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Smart Industry – Intelligente Industrie Eine neue Betrachtungsweise der Industrie Motor für Innovation Ergebnisse einer Studie der Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH für das Land Hessen Eine Initiative von 2 2

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HerausgeberInitiative Industrieplatz Hessen Emil-von-Behring-Str. 4 | 60439 Frankfurt am Main | www.industrieplatz-hessen.de

Smart Industry – Intelligente Industrie Eine neue Betrachtungsweise der Industrie

Motor für Innovation

Ergebnisse einer Studie der Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH für das Land Hessen

Eine Initiative von

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Smart Industry – Intelligente IndustrieEine neue Betrachtungsweise der IndustrieErgebnisse einer Studie der Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH für das Land Hessen

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Impressum

Erschienen | Februar 2012

Auflage | 2.000 Stück

Kontakt

Initiative Industrieplatz Hessen - eine Initiative der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) und des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung c/o: Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e. V. (VhU) Emil-von-Behrings-Str. 4 60439 Frankfurt am Main www.industrieplatz-hessen.de

Dr. Ulrich Kirsch Tel. 069 95808-150 Mail: [email protected]

Ansprechpartner für die Inhalte der Studie:

IW Consult GmbH

Dr. Karl LichtblauSprecher der GeschäftsführungTel. 0221 4981-759Mail: [email protected]

René C.G. ArnoldReferent Research und GutachtenTel. 0221 4981-775Mail: [email protected]

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Druckmt druckWalter Thiele GmbH & Co. KG | Neu-Isenburg

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Inhalt

Vorwort des Wirtschaftsministers und des VhU-Präsidenten 5

1 Wissensland Hessen – die makroökonomische Sicht 121.1 Forschung, Entwicklung und Innovationen 121.2 Der Faktor Humankapital 16

2 Vier Konzepte für eine Industrieabgrenzung 202.1 Branchensicht 232.1.1 Branchen nach Zukunftsrelevanz 272.1.2 Die Bedeutung des Mittelstandes 322.2 Verbundsicht 342.2.1 Megatrend Dienstleistungen 342.2.2 Industrie-Dienstleistungsverbund 362.2.3 Hybride Wertschöpfung 422.3 Produktsicht 46

3 Implikationen und Schlussfolgerungen für die Gesamtstudie 52

Tabellenverzeichnis 59

Abbildungsverzeichnis 59

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VoRWoRT

Auf dem Weg in eine neue Zeit: Die Industrie in Hessen

Sehr geehrte Damen und Herren,

die hessische Industrie befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Das zei-gen die Ergebnisse unserer Studie „Gemeinsam Mehr.Wert. Innovationen im industriellen Mit-telstand“, die im Frühjahr 2011 veröffentlicht wurde.

Danach scheint der Befund klar: Der industrielle Kern, wie er nach der klassischen Branchen-sicht der Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung definiert ist, schrumpft. Wer dies allerdings mit dem Rückgang des industriellen Sektors gleichsetzt – wie es die Volkswirtschaftliche Gesamt-rechnung aufgrund ihrer engen Sektorsicht leider selbst nahelegt – springt möglicherweise zu kurz. Denn auf der anderen Seite schreitet der Prozess einer wechselseitigen Verbindung von Industrie und Dienstleistung voran. Der Verbund aus Industrie und industrienahen Dienstlei-stungen wächst – auch in Hessen. Und er spielt eine zentrale Rolle als Innovationstreiber in der Wirtschaft unseres Landes.

Was also schrumpft hier genau? Die Industrie selbst? oder schrumpft „nur“ die statistische Er-fassung eines mittlerweile zu eng gefassten Begriffs? Wächst hier die Dienstleistung auf Kosten der Industrie? oder entsteht hier etwas völlig Anderes, Neues, das den Wohlstandskuchen ins-gesamt größer macht? Unsere Antwort darauf lautet: Unsere Industrie erfindet sich gerade als etwas völlig Neues, Lernendes und selbst Steuerndes, das Industrie und Dienstleistung intelli-gent verbindet und genau dadurch wächst.

Muss Politik hier etwas tun? Und was kann Politik hier tun? Hier werden wir den Ball sicher flach halten, uns vor Überschätzung hüten müssen, aber auch vor Bagatellisierung. Z. B. vor der Überschätzung des „gestaltenden Staates“. Aber auch vor der Bagatellisierung der bevor-stehenden Herausforderungen, z. B. der Energiewende. Unsere Erwartung an Politik lautet hier: Ein kluger und pragmatische Prozess politischer Willensbildung ist unverzichtbar, wenn es darum geht, gesellschaftlichen Akzeptanz von Investitionen in Infrastruktur zu schaffen, die diese neue Symbiose aus Industrie und Dienstleistung braucht.

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Motor für Innovation

Was ist „smart“ an der Industrie?

Über diesen Prozess der Verdienstleistung der Industrie nehmen Bereiche, die lange Zeit als klassische Dienstleistungsbranchen gehandelt wurden, wie die Software-Branche, zu-nehmend industriellen Charakter an. Ihre Produkte unterliegen industrieller Herstellungs-logik und werden selbst häufig zum Bestandteil von Industriegütern. Sie begegnen uns in den sogenannten „Cyber Physical Systems“ im Maschinen- und Anlagenbau, aber auch in der Automobilindustrie und in vielen anderen Bereichen: Und zwar als „Intelligente Techni-sche Systeme“, die beispielsweise zur eigenständigen Anpassung an sich ändernde Zustände oder zur Selbstoptimierung in der Lage sind.

Und nicht zuletzt entwickeln klassische Industrieunternehmen ausgehend von ihrer Kernlei-stung neue Wertschöpfungsketten und erweitern ihre bisherige unternehmerische Tätigkeit um Elemente von Dienstleistungen. Es entstehen sogenannte hybride Unternehmen, die einen gu-ten Teil ihrer Wertschöpfung mit bisher artfremder Dienstleistung bestreiten: Im Durchschnitt je nach Branche etwa 10 bis 15 Prozent, in der Spitze bis zu 25 und 30 Prozent.

Je nach Standpunkt kann man in dem hier nur skizzierten Transformationsprozess eine Auflö-sung bisher vorherrschender Sektorgrenzen erkennen. Man kann darin aber auch – und vom Standpunkt der Industrie aus gesehen scheint uns dies geboten – eine neue Entwicklungsstufe der Industrie selbst erkennen: Von der klassischen Industrie zur „Smart Industry“. Einer In-dustrie also, die in intelligenten selbstlernenden Systemen denkt. Die eben „smart“ ist, sich also schlau und gewitzt organisiert und blitzschnelle Reaktionssysteme herstellt. Wer nach den Treibern für eine solche Entwicklung fragt, stößt schnell auf zwei wesentliche Faktoren: Den globalisierten Wettbewerb, in dem sich unsere Industrie befindet, sowie die Ressourcen scho-nende ökologische Wende und die damit verbundenen Marktchancen, die sowohl die deutsche als auch die hessische Industrie erkannt haben.

Dieter PoschHessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung

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Treiber Globalisierung

Durch die wirtschaftlich erstarkenden Schwellenländer, deren Aufstieg zu Industrieländern rasch voranschreitet und die zunehmend selbst Industriegüter exportieren, steigt die globale Wettbewerbsintensität. Auf diesen Druck kann die heimische Industrie nicht dadurch reagie-ren, dass sie sich auf einen ruinösen Preiskampf einlässt, den sie nicht gewinnen kann. Die Wettbewerbsstrategie wird vielmehr ausgerichtet auf Innovationen, die sich umfassend auf Technologien, Produktionsprozesse, Produkte und ihre gesamten Lebenszyklen, auf Produkt-Dienstleistungs-Kombinationen sowie auf organisationsstrukturen erstrecken. Nur mit solchen Produktivitätsfortschritten kann es gelingen, den alten Wettbewerbsvorsprung nicht nur zu wahren, sondern möglicherweise sogar auszubauen.

Die Praxis zeigt es: Zahlreiche mittelständische hessische Unternehmen sind in ihren Märkten Global Player und haben sich diese Position vor allem durch die Entwicklung und erfolgreiche Vermarktung von Innovationen auf allen Ebenen erarbeitet. So wird die Marktleistung der Indu-strieunternehmen, sei es im hessischen Maschinenbau, in der Elektro- und Elektronikindustrie oder im Automobilbau und in der Automobilzulieferindustrie zunehmend durch die Informa-tions- und Kommunikationstechnik bestimmt. Die Industriegüter von morgen sind intelligent. Intelligente technische Systeme beruhen auf der Symbiose von Informatik, Ingenieurskunst und industrieller Produktion.

Am Beispiel der Automobilindustrie umfasst die neue Entwicklungsstufe etwa Assistenztechno-logien, die Prinzipien der natürlichen Mensch-Mensch-Kommunikation auf technische Systeme übertragen und diese damit intuitiv bedienbar machen. Zunehmend werden in Automobilen moderne Steuerungssysteme eingesetzt, die ihre physische Umgebung erkennen, diese Infor-mationen verarbeiten und die Umwelt koordiniert beeinflussen. Software existiert in diesen „Cyber Physical Systems“ damit nicht mehr nur virtuell, sondern eingebettet in industriell hergestellte Module. Nicht nur in diesem Sinne wird die Industrie zur „Smart Industry“. Die Selbstoptimierung und die Selbstkoordination von technischen Systemen sind die Innova- tionsfelder der Zukunft, auf denen die hessische Industrie eine führende Rolle einnehmen muss.

Prof. Dieter WeidemannPräsidentVereinigung der hessischenUnternehmerverbände e. V. (VhU)

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Motor für Innovation

Treiber Ressourcenschutz

Der zweite Treiber ist der Schutz endlicher Ressourcen dieser Erde. Umweltschützer sagen uns, dass die Menschheit heute jährlich 1,5 Erden verbrauche. Um den Verbrauch der natürlichen Ressourcen eines Jahres wieder zu reproduzieren bzw. ihre Tragfähigkeit wieder herzustel-len, bräuchten die Ökosysteme eineinhalb Jahre. Da dieses „Geschäftsmodell“ endlich sei, müssten wir daran arbeiten, es nachhaltiger zu machen. Angesichts einer weiter steigenden Erdbevölkerung werde dieses Problem täglich drängender. Die Arbeiten des UNFCCC (United Na-tions Framework Convention on Climate Change) mahnten uns die Atmosphäre nicht als eine Art Abraumhalde zu missbrauchen. Denn wenn das Fassungsvermögen dieser „Abraumhalde“ erschöpft sei, könnten wir nicht an anderer Stelle neue eröffnen. Unabhängig davon, welche Wahrscheinlichkeit man hochkomplexen Klimaberechnungsmodellen zubilligt, ist es politisch und ökonomisch klug, Alternativen zur Vermeidung identifizierter Risiken zu entwickeln.

Die Politik hat hier Ziele gesetzt und Fakten geschaffen. Mit dem Zwei-Grad-Ziel ist eine Vorgabe in die Welt gesetzt, die Belastung der Atmosphäre bis zum Jahr 2050 in einen ausgeglichenen Zustand zu bringen, also nur so viel Klimagase zu produzieren, wie die Biosysteme in der Lage sind zu verarbeiten. Eine Erhöhung der mittleren Erdtemperatur von zwei Grad mit allen Folgen nehmen wir bis zum Erreichen dieses Zieles bereits hin.

Die Wirtschaftswissenschaft – allen voran Nicholas Stern 2006 – hat versucht, den adäquaten Preis für klimaschädliche Treibhausgase und den Preis für die Dekarbonarisierung der Energie-systeme zu berechnen. Wenn wir schnell, entschieden und global handelten, könnten wir die Kosten einer Umstellung auf jährlich etwa 1 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts be-grenzen. Dagegen beliefen sich die Gesamtkosten des Klimawandels, wenn wir nicht handelten, mit der Zeit auf 5 Prozent des Welt-BIP. Handeln sei also günstiger als Nichthandeln, und umso günstiger, je schneller gehandelt würde. Durch eine solche Internalisierung externer Kosten, setzt das Ziel einer „Low Carbon Society“ neue Kräfte und Kreativität frei, eröffnet neue Märkte und verändert die klassischen. Und die innovative Wirtschaft selbst sucht nach neuen techni-schen Lösungen – auf allen Feldern.

• In der Energieerzeugung, -wandlung, -verteilung und -speicherung. Vormals zentral gesteu-erte Stromnetze müssen intelligenter werden. Denn die Dezentralisierung bei der Erzeugung bedarf einer intelligenten Messung der größeren Vielfalt an Energiequellen, aber auch des tatsächlichen Verbrauchs, um Grundlast besser auszubalancieren. Kurz: sogenannte „Smart Grids“ machen die Stromnetze intelligent, weil lernfähig und bedarfsgerecht steuerbar.

• Mobilität muss neu definiert, aber die Mobilitätsnotwendigkeit muss auch neu beantwortet werden.

• Neue Werkstoffe mit geringerem Ressourceneinsatz in der Synthetisierung und Herstellung müs-sen entwickelt werden; Werkstoffe, die selbst Informationen in sich tragen und weitergeben.

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• Auch im Recycling der Wertstoffe liegen noch viele Möglichkeiten vor uns, die heute nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft sind.

Diese Aufzählung lässt sich noch sehr viel weiter fortsetzen. Sie zeigt, dass über alles gese-hen wohl kaum eine Industrienation für diesen Transformationsprozess besser aufgestellt ist als unsere. Und dabei hat auch die hessische Industrie ein Wort mitzureden – ob in der Ener-gietechnik, im industriellen Bereich der Erneuerbaren Energien, im Automobilbau oder der Anlagentechnik. Um das Ziel eines ausgeglichenen Natur- und Zivilisationshaushaltes zu errei-chen, brauchen wir intelligente Lösungen – nicht nur, aber vor allem auch seitens der Industrie. Wir brauchen diese „Smart Industry“.

Wo stehen wir auf dem Weg zur „Smart Industry“ in Hessen?

Was heißt das Ganze nun für unser heutiges Bild von Industrie? Der Steuerungsausschuss der Industrieplatzinitiative diskutierte auf Basis der empirischen Ergebnisse der Studie „Gemein-sam Mehr.Wert. Innovationen im industriellen Mittelstand“ im Frühjahr 2011 lebhaft den Indu-striebegriff. Dabei bestätigten auch die unternehmerischen Erfahrungen der Mitglieder: Indu-strie muss neu gedacht werden. Nur so kann der Transformationsprozess besser verstanden und gestaltet werden.

Um zu einer neuen Abgrenzung des sekundären Sektors und damit zu einer neuen Sicht auf moderne industrielle Wertschöpfungsprozesse zu gelangen, haben wir daher unabhängig von amtlichen Statistiken die Wirtschaft unseres Landes nach Sachkriterien untersucht. Die für eine Neudefinition notwendigen Informationen sind in der amtlichen Statistik nicht verfügbar. Des-halb wurden die 600 Teilnehmer der ersten Studie, Unternehmen aus dem Bereich der Industrie und der wirtschaftsnahen Dienstleistungen, nochmals angeschrieben. Ein erfreulich großer Anteil von 225 Unternehmen hat Angaben zu ihrem Kerngeschäft, Produktionsverfahren, Inve-stitionsgutcharakter ihrer Produkte und ihren Hauptkunden gemacht.

Die Ergebnisse sind in diesem Ergänzungs-Band aufgearbeitet. Dabei zeigt sich, dass immer mehr Dienstleistungen typische Eigenschaften einer Industrieproduktion wie eine standardi-sierte Erstellung und identische Reproduzierbarkeit auf Basis von Stücklisten, Konstruktionen, Rezepturen oder klaren technischen Spezifikationen erfüllen. Software wird zum Teil des Pro-duktes, Ingenieurs- und Logistikdienstleistungen werden bei der Ressourcenoptimierung, im Energiemanagement oder in der Betriebsüberwachung ausgeführt und sind integraler Bestand-teil der industriellen Produktion. Geschäftsmodelle werden erweitert. Die entsprechenden Pro-dukte haben zudem meist einen Investitionsgutcharakter und gehen beim Konsum nicht direkt unter. Engineering in der gesamten Wertschöpfungskette, Abstimmungen in der Fließproduk-tion und flexible Fertigungssysteme, Programm-, Losgrößen-, Termin- und Ablaufplanung so-wie Instandhaltung werden regelmäßig durch standardisierte Logistik- und Ingenieurleistun-gen ausgeführt, die von der industriellen Produktion nicht mehr zu trennen sind. Wenn wir die zeitgemäße Perspektive wählen, erkennen wir: Die „Smart Industry“ lebt und entwickelt sich

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Motor für Innovation

rasant. Wir müssen sie gestalten und damit Innovationen, Wertschöpfung, intelligente Produk-te und Beschäftigung voranbringen.

Im Vergleich zur traditionellen Branchensicht sind die Unternehmen der „Smart Industry“ heu-te schon umfassender internationalisiert, innovationsstärker, forschungsintensiver und insge-samt erfolgreicher. Wir können die Einschätzung von 2008 aus der Studie „Systemkopf Deutsch-land“ deshalb voll teilen: Die industriefreie Dienstleistungsgesellschaft ist eine Illusion. Die Industrie ist der Motor unserer Wirtschaft. Und sie wird es bleiben, wenn sie weiter Intelligenz aufsaugt und integriert.

Neben dem technologischen Paradigmenwechsel muss die Industrie weiterhin verlässliche Partnerschaften mit den Dienstleistungen eingehen. Im modernen Konzept der „Smart Indu-stry“ muss die Weiterentwicklung zu Intelligenten Technischen Systemen ebenso gefördert werden wie hybride Unternehmen, die mit ihrer Wertschöpfungskette innerhalb des eigenen Unternehmens sowohl industrielle Leistungen als auch echte Dienstleistungen erbringen und besonders innovativ sind. Die Industrie bleibt auch im Verbund mit ihren Vorleistungen – zu-meist industrienahe Dienstleistungen – ein Erfolgsmodell für Deutschland und für Hessen.

Der erste Teil des vorliegenden Ergänzungsbandes aktualisiert die makroökonomische Sicht auf das Land Hessen. Zwischenzeitlich lagen der Statistik neue Daten vor, die in der Studie Gemein-sam Mehr.Wert. Innovationen im industriellen Mittelstand nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Damit bietet der Ergänzungsband die zurzeit neuesten verfügbaren Informationen.

Herausforderungen an den Industriestandort

Kehren wir zu unseren Ausgangsfragen zurück. Es geht uns nicht darum, Schrumpfungsprozesse aufzuhalten. Vielmehr wächst etwas Neues heran.

Die Industrie erfindet sich in diesem Prozess stetiger Akkumulation von Intelligenz, der auf allen Ebenen stattfindet, quasi neu, indem sie als Ganzes ein neues Niveau, eine neue Entwick-lungsstufe erreicht. Es bilden sich ganz neue Mischungen aus Industrie und Service heraus, die Kundenbedürfnisse umfassender befriedigen. Diese Entwicklungen werden z. B. neue Berufs-bilder ausprägen und neue Anforderungen an die Infrastruktur des Landes stellen.

Wenn die Industrie durch Globalisierung und Ökologisierung transformiert smarter wird, muss auch der Industriestandort intelligenter werden. Dafür müssen wir die Herausforderungen an seine Akteure in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik neu definieren. Was kann und muss Politik hier leisten?

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• Wir brauchen frühere und gezielte Investitionen in Bildung.• Wir brauchen mehr Unterstützung im Wissens-Transfer zwischen Hochschulen und

Wirtschaft.• Wir brauchen Hilfe bei der Vernetzung und der Herausbildung neuer unternehmensüber-

greifender Clusterstrukturen.

Und wir brauchen gerade auch hier in Hessen mehr Akzeptanz für die Industrie – nicht nur für ihre Segnungen wie Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze, sondern auch Akzeptanz für damit verbundene Infrastrukturprojekte. Das sind nur einige der Aufgaben, die an Relevanz gewonnen haben. Und eine solche Entwicklung ist etwas ganz anderes als eine „Blaupausen-Industrie“, wie sie noch vor einigen Jahren als Schreckensszenario an die Wand geworfen wurde. Allen Tendenzen des outsourcing und offshoring zum Trotz: Industrie kann an diesem Standort nur mit Produktion stattfinden – auf einem qualitativ höheren Niveau als jemals zuvor. Aber diese Produktion muss von ihrer Gesellschaft gewollt, ja geschätzt werden. Und sie braucht nicht nur die kühnen langfristigen Visionen, sondern auch die klugen, pragmatischen Überbrückungen in der Gegenwart, kurz: die für eine Wende erforderlichen intelligenten „lernenden“ Rahmen-bedingungen.

Gerade in puncto nachhaltige Einigungsprozesse hat das Land Hessen mit der Akzeptanzstei-gerung des Flughafenausbaus über Mediation, Regionales Dialogforum und seinen Nachfolger Forum Flughafen und Region gute Erfahrung gemacht – sich wahrscheinlich sogar darin eine gewisse Alleinstellung erarbeitet. Mit Blick auf den Transformationsprozess der Industrie, die zugrunde gelegte Energiewende und damit verbundene erhebliche Infrastrukturprojekte wer-den wir diese Konsensinstrumente wohl immer weiter verfeinern und ergänzen müssen; z. B. um frühzeitige Planungsdialoge, die Partizipation am Anfang ermöglichen, um Widerstand am Ende zu vermeiden.

Wir hoffen, mit unserer Arbeit die Diskussion über die Rolle der Industrie in Hessen und Deutsch-land voranzubringen. Und wir wünschen uns eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung. Zu dieser Diskussion über ein neues industriepolitisches Leitbild Hessen und eine gesteigerte Industrieakzeptanz laden wir Sie herzlich ein.

Dieter Posch Prof. Dieter WeidemannHessischer Wirtschaftsminister Präsident der VhU

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Motor für Innovation

WISSENSLAND HESSEN – DIE MAKRoÖKoNoMISCHE SICHT

Neben der Analyse des Innovationsverhaltens in hessischen Unternehmen ist es für eine spä-tere Ableitung von Handlungsoptionen zentral, auch immer die gesamtwirtschaftlichen Rah-menbedingungen im Blick zu haben. Insbesondere geht es um die Bedeutung der Industrie für den Innovationsprozess. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der hessischen Wirtschaft aus drei Sichten:

• Aufstellung der hessischen Wirtschaft beim Megatrend Wissensintensivierung• Analyse der Branchenstruktur und -entwicklung• Aufstellung der hessischen Wirtschaft beim Megatrend Tertiarisierung

Die Analyse der hessischen Wirtschaft stützt sich weitgehend auf amtliche Statistiken (Volks-wirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Statistik der Bundesagentur für Arbeit über SV-Beschäftigte u. ä.). Es wird ein Vergleich Hessens mit den gesamtdeutschen Werten sowie mit zwei für diese Fragestellung relevanten Benchmark-Bundesländern – Baden-Württemberg und Bayern – vorgenommen. Bei einigen Indikatoren ist eine tiefer gegliederte regionale Sicht auf Ebene der hessischen Regierungsbezirke Gießen, Kassel und Darmstadt möglich.

1.1 Forschung, Entwicklung und Innovationen

Forschung und Entwicklung und Innovationen sind entscheidende Wettbewerbsparameter und Erfolgsfaktoren für Unternehmen (Baldwin/Johnson, 1995; Gemünden et al., 19921). Es gibt klare Unterschiede in den Forschungs- und Innovationsaktivitäten zwischen Unternehmens-größen und Branchen. KMU sind weniger FuE- und innovationsintensiv. Auf die Industrie ent-fällt der Großteil der FuE- sowie der Innovationsaufwendungen der deutschen Wirtschaft. Das zeigen die einschlägigen empirischen Befunde, wie z. B. das ZEW-Innovationspanel oder die Erhebung der FuE-Aufwendungen des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft. Zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommt das IW-Zukunftspanel.

1 Das Literaturverzeichnis findet sich in der Basisstudie „Gemeinsam Mehr.Wert. Innovationen im indu-striellen Mittelstand“.

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Zwei für diese Studie zentrale Ergebnisse zeigt das ZEW-Innovationspanel:

• Alle einschlägigen Innovationsindikatoren liegen in der Industrie höher als den Dienst-leistungen. Rund 60 Prozent der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes sind Innova-toren; in den Dienstleistungsbranchen sind es nur 47 Prozent. 32 Prozent der Industrie-unternehmen betreiben Forschung und Entwicklung; bei den Dienstleistungen sind es nur 14 Prozent. Die Innovationsintensität beträgt in den industriellen Branchen 4,5 Prozent; bei den Dienstleistungen ist diese Quote mit 1,2 Prozent deutlich niedriger. Auf die Industrie entfallen 77 Prozent aller Innovationsaufwendungen und auf den quantitativ größeren Dienstleistungsbereich nur 23 Prozent. Innerhalb dieser Branchengruppen gibt es noch deutlichere Unterschiede zwischen der forschungsintensiven und der sonstigen Industrie sowie zwischen den wissensintensiven und sonstigen Dienstleistungen. Auf die forschungs-intensive Industrie beispielsweise entfallen 60 Prozent der Innovationsaufwendungen, aber nur 22 Prozent der Umsätze und nur knapp 9 Prozent der ZEW-Stichprobe. Die Unterschiede zwischen Industrie und Dienstleistungen sind in der Wirklichkeit noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass typische FuE- und innovationsschwache Branchen wie das Gastgewerbe, der Einzelhandel, die konsumnahen oder kulturellen Dienstleistungen im ZEW-Panel nicht enthalten sind.

• Bei einem Blick auf die Unternehmensgrößenklassen zeigt sich, dass die Innovatorenquo-ten und die FuE-Tätigkeit mit der Unternehmensgröße deutlich zunehmen. Das gilt nicht nur für die Gesamtwirtschaft, sondern auch innerhalb des Industrie- und Dienstleistungs-bereiches. Die Innovationsintensität hat einen U-förmigen Verlauf. Sie beträgt 1,6 Prozent bei den Unternehmen bis fünf Beschäftigte, fällt zunächst auf 1,4 Prozent für Unternehmen zwischen 50-249 Beschäftigte, steigt dann wieder an auf 1,6 Prozent (250-999 Beschäftig-te) und deutlich weiter auf 4,3 Prozent für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Absolut betrachtet bestreiten mit fast 80 Prozent die größeren Unternehmen (250 Beschäf-tigte und mehr) den Löwenanteil der Innovationsaufwendungen.

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Motor für Innovation

Tabelle 1-1: Innovationsindikatoren der deutschen Wirtschaft

ZEW-Innovationspanel; Angaben für 2009 in Prozent

Innovatoren- quote1)

FuE-Tätigkeits- quote2)

Innovations- intensität3)

Branchen

Verarbeitendes Gewerbe 59 32 4,5

Forschungsintensive Industrie 82 59 8,4

Sonstige Industrie 52 24 1,6

Dienstleistungen 47 14 1,2

Wissensintensive Dienstleistungen 57 23 1,7

Sonstige Dienstleistungen 39 7 0,7

Gesamt 52 21 2,7

Unternehmensgrößenklassen

5 – 49 Beschäftigte 47 17 1,6

50 – 249 Beschäftigte 71 41 1,4

250 – 999 Beschäftigte 82 57 1,6

1.000 und mehr Beschäftigte 90 70 4,3

Gesamt 52 21 2,7

1) Anteil der Unternehmen, die in den letzten drei Jahren neue oder verbesserte Produkte oder Prozesse eingeführt haben; 2) Anteil der Unternehmen, die kontinuierlich oder gelegentlich Forschung oder Entwicklung betreiben; 3) Innovationsaufwendungen in Prozent des Umsatzes Industrie: Produzierendes Gewerbe ohne Bau; Dienstleistungen: alle ohne Kfz-Reparatur, Einzelhandel, Gastgewerbe, Vermietung, Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen, öffentliche Verwaltung; konsumnahe und kulturelle Dienstleistungen Forschungsintensive Industrie: Chemie, Pharma, Elektroindustrie; Maschinen- und Fahrzeugbau; Wissensintensive Dienstleistungen: Film, Radio, TV und Verlage, IuK-Dienste, Finanzdienstleistungen, Rechts- und Wirtschaftsberatung, Architektur, technische Labore, FuE-Dienstleistungen und Ingenieur-büros; alle Branchen abgegrenzt auf Basis WZ 2008

Quelle: ZEW (2011)

Zu ähnlichen strukturellen Ergebnissen kommt die Erhebung der FuE-Aufwendungen des Stif-terverbandes für die deutsche Wissenschaft für das Jahr 2009 (vorläufige Zahlen). Knapp 90 Prozent aller FuE-Aufwendungen entfallen auf den industriellen Bereich und nur 10 Prozent auf die Dienstleistungsbranchen (Stifterverband, 2011). Innerhalb der Industrie entfallen fast alle Aufwendungen auf das Verarbeitende Gewerbe. Auch der Blick auf die Unternehmensgröße ist eindeutig. Nur knapp 10 Prozent der FuE-Aufwendungen werden im Mittelstand, d. h. von Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, getätigt. Rund 90 Prozent aller FuE-Ausgaben finanzieren die größeren Unternehmen.

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Viele KMU sind trotz dieser Defizite erfolgreich. Das zeigen Untersuchungen des IW-Zukunftspa-nels. Ein Teil dieser Unternehmen kann unterdurchschnittliche Forschungs- und Innovations-tätigkeiten durch andere Erfolgsfaktoren kompensieren. Dazu gehören die Differenzierungs-fähigkeit, d. h. unter anderem die Kombination von Industrie und Dienstleistungen oder der Ausbau der produktbegleitenden Dienstleistungen. Auch wichtige Eigenschaften wie Qualität, Zuverlässigkeit, Termintreue oder die Fähigkeit zum Angebot kundenspezifischer Produkte ge-hören dazu (Lichtblau/Neligan, 2009). Natürlich sind das nur Durchschnittsbeobachtungen, die nichts über einen Einzelfall aussagen. Viele kleinere Dienstleistungs- oder Industrieunterneh-men haben sehr hohe Forschungs- und Innovationsintensitäten und entwickeln sich insgesamt sehr dynamisch. Wichtig ist auch die Beobachtung aus dem IW-Zukunftspanel, dass innerhalb des Mittelstandes die Innovatoren und die Unternehmen mit FuE-Tätigkeiten erfolgreicher sind als die Vergleichsgruppe (IW Consult, 2008).

Wissen ist insgesamt betrachtet eine Grundvoraussetzung für internationale Wettbewerbs-fähigkeit. Deutschland schneidet bei internationalen Vergleichen zur FuE- und Innovations-intensität relativ gut ab (siehe u. a. European Commission – Enterprise and Industry (Hrsg.) 2010). Deutschland zählt mit Finnland, Dänemark, Schweden und dem Vereinigten Königreich zu den „Innovation leaders“, die deutlich mehr als der EU-27-Durchschnitt in Sachen Innovati-on unternehmen. Deutschland hat die größte Verbesserung innerhalb seiner Vergleichsgruppe (Innovation leaders) erzielt. Die Stärke beruht vor allem auf wirtschaftlichen Effekten (u. a. Be-schäftigtenanteile in wissensintensiven Unternehmen und Umsatzanteile mit Marktneuheiten) und den Innovatoren (u. a. Anteil KMU mit Innovationen). Im Bereich Humanressourcen (u. a. Anteil Hochqualifizierte in der Bevölkerung) ist die Leistung im Vergleich zur EU eher unter-durchschnittlich. Dies gilt auch für den Bereich der Durchbrüche (u. a. europäische Patentan-meldungen, eingetragene Marken). Gleichwohl hat es in diesen Bereichen in den vergangenen fünf Jahren teils deutliche Verbesserungen gegeben.

Ein Vergleich der FuE-Ausgaben am BIP (2008) zeigt, dass Deutschland hier mit 2,6 Prozent über dem oECD-Durchschnitt (2,3 Prozent) liegt, aber Schweden (3,8 Prozent), Finnland (3,5 Prozent), Japan (3,4 Prozent), Korea (3,2 Prozent) und USA (2,8 Prozent) eine höhere Inten-sität aufweisen.

FazitInsgesamt zeigen die Indikatoren zur FuE- und Innovationstätigkeit, dass kleine und mittlere Unternehmen und die Dienstleistungsbranchen Defizite haben. Auf die größeren Unternehmen entfallen in Deutschland etwa 90 Prozent der FuE-Ausgaben und 80 Prozent der Innovationsaufwendungen. Ähnliche Relationen zeigt die Branchensicht: Rund 90 Prozent der FuE- und 77 Prozent der Innovationsausgaben investiert die Industrie.

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Motor für Innovation

1.2 Der Faktor Humankapital

Grundvoraussetzung für wissensintensive Tätigkeiten ist, dass das notwendige Humankapital – sprich qualifizierte Fachkräfte – hierfür vorhanden ist. Hat man das Innovationspotenzial Hes-sens im Blick, so müssen parallel auch der Bildungsbereich und die demografische Entwicklung mitberücksichtigt werden.

Hessen liegt bei fast allen einschlägigen Humankapitalindikatoren2 über dem Bundesdurch-schnitt (Tabelle 1-2).

•Bei der Akademikerdichte positioniert sich Hessen mit 12,5 je 100 SV-Beschäftigte ganz weit vorne. Dies liegt vor allem an der hohen Dichte von 14,6 Studierten je 100 SV-Beschäftigte im Regierungsbezirk Darmstadt. Die Regierungsbezirke Gießen und Kassel sind hier weit unter dem deutschen Mittelwert mit etwa 8 bis 9 Akademikern je 100 SV-Beschäftigte. In Deutschland insgesamt sowie in Bayern sind es lediglich 10 bis 11 Akademiker je 100 Arbeitnehmer. Baden-Württemberg liegt hier dazwischen. Was die Veränderung des Anteils an Studierten angeht, zeigen sich kaum Unterschiede. Hessen konnte hier seinen Anteil zwischen 2004 und 2010 um 1,6 Prozentpunkte erhöhen. In Baden-Württemberg lag diese anteilsmäßige Veränderung bei 1,7 Prozentpunkten.

•Auch die FuE-Intensität mit 10,9 Forschern je 1.000 Erwerbstätige liegt deutlich über dem deutschen Durchschnitt von 8,0. Auch hier sticht Darmstadt mit 13,8 hervor. Das Schluss-licht bildet hier der Regierungsbezirk Kassel. Lediglich in Baden-Württemberg kommen mehr Forscher – nämlich 15,8 – auf 1.000 Erwerbstätige.

•Betrachtet man nur die Industrie, ist Hessen mit Blick auf die FuE-Intensität gut aufgestellt. Der Anteil des FuE-Personals an allen Beschäftigten liegt nach Angaben des Stifterverbandes für das Jahr 2007 mit 8,1 Prozent nicht nur über dem Bundesdurchschnitt (5,3 Prozent), sondern übersteigt auch die Vergleichswerte von Bayern (6,0 Prozent) und Baden-Württem-berg (7,1 Prozent).

•Bei der Ingenieursdichte ist der Wert für Hessen eher durchschnittlich. Hier kommen 2,9 Ingenieure auf je 1.000 SV-Beschäftigte. Hier liegt wieder nur der Wert für Darmstadt ganz vorne. Insbesondere in Baden-Württemberg (3,9) und in Bayern (3,2) ist die Ingenieurs-dichte deutlich höher.

2 Die Ergebnisse des ZEW-Innovationspanels liegen nicht für einzelne Bundesländer vor. Deshalb können in diesem Abschnitt nicht für alle relevanten Indikatoren Daten für Hessen dargestellt werden. Sehr ausführlich wird das Innovationsverhalten der hessischen Unternehmen im Vergleich zum bundesdeut-schen Durchschnitt in einem späteren Kapitel auf Basis einer eigenen Unternehmensbefragung darge-stellt.

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•Langfristig entscheidend für die Leistungsfähigkeit eines Bundeslandes ist ebenfalls der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung. Dieser kann anschaulich durch den sogenannten Al-tersquotienten ausgedrückt werden. Der Altersquotient gibt an, wie viele Einwohner im Alter von 65 oder mehr Jahren auf Einwohner im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) kommen. Auch bei diesem Indikator liegt Hessen (28,9) mit Bayern (29,5) und Baden-Württemberg (29,5) praktisch gleichauf. Diese Werte sind alle besser als der Bundesdurchschnitt von 31,4.

Tabelle 1-2: Erfolgsfaktor Humankapital

Angaben in Prozent

Akademiker-dichte1)

FuE-Personal3)

Ingenieurs-dichte1)

Alters- quotient2)

je 100 SVB je 1.000 ET je 100 SVB

Anzahl Einw. 65 und älter pro 100 Einw. (15 bis 64

Jahre)

Hessen 12,5 10,9 2,9 28,9

Darmstadt 14,6 13,8 3,3 29,4

Gießen 8,9 6,2 1,9 29,7

Kassel 7,8 4,7 1,9 33,9

Baden-Württemberg 11,4 15,8 3,9 29,5

Bayern 10,5 10,9 3,2 29,5

Deutschland 10,6 8,0 2,8 31,4

SVB = Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte; ET= ErwerbstätigeDie Angaben wurden auf dem jeweils aktuellsten Stand umgesetzt:1) Angaben für 20102) Angaben für 20093) Angaben für 2007

Quelle: IW Consult Regionaldatenbank

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Ein Blick auf weitere zentrale Indikatoren zum Stand der Bildung und Forschung zeigen, dass Hessen in vielen Bereichen noch Verbesserungsbedarf hat (Tabelle 1-3):

•Hessen konnte in den vergangenen Jahren den Anteil mit Schulabgängern ohne Schulab-schluss erheblich um vergleichsweise hohe 2,3 Prozentpunkte reduzieren. Nur Bayern war hier erfolgreicher. Der aktuelle Anteil liegt mit 6,6 Prozent genau gleichauf mit dem Bundes-durchschnitt. Baden-Württemberg hebt sich hier positiver mit seinen 5,4 Prozent hervor. Bayern liegt aktuell in der Mitte der genannten Werte (5,9 Prozent).

•Bei den Pisa-Ergebnissen, die hier als ein Mittelwert aus allen drei Disziplinen (Mathematik, Naturwissenschaft, Lesen) gebildet werden, liegt Hessen unter dem gesamtdeutschen Wert und weit hinter Bayern und Baden-Württemberg.

Tabelle 1-3: Kennziffern zu Bildung und Forschung

Hessen Baden-Württemberg Bayern Deutschland

Schulabgänger ohne Abschluss

20091) 6,6 5,4 5,9 6,6

w04/092) 3) -2,3 -1,7 -2,7 -1,8

Pisa-Ergebnisse (Mittelwert der Punkte)

2006 500 513 522 505

2003 490 511 527 499

Studierende ( je 1.000 EW)

2010 32,4 27,0 23,0 27,1

w04/104) 6,1 4,6 2,9 3,3

Wissenschafts-ausgaben (Euro je EW)

2008 24,0 33,2 47,4 36,2

w03/081) 26,4 22,2 18,4 13,8

Bildungs- ausgaben (Euro je EW)

2008 653,0 670,8 667,1 638,2

w03/081) 17,2 7,8 10,7 6,3

Patentan-meldungen ( je 100.000 EW)

2010 40 138 104 58

w03/101) -35,5 14,0 -4,6 -1,7

1) Angaben in Prozent2) w0x/0y: Veränderung im angegebenen Zeitraum3) Angaben in Prozentpunkten4) Veränderung je 1.000 Einwohner

Quelle: IW Consult Regionaldatenbank

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•Hessen hat mit 32,4 Studierenden je 1.000 Einwohner relativ gesehen die meisten Studie-renden. Hier liegen die Werte für die Vergleichsbundesländer deutlich niedriger.

•Dennoch liegen die Wissenschaftsausgaben je Einwohner in Hessen trotz erheblicher Zu-wächse zwischen 2003 und 2008 mit 24 Euro ganz weit hinten. Andere Bundesländer sind spendabler: Bayern gibt hier 47 Euro aus und Baden-Württemberg 33 Euro (Deutschland: 36 Euro).

•Besser sieht es aber bei den Bildungsausgaben aus. Hier liegt Hessen mit Ausgaben für jeden Einwohner von 653 Euro zwar leicht hinter Baden-Württemberg (671 je Einwohner) und Bayern (667). Dennoch ist dieser Wert deutlich über dem durchschnittlichen Gesamtwert für Deutschland (638).

•Bei den Patentanmeldungen schneidet Hessen mit 40 je 100.000 Einwohner selbst im Ver-gleich mit dem bundesweiten Durchschnitt (58) sehr schlecht ab. Bayern kann hier mit 104 Anmeldungen mehr als doppelt so viele aufweisen und Baden-Württemberg hat mit 138 fast dreieinhalbmal so viele Patentanmeldungen.

KurzumAuch in Hessen – ähnlich wie in Deutschland insgesamt – boomen die wissensintensiven Tä-tigkeiten. Voraussetzung hierfür sind qualifizierte Fachkräfte. Hessen ist hier im Bereich der Akademiker gut aufgestellt und kann über seine eigenen Studierenden Potenziale schöp-fen. Gleichzeitig sind die demografischen Voraussetzungen vor allem im Vergleich zum Bun-desdurchschnitt gut. Im Vergleich zu den süddeutschen Bundesländern zeigen sich jedoch Rückstände insbesondere bei der FuE-Personaldichte in der Industrie sowie dem Anteil an Ingenieuren. Bei den Patentanmeldungen schneidet Hessen sehr schlecht ab.

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VIER KoNZEPTE FÜR EINE INDUSTRIEABGRENZUNG

Es gibt vielfältige Konzepte für eine Industrieabgrenzung. Vier sollen hier genannt werden. Alle vier Konzepte bergen Vor- und Nachteile, auf die näher eingegangen wird. Die Konzepte nehmen verschiedene Perspektiven zum industriellen Sektor ein.

BranchensichtDie bekannteste Definition von Industrie baut auf der amtlichen Nomenklatura der Wirtschafts-zweige des Statistischen Bundesamtes auf. Zur Industrie gehören in einer weiten Abgrenzung das Produzierende Gewerbe oder in einer engeren Sicht das Verarbeitende Gewerbe. Die Zu-ordnung der Unternehmen zu einem Wirtschaftszweig erfolgt nach dem Schwerpunktprinzip. Der Vorteil des Branchenkonzeptes liegt darin, dass die Klassifikation der Wirtschaftszweige international abgestimmt ist und die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nach dieser Sys-tematik aufgebaut sind. Bei der Analyse der Bedeutung und der Entwicklung der Industrie sind diese Daten deshalb unverzichtbar. Die Branchensicht ist aber aus drei Gründen nicht hinrei-chend. Erstens schließt das Verarbeitende Gewerbe neben den klassischen herstellenden Indu-strieunternehmen auch große Teile des Handwerks ein und vermischt damit sehr unterschiedli-che Unternehmenstypen. Zweitens verkürzt das Branchenkonzept die Sicht auf die industriellen Wertschöpfungsketten. Gerade das Verarbeitende Gewerbe hat eine Drehscheibenfunktion und steht im Zentrum von Wertschöpfungsprozessen, die auch viele Dienstleistungsunternehmen einbezieht. Drittens ist das Branchenkonzept eine ”black box“, die nicht berücksichtigt, was in den Unternehmen tatsächlich geschieht. Es ist schon lange nicht mehr so, dass Industrieunter-nehmen sich nur auf die Herstellung von Industrieprodukten konzentrieren. Sie bieten dane-ben im erheblichen Ausmaß auch Dienstleistungen an und ihre Mitarbeiter sind in der Mehrheit nicht mehr mit der Fertigungs-, sondern mit Dienstleistungstätigkeiten beschäftigt. Die Bran-chengrenzen verschwimmen immer mehr.

VerbundsichtDie Verbundsicht berücksichtigt zwei zusätzliche Aspekte: Das ist die Vorleistungsverflechtung der Industrie mit den industrienahen Dienstleistungsbranchen sowie die Verschmelzung von Industrie und Dienstleistungen in hybriden Geschäftsmodellen. Der erste Aspekt stellt die Drehscheibenfunktion der Industrie heraus. Sie ist Nettokäufer von Vorleistungen aus dem Dienstleistungsbereich und damit ein wichtiger Absatzmarkt für diese. Zu nennen sind hier bei-spielsweise Dienstleistungen im Bereich Logistik, Ingenieurdienstleistungen oder Call Center.

2

KurzDas Branchenkonzept ist unverzichtbar, aber nicht hinreichend zur Analyse moderner indu-strieller Wertschöpfungsprozesse.

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Genau um diesen Effekt der Nettokäufe ist die Bedeutung der Industrie höher als es ihr eigener Beitrag zur Wertschöpfung ausdrückt. Dieser erste Aspekt der Verbundsicht basiert wiederum auf dem Branchenkonzept und analysiert die Austauschbeziehungen zwischen Industrie- und Dienstleistungsbranchen. Die zweite Dimension der Verbundsicht betrachtete das tatsächli-che Produktportfolio der Unternehmen. Immer mehr Industrieunternehmen verkaufen auch Dienstleistungen und werden so zum Anbieter kompletter Wertschöpfungsketten. Das wird als hybride Wertschöpfung bezeichnet, weil es hervorhebt, dass Industrieunternehmen beides tun: die Fertigung von Industrieproduktion und die Erbringung produktbegleitender Dienst-leistungen. Der Vorteil dieser Sicht ist, dass die ”black box“ Unternehmen geöffnet und hinein geschaut wird, was Unternehmen wirklich tun. Das ist eine sehr sinnvolle Ergänzung des Bran-chenkonzeptes, zumal solche hybriden Geschäftsmodelle von Industrie- und Dienstleistungs-unternehmen angeboten werden. Der Nachteil dieser Betrachtungsweise ist, dass es dazu keine amtlichen Daten gibt. Die Informationen beruhen auf Befragungen, wie sie beispielsweise dem IW Zukunftspanel.

ProduktsichtIndustrie kann noch aus einer völlig anderen Perspektive betrachtet werden, die die Eigenart industrieller Produkte und Produktionsprozesse betont. Das wesentliche Merkmal ist eine iden-tische Reproduzierbarkeit der Produkte, weil die Herstellung auf Stücklisten, Konstruktionen, Rezepturen oder klaren technischen Spezifikationen beruhen. Das gilt auch für einige Dienstlei-stungen, wie die Herstellung von Software oder technischen Dienstleistungen. Gewissermaßen gilt das aber auch für klassische Dienstleistungsunternehmen, wie zum Beispiel einer Flugge-sellschaft, die auch standardisiert und reproduzierbar ihre Flüge bereitstellt. Um den Kreis der Industrie aber nicht zu groß werden zu lassen, sollen diese Dienstleister ein zusätzliches Kri-terium erfüllen. Ihre Produkte sollen Investitionsgutcharakter haben, also nicht bei dem Kon-sum direkt „untergehen“. Bei dieser Sichtweise gehört der Softwarehersteller zur Industrie, die Fluggesellschaft aber nicht. Diese Sichtweise macht nur Sinn, wenn sich für diese Unternehmen Gemeinsamkeiten finden lassen, die wirtschaftspolitisch bedeutend sind (siehe dazu Kapitel 3). Ein Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass die für die Abgrenzung notwendigen Merkmale in offiziellen Statistiken nicht aufgeführt werden. Gleichwohl lassen sie sich auf Basis von Befra-gungen relativ trennscharf erheben.

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Abbildung 2-1: Drei Abgrenzungskonzepte für die IndustrieAbgrenzungen von industriellen Wertschöpfungsprozessen

Quelle: IW Consult (2011)

FunktionssichtIn der funktionalen Sichtweise werden die Branchen in fünf Sektoren aufgeteilt, die wieder-um aus 16 Querschnittsbranchen bestehen.1 Hiermit soll erreicht werden, dass die industrielle Wertschöpfung funktional und damit zu den einzelnen Bereichen zuzuordnen ist. Die fünf Sek-toren werden Kernbedarfe, Transmitter, industrielle Basis, Inputs und der Staat genannt. Auf diese Sichtweise wird im Gutachten nicht näher eingegangen.

1 Nach einer Aufteilung der Prognos AG.

Industrielle Wertschöpfungsprozesse

Branchensicht Produktsicht

Verbundsicht

Funktionssicht

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2.1 Branchensicht

Die Ausführungen im ersten Kapitel haben gezeigt, dass es im Hinblick auf die FuE-, Innovati-ons- und Wissensintensitäten große Unterschiede in den Branchen gibt. Auf die Industrie ent-fallen rund 90 Prozent aller FuE- und 77 Prozent aller Innovationsaufwendungen in der deut-schen Wirtschaft.2 Eine herausgehobene Bedeutung kommt dabei dem Verarbeitenden Gewerbe – dem Kernsektor der Industrie – zu. Deshalb muss bei der Betrachtung der Struktur und Ent-wicklung der Wertschöpfung und der Beschäftigung diesem Bereich der Wirtschaft besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. In der nachfolgenden Analyse steht zunächst die klassische Branchensicht im Blickpunkt. Danach werden die Branchen nach zukunftsrelevanten Aspekten (wissensintensive Branchen, Wachstumsinseln und Zukunftsbranchen) zusammengefasst.

Hessen ist bereits heute ein ausgeprägter Dienstleistungsstandort. In den letzten zehn Jahren haben sich die Dienstleistungsanteile bei der Wertschöpfung und Beschäftigung ständig erhöht (Tabelle 2-1).

•Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung beträgt in Hessen im Jahr 2010 nur noch 17 Prozent. Das ist weniger als im Bundesdurchschnitt (20,7 Prozent) und vor allem deutlich weniger im Vergleich zu Bayern und Baden-Württemberg (25,8 Prozent). Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes fällt in Hessen in den letzten Jahren kontinuierlich. 1995 lag der Anteil dieses Kernsektors der Industrie noch 21,4 Prozent. Danach gab es einen stetigen Rückgang bis zum Tiefpunkt von 15,7 Prozent im Krisenjahr 2009. Zwar erhöhte sich die Quote im Jahr 2010 wieder auf 17,0 Prozent. Das ändert allerdings nichts an dem Gesamt-befund eines trendmäßig fallenden Anteils des Verarbeitendes Gewerbes in Hessen. In Bayern und Baden-Württemberg ist die Situation anders. Dort lag der Industrieanteil im Jahr 2008 mit 28,1 Prozent noch leicht über dem Niveau von 1995 (27,8 Prozent). Der Kriseneinbruch im Jahr 2009 war schärfer. Im Jahr 2010 ist die Industrie in Bayern und Baden-Württemberg wieder stark gewachsen und erhöhte den Anteil an der Bruttowertschöpfung von 23,6 Prozent (2009) auf 25,8 Prozent (2010). Mit Ausnahme des Krisenjahres 2009 gibt es in den beiden süddeutschen Bundesländern keinen strukturellen Rückgang der Wertschöpfungsanteile des Verarbeitenden Gewerbes – das ist der entscheidende Unterschied zu Hessen.

•Die Wirtschaft Hessens ist stärker als die anderer Bundesländer von Dienstleistungen ge-prägt. 77 Prozent der Wertschöpfung wird in Hessen im Dienstleistungssektor erwirtschaf-tet. Rund drei Viertel der Erwerbstätigen sind dort tätig. Die Anteile sind deutlich höher als in Deutschland und erst recht im Vergleich zu Bayern und Baden-Württemberg.

•Einen besonders hohen Stellenwert genießen hier die unternehmensnahen Dienste. Immer-hin 56 Prozent der hessischen Wertschöpfung kommen aus diesem Bereich. Auch sind mit 44 Prozent überdurchschnittlich viele Erwerbstätige in Hessen in diesem Sektor beschäftigt.

2 Bei dieser Betrachtung sind nicht alle Branchen, sondern nur die FuE- und innovationsaffinen einbe- zogen. Siehe dazu die Erläuterungen in Abschnitt 1.1.

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•Etwas geringer ist im bundesweiten Vergleich die Bedeutung der haushaltsnahen Dienst-leistungen. Hessen liegt hinter Bayern und Baden-Württemberg und hinter dem Bundes-durchschnitt.

•Die hohe Bedeutung der unternehmensnahen Dienstleistungen ist vor allem durch über-durchschnittlich hohe Wertschöpfungsanteile im Finanzsektor (8 Prozent; Deutschland: 4 Prozent), aber auch in den Bereichen Vermietung, Grundstück und Wohnungswesen sowie Verkehr und Nachrichten zurückzuführen.

•Die hohe Dienstleistungsorientierung bedeutet im Umkehrschluss, dass Hessen weniger als andere Bundesländer industriegeprägt ist. Der Anteil des Produzierenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung liegt bei gut 22 Prozent. Bundesweit sind es knapp 28 Prozent und in Bayern und Baden-Württemberg sogar über 32 Prozent. Das Verarbeitende Gewerbe – der Kern der Industrie – hat in Hessen nur noch einen Wertschöpfungsanteil von knapp 17 Pro-zent – in den beiden süddeutschen Bundesländern sind es acht Prozentpunkte mehr.

In den letzten zehn Jahren von 2000 bis 2010 hat sich in Hessen, Deutschland sowie in Bayern und Baden-Württemberg der Dienstleistungsbereich besser entwickelt. Die Wachstumsraten der Bruttowertschöpfung sind dort höher als im Produzierenden Gewerbe. Das gilt insbesonde-re im Vergleich zu dem Verarbeitenden Gewerbe, dem Kernsektor der Industrie.

•Das Produzierende Gewerbe ist in Hessen bei der Wertschöpfung in diesem Zeitraum nur vergleichsweise schwach gewachsen (+4,3 Prozent). Im Verarbeitenden Gewerbe ist ein Zuwachs von 2,6 Prozent zu verzeichnen. Der Dienstleistungsbereich hat in dieser Zeit um 29 Prozent zugelegt.

•Deutschlandweit ist das Produzierende Gewerbe um 13,2 Prozent gewachsen, der Dienst-leistungssektor aber um gut 25 Prozent.

•Besonders dynamisch hat sich in Bayern und Baden-Württemberg die Industrie entwickelt. Hier ist allerdings auch der Dienstleistungssektor (+27,6 Prozent) deutlich stärker gewach-sen als das Produzierende Gewerbe (+13,2 Prozent). In diesen beiden Ländern hat sich aber insbesondere das Verarbeitende Gewerbe besser entwickelt als in Hessen.

Die gleiche Struktur – allerdings mit meistens negativen Wachstumsraten – ist bei einem Blick auf die Entwicklung der Erwerbstätigen zu beobachten.

Der betrachtete Zehnjahreszeitraum von 2000 bis 2010 ist sehr stark von dem Krisenjahr 2009 geprägt. In diesem Jahr hat die Wirtschaft einen großen Teil des Wertschöpfungs zuwachses der Jahre 1999 bis 2008 wieder verloren. Das ist insbesondere auf den Einbruch im Verarbeitenden Gewerbe zurückzuführen:

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•In Hessen ist die Bruttowertschöpfung von 2008 auf 2009 um rund 15 Prozent gefallen. In Bayern und Baden-Württemberg waren es sogar 20 Prozent. Im Jahr 2010 konnten aber schon einige der Verluste wieder aufgeholt werden.

•Dieser Einbruch hat sich bei den Erwerbstätigen bei Weitem nicht in diesem Ausmaß gezeigt. In Hessen und in Bayern/Baden-Württemberg war im Verarbeitenden Gewerbe jeweils ein Rückgang von rund 3 Prozent zu verzeichnen. Die Arbeitsvolumen sind allerdings stärker gefallen: in Hessen um gut 9 Prozent und in Bayern und Baden-Württemberg um mehr als 10 Prozent.

Das Krisenjahr 2009 ist sicher eine Sondersituation, die bei der Betrachtung längerfristiger Entwicklung unbeachtet bleiben sollte. Es gibt in den neusten Daten, die hier dargestellt wer-den, klare Anzeichen für eine Erholung auch des industriellen Sektors, wenn auch nicht voraus-gesagt werden kann, ob die Industrie ihre alte Bedeutung wieder erreichen wird.

Gerade bei dieser Betrachtung des Zeitraumes 2000 bis 2008 gibt es sehr deutliche Unterschie-de zwischen Hessen auf der einen sowie Baden-Württemberg und Bayern auf der anderen Seite:

•Die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe ist in Bayern und in Baden-Württem-berg um fast 21 Prozent gestiegen. Hessen schaffte nur etwa 6 Prozent. Die beiden süd-deutschen Bundesländer haben in diesem Zeitraum ihren Vorsprung als Industriestandorte ausgebaut.

•Bei der Beschäftigung haben Produktivitätsgewinne dafür gesorgt, dass die Zahl der Beschäf-tigten im Verarbeitenden Gewerbe ständig zurückgegangen ist. Besonders starke Beschäfti-gungsrückgänge hatte die hessische Industrie zwischen 2000 und 2008 mit einem Rückgang von gut 12 Prozent zu verzeichnen, während die Beschäftigungsrückgänge in Bayern/Baden-Württemberg lediglich bei 2 Prozent lagen. Bundesweit lag dieser Abbau bei 5,5 Prozent.

Den Beschäftigungsverlusten im Produzierenden Gewerbe standen Zuwächse im Dienstlei-stungsbereich gegenüber, die diese in Hessen, Deutschland und den beiden Vergleichsländern überkompensiert haben.

Auf den Punkt gebrachtHessen ist weniger stark industriegeprägt als Bayern und Baden-Württemberg. Das gilt ins-besondere mit Blick auf das Verarbeitende Gewerbe. Diese Unterschiede haben sich in den letzten zehn Jahren vergrößert. Hessen ist immer stärker zum Dienstleistungsland insbe-sondere im Bereich der unternehmensnahen Dienste geworden. Dieser Befund ist kritisch, insbesondere mit Blick auf die hohe Bedeutung der Industrie für Forschung und Entwicklung sowie Innovationen.

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Tabelle 2-1: Branchenstruktur und -entwicklung in Hessen

Angaben in Prozent

Bruttowertschöpfung ErwerbstätigeAnteile

2010W00/

10W00/

08Anteile

2010W00/

10W00/

08

Hessen

Produzierendes Gewerbe 22,5 4,3 6,8 21,6 -14,8 -11,7

Bergbau u. Energiewirtschaft 2,1 34,5 37,7 0,6 -16,2 -12,7

Verarbeitendes Gewerbe 17,0 2,6 6,3 16,2 -16,4 -12,2

Bauwirtschaft 3,5 -0,9 -4,6 4,8 -8,7 -9,9

Dienstleistungen 77,0 29,2 24,8 77,0 9,6 7,7

Unternehmensnah 56,1 31,2 28,2 44,2 7,3 7,0

Haushaltsnah 20,9 24,1 15,9 32,7 12,9 8,8

Gesamt 100,0 22,4 19,8 100,0 3,0 2,5

Baden-Württemberg und Bayern

Produzierendes Gewerbe 32,4 13,2 19,4 29,3 -7,8 -4,2

Bergbau u. Energiewirtschaft 2,1 60,5 50,6 0,6 -1,7 -2,3

Verarbeitendes Gewerbe 25,8 11,4 20,3 23,3 -6,9 -2,0

Bauwirtschaft 4,5 8,2 4,5 5,4 -12,0 -13,2

Dienstleistungen 66,8 27,6 23,2 68,4 12,9 10,5

Unternehmensnah 44,2 27,9 25,2 35,6 11,0 10,1

Haushaltsnah 22,6 27,1 19,3 32,7 15,2 11,0

Gesamt 100,0 21,9 21,3 100,0 5,2 4,9

Deutschland

Produzierendes Gewerbe 27,9 11,2 17,4 24,4 -12,5 -9,6

Bergbau u. Energiewirtschaft 3,0 73,5 66,4 0,9 -16,9 -14,8

Verarbeitendes Gewerbe 20,7 8,8 18,4 18,0 -9,9 -5,5

Bauwirtschaft 4,1 -3,7 -6,6 5,5 -19,3 -20,8

Dienstleistungen 71,2 25,5 21,6 73,5 10,5 8,5

Unternehmensnah 46,1 26,1 24,2 37,9 9,4 8,6

Haushaltsnah 25,2 24,5 16,8 35,6 11,8 8,5

Gesamt 100,0 20,7 19,9 100,0 3,4 2,9

Unternehmensnahe Dienste: Handel, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister; Haushaltsnahe Dienste: Öffentliche und sonstige private Dienstleistungen, Gastgewerbe; Gesamt: Einschließlich Agrarwirtschaft

Quelle: Statistisches Bundesamt (2010), VGR der Länder

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2.1.1 Branchen nach Zukunftsrelevanz

Interessant ist im Kontext von Innovationen auch der Blick auf Branchen, die künftig an Bedeu-tung gewinnen können. Dies kann aus drei Perspektiven betrachtet werden:

•Wissensintensive Branchen •Wachstumsinseln •Zukunftsbranchen

Wissensintensive Branchen boomen auch in Hessen – aber nicht in der IndustrieWissen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor auch in Hessen. Dies verdeutlichte schon die Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den wissensintensiven Branchen im Vergleich zu den nicht wissensintensiven Branchen in der Tabelle 2-2.3

Die Ergebnisse zeigen dennoch die wesentlichen Trends auf (Tabelle 2-2):

•Etwa zwei Fünftel der Arbeitnehmer sind in Hessen in wissensintensiven Branchen beschäf-tigt. Dies liegt knapp über dem Bundesdurchschnitt. In Bayern (42 Prozent) und insbeson-dere in Baden-Württemberg (45 Prozent) liegen diese Anteile höher.

•Während die wissensintensiven Branchen in Hessen deutlich um 7 Prozent gewachsen sind, betrug der Beschäftigungszuwachs in den nicht wissensintensiven Bereichen nur 1 Prozent. Für Deutschland ist das Ergebnis sogar noch deutlicher. Während die wissensintensiven Branchen einen Beschäftigungsboom erlebten, mussten die anderen, nicht wissensorien-tierten Branchen erheblich Beschäftigung abbauen. Auch in Bayern wurde verstärkt auf Know-how gesetzt. Hier konnte ein Wachstum von 15 Prozent verzeichnet werden.

•Betrachtet man das Ergebnis im Vergleich von Dienstleistung und Industrie, so fällt auf, dass das Wachstum gerade in den wissensintensiven Bereichen auf die Dienstleistungen zurückzuführen ist. Sie wuchsen für Hessen im genannten Zeitraum um 17,1 Prozent. Inner-halb des wissensintensiven Produzierenden Gewerbes zog der Trend in der Region Darmstadt (-18,8 Prozent) das Ergebnis für Hessen insgesamt nach unten, obwohl auch dieser wissens-intensive Bereich für die Regionen Gießen und Kassel zwischen 1998 und 2008 deutliche Wachstumsraten aufweist. Die beiden Branchen, die hierfür hauptsächlich verantwortlich sind, sind der Maschinenbau und das Verlagsgewerbe. Im Maschinenbau wurde über den Zehnjahreszeitraum rund die Hälfte aller Beschäftigungsverhältnisse abgebaut, im Verlags-gewerbe belief sich das Minus auf gut ein Drittel. Würden diese beiden Branchen unberück-sichtigt bleiben, so fiele das Minus im wissensintensiven Produzierenden Gewerbe in Darm-stadt mit -5,0 Prozent wesentlich geringer aus.

3 Zu den wissensintensiven Branchen gehören in Anlehnung an die Definition des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung (NIW) nach der Branchenklassifikation WZ 2003 die Nummern 11; 22–24; 29–35; 40/41; 64–67; 72–74; 85; 92.

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•Beim Blick auf die Entwicklung der nicht wissensintensiven Dienstleistungen in Hessen wird Hessens Ausrichtung an diesem Schwerpunkt deutlich. Stark über dem deutschen Durchschnitt (+5,5 Prozent) wuchs dieser Bereich zwischen 1998 und 2008 in Hessen um 10,6 Prozent, während die Entwicklung der Beschäftigtenzahl im nicht wissensintensiven Produzierenden Gewerbe (-22,6 Prozent in Hessen) nur knapp hinter der gesamtdeutschen Entwicklung (-24,8 Prozent) zurückblieb.

•Die schwache Beschäftigungsentwicklung in der wissensintensiven Industrie in Hessen ist vor allem auf das Verarbeitende Gewerbe zurückzuführen. Die Zahl der SV-Beschäftigten ist zwischen 1998 und 2008 in Hessen um fast 12 Prozent gefallen; Bayern hat einen Zuwachs von über 8 Prozent und Baden-Württemberg einen von immerhin 2,4 Prozent zu verbuchen. Dies zeigt sich auch in den Beschäftigungsanteilen. In Bayern waren im Jahr 2008 in den wissensintensiven Branchen des Verarbeitenden Gewerbes mehr als 20 Prozent aller Arbeit-nehmer beschäftigt. In Hessen waren es nur noch gut 11 Prozent. Zu den wissensintensiven Bereichen zählen die wichtigen Branchen der Chemie- und Elektroindustrie einschließlich Büromaschinen, Nachrichtentechnik, Medizin-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik und optik sowie der Maschinen- und Fahrzeugbau.

•Geht man in Hessen eine regionale Ebene tiefer, dann zeigt sich, dass vor allem Gießen deut-lich geringere Beschäftigungsanteile in den wissensintensiven Bereichen der Wirtschaft hat. Gleichzeitig haben die Regierungsbezirke Gießen und Kassel hier einen erheblichen Beschäf-tigungsaufbau in der vergangenen Dekade erlebt. Auffällig ist auch, dass gleichzeitig in Kassel die Beschäftigung im nicht wissensintensiven Bereich um 3 Prozent zurückgegangen ist. In Darmstadt, welches den höchsten Beschäftigungsanteil mit wissensintensiven Bran-chen hat, war das Wachstum in diesem Zeitraum am geringsten.

FazitInsgesamt ist festzustellen, dass in Hessen die wissensintensiven Dienstleistungen die Entwicklung treiben. Die im letzten Abschnitt festgestellte Schwäche des Verarbeitenden Gewerbes in Hessen – also des industriellen Kerns – ist auf eine unterdurchschnittliche Be-schäftigungsentwicklung gerade in den wissensintensiven Branchen des Verarbeitenden Gewerbes zurückzuführen. Hier gibt es die größten Unterschiede zu Bayern und Baden-Württemberg.

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Tabelle 2-2: Anteil und Entwicklung der wissensintensiven Branchen

Angaben in Prozent der SV-Beschäftigten

Wissensintensive Branchen Nicht wissensintensive Branchen

2008Wachstum 98–08 Wachstum 98–08

Gesamt DL PG Gesamt DL PG

Hessen 40,6 7,1 17,1 -11,5 1,2 10,6 -22,6

Darmstadt 42,0 5,7 18,5 -18,8 3,2 11,5 -25,5

Gießen 36,1 9,8 10,8 8,0 –1,4 9,4 -16,5

Kassel 39,0 10,6 16,1 2,1 –3,3 7,7 -22,3

Baden-Württemberg

45,1 10,9 20,5 1,7 2,5 13,4 -15,4

Bayern 42,2 15,0 21,3 7,1 3,5 13,7 -17,7

Deutschland 39,1 10,2 18,4 -2,8 –4,2 5,5 -24,8

DL = Dienstleistungen; PG = Produzierendes Gewerbe Wissensintensive Industrie: Gewinnung von Erdöl und Erdgas, Kokerei/Mineralölverarbeitung, Verlagsgewerbe, Chemie, Maschinenbau, Elektroindustrie, Fahrzeugbau, Energie- und Wasserversorgung; Wissensintensive Dienstleistungen: Kredit und Versicherungswesen, DV-Dienste, Forschung und Entwicklung wissensintensive unternehmensnahe Dienste, Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen, Kultur, Sport und Unterhaltung; Nicht wissensintensive Branchen: Übrige Branchen

Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2010), WZ 2003

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Tabelle 2-3: Wachstumsinseln und Zukunftsbranchen

Angaben in Prozent der SV-Beschäftigten, 2008

Wachstumsinseln Zukunftsbranchen

2008 2008

Hessen 15,5 33,0

Darmstadt 14,8 36,9

Gießen 16,1 21,9

Kassel 17,7 27,7

Baden-Württemberg 21,5 33,3

Bayern 26,1 29,2

Deutschland 16,7 28,9

Wachstumsinseln: Anteil der SV-Beschäftigten in Branchen, die wachsen und eine deutlich bessere Entwicklung als der Bundesdurchschnitt erzielen. Zukunftsbranchen: Anteil der SV-Beschäftigten in den acht IW-Zukunftsbranchen (wie z. B. Unternehmens dienste, Fahrzeugbau und Chemie)

Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2010), WZ 2003

Wachstumsinseln4 noch ausbaufähig

Hessen hat heute nur durchschnittlich viele Beschäftigte in Wachstumsinseln, auch wenn seit 2000 die Anteile erheblich erhöht werden konnten (Tabelle 2-3):

• In Hessen beträgt der Beschäftigungsanteil in Wachstumsinseln knapp 16 Prozent, dies entspricht fast dem Bundesdurchschnitt. In 2000 betrug dieser Anteil noch lediglich 12 Prozent. In Baden-Württem berg macht dies in 2008 mehr als ein Fünftel (2000: 17 Prozent) der Beschäftigten aus und in Bayern sogar mehr als ein Viertel (2000: 21 Prozent).

•Die Daten erlauben eine tiefere regionale Sicht, hier zeigt sich, dass insbesondere Kassel an der Spitze liegt. Zwischen 2000 und 2008 konnte diese Region den Beschäftigungsanteil in überdurchschnittlich wachsenden Branchen von 14 auf 18 Prozent erhöhen, danach folgen Gießen mit 16 Prozent (2000: 13 Prozent) und Darmstadt (2008: 15 Prozent, 2000: 12 Pro-zent).

4 Eine Branche, deren regionaler Beschäftigungsanteil mindestens 1 Prozent beträgt und die ein positives Wachstum aufweist, das signifikant stärker ist als der Bundesdurchschnitt, d. h. 10 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.

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•Die Daten zeigen also, dass insbesondere in Bayern wesentlich mehr Beschäftigte in Bran-chen arbeiten, die überdurchschnittlich wachsen als in Hessen. Der Branchenmix erscheint demnach in Bayern den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eher zu gerei-chen.

Gute Aufstellung bei den Zukunftsbranchen5

Deutlich besser sieht das Bild aus, wenn man die Beschäftigungsanteile in den IW-Zukunfts-branchen betrachtet:

•Hessen liegt hier anteilsmäßig mit Baden-Württemberg an der Spitze. Zwischen 1998 und 2008 sind in beiden Bundesländern die Anteile von 29 auf 33 Prozent angestiegen.

•Ganz vorne dabei ist hier der Regierungsbezirk Darmstadt: Zwischen 1998 und 2008 konn-ten hier die Beschäftigungsanteile von 33 auf 37 Prozent erhöht werden. Die hohen Anteile erklären sich über die hohen Beschäftigungsanteile insbesondere bei den unternehmens-nahen Diensten sowie in den industriellen Bereichen wie Chemie, Fahrzeugbau, aber auch Medizin-, Mess- und Steuertechnik.

•Der Bezirk Gießen hat hier lediglich einen Beschäftigungsanteil von 22 Prozent im Jahr 2008. Dies liegt vor allem an der Konzentration auf klassische Industrien wie der Metall-industrie.

5 Die IW-Zukunftsbranchen werden mithilfe von 37 Indikatoren identifiziert. Dabei werden sowohl Ver-gangenheits- und Zukunftsdaten als auch quantitative und qualitative Informationen verwendet. Der Index besteht aus drei Teilen: Makroökonomische Performance (z. B. Entwicklung von Prognose der Wertschöpfung von Branchen), Wachstumstreiber (z. B. FuE, Innovationsquoten, Produktivität etc.) und Expertenurteile (z. B. Technologie- und Zukunftstrends). Die Zukunftsbranchen sind Unterneh-mensdienste, Medizin-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik (MMStR), Auto, Logistik, Nachrichten, Chemie, Maschinenbau und sonstiger Fahrzeugbau.

ZusammengefasstBereits heute ist Hessen gut bei den in Zukunft relevanten Branchen aufgestellt. Diesen Trend gilt es fortzusetzen. Eher durchschnittlich ist die Aufstellung in Hessen in Branchen, die bundesweit überdurchschnittliche Wachstumszuwächse verzeichnen. Defizite sind in Hessen gerade im Vergleich zu Bayern und Baden-Württemberg in der wissensintensiven Industrie – und insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe – festzustellen.

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Motor für Innovation

2.1.2 Die Bedeutung des Mittelstandes

Mehr als 99 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind mittelständisch. Definiert man Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten als KMU, dann macht dies mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze in Deutschland aus. In einer umsatzbezogenen Mittelstandsabgrenzung (bis 50 Millionen Euro Umsatz) kann man sogar etwa 70 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland dem Mittelstand zuordnen.

Auf Basis des Unternehmensregisters des Statistischen Bundesamtes ist für Hessen lediglich eine Unterscheidung nach Mitarbeitergrößenklassen möglich, sodass KMU hier als Unterneh-men mit bis zu 249 Beschäftigten abgegrenzt werden.

Großunternehmen spielen in Hessen eine wichtigere Rolle als anderswo. Die hessische Wirt-schaft hat mehr Beschäftigte in Großunternehmen als in KMU.

Die Rolle der KMU, gemessen an den Anteilen, welche auf KMU und Großunternehmen sowie deren Beschäftigten entfallen, unterscheidet sich nach Zugehörigkeit in den verschiedenen Wirtschaftssektoren. Dies wird in Tabelle 2-4 dargestellt:

• 52 Prozent der SV-Beschäftigten sind in Hessen in Unternehmen ab 250 Mitarbeitern beschäftigt. Bundesweit beträgt dieser Anteil 47 Prozent.

• Dies liegt in Hessen vor allem an dem überdurchschnittlich hohen Anteil an Großunterneh-men bei den unternehmensnahen Diensten. Hier sticht besonders der hohe Beschäftigungs-anteil von 77 Prozent im Bank- und Kreditwesen durch den internationalen Finanzplatz Frankfurt hervor. Aber auch bei den wirtschaftsnahen Diensten hat Hessen überdurchschnitt-lich viele Beschäftigte in Großunternehmen. Hier hat Hessen einen überdurchschnittlichen Beschäftigungsanteil im Bereich Arbeitnehmerüberlassungen und Gebäudebetreuung.

• Bei den hessischen haushaltsnahen Diensten sind 43 Prozent der Arbeitnehmer in Groß-unternehmen tätig. Bundesweit sind es hier nur 39 Prozent.

• Das hessische Produzierende Gewerbe ist dafür im Vergleich zum Bundesdurchschnitt deut-lich stärker mittelstandsgeprägt. Hier machen die KMU 44 Prozent aus (Deutschland: 38 Prozent). Insbesondere die Unternehmen mit 10 bis 249 Mitarbeitern sind vor allem im Verarbeitenden Gewerbe (38 Prozent, Deutschland: 28 Prozent) vergleichsweise deutlich stärker vertreten als die Kleinstunternehmen (6 Prozent, Deutschland: 10 Prozent).

• Knapp 9 von 10 Beschäftigten des Bausektors sind in KMU beschäftigt. Gleiches gilt auch in Hessen. Allerdings teilt sich in Deutschland hier diese KMU-Gruppe noch stärker nach den beiden KMU-Größenklassen auf, als es in Hessen der Fall ist. Hier sind 8 von 10 Beschäftig-ten in Bauunternehmen mit 10 bis 249 Mitarbeitern tätig.

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Tabelle 2-4: Die Bedeutung des Mittelstandes

Anteil der SV-Beschäftigten in Unternehmen nach Mitarbeitergrößenklassen

Hessen

Unternehmen mit … Beschäftigten

0–9 10–249 KMU ab 250

Produzierendes Gewerbe 6,0 37,6 43,6 56,4

Bergbau, Energie u. Wasserversorgung 0,0 100,0 100,0 0,0

Verarbeitendes Gewerbe 5,8 31,7 37,5 62,5

Bau 8,3 81,3 89,6 10,4

Unternehmensnahe Dienste 13,1 30,6 43,7 56,3

Distributive Dienste 21,6 45,7 67,3 32,7

Bank und Kreditwesen 5,6 17,2 22,8 77,2

Wirtschaftsnahe Dienste 13,5 31,4 44,9 55,1

Haushaltsnahe Dienste 22,4 34,5 56,9 43,1

Gesamt 14,3 33,6 48,0 52,0

Deutschland

Produzierendes Gewerbe 9,5 28,3 37,9 62,1

Bergbau, Energie u. Wasserversorgung 12,6 27,7 40,2 59,8

Verarbeitendes Gewerbe 5,3 26,4 31,7 68,3

Bau 43,0 45,8 88,8 11,2

Unternehmensnahe Dienste 24,8 40,2 65,0 35,0

Distributive Dienste 18,5 43,4 61,9 38,1

Bank und Kreditwesen 49,5 24,4 73,9 26,1

Wirtschaftsnahe Dienste 34,2 37,0 71,2 28,8

Haushaltsnahe Dienste 32,1 29,3 61,4 38,6

Gesamt 19,1 33,5 52,6 47,4

KMU = Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeitern Quelle: Statistisches Bundesamt, Unternehmensregister WZ 2008

FazitDie hessische Wirtschaft ist im Industriesektor vergleichsweise stärker mittelständisch und im Dienstleistungsbereich überdurchschnittlich stark von Großunternehmen geprägt.

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2.2 Verbundsicht

Die bisherige Analyse zeigt, dass der weit überwiegende Teil der FuE- und Innovationsausga-ben auf Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes entfällt. Gerade die Industrie und dort insbesondere die größeren Unternehmen haben eine besondere Rolle im Innovationsprozess. Das bedeutet nicht, dass die Dienstleistungen unbedeutend seien und vernachlässigt werden könnten. Das Gegenteil ist richtig. Die Ergebnisse zeigen auch, dass sich die wissensintensiven Dienstleistungen durch relativ hohe FuE- und Innovations intensitäten auszeichnen und da-durch wichtige Beiträge zur Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft leisten. Wichtiger ist aber, dass der Industrie- und der Dienstleistungsbereich immer mehr zusammenwachsen. Die Kombination von Industrieprodukten und Dienstleistungen ist heute ein wichtiges Diffe-renzierungsmerkmal und ein Erfolgsfaktor der Unternehmen. Das wird häufig als hybride Wert-schöpfung bezeichnet. Auch sind die Industrie- und Dienstleistungsbranchen über den Vorlei-stungsverbund heute stärker verflochten als früher. In den Unternehmen nehmen die Dienstlei-stungstätigkeiten zulasten der Produktionstätigkeiten laufend zu.

2.2.1 Megatrend Dienstleistungen

Dienstleistungen sind auf dem Vormarsch. Unter dem Megatrend Tertiarisierung versteht man die zunehmende Bedeutung von Dienstleistungen, die neben einer generell stärkeren Kunden-orientierung vor allem auf die wachsende Nachfrage nach Komplettlösungen und maßgeschnei-derten Produkten zurückgeht. Derartige Lösungen und Produkte beinhalten heutzutage – ganz besonders im Investitionsgüterbereich, aber auch bei den Konsumgütern – immer häufiger ei-nen umfangreichen Dienstleistungsanteil. Diese Dienstleistungen stehen nicht allein und er-setzen keine Industrieprodukte. Sie werden vielmehr um Industrieprodukte herum entwickelt, wirken also komplementär statt substituierend.

Die Tertiarisierung zeigt sich nicht nur auf der outputseite, sondern auch in den Unternehmen mit Blick auf Vorleistungen, Tätigkeiten, Berufe und Prozesse. Es gibt somit verschiedene An-sichten auf den Megatrend Dienstleistungen, die hier für Hessen dargestellt werden, sich aber auch prinzipiell in Deutschland zeigen (Abbildung 2-2):

KurzDie deutsche und auch die hessische Wirtschaft befinden sich in einem fortschreitenden Tertiarisierungsprozess, der bei der Analyse von Innovationen und Innovationssystemen berücksichtigt werden muss.

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• Branchen: In Bezug auf die Beschäftigten- und Wertschöpfungsanteile findet eine Tertiari-sierung der deutschen Volkswirtschaft statt. Dies zeigt sich ebenso in Hessen. Heute werden in Hessen fast vier Fünftel der Wertschöpfung im Dienstleistungssektor generiert. 1996 waren dies nur rund 72 Prozent.

• Berufe: Der Anteil der Dienstleistungsberufe ist in Hessen von rund 65,2 (1996) auf 71,4 Prozent (2010) gestiegen. Gleiches ist im Verarbeitenden Gewerbe zu beobachten.

• Tätigkeiten: Der Anteil der Dienstleistungstätigkeit in Hessen ist laut Mikrozensus von 79 Prozent (1996) auf rund 84 Prozent (2007) gestiegen. Nur noch ein Sechstel der Erwerbs-tätigen befasst sich demnach mit der Produktion, d. h. „anbauen, gewinnen, herstellen“ (2007: 8,9; 1996: 12,2) oder „Maschinen/Anlagen/Geräte einrichten, steuern, überwachen, warten“ (2007: 7,2; 1996: 7,7). Dieser Trend hin zu Dienstleistungstätigkeiten ist auch im Verarbeitenden Gewerbe zu beobachten. Im internationalen Vergleich zeigt eine oECD-Studie, dass schon in 2002 in vielen Ländern im Produzierenden Gewerbe bereits 40 Prozent der Beschäftigten einer Dienstleistungstätigkeit nachgingen.

Abbildung 2-2: Dienstleistungen – mehrere Sichten auf ein PhänomenAngaben in Prozent für Hessen

Quelle: IW Consult (2011)

DienstleistungenBerufe Tätigkeiten

Branche

Produkte

WS-Anteil Dienstleistungsbranchen1996: 72,3% - 2010: 77%

Im Ver. Gewerbe entfallen 2010 nur noch 46%der Umsätze auf reine Industrieprodukte

BerufeDienst-

leistungen:1996: 65,2%2010: 71,4%

TätigkeitDienst-

leistungen:1996: 79,0%2007: 83,8%

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Produkte: Die Brancheneinteilung gibt wenig Aufschluss über den tatsächlichen Schwerpunkt der Unternehmen. Die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes (einschließlich Bergbau und Energie) erwirtschaften in Hessen nur 40 Prozent ihrer Umsätze mit reinen Industrieproduk-ten. Die sogenannten hybriden Unternehmen, die auch Umsätze außerhalb ihrer klassischen Schwerpunkte generieren und insbesondere auf integrierte Industrie-Dienstleistungsprodukte setzen, sind auf dem Vormarsch. Dieser Aspekt wird in Abschnitt 2.2.3 vertieft.

2.2.2 Industrie-Dienstleistungsverbund

Die zunehmende Verflechtung zwischen dem Industrie- und Dienstleistungssektor ist ein wich-tiger Grund für die Bedeutungszunahme der Dienstleistungen sowohl in Deutschland als auch in Hessen. Gerade Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes kaufen immer mehr Vorleistungen aus anderen Bereichen und insbesondere von den Dienstleistungen. Die Industrie ist deshalb für andere Branchen ein wichtiger Absatzmarkt und Drehscheibe für Wertschöpfungsketten.

Diese Verflechtungen zwischen dem Verarbeitenden Gewerbe und den anderen Branchen kann mithilfe von Input-output-Tabellen dargestellt werden, die allerdings nur bundesweit bis zum Jahr 2007 vorliegen. Es lässt sich zeigen, dass der Saldo von Vorleistungslieferungen des Ver-arbeitenden Gewerbes an andere Branchen aus Inlandsproduktion minus der Vorleistungskäufe von diesen Branchen gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung ist, die beide im Verbund erbrin-gen. Da der größte Teil dieses Vorleistungssaldos in den Dienstleistungsbranchen erwirtschaf-tet wird, kann von einem Industrie-Dienstleistungsverbund gesprochen werden.

Dies zeigt die Abbildung 2-3, die für Hessen den Vorleistungssaldo des Verarbeitenden Gewer-bes mit anderen Branchen verdeutlicht. Die Daten sind unter Annahme von Strukturkonstanz auf das Jahr 2010 kalibriert. Das hessische Verarbeitende Gewerbe hat mit den unternehmens-nahen Dienstleistungen durch den Vorleistungsverbund einen Beitrag zur hessischen Wert-schöpfung in Höhe von 4 Prozent geleistet. Zu diesen besonders wichtigen unternehmensnahen Dienstleistungen zählen u.  a. Datenverarbeitung und Software, Architektur- und Ingenieur- büros, Rechts- und Unternehmensberatung, Werbung, Überwachungs- und Reinigungsdienste sowie Arbeitnehmerüberlassung. Mit dem Logistiksektor hat das Verarbeitende Gewerbe einen Vorleistungsüberschuss in Höhe von 2,5 Prozent der gesamten Wertschöpfung erwirtschaftet. Mit dem Finanzsektor waren es 1,2 Prozent, mit dem Bereich Bergbau und Energie 0,8 Prozent und mit der Agrarwirtschaft 0,6 Prozent. Das sind insgesamt 9,1 Prozent der hessischen Wert-schöpfung. Das Verarbeitende Gewerbe hat damit in Höhe von gut 18 Milliarden Euro mehr bei diesen Branchen eingekauft, als es von dort bezogen hat. Allerdings gibt es auch Branchen, bei denen das Verarbeitende Gewerbe Nettoabnehmer von Vorleistungen ist, d. h. mehr von ihnen bezieht, als es selbst dorthin verkauft. Das sind die Bauwirtschaft (Vorleistungssaldo -1,5 Pro-zent), das Handels- und Gastgewerbe (-0,25 Prozent) und die sonstigen Dienstleistungen (-0,2 Prozent). Der negative Vorleistungssaldo des Verarbeitenden Gewerbes mit diesen Branchen beträgt zusammen knapp 2 Prozent. Zieht man alle Vorleistungssalden zusammen, errechnet

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sich ein positiver Vorleistungssaldo des Verarbeitenden Gewerbes mit allen anderen Branchen in Höhe von 7,1 Prozent (9,1 - 2).

Das bedeutet, dass das Verarbeitende Gewerbe in Hessen hochgerechnet auf das Jahr 2010 rund 17 Prozent der Bruttowertschöpfung selbst und weitere 7,1 Prozentpunkte mit anderen Branchen im Vorleistungsverbund erwirtschaftet hat. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung übersteigt damit den eigenen Wertschöpfungsanteil. Das Verarbeitende Gewerbe ist direkt oder indirekt an der Erwirtschaftung von 24,1 Prozent der hessischen Wertschöpfung beteiligt. Das zeigt nochmals die oben erwähnte wichtige Drehscheibenfunktion.

Die Berechnung dieses Vorleistungsverbundes für Hessen unterliegt allerdings einem metho-dischen Vorbehalt. Die für die Berechnung notwendigen Input-output-Tabellen liegen aktuell bis 2007 und nur bundesweit. Es gibt keine IoT für einzelne Bundesländer. Deshalb wurde die obige Berechnung unter der Annahme vorgenommen, dass die Vorleistungsstruktur des Verar-beitenden Gewerbes in Hessen mit der auf Bundesebene identisch ist und die Strukturänderun-gen zwischen 2007 und 2010 vernachlässigt werden können. Konkret wurde unterstellt, dass das Verarbeitende Gewerbe je Einheit Wertschöpfung in Hessen genauso viele Vorleistungs-käufe oder -verkäufe mit den jeweiligen anderen Branchen tätigt wie im Bundesdurchschnitt. Etwaige Strukturunterschiede in der Fertigungstiefe oder im Branchenmix können deshalb nicht berücksichtigt werden.

In den letzten Jahren ist auf Bundesebene die Wertschöpfung des Vorleistungsverbundes im Trend schneller gewachsen als das Verarbeitende Gewerbe. Im Jahr 1995 kamen auf 1 Euro Wert-schöpfung im Verarbeitenden Gewerbe zusätzlich 33 Cent Wertschöpfung aus dem Vorleistungs-verbund hinzu. Im Jahr 2007 lag diese Quote schon über 40 Prozent. Berücksichtigt man diesen Vorleistungsverbund, hat es in Deutschland zwischen 1995 und 2007 keine Deindustrialisierung gegeben. Im Jahr 2007 lag der Wertschöpfungsanteil des Industrie-Dienstleistungsverbundes bei rund einem Drittel – im Jahr 1995 waren es noch unter 30 Prozent. Der Zuwachs geht al-lein auf das Konto dieses Verbundeffektes. Bei Fortschreibung der Vorleistungsquote liegt der Verbundanteil in Deutschland im Jahr 2010 bei nur noch knapp 30 Prozent und damit auf dem Niveau von 1995. Dieser Rückgang ist eine Folge des Kriseneinbruches des Jahres 2009.

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Abbildung 2-3: Industrie-Vorleistungsverbund in Hessen 2010Angaben in Prozent der nominalen Bruttowertschöpfung in Hessen

Anmerkung: Die Strukturdaten des Vorleistungsverbundes sind den Input-output-Rechnungen des Jahres 2007 für Deutschland entnommen. Für Hessen werden die identischen Vorleistungsstrukturen unterstellt. Der Vorleistungsverbund für Hessen 2010 ist unter der Annahme der Strukturkonstanz hochgerechnet.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Input-output-Tabelle, eigene Darstellung

Die Abbildung 2-4 zeigt diese Ergebnisse für Hessen. Nach dieser Berechnung hat in Hessen ein echter Deindustrialisierungsprozess stattgefunden. Der ständige Rückgang der Anteile des Verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöpfung konnte durch den Vorleistungsverbund nicht mehr kompensiert werden. Bereits im Jahr 2008 – also ohne Kriseneffekt – lag die direkte und indirekte Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes mit 25,6 Prozent unter dem Ni-veau von 1995 (28,2 Prozent). Für das Jahr 2010 kann die Größe des Verbundes auf 24,1 Prozent der Bruttowertschöpfung geschätzt werden. Das bedeutet eine Fortsetzung des trendmäßigen Rückganges.

In Bayern und Baden-Württemberg stellt sich die Situation zumindest bis 2008 völlig anders dar. Der steigende Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung zieht die Verbundwertschöpfung zusätzlich hoch. Im Jahr 1995 betrug der direkte und indirekte Wert-schöpfungsanteil des Verarbeitenden Gewerbes in diesen Ländern fast 37 Prozent; Im Jahr 2008 waren es fast 40 Prozent. Durch die Krise ist dieser Anteil im Jahr 2010 auf knapp 37 Prozent gefallen.

Agrar

Bergbau/Energie

Finanzdienste

Logistik

Unt.-Dienste

+0,6%

+0,8%

+1,2%

+2,5%

+4,0%

-1,5%

-0,2%

-0,2%

Bauwirtschaft

Handel/Gast.

Sonst. Dienste

Net

toab

nehm

er

Net

tolie

fera

nten

Verarb.Gewerbe

BWS-Anteil17%

Vorleistungsverbund: 7,1%Bruttowertschöpfung: 17,0%

Gesamtbeitrag: 24,1%

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Abbildung 2-4: Industrie-Dienstleistungsverbund in HessenAngaben in Prozent der nominalen Bruttowertschöpfung in Hessen

Wertschöpfung des Vorleistungsverbundes: Wertschöpfung, die das Verarbeitende Gewerbe gemeinsam mit den Vorleistern wie etwa Softwarefirmen, Ingenieurbüros und Logistikern erwirtschaftet, Ableitung auf Basis der deutschen Input-output-Rechnung; 2008/2010: Schätzwerte

Quelle: Statistisches Bundesamt (2010), eigene Darstellung

Die Berechnungen des Industrie-Dienstleistungsverbundes für einzelne Bundesländer steht – wie gesagt – unter dem Vorbehalt, dass die Input-output-Strukturen von der Bundesebene auf die Länderebene übertragen werden müssen. Unterschiede, die es in der Realität aller Wahr-scheinlichkeit nach gibt, können nicht berücksichtigt werden. Die Hauptergebnisse der Analyse können aber mit einer etwas anderen Methode überprüft werden.

Bei dieser Bruttomethode wird die Entwicklung der Bruttowertschöpfung der am Industrie-Dienstleistungsverbund beteiligten Branchen direkt gemessen, ohne wie bei der Nettomethode auf einen Vorleistungssaldo zurückzugreifen. Bei dieser Sichtweise muss aber in Kauf genom-men werden, dass der Logistiksektor etwas breiter abgegrenzt werden muss, weil für den Groß-handel keine separaten Wertschöpfungsdaten auf Länderebene vorliegen. Im Logistiksektor ist deshalb auch der Einzelhandel erfasst.

In Abbildung 2-5 wird die Entwicklung der Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes und der Branchen des Dienstleistungsverbundes dargestellt. Diese Betrachtung zeigt zunächst nochmals das relativ schwache Wachstum des Verarbeitenden Gewerbes in Hessen. Die Ver-

0

5

10

15

20

25

30

1995 2006 2008 2010

6,8

21,4 19,0 18,0 17,0

7,87,6

7,1

28,226,8 25,6

24,1

Verarbeitendes Gewerbe Vorleistungsverbund

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Motor für Innovation

bundbranchen, die nach den Ergebnissen der Input-output-Analyse damit typischerweise eng verbunden sind, hingegen wachsen überdurchschnittlich stark. Die Dynamik entspricht unge-fähr der in den süddeutschen Ländern Bayern und Baden-Württemberg. Die Bruttowertschöp-fung ist in diesem Dienstleistungsverbund in Hessen zwischen 2000 und 2010 um 31 Prozent gewachsen; In Bayern und Baden-Württemberg sind es 28 Prozent.

Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Hessen und den Vergleichsländern Bayern und Baden-Württemberg:

• In den beiden süddeutschen Ländern ist die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe zumindest bis 2008 mit der etwa gleichen Rate gewachsen wie die Dienstleistungen. Es gibt also einen engen Wachstumsverbund zwischen dem Verarbeitenden Gewerbe und den Dienstleistungsbranchen. Das gilt selbst für das Krisenjahr 2009. obwohl die Krise im Kern eine industrielle Krise war, hat sie die Verbundbranchen auch getroffen.

• In Hessen sind diese Zusammenhänge schwächer. Im Zeitraum 2000 bis 2008 gibt eine ge-wisse Abkopplung im Wachstum des Verarbeitenden Gewerbes von den Dienstleistungen des Verbundes.

Diese Beobachtungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

• In Hessen gibt es offensichtlich eine autonome positive Entwicklung des unternehmens-nahen Dienstleistungssektors. Das Verarbeitende Gewerbe hat sich davon abgekoppelt.

• In Bayern und Baden-Württemberg ist die Situation anders: dort laufen Industrie und unter-nehmensnahe Dienstleistungen viel gleichmäßiger.

Die hessische Strategie sollte darauf ausgerichtet sein, die Verbundpotentiale zwischen Indu-strie und Dienstleistungen zu stärken. Voraussetzung dafür ist die Stabilisierung des industriel-len Kerns. Dafür gibt es gute Chancen, weil Industrie und Dienstleistungen in den Unternehmen stärker zusammenwachsen. Eine besondere Aufmerksamkeit muss deshalb der sogenannten hybriden Wertschöpfung (siehe nachstehenden Abschnitt 2.2.3) gewidmet werden. Im Unter-schied zu Bayern und Baden-Württemberg muss in Hessen aufgrund der Strukturunterschiede der Dienstleistungsbereich bei den hybriden Geschäftsmodellen stärker die Impulse setzen.

Ein grundlegendes Ergebnis der bisherigen Analyse ist deshalb, dass Hessen insbesondere sei-ne Schwäche in dem industriellen Kern beseitigen muss. Dann kann das Land noch stärker von der zunehmenden Tertiarisierung der Wirtschaft profitieren.

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Abbildung 2-5: Bruttowertschöpfung im Industrie-DienstleistungsverbundBruttokonzept, Entwicklung 2000 bis 2010; 2000 = 100

Quelle: Statistisches Bundesamt (2010), VGR, eigene Darstellung

802000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

90

100

110

120

130

140

Ver. Gewerbe DL-Verbund Ver. Gewerbe plus Verbund

131,2

123,2

102,6

127,9

121,2

111,4

80

90

100

110

120

130

140

Ver. Gewerbe DL-Verbund Ver. Gewerbe plus Verbund

zum Vergleich die aggregierte Entwicklung in Baden-Württemberg und Bayern

in Hessen

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2.2.3 Hybride Wertschöpfung

Mit einer wachsenden Nachfrage nach Komplettlösungen und maßgeschneiderten Produkten und der verstärkten Kundenorientierung bearbeiten viele Unternehmen immer häufiger größe-re Teile der Wertschöpfungskette. Eine solche lebenszyklusorientierte Wertschöpfung wird auch als hybride Wertschöpfung bezeichnet, da das Endprodukt aus einem Mix von Industrieproduk-ten und integrierten Diensten wie z.  B. Beratung, Finanzierung und Leasing, Wartung, Aus- bzw. Weiterbildung und Qualitätssicherung besteht. Innovative Dienstleistungen werden in den Unternehmen immer wichtiger. Das hat zur Folge, dass viele Unternehmen nicht mehr reine Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen sind. Bedeutender als die Beobachtung der Antei-le der Industrie- oder Dienstleistungsbranchen an der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung oder Wertschöpfung ist somit ein Blick auf die tatsächlichen Schwerpunkte (Industrieprodukte, Dienstleistungen oder integrierte Industrie-Dienstleistungsprodukte) der Unternehmen.

Deshalb sind Unternehmen, die sowohl Industrieprodukte als auch Dienstleistungen im er-heblichen Ausmaß anbieten, besonders interessant. Diese Unternehmen werden als „hybride Unternehmen“ bezeichnet. Die 13. Welle des IW-Zukunftspanels erlaubt eine Typisierung von Unternehmen nach hybriden und nicht hybriden Eigenschaften. Dabei wird zunächst unabhän-gig von der Branchenzugehörigkeit der Tätigkeitsschwerpunkt der Unternehmen anhand der Umsatzverteilung festgestellt. Dabei wird zwischen den Schwerpunkten Industrieprodukte, Dienstleistungen sowie Bau einschließlich des Handwerksbereichs unterschieden. Unterneh-men mit dem Schwerpunkt Industrieprodukte oder Dienstleistungen werden als hybride Un-ternehmen bezeichnet, wenn sie mehr als 10  Prozent ihres Umsatzes außerhalb des jeweili-gen Schwerpunktes erwirtschaften (Tabelle 2-5). Handwerksunternehmen bleiben bei dieser Betrachtung unberücksichtigt, weil dort die Grenze zwischen Industrie- und Dienstleistungs-tätigkeit schwer zu ziehen ist.

FazitDie Industrie hat eine wichtige Drehscheibenfunktion für die Gesamtwirtschaft. Im Gegen-satz zu Deutschland und vor allem im Vergleich zu Bayern und Baden-Württemberg hat es in Hessen eine wirkliche Deindustrialisierung zwischen 1995 und 2008 gegeben. Die steigen-de spezifische Bedeutung des Vorleistungsverbundes (gemessen je Einheit Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe) konnte den Rückgang des Verarbeitenden Gewerbes nicht mehr kompensieren. Hessen hat ein Problem im Kernsektor dieses Industrie-Dienstleistungsver-bundes. In Bayern und Baden-Württemberg sieht das völlig anders aus. Hier hat erst die Krise des Jahres 2009 zu einem (vielleicht vorübergehenden) Rückgang der Bedeutung des Industrie-Dienstleistungsverbundes geführt. Insgesamt sollte trotz der Erfahrungen aus der Krise am modernen Industriebegriff festgehalten werden, der auch diejenigen Dienst-leistungen berücksichtigt, die im engen Verbund mit der Industrie entstehen.

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Tabelle 2-5: Definition hybrider Unternehmen

Kriterium: Umsatzanteile außerhalb der Schwerpunkt

Hybride Unternehmen Nicht hybride Unternehmen

Als hybride Unternehmen werden Unternehmen mit Schwerpunkt Industrieprodukte oder Dienstleistungen bezeichnet, die mindestens 10 Prozent ihres Umsatzes außerhalb ihres eigentlichen Schwerpunkts generieren, d. h. Industrienehmen, die mindestens 10 Prozent ihrer Umsätze mit Dienstleistungen erzielen, und Dienstleistungsunternehmen, die mindestens 10 Prozent ihrer Umsätze mit Industrieprodukten erzielen.

Als nicht hybride Unternehmen werden Unternehmen bezeichnet, die mehr als 90 Prozent ihres Umsatzes innerhalb ihres Schwerpunkts generieren, d. h. Industrieunternehmen, die mehr als 90 Prozent ihrer Umsätze mit Industrieprodukten erzielen, und Dienstleistungsunternehmen, die mehr als 90 Prozent ihrer Umsätze mit Dienstleistungen erzielen. Als dritte Gruppe der nicht hybriden Unternehmen werden solche aus dem Bereich Bau und Handwerk definiert.

5 Gruppen von Unternehmen

• hybride Industrieunternehmen

• hybride Dienstleistungs-unternehmen

• reine Industrieunternehmen• reine

Dienstleistungsunternehmen• Bau- und Handwerksbetriebe

Quelle: IW Consult

Nur noch gut die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland aus dem Verbundbereich (Industrie plus industrienahe Dienstleistungen) sind klassische nicht hybride Unternehmen, d.  h., sie verkaufen fast ausschließlich Industrieprodukte oder Dienstleistungen. Etwa 15  Prozent der Unternehmen haben ihren Schwerpunkt im Bereich Handwerk/Bau (Tabelle 2-6). Der Anteil der „reinen Industrieunternehmen“ beträgt rund 7 Prozent und der der reinen Dienstleistungs-unternehmen 45 Prozent.

Etwa ein Drittel der Unternehmen sind hybride Unternehmen, d. h., sie erwirtschaften einen wesentlichen Teil ihrer Umsätze außerhalb ihres jeweiligen Schwerpunktes. Die hybriden Unter-nehmen mit Schwerpunkt Industrieprodukte erwirtschaften nur noch knapp 60 Prozent der Um-sätze mit Industrieprodukten. Bereits zwei Fünftel entfallen auf Dienstleistungen, integrierte Industrie-Dienstleistungsprodukte oder Handwerkerleistungen. Auf diese Gruppe der hybriden Unternehmen mit Schwerpunkt Industrieprodukte entfallen 7 Prozent aller Unternehmen. Die hybriden Unternehmen mit Schwerpunkt Dienstleistungen haben einen Anteil von 25 Prozent an allen Unternehmen und erwirtschaften bereits rund 60 Prozent ihrer Umsätze außerhalb ihres Schwerpunktes.

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Insgesamt kann der Umsatzanteil mit hybriden Produkten, d. h. mit Produkten, die außerhalb der jeweiligen Schwerpunkte erwirtschaftet werden, für Deutschland auf 22 Prozent geschätzt werden. Hier sind auch die Umsätze des Bereichs Bau und Handwerk enthalten, die außerhalb des Kernbereichs erwirtschaftet werden. In der Gruppe der hybriden Unternehmen liegt der Umsatz außerhalb der Schwerpunkte bei 52 Prozent.

Für Hessen zeigt sich ein ähnliches Bild:

• Der Anteil der hybriden Unternehmen liegt mit 30 Prozent an hybriden Unternehmen leicht unter dem Bundesdurchschnitt.6 Allerdings ist der Anteil mit hybriden Umsätzen mit 59 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt.

• In Hessen gibt es mehr nicht-hybride Unternehmen (57 Prozent) als bundesweit (52 Pro-zent). Das liegt vor allem an dem höheren Besatz an reinen Dienstleistungsunternehmen in Hessen.

• Der gesamte hybride Umsatzanteil ist in Hessen mit 26 Prozent etwas höher als im Bundes-durchschnitt (22 Prozent).

Natürlich hängen diese Ergebnisse von der Definition der hybriden Unternehmen ab. Die 10-Prozent-Grenze der Umsätze außerhalb der Schwerpunkte ist willkürlich festgelegt. Sensi-tivitätsrechnungen mit anderen Grenzwerten kommen aber auch zu dem Ergebnis, dass es nen-nenswerte Anteile von Unternehmen gibt, die als hybrid bezeichnet werden können. Bei einem Grenzwert von 20 Prozent können immerhin noch gut ein Viertel der Unternehmen in Hessen dieser Gruppe zugeordnet werden.

6 Allerdings muss hier einschränkend angemerkt werden, dass die Befragungsdaten Unschärfen ent-halten. Die Verteilung der Umsätze nach Industrieprodukten, Dienstleistungen, integrierten Indu-strie-Dienstleistungsprodukten und Bau- und Handwerksleistungen kann dem Rechnungswesen der Unternehmen nicht direkt entnommen werden. Die Unternehmen haben die Anteile in der Befragung geschätzt.

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Tabelle 2-6: Hybride und nicht hybride Unternehmen

Anteile in Prozent für Hessen und Deutschland

Hessen Deutschland

Anteile der Unternehmen

Umsatzanteile außerhalb der Schwerpunkte

Anteile der Unternehmen

Umsatzanteile außerhalb der Schwerpunkte

Nicht hybrid 57 0 52 0

Reine Industrie 6 1 7 1

Reine Dienstleister 51 0 45 0

Hybrid 30 59 32 52

Schwerpunkt Industrie

7 43 8 42

SchwerpunktDienstleister

23 62 25 61

Unternehmen ohne Bau und Handwerk 87 26 85 22

Bau/Handwerk 13 25 15 21

Gesamt 100,0 26 100 22

Rundungsdifferenzen Quelle: IW-Zukunftspanel (2011)

Die Unterscheidung zwischen hybriden und nicht hybriden Unternehmen würde analytisch we-nig sinnvoll sein, wenn sich diese Unternehmenstypen bei entscheidenden Eigenschaften nicht unterscheiden würden. Die Tabelle 2-7 zeigt aber, dass es Unterschiede bei wichtigen Erfolgs-faktoren und dem Unternehmenserfolg7 gibt:

• Die Innovatoren- und die Internationalisierungsquote sowie die Anteile der FuE-tätigen Unternehmen sind bei hybriden Unternehmen höher als in der Vergleichsgruppe.

• Hybride Unternehmen sind erfolgreicher als nicht hybride Unternehmen.• Die Ergebnisse gelten gleichermaßen für Hessen und für Deutschland.

7 Der Unternehmenserfolg wird im IW-Zukunftspanel für jedes Unternehmen durch insgesamt fünf Indikato-ren gemessen: Die Beschäftigungs- und Umsatzentwicklung der letzten drei Jahre, die Nettoumsatzrendite des letzten Jahres sowie durch die Einschätzung der kurz- und mittelfristigen Erwartungen der Geschäfts-führer. Die einzelnen Werte werden jeweils absteigend geordnet und Quintilen zugeteilt. Auf dieser Basis werden Punkte vergeben. Werte im obersten Quintil erhalten vier Punkte. Ausprägungen im untersten Quintil werden mit null Punkten bewertet. Die Punkte werden zu einem Gesamtindex addiert und auf den Mittelwert (= 100) normiert. Die Erfolgsindizes der einzelnen Unternehmen liegen konstruktionsbedingt eng beieinander. Kleine zahlenmäßige Abstände bedeuten bereits große Unterschiede im Erfolg.

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Tabelle 2-7: Erfolgsfaktoren hybrider Unternehmen

Angaben für 2009 in Prozent; IW-Zukunftspanel

Hessen Deutschland

Hybrid Nicht hybrid Hybrid Nicht hybrid

Innovatoren 71,4 60,3 66,9 59,1

FuE-Tätigkeit 48,7 41,7 51,7 40,9

Internationalisiert 42,9 29,2 44,9 30,8

Erfolg 105 100 102 100

Quelle: IW-Zukunftspanel

2.3 Produktsicht

Der traditionelle Industriebegriff setzt Industrie in der Branchenabgrenzung mit dem Verar-beitenden Gewerbe gleich. Das führt jedoch dazu, dass auch viele Unternehmen zur Industrie gezählt werden, die keine Industrieprodukte herstellen oder mit typischen industriellen Pro-duktionsverfahren arbeiten. Beispielsweise wird das Handwerk mit einbezogen, obwohl seine Produktion und Produkte nur wenig mit dem Kern der industriellen Wertschöpfung gemein ha-ben. Andererseits hat dies auch zur Folge, dass einige Dienstleistungsunternehmen nicht er-fasst werden, die industriell produzieren und langlebige Güter schaffen. Mit diesem klassischen Konzept kann der Transformationsprozess, den die hessische Industrie gerade durchläuft, nicht vernünftig nachgezeichnet werden. Er ist gekennzeichnet durch die Bewegung weg von reinen Produkten hin zu hochgerüsteten Industrie-Dienstleistungspaketen, die komplette Problemlö-sungen in den Mittelpunkt stellen. Das in dieser Studie verwendete Konzept des Vorleistungs-verbundes löst diese Probleme auch nicht vollständig, weil auch dort bei der Definition der Industrie die klassische Branchensicht verwendet wird. Allerdings bildet der Vorleistungsver-

Auf den Punkt gebrachtDie Tertiarisierung der Wirtschaft findet nicht nur zwischen Branchen im Vorleistungsver-bund, sondern auch innerhalb der Unternehmen statt. In Hessen kann ja nach der verwende-ten Definition jedes dritte bis vierte Unternehmen als hybrid bezeichnet werden, d. h., maß-gebliche Umsatzanteile werden außerhalb des eigentlichen Schwerpunktes erwirtschaftet. Hybride Unternehmen sind überdurchschnittlich mit Erfolgsfaktoren ausgestattet. Deshalb ist es wichtig, sie bei der Formulierung der Innovationsstrategie zu berücksichtigen.

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bund nach wie vor eine unverzichtbare Facette ab. Nur so können die Verflechtungen zwischen den Branchen aufzeigt und berechnet werden. Konkret lässt sich hier abbilden, welcher Teil der Wertschöpfung direkt oder indirekt von der Industrie abhängt. Eine weitere wichtige Facet-te in der Verbundsicht sind die hybriden Geschäftsmodelle. Sie verbinden zwar Industrie- und Dienstleistungsprodukte, heben damit aber auch die Trennung von Industrie- und Dienstlei-stungsunternehmen auf. Eine solche klare Zuordnung ist für die Entwicklung eines industriepo-litischen Konzeptes hilfreich.

Diese Zuordnung leistet die Produktsicht. Dabei werden stärker die Merkmale industrieller Pro-duktion und Produktionsverfahren berücksichtigt, ohne dabei die Wertschöpfungsverflechtun-gen mit anderen Unternehmen und damit den Verbundaspekt zu vernachlässigen. Die für eine Neudefinition eines solchen Industriebegriffs notwendigen Informationen sind in der amtlichen Statistik nicht verfügbar. Deshalb wurden die 600 hessischen Unternehmen aus dem Bereich der Industrie und der wirtschaftsnahen Dienstleistungen nochmals angeschrieben, die an der Be-fragung im Rahmen der Studie „Gemeinsam Mehr.Wert“ teilgenommen haben. Insgesamt 225 Unternehmen (Antwortquote 37,5 Prozent) haben Angaben zu folgenden Punkten gemacht, die eine Neukonzeption der hessischen Industrie möglich machen:

• Ihrem Kerngeschäft (Industrieproduktion, Dienstleistungen, Handwerk/Bau),• ihren Produktionsverfahren (identische Reproduzierbarkeit),• dem Investitionsgutcharakter ihrer Produkte (Verwendbarkeit über einen längeren Zeitraum

oder kompletter Verbrauch beim Einsatz) und• ihren Hauptkunden (Industrieunternehmen, andere Unternehmen, Endverbraucher).

Mit Hilfe dieser Merkmale lassen sich zwei Kernteile der hessischen Industrie definieren:

• Die klassische Industrie, die mit industriellen Verfahren Industrieprodukte herstellt (Kern 1).• Dienstleister, die mit industriellen Verfahren Produkte mit typischen Merkmalen von

Industrieprodukten wie Reproduzierbarkeit und Investitionsgutcharakter anbieten (Kern 2).

Um diesen zweigeteilten industriellen Kern gibt es einen weiteren Kreis von Unternehmen, die direkt vom industriellen Kern abhängigen. Dieser Kreis muss bei der gesamtwirtschaftlichen Beurteilung von Industrie mit eingeschlossen werden, weil für sie die Industrieunternehmen wichtige Kunden sind. Diese Kundensicht wird in dem bereits erwähnten Vorleistungsverbund berücksichtigt. ohne Industrie würden diesen Unternehmen die Absatzmärkte fehlen. So gese-hen steht das Industrieprodukt im Mittelpunkt der Wertschöpfungskette.

Die neu definierte Industrie setzt sich insgesamt aus den Kernen 1 und 2 zusammen. Die Defini-tion der einzelnen Kerne wird in Tabelle 2-8 zusammengefasst.

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Tabelle 2-8: Definition der industriellen Kerne Hessens

Kern 1

Der traditionelle Kernbereich der Industrie. Er umfasst alle Unternehmen, deren Kerngeschäft die Herstellung von Industrieprodukten ist. Das können Investitions- oder Vorleistungsgüter sein.

Kern 2

Dazu gehören Unternehmen, die zwar keine Industrieprodukte im klassischen Sinn herstellen, deren Hauptprodukte aber typische Eigenschaften von Industrieprodukten haben. Das sind die Merkmale identische Reproduzierbarkeit und eine Einsetzbarkeit über einen längeren Zeitraum. Identisch reproduzierbar sind beispielsweise die Entwick-lung von Software, Ingenieurdienstleistungen, bestimmte Leistungen aus den Bereichen Bau und Handwerk oder standardisierte Logistikdienstleistungen. Diese Produkte basie-ren auf Konstruktionen, Stücklisten, Rezepturen oder klaren technischen Spezifikatio-nen, die eine identische Reproduzierbarkeit ermöglichen. Es muss aber hinzukommen, dass diese Produkte mehrfach verwendbar sind, d. h. sie dürfen beim Einsatz nicht direkt untergehen. Letzeres gilt z. B. für einen Flug, der zwar weitestgehend standardisiert erbracht wird und somit eine gewisse Reproduzierbarkeit erfüllt, aber mit der Leistung untergeht.

Quelle: IW Consult (2011)

Das Ergebnis dieser Neuabgrenzung zeigt die Tabelle 2-9:

• Gut 14 Prozent der Unternehmen der hessischen Wirtschaft gehören zu klassischen Indu-strie, weil ihr Kerngeschäft die Herstellung von Industrieprodukten ist (Tabelle 2-9) ist. Nur 40 Prozent dieser Unternehmen sind dem Verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen. Die restli-chen 60 Prozent gehören anderen Branchen (Dienstleistungen, inklusive Bauwirtschaft) an. Allein das zeigt die Fragwürdigkeit des traditionellen Branchenkonzeptes bei der Abgren-zung der Industrie.

• Gut 8 Prozent der Unternehmen gehören dem Kreis 2 an. Sie produzieren zwar keine klas-sischen Industriegüter, bieten aber in ihrem Kerngeschäft Produkte mit klassischen indu-striellen Merkmalen (Reproduzierbarkeit und Investitionsgutcharakter) an.

• Insgesamt gehören nach dieser erweiterten Definition gut 22 Prozent der Unternehmen in Hessen der „Industrie plus“ an. Zum Vergleich: Im Unternehmensregister zählen nach dem klassischen Branchenkonzept nur rund acht Prozent der Unternehmen zum Verarbeitenden Gewerbe.

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Die Industrieunternehmen sind im Durchschnitt größer als die Dienstleistungsunternehmen. Ihr Anteil an den Beschäftigten und an den Umsätzen ist höher als der Anteil an der Anzahl der Unternehmen. Sie haben damit volkswirtschaftlich betrachtet ein höheres Gewicht. Dies kann durch eine Gewichtung der Befragungsergebnisse nach Beschäftigungsanteilen zum Ausdruck gebracht werden. Auch diese Ergebnisse zeigen die unten stehenden Tabellen:

• 29 Prozent der mit den Beschäftigungsanteilen gewichteten Unternehmen gehören in Hessen der klassischen Industrie an (Kern 1).

• 10 Prozent sind nach diesem Konzept dem Kreis 2 (industriell erstellten Dienstleistungen) zuzurechnen.

Insgesamt gehören nach dieser Volumenbetrachtung fast zwei Fünftel der hessischen Wirt-schaft zu der „Industrie plus“.

Tabelle 2-9: Die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Industriekerne in Hessen

Hochgerechnet1) und gewichtet nach Anzahl der Unternehmen; Angaben in Prozent2)

Kern Bezeichnung Anteile

1 Klassische Industrie 14

2 Industriell erstellte Dienstleistungen 8

1+2 Industrie plus 22

Nachrichtlicher Vorleistungsverbund3) 10

Gesamt 32

1) Fallzahlen: 225 befragte Unternehmen; 2) Bezogen auf die im Unternehmensregister ausgewiesen Unternehmen in Hessen (alle ohne Landwirtschaft und öffentliche Verwaltung);3) Unternehmen mit Hauptkunden Industrieunternehmen

Quelle: IW Consult (2011)

HinweisDurch die kleine Fallzahl haben die Ergebnisse relativ hohe Unsicherheitsmargen. Sie dür-fen daher nur als Abschätzung der Größenordnung interpretiert werden.

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Tabelle 2-10: Struktur der neu definierten Industrie in Hessen

gewichtet; Angaben in Prozent

Gewichtet nach der Zahl der Unternehmen

Bezeichnungnach Kerngeschäft nach Branche

GesamtIndustrie-produktion

Dienstleistungs-produkte Industrie DL

Klassische Industrie

100 0 40 60 100

Industriell erstellte Dienstleistungen

0 100 4 96 100

Gewichtet nach Beschäftigungsanteilen

Bezeichnungnach Kerngeschäft nach Branche

GesamtIndustrie-produktion

Dienstleistungs-produkte Industrie DL

Klassische Industrie

100 0 75 25 100

Industriell erstellte Dienstleistungen

0 100 2 98 100

Quelle: IW Consult (2011)

Der vorne erwähnte Industrie-Dienstleistungsverbund kann in das Konzept der Industrie plus integriert werden. Dafür werden die Angaben nach den Hauptkunden verwendet. Knapp zwei Fünftel der in der Studie berücksichtigten Unternehmen, die nicht dem oben definierten Kern 1 oder 2 angehören, geben an, dass ein Industrieunternehmen ihr Hauptkunde ist.

Mit diesen Angaben kann der Anteil der Unternehmen außerhalb des oben definierten industri-ellen Bereiches der hessischen Wirtschaft abgeschätzt werden, dessen Hauptkunden ein Indu-strieunternehmen ist8. Der Befragungskreis umfasst – wie oben beschrieben – nur die Industrie und wirtschaftsnahen Dienstleistungen. Auf diesen Bereich der hessischen Wirtschaft entfallen rund 50 Prozent aller Unternehmen. Wenn man unterstellt, dass sich in dem nicht befragten Teil der Wirtschaft ein vernachlässigbarer Teil von Unternehmen befindet, deren Hauptkunde

8 Die Unternehmen konnten in der Befragung nicht unterscheiden, ob ihr Hauptkunde dem Industriekreis 1 oder 2 angehört. Die Interpretation, was ein Industrieunternehmen ist, hat jedes befragte Unterneh-men für sich selbst beantwortet. Die dadurch entstehenden Unsicherheiten in der Interpretation sind aber akzeptabel, wenn man die vorgestellte als die Abschätzung einer Größenordnung versteht.

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ein Industrieunternehmen ist, kann der Anteil der Unternehmen mit Industrieunternehmen als Hauptkunden auf gut 10 Prozent geschätzt werden. Die Rechnung in einzelnen Schritten:

• Knapp 27 Prozent den befragten Unternehmen gehören zum Befragungskreis – also dem Bereich der Industrie und wirtschaftsnahen Dienstleistungen –, erfüllen aber nicht die Merkmale der Industrie plus.

• Aus der Multiplikation dieses Anteils von 27 Prozent und dem Hauptkundenanteil von 38 Prozent errechnet sind der Anteil von rund 10 Prozent (0,27*0,38 = 0,103).

Damit entfallen auf die um den Vorleistungsaspekt erweiterten Industrie in Hessen rund ein Drittel aller Unternehmen (22 Prozent Industrie der Kerne 1 und 2 sowie 10 Prozent andere Unternehmen mit Hauptkunde Industrie.

Merkmale der ProduktsichtEin Blick auf die Merkmale der aus der Produktsicht entwickelten „Industrie plus“ zeigt, dass diese Unternehmen eine Positivauswahl darstellen. Im Vergleich zu dem Verarbeitenden Ge-werbe (Branchensicht) und aller in der Studie „Gemeinsam Mehr.Wert“ untersuchten Branchen (Industrie und wirtschaftsnahe Dienstleistungen) hat die „Industrie plus“ bessere Ausprägun-gen bei den einschlägigen Erfolgsfaktoren. Eine erneute Auswertung der dieser Studie zugrun-deliegenden Befragung unter Einschluss der Nachbefragung zeigt, dass die Unternehmen der „Industrie plus“ im Vergleich zu den beiden Kontrollgruppen

• deutlich stärker internationalisiert,• innovationsstärker,• forschungsintensiver und• insgesamt erfolgreicher

sind9. Das sind alles Eigenschaften, die charakteristisch für das Geschäftsmodell D sind und als Grundlage für dessen Erfolg gelten.

9 Grundlage ist eine Nachbefragung von 225 der insgesamt 600 in der Studie „Gemeinsam Mehr.Wert“ befragten Unternehmen. Aus Vorsichtsgründen wird auf den Ausweis quantitativer Angaben verzichtet. Die Ergebnisse auf Basis der reduzierten Fallzahlen erlauben aber statistisch valide qualitative Aussagen.

HinweisDiese Verbundrechnung unterscheidet methodisch stark von der, die in der Studie verwen-det wurde. Dort wurde der Verbund über Vorleistungslieferungen und -bezüge der bundes-deutschen Unternehmensstruktur von Input-Tabellen auf Basis des Branchenkonzeptes berechnet. In der neuen Sicht wird nur auf den Hauptkunden abgestellt, welcher Anteil sei-nes Umsatzes auf Lieferungen an Industrieunternehmen entfällt, kann jedoch nicht genau bestimmt werden.

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IMPLIKATIoNEN UND SCHLUSSFoLGERUNGEN FÜR DIE GESAMTSTUDIE

In Abschnitt 2 wurden vier Konzepte zur Abgrenzung der Industrie vorgestellt und drei davon näher diskutiert. Die Vor- und Nachteile sollen hier nochmals kurz zusammengefasst werden:

Traditionelles Branchenkonzept: Der Kern der Industrie nach diesem Konzept ist das Verar-beitende Gewerbe. Dazu zählt nach der Systematik der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auch das Handwerk. Nach diesem Konzept schrumpft der industrielle Kern in Hessen, denn die Anteile des Verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung und an der Beschäftigung sind in den letzten Jahren gefallen. Das Wachstum speist sich in Hessen aus den Dienstlei-stungsbranchen.

• Vorteile: Die amtliche Statistik arbeitet im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrech-nung mit diesem Konzept. Es ist der Fachöffentlichkeit stark verbreitet und besticht durch Klarheit und Einfachheit. Industrie wird danach mit „Verarbeitendem Gewerbe“ oder „Produzierendem Gewerbe“ gleichgesetzt.

• Nachteile: Das Konzept berücksichtigt nicht die zunehmende Bedeutung von Dienstleistun-gen für die industrielle Wettbewerbsfähigkeit. Das zeigt alleine der Befund der Nachbefra-gung, dass 60 Prozent der Unternehmen, die Industrieprodukte im Kerngeschäft anbieten, nicht aus dem Verarbeitenden Gewerbe stammen. Die Unternehmen bleiben mit unter-schiedlichen Kerngeschäften und Strategien eine ”black box“.

• Gesamtbewertung: Dieses Konzept ist alleine insgesamt ungeeignet, um den industriellen Wertschöpfungsprozess beschreiben zu können.

Vorleistungsverbund: Auch der Vorleistungsverbund setzt auf dem Branchenkonzept auf und berechnet, wie viel Wertschöpfung die Industrie (definiert als Verarbeitendes Gewerbe) über Vorleistungsverflechtungen mit anderen Branchen (Nicht-Verarbeitendes Gewerbe) erwirt-schaftet.

• Vorteile: Durch die Einbeziehung der intersektoralen Verflechtung und damit einer groben Struktur von Wertschöpfungsketten kann verdeutlicht werden, dass die Industrie bedeuten-der ist als ihr eigener Anteil der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung, weil sie für andere ein wichtiger Kunde ist.

• Nachteile: Auch dieses Konzept beruht auf Branchenabgrenzungen und berücksichtigt nicht, ob die Unternehmen wirklich Industrieprodukte produzieren oder mit industriellen Verfahren arbeiten. Auch die Bedeutung der Dienstleistungen innerhalb der Industrieunter-nehmen kann nicht erfasst werden.

3

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• Gesamtbewertung: Konzept ist sehr nützlich, um die Bedeutung des Verarbeitenden Gewer-bes als Markt für andere Unternehmen dazustellen. Es zeigt, dass die Gesamtwirtschaft stär-ker von der Industrie abhängt als es bei einem Blick, der sich ausschließlich auf die Branche beschränkt, erscheint.

Hybride Geschäftsmodelle: Als eine Variante der Verbundsicht werden hybride Geschäftsmo-delle vorgestellt, die Unternehmen nach ihrem Produktportfolio klassifizieren und die Tätigkei-ten außerhalb des Kerngeschäftes als wesentliche Neuerung betonen.

• Vorteile: Industrieprodukte werden immer öfter mit Dienstleistungen verschränkt. Die hy-bride Sicht ermöglicht es, dass diese Verschränkung auch gewürdigt wird und nicht – wie bei der klassischen Sicht auf die Industriebranche – unberücksichtigt bleibt. Diese Sicht bein-haltet das, was die Unternehmen wirklich tun.

• Nachteile: Bei diesem Konzept lässt sich die Zielgruppe für eine moderne Industriepolitik nur schwer identifizieren, weil die Trennung zwischen Industrie- und Dienstleistungsunter-nehmen vollkommen aufgehoben wird. Es gibt keine klare Definition, ab welchem Anteilsmix von Industrie- und Dienstleistungsprodukten ein Unternehmen als hybrid eingestuft werden kann. Hier sind Werturteile notwendig.

• Gesamtbewertung: Hybride Geschäftsmodelle sind eine unverzichtbare Ergänzung zu einem modernen Industriebegriff, können aber alleine die notwendige Abgrenzung nicht leisten.

Produktsicht industrieller Wertschöpfungsprozesse: Bei diesem Konzept wird die Branchen-einteilung aufgegeben. Für die Zuordnung zur Industrie ist nur entscheidend, ob ein Unterneh-men industriell gefertigte Industrieprodukte oder Dienstleistungen herstellt.

• Vorteile: Die Einteilung in Industrie und Nicht-Industrie kann trennschärfer erfolgen, da wichtige Merkmale von Industrie berücksichtigt werden können. Das Konzept macht aller-dings nur dann wirklich Sinn, wenn damit die modernen industriellen Wertschöpfungspro-zesse besser abgebildet werden und die dort zusammengefassten Unternehmen gemeinsame Interessen haben. Ist dies der Fall, so lässt sich eine auf diese Gruppe von Unternehmen fo-kussierte Industriepolitik sinnvoll gestalten. Ein weiterer Vorteil des Konzeptes liegt darin, dass eine Verbundsicht etwa über Hauptkundenbeziehungen integrierbar ist. Die Bedeutung der Industrieunternehmen als Absatzmarkt für andere kann dargestellt werden.

• Nachteile: Das Konzept beruht nicht auf amtlichen Daten. Die Abgrenzung kann nur mit Hilfe eines Individualdatensatzes erfolgen. Deshalb ist eine laufende Beobachtung der Entwicklung dieser so abgegrenzten Industrie schwierig und in der Öffentlichkeit schwerer vermittelbar. Die verwendeten Abgrenzungskriterien haben Graubereiche, die nicht immer eine zweifelsfreie Zuordnung erlauben.

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• Gesamtbewertung: Es ist ein sinnvolles Konzept, weil auch Dienstleistungsunternehmen in den Kernbereich der Industrie einbezogen werden können, wenn sie industriell produzierte Güter anbieten. Das Konzept erlaubt darüber hinaus die Einbeziehung des Vorleistungsver-bundes über Hauptkundenbeziehungen.

Gemeinsame Interessen der „Industrie plus“In der Bewertung des Konzeptes der „Industrie plus“ wird hervorgehoben, dass es nur dann sinnvoll sein kann, wenn die dort unter der Dachmarke „Industrie“ zusammengefassten Un-ternehmen strukturell und wirtschaftspolitisch bedeutsame Gemeinsamkeiten aufweisen. Es lassen sich drei solche „gemeinsame Nenner“ finden:

• Anforderungen an Standort- und Rahmenbedingungen: Industrieunternehmen haben spezielle Anforderungen an einen Standort. Sie produzieren kapitalintensiv und betreiben Anlagen, die meistens größere Flächen in ausgewiesenen Industriegebieten benötigen, überdurchschnittlich energieintensiv sind und nicht immer emissionsfrei arbeiten können. Umweltschutzauflagen, Raum- und Bauleitplanungen, Finanzierungsfragen, aber auch steuerliche Aspekte, wie beispielweise die Rahmenbedingungen von Abschreibungsregeln, sind für sie besonders wichtig. Es kommt hinzu, dass diese Unternehmen überregional tätig und deshalb im besonderen Maße von einer guten Infrastrukturausstattung (Straße, Schie-ne, Flughäfen, Kommunikation) abhängig sind. Noch wichtiger als diese Aspekte ist aber, dass die Unternehmen der „Industrie plus“ überdurchschnittlich stark mit ingenieurwissen-schaftlich-technischen Verfahren arbeiten. Das dort benötigte spezielle technologische Wissen schafft eine gemeinsame Basis in allen Fragen der beruflichen und universitären Aus- und Weiterbildung. Fachkräfte insbesondere in dem MINT-Bereich sind für diese Unter-nehmen wichtiger als die anderen. Das gilt für ein klassisch produzierendes Industrieunter-nehmen ebenso wie für einen industriell produzierenden Dienstleister etwa in den Berei-chen Software und IT. Für diese Unternehmen ist eine industrie- und technikfreundliche Grundhaltung in der Gesellschaft eine lebenswichtige Rahmenbedingung. Auch daraus leitet sich ein gemeinsames kommunikatives Interesse ab.

• Konzentration von Erfolgsfaktoren: Die unter diesem erweiterten Industriebegriff zusam-mengefassten Unternehmen sind erfolgreicher als der Durchschnitt. Die Anstrengungen in den Forschung, Entwicklung, Konstruktion und Innovationstätigkeiten sind deutlich über-durchschnittlich ausgeprägt. Die Geschäftsmodelle sind internationaler ausgerichtet. Der neue Industriebegriff fasst diese Positivauswahl oder unternehmerische Avantgarde unter einem Dach zusammen. Wichtig dabei sind die Abgrenzungen nach beiden Seiten. Zu diesem Kreis gehören nicht (oder nur in einem sehr begrenztem Umfang) Handwerksbetriebe, die in der klassischen Definition zum Verarbeitenden Gewerbe zählen, aber nur im unterdurch-schnittlichen Ausmaß die aufgezählten Erfolgsfaktoren erfüllen. Andererseits gehören Dienstleistungen, insbesondere aus den technischen Bereichen, deren Geschäftsmodelle gerade auf Forschung, Innovationen und Internationalität setzen zur „Industrie plus“. Da-raus leiten sich gemeinsame Interessen in den Bereichen der Forschungs- und Innovations-

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politik, aber auch der allgemeinen Wirtschaftspolitik ab. Als überdurchschnittlich inter-national tätige Unternehmen ist die „Industrie plus“ sehr stark von offenen Märkten und unverzerrtem Wettbewerb abhängig.

• Treiber der Hybridisierung: Das wohl wichtigste Argument ist aber, dass die in den Kernen 1 und 2 zusammengefassten Unternehmen das Herzstück von hybriden Wertschöpfungsket-ten bilden. Diese hybriden Geschäftsmodelle zeichnen sich dadurch aus, dass sie über den gesamten Lebenszyklus eines Industrieproduktes hinweg ergänzend Dienstleistungen an-bieten. ohne erstklassige IT-Lösungen ist das ebenso wenig denkbar wie ohne systematische Einbindung technisch-ingenieurwissenschaftlicher Dienstleistungen. Wer Industrieanlagen plant, baut, betreibt, überwacht und den Betrieb im Lebenszyklus optimiert braucht die gesamte Bandbreite der Kompetenzen, die sich unter dem Dach der „Industrie plus“ finden.

Fazit und EmpfehlungenDie obigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass jedes der drei näher betrachteten Konzepte spezifische Vorteile hat, die bei der Definition eines praxistauglichen Industriebegriffs genutzt werden sollten.

Abbildung 3-1: Matrix einer modernen IndustriepolitikDrei verschiedene Industriekonzepte

Quelle: IW Consult (2011)

Industrielle Wertschöpfungskette

Branchensicht

Verarbeitendes Gewerbe

Zukunftschancen

Wachstumsinseln

Unternehmensgrößenklassen

Produktsicht

Klassische Industrie

IndustrieDienstleistungs-verbund

HybrideDienstleistungen

Industriell erstellte Dienstleistungen

Matrixsichteiner modernenIndustriepolitikVe

rbun

dsic

ht

eingeschränkt

geeignet

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Um alle Facetten der Industriepolitik zu berücksichtigen, ist eine Matrixsicht zu empfehlen, die das

• Produktkonzept mit dem• Verbundkonzept

verbindet. Der Ausgangspunkt davon sollte das Konzept „Industrie plus“ sein. Das Entschei-dende an diesem Industriebegriff ist, dass die dort zusammengefassten Unternehmen gemein-same Merkmale und insbesondere gemeinsame Interessen haben. Dazu zählen:

• Standort- und Rahmenbedingungen für Industrieproduktion, insbesondere in den Bereichen Flächen, Auflagen und Humankapitalanforderungen,

• Forschungs-, Innovations- und allgemeine Wirtschaftspolitik, sowie• die Beschäftigung mit hybriden Wertschöpfungsketten.

Es kommt hinzu, dass über Hauptkundenbeziehungen auch bei diesem Konzept Vorleistungs-beziehungen berücksichtigt werden können und ein isolierter Blick nur auf die Industrie ver-mieden wird.

Die klassische auf eine Branchenabgrenzung beruhende Industriedefinition erfüllt diese Kri-terien immer weniger. Wesentlich besser in dieser Hinsicht ist der in der Studie verwendete Industrie-Dienstleistungsverbund, weil die Unternehmen zusammengefasst werden, die über Vorleistungsverflechtungen verbunden sind, und deshalb an der gleichen Wertschöpfungsket-te arbeiten. Dieses Konzept ermöglicht es, den scheinbaren Gegensatz zwischen Industrie und Dienstleistung aufzuheben und stellt – im Gegenteil – klar, dass tatsächlich enge wechselseiti-ge Abhängigkeiten bestehen. Das Konzept macht deutlich, dass es viele Dienstleistungen ohne Industrie nicht geben würde. Somit macht diese Abgrenzung unmissverständlich klar, dass eine moderne Wirtschaft unverzichtbar Industrie benötigt.

Die vorliegenden empirischen Untersuchungen zeigen, dass rund 22 Prozent aller Unterneh-men in Hessen zu dieser „Industrie plus“ gehören. Mehr als 60 Prozent dieser Unternehmen gehören nicht dem Verarbeitenden Gewerbe, sondern anderen Branchen (Dienstleistungen und Bauwirtschaft) an. Für die Wirtschaftspolitik ist besonders wichtig, dass unter dem Dach der „Industrie plus“ die Unternehmen zusammengefasst sind, die die Merkmale Forschungs- und Innovationskraft, sowie Internationalität im besonderen Maße repräsentieren. Es handelt sich um die unternehmerische Avantgarde, die für einen modernen Industriestandort unverzichtbar sind.

In der Studie werden vier Handlungsfelder einer zukunftsweisenden Industriepolitik in Hessen hervorgehoben: Kommunikation, Netzwerke, Innovationen und Infrastruktur. Die Schlagkraft einer Zukunftsstrategie, die auf diesen Säulen steht, erhöht sich, wenn die Maßnahmen klar auf den identifizierten Kreis industriellen Unternehmen konzentriert werden.

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Dieses Konzept sollte durch die Verbundsichtweise erweitert werden, wobei sowohl der klassi-sche Industrie-Dienstleistungsverbund als auch hybride Geschäftsmodelle unverzichtbare Be-standteile sind. Die Abbildung 3-1 zeigt die grundlegende Idee dieses Vorschlags.

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1-1: Innovationsindikatoren der deutschen Wirtschaft 14Tabelle 1-2: Erfolgsfaktor Humankapital 17Tabelle 1-3: Kennziffern zu Bildung und Forschung 18Tabelle 2-1: Branchenstruktur und -entwicklung in Hessen 26Tabelle 2-2: Anteil und Entwicklung der wissensintensiven Branchen 29Tabelle 2-3: Wachstumsinseln und Zukunftsbranchen 30Tabelle 2-4: Die Bedeutung des Mittelstandes 33Tabelle 2-5: Definition hybrider Unternehmen 43Tabelle 2-6: Hybride und nicht hybride Unternehmen 45Tabelle 2-7: Erfolgsfaktoren hybrider Unternehmen 46Tabelle 2-8: Definition der industriellen Kerne Hessens 48Tabelle 2-9: Die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Industriekerne in Hessen 49Tabelle 2-10: Struktur der neu definierten Industrie in Hessen 50

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 2-1: Drei Abgrenzungskonzepte für die Industrie 22Abbildung 2-2: Dienstleistungen – mehrere Sichten auf ein Phänomen 35Abbildung 2-3: Industrie-Vorleistungsverbund in Hessen 2010 38Abbildung 2-4: Industrie-Dienstleistungsverbund in Hessen 39Abbildung 2-5: Bruttowertschöpfung im Industrie-Dienstleistungsverbund 41Abbildung 3-1: Matrix einer modernen Industriepolitik 56

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HerausgeberInitiative Industrieplatz Hessen Emil-von-Behring-Str. 4 | 60439 Frankfurt am Main | www.industrieplatz-hessen.de

Smart Industry – Intelligente Industrie Eine neue Betrachtungsweise der Industrie

Motor für Innovation

Ergebnisse einer Studie der Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH für das Land Hessen

Eine Initiative von

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