Söllner Burn-out Krankheit oder Modediagnose · bronchiale, Allergien, Ulcus pepticum, Diabetes...

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19.12.2012 1 Wolfgang Söllner Klinik für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie Klinikum Nürnberg Burnout: Krankheit oder Modediagnose? Fortbildungstagung der BLÄK, Nürnberg 2012 W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg Inhalt 1. Definition 2. Phänomenologie (Symptome) 3. Risikofaktoren und Schutzfaktoren 4. Differentialdiagnose Burnout und Depression 5. Schlussfolgerungen

Transcript of Söllner Burn-out Krankheit oder Modediagnose · bronchiale, Allergien, Ulcus pepticum, Diabetes...

19.12.2012

1

Wolfgang SöllnerKlinik für Psychosomatische Medizin & PsychotherapieKlinikum Nürnberg

Burnout: Krankheit oder Modediagnose?

Fortbildungstagung der BLÄK, Nürnberg 2012

W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg

Inhalt

1. Definition

2. Phänomenologie (Symptome)

3. Risikofaktoren und Schutzfaktoren

4. Differentialdiagnose

� Burnout und Depression

5. Schlussfolgerungen

19.12.2012

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1 Definition

� Shakespeare

� Graham Greene(1960): A Burnt-Out

Case

� verwendet den Begriff des „Ausbrennens“ für Zustände der psychischen Erschöpfung sowie die dazu führenden Prozesse.

� Er charakterisierte damit den Lebensweg eines gefeierten Architekten, der vor seinem Erfolg in den Kongo flüchtet und dort stirbt.

� Freudenberger(1974): Staff burnout:

The high cost of high

achievement.

� beschreibt lang andauernde Erschöpfungszustände und zunehmende Empfindungen der Unzulänglichkeit im Berufsalltag bei Mitarbeitern

einer Suchtklinik .

W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg

Burn-out ist ein kumulativer Prozess der zum Verlust körperlicher und mentaler Energie, zu emotionaler Erschöpfung und Rückzug führt (Maslach 1982: Burnout - The Cost of Caring).

1 Definition

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W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg

Burnout ist ein schleichend verlaufender psychischer und physischer Abbauprozess von engagierten IdealistInnen zu erschöpften, resignierten und deprimierten Wesen (Redmann 1996).

1 Definition

Eustress

Distress

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Symptomentrias

1. Emotionale Erschöpfung

� Ich fühle mich am Ende des Arbeitstages verbraucht.

� Den ganzen Tag mit Menschen zu arbeiten strengt mich an.

2. Geringe berufliche Erfüllung, Verlust des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten

� Ich habe kaum lohnende Ziele bei meiner Arbeit erreicht.

� Mir fällt es schwer, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen.

3. Depersonalisation

� Ich befürchte, dass mich meine Arbeit weniger mitfühlend macht .

� Ich nehme an mir zunehmend eine abweisende oder gar zynische Einstellung wahr.

Maslach & Jackson 1981

2 Symptome

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Körperliche Symptome

� Müdigkeit, Erschöpfung

� Schlafstörungen

� Befindlichkeitsstörungen (sog. funktionelle Beschwerden): Muskelschwäche, Magen-Darm-Beschwerden, Überempfindlichkeit gegenüber Lärm und Licht

� Rezidivierende/chronische Schmerzen: Bewegungsapparat, Kopfschmerzen

� Tinnitus

� Häufige virale Infekte

Psychische Symptome

� Stimmungsveränderung: Reizbarkeit, Depression

� Störungen der Konzentration und Merkfähigkeit, Vergeßlichkeit

� Mangelnde Selbsteffizienz

� Selbstwertprobleme

� Missbrauch/Sucht: Alkohol, Nikotin, Beruhigungsmitteln, Schlafmitteln, Cannabis,...

2 Symptome

W. Söllner, Psychosomatik Nürnberg

Burn-out Stadien

Phase 1: Aktivität und

Aggression

1 - Zwang, sich zu beweisen

2 - Verstärkter Einsatz

3 – Aggressives Herangehen an Aufgaben, häufig Ärger

4 - Vernachlässigung eigener Bedürfnisse

5 - Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen

6 - Verleugnung der Probleme

Phase 2: Flucht und Rückzug

7 - Getriebensein, Furcht vor Scheitern, Erschöpfung

8 - Rückzug, reduziertes Engagement

9 - Beziehungen werden auf Mindestmaß reduziert (Depersonalisation)

Phase 3: Isolation und Passivität

10 - Innere Leere und Lähmung

11 - ev. Zynismus

12 - Depression, psychosomatische Beschwerden

13 - Völliges Burn-out

Freudenberger et al. 1994; Bergner 2007

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5 Folgen von Burnout

Persönlich

� körperliche Erschöpfung (Schlafstörung, virale Infekte)

� psychische Erschöpfung (Angststörungen, Depression)

� Missbrauch von Medikamenten, Genussmitteln und Drogen

� Partner- und Familienkonflikte (Scheidungsrate +20%)

Arbeitsbezogen

� mehr Krankenstand

� geringere Motivation

� sinkende Klienten-/ Patientenorientierung

� mehr Fehler, schlechtere Qualität der Arbeit

� geringe Zufriedenheit am Arbeitsplatz

� mehr Fluktuation

4 Ätiologische Faktorennach wissenschaftlichen Ansätzen

Dr. Martina Zaindl,

Klinik für Psychosomatik

Arbeitsbedingungen

und Institutionen

Gesellschaftliche

Bedingungen

zwischen-menschlicher

Kontakt am

Arbeitsplatz

Burnout

Individuelle Bedingungen

Persönlichkeit, life events,

Ressourcen

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4 Ätiologie: Risikofaktormodellnach wissenschaftlichen Ansätzen

Risikofaktoren Schutzfaktoren

arbeitsbezogengesellschaftlich/sozial

individuell

Risikofaktoren

Sozial:

� Jüngeres Alter

� Frauen (Mehrfachbelastung)

� Finanzielle Probleme

� Wenig Unterstützung aus sozialem Netz

II: Gesellschaftlich

Veränderung der

Arbeitswelt

(Globalisierung)

� Arbeitsverdichtung

� Multitasking

� Heimarbeit

� Erzwungene Mobilität

� Entfremdung

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Risikofaktoren

III. Individuell

� zusätzlich Belastungen außerhalb der Arbeit

� wenig Stressresistenz/ Stressbewältigungs-kompetenz

� Perfektionismus

� Selbstwertproblem (Abhängigkeit von Anerkennung)

� Unbewältigte Verluste und Traumata

11% 4%

21%64%

Bindungsrepräsentation, N=61

Sicher

Verwickelt

Vermeidend

Unverarbeiteter Verlust/Trauma

� Depression

� Chronic Fatigue Syndrom

� Somatoforme Störung

� Schlafstörung

� Abhängigkeitserkrankung

� Körperliche Erkrankungen, die mit Müdigkeit und Erschöpfung einhergehen (Anämie, konsumierende Erkrankung, endokrinologische Störungen, immunologische Störungen)

� Nebenwirkungen von Medikamenten

5 Differentialdiagnose

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�Burnout = Depression?

�Welches ätiologische Verständnis der Depression liegt dem zugrunde?

�Geht Burnout in Depression über?

�Ist Burnout eine Sonderform der Depression?

�Führt die Verwendung des Begriffs Burnout zur weiteren Stigmatisierung psychisch Kranker?

Burnout und Depression

Körperliche Symptome

� Müdigkeit, Erschöpfung

� Schlafstörungen

� Befindlichkeitsstörungen (sog. funktionelle Beschwerden): Muskelschwäche, Magen-Darm-Beschwerden, Überempfindlichkeit gegenüber Lärm und Licht

� Rezidivierende/chronische Schmerzen: Bewegungsapparat, Kopfschmerzen

� Tinnitus

� Häufige virale Infekte

Psychische Symptome

� Stimmungsveränderung: Reizbarkeit, Depression

� Störungen der Konzentration und Merkfähigkeit, Vergeßlichkeit

� Mangelnde Selbsteffizienz

� Selbstwertprobleme

� Missbrauch/Sucht: Alkohol, Nikotin, Beruhigungsmitteln, Schlafmitteln, Cannabis,...

Burnout und Depression

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Unipolare Depression

� Phänomenologisches Konzept (DSM/ICD)

� Beschreibt Zustand

� Multifaktoriell

� Meist früherer Erkrankungsbeginn (50% vor 31. Lj., Jacobi et al. 2004)

� Häufiger komorbide psychische Störungen (Persönlichkeitsstörungen bei 41 bis 81%; Hirschfeld, 1999)

� Erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Migräne, Asthma bronchiale, Allergien, Ulcus pepticum, Diabetes mellitus und Infektionserkrankungen

Burnout

� Ätiologisches Konzept

� Beschreibt eher einen Prozess

� Multifaktoriell

� Manchmal ohne Leitsymptome der Depression, körperliche Beschwerden im Vordergrund

� Depression häufig Endzustand des burnout

� Erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

� Häufig sind antidepressive Medikamente wenig wirksam (Kasper 2011)

Burnout und Depression

Ist Burnout eine Krankheit?Welches ätiologische Verständnis der Depression?

� Biologistisches Modell

� Depression als rein biologische Erkrankung (genetische Faktoren, Stoffwechselerkrankung des Gehirns)

� Bio-psycho-soziales Modell

� Vulnerabilitäts-Stress-Modell

� Komplexe Interaktion zwischen genetischer Disposition, frühkindlichenErfahrungen, somatischen Erkrankungen und psychosozialen Faktoren (Armut, Verwitwung, Vereinsamung, gesellschaftlicher Statusverlust, chronisch unbewältigter Distress)

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Risikofaktoren

für Depression

� Zunehmendes Alter

� Weibl. Geschlecht

� Einsamkeit

� keine vertrauensvolle Beziehung

� Getrennte, Geschiedene und Verwitwete: 22,6 vs. 9,8% 12-Mo-Prävalenz (Jacobi ea. 2004)

� Geringe Bildung, niedrige soziale Schicht

� Unsichere Arbeit, Arbeitslosigkeit

� Stadtbevölkerung

für Burnout

� Jüngeres Alter

� Weibl. Geschlecht

� Arbeitsplatzfaktoren(Überlange/schlecht planbare Arbeitszeit, Schichtarbeit, wenig Einfluss auf Arbeitsabläufe, Rollenunklarheit, wenig Anerkennung, wenig Unterstützung)

� zusätzlich Belastungen außerhalb der Arbeit

� wenig Stressresistenz/ Stressbewältigungskompetenz

Geht Burnout in Depression über?

� Eine finnische Studie gibt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Depression bei zunehmendem Burn-out mit 50 % an

[Ahola et al. J Affect Disord 2005; 88: 55–62.].

� Eine schwere Form des Burn-out-Syndroms unddas Vollbild einer Depression können klinisch nicht differenziert werden

[Awa et al. Patient Educ Couns 2010; 243: 184–90].

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Ist Burnout eine Sonderform der Depression?

Persönlichkeitseigenschaften

� Perfektionismus, Zwanghaftigkeit

� Überempfindlichkeit gegenüber interpersonellen Zurückweisungen

� Vorherrschende Selbstwertproblematik

� Eigene Stichprobe: führende Konfliktmuster auf OPD-Konfliktachse:� Selbstwertkonflikt (58%)

� Konflikt Unterwerfung vs. Kontrolle

Entspricht Studien zur Beschreibung von Subtypen der Depression:

� Zwanghafte Depression

� Narzisstische (oder hostile) Depression

(Parker & Roy 2002,

Dunkley 2006, Schüßler 2006, Tembler & Schüßler 2009)

Führt die Verwendung des Begriffs Burnout zur Stigmatisierung psychisch Kranker?

� Medien würden dazuneigen, sozial schwächeren Patientendie Diagnose Depression zuzuweisen, während „Leitfiguren“ bei entsprechender Symptomatik angeblich unter dem Burn-out-Syndrom leiden.

� Durch die oft nicht einmal expliziteCharakterisierung des Burn-out-Syndroms als „Krankheit der Starken“ erfolge eine zusätzliche Stigmatisierung der„Schwachen“ und damit auch der Erkrankung Depression insgesamt

[Berger et al. Positionspapier der DGPPN zum Thema

Burnout].

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� Kritik z. T. berechtigt.

� Andererseits ermöglicht es der Begriff Burnout vielen Patienten, sich in eine Psychotherapie zu begeben und über Ihre Erkrankung zu sprechen. Also entstigmatisiert er auch.

� Mehr Männer in mittlerem Lebensalter in psychosomatische Behandlung! 0

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Allg.

Psychosomatik

Burnout

Klinische psychosomatische

Behandlung 2011 Nürnberg

Frauen

Männer

Führt die Verwendung des Begriffs Burnout zur Stigmatisierung psychisch Kranker?

Diagnose: Schlussfolgerungen für die Praxis

� Burnout ist nicht gleich Depression, führt aber bei starker Ausprägung häufig zu einer Depression.

� Burnout ist die Beschreibung eines Prozesses, Depression die Beschreibung eines Zustands.

� Burnout kann sich auch phänomenologisch als eine andere psychische Störung präsentieren.

� Erstdiagnose nach ICD-10 (Depression, Anpassungsstörung, somatoforme Störung, Abhängigkeitserkrankung etc.); Zusatzdiagnose

Burnout (Z73.0)

� Der Begriff Burnout ist sinnvoll, weil er zu Konsequenzen für die Therapie und Prophylaxe führt.

� Er wird jedoch zu undifferenziert und beliebig gebraucht.

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit

Ich wollte, man finge damit an, sich selbst zu achten: Alles andere folgt daraus.

Friedrich Nietzsche