x), . . . ).

Beispiel 3.4 (c) Wir losen y′ = Ay mit A =(

1 −11 1

)uber K = R.

Die Eigenwerte der Matrix A sind (λ, λ) = (1 + i, 1− i).

Mogliche Eigenvektoren sind (z, z) =((

i1

),(−i

1

))und es ist Z(x) =

(eλx

eλx

).

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3.2. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN HOHERER ORDNUNG 47

Es ist J = D =

λ

)mit Transformationsmatrix T = (z, z) =

(i −i1 1

).

Hieraus folgt Y (x) = (zeλx, zeλx) =(y(x), y(x)

)=(

ie(1+i)x −e(1−i)x

e(1+i)x e(1−i)x

).

Wegen y(x) =(ie(1+i)x

e(1+i)x

)=(i(cos x+i sin x)cos x+i sin x

)ex =

(− sin xcos x

)ex + i

(cos xsin x

)ex, ist somit Y (x) =(− sin x cos x

cos x sin x

)ex eine reelle Fundamentalmatrix.

Zusatz Eine Fundamentalmatrix eines autonomen Systems y′ = Ay erhalt man auch mit Hilfeder Matrix-Exponentialfunktion. Fur

x 7→ Y (x) = eAx :=∞∑

k=0

1k!

Akxk

(mit A0 = E, Ak+1 = A · Ak) gilt offensichtlich Y ′ = A · Y mit Y (0) = E (siehe Ubungen, dieseDarstellung ist nutzlich fur theoretische Zwecke).

Verallgemeinerung auf nichtautonome Systeme y′ = A(x)y mit A ∈ C0(I): Ist x 7→ B(x)ein Matrixfeld mit B′ = A, das heißt B =

∫A sowie AB = BA a, so ist

x 7→ Y (x) = e∫

A(x) dx = eB(x) =∞∑

k=0

1k!

Bk(x)

eine Fundamentalmatrix.

3.2 Lineare Differentialgleichungen hoherer Ordnung

Typ

(Ln)n∑

k=0

ak(x)y(k) = b(x) mit an = 1; a0, . . . , an−1, b ∈ C0(I → K),

(ausfuhrlich geschrieben: y(n) + an−1(x)y(n−1) + · · ·+ a0(x)y = b(x)).Das System (Ln) ist mit y1 = y, y2 = y′, . . . , yn := y(n−1) aquivalent zu dem System 1.Ordnung

(~Ln) ~y ′ =

0 1...

. . . . . .0 · · · 0 1−a0 −a1 · · · −an−1

(x)~y +

0...0

b(x)

= A(x) · ~y +~b(x).

Zwischen den zugehorigen Losungsmengen Ln beziehungsweise ~Ln besteht die Bijektion

y ∈ Ln ⊂ Cn(I → K) 7→ ~y =

( yy′...

y(n−1)

)∈ ~Ln ⊂ C1(I → Kn).

Die Satze 3.1.1,3.1.2 und 3.1.4 liefern dann

Satz 3.2.1 1. Die Differentialgleichung (Ln) mt a0, . . . , an−1, b ∈ C0(I → K) besitzt zu An-fangsbedingungen y(ξ) = η = p0, y

′(ξ) = p1, . . . , y(n−1)(ξ) = pn−1 (ξ ∈ I) genau eine auf

ganz I definierte Losung y : I → K.

2. Die Losungsmenge von (Ln) bildet

aWozu wird AB = BA gebraucht? Unter dieser Voraussetzung ist ddx

(Bk(x)) =∑k

l=1B(x) · · · B′(x) · · · B(x) =∑k

l=1B(x) · · · A(x) · · · B(x) = A(x) · Bk−1(x).

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48 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

• im homogenen Fall (b = 0) einen n-dimensionalen linearen Unterraum und

• im inhomogenen Fall (b 6= 0) einen n-dimensionalen affinen Unterraum im VektorraumCn(I → K).

Weitere Ubertragungen

1. Die n Losungen y1, . . . , yn : I → K einer homogenen Differentialgleichung (Ln) bilden genaudann ein Fundamentalsystem (Basis von Ln), wenn ihre Wronski-Determinante

x ∈ I 7→ w(x) := det

y1 · · · yn

y′1 · · · y′n...

...y(n−1)1 · · · y

(n−1)n

(x) ∈ K

an einer Stelle ξ ∈ I (und damit an jeder Stelle x ∈ I) ungleich Null ist.

2. Ist ein Fundamentalsystem (y1, . . . , yn) der zugehorigen homogenen Differentialgleichung be-kannt, so lasst sich ein partikulares Integral einer inhomogenen Differentialgleichung (Ln)durch Variation der Konstanten bestimmen: Nach Satz 3.1.4(b) ist das lineare Gleichungs-system Y ~c ′ = ~b, also

y1c′1 + y2c

′2 + · · ·+ ync′n = 0

y′1c′1 + y′2c

′2 + · · ·+ y′nc′n = 0

... =...

y(n−1)1 c′1 + y

(n−1)2 c′2 + · · ·+ y(n−1)

n c′n = b

fur die gesuchte Funktionen x 7→ c′1(x), . . . , c′n(x) zu losen. Ein partikulares Integral ist dann

yp = c1y1 + · · ·+ cnyn.

3. Eine Reduktion der Ordnung einer homogenen Differentialgleichung (Ln) ist bei bekanntenp < n linear unabhangigen Losungen y1, . . . , yp mit der Methode aus 3.1.3 moglich.

Eine (im allgemeinen bessere) Alternative ist: Bei bekannter Losung y1 6= 0 von (Ln) fuhrtder Ansatz y(x) = y1(x)z(x) auf eine homogene lineare Differentialgleichung (Ln−1) fur dieFunktion z′.

Spezialfall n = 2: Sei y1 6= 0 Losung von y′′ + a1(x)y′ + a0(x)y = 0.

Der Ansatz y = y1z fuhrt auf y′ = y′1z + y1z′, damit folgt y′′ = y′′1 z + 2y′1z + y1z

′′ !=−a1(y′1z + y1z

′)− a0y1z, was aquivalent ist zu y1z′′ + (2y′1 + a1y1)z′ = 0.

Also ist z eine Losung von z′′ + (a1 + 2y′1y1︸︷︷︸

Vorsicht!

)(x)z′ = 0.

Beispiel 3.5 Betrachten wir y′′ = y + x.

(a) Die homogene Gleichung dazu ist y′′ = y.Zwei Losungen sind y1(x) = ex und y2(x) = e−x oder y1(x) = coshx, y2(x) = sinhx.Sie bilden jeweils ein Fundamentalsystem wegen

W (x) =∣∣∣∣ex +e−x

ex −e−x

∣∣∣∣ x=0=∣∣∣∣1 11 −1

∣∣∣∣ = −2 6= 0 beziehungsweise

W (x) =∣∣∣∣coshx sinhxsinhx coshx

∣∣∣∣ = +1.

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3.2. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN HOHERER ORDNUNG 49

(b) Die inhomogene Gleichung ist y′′ − y = x.Ein ”Raten“ (beziehungsweise ein Ansatz in Form der rechten Seite) liefert yp(x) = −xals eine spezielle Losung.Also lautet die allgemeine Losung: y(x) = −x + c1 coshx + c2 sinhx.Man kann die spezielle Losung auch durch Variation der Konstanten erhalten. Zu losenist hierbei:c′1 coshx + c′2 sinhx = 0,

c′1 sinhx + c′2 coshx = x,⇐⇒

c′1(x) = −x sinhx,

c′2(x) = x coshx

und somitc1(x) = −x coshx + sinhx [+c0

1],

c2(x) = x sinhx− coshx [+c02].

Damit ist die spezielle Losung: yp(x) = c1(x) cosh x + c2(x) sinh x = −x.

3.2.1 Spezialfall: Homogene lineare Differentialgleichungen hohererOrdnung mit konstanten Koeffizienten

Typ:

(Ln)n∑

k=0

aky(k) = 0 mit an = 1; a0, . . . , an−1 ∈ K.

Das zugehoriges System 1. Ordnung lautet:

~y′ =

0 1

. . . . . .0 1

−a0 −a1 · · · −an−1

~y = A~y mit A = const.

Zunachst sei wieder K = C. Nach Satz 3.1.5 besitzt (~Ln) ein Fundamentalsystem von Losungender Form:

~y(x) = ~p(x)eλx

wobei λ Eigenwert von A ist und grad ~p kleiner ist als die algebraische Vielfachheit von λ.Folgerung: Auch (Ln) besitzt ein Fundamentalsystem y1, . . . , yn von Losungen der Formy(x) = p(x)eλ(x)

wobei λ Eigenwert von A ist, und grad p kleiner ist als die algebraische Vielfachheit von λ.Bestimmung der Eigenwerte von A:

Es ist χA(λ) =

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣

−λ 1. . . . . .

. . . . . .. . . 1

−a0 −a1 . . . −an−2 −(an−1 + λ)

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣Die Addition der Linearkombination λs2 + λ2s3 + · · · + λn−1sn, wobei si die i-te Spalte be-

zeichnet, liefert als neue erste Spalte:

s1 =

−λ + λ

0− λ2 + λ2

...0− λn−1 + λn−1

−(a0 + a1λ + · · ·+ an−2λn−2 + (an−1 + λ)λn−1)

=

0......0

p(λ)

mit p(λ) =

∑nk=0 akλk. Damit gilt:

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50 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

χA(λ) = det(s1, s2, . . . , sn) = (−1)np(λ)

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣1

−λ. . .. . . . . .

−λ 1

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣= (−1)np(λ),

das heißt λ ist genau dann ein Eigenwert von A, wenn λ eine Nullstelle von p ist.Da jede der Fundamentallosungen y1, . . . , yn von Ln aus den n Funktionen x 7→ xµeλx mit λ

Eigenwert von A (=Nullstelle von p. Dabei geht µ von 0 bis zur Vielfachheit von λ − 1.) linearkombiniert werden kann, musen diese selbst ein Fundamentalsystem von (Ln) bilden.

Beweis 3.4 (Reine lineare Algebra) Gegeben sei ein Vektorraum V , ein Unterraum L mit Basis(p1, . . . , pn), also L = 〈〈p1, . . . , pn〉〉, also dim L = n. Weiterhin seien Vektoren a1, . . . , an ∈ Vvorgegeben.

Bekannt: ∀nk=1 pk ∈ 〈〈a1, . . . , an〉〉 =: A

Folgerung:

1. L ⊂ 〈〈a1, . . . , an〉〉 = A

2. dim A = dim〈〈a1, . . . , an〉〉 ≥ n und dim〈〈a1, . . . , an〉〉 ≤ n, also dim A = n = dim L.

Ergebnis: L = A = 〈〈a1, . . . , an〉〉, insbesondere ∀k ak ∈ L : a1, . . . , an linear unabhangig.

Satz 3.2.2 Zerfallt bei einer Differentialgleichung∑n

k= aky(k) = 0 (mit an = 1, a0, . . . , an−1 ∈ K)das charakteristische Polynom

λ 7→ p(λ) =n∑

k=0

akλk = (λ− λ1)l1 · · · (λ− λr)lr

vollstandig in Linearfaktoren mit (paarweise verschiedenen) λi ∈ K und Vielfachheiten λi ∈ N(bei K = C stets der Fall), so bilden die Funktionen

x 7→ eλ1x, xeλ1x, . . . , xl1−1eλ1x; . . . , eλrx, . . . , xlr−1eλrx

ein Fundamentalsystem der Differentialgleichung.

Zusatz: Sind alle ak ∈ R, so treten echt komplexe Fundamentallosungen als konjugiert kom-plexe Paare (xµeλx, xµeλx) auf. Diese kann man (mit λ = α + iβ) durch die reellen Paare(<(xµeλx),=(xµeλx)

)=(xµeαx cos(βx), xµeαx sin(βx)

)ersetzen, wodurch ein reelles Fundamen-

talsystem entsteht.

I Bemerkung: Man kann auch direkt zeigen, dass die n Funktionen x 7→ xµeλx mit p(λ) = 0,0 ≤ µ ≤ Vielfachheit(λ) linear unabhangige Losungen der Differentialgleichung

∑nk=0 aky(k) = 0

sind ( ist aber muhsam).

Beispiel 3.6 Wir betrachten die Differentialgleichung y′′′ − y′′ + y′ − y = 0 uber K = R.Es ist dann p(λ) = λ3 − λ2 + λ− 1 = (λ− 1)(λ2 + 1) = (λ− i)(λ + i)(λ− 1).Daher ist x 7→ eix, e−ix, ex ein komplexes Fundamentalsystem.Und entsprechend ist x 7→ cos x, sinx, ex ein reelles Fundamentalsystem.Die allgemeine Losung ist also y(x) = c1 cos x + c2 sinx + c3e

x mit ci ∈ R.

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3.3. SPEZIELLE NICHTLINEARE DIFFERNTIALGLEICHUNGEN 51

3.3 Anhang: Spezielle nichtlineare Differentialgleichungenhoherer Ordnung (uber R)

3.3.1 Eulersche Differentialgleichungen der Ordnung n

Typ:n∑

k=0

akxky(k) = 0 mit an = 1, a0, . . . , an−1 ∈ R

Definitionsbereich: Etwa x > 0 (um nach y(n) auflosen zu konnen)Die Substitution x = et, u(t) = y(et) fuhrt wegenu = y′x,

u = y′′x · x + y′x,...u = y′′′x3 + y′′2x2 + y′′x2 + y′x = y′′′x3 + 3y′′x2 + y′x

und so weiter auf eine lineare Differentialgleichungn∑

k=0

bku(k) = 0

mit Konstanten b0, . . . , bn, welche sich mit den Methoden aus dem vorigen Abschnitt losen lasst.Die Rucksubstitution y(x) = u(log x) liefert dann die Losung fur y(x).

3.3.2 Reduzierbare Differentialgleichungen der Ordnung 2

1. Typ:

(3.1) y′′ = f(y) mit f ∈ C0(J).

(In der Physik treten oft solche Gleichungen als Bewegungsgleichungen auf.)

Konstante Losungen y = y0 existieren fur alle y0 mit f(y0) = 0.

Fur nichtkonstante Losungen (y′ 6= 0) ist lokal eine 1. Integration moglich: Die Gleichung 3.1ist gleichwertig mit:

2y′y′′ = 2f(y)y′ ⇐⇒ y′2 = F (y) + c

mit F =∫

f und c ∈ R und dies ist wiederum aquivalent zu:

y′ = ±√

2F (y) + c = g(y)

Das ist jetzt eine Energiegleichung.

Beispiel 3.7 Radiale Bewegung eines Raumschiffs t 7→ r(t). Es gilt das Gravitationsgesetz

r = −k1r2

mit k > 0. Die Anfangsbedingungen seien r(0) = r0 und r0 = v0. Die 1. Integration liefert:

2rr = − r

r2· 2 ⇐⇒ r2 = 2k

1r

+ c

mit c = v20 − 2k 1

r0, also

r2 = 2k

(1r− 1

r0

)+ v2

0 .

Spezialfall: Sei v0 die Fluchtgeschwindigkeit, also r2 → 0 fur r →∞. Dies liefert v20 = 2k 1

r0,

das heißt r2 = 2k 1r .

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52 KAPITEL 3. LINEARE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN

Die 2. Integration liefert dann:

r12 r = ±

√2k ⇐⇒ r

32

32

(t) =√

2kt + d mit d =r

32032

, also

r(t) =(

32

√2kt + r

320

) 23

.

2. Typ

(3.2) y′′ = f(y, y′) mit f ∈ C0(G ⊂ R2).

Fur eine nichtkonstante Losung x 7→ y(x) existiert lokal eine Umkehrfunktion y 7→ x(y). Fury 7→ p(y) := y′(x(y)) gilt dann

p′(y) = y′′(x(y))1

y′(x(y))=

f(y, p(y))p(y)

;

das heißt p genugt der Differentialgleichung 1.Ordnung

(3.3) p′ =f(y, p)

p

Ist umgekehrt y 7→ p(y) eine Losung von (3.3), so haben die Funktionen

y 7→ x(y) :=∫

1p(y)

dy + c

Umkehrfunktionen x 7→ y(x) mit y′(x) = 1 ·(

dxdy

(y(x)

))= p(y(x)

), also

y′′(x) = p′(y(x)

)y′(x) =

[f(y(x), p(y(x))

)p(y(x)

) ]· y′(x) = f

(y(x), y′(x)

).

Sie sind also Losungen von (3.2).

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Kapitel 4

Allgemeine Satze uber expliziteDifferentialgleichungssysteme1. Ordnung (Teil 2)

Gegeben: y′(x) = f(x, y) mit f : G ⊂ R× Rn → Rn stetig, bezuglich y lokal L-beschrankt.Bekannt: Zu jedem (ξ, η) ∈ G gibt es genau eine maximal fortgesetzte Losung x ∈ I(ξ, η) 7→

(x; ξ, η) ∈ Rn des Anfangswertproblems y′ = f(x, y), y(ξ) = η(Hier Bild fehlen tut)Frage: Wie andert sich die Losung, wenn man

• die rechte Seite f der Differentialgleichung

• den Anfangspunkt (ξ, η)

leicht abandert?

4.0 Ein Abschatzungssatz25.06.01

Aus dem Lemma von Gronwall (Hilfssatz 2.0.2) folgt:

Hilfssatz 4.0.1 (Abschatzungssatz) f : G ⊂ Rn → Rn, (x, y) 7→ f(x, y) sei stetig,beschrankt,mit etwa ∀(x,y)∈G |f(x, y)| ≤M und bezuglich y global L-beschrankt mit Konstante L. Ist dann

(1) y : I → Rn eine Losung des Anfangswertproblems y′ = f(x, y), y(ξ) = η

(2) y : I → Rn eine C1-Naherungsfunktion in G mit

∀x∈I |y′(x)− f(x, y(x))| ≤ A und y(ξ) = η

so gilt

∀x∈I |y(x)− y(x)| ≤[|η − η|+ (A + M)|ξ − ξ|

]eL|x−ξ| +

A

L(eL|x−ξ| − 1)

I Bemerkung: Ist f in G nur stetig und bezuglich y lokal L-beschrankt (Standardvoraussetzung)so ist die starkere Voraussetzung ”f beschrankt, bezuglich y global L-beschrankt“ von selbst injedem beschrankten Teilgebiet G′ mit kompakten G

′ ⊂ G erfullt.

Beweis 4.1 Fur alle x ∈ I gilt

53

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54KAPITEL 4. ALLGEMEINE SATZE UBER EXPLIZITE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME 1.ORDNUNG (TEIL 2)

y(x)− y(x) = η +∫ x

ξ

f(t, y(t)

)dt−

(y(x)− y(ξ)

)− y(ξ)

=∫ x

ξ

(f(t, y(t)

)− f

(t, y(t)

))dt−

∫ x

ξ

(y′(t)− f

(t, y(t)

))dt +

(y(ξ)− y(ξ)

)⇒ |y(x)− y(x)| ≤ L

∣∣∣∣∫ x

ξ

|y(t)− y(t)| dt

∣∣∣∣+ A|x− ξ|+ |y(ξ)− y(ξ)|

Das Lemma von Gronwall liefert∀x∈I |y(x)− y(x)| ≤ |y(ξ)− y(ξ)|eL|x−ξ| +

A

L(eL|x−ξ| − 1)

Weiter gilt:|y(ξ)− y(ξ)| ≤ |y(ξ)− y(y)|︸ ︷︷ ︸

|η−η|

+|y(ξ)− y(y)|.

Wegen ∀x∈I |y′(x)| =∣∣y′(x)− f

(x, y(x)

)∣∣+ ∣∣f(x, y(x))∣∣ ≤ A + M folgt nach dem ”Mittelwertsatz

fur vektorwertige Abbildungen“:|y(ξ)− y(ξ)| ≤ (A + M)|ξ − ξ|

also insgesamt:|y(ξ)− y(ξ)| ≤ |η − η|+ (A + M)|ξ − ξ| ]

I Bemerkung: Der gewohnliche Mittelwertsatz y(x)− y(x) = y′(x∗)(x− x) ist fur n > 1 falsch.Richtig bleibt die Folgerung:

∀x∈I |y′(x)| ≤⇒ ∀x,x∈I |y(x)− y(x)| ≤M |x− x|

Folgerung 2 1. Sind y, y zwei Losungen der Differentialgleichung y′ = f(x, y) mit y(ξ) = η,y(ξ) = η, so gilt auf einem gemeinsamen Existenzintervall I:

|y(x)− y(x)| ≤[|η − η|+ M |ξ − ξ|

]eL|x−ξ|

2. Ist y eine Losung des Anfangswertproblems y′ = f(x, y), y(ξ) = η und y eine Losung desAnfangswertproblems y′ = f(x, y), y(ξ) = η mit ahnlichen rechten Seiten, das heißt

∀(x,y) |f(x, y)− f(x, y)| ≤ A

so gilt auf einem gemeinsamen Existenzintervall I

|y(x)− y(x)| ≤ A

L(eL|x−ξ| − 1)

4.1 Eigenschaften der charakteristischen Funktion

Satz 4.1.1 (Stetige Abhangigkeit von Anfangswerten) Sei f : G ⊂ R×Rn → Rn, (x, y) 7→f(x, y) stetig und bezuglich y lokal L-beschrankt. Dann ist der Definitionsbereich

B := {(x, ξ, η) | (ξ, η) ∈ G, x ∈ I(ξ, η)}der charakteristischen Funktion (x; ξ, η) ∈ B 7→ y(x; ξ, η) ∈ Rn der Differentialgleichung y′ =f(x, y) offen in Rn+2 und y selbst stetig in B.

I Bemerkung:

1. ”B ist offen“ bedeutet: Jeder Punkt (x0, ξ0, η0) ∈ B (das heißt x0 ∈ I(ξ0, η0)) besitzt eineganz in B gelegene δ-Umgebung Uδ(x0, ξ0, η0) = Uδ(x0)×Uδ(ξ0, η0). Fur beliebige x ∈ Uδ(x0)gilt also (x, ξ, η) ∈ B; das heißt x ∈ I(ξ, η).(Hier Bild fehlen tut)Die Losung durch (ξ, η) ∈ Uδ(ξ0, η0) ist demnach in ganz Uδ(x0) definiert.

2. ”y stetig in (x0, ξ0, η0) ∈ B“ bedeutet: Fur (ξ, η) ∈ Uδ(ξ0, η0), x ∈ Uδ(x0 und δ genugendklein gilt|y(x, ξ, η)− y(x0, ξ0, η0)| < ε

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4.1. EIGENSCHAFTEN DER CHARAKTERISTISCHEN FUNKTION 55

Beweis 4.2 Sei x 7→ y0(x) = y(x, ξ0, η0) die Losung des Anfangswertproblems y′ = f(x, y),y(ξ0) = η0 sowie x0 ∈ I(ξ0, η0) beliebig.

(Hier Bild fehlen tut)Dann existiert ein kompaktes Teilintervall I0 ⊂ I(ξ0, η0) mit ξ0, x0 ∈ I. Um den kompakten

Graphen von y0

∣∣I0

kann ein ganz in G liegender ”ε-Schlauch“

Gε := {(x, y) ∈ R× Rn | x ∈ I0, |y − y0(x)| ≤ ε}konstruiert werden, der offensichtlich wieder kompakt ist. In Gε existiert M :=max(x,y)∈Gε

|f(x, y)| sowie eine globale L-Konstante. Die Vorausssetzungen des Abschatzungs-satzes sind also im Gebiet

Gε = {(x, y) | x ∈ I0, |y − y0(x)| < ε}erfullt.

Fur (ξ, η) ∈ Gε losen wir das Anfangswertproblem y′ = f(x, y), y(ξ) = η im Gebiet Gε. Diemaximal fortgesetzte Losung y : I(ξ, η) → Rn verlauft in Gε ”von Rand zu Rand“. Nach demAbschatzungssatz (Folgerung (a)) gilt

(4.1) ∀x∈I(ξ,η) |y(x)− y0(x)| ≤[|η − η0|+ M |ξ − ξ0|

]eLl

(mit l = |I0|). Fur |ξ − ξ0| < δ, |η − η0| < δ und δ genugend klein ist ∀x∈I(ξ,η) |y(x) − y(x)| ≤ ε2

erreichbar (uber δ < 1(1+M)eLl · ε

2 ).

Daraus folgt I(ξ, η) = I0, da die Losung an den Rand von Gε nur rechts und links gelangenkann.

Ergebnis: Jede Losung durch (ξ, η) ∈ Uδ(ξ0, η0) ist noch in einer ganzen Umgebung von x0

definiert. Dies zeigt: B ist offen. 27.06.01Sei jetzt ε < ε beliebig vorgegeben. Fur |ξ−ξ0|, |η−η0| < δ folgt mit 4.1 und dem Mittelwertsatz

fur vektorwertige Abbildungen|y(x, ξ, η)− y(x0, ξ0, η0)| ≤ |y(x, ξ, η)− y(x, ξ0, η0)|+ |y(x, ξ0, η0)− y(x0, ξ0, η0)|

= |y(x)− y0(x)|+ |y0(x)− y0(x0)|≤[|η − η0|+ M |ξ − ξ0|

]eLl + M |x− x0|

(denn ∀x∈I0 |y′0(x)| = |f(x, y0(x))| ≤M)

<[(1 + M)eLl + M

]δ < ε, falls δ genugend klein.

Dies zeigt: Die charakteristische Funktion (x, ξ, η) 7→ y(x, ξ, η) ist in (x0, ξ0, η0) stetig. ]

Die charakteristische Funktion (x, ξ, η) 7→ y(x, ξ, η) von y′ = f(x, y) kann (unter geeignetenVoraussetzungen) sogar nach ξ und η (und naturlich x) differenziert werden. Wir beweisen nur die

”Schmalspurversion“ n = 1 mit wichtigen Anwendungen.Was muss als Ableitung herauskommen?

0. ∂xy(x, ξ, η) = f(x, y(x, ξ, η)

)[klar nach Definition]

1. Fur x 7→ z(x) := ∂ξy(x, ξ, η) gilt

z′(x) = ∂x∂ξy(x, ξ, η) = ∂ξ

[f(x, y(x, ξ, η)

)]= (∂yf)

(x, y(x, ξ, η)

)z(x)

y(ξ, ξ, η) = η ⇒ ∂xy(ξ, ξ, η) + ∂ξy(ξ, ξ, η) = f(ξ, y(ξ, ξ, η)

)+ z(ξ) = 0⇒ z(ξ) = −f(ξ, η)

[Lineares Anfangswertproblem, losbar]

2. Fur x 7→ z(x) := ∂ηy(x, ξ, η) gilt

z′(x) = ∂x∂yy(x, ξ, η) = ∂n

[f(x, y(x, ξ, η)

)]= (∂yf)

(x, y(x, ξ, η)

)z(x)

y(ξ, ξ, η) = η ⇒ z(ξ) = ∂ηy(ξ, ξ, η) = 1

[Gleiche Differentialgleichung, anderer Anfangswert]

Dies stimmt wirklich.

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56KAPITEL 4. ALLGEMEINE SATZE UBER EXPLIZITE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME 1.ORDNUNG (TEIL 2)

Satz 4.1.2 (Differenzierbarkeit nach Anfangswerten, n = 1) Sei f : G ⊂ R2 → R, (x, y) 7→f(x, y) stetig und nach y stetig differenzierbar. Dann ist die charakteristische Funktion (x, ξ, η) ∈B ⊂ R3 7→ y(x, ξ, η) ∈ R der Differentialgleichung y′ = f(x, y) in B (total) stetig differenzierbar(das heißt es existieren in B stetige partielle Ableitungen ∂xy, ∂ξy, ∂ηy). Weiter ist (bei festem(ξ, η) ∈ G) die Funktion x 7→ ∂ξy(x, ξ, η) Losung des homogenen linearen Anfangswertproblems

(4.2) z′ = ∂yf(x, y(x, ξ, η)

)· z, z(ξ) = −f(ξ, η)

und die Funktion x 7→ ∂ηy(x, ξ, η) Losung von

(4.3) z′ = ∂yf(x, y(x, ξ, η)

)· z, z(ξ) = 1

so dass auch die zweiten partiellen Ableitungen ∂x∂ξy, ∂x∂ηy existieren und in B stetig sind.

Zusatz Aus (4.2) und (4.3) folgt:

∂ξy(x, ξ, η) = −f(ξ, η) · exp[∫ x

ξ

∂yf(t, y(t, ξ, η)

)dt]

(4.4)

∂ηy(x, ξ, η) = 1 · exp[∫ x

ξ

∂yf(t, y(t, ξ, η)

)dt]

(4.5)

und daraus

(4.6) ∂ξy(x, ξ, η) + f(ξ, η)∂ηy(x, ξ, η) = 0

Beweis 4.3 Wegen ∂xy(x, ξ, η) = f(x, y(x, ξ, η)

)ist ∂xy in B stetig.

Wir zeigen, dass auch die partiellen Ableitungen ∂ξy, ∂ηy existieren und mit den Losungen derAnfangswertprobleme (4.2) und (4.3) ubereinstimmen. Als deren Losungen (siehe (4.4) und (4.5))sind ∂ξy, ∂ηy dann stetig in B, ebenso ∂x∂ξy und ∂x∂ηy.

Sei (x0, ξ0, η0) ∈ B beliebig vorgegeben. Wir konstruieren wieder um die Losung x 7→ y0(x) =y(x, ξ, η0) einen Streifen

Gε = {(x, y) | x ∈ I0, |y − y0(x)| < ε}mit kompaktem Gε ⊂ G, x0 ∈ I0; ein δ > 0 sei so gewahlt, dass fur alle (ξ, η) ∈ Uδ(ξ0, η0) dieLosungen x 7→ y(x, ξ, η) in I0 definiert sind mit∀x∈I0 |y(x, ξ, η)− y0(x)| < ε.

Weiter sei M := max(x,y)∈Gε|f(x, y)| und L die globale L-Konstante bezuglich y in Gε.

a. Zur Existenz von ∂ηy in (x0, ξ0, η0)

Fur h ∈ R mit 0 < |h| < δ sei x ∈ I0 7→ yh(x) = y(x, ξ0, η0 +h) die Losung durch (ξ0, η0 +h).Fur den Differenzenquotienten x 7→ ∆h(x) := 1

h (yh(x) − y0(x)) = y(x,ξ0,η0+h)−y(x,ξ0,η0)h ist

zu zeigen limh→0 ∆h(x) = ∂ηy(x, ξ0, η0).

Zunachst gilt ∆h(x) = 1h

[f(x, yh(x)

)− f

(x, y0(x)

)]. Da f nach y stetig differenzierbar ist,

existiert eine stetige Funktion (x, y, y0) 7→ δ(x, y0, y) mit f(x, y) = f(x, y0)+ δ(x, y0, y) · (y−y0), wobei limy→y0 δ(x, y0, y) = δ(x, y0, y0) = ∂yf(x, y0). Daraus folgt speziell:

∆′h(x) =

1h

δ(x, y0(x), yh(x)

)(yh(x)− y0(x)

)= δ(x, y0(x), yh(x)

)∆h(x)

(lineare Differentialgleichung) mit dem Anfangswert ∆h(ξ0) = 1h (η0 + h − η0) = 1, wobei

limh→0 δ(x, y0(x), yh(x)

)= ∂yf

(x, y0(x)

).

∆h ist also Naherungslosung des linearen Anfangswertproblems z′(x) = ∂yf(x, y0(x)

)z(x),

z(ξ0) = 1, das wegen der Stetigkeit von ∂yf eine auf ganz I0 definierte C1-Losung z besitzt.Wegen∀x∈I0

∣∣z′(x)− δ(x, y0(x), yh(x)

)z(x)

∣∣ = ∣∣δ(x, y0(x), yh(x)− ∂yf(x, y0(x)

)∣∣|z(x)|≤ Ah mit Ah := max

x∈I0

|δ(· · · )stetig

− ∂yf(· · · )stetig

||z(x)|

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4.1. EIGENSCHAFTEN DER CHARAKTERISTISCHEN FUNKTION 57

gilt nach dem Abschatzungssatz

∀x∈I0 |∆h(x)− z(x)| ≤ Ah1L

(eLl − 1) mit l = |I0|

Da limh→0 Ah = 0, existiert auch

limh→0|∆h(x)− z(x)| = 0

das heißt

∀x∈I0 ∂ηy(x, ξ0, η0) = limh→0

∆h(x) != z(x)

insbesondere in x = x0.

b. Zur Existenz von ∂ξy in (x0, ξ0, y0) 02.07.01

Wir setzen yh(x) := y(x, ξ0 + h, η0) und ∆h(x) = 1h

(yh(x) − y0(x)

). Wieder gilt ∆h(x) =

δ(x, y0(x), yh(x)

)∆h(x) mit limh→0 δ(· · · ) = ∂yf

(x, y0(x)

).

Der Anfangswert ist

∆h(ξ0) = h(yh(ξ0)−

η0︷ ︸︸ ︷y0(ξ0) = − 1

h

( η0︷ ︸︸ ︷yh(ξ0 + h)−yh(ξ0)

) MWS= −y′h(ξ0 + ϑh) mit 0 < ϑ < 1

= −f(ξ0 + ϑh, y(ξ0 + ϑh, ξ0 + h, η0)

)−→h→0−f(ξ0, η0)

∆h ist also Naherungslosung des Anfangswertproblems z′(x) = −∂yf(x, y0(x)

)z(x), z(ξ0) =

−f(ξ0, η0) und der Abschatzungssatz liefert mit dessen Losung z : I0 → R und Ah :=maxx∈I0

∣∣δ(x, y0(x), yh(x))− ∂yf

(x, yh(x)

)∣∣|z(x)|:

∀x∈I0 |∆h(x)− z(x)| ≤ Ah→0f.h→0

1L

(elL − 1)− |Ah(ξ0) + f(ξ0, η0)|︸ ︷︷ ︸→0f. h→0

eLl mit l = |I0|

Wieder existiert ∀x∈I0 ∂ξy(x, ξ0, η0) = limh→0 ∆h(x) = z(x), insbesondere in x = x0. ]

Anwendung (n = 1), vergleiche Abschnitt 1.5 uber exakte Differentialgleichungen, integrierendeFaktoren:

Satz 4.1.3 (Vollstandige Integrierbarkeit von Differentialgleichungen 1. Ordnung)Sei f : G ⊂ R2 → R, (x, y) 7→ f(x, y) stetig und stetig nach y differenzierbar. Dann besitzt dieDifferentialgleichung y′ = f(x, y) lokal eine C1-Stammfunktion, das heißt es existiert in jedemPunkt (x0, y0) eine offene Umgebung U ⊂ G und eine C1-Funktion (x, y) ∈ U 7→ F (x, y) ∈ R(mit ∂yF (x, y) 6= 0), so dass die Graphen der Losungen der Differentialgleichung in U gerade dieNiveaulinien F = const von F sind.

(Es gilt also in U : x 7→ y(x) ist Losung ⇐⇒ F(x, y(x)

)= const).

Beweis 4.4 Die charakteristische Funktion (x, ξ, η) ∈ B 7→ ϕ(x, ξ, η) ∈ R der Differentialglei-chung ist nach Satz 4.1.2 C1-differenzierbar.

(Hier Bild fehlen tut)Fur ein festes (x0, y0) ∈ G sei U := {(x, y) ∈| x0 ∈ I(x, y)} = {(x, y) ∈ G | (x0, x, y) ∈ B} (die

Menge ist offen, da B offen, Schnitt mit Hyperebene) und F (x, y) := ϕ(x0, x, y) fur (x, y) ∈ U .Dann gilt:

1. Fur jede Losung x 7→ y(x) in U (das heißt mit x0 ∈ Imax) ist ∀x F(x, y(x)

)= ϕ

(x0, x, y(x)

)=

y(x0) = const.

2. F (x, y) = ϕ(x0, x, y) = c = const ⇒ ϕ(x, x0, c) = y, das heißt (x, y) liegt auf der Losungx 7→ y(x) durch (x0, c). Wegen ∂yF (x, y) = ∂ηϕ(x0, x, y) 4.5= exp[· · · ] > 0 kann weiter nach yaufgelost werden.

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58KAPITEL 4. ALLGEMEINE SATZE UBER EXPLIZITE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME 1.ORDNUNG (TEIL 2)

Folgerung 3 Jede Differentialgleichung f(x, y) + g(x, y)y′ = 0 mit f, g stetig, stetig nach y dif-ferenzierbar, ∀(x,y) g(x, y) 6= 0 besitzt lokal stets einen integrierenden Faktor (x, y) 7→ µ(x, y) 6= 0[das heißt es existiert F mit ∂xF = µf , ∂yF = µg].

Beweis 4.5 F (x, y) = ϕ(x0, x, y) sei eine lokale Stammfunktion der Differentialgleichung y′ =− f

g (x, y) = f(x, y). Nach Satz 4.1.2, Zusatz (4.6) gilt [∂ξy(x, ξ, η) + f(ξ, η)∂ηy(x, ξ, η) = 0]

∂xF (x, y)− f

g(x, y)∂yF (x) = 0

Mit µ(x, y) := ∂yF (x,y)g(x,y) 6= 0 gilt dann:

∂xF = µf ∂yF = µg

beziehungsweise grad F = µ ·(fg

), und die Differentialgleichung ist aquivalent zu

∂xF(x, y(x)

)+ ∂yF

(x, y(x)

)y′(x) =

[d

dxF(x, y(x)

)]= 0

Erganzung: Satz 4.1.2 gilt auch fur Systeme y′ = f(x, y) im Rn. Geschicktes Abschreiben(inklusive Beweis) liefert:

Satz 4.1.4 (Differenzierbarkeit nach Anfangswerten, Vollversion n ≥ 1) Sei f : G ⊂ R×Rn, (x, y) 7→ f(x, y) stetig und stetig nach y (total) differenzierbar (das heißt es existieren partielleFunktionalmatrizen (x, y) ∈ G 7→ Dyf(x, y) = (∂y1f, . . . , ∂ynf)(x, y) ∈ M(n, n, R) und sind in Gstetig).

Dann ist auch die charakteristische Funktion (x, ξ, η) ∈ B ⊂ Rn+2 7→ y(x, ξ, η) ∈ Rn derDifferentialgleichung y′ = f(x, y) in B (total) stetig differenzierbar (das heißt es existieren in Bstetige Ableitungen ∂xy, ∂ξy, Dηy = (∂η1y, . . . , ∂ηny)).

Weiter ist bei festem (ξ, η) ∈ G x 7→ ∂ξy(x, ξ, η) Losung von

(4.7) z′ = Dyf(x, y(x, ξ, η)

)· z = A(x) · z, z(ξ) = −f(ξ, η)

sowie x 7→ Dηy(x, ξ, η) Losung von

(4.8) Z ′ = Dyf(x, y(x, ξ, η)

)· Z = A(x) · Z, Z(ξ) = E

so dass auch ∂x∂ξy und ∂xDηy existieren und in B stetig sind.

Zusatz Aus (4.7) und (4.8) folgt

(4.9) ∂ξy(x, ξ, η) + Dηy(x, ξ, η) · f(ξ, η) = 0

(denn Dηy ist nach (4.7) normierte Funktionalmatrix⇒ ∂ξy = z · (−f) = Dηy · (−f))

4.2 Abhangigkeit von Parametern04.07.01

Gegeben: Anfangswertproblem y′ = f(x, y, λ), y(ξ) = η, wobei f von einem Parameter λ =(λ1...λm

)∈ P ⊂ Rm abhangt. Unter Standardvoraussetzungen an f existiert durch (ξ, η) genau eine

maximal fortgesetzte Losung y : I(ξ, η, λ)→ Rn, x 7→ y(x, ξ, η, λ) ∈ Rn.Frage: Unter welchen Voraussetzungen hangt die charakteristische Funktion (x, ξ, η, λ) ∈ B 7→

y(x, ξ, η, λ) ∈ Rn stetig beziehungsweise differenzierbar von λ ab?Dazu: Triviale Erweiterung des Anfangswertproblems y′ = f(x, y, λ), y(ξ) = η durch Hinzu-

nahme von p′(x) = 0, p(ξ) = λ zu(y

p

)′=(

f(x, y, p)0

),

(y

p

)(ξ) =

λ

)[Parameter → Anfangswert] mit den Losungen (x, ξ, η, λ) ∈ B 7→

(y(x,ξ,η,λ)p(x,ξ,η,λ)

)=(y(x,ξ,η,λ)

λ

).

Die Satze aus Abschnitt 4.1 liefern sofort:

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4.2. ABHANGIGKEIT VON PARAMETERN 59

Satz 4.2.1 (Stetige Abhangigkeit von Anfangswerten und Parametern) Sei f : G×P ⊂R× Rn × Rm → R, (x, y, λ) 7→ f(x, y, λ) stetig und bezuglich y und λ lokal L-beschrankt.

Dann ist der Defintionsbereich B = {(x, ξ, η, λ) | (ξ, η) ∈ G, λ ∈ P, x ∈ I(ξ, η, λ)} der charak-teristischen Funktion (x, ξ, η, λ) ∈ B 7→ y(x, ξ, η, λ) ∈ Rn der Differentialgleichung y′ = f(x, y, λ)offen und selbst stetig in B.

Satz 4.2.2 (Differenzierbarkeit nach Anfangswerten und Parametern) Sei (x, y, λ) 7→f(x, y, λ) stetig und nach y und λ stetig differenzierbar.

Dann ist auch die Abbildung (x, ξ, η, λ) ∈ B 7→ y(x, ξ, η, λ) ∈ Rn in B (total) stetig differenzier-bar (das heißt es existieren in B stetige partielle Ableitungen ∂xy, ∂ξy, Dηy, Dλy). Weiter losen (beifestem (ξ, η, λ) ∈ G × P ) mit A(x) = Dyf

(x, y(x, ξ, η, λ), λ

)und B(x) = Dλf

(x, y(x, ξ, η, λ), λ

)die Abbildungen ∂ξy(· · · ), Dηy(· · · ), Dλy(· · · ) die linearen Anfangswertprobleme:

(∂ξy)′ = A(x)∂ξy, ∂ξy(ξ) = −f(ξ, η, λ)(1)(Dηy)′ = A(x)Dηy; ∂ηy(ξ) = E(2a)

(Dλy)′ = A(x)Dλy + B(x); Dλy(ξ) = 0(2b)

so dass auch ∂x∂ξy, ∂xDηy, DxDλy existieren und in B stetig sind.

Beweis 4.6 Es ist nur (1),(2a),(2b) zu verifizieren.Es gilt mit p(x, ξ, η, λ) = λ fur D(η

λ)(yp

)=(

Dηy DλyDηp Dλp

)=(

Dηy Dλy0 E

)nach Satz 4.1.4:(

D(ηλ)(yp

))′= D(y

p)(f0

)·D(η

λ)(yp

)⇐⇒

(Dηy Dλy

0 E

)=(

Dyf Dλf0 0

)·(

Dηy Dλy0 E

)⇐⇒

{(Dηy)′ = Dyf ·Dηy

(Dλy)′ = DyfDλf + Dλf

und(∂ξ

(yp

))′= D(y

p)(f0

)· ∂ξ

(yp

)⇐⇒

((∂ξy)′

0

)=(

Dyf Dλf0 0

)·(∂ξy0

)⇐⇒ (∂ξy)′ = (Dyf)∂ξy

Anfangswerte:D(η

λ)(yp

)(ξ) = E(n×m) ⇐⇒

(Dηy Dλy

0 E

)(ξ) =

(E(n) 0

0 E(m)

)⇐⇒ Dηy(ξ) = E, Dλy(ξ) = 0

∂ξ

(yp

)(ξ) =

(∂ξy0

)(ξ) = −

(f(ξ,η,λ)

0

)⇐⇒ ∂ξy(ξ) = −f(ξ, η, λ)

Induktiv kann man den letzten Satz auf hohere Diff.-Ordnung erweitern:

Satz 4.2.3 Sei f : G × P → Rn, (x, y, λ) 7→ f(x, y, λ) Cr-differnzierbar (r ≥ 1). Dann ist auchdie charakteristische Funktion (x, ξ, η, λ) ∈ B 7→ y(x, ξ, η, λ) ∈ Rn der Differentialgleichung y′ =f(x, y, λ) (nach allen Argumenten) Cr-differenzierbar.

Beweis 4.7 Vollstandige Induktion.

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60KAPITEL 4. ALLGEMEINE SATZE UBER EXPLIZITE DIFFERENTIALGLEICHUNGSSYSTEME 1.ORDNUNG (TEIL 2)

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Kapitel 5

Stabilitatsfragen bei autonomenSystemen

5.1 Allgemeines uber autonome Systeme

Autonome Systeme sind Differentialgleichungen vom Typ

y = f(y)

mit f : G ⊂ Rn L-stetig (damit insbesondere stetig) fur gesuchte Abbildungen t ∈ I ⊂ R 7→ y(t) ∈Rn. Der Definitionsbereich ist D = R×G (ein ”Schlauch im Rn+1“).

tO

eta

eta-strich

GsRn

Nach Voraussetzung existiert durch jeden Punkt (τ, η) ∈ R×G genau eine maximal fortgesetzteLosung t ∈ I(τ, η) 7→ y(t; τ, η) ∈ G ⊂ Rn.

Besonderheit Ist t 7→ y(t) eine Losung mit y(0) = η, dann folgt: t 7→ y(t) = y(t − τ) isteine Losung mit y(τ) = η. Oder umgekehrt: Ist t 7→ y(t) eine Losung mit y(τ) = η, dann istt 7→ y(t) = y(t + τ) eine Losung mit y(0) = η. (Man kann die Losungen also beliebig langs dert-Achse verschieben, man hat eine ”Zeit-Translationsinvarianz“.)

Bei Anfangswertproblemen kann also der ”Zeit“-Nullpunkt τ willkurlich gewahlt werden undohne Einschrankung τ = 0 gesetzt werden.

Als charakteristische Funktion der Differentialgleichung braucht daher nur die Abbildung(t, η) ∈ B 7→ ϕ(t, η) = y(t, 0, η) ∈ Rn

auf der offenen Menge B = {(t, η) | η ∈ G, t ∈ Imax(η) = I(0, η)} betrachtet zu werden.Fur die vollstandige charakteristische Funktion (t, τ, η) ∈ B′ 7→ y(t, τ, η) ∈ Rn gilt dann:

y(t, τ, η) = ϕ(t − τ, η) mit dem Definitionsbereich B′ = {(t, τ, η) | τ ∈ R, η ∈ G, t ∈ I(τ, η) =Imax(η) + τ}.

Oft ubliche Bezeichnungen mit Ubersetzung

• Dynamisches System x = X(x): Differentialgleichungssystem y = f(y)

• (Geschwindigkeits-)Vektorfeld x ∈ G 7→ X(x) ∈ Rn: Rechte Seite: y ∈ G 7→ f(y) ∈ Rn

• Flußlinien t ∈ I 7→ x(t) ∈ G: Losung t ∈ I 7→ y(t) ∈ G

61

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62 KAPITEL 5. STABILITATSFRAGEN BEI AUTONOMEN SYSTEMEN

• (Maximaler) Fluß des Systems (t, ξ) 7→ ϕ(t, ξ): Charakteristische Funktion (t, η) ∈ B 7→ϕ(t, η) ∈ G

• Bahn/Orbit einer Flußlinie im Phasenraum G = Trajektorie des Systems: Orientierte Spureiner Losung im Gebiet G = {y(t) ∈ G | t ∈ Imax} (inklusive Orientierung)

• Phasenportrait des Systems = Gesamtheit aller Trajektorien: Alle Spuren von Losungen inG

• Maximale Lebensdauer einer Flußlinie: Maximaler Definitionsbereich einer Losung

• Kritischer Punkt/Gleichgewichtslage/Ruhelage des Systems (=Nullstelle des Vektorfeldes):Konstante/stationare Losung y = η (=Nullstelle von f)

Test (Ubersetzung als Aufgabe)Gegeben sei das Vektorfeld x 7→ X(x) in der Phasenebene G. Man bestimme fur das dadurch

bestimmte dynamische System:

• die Flußlinie durch ξ ∈ G

• deren maximale Lebensdauer

• den maximalen Fluß

und zeichne ein zugehoriges Phasenportrait. Insbesondere bestimme man die Gleichgewichtspunk-te des Systems [und stelle fest, ob sie stabil oder sogar asymptotisch stabil sind] (Den Begriffder Stabilitat und Stabilitatsuntersuchungen bei dynamischen Systemen werden wir spater nochbehandeln).

Beispiel 5.1 Es sei x =(

0 −11 0

)x ⇐⇒

x2 = x1

x2 = −x1

Die allgemeine Losung ist t ∈ R 7→ x(t) = a(cos tsin t

)+ b(

sin t− cos t

)= r

(cos(t+t0)sin(t+t0)

)∈ R2 = G mit

r ≥ 0, t0 ∈ R.Die Losung durch ξ ∈ R2 fur t = 0 ergibt sich aus:

x(0) =(

a−b

)= r(cos t0sin t0

)= ξ ⇐⇒

a = ξ1,

b = −ξ2,⇐⇒

r = |ξ|,t0 = arg ξ.

O

x

b

Ergebnis: ϕ(t, ξ) = x(t, 0, ξ) = ξ1

(cos tsin t

)− ξ2

(sin t− cos t

)= |ξ|

(cos(t+t0)sin(t+t0)

).

Phasenportrait: Konzentrische Kreise um 0 (Trajektorien). Die Losungskurven selbst sindSchraubenlinien in R×G = R3.

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5.2. STABILITAT VON KRITISCHEN PUNKTEN 63

G

Konnen sich Trajektorien im Phasenraum schneiden? Antwort: Jein!

Satz 5.1.1 Sei t ∈ Imax 7→ y(t) ∈ Rn eine maximal fortgesetzte Losung des Systems y = f(y) mitf : G ⊂ Rn → Rn L-stetig. Dann liegt genau einer der drei folgenden Falle vor:

1. Die Funktion y ist konstant mit Imax = R, ihre Spur ist ein Einzelpunkt.

2. Die Funktion y ist (nichtkonstant) periodisch mit Imax = R. Ihre Spur ist eine geschlosseneKurve

3. Die Funktion y ist injektiv, ihre Spur ist eine doppelpunktfreie Kurve.

Beweis 5.1 Sei y : Imax 6= ∅ → Rn nicht injektiv, das heißt es gibt y(σ) = y(τ) fur σ 6= τ in Imax =]a, b[. Dann ist t 7→ y(t) := y

(t+(τ −σ)

)ebenfalls eine Losung mit Imax =]a+(τ −σ), b+(τ −σ)[.

Wegen y(σ) = y(τ) = y(σ) stimmen y und y uberein, das heißt es gilt y(t) = y(t + (τ − σ)

)fur

alle t sowie Imax = Imax. Das letzte ist wegen τ − σ 6= 0 nur fur Imax =]−∞,∞[ moglich. Also isty periodisch mit Periode τ − σ 6= 0: Einer der Falle (a) oder (b) liegt vor. ]

Ein Kriterium fur ”unendliche Lebensdauer“ von Losungen ist:

Die zugehorigen Trajektorien verbleiben immer in einer kompakten Teilmenge K ⊂ G, nahernsich niemals dem Rand von G. Also mussen die Losungen im ”Schlauch“ D = R×G von −∞ bis+∞ verlaufen. (Oft interessiert nur das Verhalten fur t ≥ 0, ”in der Zukunft“).

5.2 Stabilitat von kritischen Punkten

Das Verhalten von Losungen (autonomer Systeme), die in der Umgebung eines Gleichgewichts-punkts starten, kann sehr unterschiedlich sein (vergleiche Ubungen). Nach diesem Verhalten lassensie sich klassifizieren.

Definition 5.1 Sei y = f(y) ein autonomes System mit einer auf einem Gebiet G ⊂ Rn L-stetigerFunktion f .

1. Ein kritischer Punkt η ∈ G heißt stabil, falls es zu jedem ε > 0 ein δ > 0 gibt mit derEigenschaft:

Jede Losung t 7→ y(t) der Differentialgleichung mit |y(0)− η| < δ ist fur alle t ≥ 0 definiertund es gilt: ∀t≥0 |y(t)− η| < ε.

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64 KAPITEL 5. STABILITATSFRAGEN BEI AUTONOMEN SYSTEMEN

2. Ein kritischer Punkt η ∈ G heißt attraktiv, falls es ein δ > 0 gibt mit der Eigenschaft:

Jede Losung t 7→ y(t) der Differentialgleichung mit |y(0)− η| < δ ist fur alle t ≥ 0 definiertund es gilt: limt→∞ y(t) = η.

3. Ein kritischer Punkt heißt asymptotisch stabil, wenn er stabil und attraktiv ist.

4. Ein Punkt heißt instabil, wenn er nicht stabil ist.

I Bemerkung: Die Begriffe ”stabil“ und ”attraktiv“ sind unabhangig voneinander.

Beispiel fur ”stabil“ 6⇒ ”attraktiv“: y =(

0 00 −1

)y besitzt die allgemeine Losung t 7→ y(t) =

(a

be−t

).

Der kritische Nullpunkt ist stabil, denn |y(0)| =∣∣(a

b

)∣∣ < δ := ε⇒ ∀t≥0|y(t)| < ε. Aber er ist nichtattraktiv, denn limt→∞ =

(a0

)6=(00

)fur a 6= 0.

Es gibt auch Beispiele fur ”attraktiv“ 6⇒ ”stabil“ (Losungen weichen noch beliebig ”spat“ starkvom kritischen Punkt ab.

Bei linearen autonomen Systemen y = Ay mit A = const (siehe 3.1D) lasst sich die Stabilitatan den Eigenwerten der Koeffizientenmatrix erkennen.

Satz 5.2.1 Fur den kritischen Nullpunkt einer autonomen linearen Differentialgleichung y = Aygilt:

1. Er ist genau dann asymptotisch stabil, wenn alle Eigenwerte von A (echt) negative Realteilebesitzen.

2. Er ist genau dann stabil, wenn alle Eigenwerte Realteile ≤ 0 besitzen und fur jeden Eigenwertmit Realteil 0 gilt: Die geometrische Vielfachheit ist gleich der algebraischen.

Beweis 5.2 Die Losungen sind stets fur alle t ∈ R defininert. Es genugt, die Behauptung furSysteme z = Jz mit Jordan-Matrizen J zu beweisen, denn fur die transformierte Losung y = T · zvon y = A · y gilt:

• |z(t)| < ε ⇐⇒ |y(t)| < ‖T‖ · ε = ε (bezuglich Stabilitat).

• limz→∞

z(t) = 0 ⇐⇒ limt→∞

y(t) = 0 (bezuglich Attraktivitat).

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5.2. STABILITAT VON KRITISCHEN PUNKTEN 65

1. ”⇒“ Sei λ ein Eigenwert mit <λ ≥ 0. Dann gilt fur die Losung t 7→ z(t) = a

0...eλt...0

(a 6= 0):

|z(t)| = |a|e(<λ)t −→t→∞

{|a| 6= 0 <λ = 0,

+∞ <λ > 0,

auch wenn |z(0)| = |a| beliebig klein. Der Nullpunkt ist nicht attraktiv.

”⇐“ Falls <λ < 0 fur alle Eigenwerte, folgt fur die nichttrivialen Komponenten tµ

µ! eλt der

Fundamentallosung z:

(a)∣∣∣∣ tµµ!

eλt

∣∣∣∣ = |t|µµ!e(<λ)t −→

t→∞0.

Also ist auch limt→∞ z(t) = 0 fur alle Fundamentallosungen z und damit sogar furalle Losungen z. Der Nullpunkt ist attraktiv.

(b) ∀t≥0

∣∣∣∣ tµµ!eλt

∣∣∣∣ = |t|µµ!e(<λ)t ≤ m

mit einer Konstanten m ∈ R. Also ist die gesamte Fundamentalmatrix t 7→ Z(t) =eJt fur t ≥ 0 beschrankt:∀t≥0 ‖Z(t)‖ ≤M mit M > 0Fur jede Losung t 7→ z(t) = Z(t) · c = Z(t)z(0) gilt also|z(0)| < δ :=

ε

M⇒ ∀t≥0 |z(t)| ≤ ‖Z(t)‖︸ ︷︷ ︸

≤M

|z(0)|︸ ︷︷ ︸<δ

< ε .

Der Nullpunkt ist stabil.

2. ”⇒“ Sei λ ein Eigenwert mit <λ > 0. Dann gibt es nach (1) eine Losung t 7→ z(t) mitlimz→∞ |z(t)| =∞, auch wenn |z(0)| beliebig klein ist.

Zu einem Eigenwert mit <λ = 0 und geometrische Vielfachheit < algebraische Vielfach-

heit gibt es ebenfalls eine Losung z(t) = a

( 0...1...0

)eλt (a 6= 0) mit |zi(t)| = |a||t| −→

t→∞∞,

auch wenn |z(0)| = |a| beliebig klein ist.

In beiden Fallen ist der Nullpunkt nicht stabil.

”⇐“ Die Fundamentallosungen zum Eigenwert λ mit <λ < 0 sind nach (1) fur t ≥ 0beschrankt, ebenso Fundamentallosungen zu Eigenwerten λ mit <λ = 0, algebraischeVielfachheit = geometrische Vielfachheit, denn

|z(t)| =

∣∣∣∣∣( 0...

1...0

)eλt

∣∣∣∣∣ = 1.

Also ist wieder die gesamte Fundamentalmatrix t 7→ Z(t) fur t ≥ 0 beschrankt. DerNullpunkt ist stabil. ]

Beispiel 5.2 Klassifikation ebener linearer System y = Ay (n = 2) bezuglich des kritischenNullpunkts anhand der moglichen Jordanschen Normalformen J von A. (Die allgemeine Form desPhasenportraits erhalt man durch Anwendung linearer Transformationen).

0. Degenerationsfall (λ = 0 ist Eigenwert von A)

(a) A = J = ( 0 00 0 )⇒ Y (t) = ( 1 0

0 1 ).

Allgemeine Losung: y(t) =(ab

).

Der Nullpunkt ist stabil, aber nicht asymptotisch stabil.

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66 KAPITEL 5. STABILITATSFRAGEN BEI AUTONOMEN SYSTEMEN

(b) A = J = ( 0 10 0 )⇒ Y (t) = ( 1 t

0 1 )

Allgemeine Losung: y(t) =(a+bt

b

)Der Nullpunkt ist instabil.

(c) A = J = ( λ 00 0 ) (λ 6= 0)⇒ Y (t) =

(eλt 00 1

)Allgemeine Losung: y(t) =

(aeλt

b

)(λ < 0) Der Nullpunkt ist stabil, aber nicht asymptotisch stabil.

(λ > 0) Der Nullpunkt ist instabil.

1. Hauptfall (alle Eigenwerte von A sind reell, 6= 0 und haben verschiedene Vorzeichen)

A = J =(

λ 00 −µ

)(λ, µ > 0) (Sattelpunkt)

Allgemeine Losung: y(t) =(

aeλt

be−µt

)Der Nullpunkt ist instabil.

2. Hauptfall (alle Eigenwerte von A sind reell, 6= 0 und haben gleiche Vorzeichen)

(a) A = J =(

λ 00 µ

)(sgn(λ) = sgn(µ)) (Knotenpunkt)

Allgemeine Losung: y(t) =(aeλt

beµt

)

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5.2. STABILITAT VON KRITISCHEN PUNKTEN 67

(λ, µ < 0) Der Nullpunkt ist asymptotisch stabil.(λ, µ > 0) Der Nullpunkt ist instabil.(Fur µ < λ < 0 kippt das Koordinatensystem, fur λ, µ > 0 kehren sich die Orientierun-gen um.)Spezialfall λ = µ 6= 0.

(b) A = J =(

λ 10 λ

)(entarteter Knotenpunkt)

Allgemeine Losung: y(t) =[a(10

)+ b(

t1

)]eλt

(λ < 0) Der Nullpunkt ist asymptotisch stabil.(Alle Losungen laufen mit waagrechter Tangente in den Nullpunkt.)(λ > 0) Der Nullpunkt ist instabil.

3. Hauptfall (echt komplex konjugierte EW von A)

(a) J =(

iβ 00 −iβ

)(β 6= 0) (Wirbelpunkt)

z.B. bei A =(

0 1−β2 0

)(y′ = Ay ⇐⇒ y′′1 + β2y1 = 0, y2 = y′1)

Allgemeine Losung: y(t) =(

a cos(βt)+b sin(βt)−aβ sin(βt)+bβ cos(βt)

)= r

(cos(β(t+t0)

)−β sin

(β(t+t0)

)), r ≥ 0.

Der Nullpunkt ist stabil, aber nicht asymptotisch stabil.

(b) J =(

α+iβ 00 α−iβ

)(α, β 6= 0) (Strudelpunkt)

Zum Beispiel bei A =(

α β−β α

)

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68 KAPITEL 5. STABILITATSFRAGEN BEI AUTONOMEN SYSTEMEN

Allgemeine Losung: y(t) =(

a cos(βt)+b sin(βt)−a sin(βt)+b cos(βt)

)eαt = r

(cos(β(t+t0)

)− sin

(β(t+t0)

)) eαt

α < 0: Der Nullpunkt ist stabil.:α > 0: Der Nullpunkt ist instabil.β > 0 spiegelt das Koordinatensystem, α > 0 kehrt die Laufrichtung um.

Zu den Zeichnungen Gezeichnet sind nur die Phasenportraits von z′ = Jz. Das richtige Pha-senportrait y = Ay erhalt man, in dem man darauf die lineare Transformation y(t) = Tz(t)mit T = (z1, z2) anwendet. Dies entspricht einer Ersetzung der Einheitsvektoren e1, e2 durch dietatsachlichen Eigen-/Hauptvektoren z1, z2.

Beispiel: Wirbel

5.3 Die Ljapunov-Methode

Wie kann man bei allgemeinen autonomen Systemen y = f(y) bei denen die Losungen nichtexplizit bekannt sind, die Stabilitat eines kritischen Punktes erkennen?

Eine Moglichkeit ist das Suchen einer sogenannten Ljapunov-Funktion.

Definition 5.2 Sei y ein kritischer Punkt des autonomen Systems y = f(y) mit f L-stetig aufdem Gebiet G.

Eine C1-Funktion E : U ⊂ G→ R auf einer Umgebung U von η heißt eine Ljapunov-Funktionfur η, wenn gilt:

(1) E(η) = 0, ∀y 6= η : E(y) > 0,

(2) ∀y∈U [E(y) =]dfE(y) = 〈gradE(y), f(y)〉 ≤ 0.

Sie heißt eine strenge Ljapunov-Funktion fur η, wenn statt (2) verscharfend gilt

(2′) ∀y 6=η dfE(y) = 〈gradE(y), f(y)〉 < 0.

Zur Bedeutung von (2) bzw (2′): Ist t ∈ I 7→ y(t) eine Losung des Systems mit y(0) ∈ U\{η},so gilt fur die Ljapunov-Funktion langs der Losung, also fur t ∈ I 7→ e(t) := E

(y(t)

)∈ R:

1. e(0) > 0, sogar ∀t≥0 e(t) > 0,

2. e(t) =∑n

k=1 ∂kE(y(t)

)yk(t) = 〈gradE

(y(t)

), y(t)〉 = 〈gradE

(y(t)

), f(y(t)

)〉 ≤ 0,

solange diese in der Umgebung U verbleibt.Sie ist also fur t ≥ 0 positiv und monoton fallend.

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5.3. DIE LJAPUNOV-METHODE 69

Falls ∀t ≥ 0 y(t) ∈ K ⊂ U ⊂ G mit einem Kompaktum K, besitzt die Losung unendlicheLebensdauer und es existiert limt→∞ e(t) = limt→∞ E

(y(t)

)= c ≥ 0.

Die Existenz einer Ljapunov-Funktion liefert eine hinreichende Bedingung fur die Stabilitateines kritischen Punktes.

Satz 5.3.1 (Stabilitatskriterium von Ljapunov) Sei η ein kritischer Punkt von y = f(y) mitf L-stetig auf G ⊂ Rn. Dann gilt:

1. Wenn in einer Umgebung U von η eine Ljapunov-Funktion fur η existiert, so ist η stabil.

2. Wenn sogar eine strenge Ljapunov-Funktion fur η in einer Umgebung U von η existiert, soist η asymptotisch stabil.

Beweis 5.3 1. Sei E : U → R eine Ljapunov-Funktion fur den kritischen Punkt η. Furgenugend kleine ε > 0 ist Uε = {y : |y − η| < ε} eine Umgebung von η mit U ε ⊂ U ⊂ G.

Mit M := min{E(y) ∈ R : |y− η| = ε} > 0 (Minimum auf dem kompakten Rand) definierenwir V := {y ∈ U ε | E(y) ≤ M

2 }.

Dann ist V eine kompakte Umgebung von η, denn da E stetig, existiert ein δ > 0 mit

|y − η| < δ ⇒ |E(y)︸ ︷︷ ︸>0

−E(η)︸ ︷︷ ︸=0

| = E(y) ≤ M

2,

das heißt Uδ(η) ⊂ V . Weiter gilt V ⊂ Uε, denn |y − η| = ε⇒ E(y) ≥M ⇒ y ∈ V .

Sei jetzt t 7→ y(t) eine Losung des Systems mit y(0) ⊂ Uδ(η) ⊂ V sowie e(t) := E(y(t)

).

Wegen 0 ≤ e(0) ≤ M2 und ∀t>0 e(t) ≤ 0 gilt:

∀t ≥ 0 : e(t) ≤ M

2,

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70 KAPITEL 5. STABILITATSFRAGEN BEI AUTONOMEN SYSTEMEN

das heißt ∀t≥0y(t) ∈ V ⊂ Uε. Die Losung verbleibt also in V und besitzt damit eine un-endliche Lebensdauer. Da ε beliebig klein gewahlt werden kann, ist die Stabilitat von ηnachgewiesen.

2. Sei jetzt E sogar eine strenge Ljapunov-Funktion fur η und Uδ ⊂ V ⊂ Uε wie im vorigenPunkt gewahlt. Fur eine Losung y mit y(0) ∈ Uδ\{η} ⊂ V \{η} existiert dann (vergleicheoben) limt→∞ e(t) = limt→∞ E

(y(t)

)= c ≥ 0 und es gilt:

∀t≥0 c ≤ e(t) ≤ M

2.

Annahme: c > 0. Dann existiert, da E stetig, ein δ > 0 mit

∀y|y − η| < δ ⇒ |E(y)− E(0)| = E(y) < c

Es ist also

∀t≥0|y(t)− η| ≥ δ.

Auf der kompakten Menge V ∩ {y : |y − η| ≥ δ} nimmt die stetige Funktion y 7→ E(y) =dfE(y) < 0 ein Maximum −m < 0 an, also

∀t≥0 e(t) = dfE(y(t)

)≤ −m

∀t≥0 e(t) ≤ e(0)−mt Widerspruch zu e(t) ≥ 0

Also ist limt→∞ y(t) = η, da η der einzige Punkt mit E(y) = 0 ist. Damit ist die Attraktivitatvon η nachgewiesen, also mit dem oben gezeigten die asymptotische Stabilitat.

Beispiel 5.3 1. Bei dem nichtlinearen Systemy1 = −y3

1 − y1 + y2

y2 = −y1 − y2 − y52

ist y 7→ E(y) = y21 +y2

2 (Quadrat der euklidischen Abstandsfunktion) eine strenge Ljapunov-Funktion fur den kritischen Nullpunkt (0, 0).

dfE(y) =⟨(

2y1

2y2

),

(−y3

1 − y1 + y2

−y1 − y2 − y5

)⟩= −2(y4

1 + y21 − y1y2 + y2y1 + y2

2 + y62) < 0.

Der Nullpunkt ist asymptotisch stabil.

I Bemerkung: Oft fuhrt bei solchen Systemen ein Ansatz E(y) = Ay21 + By2

2 (A,B > 0)zum Erfolg. Die Bedingung dfE(y) ≤ 0 braucht nur in einer Umgebung U(0) erfullt zu sein.

2. Auch bei jedem linearen System y = Ay mit A negativ definit ist y 7→ E(y) = |y|2 =∑n

i=1 y2i

eine strenge Ljapunov-Funktion fur η = 0: Wegen gradE(y) = 2y gilt:

〈gradE(y), Ay〉 = 2〈y, Ay〉 = 2yT Ay

{= 0 fur y = 0< 0 sonst

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5.3. DIE LJAPUNOV-METHODE 71

nach Definition von negativ definit.

Anwendung Sei ohne Einschrankung 0 ein kritischer Punkt des Systems y = f(y) mit f ∈C1(G). Statt der rechten Seite y 7→ f(y) = f(0)︸︷︷︸

=0

+Df(0) · (y − 0) + r(y) = Df(0) · y + r(y) kann

man ihre Linearisierung y 7→ f(y) = Df(0) ·y betrachten. Beim zugehorigen linearisierten Systemy = f(y) kann man die Stabilitat des Nullpunktes leicht an den Eigenwerten von A = Df(0)erkennen.

Frage: Liefert dies Erkenntnisse uber die Stabilitat des Nullpunkts beim ursprunglichen Sy-stem? Antwort: Manchmal!

Hilfssatz 5.3.2 Sei A eine (reelle) (n × n)-Matrix, fur deren Eigenwerte λ stets <λ < 0 gilt.Dann besitzt das autonome System y = Ay eine strenge Ljapunov-Funktion E : Rn → R fur denkritischen Nullpunkt mit den Eigenschaften

1. ∀y | gradE(y)| ≤ γ|y| mit γ > 0,

2. ∀y E(y) = 〈E(y), f(y)〉 ≤ −µ|y|2 mit µ > 0.

(Es gilt E(y) = yT By mit einer symmetrischen, positiv definiten Matrix B.)

Beweis 5.4 Sind λ1, . . . , λn die Eigenwerte von A, so gibt es eine (im allgemeinen komplexe)Jordanbasis (z1, . . . , zn) mit Azk = λkzk + δkzk−1 mit δk ∈ {0, 1}, das heißt die Jordanmatrix ist

J =

λ1 δ2λ2 δ3...

...... δn

λn

.

Fur ein beliebiges ε > 0 liefert dann ∀k zk = εkzk eine modifizierte Jordanbasis (z1, . . . , zn) mit∀kzk = λkzk + εδkzk−1

Die neue Jordanmatrix Jε besitzt Verkettungs-Epsilons statt Verkettungs-Einsen. Es gilt:

1. Jε = D + Nε mit D = diag(λ1, . . . , λn) und ‖Nε‖ ≤ ε,

2. SA = JεS mit der Inversen S := T−1 der Transformationsmatrix T = (z1, . . . , zn).

Fur y ∈ Rn und z = Sy ∈ Cn setzen wir

E(y) := zT z = |z|2 =n∑

k=1

|zk|2{

= 0 fur y = z = 0,

> 0 sonst.

Es gilt E(y) = (Sy)T Sy = yT (ST S)y = yT Hy mit der hermiteschen Matrix H = ST S (das heißtHT = H) und da y, E(y) reell, auch E(y) = yT Hy, das heißt

E(y) = yT

[12(H + H)

]y = yT (<H)y = yT By

mit einer reellen symmetrischen Matrix B.Es gilt wegen gradE(y) = 2By:

a. ‖ gradE(y)‖ ≤ 2‖B‖ · |y| = γ|y| mit γ > 0 (sonst E = const, Widerspruch),

b. E(y) = 〈gradE(y), A · y〉 = 2〈By,Ay〉 = 2yT BT Ay = 2<[yT ST

SA︸︷︷︸(2)

y] = 2<[(Sy)T Jε(Sy)]

=(1)

2<[zT (D + Nε)z] = 2<[zT Dz] + 2<[zT Nεz] = 2<

[n∑

k=1

λk|zk|2]

+ 2<〈z,NεZ〉.

Wegen <〈z,Nεz〉 ≤ |〈z,Nεz〉| ≤ |z| · |Nεz| ≤ ‖Nε‖ · |z|2 ≤ ε|z|2 folgt mit maxk=1,...,n <λk =−µ < 0 und ε := µ

2 :

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72 KAPITEL 5. STABILITATSFRAGEN BEI AUTONOMEN SYSTEMEN

E(y) ≤

[n∑

k=1

(<λk)|zk|2 + ε|z|2]

= 2

[n∑

k=1

(<λk + ε)|zk|2]≤ 2

(−µ +

µ

2

)· |z|2 = −µ|z|2

und damit auch: E(y) ≤ −µ|y|2, denn y = Tz ⇒ |y| ≤ ‖T‖ · |z| ⇒ |z| ≥ 1‖T‖ |y|.

Die so gewonnene Ljapunov-Funktion ist auch brauchbar fur nichtlineare autonome Systemey = f(y) mit Linearisierung y = Ay.

Satz 5.3.3 Sei η ein kritischer Punkt des autonomen Systems y = f(y) mit f ∈ C1(G). Besitztdann die Funktionalmatrix Df(η) nur Eigenwerte mit <λ < 0, so ist η asymptotisch stabil.

Beweis 5.5 Sei ohne Einschrankung η = 0 (sonst betrachte y = y − η mit ˙y = f(y + η) := f(y),f(0) = f(η), Df(0) = Df(η)). Dann gilt nach Definition der Differenzierbarkeit:

f(y) = f(0)︸︷︷︸=0

+Df(0)(y − 0) + r(y) = Df(0) · y + r(y)

mit einem stetigen Restglied y 7→ r(y) mit limy→0r(y)|y| = 0.

Sei E die zum linearisierten System y = Df(0)︸ ︷︷ ︸A

·y nach Hilfssatz 5.3.2 gehorende strenge

Ljapunov-Funktion mit den Eigenschaften (a) und (b).Wegen r(y)

|y| −→y→00 gilt |r(y)|

|y| ≤µ2γ fur |y| < δ und δ genugend klein, das heißt

∀|y|<δ 〈gradE(y), r(y)〉 ≤ | gradE(y)| · |r(y)| ≤ γ|y| µ2γ|y| = µ

2|y|2.

Also ist auch

∀|y|<δ E(y) = 〈gradE(y), f(y)〉 = 〈gradE(y), Df(0) · y〉+ 〈gradE(y), r(y)〉

≤(b)−µ|y|2 +

µ

2|y|2 = −µ

2|y|2

mit µ > 0. Demnach ist E eine strenge Ljapunov-Funktion von y = f(y) fur den kritischenNullpunkt.

Zusatze

1. Mit der gleichen Methode kann man auch ein Instabilitatskriterium herleiten:

Besitzt Df(η) in einem kritischen Punkt η des Systems y = f(y) nur Eigenwerte λ mit<λ > 0, so ist η instabil.

(Man kann eine ”falsche“ Ljapunov-Funktion E konstruieren, die jede Losung y 6= η von ηwegtreibt: ∀t≥0 E

(y(t)

)> 0).

2. Mit anderen Methoden kann man zeigen:

Besitzt Df(η) in einem kritischen Punkt η mindestens einen Eigenwert λ mit <λ > 0, so istη instabil.

(Mindestens eine Losung strebt von η weg).

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Kapitel 6

Der Satz von Frobenius uberpartielle Differentialgleichungen1. Ordnung

Zur Einfuhrung ein

Beispiel 6.1 Geometrische Interpretation von autonomen Systemen.Gegeben ein Vektorfeld y ∈ G ⊂ Rn 7→ f(y) ∈ Rn

Gesucht: Raumkurven t ∈ I ⊂ R 7→ y(t) ∈ Rn mit Tangentenvektor y(t) = f(y(t)

).

Zu losen ist also das autonome System y = f(y).(Hier Bild fehlen tut)

Verallgemeinerung Gegeben: 2 Vektorfelder y ∈ G ⊂ Rn 7→ f1(y), f2(y) ∈ Rn

Gesucht: (nicht 2 Raumkurven) eine Flache x ∈ U ⊂ R2 7→ y(x) ∈ Rn mit Tangentenvektoren∂py(x) = fp

(y(x)

), p = 1, 2.

Zu losen ist das autonome partielle Differentialgleichungs-System grad(y) = f(y). Statt 2-Vektorfeldern sind auch p-Vektorfelder moglich mit 1 ≤ p ≤ n.

Bezeichnung fur die Losungsflachen/-kurven: Integralmannigfaltigkeiten der vorgegebenen Vek-torfelder.

(Hier Bild fehlen tut)

Noch allgemeiner (nicht autonom) Gesucht sind Funktionen x ∈ U ⊂ Rp 7→ y(x) ∈ Rn mit

(PD) grad(y) = f(x, y) bzw. ∂%yi = fi%(x, y), i = 1, . . . , n, % = 1, . . . p

wobei f : G ⊂ Rp × Rn → Rpn eine C1-Matrixfunktion ist (⇒ alle C1-Losungen sind sogar C2-differenzierbar).

(Hier Bild fehlen tut)

Zur Existenz von Losungen

p = 1 Durch jeden Punkt (x, y) ∈ G existiert genau eine C2-Losung.

p > 1 Im allgemeinen gibt es keine C2-Losung (auch wenn f C∞-Losung).

(Hier Bild fehlent tut)

Fur solche muss gelten: (mit ∂% := ∂∂x%

; ∂k := ∂∂yk

)

73

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74KAPITEL 6. DER SATZ VON FROBENIUS UBER PARTIELLE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 1.ORDNUNG

∂σ∂%yi(x) = ∂σ

[fi%

(x, y(x)

)]= (∂σfi%)

(x, y(x)

)+

n∑k=1

(∂kfi%)(x, y(x)

)∂σykj(x)

=

[∂σfi% +

n∑i=1

(∂kfi%)fkσ

] (x, y(x)

) !=

[∂%fiσ +

n∑k=1

(∂kfiσ)fk%

] (x, y(x)

)= ∂%∂σyi(x).

Falls (PD) vollstandig integrierbar ist, das heißt durch jeden Punkt (x, y) ∈ G eine Losungexistiert, mussen identisch in G die Integrabilitatsbedingungen

(IB) ∂σfi% +n∑

k=1

(∂kfi%)fkσ ≡ ∂%fiσ +n∑

k=1

(∂kfiσ)fk%

erfullt sein.

Beispiel 6.2 Gesucht eine Funktion F (x1, x2) mit ∂1F = f , ∂2F = g.Dann lautet die Integrabilitatsbedingung: ∂2f = ∂1g.

Zur Eindeutigkeit von Losungen Sei y : U ⊂ Rp → Rn eine lokale C2-Losung um x0 ∈ U .Fur jeden Punkt x1 in einer sternformigen Umgebung von x0 gilt dann mit v = x1 − x0: DieFunktion t 7→ w(t) := y(x0 + tv) efullt dann das gewohnliche AWP

w(t) =∑

σ

∂σy(x0 + tv)vσ =∑

σ

(x0 + tv, w(t)

)vσ = g

(t, w(t)

)w(0) = y(x0) mit g C1-differenzierbar.

(Hier Bild fehlen tut)Eindeutige Losbarkeit ⇒ y(x1) = w(1) ist festgelegt. Da man je zwei Punkte x0, x ∈ U (offen,

zusammenhangend) durch Geradenstucke verbinden kann, sind damit alle Werte in U druch y(x0)festgelegt.

(Hier Bild fehlen tut)Die Satze uber gewohnliche Differentialgleichungen sichern auch die Existenz von Losungen

von (PD), falls (IB) erfullt ist (vgl. Kapitel 1.5) uber die Existenz von Stammfunktionen).

Satz 6.0.4 Die Differentialgleichung (PD) mit f ∈ C1(G) ist genau dann vollstandig integrierbar(das heißt durch jeden Punkt (x0, y0) ∈ G verlauft eine lokale C2-Losung y : U ⊂ Rp → Rn), wenndie Integrabilitatsbedingungen (IB) in G erfullt sind. Diese Losungen sind eindeutig bestimmt.

Beweis 6.1 Nur noch zu zeigen: (IB) ist hinreichend fur die vollstandige Integrierbarkeit.Idee: Zu vorgegebenem (x0, y0) ∈ G Losen der Differentialgleichung auf Geraden durch x0.(Hier Bild fehlen tut)In einer ε-Umgebung Uε(x0, y0) = Uε(x0)× Uε(y0) ⊂ G losen wir das gewohnliche, parameter-

abhangige AWP

w(t) =∑

σ

fσ(x0 + tv, w(t))vσ =: g(t, w(t), v

)mit Parameter v ∈ Rn

w(0) = y0

fur |t| < 2, |w − y0| < ε, |v| < ε2 (⇒ (x0 + tv, w) ∈ Uε(x0, y0) ⊂ G). Die charakteristische Funktion

(t, v) 7→ w(t, v) ist nach Satz ?? auf einer offenen Menge B = {(t, v) | |v| < ε2 , t ∈ Imax(v), |t| < 2}

definiert und C1-differenzierbar.Imax(0) =]− 2, 2[, B offen ⇒ Fur alle v mit |v| < δ, δ genugend klein gewahlt ist 1 ∈ Imax(v)(Hier Bild fehlen tut)

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75

Behauptung: Fur alle x mit |x−x0| < δ lost x 7→ y(x) := w(1, x−x0) die Differentialgleichung(PD) mit y(x0) = w(1, 0) = y0.

Beweis: Die partiellen Ableitungen wρ(t, v) := ∂∂vρ

w(t, v) nach den Parametern losen nachSatz ?? das inhomogene lineare AWP

wiρ =∑

k

(∂

∂wk

)(t, w(t, v), v

)wkρ +

(∂

∂vρgi

)(t, w(t, v), v

)wiρ(0, v) = 0

Ausfuhrlich:wiρ(t, v) =

∑k

[∑σ

∂kfiσ

(x0 + tv, w(t, v)︸ ︷︷ ︸

arg

)vσ

]wkρ(t, v) + t

∑σ

∂ρfiσ(arg)vσ + fiρ(arg)

Die Funktionen qiρ(t, v) := tfiρ

(x0 + tv, w(t, v)

)losen das gleiche AWP:

qiρ(t, v) = t∑

k

∂kfiρ

(x0 + tv, w(t, v)︸ ︷︷ ︸

arg

)wk(t, v) + t

∑σ

∂σfiρ(arg)vσ + fiρ(arg)

= t∑

σ

[∑k

fiρ(arg)fkσ(arg) + ∂σfiρ(arg)

]vσ + fiρ(arg)

(IB)=∑

k

[∑σ

∂kfiσ(arg)vσ

]qkρ(t, v) + t

∑σ

∂ρfiσ(arg)vσ + fiρ(arg)

qiρ(0, v) = 0.

AWP linear, rechte Seite stetig (da f ∈ C1(G)) ⇒ Losung ist eindeutig.Also ist wρ(t, v) = ∂

∂vρw(t, v) != qρ(t, v) = tfρ

(x0 + tv, w(t, v)

)und damit ∂ρy(x) = ∂

∂vρw(1, x−

x0) = fρ

(x, y(x)

).

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76KAPITEL 6. DER SATZ VON FROBENIUS UBER PARTIELLE DIFFERENTIALGLEICHUNGEN 1.ORDNUNG

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Anhang A

Index

Anfangswertproblem, 5Autonome Systeme, 1AWP, siehe Anfangswertproblem

Bahn, 16Banachraum, 24, 81Banachscher Fixpunktsatz, 24, 75Bernoullische Differentialgleichung, 8beschrankt¿linear, 30, 76

Cauchy-Folge, 24, 81charakteristische Funktion, 28, 81Clairautsche Differentialgleichung, 17

Differentialagleichung¿Riccati, 9Differentialform, 12Differentialform¿exakt, 13, 81Differentialform¿geschlossen, 14Differentialgleichung¿Bernoulli, 8Differentialgleichung¿exakt, 13, 81Differentialgleichung¿homogen linear, 6Differentialgleichung¿inhomogen linear, 6Differentialgleichung¿linear, 6Differentialgleichung¿Losung, 5Differentialgleichungs-Systeme, 2

Eindeutigkeitssatz, 22, 75Eulerscher Multiplikator, 15exakt, 13, 81Existenzsatz von Peano, 31, 76

Fixpunktsatz¿Banach, 24, 75Fixpunktsatz¿Schauderscher, 33Fortsetzungssatz, 28, 76Fundamentalmatrix, 37, 82Fundamentalsystem, 37, 81

geschlossen, 14graph, 1Gronwall¿Lemma von, 20

Hamiltonfunktion, 16hamiltonsches System, 16Hauptsystem, 37, 81homogene Differentialgleichung, 6

homogene Differentialgleichung¿allgemeineLosung, 6

homogene lineare Differentialgleichung, 6

inhomogene Diferentialgleichung, 6inhomogene lineare Diferentialgleichung, 6, 7Integral, 5integrierender Faktor, 15

Jordanmatrix, 41

Knotenpunkt, 62

L-beschrankt, siehe Lipschitzbedingung, 26,siehe Lipschitzbedingung

L-stetig, siehe Lipschitzstetig, siehe Lip-schitzstetig

Lemma von Gronwall, 20lineare Differentialgleichung, 6Linearisierung, 67Linienelement, 2Linienelement¿regular, 16Linienelement¿singular, 16Lipschitzbedingung, 21, 81Lipschitzstetig, 21, 81Ljapunov-Funktion, 64Losung¿allgemeine, 5, 28, 81Losungskurve, 15

Maximumsnorm, 19Mittelwertsatz, 21MWS, siehe Mittelwertsatz

Niveaulinien, 13

ODE, 1Operatornorm, 35Orbit, 16

partielle Differentialgleichungen, 2PDE, 2Peano, 31, 76Picard-Lindelof¿Satz von, 27, 76Picardsche Iteration, 23

Raum¿vollstandig, 24, 81

77

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78 ANHANG A. INDEX

Riccati-Differentialgleichung, 9Richtungsfeld, 1

Sattelpunkt, 62Satz¿Banachscher Fixpunktsatz, 24, 75Satz¿Existenzsatz von Peano, 31, 76Satz¿Picard-Lindelof, 27, 76Satz¿Schauderscher Fixpunktsatz, 33Schauder¿Fixpunktsatz, 33Spur, 16Stabilitatskriterium¿Ljapunov, 65, 80Stammfunktion, 13, 81Strudelpunkt, 63

Variablentransformation, 8Variation der Konstanten, 7vollstandiger Raum, 24, 81

Wirbelpunkt, 63Wronski-Determinante, 37, 82Wronski-Matrix, 37, 82

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Anhang B

Alle Satze im Uberblick

Satz 2.1.1 Besitzt eine Abbildung (x, y) ∈ G ⊂ R × Rn 7→ f(x, y) ∈ Rn auf einem Gebiet G

stetige partielle Ableitungen (x, y) 7→ ∂f

∂yk(x, y) nach den Komponenten von y, so ist f auf G lokal

L-stetig bezuglich y.

Satz 2.1.2 Eine stetige Abbildung f : G ⊂ R × Rn → Rm, (x, y) 7→ f(x, y) die auf dem GebietG bezuglich y (lokal) L-stetig ist, erfullt auf jeder kompakten Teilmenge K ⊂ G sogar eine globaleL-Bedingung bezuglich y.

Satz 2.1.3 (Eindeutigkeitssatz) Sei f : G ⊂ R × Rn → Rn, (x, y) 7→ f(x, y) auf dem GebietG stetig und bezuglich y (lokal) L-stetig. Sind dann y, y : I → Rn zwei Losungen des AWP’sy′ = f(x, y), f(ξ) = η, so gilt y ≡ y in I.

Satz 2.2.1 (Banachscher Fixpunktsatz fur kontrahierende Abbildungen) Es sei A eineabgeschlossene Teilmenge eines Banachraums (X, |·|) und T : A ⊂ X→ A ⊂ X eine kontrahierendeSelbstabbildung, das heißt es gilt:

(2.2) ∀y,y∈A |Ty − T y| ≤ L′|y − y|

mit einer Konstanten L′ ∈ [0, 1[.Dann besitzt T genau einen Fixpunkt y ∈ A (mit T y = y). Man erhalt ihn als Grenzwert

y = limk→∞ yk fur jede durch

(2.3) ∀k∈N yk+1 = Tyk (= T k+1y0)

rekursiv gebildete Folge bei beliebigem Startwert y0 ∈ A. Weiter gilt die Abschatzung

∀k∈N |y − yk| ≤L′

k

1− L′|y1 − y0|.

Satz 2.2.2 Ist die Abbildung f : G ⊂ R × Rn → Rn auf dem Gebiet G stetig, so besitzt jederPunkt (ξ, η) ∈ G eine kompakte Quaderumgebung I × Q mit I = [ξ − a, ξ + a] und Q = {y ∈ Rn :|y − η|∞ ≤ b} (a, b > 0), so dass gilt

M · a ≤ b, wobei M = max{|f(x, y)| : (x, y) ∈ I × Q}.Durch den Operator T definiert durch

∀x Ty(x) = η +∫ x

ξ

f(t, y(t)

)dt,

wird dann jeder C0-Abbildung y : I → Q wieder eine C0-Abbildung T y : I → Q zugeordnet. Ins-besondere ist in I × Q bei beliebiger C0-Startabbildung y0 : I → Q mit y0(ξ) = η die PicardscheIteration ∀k yk+1 = Tyk durchfuhrbar.

79

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80 ANHANG B. ALLE SATZE IM UBERBLICK

Satz 2.2.3 (Existenz- [und Eindeutigkeits-] Satz von Picard-Lindelof) Sei (x, y) ∈ G ⊂R × Rn → f(x, y) ∈ Rn auf dem Gebiet G stetig und bezuglich y lokal L-beschrankt. Dann gibtes um jeden Punkt (ξ, η) ∈ G eine kompakte Quaderumgebung I × Q ⊂ G mit der Eigenschaft:Das AWP

y′ = f(x, y), f(ξ) = ηbesitzt eine (auf I eindeutige) Losung y : I → Q. Diese kann bei beliebiger C0-Startfunktiony0 : I → Q (mit y0(ξ) = η) durch Picardsche Iteration ∀k∈N yk+1 = Tyk gewonnen werden. Esgilt limk→∞ yk = y.

Satz 2.3.1 Sei (x, y) ∈ G ⊂ R × Rn stetig und bezuglich y lokal L-beschrankt. Dann gibt es zujedem (ξ, η) ∈ G genau eine maximal fortgesetzte Losung

x ∈ I(ξ, η) 7→ y(x; ξ, η) ∈ Rn

des AWP’sy′ = f(x, y), y(ξ) = η.

Jede andere Losung ist eine Restriktion davon.

Satz 2.3.2 (Fortsetzungssatz) Sei f : G ⊂ R × Rn, x 7→ f(x, y) auf dem Gebiet G stetig undbezuglich y lokal L-beschrankt.Dann gilt fur das maximale (offene) Existenzintervall I(ξ, η) =]α;β[ der Losung y des AWP’s

y′ = f(x, y), y(ξ) = ηFolgendes: Entweder ist

β =∞ oderβ <∞ und graph y ∩Gβ = ∅ mit Gβ = {(x, y) ∈ G | x = β}

und analog ist entwederα = −∞ oderα > −∞ und graph y ∩Gα = ∅ mit Gα = {(x, y) ∈ G | x = α}.

Satz 2.3.3 (Linear beschrankte Differentialgleichungen) Die Abbildung (x, y) ∈ G := J ×Rn 7→ f(x, y) ∈ Rn sei auf dem Streifen G = J × Rn stetig und bezuglich y lokal L-beschrankt.

Ist dann f bezuglich y sogar linear beschrankt, das heißt es gilt

∀x∈J ∀y∈Rn |f(x, y)| ≤ α(x)|y|+ β(x)

mit stetigen nichtnegativen Funktionen α, β : J → R, so besitzt jedes AWP

y′ = f(x, y), y(ξ) = η (mit ξ ∈ J, η ∈ Rn)

(genau eine) auf ganz J definierte Losung y : J → Rn.

Satz 2.4.1 (Existenzsatz von Peano) Sei f : G ⊂ R × Rn → Rn auf dem Gebiet G stetig.Dann gibt es um jeden Punkt (ξ, η) ∈ G eine kompakte Quaderumgebung I × Q ⊂ G mit derEigenschaft:

Das AWP y′ = f(x, y), y(ξ) = η besitzt mindestens eine Losung y : I → Q (sie kann imallgemeinen nicht konstruktiv bestimmt werden).

Satz 3.1.1 Eine lineare Differentialgleichung 1.Ordnung

y′ = A(x) · y + b(x)

im Rn mit A, b ∈ C0(I) besitzt durch jeden Punkt (ξ, η) ∈ I × Rn

genau eine auf ganz I definierte Losung y : I → Rn.

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81

Satz 3.1.2 1. Die Losungsmenge L eines homogenen Systemsy′ = A(x)y in Kn mit einer Matrixfunktion A ∈ C0(I) bil-det einen n-dimensionalen linearen Unterraum im VektorraumC1(I → Kn) uber K.

Jede Losung lasst sich als Linearkombination von n linear un-abhangigen Losungen darstellen.

2. Fur jeden Punkt x ∈ I ist die Wertbildung

lx : L → Kn, y 7→ lx(y) = y(x)

ein Vektorraum-Isomorphismus.

Die lineare Unabhangigkeit von Losungen braucht nur an einerfesten (aber beliebigen) Stelle untersucht zu werden.

Satz 3.1.3 Sei Y = (y1, . . . , yn) eine Wronski-Matrix des homogenen Systems y′ = A(x) · y mitA ∈ C0(I). Es sind gleichwertig

(i) Die Matrix Y = (y1, . . . , yn) ist eine Fundamentalmatrix.

(ii) Die Losungen (y1, . . . , yn) bilden ein Fundamentalsystem.

(iii) Fur alle x ∈ I ist(y1(x), . . . , yn(x)

)eine Basis von Kn.

(iv) Es existiert ein ξ ∈ I, so dass(y1(ξ), . . . , yn(ξ)

)eine Basis von Kn ist.

(v) Fur alle x ∈ I ist Y (x) regular.

(vi) Fur alle x ∈ I ist W (x) = det Y (x) 6= 0.

(vii) Es existiert ein ξ ∈ I mit Y (ξ) ist regular.

(viii) Es existiert ein ξ ∈ I mit W (ξ) 6= 0.

Satz 3.1.4 1. Die Losungsmenge L eines inhomogenen linearen Systems y′ = A(x)y + b(x)in Kn mit A, b ∈ C0(I) bildet einen n-dimensionalen affinen Unterraum im VektorraumC0(I → Kn). Fur jede Losung gilt

y = yp +n∑

i=1

ciyi = yp + Y c

mit einem partikularen Integral yp des inhomogenen Systems, einem Fundamentalsystem(y1, . . . , yn) des zugehorigen homogenen Systems (bzw. einer Fundamentalmatrix Y ) sowie

einem Vektor c =( c1...

cn

)∈ Kn.

2. Ein partikulares Integral yp des inhomogenen Systems kann aus einer Fundamentalmatrix Ydes zugehorigen homogenen Systems durch Variation der Konstanten bestimmt werden:

yp = Y ·∫

(Y −1b).

Satz 3.1.5 Ein Differentialgleichungssystem y′ = Ay mit A = const ∈ M(n, n, C) besitzt einFundamentalsystem von Losungen der Form y(x) = p(x)eλx, wobei λ ∈ C ein Eigenwert von Aund p ein (vektorielles) Polynom ist, dessen Grad kleiner als die algebraische Vielfachheit von λist, denn es giltgrad p < Lange des Jordanblocks zum Eigenwert λ, in dem es auftaucht

≤ Lange der langsten Hauptvektorkette zum Eigenwert λ

≤ algebraische Vielfachheit von λ.

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82 ANHANG B. ALLE SATZE IM UBERBLICK

Satz 3.2.1 1. Die Differentialgleichung (Ln) mt a0, . . . , an−1, b ∈ C0(I → K) besitzt zu An-fangsbedingungen y(ξ) = η = p0, y

′(ξ) = p1, . . . , y(n−1)(ξ) = pn−1 (ξ ∈ I) genau eine auf

ganz I definierte Losung y : I → K.

2. Die Losungsmenge von (Ln) bildet

• im homogenen Fall (b = 0) einen n-dimensionalen linearen Unterraum und

• im inhomogenen Fall (b 6= 0) einen n-dimensionalen affinen Unterraum im VektorraumCn(I → K).

Satz 3.2.2 Zerfallt bei einer Differentialgleichung∑n

k= aky(k) = 0 (mit an = 1, a0, . . . , an−1 ∈ K)das charakteristische Polynom

λ 7→ p(λ) =n∑

k=0

akλk = (λ− λ1)l1 · · · (λ− λr)lr

vollstandig in Linearfaktoren mit (paarweise verschiedenen) λi ∈ K und Vielfachheiten λi ∈ N(bei K = C stets der Fall), so bilden die Funktionen

x 7→ eλ1x, xeλ1x, . . . , xl1−1eλ1x; . . . , eλrx, . . . , xlr−1eλrx

ein Fundamentalsystem der Differentialgleichung.

Satz 4.1.1 (Stetige Abhangigkeit von Anfangswerten) Sei f : G ⊂ R×Rn → Rn, (x, y) 7→f(x, y) stetig und bezuglich y lokal L-beschrankt. Dann ist der Definitionsbereich

B := {(x, ξ, η) | (ξ, η) ∈ G, x ∈ I(ξ, η)}der charakteristischen Funktion (x; ξ, η) ∈ B 7→ y(x; ξ, η) ∈ Rn der Differentialgleichung y′ =f(x, y) offen in Rn+2 und y selbst stetig in B.

Satz 4.1.2 (Differenzierbarkeit nach Anfangswerten, n = 1) Sei f : G ⊂ R2 → R, (x, y) 7→f(x, y) stetig und nach y stetig differenzierbar. Dann ist die charakteristische Funktion (x, ξ, η) ∈B ⊂ R3 7→ y(x, ξ, η) ∈ R der Differentialgleichung y′ = f(x, y) in B (total) stetig differenzierbar(das heißt es existieren in B stetige partielle Ableitungen ∂xy, ∂ξy, ∂ηy). Weiter ist (bei festem(ξ, η) ∈ G) die Funktion x 7→ ∂ξy(x, ξ, η) Losung des homogenen linearen Anfangswertproblems

(4.2) z′ = ∂yf(x, y(x, ξ, η)

)· z, z(ξ) = −f(ξ, η)

und die Funktion x 7→ ∂ηy(x, ξ, η) Losung von

(4.3) z′ = ∂yf(x, y(x, ξ, η)

)· z, z(ξ) = 1

so dass auch die zweiten partiellen Ableitungen ∂x∂ξy, ∂x∂ηy existieren und in B stetig sind.

Satz 4.1.3 (Vollstandige Integrierbarkeit von Differentialgleichungen 1. Ordnung)Sei f : G ⊂ R2 → R, (x, y) 7→ f(x, y) stetig und stetig nach y differenzierbar. Dann besitzt dieDifferentialgleichung y′ = f(x, y) lokal eine C1-Stammfunktion, das heißt es existiert in jedemPunkt (x0, y0) eine offene Umgebung U ⊂ G und eine C1-Funktion (x, y) ∈ U 7→ F (x, y) ∈ R(mit ∂yF (x, y) 6= 0), so dass die Graphen der Losungen der Differentialgleichung in U gerade dieNiveaulinien F = const von F sind.

(Es gilt also in U : x 7→ y(x) ist Losung ⇐⇒ F(x, y(x)

)= const).

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Satz 4.1.4 (Differenzierbarkeit nach Anfangswerten, Vollversion n ≥ 1) Sei f : G ⊂ R×Rn, (x, y) 7→ f(x, y) stetig und stetig nach y (total) differenzierbar (das heißt es existieren partielleFunktionalmatrizen (x, y) ∈ G 7→ Dyf(x, y) = (∂y1f, . . . , ∂yn

f)(x, y) ∈ M(n, n, R) und sind in Gstetig).

Dann ist auch die charakteristische Funktion (x, ξ, η) ∈ B ⊂ Rn+2 7→ y(x, ξ, η) ∈ Rn derDifferentialgleichung y′ = f(x, y) in B (total) stetig differenzierbar (das heißt es existieren in Bstetige Ableitungen ∂xy, ∂ξy, Dηy = (∂η1y, . . . , ∂ηn

y)).Weiter ist bei festem (ξ, η) ∈ G x 7→ ∂ξy(x, ξ, η) Losung von

(4.7) z′ = Dyf(x, y(x, ξ, η)

)· z = A(x) · z, z(ξ) = −f(ξ, η)

sowie x 7→ Dηy(x, ξ, η) Losung von

(4.8) Z ′ = Dyf(x, y(x, ξ, η)

)· Z = A(x) · Z, Z(ξ) = E

so dass auch ∂x∂ξy und ∂xDηy existieren und in B stetig sind.

Satz 4.2.1 (Stetige Abhangigkeit von Anfangswerten und Parametern) Sei f : G×P ⊂R× Rn × Rm → R, (x, y, λ) 7→ f(x, y, λ) stetig und bezuglich y und λ lokal L-beschrankt.

Dann ist der Defintionsbereich B = {(x, ξ, η, λ) | (ξ, η) ∈ G, λ ∈ P, x ∈ I(ξ, η, λ)} der charak-teristischen Funktion (x, ξ, η, λ) ∈ B 7→ y(x, ξ, η, λ) ∈ Rn der Differentialgleichung y′ = f(x, y, λ)offen und selbst stetig in B.

Satz 4.2.2 (Differenzierbarkeit nach Anfangswerten und Parametern) Sei (x, y, λ) 7→f(x, y, λ) stetig und nach y und λ stetig differenzierbar.

Dann ist auch die Abbildung (x, ξ, η, λ) ∈ B 7→ y(x, ξ, η, λ) ∈ Rn in B (total) stetig differenzier-bar (das heißt es existieren in B stetige partielle Ableitungen ∂xy, ∂ξy, Dηy, Dλy). Weiter losen (beifestem (ξ, η, λ) ∈ G × P ) mit A(x) = Dyf

(x, y(x, ξ, η, λ), λ

)und B(x) = Dλf

(x, y(x, ξ, η, λ), λ

)die Abbildungen ∂ξy(· · · ), Dηy(· · · ), Dλy(· · · ) die linearen Anfangswertprobleme:

(∂ξy)′ = A(x)∂ξy, ∂ξy(ξ) = −f(ξ, η, λ)(1)(Dηy)′ = A(x)Dηy; ∂ηy(ξ) = E(2a)

(Dλy)′ = A(x)Dλy + B(x); Dλy(ξ) = 0(2b)

so dass auch ∂x∂ξy, ∂xDηy, DxDλy existieren und in B stetig sind.

Satz 4.2.3 Sei f : G × P → Rn, (x, y, λ) 7→ f(x, y, λ) Cr-differnzierbar (r ≥ 1). Dann ist auchdie charakteristische Funktion (x, ξ, η, λ) ∈ B 7→ y(x, ξ, η, λ) ∈ Rn der Differentialgleichung y′ =f(x, y, λ) (nach allen Argumenten) Cr-differenzierbar.

Satz 5.1.1 Sei t ∈ Imax 7→ y(t) ∈ Rn eine maximal fortgesetzte Losung des Systems y = f(y) mitf : G ⊂ Rn → Rn L-stetig. Dann liegt genau einer der drei folgenden Falle vor:

1. Die Funktion y ist konstant mit Imax = R, ihre Spur ist ein Einzelpunkt.

2. Die Funktion y ist (nichtkonstant) periodisch mit Imax = R. Ihre Spur ist eine geschlosseneKurve

3. Die Funktion y ist injektiv, ihre Spur ist eine doppelpunktfreie Kurve.

Satz 5.2.1 Fur den kritischen Nullpunkt einer autonomen linearen Differentialgleichung y = Aygilt:

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84 ANHANG B. ALLE SATZE IM UBERBLICK

1. Er ist genau dann asymptotisch stabil, wenn alle Eigenwerte von A (echt) negative Realteilebesitzen.

2. Er ist genau dann stabil, wenn alle Eigenwerte Realteile ≤ 0 besitzen und fur jeden Eigenwertmit Realteil 0 gilt: Die geometrische Vielfachheit ist gleich der algebraischen.

Satz 5.3.1 (Stabilitatskriterium von Ljapunov) Sei η ein kritischer Punkt von y = f(y) mitf L-stetig auf G ⊂ Rn. Dann gilt:

1. Wenn in einer Umgebung U von η eine Ljapunov-Funktion fur η existiert, so ist η stabil.

2. Wenn sogar eine strenge Ljapunov-Funktion fur η in einer Umgebung U von η existiert, soist η asymptotisch stabil.

Satz 5.3.3 Sei η ein kritischer Punkt des autonomen Systems y = f(y) mit f ∈ C1(G). Besitztdann die Funktionalmatrix Df(η) nur Eigenwerte mit <λ < 0, so ist η asymptotisch stabil.

Satz 6.0.4 Die Differentialgleichung (PD) mit f ∈ C1(G) ist genau dann vollstandig integrierbar(das heißt durch jeden Punkt (x0, y0) ∈ G verlauft eine lokale C2-Losung y : U ⊂ Rp → Rn), wenndie Integrabilitatsbedingungen (IB) in G erfullt sind. Diese Losungen sind eindeutig bestimmt.

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Anhang C

My definitions are this

Definition 1.1 Eine Differentialgleichung (1.10) [beziehungsweise die dazugehorige Differential-form ω] heißt exakt, falls eine C1-Stammfunktion F : G→ R mit

gradF =(

f

g

)beziehungsweise dF = ω

existiert.

Definition 2.1 Sei (x, y) ∈ D ⊂ R× Rn 7→ f(x, y) ∈ Rn vorgegeben.

1. Die Funktion f erfullt auf D eine (globale) Lipschitzbedingung bezuglich y (ist bezuglich yglobal L-beschrankt), wenn eine sogenannte Lipschitzkonstante L ≥ 0 existiert mit

∀(x,y)∈D ∀(x,y) |f(x, y)− f(x, y)| ≤ L|y − y|.

2. Die Funktion f erfullt auf D eine lokale L-Bedingung bezuglich y (ist bezuglich y L-stetigoder bezuglich y lokal L-beschrankt), wenn jeder Punkt aus D eine Umgebung U besitzt, sodass f

∣∣U∩D

eine globale L-Bedingung bezuglich y erfullt.

Definition 2.2 Ein normierter Raum (X, | · |) (also ein Vektorraum, versehen mit einer Norm| · |) heißt vollstandig oder Banachraum, wenn in ihm jede Cauchy-Folge (xk ∈ X)k∈N (das heißt∀ε>0 ∃n∈N ∀k,l≥n |xk − xl| < ε) gegen einen Punkt x ∈ X konvergiert.

Definition 2.3 Die nach Satz 2.3.1 auf der Menge B = {(x, ξ, η) ∈ Rn+2 | (ξ, η) ∈ G, x ∈ I(ξ, η)}definierte Abbildung (x, ξ, η) ∈ B 7→ y(x, ξ, η) ∈ Rn heißt allgemeine Losung oder charakteristischeFunktion der Differentialgleichung y′ = f(x, y).

Definition 3.1 Sei y′ = A(x)y eine homogenes lineares System mit A ∈ C0(I).

1. Eine (Integral-)Basis (y1, . . . , yn) des Losungsraums heißt auch ein Fundamentalsystem(oder Hauptsystem).

2. Ordnet man n beliebige Losungen y1, . . . , yn des Systems spaltenweise zu einer (n×n)-Matrix

Y = (y1, . . . , yn) =

y11 · · · y1n

......

yn1 · · · ynn

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86 ANHANG C. MY DEFINITIONS ARE THIS

(dabei bezeichnet der 1. Index (Zeile) die Komponente und der 2. Index (Spalte) die Nummerder Losung) an, so nennt man Y auch eine Wronski-Matrix mit zugehoriger Wronski-Determinante

W := det Y : I → K.

3. Falls (y1, . . . , yn) ein Fundamentalsystem ist, so heißt die Wronski-Matrix Y = (y1, . . . , yn)auch eine Fundamentalmatrix des Systems.

Definition 5.1 Sei y = f(y) ein autonomes System mit einer auf einem Gebiet G ⊂ Rn L-stetigerFunktion f .

1. Ein kritischer Punkt η ∈ G heißt stabil, falls es zu jedem ε > 0 ein δ > 0 gibt mit derEigenschaft:

Jede Losung t 7→ y(t) der Differentialgleichung mit |y(0)− η| < δ ist fur alle t ≥ 0 definiertund es gilt: ∀t≥0 |y(t)− η| < ε.

2. Ein kritischer Punkt η ∈ G heißt attraktiv, falls es ein δ > 0 gibt mit der Eigenschaft:

Jede Losung t 7→ y(t) der Differentialgleichung mit |y(0)− η| < δ ist fur alle t ≥ 0 definiertund es gilt: limt→∞ y(t) = η.

3. Ein kritischer Punkt heißt asymptotisch stabil, wenn er stabil und attraktiv ist.

4. Ein Punkt heißt instabil, wenn er nicht stabil ist.

Definition 5.2 Sei y ein kritischer Punkt des autonomen Systems y = f(y) mit f L-stetig aufdem Gebiet G.

Eine C1-Funktion E : U ⊂ G→ R auf einer Umgebung U von η heißt eine Ljapunov-Funktionfur η, wenn gilt:

(1) E(η) = 0, ∀y 6= η : E(y) > 0,

(2) ∀y∈U [E(y) =]dfE(y) = 〈gradE(y), f(y)〉 ≤ 0.

Sie heißt eine strenge Ljapunov-Funktion fur η, wenn statt (2) verscharfend gilt

(2′) ∀y 6=η dfE(y) = 〈gradE(y), f(y)〉 < 0.

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Literaturverzeichnis

[1] Bernd Aulbach. Gewohnliche Differentialgleichungen. Spektrum, 1997.

[2] Wolfgang Walter. Gewohnliche Differentialgleichungen. Springer, 1996.

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88 LITERATURVERZEICHNIS

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Anhang D

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her and author. The publisher and author’s names shall appear on all outer surfaces of the book.On all outer surfaces of the book the original publisher’s name shall be as large as the title of thework and cited as possessive with respect to the title.

II. COPYRIGHT

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90 ANHANG D. OPEN PUBLICATION LICENSE

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