Slowenische Maler und München - zeitenblicke · nun an die Stelle des fleißigen Handwerkers, wie...

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zeitenblicke 5 (2006), Nr. 2 Donovan Pavlinec Slowenische Maler und München München war im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts für die Künstler aus Slowenien eines der wichtigsten Kulturzentren, in dem sie durch das Studium beziehungsweise durch die großen Kunstausstellungen die neuesten Kunstrichtungen und die fortschrittlichen, avantgardistischen Ideen kennen lernen konnten. Die jüngere Generation der Realisten gab bei der Wahl ihres Studienortes München den entscheidenden Vorrang vor den Akademien in Venedig, Rom, Prag und Wien. So kamen in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts Ferdo Vesel, Jožef Petkovšek, Anton Ažbe und die Malerin Ivana Kobilca nach München, da die dem Realismus verpflichtete Akademie ihren schöpferischen Vorstellungen entsprach. Die wichtigste Persönlichkeit unter ihnen war Anton Ažbe, der Gründer und Leiter der nach ihm benannten Schule, die vierzehn Jahre lang verschiedene Studenten vor allem aus den slawischen Ländern anzog, unter ihnen auch bedeutende Maler wie Kandinsky, Jawlensky, Hofmann und die sogenannten Slowenischen Impressionisten. Rihard Jakopic, Matija Jama, Ivan Grohar und Matej Sternen lernten sich erst in der Ažbe-Schule kennen und kamen durch Ausstellungen impressionistischer Kunst in München und Wien mit der für sie entscheidenden Kunstrichtung in Kontakt. <1> "Es lebte ein Mensch in der Fremde, und diese Fremde hat ihn vergiftet. Sie gab ihm von allem genug, ja zuviel, nur Ruhe gab sie ihm nicht […]." 1 So schilderte Ivan Cankar, der führende slowenische Schriftsteller in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, das tragische Leben oder, anders gesagt, das künstlerische Suchen des Malers Jožef Petkovšek im Ausland. Diese schöpferische Unruhe stiftende Fremde war aber unbedingt nötig für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der slowenischen Kunst beziehungsweise für einen Aufschwung des slowenischen Kunstschaffens, denn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hielt Slowenien – damals ein Teil der Habsburger Monarchie – auf dem Gebiet der Malerei mit dem Geschehen in Europa nur teilweise mit und blieb weit hinter dem Niveau der bedeutendsten europäischen Meister dieser Zeit. 2 Zwar studierten einige Maler an den Akademien in Wien, Rom oder Venedig, aber ihr Schaffen ging meist nicht wirklich über ein handwerkliches Bemühen hinaus. Neben den im Ausland ausgebildeten Künstlern arbeiteten noch Maler aus ländlichen Werkstätten, vor allem für die Kirche, die im Grunde Handwerker ohne ein besonderes Kunstverständnis waren und stilistisch noch meist unter dem Einfluss barocker Überlieferung standen – und Slowenien bot ihnen ein sehr anspruchsloses Milieu dafür. Der wichtigste Auftraggeber war das Bürgertum, wobei die Maler sich seinen noch sehr bescheidenen Wünschen anpassen mussten. Gefragt waren typische Porträts, die den vorherrschenden Schemata des Biedermeiers entsprachen, oder – allerdings seltener – schlichtere Landschaftsbilder, die in Wirklichkeit mehr topographische, auf naturgetreue Wiedergabe ausgerichtete Studien als vollblütige romantische Naturszenen waren. Öffentliche Aufträge gab es fast keine, weil außer der Kirche keine Institutionen im Land existierten, die dafür Sorge getragen hätten. 1 Cankar 1973, 143. 2 Wichtige Übersichtsliteratur über die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts: Cankar 1954; Stopar 1998; Komelj 1999; Jaki 2000.

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zeitenblicke 5 (2006), Nr. 2

Donovan Pavlinec

Slowenische Maler und München

München war im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts für die Künstler aus Slowenien eines der wichtigsten Kulturzentren, in dem sie durch das Studium beziehungsweise durch die großen Kunstausstellungen die neuesten Kunstrichtungen und die fortschrittlichen, avantgardistischen Ideen kennen lernen konnten. Die jüngere Generation der Realisten gab bei der Wahl ihres Studienortes München den entscheidenden Vorrang vor den Akademien in Venedig, Rom, Prag und Wien. So kamen in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts Ferdo Vesel, Jožef Petkovšek, Anton Ažbe und die Malerin Ivana Kobilca nach München, da die dem Realismus verpflichtete Akademie ihren schöpferischen Vorstellungen entsprach. Die wichtigste Persönlichkeit unter ihnen war Anton Ažbe, der Gründer und Leiter der nach ihm benannten Schule, die vierzehn Jahre lang verschiedene Studenten vor allem aus den slawischen Ländern anzog, unter ihnen auch bedeutende Maler wie Kandinsky, Jawlensky, Hofmann und die sogenannten Slowenischen Impressionisten. Rihard Jakopic, Matija Jama, Ivan Grohar und Matej Sternen lernten sich erst in der Ažbe-Schule kennen und kamen durch Ausstellungen impressionistischer Kunst in München und Wien mit der für sie entscheidenden Kunstrichtung in Kontakt.

<1> "Es lebte ein Mensch in der Fremde, und diese Fremde hat ihn vergiftet. Sie gab ihm von allem genug, ja zuviel, nur Ruhe gab sie ihm nicht […]."1 So schilderte Ivan Cankar, der führende slowenische Schriftsteller in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg, das tragische Leben oder, anders gesagt, das künstlerische Suchen des Malers Jožef Petkovšek im Ausland. Diese schöpferische Unruhe stiftende Fremde war aber unbedingt nötig für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der slowenischen Kunst beziehungsweise für einen Aufschwung des slowenischen Kunstschaffens, denn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hielt Slowenien – damals ein Teil der Habsburger Monarchie – auf dem Gebiet der Malerei mit dem Geschehen in Europa nur teilweise mit und blieb weit hinter dem Niveau der bedeutendsten europäischen Meister dieser Zeit.2 Zwar studierten einige Maler an den Akademien in Wien, Rom oder Venedig, aber ihr Schaffen ging meist nicht wirklich über ein handwerkliches Bemühen hinaus. Neben den im Ausland ausgebildeten Künstlern arbeiteten noch Maler aus ländlichen Werkstätten, vor allem für die Kirche, die im Grunde Handwerker ohne ein besonderes Kunstverständnis waren und stilistisch noch meist unter dem Einfluss barocker Überlieferung standen – und Slowenien bot ihnen ein sehr anspruchsloses Milieu dafür. Der wichtigste Auftraggeber war das Bürgertum, wobei die Maler sich seinen noch sehr bescheidenen Wünschen anpassen mussten. Gefragt waren typische Porträts, die den vorherrschenden Schemata des Biedermeiers entsprachen, oder – allerdings seltener – schlichtere Landschaftsbilder, die in Wirklichkeit mehr topographische, auf naturgetreue Wiedergabe ausgerichtete Studien als vollblütige romantische Naturszenen waren. Öffentliche Aufträge gab es fast keine, weil außer der Kirche keine Institutionen im Land existierten, die dafür Sorge getragen hätten.

1 Cankar 1973, 143. 2 Wichtige Übersichtsliteratur über die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts: Cankar 1954; Stopar 1998; Komelj 1999; Jaki 2000.

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<2> Dieser Mangel an Aufträgen, der in engem Zusammenhang mit der bescheidenen Wirtschaftsentwicklung stand, kennzeichnet das ganze 19. Jahrhundert. Noch 1902 schrieb der Maler Ivan Franke, für die Aufträge im gesamten Krainer Land würde ein einziger Maler genügen. Die heutige Hauptstadt Laibach (Ljubljana, Abb. 1) zum Beispiel hatte Anfang des 19. Jahrhunderts nur etwa 10.000 Bewohner3 – das erklärt, warum einige begabte Künstler, anstatt sich nach dem Studium in der Landeshauptstadt niederzulassen, Wien den Vorzug gaben. Der in seinen Landschaften noch der barocken Tradition treu gebliebene Maler Lovro Janša (1749-1812) und der dem Neoklassizismus verpflichtete Franc Kavcic (Caucig; 1762-1828) blieben als Professoren in der kaiserlichen Hauptstadt, letzterer wurde sogar Rektor der Wiener Kunstakademie.

Abb. 1

<3> So konnte sich die bildende Kunst nicht weiterentwickeln, sie war gelähmt. Es fehlte an der erforderlichen Infrastruktur, es gab keine richtigen Malschulen, nur einige Werkstätten. Der Kunstmarkt hatte sich nicht entwickelt, es fanden nur wenige Ausstellungen statt, und es gab auch keine richtigen Ausstellungsräume – die Maler stellten ihre Gemälde meistens in Schaufensterläden aus. Alle diese Mängel verhinderten, dass sich eine große künstlerische Persönlichkeit, ein romantisches Genie der Malerei entfalten konnte, wie etwa in der Literatur der Dichter France Prešeren. Für junge Maler war die Fremde also die einzige Möglichkeit, die einheimische Kunst auf ein höheres Niveau zu bringen beziehungsweise aus einer schlichten und sich selbst genügenden Biedermeierproduktion eine moderne, zeitgemäße Kunst entstehen zu lassen und sich dabei persönlich von einer handwerklichen Ebene zu lösen und zu richtigen Künstlern zu werden. Diese Beziehung zur 'giftigen' Fremde hat den unglücklichen, unverstandenen und unruhig getriebenen Künstler mit seinen unerfüllten Träumen geboren, der nun an die Stelle des fleißigen Handwerkers, wie man ihn von früher her kannte, trat. Dieser Wandel hatte zur Folge, dass die Künstler dieser neuen, in der Fremde studierenden Generation und Vertreter der realistischen Strömung zu Fremden im eigenen Land wurden, denn die bürgerliche Auftraggeberschaft konnte eine derartige radikale Veränderung der Kunst nicht problemlos akzeptieren.

<4> In der Entstehungsgeschichte der modernen slowenischen Kunst, wenn wir damit jene Richtung meinen, die ihren Ausgangspunkt in der realistischen Strömung hatte, spielte München eine entscheidende Rolle, obwohl die Künstler die Möglichkeit hatten, zwischen den Akademien in Venedig, Rom, Prag, Wien und München zu wählen. Wien und die dortige Akademie fungierte bei fast allen Malern als erste Wahl, wohl weil sie ihre damalige Hauptstadt besser kannten und Wien zweifelsohne für alle slowenischen Gebildeten das ganze 19. Jahrhundert hindurch ein intellektuelles Zuhause bedeutete; nicht zuletzt hatten sie auch die oben genannten Vorbilder,

3 1788 hatte Ljubljana 10.047 und 1846 18.583 Einwohner. Siehe Žontar 1984, 162, 172.

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die selbst Professoren an der Akademie geworden waren, und andere Maler der ersten Hälfte des Jahrhunderts vor Augen. Die Wiener Akademie war in den 1880er-Jahren mit ihren eher konservativen Professoren und schon längst überholten Lehrmethoden jedoch dem Traditionalismus verpflichtet und so für junge Künstler kaum noch interessant. München dagegen entwickelte sich im 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem hoch bedeutenden Kulturzentrum, einer auch auf dem Gebiet der bildenden Künste sehr dynamischen Stadt, wo auch an der Akademie ein viel freieres Klima herrschte. Außer der Akademie gab es auch viele private Malschulen, die vielleicht noch wichtiger waren als die Akademie selbst, da viele Maler statt der Akademie private Ateliers besuchten, manche sogar beides. Durch das Studium und durch große Kunstausstellungen konnten die Maler die neuesten Kunstrichtungen und fortschrittliche, später auch avantgardistische Ideen kennen lernen. In dieser Hinsicht wurde die bayerische Hauptstadt zu einer Zwischenstation auf dem Weg nach Paris, wohin es die Kühnsten unter ihnen zog und wo sie auch anlangten.

<5> Nachdem sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kein Maler aus Slowenien für die Münchner Akademie entschieden hatte, besuchte im Jahre 1846 der junge, in die Alpenlandschaft verliebte Kärntner Slowene Marko Pernhart (1824-1871) die Stadt. Er interessierte sich jedoch nicht für die zeitgenössische Kunst, sondern für die niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts und für die damals schon älteren Münchner Meister aus der Zeit der Neuanfänge beziehungsweise der Erneuerung der Münchner Malerei4 wie Johann Georg von Dillis, Max Joseph Wagenbauer und Carl Rottmann5, die er drei Jahre später, als er wieder nach München kam, nochmals studierte. Ähnliches Interesse zeigte auch der erste über Wien nach München gelangte Maler Anton Karinger (1829-1870), der bei den bescheidenen Einwohnern von Laibach (Ljubljana) des 19. Jahrhunderts später als Autor romantischer Landschaften und bürgerlicher Porträts angesehen war.6 Nach zwei Jahren an der Wiener Akademie bei Franz Steinfeld kam er im Jahre 1847 nach München, und obwohl er die Stadt im Juli des darauf folgenden Jahres wegen politischer Unruhen verlassen musste, ohne seine formale Ausbildung abgeschlossen zu haben, liegt es auf der Hand, dass München für sein Schaffen zwar nicht entscheidend war, es aber sichtlich mitgeprägt hat.

<6> Schon die wenigen noch erhaltenen Werke Karingers aus seiner Studienzeit machen deutlich, wie rasch sich der Charakter seiner zunächst noch unter dem Einfluss des graphischen Stils von Steinfeld stehenden Wiener Arbeiten veränderte, wie an die Stelle feiner, präziser zeichnerischer Qualitäten, die an der Wiener Akademie im Vordergrund standen, eine weiche Modellierung und malerische Bearbeitung traten. Obwohl Karinger in München an der Akademie Porträtmalerei und bei Albert Kirchner Architekturmalerei studierte, interessierte er sich auch für die dortige Landschaftsmalerei. So folgen etwa seine lavierten Sepiazeichnungen (Abb. 2) und Aquarelle in der Motivauswahl und Gestaltung den Aquarellen Georg von Dillis’.7 Seine Landschaftsbilder blieben auch später lebhafter, malerisch freier, sie wirken spontan und sind im Vergleich zum Wiener Biedermeier topographisch weniger exakt, was die Einwirkung Münchens spüren lässt.

4 Nach Ludwig 1978, 10. 5 Jaki 1993, 5. 6 Die wichtigste Literatur über Karinger: Vrhunc & Zupan 1984. 7 Zum Vergleich siehe Zweite 1979, Kat.-Nr. 79, 82.

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Abb. 2

<7> In Münchens Museen, wie zum Beispiel der Alten Pinakothek, lernte Karinger auch die ältere, niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts kennen, die mit ihren wilden Berglandschaften und Wasserfällen einen großen Einfluss auf seine Landschaften, wie etwa den ‚Bergwildbach’ (1862, Abb. 3), ausübte. Es reicht jedoch nicht aus, die Anregung für solche dramatische Darstellungen nur bei Jacob van Ruisdael oder vor allem Allaert van Everdingen zu suchen, denn auch die einheimischen Romantiker wie Dillis – urteilt man nach seinen Kopien der Holländer8 – interessierten sich für ihre Malerei. Als ein wichtiges "Verbindungsglied zwischen den niederländischen Reminiszenzen und den aufkeimenden realistischen Bestrebungen in München"9 kommt auch Christian Ezdorf (1801-1851) in Frage, der die Niederländer studiert und das Thema in München eingeführt hat, so dass Wildbäche und Wasserfälle dort bereits um 1840 zu einem gängigen Motiv geworden waren (Abb. 4).

Abb. 3

8 Siehe Johann Georg von Dillis 1991, 306-311. 9 Wichmann 1996, 145, Anm. 1 bzw. 284.

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Abb. 4

<8> Bei der Erörterung der Beziehungen Karingers zu München ist noch zu erwähnen, dass er als Mitglied des Österreichischen Kunstvereins in Wien (gegründet 1850) seit 1863 als Hauptorganisator von Vereinsausstellungen in der Filiale Laibach (Ljubljana) wirkte. In diesen Ausstellungen waren auch Münchner Maler vertreten – zwar keine Vertreter der fortschrittlichen realistischen Pleinairmalerei, aber spätromantische Landschaftsmaler wie Albert Zimmermann und Adalbert Waagen sowie Carl Ebert, einer der fortschrittlichen 'Münchener Franzosen' – zu diesen gesellte sich noch Eberts ehemaliger Professor der Architekturmalerei Albert Kirchner.10 Die eventuelle Wirkung dieser Ausstellungen auf die einheimische Kunstszene wurde bis jetzt noch nicht untersucht, es liegt jedoch nahe anzunehmen, dass sie das Kulturgeschehen in Laibach (Ljubljana) zumindest bereichert haben.

<9> Erst die jüngere Generation der slowenischen Realisten gab bei der Wahl ihres Studienortes München den entscheidenden Vorzug. So gelangten in den 1880er-Jahren Ferdo Vesel, Jožef Petkovšek, Anton Ažbe und die Malerin Ivana Kobilca in die bayerische Hauptstadt, denen der dem Realismus verpflichtete Schöpfergeist der dortigen Akademie entgegenkam.

<10> Von allen slowenischen Malern, die nach München kamen, war Anton Ažbe (1862-1905) ohne Zweifel die wichtigste und bekannteste Persönlichkeit. Als Gründer und Leiter der berühmten, nach ihm benannten Privatschule für Malerei wurde er zu einer bedeutenden Figur der Münchener Künstlerszene und des dortigen Bildungswesens.11 Seine Schule fand nämlich auch an der Akademie Beachtung und Anerkennung, einige seiner Schüler studierten parallel an der Akademie, die das Studium bei Ažbe empfahl und seine Diplome sogar mit ihrem Siegel beglaubigte.12 Vierzehn Jahre lang (1891-1905) zog diese Schule Studenten vor allem aus den slawischen Ländern an, unter ihnen auch später sehr bedeutende Maler wie Kandinsky, Jawlensky, Hofmann oder auch die so genannten Slowenischen Impressionisten. Der große Erfolg und die Anziehungskraft der Ažbe-Schule lassen sich bis heute noch nicht völlig erklären: War es, wie Peg Weiss behauptet,13 die avantgardistische Farbtheorie ihres Leiters, waren es seine pädagogischen Fähigkeiten, oder lag es an der dort herrschenden Freiheit und Offenheit? Die Ažbe-Schule ist so (wohl auch infolge solcher offenen Fragen) schon fast zu einem Mythos

10 Nach Vrhunc & Zupan 1984, 17. 11 Die wichtigste Literatur über Ažbe und seine Schule in München: Dobida 1962; Ambrozic 1988; Tršar 1991; Baranovski & Hlebnikova 2002. 12 Ambrozic 1988, 200. 13 Weiss 1979, Kapitel "Ažbe's Method", 15.

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geworden, zumal seine Schüler ihn als "Meisterlehrer" und die Schule als eine Schule der Superlative bezeichneten. Als Schule mit der größten Schülerzahl und der internationalsten Zusammensetzung wurde sie jedenfalls zu einem Synonym für die Internationalität der Münchener Kunstszene in den 1890er-Jahren und wird heute vielleicht ein wenig unkritisch als eine außergewöhnlich wichtige Quelle für die Genese der modernen Kunst angesehen – obwohl man in Ažbe zugleich auch den Stammvater des sozialistischen Realismus erblickt hat.

<11> Ažbes Rolle als Lehrer und sein Beitrag zur Entwicklung der Moderne bleiben eine viel diskutierte Frage. Emil Pacovsky, einer seiner Schüler, berichtet, dass Ažbe "bei Gesprächen über Kunst stets Interesse an modernen Bestrebungen äußerte"14, und Siegfried Wichmann schreibt, er sei ein Lehrer und Maler, "der in seiner geistigen Haltung für alles Neue offen ist und sich um die Kenntnisse und die Verwendung antikonventioneller Mittel bemüht."15 Dieses 'Interesse an modernen Bestrebungen' und das offene Verhalten seiner Schule kann die Vielfalt der Stiltendenzen seiner Schüler einigermaßen erklären, seine grundlegenden Lehrsätze aber – vom "Kugelprinzip" und der "Kristallisierung der Farben", in denen man sogar eine Verbindung mit dem Postimpressionismus beziehungsweise Neoimpressionismus sehen wollte (was als übertrieben gelten kann, wie deutlich bewiesen wurde16) – sind wahrscheinlich nur innovative Lehrmethoden, wenn auch teilweise doch mit dem Impressionismus verbunden.17 Ažbe selbst hat leider über seine Theorien/Lehrmethoden nichts Schriftliches hinterlassen, wir kennen sie nur aus den Erinnerungen seiner Schüler.

<12> Übrigens war Ažbe als Künstler nicht besonders schöpferisch: Nach den Jahren an der Akademie (1884-1891) eröffnete er seine Schule und malte selbst kaum noch; es blieb meist nur bei großen Plänen, viele seiner Bilder gingen im Laufe der Zeit und während der beiden Weltkriege verloren. Erst durch die Ausstellung 'Wege zur Moderne und die Ažbe-Schule in München' (1988) fand er zum ersten Mal auch als interessanter Maler Beachtung und nicht nur als Lehrer und Bohemien, obwohl sieben Zeichnungen und acht erhaltene Gemälde von sechsundzwanzig bisher registrierten kaum ausreichen, um sein Werk richtig beurteilen zu können. Seine Arbeiten aus der Schulzeit beweisen eine absolute Beherrschung der Anatomie und folgen allen akademischen Regeln. Später näherte er sich, wie man zum Beispiel an seinem Selbstbildnis mit der Widmung an den Bruder (1886, Abb. 5) sehen kann, der stilistischen Eigenart des Leibl-Kreises, dem "Rein-Malerischen", an. Nach 1890 ist sein Schaffen, wie Katarina Ambrozic zu beweisen versucht,18 auch durch in der Sezession auftretende Tendenzen gekennzeichnet – in seinem Gemälde 'Die Gesangstunde' (Abb. 6), wo das Licht selbst das grundlegende Motiv darstellt, hat die Autorin sogar impressionistische Effekte, wie zum Beispiel die typische Lichtstreuung, nachgewiesen.

14 Pacovský 1924, 9. 15 Wichmann 1988, 15. 16 Brejc 1982 (a), 14. 17 Ambrozic 1988, 93-105. 18 Ambrozic 1988, 172-182.

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Abb. 5

Abb. 6

<13> Schon 1881, vier Jahre vor Ažbe, war auch die erste bedeutende slowenische Malerin, die kaum zwanzig Jahre alte Ivana Kobilca (1861-1926), ebenfalls über Wien nach München gekommen.19 Da ihr eine formale Ausbildung fehlte, nahm sie – da sie nicht an der Akademie studieren durfte – sieben Jahre lang Unterricht bei Alois Erdtelt, einem Vertreter der akademisch-realistischen Richtung. Bei Erdtelt erwarb sie sich die für das Metier erforderlichen technischen Kenntnisse und malte die für ihn typischen, meist von unten beleuchteten Kopfstudien (die so genannten Streiflicht-Studien). Ein gelungenes Beispiel dafür ist ihre 'Holländerin' (1886, Abb. 7), die bereits ihre Genremalerei ankündigt. Obwohl die 'Kaffeetrinkerin' (1888, Abb. 8), ihr beliebtestes Gemälde aus der Münchener Zeit, noch ein für die Münchener Malerei typisches Gemälde bleibt, auch darin, dass es der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts eine große Achtung erweist, begann Kobilca, wie sie selbst erzählte, ungefähr in dieser Zeit, nachdem sie ihre Schulung beendet hatte, zu experimentieren. Von Erdtelts dunkler Palette entfernte sie sich völlig unter dem Einfluss von Fritz von Uhdes heller Freilichtmalerei und seinen Interieurs auf der einen Seite, auf der anderen Seite war es aber Paris und die moderne französische Malerei, die kennen zu lernen sie in München Gelegenheit hatte, so dass sie München schließlich verließ (1891), um sich in Paris der modernen Pleinairmalerei zu widmen. Eigentlich war es vor allem der auch in München bekannte Bastien-Lepage, der sie dafür begeisterte. Ihr noch in München entstandenes Bild 'Bügelnde Frauen' (1891, Abb. 9) lässt deutlich die Veränderungen in ihrer Malerei erkennen

19 Die wichtigste Literatur über Kobilca: Kat. Ausst. Ivana Kobilca (1861-1926), 1979.

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und zeigt, wie die Problematik des Lichtes im Interieur – angeregt durch Fritz von Uhdes Bilder – sie beschäftigte.20

Abb. 7

Abb. 8

Abb. 9

<14> 20 Da Uhde sehr bekannt war, hat Kobilca sein Werk wohl gut gekannt; zumindest durch die Zeitschrift "Die Kunst für alle", in der seine Bilder häufig reproduziert wurden. So erschien schon im ersten Jahrgang (Heft 15) ein Artikel über Uhde mit mehreren Reproduktionen seiner Werke, in dem auch ihr Lehrer Alois Erdtelt lobend erwähnt ist. Siehe "Die Kunst für alle", 1. Jahrgang, Heft 15, 1. Mai 1886, 205-218.

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Das Gleiche gilt auch für ihr berühmtestes Gemälde überhaupt, den 'Sommer' (1889/1890, Abb. 10). Wie Uhde zum Beispiel mit seinem Bild 'In der Sommerfrische' (1883) in der Neuen Pinakothek, dessen Motiv mit Kobilcas Werk vergleichbar ist – wobei man davon ausgehen kann, dass sie dieses private Familienbildnis nicht gekannt hat –, will auch sie den Eindruck erwecken, es handle sich um die spontane Schilderung einer ganz zufälligen Situation, also um ein Genrebild, obwohl das Bild sorgfältig komponiert und nicht unter freiem Himmel, sondern im Atelier entstanden ist.21 Dem 'Sommer' noch näher steht Uhdes 'Bildnis eines Bauernmädchens' (1888)22, das er auf der Ersten Münchener Jahresausstellung im Jahre 1889 im Glaspalast ausstellte und das in der Zeitschrift 'Die Kunst für alle' reproduziert wurde.23

Abb. 10

<15> Kobilcas Geschichte ist eigentlich charakteristisch für alle slowenischen Realisten, mit Ausnahme von Ažbe natürlich: Für sie alle war München vor allem ein guter Ausgangspunkt, wo sie studieren und sich durch Ausstellungen Zugang zur modernen Malerei verschaffen konnten. Es war ihre erste Begegnung mit einem künstlerisch voll entwickelten Milieu und, wie schon oben gesagt, nur eine notwendige Zwischenstation auf dem Weg nach Paris beziehungsweise in Richtung Westen. So blieb der "von der Fremde vergiftete" Jožef Petkovšek (1861-1898) nur zwei Jahre an der Münchener Akademie – 1884 ging er weiter nach Paris, wahrscheinlich nachdem er in München 1883 die 'Internationale Ausstellung' mit der französischen Kunst gesehen hatte. So wie Kobilca interessierten auch ihn die realistischen beziehungsweise naturalistischen Pariser Maler der 1880er-Jahre, wie Jules Breton, Léon Lhermitte oder Bastien-Lepage mit seinem ruralen Genre; leider sind aber keine Werke Petkovšeks aus seiner Münchener Zeit erhalten, die man mit den späteren, bereits unter den neuen Einflüssen entstandenen vergleichen könnte.

<16> Immerhin blieb die Münchener Erfahrung eine entscheidende Phase in der künstlerischen Entwicklung aller Realisten und München ein Milieu, das ihnen auch später noch etwas zu bieten hatte. So überrascht nicht, dass sie sich nach ihrem Pariser Aufenthalt und nach ihrer künstlerischen Ausreifung noch immer von München angezogen fühlten. Als Petkovšek nach der Rückkehr aus Paris daheim keinerlei Verständnis für seine Malerei fand und tief betroffen davon war, dass der Kunstwert seiner Gemälde nach Beurteilung seiner Zeitgenossen "gleich Null zu sein scheint"24, zog es ihn erneut dorthin. So kehrte auch Ferdo Vesel (1861-1946) nach

21 Mehr zur Entstehungsgeschichte des Bildes und über die Vorbilder: Brejc 1999, 265-274. 22 Auf die Ähnlichkeit deutete schon Brejc 1999, 268-269, hin. 23 "Die Kunst für alle", 4. Jahrgang, Heft 24, 15. Sept. 1889, 373. 24 Brejc 1982 (b), 34.

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1895, nachdem er sein Studium in München abgeschlossen hatte, mehrmals nach München zurück, um Ausstellungen zu besuchen.

<17> Vesel ist übrigens eine sehr interessante Persönlichkeit,25 weil sein Werk wie ein Abbild einer für München typischen künstlerischen Entwicklung erscheint, angefangen mit seinen Kopfstudien, wie zum Beispiel dem 'Kopf eines weißhaarigen alten Mannes' (1887, Abb. 11) in der malerischen Manier seines Lehrers Ludwig von Löfftz, bis zum 'Porträt von Josip Niko Sadnikar' aus demselben Jahr (Abb. 12), das bereits deutlich die Nähe zum Leibl-Kreis zeigt. Ähnlich wie bei Kobilca hat die Freilichtmalerei beziehungsweise der so genannte Atelierpleinairismus seine Gemälde aufgelockert und seine Palette aufgehellt; typisch dafür sind Interieurs wie zum Beispiel 'Blinde Kuh' (1891, Abb. 13), die deutlich Einflüsse Fritz von Uhdes spüren lassen. Nachdem er sich mit Rihard Jakopic, einem der so genannten Slowenischen Impressionisten, angefreundet hatte, begann auch er mit der richtigen Freilichtmalerei – die beiden malten zusammen in Schwabing und im Englischen Garten. Schließlich ging er von der Freilichtmalerei zur Stimmungsmalerei des Symbolismus über. Seine Werke weisen auch Einflüsse der Münchener Sezession auf, was sich in mehr persönlichen und farblich intensiveren Lösungen manifestiert.

Abb. 11

Abb. 12

25 Die wichtigste Literatur über Vesel: Vrhunc 1989.

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Abb. 13

<18> In diese Zeit fällt das Bild 'Vor der Hochzeit' (1897, Abb. 14), ein Werk, das von Gemälden des wohl einflussreichsten und bei dem Gründerzeitpublikum sehr beliebten Münchener Genremalers Franz von Defregger (1835-1921) angeregt sein könnte. Defreggers berühmte Tiroler Bauernbilder wurden zum Vorbild für seine Schüler an der Akademie wie auch für seine Nachahmer, denn das idealisierte Leben der Bauern voller Ursprünglichkeit und Sorgenlosigkeit war für das Bürgertum dieser Zeit ein Abbild ihrer Sehnsucht nach einem harmonischen Leben anstelle der schalen Existenz in der Stadt. Dieses Sujet des idealisierten Landlebens pflegten viele Maler im 19. Jahrhundert, von Heinrich Bürkel bis Waldmüller über Gauermann, um nur einige zu nennen. Von den Zeitgenossen wurde als Qualität dieser Maler und als Grund für ihren Erfolg beim Publikum die Volkstümlichkeit ihrer Bilder hervorgehoben26, die auch in Vesels Gemälden spürbar ist und die in Slowenien Gefallen fand. Unmittelbares Vorbild für Vesels Genrebild war wahrscheinlich Defreggers Gemälde 'Der Abschied',27 das Vesel im selben Jahr, als sein Bild entstand, auf der 'Internationalen Kunstausstellung' im Glaspalast in München sehen konnte.28 In seiner Malweise entspricht es zwar nicht der Defreggerschen realistischen Genauigkeit, aber das Thema und die Gestaltung des Raumes erinnern an dieses Werk, obwohl auch andere Bilder aus Defreggers umfangreichen und berühmten Œuvre29 Vesel als Anregung gedient haben könnte.

Abb. 14 26 Rosenberg stellte Defregger vor als einen "Künstler, der der deutschen Malerei nicht nur ein neues Gebiet erschlossen, sondern auch durch seine rasch errungene Volkstümlichkeit seinem Heimatlande Ehre, Ruhm und Mehrung seiner irdischen Güter gebracht hat.", vgl. Rosenberg 1897, 1. 27 Vrhunc 1989, 71. 28 Offizieller Katalog der VII. Internationalen Kunstausstellung im Glaspalast 1897, 54, Kat.-Nr. 334, Abb. 9. 29 Siehe Franz von Defregger und sein Kreis 1987; Defregger 1983.

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<19> Weitere Anregungen fand Vesel auch im Westen, etwa als er nach England reiste; dennoch besuchte er München noch mehrmals. Aufgrund seiner Experimentierfreude gilt Vesel auch als Bindeglied zwischen den Realisten und der neuen Generation der so genannten Slowenischen Impressionisten, mit denen er in freundschaftlicher Beziehung stand.

<20> Die Impressionisten Rihard Jakopic (1869-1943), Matija Jama (1872-1947), Ivan Grohar (1867-1911) und Matej Sternen (1870-1949) waren die nächste Generation von slowenischen Malern, die im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts Impulse aus München in ihren Werken verarbeitet haben. Vor allem die auf Ausstellungen gezeigte französische impressionistische Malerei wurde für sie zur entscheidenden Kunstrichtung. Ihre Verbindungen mit der Münchener Malerei wie auch der europäischen Kunst allgemein wurden bereits sehr genau analysiert.30 Die ältere Literatur stellt in Bezug auf München vor allem die "schicksalhafte Begegnung" der so genannten Slowenischen Impressionisten mit dem französischen Impressionismus in den Vordergrund; da sie sich in der Ažbe-Schule eigentlich überhaupt erst kennen gelernt haben, schrieb man München als Kunstzentrum mit seiner anregenden Atmosphäre die entscheidende Rolle in der Entwicklungsgeschichte der ersten modernen slowenischen Malergruppe zu. In der neueren Literatur konnte jedoch nachgewiesen werden, dass sie bis 1898 oder 1899 (ein oder zwei Jahre vor 1900) ausschließlich von der lokalen Malerei sowie dem deutschen Impressionismus beeinflusst wurden und die französische Malerei kaum kannten.

<21> Sie kamen während der 1890er-Jahre nach München, als die Münchener Malerei in einer Krise war, sich ihre Position rasch veränderte und sich der Kunsthandel teilweise schon auf französische und englische Maler umstellte. Jakopic, der älteste unter ihnen, traf im Jahre 1890 als erster ein und lernte bald danach Ažbe und Vesel kennen. Zwei Jahre später besuchte Jama die Malschule von Simon Hollósy; Grohar kam 1895 für ein paar Monate und sollte mit Jakopic erst zwei Jahre später in Verbindung treten, während Sternen sogar bis 1899 an der Akademie in Wien blieb. Anders als ihre Vorgänger, die Generation der Realisten, die einige Jahre lang ständig in München lebten, reisten die Impressionisten andauernd zwischen Bayern und ihrer Heimat hin und her beziehungsweise waren in München meist nur Wintergäste, als sie die Ažbe- und/oder eine andere Schule besuchten und gleichzeitig aufmerksam Ausstellungen verfolgten. Ihre Münchener Phase war eine Zeit der Schulung und der Suche in der Menge der verschiedenen Kunstrichtungen. Es sei betont, dass nach ihren Werken und ihrem Suchen vor 1900 zu urteilen, Ažbe keine unmittelbare Beziehung zum Impressionismus hatte und ihn kaum kannte, und wenn, nur über den Leibl-Kreis, so dass seine Schüler ihren Weg alleine finden mussten.

<22> Dennoch waren sie an der französischen Malerei interessiert, und seit 1891, als auf der 'Internationalen Kunstausstellung' im Glaspalast unter anderem in München zum ersten Mal auch Gemälde von Monet und Sisley zu sehen waren, konnten sie auch richtige impressionistische Werke studieren. Aber ihr Blick wies noch nicht in diese Richtung. Die zeitgenössische Kritik, die zweifellos auch unsere Maler beeinflusst hat, setzte die Kunst von höherer Akzeptanz, wie die Schule von Barbizon oder Maler wie Bastien-Lepage oder Lhermitte, in den Vordergrund – in der beliebten Zeitschrift 'Die Kunst für alle' war Monet zum Beispiel erst 1898 zum ersten Mal mit einer Reproduktion vertreten.31 Unter diesen Umständen wird durchaus verständlich, dass man in der Korrespondenz unserer Impressionisten vergeblich nach Erwähnung der französischen Impressionisten sucht. Obwohl man weiß, dass zumindest

30 Siehe Brejc 1982 (a). 31 Brejc 1982 (a), 26.

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Jakopic und Jama ihre Gemälde von Ausstellungen her kannten, hatte ein Name wie Monet noch keine Bedeutung für sie.

<23> Bei ihrer künstlerischen Suche verarbeiteten unsere Impressionisten in den 1890er-Jahren Einflüsse sehr verschiedener Maler: Fritz von Uhdes, der Gruppe 'Neu Dachau' mit Adolf Hölzel (Jakopic: 'Die Birken', 1903, Abb. 15), Franz von Defreggers und seiner Genrebilder (Grohar: 'Brna', 1899, Abb. 16), Arnold Böcklins (Grohar: 'Wasserspiele', 1899, Abb. 17), Heinrich Zügels (Jama: 'Bauer mit den Ochsen', 1899, Abb. 18), François Millets (Jama: 'Ackermänner', 1900, Abb. 19) und anderer.32 Eine hohe Meinung hatten sie von Ludwig Herterich; sie schätzten seine Malerei mit dem intensiven pastosen Farbenauftrag. Dazu kommen selbstverständlich noch die deutschen Impressionisten (Liebermann, Slevogt, Corinth) und später die 1899 gegründete Gruppe 'Die Scholle' mit Leo Putz und Fritz Erler. Erst um 1900 richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf den französischen Impressionismus, als auch die deutsche Kritik andere Töne anschlug. Jakopic und Jama befassten sich intensiv mit der Landschaftsmalerei und beeinflussten auch Sternen und Grohar: So wurde zwischen 1900 und 1903 der so genannte Slowenische Impressionismus geboren, mit dem nach den pathetischen Worten eines Kunsthistorikers "die slowenische Kunst die lokale Eingeengtheit endgültig zersprengt und sich voll in das internationale Kunstleben eingeschaltet hat."33

Abb. 15

Abb. 16

32 Siehe Brejc 1982 (a). 33 Cevc 1984, 5.

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Abb. 17

Abb. 18

Abb. 19

<24> Dies geschah jedoch erst später, zu der Zeit, als sie München allmählich wieder verließen beziehungsweise ihre Besuche dort seltener wurden. Nur der erst 1899 angekommene Sternen blieb noch bis 1905 bei Ažbe. Im Jahre 1904 stellten sie sich als Künstlergruppe 'Sava' in Wien vor und fanden lobende Anerkennung, wohingegen sie von der einheimischen Kunstkritik damals noch entschieden abgelehnt wurden – für sie waren die Impressionisten nur Fremdlinge, die die Fremde – man könnte konkret München sagen – 'vergiftet' hatte. Jedenfalls kann ihr 'Impressionismus' – diese Benennung lässt sich nur für eine kurze Periode verwenden – trotz aller Unterschiede zum französischen, trotz zeitlicher Verspätung und trotz der Überzeugung, er müsse eine bestimmte slowenische Stimmung ausdrücken, als Grundlage für die spätere Entwicklung der slowenischen Kunst des Modernismus angesehen werden.

<25> Bis zum Ersten Weltkrieg besuchten nur noch wenige bedeutende Künstler die Akademie oder verschiedene Ateliers in München. In den 1920er-Jahren übernahm schließlich die neu gegründete Akademie in Zagreb Münchens Stellung als wichtigste Ausbildungsstätte der slowenischen Maler.

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Literatur

Katarina Ambrozic: Wege zur Moderne und die Ažbe Schule in München – Pota k moderni in Ažbetova šola v Münchnu, Kat. Ausst. Museum Wiesbaden 1988 und Narodna galerija Ljubljana 1988/1989, Recklinghausen 1988

Viktor Baranovski / Irina Hlebnikova: Anton Ažbe in ruski slikarji (Anton Ažbe und die russischen Maler), Ljubljana 2002

Tomaž Brejc: Realizem in alegorija: Poletje Ivane Kobilce, in: Barbara Jaki (Hg.): Razprave iz evropske umetnosti za Ksenijo Rozman (Realismus und Allegorie: Der Sommer von Ivana Kobilca, in: Europäische Kunst – Festschrift für Ksenija Rozman), Ljubljana 1999, 265-283

Tomaž Brejc: Slovenski impresionisti in evropsko slikarstvo (Slowenische Impressionisten und die europäische Malerei), Ljubljana 1982 (a)

Tomaž Brejc: Jožef Petkovšek 1861-1898, Kat. Ausst. Ljubljana, Narodna Galerija, Ljubljana 1982 (b)

Ivan Cankar: Petkovškov obraz (Petkovšeks Gesicht), in: Ivan Cankar: Izbrano delo (Ausgewählte Werke), VII, Ljubljana 1973, 143-146. [Petkovšeks Gesicht, in: Ivan Cankar: Ausgewählte Werke]

Izidor Cankar: Klasicizem in romantika na Slovenskem (Klassizismus und Romantik in Slowenien), Kat. Ausst. Ljubljana, Narodna galerija, Ljubljana 1954

Emilijan Cevc: Slowenische Impressionisten aus der Nationalgalerie in Ljubljana, Kat. Ausst. Städtische Galerie, Regensburg, Ljubljana 1984

Hans Peter Defregger: Defregger (1835-1921), Rosenheim 1983

Die Kunst für alle, München 1885-1943 – verschiedene Hefte

Karel Dobida (Hg.): Anton Ažbe in njegova šola (Anton Ažbe und seine Schule), Kat. Ausst. Narodna Galerija, Ljubljana 1962

Franz von Defregger und sein Kreis: Kat. Ausst. Museum der Stadt Linz auf Schloss Bruck / Städtische Galerie im Rathaus, Linz / Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Innsbruck 1987

Barbara Jaki: Marko Pernhart (1824-1871). Izbrane slike iz Slovenije in Koroške (Marko Pernhart (1824-1871). Ausgewählte Werke aus Slowenien und Kärnten), Kat. Ausst. Ljubljana, Narodna galerija, Ljubljana 1993

Barbara Jaki: Mešcanska slika. Slikarstvo prve polovice 19. stoletja iz zbirk Narodne galerije (Bürgerliches Gemälde. Die Malerei der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus den Sammlungen der Nationalgalerie), Kat. Ausst. Ljubljana, Narodna galerija 2000, Ljubljana 2000

Christoph Heilmann (Hg.): Johann Georg von Dillis 1759-1841. Landschaft und Menschenbild, Kat. Ausst. München, Neue Pinakothek / Dresden, Albertinum, 1991/1992, München 1991

Milcek Komelj: Obrazi. Slovensko slikarstvo XIX. stoletja (Gesichter. Slowenische Malerei im XIX. Jahrhundert), Ljubljana 1999

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Horst Ludwig: Münchner Malerei im 19. Jahrhundert, München 1978

Offizieller Katalog der VII. Internationalen Kunstausstellung im Kgl. Glaspalast zu München 1897, München 1897

Emil Pacovský: Anton Ažbe, slikar in ucitelj (Anton Ažbe, Maler und Lehrer), in: Zbornik za umetnostno zgodovino (Zeitschrift für Kunstgeschichte), IV, 1924, 6-10

Adolf Rosenberg: Defregger (Künstler-Monographien, XVIII), Bielefeld / Leipzig 1897

Ivan Stopar: Likovno snovanje v 19. stoletju (Bildendes Schaffen im 19. Jahrhundert), in: Nataša Golob (Hg.): Umetnost na Slovenskem (Kunst in Slowenien), Ljubljana 1998, 184-215

Marijan Tršar: Anton Ažbe, Ljubljana 1991 (erschienen in der Reihe "Znameniti Slovenci")

Polonca Vrhunc mit Špelca Copic, Tomaž Brejc, Anica Cevc: Kat. Ausst. Ivana Kobilca (1861-1926). Retrospektivna razstava (Ivana Kobilca (1861-1926). Retrospektive), Ljubljana, Narodna galerija 1979, Ljubljana 1979

Polonca Vrhunc / France Zupan: Anton Karinger (1829-1870). Retrospektivna razstava, Kat. Ausst. Ljubljana, Narodna galerija 1984, Ljubljana 1984

Polonca Vrhunc: Ferdo Vesel 1861-1946, Kat. Ausst. Ljubljana, Narodna galerija, 1989/1990, Ljubljana 1989

Peg Weiss: Kandinsky in Munich, New Jersey 1979

Siegfried Wichmann: München um 1900, in: Wege zur Moderne und die Ažbe Schule in München – Pota k moderni in Ažbetova šola v Münchnu, Kat. Ausst. Museum Wiesbaden, Recklinghausen 1988, 13-35

Siegfried Wichmann: Münchner Landschaftsmaler im 19. Jahrhundert. Meister. Schüler. Themen, Weyarn o. J [1996]

Jože Žontar: Ljubljana v 18. in prvi polovici 19. stoletja (Laibach im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts), in: Ferdo Gestrin (Hg.): Zgodovina Ljubljane. Prispevki za monografijo (Geschichte Laibachs. Ein Beitrag für die Monographie), Ljubljana 1984, S.156-176

Armin Zweite (Hg.): Münchner Landschaftsmalerei 1800-1850, Kat. Ausst. Lenbachhaus, München, 1979

Abbildungen

Abb. 1 Alois Schaffenrath, Ansicht Ljubljanas vom Rožnik, um 1820, kolorierte Lithographie, 23 x 32 cm, Mestni muzej, Ljubljana, Inv. Nr. 1575

Abb. 2 Anton Karinger, Bäume, 1848, lavierte Sepiazeichnung, 30,3 x 27,3 cm, Narodna galerija, Ljubljana, Inv. Nr. G 109

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Abb. 3 Anton Karinger, Bergwildbach, 1862, Öl auf Leinwand, 97 x 142,5 cm, Narodna galerija, Ljubljana, Inv. Nr. S 147

Abb. 4 Christian Ezdorf, Sturzbach im schwedischen Hochland, 1837, Öl auf Leinwand, 111 x 97 cm, Privatbesitz

Abb. 5 Anton Ažbe, Selbstbildnis, 1886, Öl auf Leinwand, 65 x 51 cm, Narodna galerija, Ljubljana, Inv. Nr. S 1527

Abb. 6 Anton Ažbe, Die Gesangstunde, 1900, Öl auf Leinwand, 123 x 160 cm, Narodna galerija, Ljubljana, Inv. Nr. S 1985

Abb. 7 Ivana Kobilca, Holländerin, 1886, Öl auf Leinwand, 56 x 46,5 cm, Narodna galerija, Ljubljana, Inv. Nr. S 162

Abb. 8 Ivana Kobilca, Kaffeetrinkerin, 1888, Öl auf Leinwand, 100 x 70 cm, Narodna galerija, Ljubljana, Inv. Nr. S 2528

Abb. 9 Ivana Kobilca, Bügelnde Frauen, 1891, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm, Privatbesitz

Abb. 10 Ivana Kobilca, Sommer, 1889/1890, Öl auf Leinwand, 180 x 142 cm, Narodna galerija, Ljubljana, Inv. Nr. S 165

Abb. 11 Ferdo Vesel, Kopf eines weißhaarigen alten Mannes, 1887, Öl auf Leinwand, 26,2 x 19 cm, Privatbesitz

Abb. 12 Ferdo Vesel, Josip Niko Sadnikar, 1887, Öl auf Leinwand, 73,3 x 57,6 cm, Privatbesitz

Abb. 13 Ferdo Vesel, Blinde Kuh, 1891, Öl auf Leinwand, 78,4 x 94,5 cm, Regierungsbesitz

Abb. 14 Ferdo Vesel, Vor der Hochzeit, 1897, Öl auf Leinwand, 94,6 x 77,5 cm, Narodna galerija, Ljubljana, Inv. Nr. S 528

Abb. 15 Rihard Jakopic, Die Birken, 1903, Öl auf Leinwand, 113,5 x 67 cm, Narodna galerija, Ljubljana, Inv. Nr. S 108

Abb. 16 Ivan Grohar, Brna [volkstümliches Fest], 1899, Öl auf Leinwand, 66 x 96 cm, Mestni muzej, Ljubljana, Inv. Nr. 32

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Abb. 17 Ivan Grohar, Wasserjungfrauen, 1899, Öl auf Leinwand, 45 x 40 cm, Mestni muzej, Ljubljana, Inv. Nr. 85

Abb. 18 Matija Jama, Bauer mit den Ochsen, 1899, Öl auf Leinwand, Maße unbekannt, Privatbesitz

Abb. 19 Matija Jama, Ackermänner, 1900, Öl auf Leinwand, 64 x 97 cm, Regierungsbesitz

Autor:

Donovan Pavlinec Gosarjeva ulica 9 SI-1000 Ljubljana e-mail [email protected]