Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

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Smart Service Engineering Oliver Thomas Markus Nüttgens Michael Fellmann Hrsg. Konzepte und Anwendungsszenarien für die digitale Transformation

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Smart Service Engineering

Oliver Thomas Markus NüttgensMichael Fellmann Hrsg.

Konzepte und Anwendungsszenarien für die digitale Transformation

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Smart Service Engineering

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Oliver Thomas · Markus Nüttgens Michael Fellmann (Hrsg.)

Smart Service EngineeringKonzepte und Anwendungsszenarien für die digitale Transformation

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HerausgeberOliver ThomasOsnabrück, Deutschland

Markus NüttgensHamburg, Deutschland

Michael FellmannRostock, Deutschland

ISBN 978-3-658-16261-0 ISBN 978-3-658-16262-7 (eBook)DOI 10.1007/978-3-658-16262-7

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Vorwort

Die Bedeutung von Dienstleistungen nimmt aktuell in Zeiten der Modernisierung und Digitalisierung von Produktionssystemen signifikant zu. Während auf Pro-duktebene zunehmend Herausforderungen der Industrie 4.0, Cyber-physischer Systeme und Smart Factories diskutiert werden, stellt sich auch auf Serviceebene konkret die Frage, in wie fern Dienstleistungen auf der Grundlage einer breiten In-formationsbasis weiterentwickelt werden können. Die dabei entstehenden Ansätze werden auch unter dem Begriff „Smart Services“ subsummiert, wobei der Zusatz „Smart“ zumeist für kontextsensitive und an die Bedürfnisse des Kunden ange-passte Dienstleistungen steht. Das so in der Dienstleistungsforschung neu entste-hende Feld zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass IT nicht länger als reiner „Transformator“ digitaler Dienstleistungen zu verstehen ist, sondern viel mehr als „Enabler“ völlig neuer Ansätze fungiert. Zur Erforschung dieser Ansätze muss zukünftig untersucht werden, inwiefern sich Dienstleistungen von heute und be-stehende Methoden des Service Engineering für Smart Services von morgen revo-lutionieren lassen. Die Dienstleistungsmodellierung kann dabei Schnittstellen zwi-schen innovativen Technologien und neuen, individuellen Geschäftsmodellen ver-deutlichen und somit eine wertvolle Diskussionsgrundlage bieten.

Aufgrund des umrissenen Paradigmenwechsels hin zu Smart Services haben wir uns in diesem Jahr erstmals dazu entschieden, den thematischen Fokus der Tagung „Dienstleistungsmodellierung“ auch mit der Ausrichtung des Bandes zu verbinden. Unter dem Titel „Smart Service Engineering“ gehen wir gemeinsam mit den Autoren die Herausforderung an, Konzepte und Anwendungszenarien für die digitale Transformation von Dienstleistungen herauszuarbeiten.

Mittlerweile fast traditionell folgt der Aufbau des Herausgeberbandes einer Vierteilung des Gegenstandsbereichs. Im ersten Teil des Bandes Digitale (R)evolution klassischer Dienstleistungen wird die Neu- und Weiterentwicklung bekannter Dienstleistungen fokussiert. Darin diskutieren Michael Becker und Ste-phan Klingner Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen. Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer präsentieren ein Open In-novation Framework für Services. Auf Anwendungsebene untersuchen Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas die Konstruktion von Prozessmodel-len für digitalisierte Prüfungsleistungen.

Im zweiten Teil des Herausgeberbandes Service Engineering – Methoden und Werkzeuge werden Grundlagen der Dienstleistungsentwicklung fokussiert. So bringen Jens Pöppelbuß und Aleksander Lubarski das viel diskutierte Thema der

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VI Vorwort

Dienstleistungsmodularisierung auf und entwerfen einen Ordnungsrahmen zur Systematisierung. Volker Nissen und Torsten Gollhardt setzen bei der Modellie-rung an und schlagen eine Methode zur ex-ante Bestimmung eines adäquaten De-taillierungsgrades vor. Michael Leyer beleuchtet das Thema der Kundenintegrati-on aus einer methodischen Perspektive um eine Simulation von Dienstleistungs-prozessen zu ermöglichen. Dennis Behrens, Carola Gerwig, Thorsten Schoormann und Ralf Knackstedt untersuchen die Übertragbarkeit methodischer Ansätze für das Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen.

Der dritte Teil des Bandes Smart Services für die digitale Arbeit setzt sich mit dem Kernthema der diesjährigen Tagung kritisch auseinander. So werden gleich-ermaßen Grundlagen zur Erstellung von Smart Services erarbeitet, als auch kon-krete Anwendungsbeispiele dargestellt. Mit ihrem Beitrag Typologien industrie-naher Dienstleistungen stellen Erdem Galipoglu und Melinda Wolter eine Syste-matisierungsgrundlage zur Diskussion. Dirk Metzger, Christina Niemöller, Lisa Berkemeier, Lukas Brenning und Oliver Thomas zeigen das Konzept eines Smart-Glasses-Systems zur Laufzeitmodellierung von Dienstleistungsprozessen. Paul Christoph Gembarski und Roland Lachmayer setzen sich mit der Fragestellung der Mass Customization auseinander und vergleichen Geschäftsmodelle und Entwick-lungsumgebungen für Product-Service Systems. Jürgen Anke, Stefan Wellsandt und Klaus-Dieter Thoben präsentieren einen Ansatz zur Modellierung von Le-benszyklen von Smart Services für vernetzte Produkte.

Auf Anwendungsfallebene wurde aufgrund der zunehmenden Marktreife in diesem Jahr der Fokus auf dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle im Mobili-tätssektor gelegt. Unter dem Titel Mobility Servitization – Potenziale neuer Ge-schäftsmodelle zeigt der vierte Abschnitt des Bandes Entwicklungen in diesem Feld auf. So beschreiben Katja Laurischkat, Daniel Jandt und Arne Viertehausen dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität. Hieran knüp-fen Jan-Hendrik Heinen und Jens Pöppelbuß an und untersuchen Szenarien für den Einsatz der Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing. Thorsten Schoor-mann, Dennis Behrens und Ralf Knackstedt schließen diese Reihe mit einem bau-steinbasierten Modellierungsansatz für Car-Sharing-Geschäftsmodelle.

Alle Beiträge dieses Bandes wurden von den Autoren bei der Tagung „Dienst-leistungsmodellierung 2016“ (DLM 2016) eingereicht, durch das Programmkomi-tee anonymisiert begutachtet und für die Tagungspräsentation sowie für die Veröf-fentlichung ausgewählt (weitere Informationen zur Tagung DLM 2016 sind im In-ternet unter http://www.imwi.uni-osnabrueck.de/dlm2016 abrufbar). Die Tagung fand am 2. März 2016 am Karlsruher Institut für Technologie im Rahmen der Konferenz „Modellierung 2016“ (http://www.modellierung2016.org) statt.

Für die wissenschaftliche Begutachtung der Beiträge bedanken wir uns sehr herzlich bei den Mitgliedern des Programmkomitees. Diese sind in alphabetischer Reihenfolge: Prof. Dr. Michael Abramovici (Ruhr-Universität Bochum), Hermann Behrens (DIN Deutsches Institut für Normung e.V.), Prof. Dr. Daniel Beverungen (Universität Paderborn), Prof. Dr. Luciënne Blessing (Universität Luxemburg), Prof. Dr. Freimut Bodendorf (Universität Erlangen-Nürnberg), Prof. Dr. Tilo

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Vorwort VII

Böhmann (Universität Hamburg), Prof. Dr. Margret Borchert (Universität Duis-burg Essen), Prof. Dr. Jan vom Brocke (Universität Liechtenstein), Prof. Dr. Ing. habil. Klaus-Peter Fähnrich (Universität Leipzig), Prof. Dr. Hansjörg Fromm (Karlsruher Institut für Technologie – KIT), Alexander Fuchs (Fuchs Gewürze GmbH, Dissen a.T.W.), Walter Ganz (Fraunhofer IAO, Stuttgart), Dr. Gerhard Gudergan (Forschungsinstitut für Rationalisierung – FIR, Aachen), Frank Johann (Vaillant Deutschland GmbH & Co. KG), Dr. Ralf Klein (Capco – The Capital Markets Company), Prof. Dr. Ralf Knackstedt (Universität Hildesheim), Dr. Sabi-ne Korte (VDI Technologiezentrum GmbH, Düsseldorf), Prof. Dr.-Ing. Katja Lau-rischkat (Ruhr-Universität Bochum), Prof. Dr. Jan Marco Leimeister (Universität Kassel), Dr. Kyrill Meyer (Universität Leipzig), Prof. Dr. Horst Meier (Ruhr-Universität Bochum), Prof. Dr. Kathrin M. Möslein (Universität Erlangen-Nürn-berg), Günther Müller-Luschnat (iteratec GmbH, München), Prof. Dr. Volker Nis-sen (TU Ilmenau), Prof. Dr. Andreas Oberweis (Karlsruher Institut für Technolo-gie – KIT), Prof. Dr. Jens Pöppelbuß (Universität Bremen), Dr. Nadine Rosen-kranz (Jungheinrich AG), Prof. Dr. Frank Rump (Hochschule Emden/Leer), Prof. Dr. Gerhard Satzger (IBM Business Performance Services, Ehningen), Prof. Dr.-Ing. Christopher M. Schlick (RWTH Aachen), Michael Schlicker (ARTENGIS GmbH, St. Ingbert), Prof. Dr. Gertrud Schmitz (Universität Duisburg-Essen), Bertolt Schuckließ (Projektträger im DLR, Bonn), Prof. Dr. Stefan Strecker (FernUniversität Hagen), Prof. Dr.-Ing. Klaus-Dieter Thoben (Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH – BIBA), Prof. Dr. Mathias Weske (Universität Potsdam), Dr. Novica Zarvic (Universität Osnabrück) und Klaus Zühlke-Robinet (Projektträger im DLR, Bonn).

Allen Autoren möchten wir sehr herzlich für ihren eingereichten Beitrag zur DLM 2016 danken. Aufgrund der großen Anzahl an interessanten und qualitativ hochwertigen Einreichungen haben wir uns für eine zweistufige Beitragsannahme entschieden: 1. Annahme als wissenschaftlicher Beitrag: Wissenschaftliche Bei-träge werden im vorliegenden Tagungsband „Smart Service Engineering“ publi-ziert. 2. Annahme mit Journal-Empfehlung: Ausgezeichnete Beiträge werden mit einer Annahmequote von maximal 20 % nach Überarbeitung zur Veröffentlichung in einem Special Issue der englischsprachigen Zeitschrift „Enterprise Modelling and Information Systems Architectures (EMISA)“ empfohlen. Diese Sonderaus-gabe erscheint Ende 2016.

Im Rahmen der DLM 2016 wurden zwei Preise für den besten Beitrag (Best Paper Award) und ein Preis für den besten Vortrag (Best Presentation Award) ver-liehen. Die Preise für zwei gleichermaßen hervorragende Beiträge, für deren Aus-lobung insbesondere die Ergebnisse der Begutachtung der schriftlichen Einrei-chungen herangezogen wurden, konnten Paul Christoph Gembarski und Roland Lachmeyer für ihren Beitrag „Mass Customization und Product-Service-Systems: Vergleich der Geschäftsmodelle und der Entwicklungsumgebungen“ sowie Jens-Pöppelbuß und Aleksander Lubarski für ihren Beitrag „Methoden der Dienstleis-tungsmodularisierung – Entwurf eines Ordnungsrahmens zur Systematisierung“ entgegennehmen. Als beste Präsentation wurde der Vortrag zum Thema „De-

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VIII Vorwort

mand-Side-Management in Dienstleistungsportalen – Untersuchung der Übertrag-barkeit der methodischen Ansätze und mathematische Formulierung“ von Dennis Behrens ausgezeichnet; der entsprechende Beitrag ist in Zusammenarbeit mit den Koautoren Carola Gerwig, Thorsten Schoormann und Ralf Knackstedt entstanden. Gerne nutzen wir an dieser Stelle noch einmal die Gelegenheit, den Gewinnern für ihre Beiträge ganz herzlich zu gratulieren.

Ferner möchten wir die Gelegenheit nutzen, Herrn Benedikt Zobel und Herrn Friedemann Kammler für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Organisation der Tagung und der Gestaltung dieses Herausgeberbandes zu danken. Darüber hinaus danken wir dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für die Förderung im Rahmen der Projekte Glassroom, Glasshouse und smartTCS (Förderkennzeichen 01PD14014A, 01FJ5062, 01FJ15093). Ohne diese Unterstützung wären die Aus-richtung der Tagung „Dienstleistungsmodellierung 2016“ sowie die Publikation dieses Herausgeberbandes nicht zu realisieren gewesen. Osnabrück, Hamburg und Rostock, im Sommer 2016

Oliver Thomas Markus Nüttgens

Michael Fellmann

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Inhaltsübersicht

Teil I: Digitale (R)evolution klassischer Dienstleistungen ................................. 1

Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen Michael Becker und Stephan Klingner .................................................................... 2

Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess – Die Entwicklung eines Service Open Innovation Frameworks Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer ........................................ 29

Konstruktion von Prozessmodellen für digitalisierte Prüfungsdienstleistungen Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas .......................................... 55

Teil II: Service Engineering – Methoden und Werkzeuge ............................... 75

Methoden der Dienstleistungsmodularisierung – Entwurf eines Ordnungsrahmens zur Systematisierung Jens Pöppelbuß und Aleksander Lubarski ............................................................. 76

Eine Methode zur ex-ante Bestimmung des adäquaten Detaillierungsgrades in der Prozessmodellierung Volker Nissen und Torsten Gollhardt .................................................................... 94

Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen mit Process Mining Michael Leyer ...................................................................................................... 123

Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen – Untersuchung der Übertragbarkeit der methodischen Ansätze und mathematische Formulierung Dennis Behrens, Carola Gerwig, Thorsten Schoormann und Ralf Knackstedt ... 145

Teil III: Smart Services für die digitale Arbeit ............................................... 169

Typologien industrienaher Dienstleistungen: Eine Literaturübersicht Erdem Galipoglu und Melinda Wolter ................................................................ 170

Vom Techniker zum Modellierer – Konzeption und Entwicklung eines Smart Glasses Systems zur Laufzeitmodellierung von Dienstleistungsprozessen Dirk Metzger, Christina Niemöller, Lisa Berkemeier, Lukas Brenning und Oliver Thomas .............................................................................................. 193

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X Inhaltsübersicht

Mass Customization und Product-Service-Systems: Vergleich der Unternehmenstypen und der Entwicklungsumgebungen Paul Christoph Gembarski und Roland Lachmayer ............................................ 214

Modellierung der Lebenszyklen von Smart Services Stefan Wellsandt, Jürgen Anke und Klaus-Dieter Thoben .................................. 233

Teil IV: Mobility Servitization – Potenziale neuer Geschäftsmodelle .......... 257

Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität Katja Laurischkat, Daniel Jandt und Arne Viertelhausen ................................... 258

Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing: Eine Szenarioanalyse für den deutschen Markt Jan-Hendrik Heinen und Jens Pöppelbuß ........................................................... 282

Carsharing Geschäftsmodelle – Entwicklung eines bausteinbasierten Modellierungsansatzes Thorsten Schoormann, Dennis Behrens und Ralf Knackstedt ............................. 303

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Inhaltsverzeichnis

Teil I: Digitale (R)evolution klassischer Dienstleistungen ................................. 1

Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen Michael Becker und Stephan Klingner .................................................................... 2

1 Einleitung ........................................................................................................... 2 2 Identifikation von Konzepten: Literaturrecherche ............................................. 4 3 Ordnungsrahmen ................................................................................................ 6

3.1 Vertikale Klassifikation: Generalisierung von Konzepten ........................ 8 3.2 Horizontale Klassifikation: Metadaten von Konzepten ........................... 14

3.2.1 Konzepttyp ................................................................................... 14 3.2.2 Phase im Lebenszyklus ................................................................ 15 3.2.3 Anpassungselemente .................................................................... 16

4 Leitfaden zur Entwicklung und Erbringung anpassbarer Dienstleistungen ..... 16 4.1 Ideenfindung und -bewertung .................................................................. 17 4.2 Anforderungsanalyse ............................................................................... 17 4.3 Design ..................................................................................................... 20 4.4 Einführung ............................................................................................... 22 4.5 Dienstleistungserbringung ....................................................................... 23 4.6 Ablösung ................................................................................................. 24

5 Fazit ................................................................................................................. 25 6 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 26

Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess – Die Entwicklung eines Service Open Innovation Frameworks Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer ........................................ 29

1 Einleitung ......................................................................................................... 29 2 Open Innovation bei der Dienstleistungsentwicklung ..................................... 31

2.1 Open Innovation-Ansätze ........................................................................ 31 2.2 Verbesserung des Dienstleistungsentwicklungsprozesses durch Open

Innovation-Ansätze ................................................................................. 31 3 Das Service Open Innovation Framework ....................................................... 33

3.1 Entwicklung einer Bewertungsmethode .................................................. 33 3.2 Ausgestaltung des Service Open Innovation Framework ........................ 37

4 Einordnung der Dienstleistungsbereiche in das Service Open Innovation Framework ..................................................................................... 38

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XII Inhaltsverzeichnis

4.1 Unterteilung der Dienstleistungsbereiche ................................................ 38 4.2 Bewertung der Dienstleistungsbereiche .................................................. 40 4.3 Zusammenfassende Darstellung der Dienstleistungsbereiche im

Service Open Innovation Framework ...................................................... 50 5 Zusammenfassung und Ausblick ..................................................................... 51 6 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 52

Konstruktion von Prozessmodellen für digitalisierte Prüfungsdienstleistungen Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas .......................................... 55

1 Einleitung ........................................................................................................ 55 2 Digitalisierung der Prüfungsprozesse .............................................................. 57 3 Methodischer Rahmen der Forschungsarbeit ................................................... 59

3.1 Experteninterviews .................................................................................. 60 3.2 Literaturanalyse ....................................................................................... 61 3.3 Conceptual Modeling .............................................................................. 62

4 Repräsentationen der Prozessmodelle ............................................................. 63 4.1 Traditionelle Jahresabschlussprüfung ..................................................... 63 4.2 Continuous Auditing ............................................................................... 64 4.3 Audit-as-a-Service ................................................................................... 69

5 Fazit und Ausblick ........................................................................................... 71 6 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 72

Teil II: Service Engineering – Methoden und Werkzeuge .............................. 75

Methoden der Dienstleistungsmodularisierung – Entwurf eines Ordnungsrahmens zur Systematisierung Jens Pöppelbuß und Aleksander Lubarski............................................................. 76

1 Einleitung ........................................................................................................ 76 2 Dienstleistungsmodularisierung ...................................................................... 78 3 Vorgehen ......................................................................................................... 78 4 Ordnungsrahmen ............................................................................................. 81

4.1 Modularisierungsziele und -reichweite ................................................... 82 4.2 Phasen der modularen Gestaltung von Dienstleistungen ......................... 83 4.3 Strukturierungsformen ............................................................................ 86

5 Einordnung existierender Methoden ................................................................ 87 5.1 Einordnung nach Phasen ......................................................................... 87 5.2 Einordnung nach Strukturierungsformen ................................................ 89

6 Fazit und Ausblick ........................................................................................... 90 7 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 91

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Inhaltsverzeichnis XIII

Eine Methode zur ex-ante Bestimmung des adäquaten Detaillierungsgrades in der Prozessmodellierung Volker Nissen und Torsten Gollhardt .................................................................... 94

1 Motivation und Einordnung in das Forschungsfeld Consulting Research ....... 94 2 Begriffliche Grundlagen .................................................................................. 96 3 Forschungsmethodik ........................................................................................ 97 4 Vorgängerarbeiten ........................................................................................... 98

4.1 Überblick ................................................................................................. 98 4.2 Methode nach Termer, Nissen und Wessels (2012) ................................ 99 4.3 Methode nach Nissen, Termer und Heyn (2014) ................................... 100 4.4 Diskussion der Vorgängerarbeiten ........................................................ 102

5 Weiterentwickelte Methode ........................................................................... 104 5.1 Grundlagen und Ausgabegrößen des Modells ....................................... 104 5.2 Eingabegröße Modellierungszweck ...................................................... 105 5.3 Eingabegröße fachliche Kriterien zum Prozess ..................................... 107 5.4 Eingabegröße Rahmenbedingungen der Modellierung ......................... 108 5.5 Vorgehen im Überblick ......................................................................... 109

6 Fallstudie (Demonstrationsbeispiel) .............................................................. 111 7 Evaluation mittels Delphi-Studie ................................................................... 113

7.1 Konzeption und Durchführung der Studie ............................................. 113 7.2 Ergebnisse der Delphi-Studie ................................................................ 116

8 Fazit und kritische Würdigung ....................................................................... 118 9 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 121

Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen mit Process Mining Michael Leyer ...................................................................................................... 123

1 Einleitung ....................................................................................................... 123 2 Theoretischer Hintergrund ............................................................................. 124

2.1 Kundenintegration während der Leistungserstellung ............................ 124 2.2 Process Mining ...................................................................................... 125 2.3 Geschäftsprozesssimulation .................................................................. 125 2.4 Stand der Literatur ................................................................................. 126

3 Methodik ........................................................................................................ 126 3.1 Formale Beschreibung der Zeitstempel ................................................. 126 3.2 Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Methodik ........................ 127 3.3 Schritt 1: Erstellung des Prozessmodells ............................................... 128 3.4 Schritt 2: Identifikation von Kundenintegrationsmustern ..................... 129 3.5 Schritt 3: Analyse des Auftretens von Kundenintegration .................... 130 3.6 Schritt 4: Analyse der Dauer der Kundenintegration............................. 132 3.7 Schritt 5: Einfluss des Kontexts auf die Kundenintegration .................. 133 3.8 Schritt 6: Erstellung des Simulationsmodells ........................................ 134

3.8.1 Bestimmung der Bearbeitungszeiten .......................................... 135

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XIV Inhaltsverzeichnis

3.8.2 Bestimmung der Verzweigungswahrscheinlichkeiten ............... 135 3.8.3 Bestimmung der Verfügbarkeit von Ressourcen........................ 136 3.8.4 Zuweisung von Prozesskosten ................................................... 136 3.8.5 Zuordnung von Steuerungskonzepten ........................................ 137 3.8.6 Modellierung von Zulieferern .................................................... 137 3.8.7 Modellierung der Kundenintegration ......................................... 138 3.8.8 Modellierung des Ist-Szenarios .................................................. 138 3.8.9 Validierung des Simulationsmodells .......................................... 139

4 Implikation, Limitation und Ausblick ........................................................... 140 5 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 141

Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen – Untersuchung der Übertragbarkeit der methodischen Ansätze und mathematische Formulierung Dennis Behrens, Carola Gerwig, Thorsten Schoormann und Ralf Knackstedt ... 145

1 Einleitung ...................................................................................................... 145 2 Dienstleistungsportale und Demand-Side-Management ................................ 147

2.1 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands ........................................ 147 2.2 Dienstleistungsportale ........................................................................... 148 2.3 Demand-Side-Management ................................................................... 148

3 Methodisches Vorgehen ................................................................................ 150 4 Analyse ausgewählter Portale ........................................................................ 151

4.1 Portalauswahl ........................................................................................ 151 4.2 Portalanalyse ......................................................................................... 153

4.2.1 Funktionssicht ............................................................................ 153 4.2.2 Datensicht .................................................................................. 155

5 Übertragung auf den DSM Kontext ............................................................... 157 5.1 Allgemeines Setting .............................................................................. 157

5.1.1 Akteure ....................................................................................... 158 5.1.2 Gegenstand der Vermittlung ...................................................... 158

5.2 Matching auf Funktionsebene ............................................................... 159 5.2.1 Vermittlungsmechanismus mit Auktion..................................... 159 5.2.2 Vermittlungsmechanismus ohne Auktion .................................. 160

5.3 Matching auf Datenebene ...................................................................... 160 5.3.1 Anbieterseite .............................................................................. 160 5.3.2 Nachfragerseite .......................................................................... 161

5.4 Mathematisches Modell ........................................................................ 162 5.4.1 Restriktionen .............................................................................. 162 5.4.2 Ausgangspunkt: DSM Modell ................................................... 162 5.4.3 Dienstleistungsportal .................................................................. 163

6 Limitationen .................................................................................................. 164 7 Forschungsagenda ......................................................................................... 164 8 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 165

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Inhaltsverzeichnis XV

Teil III: Smart Services für die digitale Arbeit ............................................... 169

Typologien industrienaher Dienstleistungen: Eine Literaturübersicht Erdem Galipoglu und Melinda Wolter ................................................................ 170

1 Einleitung ....................................................................................................... 170 2 Theoretische Grundlagen ............................................................................... 171

2.1 Dienstleistungen .................................................................................... 171 2.2 Klassifikationen ..................................................................................... 172 2.3 Typologien und Taxonomien ................................................................ 172

3 Methodik ........................................................................................................ 173 4 Literaturüberblick zu industrienahen Dienstleistungen.................................. 175

4.1 Begriffsbildung und Einordnung industrienaher Dienstleistungen ........ 175 4.2 Definition industrienaher Dienstleistungen ........................................... 176

4.2.1 Verwendung von industrienahen Dienstleistungen .................... 177 4.2.2 Kunden industrienaher Dienstleistungen .................................... 177 4.2.3 Anbieter industrienaher Dienstleistungen .................................. 178 4.2.4 Bezug zum Kerngeschäft ........................................................... 178 4.2.5 Betrachtete Kernleistung ............................................................ 180 4.2.6 Strategische Zielsetzung des Angebots ...................................... 180

4.3 Typologien industrienaher Dienstleistungen ......................................... 181 4.3.1 Typologisierung anhand der Kaufphase ..................................... 182 4.3.2 Typologisierung nach dem Verrichtungsobjekt ......................... 183 4.3.3 Typologisierung nach den Kompetenzen und Ressourcen ......... 183 4.3.4 Typologisierung anhand der Funktion ....................................... 184 4.3.5 Typologisierung durch den Bezug zur Kernleistung .................. 184

5 Diskussion ..................................................................................................... 185 6 Fazit ............................................................................................................... 187 7 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 188

Vom Techniker zum Modellierer – Konzeption und Entwicklung eines Smart Glasses Systems zur Laufzeitmodellierung von Dienstleistungsprozessen Dirk Metzger, Christina Niemöller, Lisa Berkemeier, Lukas Brenning und Oliver Thomas .............................................................................................. 193

1 Motivation ..................................................................................................... 193 2 Charakterisierung technischer Dienstleistungsprozesse und Implikationen

für die Modellierung ...................................................................................... 195 2.1 Technische Dienstleistungen ............................................................ 195 2.2 Komplexität technischer Dienstleistungen ....................................... 197 2.3 Anforderungen für die Modellierung technischer

Dienstleistungsprozesse.................................................................... 198 3 Methode ......................................................................................................... 199 4 Related Work ................................................................................................. 200 5 Laufzeitmodellierung mit Smart Glasses ....................................................... 202

5.1 Pattern ................................................................................................... 202

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XVI Inhaltsverzeichnis

5.2 Umsetzung ............................................................................................ 204 5.3 Architektur ............................................................................................ 206

6 Demonstrationsbeispiel.................................................................................. 207 7 Fazit und Ausblick ......................................................................................... 210 8 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 211

Mass Customization und Product-Service-Systems: Vergleich der Unternehmenstypen und der Entwicklungsumgebungen Paul Christoph Gembarski und Roland Lachmayer ............................................ 214

1 Einleitung ...................................................................................................... 214 2 Unternehmenstypologische Analyse .............................................................. 215

2.1 Produkt-Prozess-Wandelmatrix............................................................. 216 2.2 Charakteristika von kundenindividuellen Massenfertigern ................... 217 2.3 Charakterisierung von PSS .................................................................... 219 2.4 Einordnung von PSS in die Produkt-Prozess-Wandelmatrix ................ 220

3 Entwicklung und Konfiguration von PSS-Artefakten ................................... 221 3.1 Prozesse zur Integrierten Entwicklung von PSS ................................... 221 3.2 Konfigurationsfähigkeit von PSS .......................................................... 222 3.3 Rechnerunterstützte Entwicklung von PSS ........................................... 223 3.4 Wissensbasierte Modellierung von PSS ................................................ 224 3.5 Zwischenfazit ........................................................................................ 224

4 Lösungsraummodellierung mittels Produktkonfiguratoren ........................... 226 4.1 Anwendungsgebiete für Konfiguratoren ............................................... 226 4.2 Konfiguratoren im Kontext wissensbasierter Systeme .......................... 227 4.3 Produktkonfiguratoren für PSS ............................................................. 228

5 Schlussbetrachtung ........................................................................................ 229 6 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 230

Modellierung der Lebenszyklen von Smart Services Stefan Wellsandt, Jürgen Anke und Klaus-Dieter Thoben .................................. 233

1 Einleitung ...................................................................................................... 233 1.1 Motivation ............................................................................................. 233 1.2 Methodik ............................................................................................... 234

2 Smart Services für vernetzte Geräte .............................................................. 235 2.1 Charakterisierung von Smart Services .................................................. 235 2.2 Lebenszyklen in Smart Services ............................................................ 237 2.3 Ziele der Modellierung von Lebenszyklen in Smart Services ............... 239 2.4 Life Cycle Modeling Language (LML) ................................................. 240

3 Fallbeispiel „Verbrauchsmaterial für 3D-Drucker“ ....................................... 242 3.1 Beschreibung und Einordnung des Szenarios ....................................... 242 3.2 LML-Modell des Smart Service ............................................................ 243

4 Diskussion und Bewertung des Modellierungsansatzes ................................ 248 5 Fazit und Ausblick ......................................................................................... 252 6 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 253

Page 17: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Inhaltsverzeichnis XVII

Teil IV: Mobility Servitization – Potenziale neuer Geschäftsmodelle .......... 257

Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität Katja Laurischkat, Daniel Jandt und Arne Viertelhausen ................................... 258

1 Einleitung und Motivation ............................................................................. 258 1.1 Elektromobilität in Deutschland ............................................................ 259 1.2 Treiber und Hemmnisse für die Elektromobilität .................................. 260 1.3 Lösungsansatz zur Förderung der Massenmarktfähigkeit ..................... 261

2 Rahmenwerk zur Erfassung und Analyse elektromobilitätsspezifischer Geschäftsmodelle ........................................................................................... 262 2.1 Vergleich bestehender Ansätze zur Geschäftsmodellinnovation ........... 262 2.2 Fokus 1: Der Kunde .............................................................................. 263 2.3 Fokus 2: Ganzheitliche Nutzenversprechen .......................................... 264 2.4 Fokus 3: Elektromobilitätsspezifische Geschäftsmodellmuster ............ 265 2.5 Erstellung des Rahmenwerks für elektromobilitätsspezifische

Geschäftsmodelle .................................................................................. 267 3 Erfassung und Analyse bestehender Geschäftsmodelle ................................. 269

3.1 Unkomplizierte Integration in Unternehmensfuhrparks ........................ 270 3.2 Flexible Mobilität durch öffentliches E-Carsharing .............................. 271 3.3 Günstiger Solarstrom durch Selbsterzeugung ....................................... 271 3.4 Barrierefreier Ladezugang durch E-Roaming ....................................... 272 3.5 Fahrzeugbesitz mit ganzheitlichem Dienstleistungspaket ..................... 273

4 Vergleich der idealtypischen Geschäftsmodelle und exemplarische Potenzialermittlung für Innovationen ............................................................ 274 4.1 Vergleich der idealtypischen Geschäftsmodelle .................................... 274 4.2 Exemplarische Potenzialermittlung für Innovationen ........................... 276

5 Zusammenfassung und Ausblick ................................................................... 277 5.1 Zusammenfassung ................................................................................. 277 5.2 Ausblick ................................................................................................ 278

6 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 279

Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing: Eine Szenarioanalyse für den deutschen Markt Jan-Hendrik Heinen und Jens Pöppelbuß ........................................................... 282

1 Einleitung ....................................................................................................... 282 2 Elektromobilität im gewerblichen Car Sharing.............................................. 283

2.1 Car Sharing ............................................................................................ 283 2.2 Elektromobilität ..................................................................................... 284

3 Vorgehen ....................................................................................................... 285 3.1 Überblick ............................................................................................... 285 3.2 Softwareunterstützung ........................................................................... 287 3.3 Datengrundlagen ................................................................................... 287

Page 18: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

XVIII Inhaltsverzeichnis

4 Szenarioanalyse ............................................................................................. 289 5 Beschreibung der ausgewählten Szenarien .................................................... 295

5.1 Szenario 3 – Positive Rahmenbedingungen .......................................... 295 5.2 Szenario 5 – Stillstand der Entwicklung ............................................... 297 5.3 Zusammenfassende Betrachtung der vorgestellten Szenarien ............... 298

6 Diskussion ..................................................................................................... 299 6.1 Implikation und Handlungsfelder .......................................................... 299 6.2 Limitationen .......................................................................................... 300

7 Fazit ............................................................................................................... 300 8 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 301

Carsharing Geschäftsmodelle – Entwicklung eines bausteinbasierten Modellierungsansatzes Thorsten Schoormann, Dennis Behrens und Ralf Knackstedt ............................. 303

1 Einleitung ...................................................................................................... 303 2 Modellierung von Geschäftsmodellen für Carsharing ................................... 304

2.1 Modellierung von Geschäftsmodellen ................................................... 304 2.2 Vergleichbarkeit von Modellen ............................................................. 305 2.3 Vergleichbarkeit von Carsharing Geschäftsmodellen ........................... 306

3 Methodisches Vorgehen ................................................................................ 307 3.1 Übersicht ............................................................................................... 307 3.2 Vorstudie: Modellierung eines Carsharing Modells .............................. 308 3.3 Konzeptualisierung, Entwicklung und Evaluation ................................ 310

4 Konzeptualisierung und Entwicklung ............................................................ 311 4.1 Literaturbasierte Analyse ...................................................................... 311 4.2 Empirische Analyse (I) .......................................................................... 311 4.3 Empirische Analyse (II) ........................................................................ 312 4.4 Zwischenfazit ........................................................................................ 313 4.5 Entwicklung einer bausteinorientierten Modellierung .......................... 315

5 Evaluation ...................................................................................................... 316 5.1 Auswahl des Modellierungsgegenstands ............................................... 316 5.2 Anwendung in der Business Model Canvas .......................................... 317 5.3 Anwendung in der Geschäftsmodellnotation nach Wirtz ...................... 318 5.4 Anwendung in der e-Business Model Ontology.................................... 319

6 Diskussion ..................................................................................................... 320 7 Forschungsagenda ......................................................................................... 322 8 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 322

Autorenverzeichnis ............................................................................................ 326

Page 19: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Teil I: Digitale (R)evolution

klassischer Dienstleistungen

Page 20: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen

Michael Becker und Stephan Klingner

Die Anpassung von Dienstleitungen an kundenspezifische Bedarfe spielt in den letzten Jahren eine immer größere Rolle, damit Unternehmen sich von ihren Wett-bewerbern abgrenzen können. Aus diesem Grund wurde in Wissenschaft und Pra-xis eine Reihe von Ansätzen entwickelt, mit denen Anpassungen vorgenommen werden können. In diesem Artikel wird eine strukturierte Literaturrecherche vor-gestellt, mit deren Hilfe die große konzeptuelle und terminologische Heterogenität des Feldes überwunden werden soll. Darüber hinaus wird ein Leitfaden vorge-stellt, mit dem Anpassungskonzepte den Phasen im Lebenszyklus von Dienstleis-tungen zugeordnet werden können.

1 Einleitung

Dienstleistungsangebote können heutzutage kaum noch standardisiert und für alle Kunden einheitlich erbracht werden. Grund dafür ist die Notwendigkeit einer stär-ker ausgeprägten Kundenorientierung bei der Gestaltung der Dienstleistungser-bringung, einerseits um den Erfordernissen des Marktes gerecht zu werden, ande-rerseits um Abgrenzungsmerkmale gegenüber der Konkurrenz zu schaffen.

Während das Themengebiet der Modellierung standardisierter Dienstleistungen aus theoretischer und praktischer Perspektive umfassend bearbeitet wurde und als etabliert gelten kann, existiert hinsichtlich der Erstellung kundenspezifischer Dienstleistungen aus wissenschaftlicher Perspektive terminologischer und konzep-tioneller Konsolidierungsbedarf. Einen Beitrag zu den entsprechend notwendigen Grundlagenarbeiten soll dieser Artikel leisten, indem mit Hilfe einer strukturierten Literaturrecherche die Frage beantwortet werden soll, welche Konzepte zur An-passung komplexer Dienstleistungen die Wissenschaft bisher bereitgestellt hat.

Das Ziel dabei ist, bestehende Konzepte zur Anpassung von Dienstleistungen zu erfassen und diese gegeneinander abzugrenzen oder zu aggregieren. Dabei werden zunächst eine Beschreibung der Semantik der Konzepte sowie eine termi-nologische Präzision erreicht. In einem weiteren Schritt können die Ergebnisse dazu genutzt werden, konzeptionelle Lücken zu identifizieren.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_1

Page 21: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 3

Unter Anpassung werden dabei in diesem Beitrag Ansätze zur Personalisierung und zur Individualisierung subsumiert. Bei der Individualisierung von Dienstleis-tungen erfolgt eine vollständige Ausrichtung der Dienstleistung an den Kunden-wünschen (Duray et al. 2000). Hierbei existiert im Vorfeld keine Dienstleistung, diese wird komplett kundenspezifisch erstellt. Um eine Dienstleistung zu indivi-dualisieren, muss der Kunde dementsprechend während des gesamten Lebenszyk-lus der Dienstleistung involviert sein. Im Regelfall kann eine individualisierte Dienstleistung auch nicht noch einmal in identischer Art und Weise erbracht wer-den. Eine etwas abgeschwächte Form beschreibt das Vorgehen der Personalisie-rung. Hierbei werden vorhandene Dienstleistungen angepasst, indem beispielswei-se Parameter entsprechend der Vorgaben des Kunden geändert werden (Duray et al. 2000). Grundsätzlich wird somit für verschiedene Kunden die gleiche Leistung erbracht.

Da in den letzten Jahren eine große Anzahl an Herangehensweisen zur Anpas-sung von Dienstleistungen an kundenspezifische Bedürfnisse entwickelt wurde, stellt sich das Feld heutzutage sehr heterogen dar: Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive werden z. B. Marketingaktivitäten untersucht (Stremersch und Tellis 2002) sowie Möglichkeiten von Mitarbeitern, sich auf die verschiedenen Bedarfe der Kunden einzustellen (Gwinner et al. 2005). Informationstechnische Ansätze zielen insbesondere auf die formale Beschreibung von Dienstleistungen, so dass z. B. Abhängigkeiten innerhalb eines Portfolios präzise beschrieben werden kön-nen (Böttcher und Klingner 2011) und auch um die Erbringung von Dienstleistun-gen mittels IT zu unterstützen (Dong et al. 2011; Thomas 2003). Weiterhin finden sich in der Literatur aber auch Ansätze, die sich mit psychologischen Aspekten auseinandersetzen und mit denen z. B. Entscheidungsprozesse von Kunden nach-vollzogen werden sollen (Jin et al. 2012). Diese große Bandbreite führt jedoch da-zu, dass keine grundlegende Übersicht der verschiedenen Ansätze existiert. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit der Zwischenstand einer laufenden Literatur-recherche, mit der verschiedene Ansätze identifiziert und deren zugrunde liegen-den Konzepte extrahiert werden, vorgestellt.

Diese Arbeit ist Teil eines übergeordneten Forschungsvorhabens zur Entwick-lung eines Vorgehensmodells zur strukturierten Entwicklung und Erbringung kun-denindividuell anpassbarer Dienstleistungen. Anhand des daraus entstehenden in-tegrierten Gesamtmodells können Unternehmen spezifische Maßnahmen ableiten, die sie hinsichtlich ihrer jeweiligen Ziele unterstützen. Das Gesamtvorhaben ori-entiert sich dabei an dem Framework von Sol (1992) und adressiert daher die fol-genden Aspekte einer Entwicklungsmethodik:

Way of Thinking: Hier stehen die abstrakten Konzepte der Methodik im Vor-dergrund und somit das grundlegende Systemverständnis. Zentrale Elemente sind hierbei die Anpassungsaspekte sowie deren Zusammenhänge.

Way of Modelling: Nach der Identifikation der Konzepte ist es notwendig, diese zu strukturieren sowie mit einer geeigneten Technik darzustellen.

Page 22: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

4 Michael Becker und Stephan Klingner

Way of Working: Dieser Aspekt fokussiert die einzelnen Aktivitäten einer Ent-wicklungsmethodik und setzt diese Aktivitäten in Beziehung zueinander.

Way of Control: Hierunter fällt das Management und die Konkretisierung des Entwicklungsprozesses und damit die Ausgestaltung eines Vorgehensmodells.

Im Rahmen dieses Artikels wird der erste Bereich (Way of Thinking) adres-siert, wobei die folgenden beiden Forschungsfragen beantwortet werden sollen:

F1: Welche Konzepte zur kundenindividuellen Anpassung von Dienstleistun-gen existieren in der Literatur?

F2: Wie lassen sich die Konzepte strukturieren und in Relation zueinander bringen?

Dazu ist der Artikel wie folgt gegliedert. Im nächsten Abschnitt werden zu-nächst die organisatorischen und konzeptuellen Grundlagen der strukturierten Li-teraturrecherche sowie deren quantitative Ergebnisse vorgestellt. Zur Einordnung der identifizierten Konzepte wird daraufhin ein Rahmenwerk von Ordnungskrite-rien eingeführt (Beantwortung Forschungsfrage 1). Anschließend wird eine Über-sicht der Konzepte erstellt, welche diese anhand der jeweils relevanten Phase im Lebenszyklus ordnet (teilweise Beantwortung Forschungsfrage 2). Zum Schluss des Artikels werden ein Fazit gezogen und weiterführende Forschungsarbeiten diskutiert.

2 Identifikation von Konzepten: Literaturrecherche

Die strukturierte Literaturrecherche zur Identifikation relevanter Anpassungskon-zepte wurde im Zeitraum März bis Mai 2015 durchgeführt sowie im Dezember 2015 aktualisiert. Dazu wurden mit Hilfe der Suchmaschine Google Scholar Pub-likationen gesucht, die seit dem Jahr 2011 erschienen sind und mindestens einen der folgenden Terme entweder im Titel, im Abstract oder in den Schlüsselworten enthalten: service customisation, service personalisation, service configuration sowie customisable services. Diese Suchworte wurden aufgrund bisheriger Erfah-rungen im Bereich kundenindividueller Anpassung von Dienstleistungen gewählt und grenzen in der englischsprachigen Literatur den Untersuchungsgegenstand hier von anderen Bereichen wie z. B. SOA oder Netzwerk-Services ab.

Damit Ergebnisse der Dienstleistungsforschung vor 2011 nicht unberücksich-tigt bleiben, wurde darüber hinaus eine Rückwärtssuche durchgeführt. Google Scholar wurde verwendet, da diese Metasuchmaschine die verschiedenen spezifi-schen wissenschaftlichen Datenbanken indexiert und damit eine Gesamtübersicht der veröffentlichten Publikationen ermöglicht.

Mit den identifizierten Ergebnissen soll ein Querschnitt durch die verschiede-nen Disziplinen abgedeckt werden, die sich mit der Anpassung von Dienstleistun-gen beschäftigen. Nach den Kriterien von Cooper (1988) ist die durchgeführte Li-

Page 23: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 5

teraturrecherche wie in Tabelle 1 dargestellt zu charakterisieren. Die gewählten Ausprägungen der einzelnen Charakteristika orientieren sich dabei an dem von Webster und Watson (2002) vorgeschlagenen Modell. Insbesondere die konzeptu-elle Organisation sowie die neutrale Perspektive sollen dabei unterstützen, den Stand des aktuellen Wissens zu sammeln, ohne einzelne Beiträge hervorzuheben oder auszuschließen.

Tabelle 1. Organisation der Literaturrecherche

Charakteristik Gewählte Ausprägung Fokus Forschungsergebnisse: Von Interesse sind die Ergebnisse einzelner Ar-

beiten und weniger die Forschungsmethodik sowie die empirische An-wendung der Ergebnisse Theorien: Zugrundeliegende Theorien sind für die Arbeit von Interesse, um identifizierte Konzepte zu strukturieren und in ein integriertes Rahmenwerk einzupassen.

Ziele Generalisierung: Anhand verschiedener Quellen sollen zentrale Aussa-gen zum Thema getroffen werden Entwicklung einheitlicher Terminologie: Um existierende Arbeiten zu-sammenzubringen und besser miteinander vergleichbar zu machen, sol-len linguistische Brücken zwischen verwendeten Termen gebaut wer-den

Perspektive Neutral: Die existierende Literatur wird zusammengefasst und dabei so wenig wie möglich persönlich interpretiert

Abdeckungsgrad Vollständig mit selektiver Zitierung: Die Literaturrecherche ist so ange-legt, dass möglichst alle Arbeiten zur Anpassung von Dienstleistungen integriert werden. Im Rahmen dieser Arbeit wird allerdings nur eine begrenzte Auswahl der Literatur vorgestellt.

Organisation Konzeptuell: Publikationen, welche die gleichen abstrakten Ideen zur Grundlage haben, werden gemeinsam betrachtet.

Zielgruppe Forschung: Die Literaturrecherche dient der weiteren Dienstleistungs-forschung, indem die existierende Heterogenität im Feld aufgearbeitet wird Praxis: Durch die Aggregation ähnlicher Konzepte erhalten Unterneh-men einen besseren Überblick der Thematik

Die identifizierten Publikationen wurden zunächst durch einen Autor hinsicht-lich ihrer Relevanz bezüglich der Forschungsfragen untersucht. Zur besseren Nachvollziehbarkeit kann die gesamte identifizierte Literatur sowie die Relevanz-bewertung auf der Publikationswebseite eingesehen werden.1

Die Ergebnisse der Literaturrecherche sind in Tabelle 2 dargestellt. Es erfolgte eine Limitierung der Recherche auf die ersten 200 Suchergebnisse (d. h. die ersten 20 Seiten der Suche) pro Suchbegriff. Diese Beschränkung folgt einerseits prag-

1 http://serviceconfiguration.org/dlm-slr/.

Page 24: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

6 Michael Becker und Stephan Klingner

matischen Gesichtspunkten, um die Anzahl der Literatur noch handhabbar zu ge-stalten. Andererseits hat sich auch gezeigt, dass in den hinteren Suchergebnissen in der Regel keine Literatur mehr erscheint, die den genannten Anforderungen (Schlüsselwörter in den entsprechenden Feldern) gerecht wird. Die geringere An-zahl an Gesamtergebnissen pro Suchbegriff in Tabelle 2 ist dadurch zu erklären, dass nicht alle angezeigten Ergebnisse die Suchbegriffe in den entsprechenden Metadaten enthielten (sondern z. B. nur im Volltext, aber nicht im Abstract). Diese wurden entsprechend aus den Ergebnissen entfernt. Insgesamt wurden demnach mit der Recherche 244 Publikationen identifiziert, die den Suchparametern ent-sprechen. Nach einer genaueren Durchsicht der Abstracts sowie der Volltexte wurde die Anzahl relevanter Publikationen auf 33 reduziert.

Tabelle 2. Quantitative Ergebnisse der Literaturrecherche

Suchbegriff Ergebnisse insgesamt Ergebnisse relevant Service Customisation 94 22 Service Personalisation 53 5 Service Configuration 80 3 Customisable Service 17 3

Aus den relevanten Publikationen wurden insgesamt 123 Konzepte extrahiert und in einer Konzeptmatrix analog zu Webster und Watson (2002) erfasst. Auf-grund der großen Anzahl identifizierter Konzepte ist davon auszugehen, dass das Ziel, eine möglichst vollständige Übersicht zu erstellen, erreicht wurde. Zur über-sichtlichen Strukturierung der Konzepte wird im nächsten Abschnitt ein Ord-nungsrahmen vorgestellt, der flexibel genug ist, um auch neue Konzepte zu integ-rieren.

3 Ordnungsrahmen

Um die Generalisierung der identifizierten Konzepte zu erreichen, wurde ein zweidimensionaler Ordnungsrahmen entwickelt. In der ersten Dimension sind die Konzepte hinsichtlich ihrer Bedeutung eingeordnet, indem inhaltlich verwandte Konzepte aggregiert wurden. Zur Identifikation von Synonymen sowie zur Bil-dung von Klassen mit verwandten Konzepten wurden die folgenden vier Aggrega-tionsebenen gebildet:

Konzeptausprägung: In dieser Ebene befinden sich die spezifischen in der Lite-ratur genutzten Terme zur Beschreibung von Anpassungskonzepten. Beispiels-weise existieren die Ausprägungen Building Blocks (Jiao et al. 2003), Kompo-nenten (Böttcher und Klingner 2011), Components (Mikkola 2006) und Service Configuration Items (Lin et al. 2011).

Page 25: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 7

Konzept: Inhaltlich bedeutungsgleiche Konzeptausprägungen werden zu einem Konzept zusammengefasst. Die oben genannten Ausprägungen werden dem-entsprechend dem Konzept Komponente zugeordnet.

Generalisiertes Konzept: Aufbauend auf den Konzepten wurde eine weitere Typologisierung vorgenommen, um benachbarte Konzepte zu gruppieren. So wurden z. B. die Konzepte Portfolio, Komponenten, Schnittstellen und Varian-ten dem generalisierten Konzept Modularisierungselemente zugeordnet.

Klasse: Generalisierte Konzepte können verschiedene Sichten auf den Entwick-lungsprozess abdecken. Zum Beispiel wurden die generalisierten Konzepte Modularisierungselemente, Eigenschaften, Abhängigkeiten, Ergebnisse und Vorgaben der Klasse Repräsentation zugeordnet.

Die ersten drei Aggregationsebenen stehen dabei in der Relation x ist eine Aus-prägung von y, z. B. Components ist eine Ausprägung von Komponenten und Komponenten ist eine Ausprägung von Modularisierungselemente. Im Gegensatz dazu steht die vierte Ebene in einer Klassenrelation, d. h. die Klasse von x ist y. Dementsprechend gilt z. B. die Klasse von Modularität ist Repräsentation.

In einer zweiten Dimension werden einzelne Konzepte genauer beschrieben. Um dies zu erreichen, werden die Kriterien Konzepttyp, Relevante Phase im Le-benszyklus und Anpassungselemente verwendet. Abb. 1 stellt den Ordnungsrah-men zusammengefasst dar und zeigt die Einordnung des Beispiels Building Blocks. Im Folgenden wird zunächst die vertikale Einordnung der Konzepte an-hand der Klassenbildung genauer vorgestellt. Daran schließt sich eine Beschrei-bung der horizontalen Klassifikation anhand der gegebenen Kriterien an.

Abb. 1. Ordnungsrahmen zur Kategorisierung von Konzepten

Page 26: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

8 Michael Becker und Stephan Klingner

3.1 Vertikale Klassifikation: Generalisierung von Konzepten

Im Rahmen der Generalisierung wurden insgesamt vier Klassen (Anpassungsstra-tegie, Modularität, Kundensicht, Repräsentation) gebildet, in welche die einzelnen Konzepte eingeordnet wurden. In der Klasse Anpassungsstrategie (vgl. Tabelle 3) sind Konzepte enthalten, mit denen Unternehmen festlegen können, in welcher Form sie Kunden Anpassungen ermöglichen. Die Strategie, welche gewählt wird, kann von verschiedenen Faktoren, wie z. B. der Art der Dienstleistungen und den Ansprüchen der Kunden, abhängen. Darüber hinaus hat die Auswahl eines be-stimmten Vorgehens Einfluss auf andere Faktoren in späteren Dienstleistungspha-sen.

Die Konzepte aus der Klasse Anpassungsstrategie sind oftmals betriebswirt-schaftlich motiviert. Hiermit ist es möglich, grundlegende Entscheidungen zur Po-sitionierung des Unternehmens zu treffen. Dementsprechend orientiert sich die Auswahl für eine bestimmte Anpassungsstrategie an den strategischen Entschei-dungen und Vorgaben, die im Unternehmen vorherrschen.

Tabelle 3. Konzepte zur Anpassungsstrategie

Gen. Konzept Konzepte Quellen

Arten Vollständige Anpassung: Dienstleistungen wer-den vollständig nach Kundenvorgaben erstellt und erbracht, ohne dass ein vorheriges Grundde-sign existiert

Bettiol et al. (2013), Bettiol et al. (2015), Verbieren et al. (2013), Lampel und Mintzberg (1996), Voss und Hsuan (2009), Syam et al. (2005)

Anpassung eines Grunddesigns: Anbieter ver-wenden ein Grunddesign und erstellen daraus verschiedene Varianten einer Dienstleistung, Kunden haben keinen Einfluss auf das Design

Bettiol et al. (2013), Verbieren et al. (2013), Lampel und Mintzberg (1996)

Kombination standardisierter Module: Kunden wählen aus einer Reihe standardisierter Dienst-leistungsmodule aus, um ihre Anforderungen zu erfüllen

Bettiol et al. (2013), Bettiol et al. (2015), Verbieren et al. (2013), Lampel und Mintzberg (1996), Voss und Hsuan (2009)

Prototypen: ausgehend von einem Prototypen werden Dienstleistungen an die Bedarfe eines spezifischen Kunden angepasst

Verbieren et al. (2013), Lampel und Mintzberg (1996), Syam et al. (2005)

Vollständige Standardisierung: Kunden haben keinen Einfluss auf die Ausgestaltung einer Dienstleitung und können diese dementspre-chend nicht an ihre Anforderungen anpassen

Bettiol et al. (2013), Bettiol et al. (2015), Verbieren et al. (2013), Lampel und Mintzberg (1996), Syam et al. (2005)

Aspekte Informationsanpassung: die Informationsweiter-gabe an Kunden wird entsprechend deren Bedar-

Cho und Lau (2014), Thirumalai und Sinha (2009),

Page 27: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 9

Gen. Konzept Konzepte Quellen

fen angepasst Ansari und Mela (2003) Produktanpassung: die eigentliche Dienstleis-tung wird angepasst

Cho und Lau (2014), Thirumalai und Sinha (2009), Ansari und Mela (2003)

Logistische Anpassung: die Zusammenarbeit mit Zulieferern wird angepasst, um den Kunden z. B. verschiedene Versand- und Bezahlmöglichkeiten anzubieten

Cho und Lau (2014), Thirumalai und Sinha (2009)

Ansätze Kollaborativ: Kunde und Anbieter passen eine Dienstleistung gemeinsam durch einen Konfigu-rationsprozess an

Cho und Lau (2014), Gilmore und Pine II (1997)

Adaptiv: eine Dienstleistung wird während der Erbringung allein durch den Kunden angepasst

Cho und Lau (2014), Gilmore und Pine II (1997)

Kosmetisch: standardisierte Dienstleistungsmo-dule lassen sich durch Kunden unterschiedlich zusammensetzen

Cho und Lau (2014), Gilmore und Pine II (1997)

Transparent: Kunden erhalten eine speziell auf sie zugeschnittene Dienstleistung ohne das An-passungsvorgehen direkt zu beeinflussen

Cho und Lau (2014), Gilmore und Pine II (1997)

Einfluss-faktoren

Zeitdruck: ausgedrückt durch den Zeitraum, in dem Anbieter auf die Anpassungsbedarfe der Kunden reagieren müssen

McCarthy et al. (2011)

Grad der notwendigen Anpassung: je nach Kun-denbedarf eine stufenweise Anpassung standar-disierter Dienstleistungen bis hin zu radikalen Änderungen

McCarthy et al. (2011)

Kontext: Umgebungsparameter können Anforde-rungen an Dienstleistungen ändern

Sohn et al. (2013)

Prozess Additiv: eine Basisdienstleistung wird durch Kunden sukzessive um gewünschte Optionen erweitert

Wang et al. (2013), Levin et al. (2002)

Subtraktiv: ein vollständig ausdetaillierte Dienst-leistung mit einer großen Anzahl an Modulen wird durch Kunden um nicht benötigte Optionen verkleinert

Wang et al. (2013), Levin et al. (2002)

Kombinatorisch: Kunden kombinieren eine Menge von Komponenten, um eine individuelle Dienstleistung zu erstellen

Wang und Dargahi (2013)

Attribut-basiert: Kunden wählen favorisierte Produkteigenschaften aus

Huffman und Kahn (1998)

Alternativen-basiert: Kunden wählen aus einer vorgegebenen Anzahl an Dienstleistungsvarian-ten die für ihre Anforderungen passendste aus

Wang und Dargahi (2013), Huffman und Kahn (1998)

Page 28: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

10 Michael Becker und Stephan Klingner

Gen. Konzept Konzepte Quellen

Bund-ling-Form

Entflechtung: Dienstleistungsmodule werden nur einzeln aber nicht als zusammengesetzte Ge-samtleistung angeboten

Nordin et al. (2011), Stremersch und Tellis (2002)

Zusammenfassung: nur zusammengesetzte Ge-samtleistungen aber nicht einzelne Module wer-den angeboten

Nordin et al. (2011), Stremersch und Tellis (2002)

Gemischt: sowohl einzelne Dienstleistungsmo-dule als auch zusammengesetzte Gesamtleistun-gen werden angeboten

Nordin et al. (2011), Stremersch und Tellis (2002)

Bund-ling-Fokus

Preis-Bundling: mehrere Dienstleistungen wer-den als Paket verkauft aber nicht miteinander in-tegriert, daher ist ein Rabatt notwendig

Stremersch und Tellis (2002)

Produkt-Bundling: mehrere Dienstleistungen werden miteinander integriert und gemeinsam verkauft, die Integration bringt einen Mehrwert

Stremersch und Tellis (2002)

Die Klasse Modularität (vgl. Tabelle 4) enthält Konzepte, welche für die Struk-turierung von Dienstleistungen in einzelne Module relevant sind. Durch eine be-darfsgerechte Zusammenstellung von Modulen lassen sich kundenindividuelle Va-rianten einer Dienstleistung erzeugen. In diese Klasse fallen konkrete Vorgehens-weisen, mit denen die gewählte Strategie umgesetzt werden kann. Durch die Aus-wahl einer bestimmten Anpassungsstrategie lassen sich bereits erste Rückschlüsse auf notwendige Modularisierungskonzepte ziehen, z. B. kann die Kombination standardisierter Module durch den Austausch einzelner Module realisiert werden.

Modularisierung ist bereits seit längerer Zeit ein relevantes Thema in der Soft-ware-Entwicklung, weshalb verschiedene Konzepte auch auf Erkenntnisse aus dieser Disziplin zurückgreifen. Insbesondere die Definition und Beschreibung ein-zelner Dienstleistungsmodule können durch technische Systeme vereinfacht wer-den.

Tabelle 4. Konzepte zur Modularität

Gen. Konzept Konzepte Quellen

Ebene Modularität im Design: voneinander unab-hängige Module können zu einer Gesamt-leistung zusammengesetzt werden

Campagnolo und Camuffo (2010), Bask et al. (2010), Pekkarinen und Ulkuniemi (2008), Fredriksson und Gadde (2005), Gershensonet al. (1999)

Modularität in der Entwicklung: durch die Kombination wiederverwendbarer Prozess-schritte wird Flexibilität erreicht

Campagnolo und Camuffo (2010), Bask et al. (2010), Bask et al. (2011)

Modularität im Unternehmen: flexible Un-ternehmensgestaltung, um auf Änderungen

Campagnolo und Camuffo 2010, Bask et al. (2010),

Page 29: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 11

Gen. Konzept Konzepte Quellen

schnell zu reagieren sowie flexible Nutzung unternehmenseigener und -fremder Res-sourcen

Bask et al. (2011), Pekkarinen und Ulkuniemi (2008), Fredriksson und Gadde (2005), Gershensonet al. (1999)

Modularität in der Zulieferkette: Zusam-menarbeit verschiedener Unternehmen zur Erbringung einer Dienstleistung, wobei je-des Unternehmen spezifische Module bei-steuert

Campagnolo und Camuffo (2010), Bask et al. (2010), Fredriksson und Gadde (2005)

Techniken Gemeinsame Nutzung von Komponenten: Varianten werden durch die individuelle Zusammensetzung von Komponenten ge-bildet

Duray et al. (2000)

Austausch von Komponenten: Varianten werden durch Austausch von Komponenten eines Standardprodukts gebildet

Duray et al. (2000), Salvador et al. (2002)

Komponentenanpassung: Varianten werden durch Anpassung von Eigenschaften von Komponenten gebildet

Duray et al. (2000), Salvador et al. (2002)

Kern- und Hilfskomponenten: Erbringung gebräuchlicher Leistungen als Kern-/Hilfskomponenten, adaptive Komponenten werden zur Integration mit anderen Leis-tungen genutzt

Salvador et al. (2002)

Die Klasse Kundensicht (vgl. Tabelle 5) enthält Konzepte, die auf die Integrati-on der Kunden in den Prozess der Entwicklung und Erbringung einer Dienstleis-tung abzielen. Dies ist bei Dienstleistungen besonders relevant, da die wahrge-nommene Qualität einer Dienstleistung oftmals auch von Zuarbeiten der jeweili-gen Kunden abhängt (Bruhn und Stauss 2009). Die Konzepte zur Einbindung von Kunden sowie die Anpassungsstrategie stehen in engem Zusammenhang. Bei-spielsweise zieht die Entscheidung für die Anpassung durch Kombination unter-schiedlicher Module eine Einbeziehung des Kunden spätestens während der Zu-sammensetzung einer Dienstleistung nach sich. In der anderen Richtung resultiert aus der Entscheidung, dass Kunden eine Dienstleistung inhaltlich anpassen kön-nen (d. h. Einfluss auf das endgültige Produkt und nicht nur den Prozess der Er-bringung haben), dass die Anpassungsstrategie dies auch unterstützen muss.

Konzepte zur Kundensicht sind geprägt von betriebswirtschaftlichen und psy-chologischen Überlegungen. Zunächst sind auch hier strategische Entscheidungen zur Unternehmenspositionierung zu treffen. Darüber hinaus ist insbesondere bei Dienstleistungen, die eine erhöhte Interaktion zwischen Mitarbeitern und Kunden benötigen, die menschliche Seite nicht zu unterschätzen, da diese einen erhebli-chen Einfluss auf die wahrgenommene Qualität haben kann.

Page 30: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

12 Michael Becker und Stephan Klingner

Tabelle 5. Konzepte zur Kundensicht

Gen. Konzept Konzepte Quelle

Phase Einbe-ziehung

Ideenfindung/Anforderungsaufnahme: Kunden haben Einfluss auf die grundlegende Ausgestaltung einer Dienstleistung, so dass diese vollständig an dessen Anforderungen angepasst werden kann

Duray et al. (2000)

Design: Kunden können inkrementelle Änderungen an einem Standarddesign vornehmen

Duray et al. (2000)

Einführung: Kunden können aus einer vorgegebenen Auswahl an Standardkomponenten wählen, um ihre Anforderungen zu erfüllen

Duray et al. (2000)

Erbringung: die fertige Dienstleistung kann durch Kundeneinfluss kontinuierlich an dessen Bedarfe an-gepasst werden

Duray et al. (2000)

Bedarfe Statische Nutzermodelle: Kundenanforderungen und -profile werden vor der Entwicklung und Erbringung von Dienstleistungen aufgenommen bzw. erstellt

Chen et al. (2014), Cufoglu (2014)

Kontinuierliche Anpassung: während der Erbringung wird die Dienstleistung stetig anhand der Rückmel-dungen des Kunden an dessen Anforderungen ange-passt

Chen et al. (2014), Cufoglu (2014)

Ziel-gruppe

Unterschiedliche Anwender: Dienstleistungen werden Kunden mit unterschiedlichen Anforderungen, Erfah-rungen etc. angeboten

Chen et al. (2014)

Gleiche Anwender in unterschiedlichen Kontexten: eine Dienstleistung wird durch einen Kunden in un-terschiedlichen Kontexten genutzt und muss daher an diese Kontexte angepasst werden

Chen et al. (2014)

Gleiche Anwender bei mehrfacher Anwendung: bei mehrfacher Anwendung sind Kunden erfahrener hin-sichtlich der Leistungsfähigkeit und der Optionen ei-ner Dienstleistung und können diese daher besser an ihre Anforderungen anpassen

Cho und Lau (2014)

Einfluss Zwischenmenschliche Anpassung: Interaktion der Mitarbeiter mit den Kunden entsprechend der Anfor-derungen anpassen

Sony und Mekoth (2012), Sony und Mekoth (2014), de Blok et al. (2014)

Inhaltliche Anpassung: Inhalt der Dienstleistung ent-sprechend der Anforderungen anpassen

Sony und Mekoth (2012), Sony und Mekoth (2014), de Blok et al. (2014)

Anpassung der Arbeitsbedingungen: entsprechend der Anforderungen kann z. B. Schichtarbeit notwen-dig sein, die durch Mitarbeiter erbracht wird

Sony und Mekoth (2014)

Um einen Überblick der angebotenen Dienstleistungen sowie deren Anpas-sungsmöglichkeiten zu erhalten, ist es für Unternehmen unumgänglich, eine adä-

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Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 13

quate Repräsentation (vgl. Tabelle 6) zu entwickeln. Die Konzepte in dieser Klas-se befassen sich mit Elementen zur Strukturierung und Modellierung von Dienst-leistungen.

Im Gegensatz zu den Konzepten aus den anderen Klassen sind die Konzepte hier als unterstützend anzusehen und eher technischer Natur. Aus diesem Grund kann hier auf die Erfahrungen der Informatik hinsichtlich der Modellierung kom-plexer Systeme zurückgegriffen werden. Insbesondere bei Dienstleistungen, die ein gewisses Automatisierungspotenzial bieten, empfiehlt sich eine formale Be-schreibung einzelner Bestandteile, so dass diese stets in gleicher Qualität erbracht werden können.

Tabelle 6. Konzepte zur Repräsentation

Gen. Konzept Konzepte Quelle

Elemente Portfolio: stellt die Gesamtheit aller Dienstleis-tungsmodule sowie deren Abhängigkeiten unter-einander dar

Jiao et al. (2003)

Sichten: unterschiedliche Darstellungsformen des Portfolios je nach Anforderungen, z. B. funk-tionale oder strukturelle Darstellung

Jiao et al. (2003)

Komponenten: als Grundbestandteile modularer Dienstleistungen, in sich abgeschlossen und un-abhängig voneinander

Böttcher und Klingner (2011), Nguyen et al. (2014), Lin et al. (2011), Mikkola (2006), Jiao et al. (2003)

Schnittstellen: dienen der Verbindung einzelner Komponenten und beschreiben deren Kombina-tionsmöglichkeiten

Lin et al. (2011), Mikkola (2006), Salvador et al. (2002)

Varianten: zur expliziten Modellierung von Vari-ationspunkten und Varianten einer Dienstleis-tung

Nguyen et al. (2011)

Eigen-schaften

Ausmaß Anpassbarkeit: ausgedrückt durch die Anzahl an Komponenten, aus denen gewählt werden kann

Dellaert und Stremersch (2005), Nordin et al. (2011)

Heterogenität: Unterscheidungsgrad zwischen einzelnen Varianten einer Komponenten

Dellaert und Stremersch (2005)

Bepreisung: individuelle Bepreisung einzelner Komponenten oder nur Anzeige eines Gesamt-preises

Dellaert und Stremersch (2005)

Standardversion: Vorhandensein und Ausgestal-tung einer Standardversion der Dienstleistung

Dellaert und Stremersch (2005)

Abhän-gigkeiten

Abhängigkeiten innerhalb einer Dienstleistung: Abhängigkeiten zwischen den Komponenten ei-ner Dienstleistungen, z. B. gegenseitiger Aus-schluss oder Alternativen

Nguyen et al. (2011), Böttcher und Klingner (2011)

Abhängigkeiten zu anderen Dienstleistungen: Nguyen et al. (2011)

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14 Michael Becker und Stephan Klingner

Gen. Konzept Konzepte Quelle

zur Integration von Dienstleistungen anderer Un-ternehmen, um Kunden gegenüber eine Gesamt-leistung anzubieten Konfigurationseinschränkungen: Einschränkun-gen auf die Zusammenstellung einer individuel-len Dienstleistung

Wang et al. (2013), Wang et al. (2014), Jiao et al. (2003)

Ergeb-nisse

Ökonomische Auswirkungen: Auswirkungen der Kundenentscheidungen auf Kennzahlen wie Preis, Risiko etc.

Jiao et al. (2003)

Vorgaben Ergebnis: Richtlinien, in denen Anpassungen des Dienstleistungsergebnisses definiert sind, von denen nicht abgewichen werden darf

McCarthy et al. (2011)

Prozess: Richtlinien, an denen sich Mitarbeiter orientieren, um eine Dienstleistung zu erbringen

McCarthy et al. (2011)

Abweichungen: Richtlinien, wie Mitarbeiter bei abweichendem/nicht vorhergesehenen Kunden-verhalten reagieren sollten

McCarthy et al. (2011)

3.2 Horizontale Klassifikation: Metadaten von Konzepten

Orthogonal zu der Aggregation von Konzepten in Klassen wurden diese darüber hinaus in einem übergeordneten Ordnungsrahmen kategorisiert. Dieser umfasst die Kriterien Konzepttyp, Phase im Lebenszyklus und Anpassungselemente, wel-che im Folgenden genauer vorgestellt werden.

3.2.1 Konzepttyp

Konzepte können zunächst auf die Modellierung und Beschreibung von Dienst-leistungen abzielen. Mit Hilfe dieser Konzepte werden Möglichkeiten bereitge-stellt, um die für die Anpassung von Dienstleistungen notwendige Variabilität zu beschreiben. Das Spektrum kann dabei von einfachen textuellen Beschreibungen alternativer Vorgehensweisen bis hin zur formalisierten Spezifikation von Variati-onspunkten reichen.

Konzepte vom Typ Anpassungsprozess geben konkrete Vorschläge, welche Aktivitäten durchgeführt werden können, um Dienstleistungen an kundenindivi-duelle Anforderungen anzupassen.

Die Einflussfaktoren auf die Anpassung repräsentieren Entscheidungen eines Unternehmens, wie Dienstleistungen anzubieten sind. In der Regel müssen diese Entscheidungen bei der Planung und Durchführung der Anpassung beachtet wer-den. Teilweise ziehen einzelne Entscheidungen zwingend ein bestimmtes Anpas-sungsvorgehen nach sich bzw. schließen dieses aus. Neben den Einflussfaktoren auf die Anpassung lassen sich weiterhin Auswirkungen der Anpassung identifizie-ren.

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Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 15

3.2.2 Phase im Lebenszyklus

Zur weiteren Einordnung der Konzepte wurden diese danach kategorisiert, in wel-cher Phase im Lebenszyklus sie relevant sind. Dazu wurde die Entwicklung von Dienstleistungen anhand der im DIN Fachbericht 75 vorgegebenen Phasen struk-turiert (DIN 1998). Das Vorgehensmodell besteht dabei aus den folgenden sechs Phasen.

In der Phase Ideenfindung und -bewertung liegt der Fokus darauf, innovative Dienstleistungen zu erdenken. Hier werden vor allem abstrakte Ideen generiert, die von Unternehmen hinsichtlich ihrer Machbarkeit und Sinnhaftigkeit analysiert werden. Die Herausforderung liegt dabei darin, eine möglichst große Anzahl an Ideen vorzuhalten, ohne jedoch den Fokus auf die Unternehmensziele zu verlieren. Oftmals entstehen Ideen beim Kontakt mit Kunden, die Verbesserungen existie-render Dienstleistungen vorschlagen oder Probleme mit diesen benennen. Das Er-gebnis dieser Phase ist eine Sammlung von Ideen für Dienstleistungen, die ein Un-ternehmen potenziell anbieten und damit entwickeln möchte.

Die in der Ideenfindung identifizierten Dienstleistungsideen werden im Rah-men der Anforderungsanalyse genauer untersucht. Dabei spielen sowohl die An-forderungen der Kunden als auch die Potenziale des Unternehmens eine Rolle. Daneben sind aber auch externe Anforderungen, z. B. durch Normen und Gesetze, zu beachten. Dabei hat sich eine Einteilung in funktionale und nicht-funktionale Anforderungen sowie Rahmenbedingungen bewährt. Da in der Regel eine Viel-zahl von Anforderungen identifiziert wird, empfiehlt es sich, diese hinsichtlich ei-ner vorgegebenen Kategorisierung zu priorisieren.

Anhand der Anforderungen wird die neue Dienstleistung in der Designphase genauer beschrieben. Um eine möglichst detaillierte Beschreibung zu erreichen, lässt sich diese in die Teile Produktmodell, Prozessmodell, Ressourcenmodell und Marketingkonzept aufteilen. Je nach Art der Dienstleistung kommen hier Modelle unterschiedlicher Formalitätsgrade zum Einsatz.

Während der Einführung werden die grundlegenden organisatorischen Voraus-setzungen geschaffen, um eine neue Dienstleistung erbringen zu können. Hierbei stehen vor allem die Beschaffung von Ressourcen sowie die Implementierung von Unternehmensregeln im Fokus. Im Gegensatz zu Produkten lassen sich Dienstleis-tungen in der Regel nicht auf Vorrat erzeugen, so dass hier stattdessen unterstüt-zenden Maßnahmen und Technologien im Mittelpunkt stehen. Im Rahmen der Einführung kann eine neue Dienstleistung auch mit Pilotkunden getestet werden. Dies führt auch dazu, dass neue Prozessvorgaben von Mitarbeitern bereits vor der erstmaligen Erbringung einer Dienstleistung verinnerlicht werden können.

In der Phase Dienstleistungserbringung wird die Dienstleistungen von Mitar-beitern des Unternehmens erbracht und von Kunden genutzt. Hier stehen vor al-lem die Effektivität und Effizienz der notwendigen Aktivitäten im Vordergrund. Darüber hinaus werden Rückmeldungen der Kunden bezüglich Problemen aufge-nommen und für die weitere Verbesserung der Dienstleistung archiviert.

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16 Michael Becker und Stephan Klingner

Soll eine Dienstleistung außer Betrieb gestellt werden, werden während der Ab-lösung die nicht mehr benötigten Ressourcen außer Betrieb gestellt sowie die zu-gehörigen Aktivitäten eingestellt. Insbesondere bei langlebigen Dienstleistungen sind vertragliche Details relevant, die bei der Außerdienststellung beachtet werden müssen.

3.2.3 Anpassungselemente

Die identifizierten Konzepte werden weiterhin dahingehend untersucht, welche konkreten Elemente einer Dienstleistung sie betreffen. Hierbei ist zu beachten, dass die einzelnen Ausprägungen nicht trennscharf voneinander abgegrenzt wer-den können. Stattdessen ist es möglich, mit einem einzelnen Konzept auf mehrere der angegebenen Anpassungselemente abzuzielen.

Zunächst können Konzepte auf das Dienstleistungsergebnis abzielen. Die An-passung des Produkts ermöglicht Kunden, individuell auf ihre Anforderungen zu-geschnittene Dienstleistungen zu erwerben.

Darüber hinaus lässt sich auch der Dienstleistungsprozess anpassen, d. h. im Kern wird das gleiche Produkt angeboten, aber mit unterschiedlichem Vorgehen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass Kunden in der Regel di-rekt in die Erbringung einer Dienstleistung integriert sind. Dementsprechend führt die Anpassung des Prozesses selbst bei gleichem Endergebnis zu unterschiedlicher Wahrnehmung durch Kunden.

Anpassungskonzepte, die auf das Unternehmen zielen, befassen sich mit not-wendigen Änderungen an der Struktur und dem internen Aufbau des Unterneh-mens. Damit Unternehmen hochgradig anpassbare Dienstleistungen anbieten kön-nen, muss dies durch die Möglichkeit, unternehmenseigene und -fremde Ressour-cen nutzen zu können, komplementiert werden. Eine flexible Struktur ist darüber hinaus sinnvoll, damit ein Unternehmen in der Lage ist, mit sich ändernden exter-nen Anforderungen umzugehen.

Schließlich können Anpassungen auch auf Mitarbeiter abzielen. Diese be-schreiben, inwiefern Mitarbeiter ihr Verhalten anpassen können, um auf die indi-viduellen Bedürfnisse von Kunden einzugehen. In der Praxis sind Anpassungen, die Mitarbeiter betreffen, eng mit Anpassungen bezüglich des Produkts und Pro-zesses verknüpft. Dies ist dadurch bedingt, dass insbesondere Mitarbeiter mit Kundenkontakt einen großen Einfluss auf die wahrgenommene Qualität und Aus-gestaltung der Dienstleistung durch Kunden haben.

4 Leitfaden zur Entwicklung und Erbringung anpassbarer Dienstleistungen

Nachdem im vorherigen Abschnitt die identifizierten Konzepte vorgestellt sowie erste Beziehungen zwischen den Konzepten erarbeitet wurden, sollen im Folgen-den Anhaltspunkte für ein strukturiertes Vorgehen zur Entwicklung und Erbrin-gung kundenindividuell anpassbarer Dienstleistungen dargelegt werden. Als

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Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 17

Grundlage hierzu werden den einzelnen Phasen des Lebenszyklus von Dienstleis-tungen exemplarische Anpassungskonzepte zugeordnet. Im Rahmen dieser Arbeit werden nur diejenigen Konzepte aufgenommen, die auch während der Literatur-recherche ermittelt wurden. Aus diesem Grund sind im Folgenden nicht zu allen möglichen Ausprägungen Konzepte vorhanden. Basierend auf dieser Zuordnung ist es möglich, den Leitfaden im weiteren Verlauf zu einem detaillierten Vorge-hensmodell zu erweitern und in ein Informationssystem zur Unterstützung der Konzeptionierung und Erbringung von Dienstleistungen zu integrieren.

4.1 Ideenfindung und -bewertung

In dieser ersten Phase werden zunächst generelle Ideen zur Entwicklung neuer und Verbesserung existierender Dienstleistungen aufgenommen. Aus diesem Grund ist keine direkte Abbildung einzelner Konzepte zu dieser Phase möglich. Allerdings ist es möglich, dass ein strukturiertes Vorgehen zur Entwicklung anpassbarer Dienstleistungen genutzt werden kann, um die Innovationsfähigkeit eines Unter-nehmens zu erhöhen.

Hier spielt insbesondere die Modularisierung von Dienstleistungen eine große Rolle, da ein strukturiertes Portfolio hilfreich ist, um Probleme mit existierenden Dienstleistungen genauer zu benennen (Brax und Toivonen 2000). Durch eine möglichst detaillierte Repräsentation der einzelnen Dienstleistungsbestandteile können einerseits Potenziale zur Verbesserung identifiziert werden. Andererseits können diese Verbesserungen dann auf die jeweils passenden Bestandteile der Dienstleistung angewendet werden, ohne dass eine Dienstleistung vollständig überarbeitet werden muss.

4.2 Anforderungsanalyse

Mit Abschluss der Ideenfindung und -bewertung ergibt sich in der Regel ein erstes Gesamtbild über die geplante Dienstleistung, so dass daraus Anforderungen abge-leitet werden können. Die relevanten Konzepte dieser Phase sind in Tabelle 7 dar-gestellt. Eine große Rolle spielen in dieser Phase Einflussfaktoren auf die Ausge-staltung und Erbringung der Dienstleistungen. Zum einen kann untersucht werden, unter welchem Zeitdruck Anpassungen vorgenommen werden müssen (McCarthy et al. 2011). Mögliche Ausprägungen reichen hier von einer Anpassung vor der eigentlichen Dienstleistungserbringung, d. h. ohne entsprechenden Zeitdruck, bis hin zu einer sofort notwendigen Anpassung während der Erbringung. Besteht kein Zeitdruck, können Unternehmen zusammen mit Kunden die verschiedenen Eigen-schaften einer geplanten Dienstleistung anpassen. Dies können z. B. Bereitschafts-zeiten oder Kosten sein. Im Gegensatz dazu kann es bei Dienstleistungen auch notwendig sein, dass sie direkt während der Erbringung an (teilweise nicht vorher-sehbare) Ereignisse angepasst werden müssen. Damit Mitarbeiter hier nicht mit nur schlecht planbaren Situationen konfrontiert sind, sollte eine möglichst große Anzahl potenzieller Unsicherheitsfaktoren identifiziert werden. Wird im Laufe der

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18 Michael Becker und Stephan Klingner

Analyse festgestellt, dass viele Faktoren existieren, sind die Mitarbeiter darauf entsprechend vorzubereiten, so dass sie den Anpassungsbedarf der Kunden erfas-sen und adäquat darauf reagieren können.

Tabelle 7. Relevante Konzepte in der Phase Anforderungsanalyse

Einflussfaktoren Anpassungsvorgehen Modellierung Ergebnis Grad der notwendigen

Anpassung Aspekte der Anpassung

Statische Nutzermodelle, Bedarfsanalyse

Prozess Zeitdruck, Kontext Mitarbeiter Unternehmen

Um den Anpassungsbedarf korrekt abschätzen zu können, ist weiterhin der Grad der notwendigen Anpassung zu analysieren (McCarthy et al. 2011). Hierbei reicht die Spannweite von einer geringen stufenweisen Anpassung von Standard-leistungen bis zu radikalen Änderungen existierender Dienstleistungen. Die Aus-prägungen geringerer Anpassungen wie z. B. die ortsungebundene Erbringung ei-ner Wartungsdienstleistung lassen sich bereits vor der eigentlichen Erbringung ab-schätzen und zusammen mit den Kunden spezifizieren. Verlangen Kunden nach einem größeren Maß an Anpassung ist es vorteilhaft, modulare Strukturen zu nut-zen, so dass je nach Kundenbedarf entsprechende Dienstleistungsmodule verwen-det werden können.

Einen weiteren Einflussfaktor auf die Anpassung von Dienstleistungen stellt der Kontext der Dienstleistungsnutzung dar (Sohn et al. 2013). Hierbei muss ana-lysiert werden, ob eine Dienstleistung in verschiedenen Kontexten in unterschied-licher Form erbracht werden muss. Beispielsweise kann eine IT-basierte Dienst-leistung sowohl auf einem stationären Rechner als auch mobil auf einem Smart-phone erbracht werden. Im einfachsten Fall werden nur unterschiedliche graphi-sche Benutzeroberflächen verwendet, die auf die entsprechenden Geräte angepasst sind. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, je nach Anwendungskontext verschie-dene Funktionen bereitzustellen, z. B. einen eingeschränkten Funktionsumfang auf mobilen Geräten, um das Transfervolumen zu verringern.

Bereits vor der Erbringung einer Dienstleistung lassen sich mit Hilfe statischer Nutzermodelle Anforderungen der Nutzer aufnehmen, um die Dienstleistung an deren Bedürfnisse anzupassen (Chen et al. 2014; Kunz und Haas 2009; Huang und Lin 2005; Murthi und Sarkar 2003; Huffman und Kahn 1998; Cufoglu 2014). Hierbei machen die Kunden direkte Angaben zu ihren Bedarfen, z. B. mittels Be-fragungen oder Bewertungen einzelner Dienstleistungsvarianten. Die Einholung von Informationen kann dabei je nach Kundenwissen angepasst werden. Huffman und Kahn (1998) unterscheiden z. B. drei Varianten: Bei einer minimalen Abfrage werden den Kunden einzelne Optionen zur Auswahl gestellt, aus denen sie wäh-len. Eine detailliertere Auswahl ist möglich, wenn Kunden ihre Präferenzen be-züglich einzelner Attribute einer Dienstleistung angeben. Für komplexere Aus-

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Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 19

wahlprozesse können Kunden schließlich noch die Wichtigkeit einzelner Attribute angeben.

In der Anforderungsanalyse ist es zudem notwendig, eine Bedarfsanalyse durchzuführen, um die Bedarfe der potenziellen Dienstleistungskunden zu ermit-teln. Je nach Dienstleistung können unterschiedliche Analysen notwendig sein. Der wohl am weitesten verbreitete Ansatz besteht darin, die Bedarfe unterschied-licher Anwender zu treffen, um den Kundenkreis einer Dienstleistung zu erhöhen. Darüber hinaus können Dienstleistungen allerdings auch noch an die Bedarfe von Anwendern in unterschiedlichen Kontexten sowie an die sich ändernden Bedarfe durch Erfahrungswissen angepasst werden (Chen et al. 2014). Der Kontext einer Dienstleistung kann durch unterschiedliche Einflussfaktoren verändert werden. Zum Beispiel kann eine E-Mail-Dienstleistung sowohl privat als auch dienstlich genutzt werden. Darüber hinaus spielen auch Umweltfaktoren wie z. B. der Ort der Dienstleistungsnutzung eine Rolle. Bei zunehmender Nutzung einer Dienstleis-tung steigt darüber hinaus das Erfahrungswissen der Nutzer. Dementsprechend können sie z. B. auf mögliche Hilfestellungen, die zu Beginn der Nutzung notwen-dig waren, verzichten, um die Effizienz zu erhöhen.

Im Zuge der Aufnahme von Anforderungen ist weiterhin festzulegen, welche Aspekte der geplanten Dienstleistung angepasst werden sollen. Dabei lassen sich drei Ausprägungen unterscheiden: Informationsanapassung, Produktanpassung, Logistikanpassung (Cho und Lau 2014; Thirumalai und Sinha 2009). Die Anpas-sung von Informationen hat das Ziel, Kunden mit individuell auf sie abgestimmten Informationen zu einer Dienstleistung zu versorgen. Dies kann zunächst dadurch erfolgen, dass personalisierte Werbung erstellt wird, so dass Kunden überhaupt Kenntnis von existierenden Dienstleistungen erlangen. Darüber hinaus ist auch ei-ne Informationsanpassung an verschiedene Nutzer einer Dienstleistung möglich. So spielen z. B. für Finanzabteilungen eines Unternehmens Informationen bezüg-lich der Kosten einer Dienstleistung eine größere Rolle als deren technische De-tails, die wiederum für andere Abteilungen relevant sind. Die Produktanpassung umfasst dann die eigentliche Änderung der Dienstleistung entsprechend kunden-spezifischer Vorgaben.

Bei der Logistikanpassung liegt der Fokus darauf, die Zusammenarbeit mit Zu-lieferern und Partnern so flexibel wie notwendig zu gestalten. Dies ist insbesonde-re dann relevant, wenn Kunden die Möglichkeit eingeräumt werden soll, aus einer größeren Bandbreite an Dienstleistungsoptionen wählen zu können, z. B. indem unterschiedliche Versand- und Bezahlmöglichkeiten angeboten werden. Ist dies geplant, müssen bei der Implementierung der organisatorischen Voraussetzungen entsprechende Verträge mit Partnern abgeschlossen werden. Die Anpassung der logistischen Gegebenheiten ermöglicht es Unternehmen, ihre eigenen und die Res-sourcen strategischer Partner effektiv und effizient zu nutzen.

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20 Michael Becker und Stephan Klingner

4.3 Design

In der Designphase sind vor allem Konzepte zur Repräsentation der Dienstleistung von Relevanz (vgl. Tabelle 8). Bei der Definition der modularen Struktur des Ge-samtsystems sind verschiedene Eigenschaften relevant, die Auswirkungen auf die Komplexität der Anpassungen haben. Das Ausmaß der Anpassbarkeit ergibt sich aus der Anzahl der Module sowie der verschiedenen Optionen pro Modul, aus de-nen Kunden ihre individuelle Dienstleistung zusammenstellen können (Dellaert und Stremersch 2005; Nordin et al. 2011). Zunächst lässt sich festhalten, dass Kunden durch eine größere Bandbreite wählbarer Module die Dienstleistung ge-nauer auf ihre Anforderungen anpassen können. Allerdings erhöht sich mit dem Umfang auch die Komplexität sowohl für Kunden als auch für Anbieter. Eine zu große Anzahl an Modulen kann es für Kunden unmöglich machen, die zu ihren Anforderungen passenden Module zu wählen, so dass diese beim Auswahlprozess unterstützt werden müssen. Darüber hinaus erhöht sich der Wartungsaufwand für Unternehmen, wenn eine Vielzahl von Modulen angeboten wird, so dass hier ein geeignetes Mittelmaß zu finden ist.

Tabelle 8. Relevante Konzepte in der Phase Design

Einflussfaktoren Anpassungsvorgehen Modellierung Ergebnis Ausmaß Anpassbarkeit,

Heterogenität Optionen, Bepreisung

Komponenten, Schnittstel-len, Abhängigkeiten, Port-folio Prozess

Mitarbeiter Unternehmen

Die Heterogenität der Optionen beschreibt den Grad, zu dem sich die verfügba-ren Optionen eines Moduls unterschieden (Dellaert und Stremersch 2005). Auch hier ist ein geeignetes Maß zu finden, so dass Kunden zwar aus einer Reihe unter-schiedlicher Optionen wählen können, die Unterschiede aber nicht zu feingranular sind. Anhand der verfügbaren Module und Optionen können Unternehmen festle-gen, ob sie eine Standardversion einer Dienstleistung anbieten und wie diese Stan-dardversion ausgestaltet ist (Dellaert und Stremersch 2005). Hier ist zwischen ei-ner vollständig ausgestatteten Standardversion, d. h. einer Version, bei der alle op-tionalen Module einer Dienstleistung bereits enthalten sind, sowie einer Minimal-version zu unterscheiden. Je nach Ausgangspunkt können Kunden dann nicht be-nötigte Bestandteile einer Dienstleistung entfernen oder auch zusätzlich ge-wünschte Bestandteile hinzufügen.

In der Designphase werden die verschiedenen Anpassungsmöglichkeiten in der Beschreibung und Modellierung einer Dienstleistung reflektiert. Um die Anpas-sung möglichst effektiv und effizient durchzuführen, bietet sich eine modulbasier-te Beschreibung an. Hierzu sind als grundlegende Bestandteile Dienstleistungs-module und Schnittstellen zwischen diesen Modulen zu definieren (Mikkola 2006;

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Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 21

Böttcher und Klingner 2011; Nguyen et al. 2013; Jiao et al. 2003; Lin et al. 2011; Salvador et al. 2002). Module sind dabei die grundlegenden Bestandteile, aus de-nen eine komplexe Dienstleistung aufgebaut ist. Dabei sollten Module logisch und funktional abgeschlossene Einheiten sein und so konzipiert sein, dass sie auch un-abhängig voneinander erbracht werden können. Um im Rahmen eines Anpas-sungsprozesses die Kombination einzelner Module zu einem integrierten Gesamt-system zu ermöglichen, sind Module mit einer Beschreibung interner Schnittstel-len zu versehen. Darüber hinaus wird die Schnittstellenbeschreibung genutzt, um die Art der Interaktion eines Moduls mit der Umwelt (u. a. externe Dienstleistun-gen) zu beschreiben, z. B. als Mensch-Mensch, Mensch-Maschine oder Maschine-Maschine-Interaktion (Lin et al. 2011).

Damit als Ergebnis eines Anpassungsprozesses nur valide Dienstleistungen er-zeugt werden, müssen darüber hinaus Abhängigkeiten definiert werden. Dabei lässt sich zwischen Abhängigkeiten innerhalb einer Dienstleistung, Abhängigkei-ten zu anderen Dienstleistungen sowie Abhängigkeiten auf externe Faktoren un-terscheiden (Nguyen et al. 2011; Böttcher und Klingner 2011; Wang und Dargahi 2013; Jiao et al. 2003; Wang et al. 2014). Innerhalb einer Dienstleistung können sich Einschränkungen hinsichtlich der Kombinierbarkeit einzelner Module erge-ben, z. B. durch sich ausschließende Alternativen oder durch Module, die zur Er-bringung anderer Module notwendig sind. Neben diesen logischen Abhängigkei-ten lassen sich auch zeitliche Abhängigkeiten definieren, die Auswirkungen auf die mögliche Reihenfolge der Erbringung einzelner Module haben (Böttcher und Klingner 2011). Insbesondere komplexere Dienstleistungen sind oftmals dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht vollständig durch ein einzelnes Unternehmen er-bracht werden können und stattdessen einzelne Teile ausgelagert werden. Hier kann die Definition von Schnittstellen eine reibungslose Integration sicherstellen. Bieten Unternehmen kundenindividuell angepasste Dienstleistungen an, müssen sie sicherstellen, dass sie über die entsprechenden Ressourcen verfügen. Hierzu ist es sinnvoll, den entsprechenden Bedarf von Dienstleistungen zu modellieren, so dass Rückschlüsse auf die Kapazitäten eines Unternehmens gezogen werden kön-nen.

Im Vergleich zu vollständig standardisierten Dienstleistungen gestaltet sich die Bepreisung kundenindividuell zusammengestellter Dienstleistungen schwieriger. Dementsprechend ist es notwendig, die ökonomischen Auswirkungen der Kun-denauswahl auf die Kosten des Unternehmens abzubilden (Jiao et al. 2003). Dazu ist es hilfreich, einen modulbasierten Ansatz zu verwenden und die einzelnen Mo-dule eines Gesamtsystems separat zu bepreisen. Durch die Aggregation der ein-zelnen Preise ergibt sich dann der Gesamtpreis einer vollständig konfigurierten Dienstleistung (Wittern et al. 2012). Neben der Angabe eines Preises ist es auch möglich, weitere quantitative und qualitative Kennzahlen wie z. B. Aufwand oder Risiken hinzuzufügen.

Die Integration aller Bestandteile zur Definition der Anpassbarkeit einer Dienstleistung erfolgt dann in einem Portfolio (Jiao et al. 2003). Das Portfolio kann einerseits genutzt werden, um Kunden die Auswahl bestimmter Dienstleis-

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tungsbestandteile oder -eigenschaften anzubieten. Damit werden diese in die Lage versetzt, die entsprechende Dienstleistung ohne Eingreifen des Anbieters an ihre Bedarfe anzupassen. Andererseits kann das Portfolio auch anbieterintern genutzt werden, um verschiedene Dienstleistungsvarianten zu erstellen und diese den Kunden anzubieten. Hierbei behalten die Dienstleister die volle Kontrolle über die endgültige Ausgestaltung der angebotenen Dienstleistungen.

4.4 Einführung

Die relevanten Konzepte in der Einführung betreffen vor allem organisatorische Voraussetzungen zur Erbringung einer Dienstleistung (vgl. Tabelle 9). Dazu sind u. a. die zuständigen Mitarbeiter entsprechend vorzubereiten. Falls Kunden Ein-fluss auf den Zeitpunkt der Erbringung einer Dienstleistung haben (z. B. verschie-dene Servicezeiten in einem Call Center) müssen auch die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter entsprechend anpassbar sein (Sony und Mekoth 2014). Dies umfasst z. B. die Einführung von Schichtarbeit oder auch die Arbeit in verschiedenen Ar-beitsumgebungen.

Tabelle 9. Relevante Konzepte in der Phase Einführung

Einflussfaktoren Anpassungsvorgehen Modellierung Ergebnis Bepreisung Bundling-Form Prozess Mitarbeiter Arbeitsbedingungen Unternehmen

Insbesondere für das Controlling ist es relevant, inwiefern angepasste Dienst-leistungen zu einem undle zusammengefasst werden sollen. Hierbei lässt sich ei-nerseits der Fokus, andererseits die Form des Bundlings unterscheiden. Ein Bund-le kann sowohl den Preis als auch das Produkt fokussieren. Bei der Fokussierung auf den Preis werden verschiedene Dienstleistungsmodule angeboten, ohne dass diese miteinander integriert werden. Dementsprechend erzeugt die Kombination der Module keinen eigenständigen Mehrwert, so dass Rabatte notwendig sind (Stremersch und Tellis 2002). Beim Zusammenführen zu einem Produkt hingegen werden die einzelnen Module miteinander integriert und erzeugen somit einen Mehrwert für den Kunden, z. B. durch die nahtlose Integration der einzelnen Be-standteile oder durch ein reduziertes Gesamtrisiko. Dementsprechend kann bei der Produktintegration sogar ein Aufpreis verlangt werden (Stremersch und Tellis 2002).

Die Form eines Bundles variiert zwischen den Ausprägungen Entflechtung, Zu-sammenfassung und gemischt (Stremersch und Tellis 2002; Nordin et al. 2011; Verma 2010). Bei der Entflechtung werden nur die einzelnen Bestandteile einer Dienstleistung separat angeboten. Aus diesem Grund ist hier auch keine Integrati-on der Module miteinander möglich. Das andere Extrem bildet die Zusammenfas-

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Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 23

sung, bei der keine einzelnen Module mehr angeboten werden, sondern nur noch ein angepasstes Gesamtpaket einer Dienstleistung. Dies ist insbesondere dann re-levant, wenn Unternehmen Dienstleistungen anbieten, die eine Reihe von Abhän-gigkeiten zu weiteren unterstützenden Aktivitäten aufweisen, die nicht von ande-ren Unternehmen erbracht werden können. Den Mittelweg stellt eine gemischte Strategie dar, bei der sowohl Module als auch integrierte Gesamtleistungen ange-boten werden. Im Rahmen der Einführung kann darüber hinaus festgelegt werden, wie die Preise angepasster Dienstleistungen dem Kunden gegenüber angezeigt werden. Einzelne Module können individuell ausgepreist werden und Kunden er-halten somit einen Überblick darüber, wie sich die Hinzunahme oder das Entfer-nen von Modulen auf den Gesamtpreis auswirkt. Daneben ist es auch möglich, dass Unternehmen nur einen Gesamtpreis veröffentlichen, der sich z. B. durch In-teraktionseffekte zwischen Modulen (wie die gemeinsame Nutzung von Ressour-cen und sich dadurch ergebenden Einsparungen) nicht vollständig linear berech-nen lässt.

4.5 Dienstleistungserbringung

Während der Erbringung ist von besonderem Interesse, wie eine Dienstleistung kontinuierlich an Kundenbedarfe angepasst wird und welche Vorgaben Mitarbei-ter bei der Umsetzung der Anpassungen haben (vgl. Tabelle 10). Je nach gewähl-tem Ausgangspunkt kann der Prozess zur Anpassung einer Dienstleistung mit Hil-fe einer additiven Anpassung oder einer subtraktiven Anpassung vorgenommen werden (Levin et al. 2002; Wang et al. 2013). Bei der additiven Anpassung wird von einem Basisprodukt ausgegangen, welches allen Kunden angeboten wird. Je nach Kundenbedarf werden dann entsprechende Optionen zu diesem Produkt hin-zugefügt. Um dies zu ermöglichen, müssen die Abhängigkeiten zwischen den ein-zelnen Bestandteilen einer Dienstleistung spezifiziert sein, so dass am Ende nur valide Gesamtleistungen erzeugt werden können. Im Gegensatz beginnt die sub-traktive Anpassung mit einer vollständig ausgestalteten Dienstleistung, d. h. alle optionalen Bestandteile werden den Kunden zunächst angeboten. Die Aufgabe des Kunden ist dementsprechend, nicht benötigte Bestandteile zu entfernen.

Tabelle 10. Relevante Konzepte in der Phase Dienstleistungserbringung

Einflussfaktoren Anpassungsvorgehen Modellierung Ergebnis Kontinuierliche Anpas-

sung Prozess Additive Anpassung, subtraktive

Anpassung, attribut-basierte An-passung, alternativen-basierte Anpassung

Reaktionen bei Abwei-chungen

Mitarbeiter Zwischenmenschliche Anpas-sung, inhaltliche Anpassung

Unternehmen

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24 Michael Becker und Stephan Klingner

Damit Kunden sich eine Dienstleistung entsprechend ihrer Bedarfe anpassen können, lässt sich der Anpassungsprozess weiterhin dahingehend unterscheiden, ob er auf der Auswahl von Attributen oder von Alternativen basiert (Huffman und Kahn 1998; Wang und Dargahi 2013). Bei der Auswahl von Attributen wählen Kunden die favorisierten Eigenschaften von ansonsten identischen Modulen aus, während sie bei der Auswahl von Alternativen zwischen unterschiedlichen Modu-len wählen.

Während der Erbringung stehen vor allem die Mitarbeiter mit Kundenkontakt im Fokus der verschiedenen Aktivitäten zur Anpassung einer Dienstleistung. Hierbei kann zwischen einer zwischenmenschlichen Anpassung sowie einer inhalt-lichen Anpassung unterschieden werden. Im ersten Fall wird der Prozess der Dienstleistungserbringung geändert, ohne dass dies Auswirkungen auf das konkre-te Endergebnis hat. Dies wird dadurch erreicht, dass die Interaktion der Mitarbei-ter auf die Kunden angepasst wird (Sony und Mekoth 2012; Bettencourt und Gwinner 1996; Gwinner et al. 2005; de Blok et al. 2014). Dabei lassen sich die Ebenen verbal, nonverbal und emotional unterscheiden (McCarthy et al. 2011). So können Mitarbeiter die Ansprache gegenüber Kunden ändern, z. B. durch einen Wechsel vom „Sie“ zum „Du“. Je nachdem, wie detailliert die Dienstleistung im Vorhinein spezifiziert wurde, ist hier auch das Improvisationstalent von Mitarbei-tern ein relevanter Einflussfaktor.

Bei der inhaltlichen Anpassung passen Mitarbeiter das Ergebnis einer Dienst-leistung während der Erbringung an, z. B. weil sich unerwartet die Bedarfe eines Kunden geändert haben. Insbesondere bei IT-basierten Dienstleistungen ist es möglich, diese durch Kundendaten im weiteren Verlauf anzupassen (Chen et al. 2014; Huang und Lin 2005; Murthi und Sarkar 2003; Ariely et al. 2013; Cufoglu 2014). Dadurch ist auch bei längerer Nutzung einer Dienstleistung sichergestellt, dass diese den Kundenbedarfen immer noch entspricht.

Es empfiehlt sich, Richtlinien und Vorgaben hinsichtlich der mitarbeitergetrie-benen Anpassbarkeit einzelner Bereiche der Dienstleistung zu erstellen. Durch ein Handbuch, in welchem solche Vorgaben aufgeführt sind, können Mitarbeiter wäh-rend der Erbringung Informationen zu möglichen Reaktionen bei Abweichungen vom Plan einholen (McCarthy et al. 2011). Damit kann einerseits sichergestellt werden, dass Mitarbeiter auch in unvorhergesehenen Situationen adäquat reagie-ren, andererseits können Mitarbeitern auch Restriktionen und Grenzen der An-passbarkeit aufgezeigt werden.

4.6 Ablösung

Wie auch bei der Ideenfindung und -bewertung lassen sich die Konzepte zur An-passung in der Ablösungsphase nicht direkt zuordnen. Allerdings ergeben sich auch hier Effektivitätsgewinne durch die detaillierte Definition von Dienstleistun-gen. Durch eine genaue Spezifikation von Abhängigkeiten innerhalb einer Dienst-leistung und zu anderen Dienstleistungen lässt sich besser abschätzen, welche Auswirkungen die Beendigung einer bestimmten Dienstleistung nach sich zieht.

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Konzepte zur kundenspezifischen Anpassung von Dienstleistungen 25

Durch kontinuierliche Anpassung an Kundenbedarfe auch während der Dienst-leistungserbringung lassen sich zeitnah Module identifizieren, die von Kunden nicht mehr gewünscht sind. Dementsprechend können Unternehmen dadurch ihr Dienstleistungsportfolio entsprechend der Anforderungen umstrukturieren.

5 Fazit

In diesem Artikel wurden mit Hilfe einer strukturierten Literaturrecherche wissen-schaftliche Konzepte zur strukturierten Anpassung von Dienstleistungen identifi-ziert und durch Kategorisierung in einem übergeordneten Ordnungsrahmen struk-turiert. Darauf aufbauend wurde ein Vorgehen beschrieben, welches die jeweili-gen Phasen der Entwicklung und Erbringung von Dienstleistungen mit relevanten Konzepten zur Anpassung verknüpft. Dieses Vorgehen kann als Ausgangspunkt für weitere Arbeiten genutzt werden, welche in einem detaillierten Vorgehensmo-dell resultieren.

Um dieses Vorgehensmodell zu entwickeln, ist es zunächst notwendig, weitere Beziehungen zwischen den identifizierten Konzepten herauszuarbeiten. Damit soll ermöglicht werden, bereits frühzeitig die Auswirkungen der Entscheidung bezüg-lich eines bestimmten Vorgehens auf spätere Phasen im Lebenszyklus abzuleiten. Während in diesem Artikel die Konzepte sowie deren Beziehungen untereinander in natürlicher Sprache beschrieben wurden, ist es für eine weitere Detaillierung notwendig, eine geeignete Strukturierungstechnik zur (semi-)formalen Modellie-rung der Konzepte zu nutzen. Dies kann z. B. mittels semantischer Ansätze wie Ontologien erfolgen.

Die in dieser Arbeit vorgestellten Ansätze sind Ergebnis der strukturierten Lite-raturanalyse und können daher nicht die gesamte Bandbreite existierender Anpas-sungsansätze abdecken. Aus diesem Grund wurde der Ordnungsrahmen entwi-ckelt, in den auch neue Ansätze eingegliedert werden können. Mit Hilfe einer fort-laufend aktualisierten Übersicht kann daher eine umfassende Bibliothek aufgebaut werden. Damit Unternehmen in ihrer täglichen Arbeit an den wissenschaftlichen Erkenntnissen partizipieren können, ist eine Pilotsoftware geplant, welcher das Vorgehensmodell zugrunde liegt. Mit Hilfe dieser Software wird der gesamte Le-benszyklus von Dienstleistungen hinsichtlich relevanter Kriterien für die Anpas-sung an kundenindividuelle Bedarfe unterstützt.

Danksagung. Dieser Beitrag wurde ermöglicht durch die Förderung des Projekts „MACKMA“ mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das Projekt (Förderkennzeichen 01IS15057B) wird betreut vom Projektträger im Deut-schen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (PT-DLR). Wir danken weiterhin den anonymen Gutachtern für ihre Kommentare und Anmerkungen, die zur Verbesserung des Beitrags beigetragen haben.

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26 Michael Becker und Stephan Klingner

6 Literaturverzeichnis

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess – Die Entwicklung eines Service Open Innovation Frameworks

Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

Im Rahmen der Entwicklung neuer Dienstleistungen spielt der frühzeitige Einbe-zug auch unternehmensexterner Akteure in den Service-Innovationsprozess eine immer größer werdende Rolle. Im Bereich der materiellen Produktentwicklung existieren hierfür bereits eine Vielzahl erfolgreicher Modelle, unter anderem der Open Innovation-Ansatz von Chesbrough (2003). Der vorliegende Beitrag ver-sucht an dieser Stelle anzusetzen und entwickelt ein Framework für die Übertrag-barkeit der Open Innovation-Grundsätze auf den Dienstleistungsbereich. Hierzu werden geeignete Bewertungsmethoden identifiziert, zu Hauptindikatoren aggre-giert und im Service Open Innovation Framework zusammengeführt sowie bei-spielhaft auf ausgewählte Servicebereiche angewendet. Es zeigt sich, dass das größte Potenzial zur Anwendung der Open Innovation-Grundsätze insbesondere in den Bereichen der produktbegleitenden und unternehmensberatenden Dienst-leistungen, aber auch in der Entwicklung von Mobilitäts- und Gesundheitsdienst-leistungen, besteht.

1 Einleitung

Die konsequente und kontinuierliche Entwicklung neuer Dienstleistungen ist für viele Unternehmen ein bedeutsamer Wettbewerbsfaktor (Lay et al. 2011). Der Service-Innovationsprozess sollte daher auch zukünftig eine besondere Aufmerk-samkeit erfahren und mit Erkenntnissen aus verwandten Entwicklungsprozessen, wie zum Beispiel bewährten Vorgehensmodellen zur Produktentwicklung, adäquat angepasst und optimiert werden.

Insbesondere ein frühzeitiger Einbezug auch unternehmensexterner Personen in den Service-Innovationsprozess kann dabei eine wertvolle Quelle für neue kun-dengerechte und am Markt erfolgreiche Innovationen sein (Reckenfelderbäumer und Busse 2006). Neben Partnern, Wettbewerbern und Zulieferern erfahren daher auch die Kunden der späteren Dienstleistung eine verstärkte Beachtung. Zwar existieren für den Einbezug unternehmensexterner Personen im Bereich der haupt-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_2

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sächlich materiell ausgerichteten Produktentwicklung bereits erfolgreich einge-setzte Modelle, wie z. B. der Open Innovation-Ansatz (Chesbrough 2003), aller-dings sind vergleichbare Konzepte im Bereich der Dienstleistungen noch nicht weit verbreitet. Insbesondere fehlt es an Erkenntnissen, inwieweit sich der Open Innovation-Ansatz speziell für die Dienstleistungsentwicklung eignet beziehungs-weise ob es spezielle Dienstleistungsbereiche gibt, in denen es sich für ausgewähl-te Dienstleister besonders rentiert, den eigenen Service-Innovationsprozess nach außen zu öffnen. Neueste wissenschaftliche Veröffentlichungen zeigen, dass Open Innovation zumindest ein großes Potenzial für die Entwicklung und das Design von Dienstleistungen bietet und zudem Unternehmen bei einer Lösungsfindung unterstützt und ihnen helfen kann, von Anfang an gezielt auf mögliche Schwierig-keiten im Entwicklungsprozess aufmerksam zu werden (Fiechtner et al. 2016).

Es ist daher zu erwarten, dass sich in der Dienstleistungsentwicklung zukünftig ein vielleicht längst schon überfälliger Transformationsprozess in Richtung eines erweiterten Innovationskonzepts vollzieht. Dies erfordert die Abkehr von einem traditionellen beziehungsweise eher konservativen Innovationsverständnis im Sin-ne einer internen Dienstleistungsentwicklung innerhalb eines einzelnen Unter-nehmens (Closed Innovation) hin zu einer zielgerichtet organisierten Nutzung von unternehmensexternen Innovationsquellen. Zu diesen gehören neben dem insbe-sondere für Dienstleistungen zentralen Einbezug des „externen Faktors Kunde“ auch Lieferanten, Wettbewerber, Netzwerke, Forschungseinrichtungen sowie wei-tere Institutionen, die für das Unternehmen als externe Impulsgeber für Innovatio-nen infrage kommen können.

Der vorliegende Beitrag soll aufzeigen, wie sich ein Service Open Innovation Framework zur Übertragbarkeit der Open Innovation-Ansätze auf die Dienstleis-tungsentwicklung konstruieren lässt, welche Bestandteile es enthalten muss und wie verschiedene Dienstleistungsbereiche darin beispielhaft eingeordnet werden können. Da in diesem Anwendungsbereich von Open Innovation erst vergleichs-weise wenig über Ursachen und Zusammenhänge bekannt ist, hat der vorliegende Beitrag einen eher explorativen Charakter. Das im Folgenden vorgestellte Frame-work soll mittelfristig helfen, die Bereiche zu identifizieren, in denen die größten Open Innovation-Potenziale liegen, um damit Entscheidern in Dienstleistungsun-ternehmen eine erfolgreiche Umsetzung der Open Innovation-Vorgehensweise für ausgewählte Dienstleistungen zu ermöglichen.

Zur Vorbereitung des Service Open Innovation Framework erfolgt im zweiten Abschnitt zunächst ein konzeptionell-theoretischer Überblick zum Thema Open Innovation und Dienstleistungen, in dem unter anderem beleuchtet wird, welche Rolle die Interaktion mit dem Kunden bei der Dienstleistungsentwicklung spielt. Daraufhin wird im dritten Abschnitt eine geeignete Bewertungsmethodik bezüg-lich der Eignung von Open Innovation im Dienstleistungsbereich entwickelt und eine systematische Ausgestaltung des Service Open Innovation Framework vorge-nommen. Im folgenden Abschnitt erfolgt eine Unterteilung in relevante Dienstleis-tungen sowie eine beispielhafte Einordnung ausgewählter Dienstleistungsbereiche

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 31

in das Framework. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick auf den zukünftigen Forschungsbedarf.

2 Open Innovation bei der Dienstleistungsentwicklung

2.1 Open Innovation-Ansätze

Open Innovation bedingt eine grundsätzliche Öffnung des innerbetrieblichen In-novationsprozesses sowie die aktive strategische Nutzung der Außenwelt zur Ver-größerung des Innovationspotenzials des einzelnen Unternehmens (Chesbrough 2003). Es erfordert folglich einen grundlegenden Wandel von einem geschlosse-nen hin zu einem offenen Innovationssystem (Reichwald und Piller 2009). Das neu zu erlangende Wissen kann dabei in Bedürfnis- und Lösungsinformationen unterschieden werden. Bedürfnisinformationen geben Aufschluss über die zu be-friedigenden Bedürfnisse der Kunden, Lösungsinformationen beziehen sich hin-gegen auf die Fähigkeit zur Umsetzung der Bedürfnisse in Kundenangebote (Wagner und Piller 2011).

Hinsichtlich der Richtung des Informationsflusses bestehen hierbei unterschied-liche Möglichkeiten. Findet die Nutzung selbst generierten Wissens außerhalb des eigenen Unternehmens statt, wird von einem Inside-Out Prozess gesprochen. Eine unternehmensinterne Nutzung externen Wissens nennt man dementsprechend ei-nen Outside-in-Prozess. Bei der Verknüpfung dieser beiden Prozesse und einer gemeinschaftlichen Innovationsnutzung wird entsprechend von einem Coupled-Prozess gesprochen (Gassmann und Enkel 2006). Bei vielen Dienstleistungen scheint der Inside-Out-Prozess keine vergleichbare Rolle wie in der Industrie zu spielen. Erfahrungsgemäß geht es bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen vor allem um Methoden des Outside-in (Hsieh und Tidd 2012) sowie vereinzelt auch um Methoden zur unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit (Coupled-Pro-zesse).

2.2 Verbesserung des Dienstleistungsentwicklungs-prozesses durch Open Innovation-Ansätze

Viele Dienstleister müssen hochgradig innovativ sein, um im Wettbewerb beste-hen zu können. Angesichts des Innovationsdrucks vieler Unternehmen kann ein systematisches Management von Dienstleistungsinnovationen einen entscheiden-den Vorteil gegenüber Wettbewerbern darstellen (Leimeister 2012). Daher ist ein systematischer Innovationsprozess auf betrieblicher Ebene für diese Unternehmen besonders wichtig. Der Innovationsprozess ist dabei zu verstehen als ein möglichst strukturierter Prozess zur Umsetzung einer Erfindung oder einer Idee in neue Dienstleistungen, die einen Mehrwert für den Kunden entstehen lassen (Hau-schildt und Salomo 2007).

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Um den Innovationsprozess wirkungsvoll zu unterstützen und insbesondere auch neue und unternehmensexterne Innovationsquellen besser nutzen zu können, wäre für die Dienstleistungsanbieter eine stärkere und vor allem frühzeitigere Kundenintegration in ihren Innovationsprozess sinnvoll (Diedrichs 2010; Recken-felderbäumer und Busse 2006). Die Vorteile, die ein bei materiellen Gütern bereits erfolgreich umgesetzter Open Innovation-Ansatz unter Einbeziehung weiterer ex-terner Innovationsquellen und vor allem mit stärkerer Kundenintegration bietet (Gassmann et al. 2010), werden von den Dienstleistungsanbietern derzeit jedoch noch nicht ausreichend wahrgenommen (Chesbrough 2011a; Chesbrough 2011b; Möslein et al. 2011). Dabei liegt das Potenzial, das der Kunde für den Innovati-onsprozess bei Dienstleistungen hat, klar auf der Hand. Die Einbindung von Kun-den in den Innovationsprozess kann sowohl in seiner Rolle als Ideenlieferant als auch als Informant bezüglich von Anforderungen einer Dienstleistung, als Mit-Gestalter beim Service-Design und bei der letztendlichen Implementierung der Dienstleistung erfolgen.

Zwar existieren im Rahmen des Service Engineering bereits erste Ansatzpunkte (Leimeister 2012), jedoch spielt Open Innovation in seiner vollen Bedeutung auch beim Service Engineering bisher nur eine untergeordnete Rolle (Eversheim et al. 2006). Erst in den letzten Jahren wird verstärkt die Entwicklung neuer Dienstleis-tungen durch Open Innovation-Ansätze in den Fokus gerückt (Battisti et al. 2014; Gillig und Täube 2010; Gallouj und Windrum 2009; Som et al. 2014).

Wichtig für die Entwicklung neuer Dienstleistungen erscheint insbesondere das Wissen über aktuelle und zukünftige Kundenbedürfnisse, Kundenanforderungen und Technologien (Blohm et al. 2012). Den Dienstleistungsanbietern wäre folg-lich geholfen, wenn sie die genauen Bedarfe ihrer Kunden vorab erfragen und zur zielgenauen Entwicklung neuer Dienstleistungen heranziehen könnten (Blohm et al. 2012). Dadurch könnten die Unternehmen, auch wenn sie keinen klassischen und formalisierten Forschungs- und Entwicklungs- (F&E)-Prozess betreiben, ihre Dienstleistungsentwicklung effizienter und produktiver gestalten.

Von Hippel (2005) weist darauf hin, dass vielen Unternehmen häufig eine ge-naue Kenntnis der Bedürfnisse ihrer Kunden fehlt. Da der Kunde seine eigenen Bedürfnisse am besten kennt, verfügt er dadurch über einen hohen Grad an Lö-sungskompetenz. Sein Lead User-Ansatz beruht daher auf der Annahme, dass der Kunde in vielen Fällen selbst in der Lage ist, Neues zu kreieren und dieses mit der Öffentlichkeit zu teilen (Piller und West 2014). Lead User zeichnen sich dadurch aus, dass sie besonders fortgeschrittene und innovative Bedürfnisse haben, die ak-tuell nicht befriedigt werden können. Die daraus resultierende Unzufriedenheit spornt sie an, zur Entwicklung von passenden Lösungen beizutragen. Das Beson-dere an ihren Bedürfnissen ist, dass sie dem Mainstream-Markt voraus sind und diesen für die Zukunft antizipieren. Für einen Dienstleistungsanbieter ist der Lead User wertvoll, da aus seinem Kauf- und Nutzungsverhalten frühzeitig Informatio-nen gewonnen werden können, die in den weiteren Entwicklungsprozess einer Dienstleistung einfließen und dadurch die spätere Erfolgswahrscheinlichkeit von neuen oder weiterentwickelten Dienstleistungen erhöhen können (Hippel 2005;

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 33

Piller und West 2014). Weiter vorangetrieben wird dieses Phänomen durch die neuen Möglichkeiten, welche sich durch die Nutzung von innovativen IT-Lö-sungen ergeben (Oliveira und Hippel 2011).

Bei der konkreten Strukturierung und Planung von Open Innovation-Vorhaben sollte grundsätzlich eine Trennung zwischen Bedürfnis- und Lösungsinformatio-nen vorgenommen werden. In Bezug auf den Innovationsprozess lassen sich dann unter Anwendung von Open Innovation-Ansätzen bis zu vier Erfolgsmessgrößen optimieren. Diese sind nach Chesbrough (2011b) die Entwicklungszeit, die Ent-wicklungskosten, der Neuigkeitsgrad der Dienstleistung sowie die Adoptionsge-schwindigkeit der neuen Dienstleistung am Markt.

Wird der Kunde bewusst in den Innovationsprozess eingebunden, kann zudem eine höhere Kundenzufriedenheit erreicht werden, was wiederum die Kundenbin-dung ans Unternehmen festigt (Straub et al. 2013). Inwieweit die genannten Vor-gehensweisen mit den einhergehenden Vorzügen jedoch auf einzelne Dienstleis-tungsbereiche übertragen werden können, ist nicht bekannt. Daher soll im folgen-den Abschnitt eine Methode vorgestellt werden, die eine solche Bewertung mög-lichst objektiv unterstützt bzw. erstmalig ermöglicht.

3 Das Service Open Innovation Framework

3.1 Entwicklung einer Bewertungsmethode

Zur Bewertung der Relevanz von Open Innovation für einzelne Dienstleistungsbe-reiche soll im Folgenden eine Bewertungsmethodik entwickelt werden. Diese un-terteilt die Relevanz von Open Innovation zunächst in zwei Hauptkriterien:

Anwendbarkeit von Open Innovation Innovationszwang der Dienstleistungsbereiche

Innerhalb dieser zwei Hauptkriterien werden die Dienstleistungsbereiche je-weils anhand verschiedener Indikatoren untersucht und eingestuft. Die Anwend-barkeit beschreibt, inwiefern die Gegebenheiten der jeweiligen Dienstleistungs-branche eine Anwendung von Open Innovation begünstigen. Der Innovations-zwang zeigt hingegen, zunächst noch unabhängig von Open Innovation, wie sehr die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Hervorbringen von Innovationen beruht. Zu-sammengeführt lässt sich aus diesen beiden Kriterien die Relevanz von Open In-novation für die jeweiligen Dienstleistungsbereiche beurteilen. Generell ließe sich bei einer guten Anwendbarkeit gepaart mit einem hohen Innovationszwang eine vielversprechende Grundlage zur Anwendung von Open Innovation vermuten. Die beiden Kriterien werden im Folgenden mit ihren jeweiligen Indikatoren vorge-stellt:

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34 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

Anwendbarkeit von Open Innovation

Die Anwendbarkeit von Open Innovation auf einen spezifischen Dienstleistungs-bereich wird anhand von drei Hauptindikatoren untersucht (vgl. Tabelle 1):

Kooperationspartner Kooperationsmotivation Kooperationspotenzial

Der Indikator Kooperationspartner steht für das Vorhandensein geeigneter ex-terner Akteure. Untersucht wird dies zum einen anhand des Netzwerkes aus Un-ternehmen, Kunden und sonstigen Stakeholdern, welche zur Mitgestaltung des In-novationsprozesses akquiriert werden können. Zum anderen gibt die Kunden-integration in die Dienstleistungserbringung einen Hinweis auf die mögliche Ein-bindung der Kunden in den Innovationsprozess. Je involvierter der Kunde ist, des-to besser eignet er sich aufgrund seiner Kenntnisse über Bedürfnisse, Lösungen, Umsetzbarkeit und Probleme als Partner für Neu- und Weiterentwicklungen.

Die Kooperationsmotivation gibt Auskunft über die allgemeine Bereitschaft der externen Akteure für die Mitwirkung an Innovationen. Explizit sollte eine Unter-suchung der tatsächlichen Akteure und deren Motivation entsprechend der vorher-gehenden Erläuterungen auf der Unternehmensebene durchgeführt werden. Die Bewertung an dieser Stelle zielt auf eine allgemeine Tendenz innerhalb des unter-suchten Dienstleistungsbereiches ab. Dabei wird nach dem öffentlichen Ansehen der Dienstleistung sowie der etwaig vorherrschenden Unzufriedenheit der Kunden unterschieden. Eine positive Ausprägung dieser beiden Punkte trägt dazu bei, dass sich besonders Kunden, aber auch andere Akteure für Innovationen einsetzen.

Zuletzt wird das Kooperationspotenzial gemessen, welches Open Innovation für eine bestimmte Branche in sich birgt. Dies geschieht wiederum anhand dreier untergeordneter Indikatoren. Das Know-how der Kooperationspartner steigert die Qualität ihres Inputs. Die Ausprägung der Information Stickiness beschreibt, wie schwer die Kooperationspartner zu erreichen sind und ob es sehr aufwendig ist, Lösungs- und Bedürfnisinformationen von ihnen zu erhalten. Je ausgeprägter die Information Stickiness, desto größer der Nutzen von Open Innovation, da diese In-formationen im Innovationsprozess sonst unberücksichtigt bleiben würden (San-dulli 2013). Eine hohe Intensität von F&E in der untersuchten Branche gibt Auf-schluss darüber, ob ein Innovationsprozess für den Erfolg der Unternehmen not-wendig ist. Open Innovation verspricht diesen Innovationsprozess effektiver und effizienter zu gestalten.

Tabelle 1 beinhaltet zusammenfassend die beschriebenen Hauptindikatoren so-wie die untergeordneten Indikatoren mit einer Erklärung, anhand welcher die Be-wertung durchgeführt werden soll.

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 35

Tabelle 1. Indikatoren zur Beurteilung der Anwendbarkeit von Open Innovation

Hauptindikatoren Untergeordnete Indikatoren Erklärung/Begründung

Kooperationspartner Netzwerkintensität Ein bestehendes externes Netzwerk aus Unternehmen, Kunden und sonstigen Stakeholdern begünstigt Open Innovati-on.

Kunden-integrationsgrad

Starke Einbindung des Kunden in die Dienstleistung erleichtert die Anwendung von Open Innovation.

Kooperations-motivation

Beliebtheit der Dienstleistung

Wird die Dienstleistung in der Öffent-lichkeit als positiv wahrgenommen, stei-gert dies die Motivation der externen Ak-teure zur Kooperation.

Leidensdruck der Kunden

Sind die Kunden mit dem aktuellen An-gebot unzufrieden, sind sie eher gewillt, sich für eine Verbesserung einzusetzen.

Kooperations-potenzial

Know-how der In-novationspartner

Besitzen die externen Partner Know-how in Bezug auf die angebotenen Dienstleis-tungen, steigert dies die Qualität ihres In-puts.

Information Stickiness

Schwierig zu erlangende Bedürfnis- und Lösungsinformationen erhöhen den Nut-zen von Open Innovation.

F&E-Intensität Ein hoher Bedarf an F&E steigert den Bedarf an unterstützenden Ansätzen wie Open Innovation.

Innovationszwang der Dienstleistungsbereiche

Neben der Anwendbarkeit von Open Innovation zeigt der Innovationszwang als zweites und abschließendes Kriterium, welcher Bedarf an Innovationen in dem untersuchten Dienstleistungsbereich aktuell besteht. Ist ein solcher Bedarf nicht gegeben, wird sich ein Ansatz wie Open Innovation, der in der Regel mit einem Umdenken und weitreichenden Umstellungen verbunden ist, schwerlich durchset-zen. Daher fließt der Innovationszwang in die Beurteilung der Relevanz von Open Innovation für die zu untersuchenden Dienstleistungsbereiche mit ein.

Für die Bewertung des Innovationszwanges eines Dienstleistungsbereiches las-sen sich, analog zur Beurteilung der Anwendbarkeit von Open Innovation, wiede-rum drei Hauptindikatoren generieren. Diese bestehen aus folgenden Merkmalen (vgl. Tabelle 2):

Wettbewerbsintensität Branchenwandel Gesetzliche Auflagen

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36 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

Besonders hervorzuheben ist dabei die Wettbewerbsintensität. Diese kann an-hand der Wettbewerbssituation sowie der Personalkostensituation bewertet wer-den. Letztere ist bei Dienstleistungen von besonderer Relevanz für die Wettbe-werbsintensität. Eine Eigenheit des Dienstleistungsmarktes, welche ebenfalls ei-nen gesteigerten Innovationszwang mit sich bringt, ist das geringe Produktivitäts-wachstum. Dieses liegt bei Dienstleistungen in der Regel unter dem der Industrie (Krämer 2015). Drucker (1993) sah in der Steigerung der Produktivität im Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen bereits vor über 20 Jahren die zentrale ökonomische und wirtschaftspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Dieses geringere Produktivitätswachstum liegt hauptsächlich daran, dass Faktoren wie technischer Fortschritt, Standardisierung, Größenvorteile, Arbeitsteilung und Maschineneinsatz in der Industrie einen größeren Produktivitätszuwachs ermögli-chen, als dies bei vielen Dienstleistungen der Fall ist (Krämer 2015). Verstärkt wird diese Problematik durch die hohe Personalintensität in vielen Dienstleis-tungsbereichen. Hohe Personalkosten und eine geringe Produktivitätssteigerung wirken sich dann negativ auf die Kostensituation vieler Dienstleister aus. Ein Mit-tel, um dem daraus drohendenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit entgegen zu wirken sind Innovationen. Diese ermöglichen es den innovativen Unternehmen, eine neue Wettbewerbsbasis zu schaffen und zu erschließen (Perlitz und Schrank 2013).

Ein weiterer Indikator ist der Branchenwandel innerhalb des untersuchten Be-reiches. Ein solcher Wandel kann aus der Abhängigkeit von einer schnelllebigen Technologie oder einem in der Sättigung befindlichen Branchenlebenszyklus her-rühren. Mattes (2010) sieht Entwicklungen hin zu einem zunehmenden Effizienz-druck, kürzeren Produktlebenszyklen, steigenden Innovationskosten, zunehmen-den Kundenanforderungen und schärferen Umwelt- und Sicherheitsauflagen. Dies führt zu einer Instabilität des Marktes, worauf die Dienstleistungsunternehmen re-agieren müssen. Um sich dennoch am Markt behaupten zu können, ist eine gestei-gerte Innovationskraft von großem Vorteil. Besonders die immer kürzeren Pro-duktlebenszyklen führen zu einem stetigen Wandel des Marktes, welcher es be-dingt, dass Unternehmen Innovationen generieren müssen, um sich dem wandeln-den Markt anzupassen und langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben (Bullinger 2007). Die Kunden oder Partner offen zu integrieren und sie an der Leistungsent-wicklung zu beteiligen, verspricht einen Beitrag, um den neuen Anforderungen er-folgreich begegnen zu können (Möslein et al. 2011).

Gelten für die jeweiligen Dienstleistungsbereiche besondere Gesetzliche Auf-lagen, können selbstverständlich auch diese den Innovationszwang befördern. Zwar ist zu erwarten, dass in den meisten Bereichen keine großen Auswirkungen bestehen, wo dies jedoch der Fall ist, sind die Auflagen unumgänglich und können den Innovationszwang durch herausfordernde Regelungen fördern oder ihn durch bewahrende Regelungen dämpfen.

Tabelle 2 zeigt zusammenfassend anhand welcher Indikatoren der Innovations-zwang eines Dienstleistungsbereiches bewertet werden kann.

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 37

Tabelle 2. Indikatoren zur Beurteilung des Innovationszwangs der Dienstleistungsbereiche

Hauptindikatoren Untergeordnete Indikatoren Erklärung/Begründung

Wettbewerbs-intensität

Wettbewerbs-situation

Ein starker Wettbewerb erfordert Ansätze wie Open Innovation, um sich von Wett-bewerbern abzuheben.

Personeller Kostendruck

Personalintensive Dienstleistungen füh-ren zu hohen Kosten. Innovationen kön-nen diese verringern oder rechtfertigen.

Branchenwandel Technologie-abhängigkeit

Die kurzen Lebenszyklen vieler Techno-logien erhöhen den Innovationszwang.

Fortgeschrittener Branchenlebenszyk-lus

Eine in der Sättigung befindliche Branche bedarf der Innovation.

Gesetzliche Auflagen Neue gesetzliche Bestimmungen erfor-dern oftmals neue Lösungen.

3.2 Ausgestaltung des Service Open Innovation Framework

Zur Darstellung der Bewertungsergebnisse soll im Folgenden ein Framework ent-wickelt werden, anhand dessen sich diejenigen Dienstleistungsbereiche identifizie-ren lassen, für welche Open Innovation von herausragender Relevanz ist. Hierzu wird zunächst auf der x-Achse eines Koordinatensystems der Innovationszwang abgetragen. Gleichzeitig erfolgt die Darstellung der Anwendbarkeit von Open In-novation auf der y-Achse. Als Einteilungskriterien dienen die in Sektion 3.1 vor-gestellten Hauptindikatoren, die wiederum anhand der Ausprägungen der jeweili-gen Unterindikatoren passgenau und detailliert bewertet werden können. Diese Ausprägungen können ausgehend von einer neutralen Stufe (Kennzeichnung ) bis zu drei aggregierte Stufen einer positiven bzw. negativen Einschätzung ein-nehmen, die auf der Aufsummierung der jeweiligen Hauptindikatoren beruht (vgl. Abb. 1).

Eine Einteilung in einzelne Bereiche, unterstützt durch eine optische Markie-rung in Form gestrichelter Linien, lässt nun individuelle Interpretationen zu. Das somit entstandene Framework unterstützt folglich den Versuch einer Objektivie-rung der Einschätzung hinsichtlich der Eignung von Open Innovation für ausge-wählte Dienstleistungsbereiche und wird im Folgenden als Service Open Innovati-on Framework bezeichnet.

Die als „a“ markierten Felder in Abb. 1 weisen sowohl einen positiven Innova-tionszwang als auch eine positive Anwendbarkeit von Open Innovation auf. Es ist anzunehmen, dass sich durch den Einsatz von Open Innovation in diesen Berei-chen ein positiver Beitrag zur Innovationsfähigkeit und damit zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beisteuern lässt. Die als „c“ markierten Felder weisen hingegen einen negativen Innovationszwang und/oder eine negative Anwendbarkeit auf, was die Relevanz von Open Innovation schmälert. Im Bereich

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38 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

dazwischen, markiert mit „b“, ist durch die hier angewandte Methodik keine ein-deutige Bewertung möglich.

Abb. 1. Grafische Darstellung des Service Open Innovation Framework

Bei dieser Darstellung muss allerdings beachtet werden, dass eine geringe Re-levanz nicht mit einer fehlenden Eignung von Open Innovation gleichzusetzen ist. Ein Dienstleistungsbereich, welcher im rotgefärbten Bereich angesiedelt ist, gleichzeitig aber eine positive Anwendbarkeit von Open Innovation aufweist, eig-net sich durchaus für die Nutzung des Paradigmas. Diesem Bereich wird lediglich kein gesteigerter Bedarf hierfür attestiert. Sollte ein Unternehmen aus einem sol-chen Dienstleistungsbereich, entgegen der hier getroffenen allgemeinen Einschät-zung einem Innovationszwang unterliegen, so bietet sich Open Innovation hierfür folglich durchaus an.

4 Einordnung der Dienstleistungsbereiche in das Service Open Innovation Framework

4.1 Unterteilung der Dienstleistungsbereiche

Um im weiteren Verlauf des vorliegenden Beitrags die Anwendbarkeit des Open Innovation-Ansatzes auf ausgewählte Dienstleistungen zu untersuchen, ist es sinnvoll diesen heterogenen Wirtschaftsbereich geeignet zu untergliedern. Diese Untergliederung kann dann eine Untersuchung der einzelnen Bereiche anhand ent-

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 39

sprechender Kriterien ermöglichen. Das Ziel wird sein, bewerten zu können, für welche Bereiche Open Innovation einen Mehrwert darstellt und bei welchen dies nicht der Fall ist. Fällt die Unterteilung der Dienstleistungsbereiche in diesem Zu-sammenhang zu undifferenziert aus, lassen sich keine praxisrelevanten Aussagen treffen. Allerdings sollte eine allzu detaillierte Unterteilung, wie beispielsweise die Auflistung einzelner wissensintensiver Dienstleistungsbereiche (Gehrke et al. 2010) ebenfalls vermieden werden. Dabei gehen Synergieeffekte verloren, die er-zielt werden können, wenn Dienstleistungsbereiche definiert werden, deren unter-geordnete Dienstleistungen sich hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes ge-eignet zusammenfassen lassen.

Es finden sich in der Literatur zahlreiche Kriterien anhand derer eine Auftei-lung des Dienstleistungsbereiches vorgenommen werden kann. Im Oslo Manual wird eine Unterteilung in drei Gruppen vorgenommen: Dienstleistungen die un-mittelbar mit Gütern agieren (wie beispielsweise Logistik), wissensbasierte Dienstleistungen sowie personenbezogene Dienstleistungen (wie zum Beispiel Gesundheitswesen) (OECD 2005). Eine weitere Unterteilung wird anhand der vier Charakteristika Wissensintensität, Netzwerkbasiertheit, Skalenintensität und Lie-ferantendominanz vorgenommen (Hipp und Grupp 2005; Blohm et al. 2012). Auf dieser Basis unterteilen Hipp und Grupp (2005) den Dienstleistungsbereich dann in insgesamt neun Gruppen.

Im vorliegenden Beitrag soll die große Bedeutung der innovativen und wissens-intensiven Dienstleistungen angemessen berücksichtigt werden. Daher werden Dienstleistungen im Folgenden in sieben Bereiche unterteilt, wobei die wissensin-tensiven Dienstleistungen in Anlehnung an Gotsch (2012) in wiederum sieben Un-terbereiche untergliedert werden. Die hier vorgenommene Betonung der wissens-intensiven Dienstleistungen kann damit begründet werden, dass in der modernen Wirtschaft wissensintensive Dienstleistungen in vielen Prozessen eine zunehmend wichtigere Rolle einnehmen (Hipp und Grupp 2005). Weiter verstärkt wird diese große Bedeutung dadurch, dass wissensintensive Dienstleitungsunternehmen häu-fig sowohl als Innovationsträger, -urheber und -verstärker wirken, gleichzeitig aber auch als eigenständige Innovatoren agieren (Kuusisto 2009). Dies lässt sich der Rolle der wissensintensiven Dienstleistungen als Wissensbereitsteller und Technologieentwickler für viele Marktakteure zuschreiben (Hipp und Grupp 2005). Eigenschaften wissensintensiver Dienstleistungsunternehmen sind zum ei-nen das hochqualifizierte Personal (Gehrke et al. 2010) und zum anderen die hohe Komplexität und Individualität, sowie die hohe Kundenintegration und die zu-meist arbeitsteilige Projektarbeit (Garrel und Grandt 2012). Tabelle 3 zeigt die be-nutzte Untergliederung.

Zur Vermeidung von Dubletten innerhalb der gewählten Aufteilung werden von den wissensintensiven Dienstleistungen all jene ausgeschlossen, welche sich den produktbegleitenden Dienstleistungen gemäß der Definition des Statistischen Bundesamtes zuordnen lassen. Diese Definition bezeichnet alle Dienstleistungen, welche in Verbindung mit einer Ware angeboten werden, als produktbegleitende Dienstleistungen. Dabei ist nicht relevant, ob die Dienstleistung auch von dem

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40 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

Unternehmen erbracht wird, von welchem die im Mittelpunkt stehende Ware stammt (Statistisches Bundesamt 2004). Damit handelt es sich beispielsweise bei der Fahrzeugfinanzierung nicht um eine Finanzdienstleistung, sondern um eine produktbegleitende Dienstleistung.

Tabelle 3. Übersicht über die verwendeten Dienstleistungsbereiche

Nummer Dienstleistungsbereiche Beispiele Wissensintensive Dienstleistungen

1 a Technische Dienstleistungen Ingenieurbüros, FuE-Dienstleistungen

1 b Datenverarbeitungsdienstleistungen Verlegen von Drucksachen und Software

1 c Unternehmensberatende Dienstleistungen Rechts-, Steuer- und Ma-nagementberatung

1 d Telekommunikationsdienstleistungen Messaging Services, Mobilfunk- und Festnetzbetreiber

1 e Finanzdienstleistungen Versicherungen, Kreditinstitute 1 f Wirtschaftliche Dienstleistungen Vermittlung von Arbeitskräften 1 g Unterrichtsdienstleistungen (Hoch-) Schule, Fahrschule

Sonstige Dienstleistungen

2 Produktbegleitende Dienstleistungen Montage oder Wartung von Ma-schinen

3 Mobilitätsdienstleistungen Bahn, Carsharing 4 Handel Großhandel, Onlinehandel 5 Öffentliche Verwaltung Kommunalverwaltung

6 Gesundheitsdienstleistungen Krankenhaus, Arztpraxis, Apo-theke

7 Unterhaltungs- und Freizeitdienstleistun-gen Schwimmbad, Theater, TV

Inwieweit Open Innovation für die genannten Dienstleistungen bereits in der Literatur diskutiert (vgl. West et al. 2014) bzw. erfolgreich in der Praxis umgesetzt wurde sowie welcher Nutzen dadurch entstehen kann, soll im Folgenden für die einzelnen Bereiche separat erläutert werden.

4.2 Bewertung der Dienstleistungsbereiche

Im Folgenden werden die einzelnen Dienstleistungsbereiche nach der jeweiligen Anwendbarkeit von Open Innovation sowie dem jeweils herrschenden Innovati-onszwang beurteilt. Dabei wird die Ausprägung der Kriterien in „gegeben“ ( ), „neutral“ ( ) und „nicht gegeben“ ( ) unterschieden. Die Ergebnisse der beiden Hauptindikatoren Anwendbarkeit und Innovationszwang bilden sich dann im An-schluss aus den untergeordneten Kriterien. Da diese Kriterien bewusst keine un-terschiedlichen Gewichtungen aufweisen, können die jeweiligen Ausprägungen

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 41

einfach summiert werden. Hierbei gleichen sich beispielsweise die beiden Aus-prägungen „gegeben“ und „nicht gegeben“ zu einem „neutral“ aus.

Diese bewusst einfach gehaltenen Ausprägungen dienen zum einen einer prag-matischen und möglichst unaufwendigen Einordnung und spiegeln zum anderen wider, dass es sich größtenteils um eine auf Annahmen beruhende rein qualitative Bewertung handelt. Die vorgenommene Bewertung ermöglicht und beabsichtigt keine Verallgemeinerung der Ergebnisse. Die Erkenntnisse sind daher zum jetzi-gen Zeitpunkt von rein explorativem Charakter und können als Meinungsbild ei-nen Anhaltspunkt für weiterführende qualitative und quantitative Studien bieten. Hierfür können zum Beispiel Experteninterviews mit geeigneten Gesprächspart-nern aus den jeweiligen Bereichen, die um ihre Einschätzung zu den einzelnen Ausprägungen der Unterindikatoren gebeten werden, nützlich sein. Bei einer ent-sprechenden Anzahl von Befragten können dann die jeweiligen Mittelwerte gebil-det und damit empirisch validierte Ergebnisse erzeugt werden. Die in Abschnitt 4.1 vorgestellten Dienstleistungsbereiche werden im Folgenden einzeln betrachtet und anhand von Erfahrungswerten hinsichtlich der Hauptindikatoren eingeordnet.

Technische Dienstleistungen (Nr. 1a)

Technische Dienstleistungen umfassen insbesondere Ingenieurs- und Architektur-büros, FuE-Dienstleistungen sowie technische Labore. Bei den technischen Dienstleistungen ergibt sich eine hohe Relevanz für Open Innovation, die anhand der Bewertung der Hauptindikatoren ersichtlich wird (vgl. Tabelle 4). Technische Dienstleister sind zumeist in ein wissensintensives Netzwerk eingebunden und ar-beiten für Kunden, die selbst Interesse und Know-how an der jeweiligen Materie besitzen. Zudem handelt es sich um einen sehr F&E-intensiven Bereich. Daraus ergibt sich eine gute Anwendbarkeit von Open Innovation. Der hohe Innovations-zwang ist auf den personellen Kostendruck sowie die starke Technologieabhän-gigkeit zurückzuführen.

Tabelle 4. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für technische Dienstleistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Datenverarbeitungsdienstleistungen (Nr. 1b)

Beispiele für datenverarbeitende Dienstleistungen sind neben dem Verlegen von Drucksachen und Software insbesondere informationstechnologische Dienstleis-tungen, zu denen auch Hosting oder der Betrieb von Webportalen zählen. Die ge-

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42 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

ringe Relevanz von Open Innovation für datenverarbeitende Dienstleistungen (vgl. Tabelle 5) lässt sich größtenteils auf die geringe Einbindung möglicher Kooperati-onspartner zurückführen. Wenngleich dieser Bereich aufgrund der fortschreiten-den Digitalisierung große Umbrüche erlebt und an Bedeutung gewinnt, fehlen die einschlägigen Hinweise auf eine Anwendbarkeit des Open Innovation-Ansatzes.

Tabelle 5. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für DV-Dienstleistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Unternehmensberatende Dienstleistungen (Nr. 1c)

Unternehmensberatende Dienstleistungen bestehen aus Beratungen in den Berei-chen Recht, Steuern, Management, Strategie und Kommunikation. Unterneh-mensberatende Dienstleistungen eignen sich sehr gut für die Anwendung von O-pen Innovation (vgl. Tabelle 6).

Tabelle 6. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für unternehmensberatende Dienstleistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Bei der Anwendbarkeit ist besonders der hohe Kundenintegrationsgrad zu er-wähnen. Berater und ihre Klienten koproduzieren ihre Problemlösungen indem beide Parteien ihr Wissen beisteuern (Sutter 2013). Dies zeugt auch von einem hohen problemspezifischen Know-how der Kunden. Was den Innovationszwang anbelangt, so unterliegt die Unternehmensberatung momentan einem großen Strukturwandel. Die Bedeutung des klassischen Beratungsgeschäfts scheint zu-rückzugehen. Kunden sind heute durch neue technische Möglichkeiten in einer gestärkten Position und können viele Probleme selbst lösen. Der Markt an Unter-nehmensberatern wird zudem immer transparenter, was überzeugender Lösungen bedarf, um neue Aufträge zu generieren. Die Beratungsaufträge sind immer spezi-fischer und dadurch auch messbarer, was kleine spezialisierte Unternehmensbera-

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 43

tungen stärkt. Nach Bartsch (2014) haben die großen Beratungsunternehmen die-sen Wandel bereits erkannt und entwickeln neue Geschäftsmodelle und Angebote, um auch zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben. Wohin diese Entwicklung geht, ist noch nicht abzusehen, jedoch spielt das Bilden von Netzwerken, beispielsweise zur Lösung spezifischer Projekte, eine wachsende Rolle.

Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 1d)

Klassische Telekommunikationsdienstleistungen sind Mobilfunk- und Festnetzbe-treiber, aber auch Anbieter von Messenger und Videotelefonie. Für den Dienstleis-tungsbereich der Telekommunikation lässt sich eine gute Eignung von Open Inno-vation feststellen (vgl. Tabelle 7). Die hohe Anwendbarkeit lässt sich auf die aus-geprägte Netzwerkintensität, die starke Kundeneinbindung bei der Dienstleis-tungserbringung sowie die große Beliebtheit und weite Verbreitung dieses Dienst-leistungsbereiches zurückführen. Der Innovationszwang geht ein weiteres Mal auf den starken Branchenwandel durch die Digitalisierung zurück. Dieser Wandel hat unter anderem neue Wettbewerber hervorgebracht (zum Beispiel Messenger- oder Videotelefonie-Anbieter), was den Druck auf die etablierten Anbieter zusätzlich erhöht.

Tabelle 7. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für Telekommunikationsdienst-leistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Einer dieser etablierten Anbieter ist beispielsweise die Deutsche Telekom AG. In ihrem zentralen Forschungs- und Innovationsbereich kommt Open Innovation bereits zum Einsatz, um den skizzierten Herausforderungen zu begegnen. Nach-dem zunächst lediglich Partnerunternehmen in den offenen Innovationsprozess in-volviert wurden, werden mittlerweile auch Kunden mit Lead User-Workshops, Ideenwettbewerbe, Communities und Toolkits einbezogen (Wogatzky 2010).

Finanzdienstleistungen (Nr. 1e)

Beispiele für Finanzdienstleistungen sind Versicherungen, Kreditinstitute, Fonds und Beteiligungsgesellschaften. Die von Fasnacht (2009) vertretene Meinung, dass im Finanzbereich eine wachsende Akzeptanz für die Open Innovation-Philosophie vorherrscht, kann von Seiten der Autoren für den Großteil dieses Dienstleistungsbereiches nicht geteilt werden (vgl. Tabelle 8). Einige von Oliveira

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44 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

und von Hippel (2011) vorgestellten Beispiele, in welchen Nutzer Angebote initi-iert haben, die daraufhin von Finanzdienstleistern übernommen wurden, bilden zwar positive Gegenbeispiele, zumeist mangelt es jedoch an der Einbindung der Kunden oder Partner in die Geschäftsvorgänge der Dienstleister. Da es sich bei den meisten Prozessschritten in diesem Bereich um Back Office-Vorgänge han-delt, in welche der Kunde keinen Einblick hat, ist dadurch auch sein Zutun als Kooperationspartner naturgemäß äußerst beschränkt. Hervorzuheben ist zudem die Tatsache, dass gerade Banken im öffentlichen Meinungsbild als wenig attraktiv wahrgenommen werden, was eine geringe Motivation zur Kooperation mit sich bringt. Lediglich der Innovationszwang weist einen leichten positiven Ausschlag auf, was auf den aktuellen Branchenwandel zurückzuführen ist. Dieser wird bei-spielsweise durch die weiter fortschreitende Digitalisierung, individuellere Ange-bote durch neue Möglichkeiten der digitalen Datenerhebung, die andauernde Fi-nanzkrise, diverse Regulierungsauflagen sowie die langwährende Niedrigzinspha-se angetrieben.

Tabelle 8. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für Finanzdienstleistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Wirtschaftliche Dienstleistungen (Nr. 1 f)

Wirtschaftliche Dienstleistungen beziehen sich vor allem auf die Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften, die Maschinenvermietung und die Vermittlung und Verwaltung von Gebäuden. Dieser Dienstleistungsbereich eignet sich sehr gut für die Anwendung von Open Innovation (vgl. Tabelle 9). Der Fokus liegt dabei allerdings weniger auf den Konsumenten als vielmehr auf den Geschäftspartnern, da sich wirtschaftliche Dienstleistungen in der Regel an Geschäftskunden richten. Dies sorgt für eine gute Vernetzung der Dienstleister in einem professionellen Umfeld. Damit gehen Kooperationspartner einher, die über ein hohes Know-how in der jeweiligen Dienstleistung verfügen und somit gute Partner für beispielswei-se Lead User-Workshops abgeben. Zudem gab es in den letzten Jahren große Ver-änderungen in der Branche. Der Arbeitsmarkt forderte zum Beispiel vermehrt den Einsatz von Leiharbeitskräften, was die Entstehung eines neuen Dienstleistungs-bereiches mit sich brachte. Dieser Bereich ist vergleichsweise jung und bietet Po-tenzial für bisher unbekannte Angebote. Auch weitere Geschäftsmodelle ändern sich derzeit grundlegend, wie beispielsweise der zunehmende Wandel vom reinen Bau und Verkauf von Werkzeugmaschinen hin zu Betreibermodellen.

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 45

Tabelle 9. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für wirtschaftliche Dienstleistun-gen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Unterrichtsdienstleistungen (Nr. 1g)

Beispiele für Unterrichtsdienstleistungen sind Hochschulen, allgemeinbildende Schulen und Träger für Weiterbildungen. Für Unterrichtsdienstleistungen zeichnet sich nur eine geringe Relevanz von Open Innovation ab (vgl. Tabelle 10). Die Schüler sind zwar in die Dienstleistungserbringung stark integriert, doch liegt der Bewertung die Annahme zugrunde, dass ihr Know-how als Innovationspartner zur Entwicklung neuer Dienstleistungen gering ist. Auch ist die Technologieabhän-gigkeit zu gering und eine Sättigung der Branche nicht gegeben. Einzig die Perso-nalintensität führt zu einem gewissen Kostendruck, welcher die Wettbewerbsin-tensität steigert. Zudem gibt es in diesem Bereich viele gesetzliche Regelungen. Diese sind allerdings eher von bewahrendem Charakter und wenig innovations-fordernd.

Tabelle 10. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für Unterrichtsdienstleistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Produktbegleitende Dienstleistungen (Nr. 2)

Produktbegleitende Dienstleistungen sind sehr vielfältig, unter anderem kommen in Frage: Produktbegleitende Softwarepakete oder die Montage, Wartung und Re-paratur von Maschinen. Die produktbegleitenden Dienstleistungen sind von äu-ßerst großer Bedeutung, insbesondere in Industrienation, da sich viele Industrieun-ternehmen anhand produktbegleitender Dienstleistungen erfolgreich am Markt be-haupten. Innovative produktbegleitende Dienstleistungen sind deshalb von großer Bedeutung, um auch zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben. Open Innovation kann hierzu einen Beitrag leisten (vgl. Tabelle 11). Die Netzwerkintensität von

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46 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

Industrieunternehmen und der Kundenintegrationsgrad im Beriech der produktbe-gleitenden Dienstleistungen sind gute Voraussetzungen für eine Anwendung des Paradigmas. Hinzu kommen die hohe Wettbewerbsintensität aufgrund des starken internationalen Wettbewerbes sowie ein andauernder Branchenwandel. Letzterer wurde zunächst durch neue Möglichkeiten der IT (zum Beispiel Fernwartung, Softwareupdates) und neuerdings durch die Möglichkeiten der Industrie 4.0 ge-trieben. Dieser Branchenwandel erscheint noch lange nicht abgeschlossen, da die Nutzung der neuen Angebote durch Industrie 4.0 erst im Entstehen ist. Ein guter Innovationsprozess für produktbegleitende Dienstleistungen kann daher entschei-dend sein, um sich als Industrieunternehmen künftig erfolgreich am Markt zu be-haupten.

Tabelle 11. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für produktbegleitende Dienst-leistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Mobilitätsdienstleistungen (Nr. 3)

Mobilitätsdienstleistungen sind sehr breit zu fassen und beziehen sich auf Bahn-anbieter, öffentlichen Nahverkehr sowie Fluggesellschaften. Sowohl die mögliche Anwendung als auch der Innovationszwang weisen auf eine große Relevanz von Open Innovation bei Mobilitätsdienstleistungen hin (vgl. Tabelle 12).

Tabelle 12. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für Mobilitätsdienstleistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Zum einen ist dies dem hohen Kundenintegrationsgrad zuzuschreiben. Zum an-deren sind viele Menschen, welche Mobilitätsdienstleistungen in Anspruch neh-men, auf diese zwingend angewiesen. Dies bringt bei zufriedenstellender Dienst-leistungserbringung eine hohe Beliebtheit und bei Unzufriedenheit einen hohen Leidensdruck der Kunden mit sich. Dies wiederum sind gute Voraussetzungen für

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 47

die Anwendung von Open Innovation. Zudem drängen neue Wettbewerber wie zum Beispiel Carsharing, Mitfahrgelegenheiten, Fernbusse und Billigflieger in den Markt. Dies steigert die Wettbewerbsintensität und fördert zugleich einen Bran-chenwandel.

Die Deutsche Bahn, als ein unter Druck stehender etablierter Anbieter, hat den wertvollen Beitrag eines offenen Innovationsprozesses zur Bewältigung dieser Herausforderungen erkannt und sammelt nun erste Erfahrungen. Unterstützt durch einen Anbieter von Software für das Innovationsmanagement, betreibt die Deut-sche Bahn mit ausgewählten Partnern eine Innovationsplattform. Dort können ex-terne Akteure ihren Input zu allgemeinen Innovationsfeldern oder spezifischen Ideenwettbewerben einbringen (DB 2015).

Handel (Nr. 4)

Der Handel lässt sich in Groß-, Filial- und Onlinehandel unterscheiden. Die Rele-vanz von Open Innovation für den Handel lässt sich aufgrund der neutralen An-wendbarkeit nicht eindeutig feststellen (vgl. Tabelle 13). Zustande kommt dies durch die starke Verbindung zum Kunden auf der einen Seite und das geringe problemspezifische Know-how der meisten Kunden sowie die geringe Forschung in diesem Bereich auf der anderen Seite (ZEW 2015). Dennoch besteht ein hoher Innovationszwang, getrieben durch den starken Wettbewerb und den digitalen Wandel. Käufe werden mehr und mehr online getätigt, was ein Umdenken zum Beispiel in Sachen Kundenbindung, Einkaufsproben und Logistik mit sich bringt.

Tabelle 13. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für Handelsdienstl.

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Ein Anbieter, der sich diesem Innovationszwang unter Einbeziehung von Open Innnovation stellt, ist Tchibo. Das Unternehmen bindet Kunden in die Generie-rung neuer Angebote mit ein. Dies geschieht durch Lead User-Workshops, Pro-dukttests, Votings für geplante Angebote und Umfragen. Des Weiteren werden IT-gestützte Analysen des Online-Kundenverhaltens durchgeführt (Hück 2014; Tchi-bo 2015).

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48 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

Öffentliche Verwaltung (Nr. 5)

Die öffentliche Verwaltung besteht aus klassischen Bereichen wie Verwaltung von Kommunen, Städten und Ländern. Insgesamt ist dies ein Bereich, in welchem Open Innovation nur schwerlich ein Durchbruch gelingen wird (vergleiche Tabel-le 14). Der geringe Innovationszwang der öffentlichen Verwaltung, welche kei-nem Wettbewerb ausgesetzt ist, verringert die Relevanz von Open Innovation für diesen Bereich merkbar. Auch auf Seiten der Anwendbarkeit sticht die öffentliche Verwaltung nicht hervor. Dennoch gibt es in der Praxis erste Ansätze. Obwohl dieser Bereich nicht prädestiniert ist, so ist der Einsatz von Open Innovation den-noch möglich. Hilgers und Ihl (2010) tragen einige internationale praktische Bei-spiele aus den Bereichen „Bürgerideen und -innovationen“, „Gemeinschaftliche Administration“ und „Gemeinschaftliche Demokratie“ zusammen. Diese entsprin-gen allesamt der Nutzung neuer Möglichkeiten zum Austausch und der Vernet-zung durch das Internet. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen in diese Rich-tung, wenngleich diese noch sehr theoretischer Art sind. So hat die Bundes-regierung (2015) die „Nationale Plattform Zukunftsstadt“ ins Leben gerufen, in deren Rahmen das Bundesministerium für Bildung und Forschung Forschungspro-jekte ausschreibt, die sich unter anderem mit der Verwaltung der Zukunft ausei-nandersetzen (BMBF 2015). Ob Open Innovation im Bereich der öffentlichen Verwaltung in den nächsten Jahren eine Rolle spielen wird, ist aufgrund der gege-benen Bewertung jedoch zu bezweifeln.

Tabelle 14. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für öffentliche Verwaltung

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Gesundheitsdienstleistungen (Nr. 6)

Beispiele für Gesundheitsdienstleistungen sind Krankenhäuser, Arztpraxen, Apo-theken, mobile Pflegedienste und Altersheime. Bei den Gesundheitsdienstleistun-gen lässt sich eine ausgesprochen hohe Relevanz von Open Innovation feststellen (vgl. Tabelle 15). Aufgrund des hohen Integrationsgrades der Patienten, des star-ken Gesundheitsstrebens kranker Menschen und des enormen Kooperationspoten-zials sind Gesundheitsdienstleistungen besonders gut zur Anwendung von Open Innovation geeignet. Für die Entwicklung neuer Behandlungen und sonstiger ge-sundheitlicher Dienstleistungen sollte berücksichtigt werden, dass viele Patienten „Experten“ für ihre Krankheit sind und individuelle Kenntnisse über ihre Krank-heit besitzen. Zudem erleichtern das Internet und die damit verbundenen Commu-

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 49

nities den Zugang zu Informationen sowie den Austausch mit anderen Betroffe-nen. Doch auch ihre subjektiven Erfahrungen während der Inanspruchnahme der Dienstleistung, sowie ihr Wissen über die Umwelt geben ihrem Mitwirken als Co-Designer bei Innovationen großen Wert (Keller et al. 2013). Neben der Freiset-zung des Wissens der Patienten ist ebenfalls die Einbeziehung des sonstigen Ge-sundheitspersonals von großer Bedeutung. Beispielsweise nehmen erfahrene Krankenpfleger mit ihrer Nähe zum Patienten oftmals Dinge wahr, um die ein Arzt nicht weiß (Keller et al. 2013). Der Wettbewerbszwang wird indes durch oftmals niedrige Kassenpauschalen für eine Behandlung sowie durch den hohen Anteil an Personalkosten bestimmt.

Tabelle 15. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für Gesundheitsdienstleistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

Unterhaltungs- und Freizeitdienstleistungen (Nr. 7)

Unterhaltungs- und Freizeitdienstleistungen finden sich beispielsweise in den Be-reichen Schwimmbäder, Kino- und Theaterbetrieb sowie Fernsehsender. Eine ein-deutige Gesamtbewertung lässt diese Untersuchung aufgrund der unterschiedli-chen Ausprägungen der beiden Hauptindikatoren nicht zu (vgl. Tabelle 16). Zwar bietet dieser Dienstleistungsbereich eine potenziell sehr gute Anwendbarkeit für Open Innovation, was sich hauptsächlich auf die Integration der Kunden in die Dienstleistungserbringung sowie die Beliebtheit der Angebote und damit einher-gehender Motivation zur Mitgestaltung zurückführen lässt. Allerdings fällt der In-novationszwang für den gesamten Dienstleistungsbereich neutral aus. Insgesamt betrachtet ist jedoch gerade für größere Anbieter von Freizeitdienstleistungen die Nützlichkeit von Open Innovation nicht auszuschließen.

Tabelle 16. Bewertung der Relevanz von Open Innovation für Unterhaltungs- und Freizeit-dienstleistungen

Kooperations-Partner

Kooperations-Motivation

Kooperations-Potenzial Ergebnis

Anwendbarkeit

Wettbewerbs-intensität

Branchen-wandel

Gesetzliche Auflagen Ergebnis

Innovationszwang

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50 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

4.3 Zusammenfassende Darstellung der Dienstleistungs-bereiche im Service Open Innovation Framework

Die Einordnung der 13 untersuchten Dienstleistungsbereiche, welche zuvor defi-niert und abgegrenzt wurden, findet sich in Abb. 2.

Abb. 2. Zusammenfassende Einstufung der Dienstleistungen in das Service Open Innovati-on Framework

Damit ist die in der einschlägigen Literatur verbreitete These bestätigt, dass sich Open Innovation zumindest für bestimmte Dienstleistungen durchaus eignet. Zudem lassen sich die spezifischen Dienstleistungsbereiche ausmachen, auf wel-che diese Eignung im Besonderen zutrifft. Es wurde jedoch ebenfalls verdeutlicht, dass nicht alle Dienstleistungsbereiche gleichermaßen geeignet erscheinen.

Insbesondere die Dienstleistungsbereiche, denen eine hohe Relevanz von Open Innovation attestiert werden kann, sollten für eine näher gehende Untersuchung ausgewählt werden (vgl. Tabelle 17). Es zeigt sich, dass das größte Potenzial zur Anwendung der Open Innovation-Grundsätze insbesondere in den Bereichen der produktbegleitenden und unternehmensberatenden Dienstleistungen, aber auch in der Entwicklung von Mobilitäts- und Gesundheitsdienstleistungen, besteht.

Aber auch die Identifizierung nicht geeigneter Bereiche bildet einen wertvollen Erkenntnisgewinn. Hier ist die Erkenntnis gereift, dass Open Innovation keinen geeigneten Ansatz für zukünftige Dienstleistungsentwicklungsprozesse bietet. Für zwei Bereiche ergibt sich kein eindeutiges Ergebnis. Eine Aussage bezüglich der Relevanz von Open Innovation kann anhand der verwendeten Methodik für diese beiden Bereiche nicht getroffen werden.

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Open Innovation Ansätze für den Dienstleistungsinnovationsprozess 51

Tabelle 17. Einstufung der Dienstleistungsbereiche

Einstufung Dienstleistungsbereiche Hohe Relevanz von Open Innovation Technische Dienstleistungen

Unternehmensberatende Dienstleistungen Telekommunikationsdienstleistungen Wirtschaftliche Dienstleistungen Produktbegleitende Dienstleistungen Mobilitätsdienstleistungen Gesundheitsdienstleistungen

Kein eindeutiges Bewertungsergebnis Handel Unterhaltungs- und Freizeitdienstleistungen

Geringe Relevanz von Open Innovation Datenverarbeitungsdienstleistungen Finanzdienstleistungen Unterrichtsdienstleistungen Öffentliche Verwaltung

5 Zusammenfassung und Ausblick

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Open Innovation-Ansätze ein großes Potenzial für die Entwicklung und das Design innovativer Dienstleistungen bieten können. Insbesondere ein stärkerer Einbezug des Kunden in den Service-Innovationsprozess, beispielsweise über die Lead-User-Methode, scheint einen vielversprechenden Ansatz darzustellen.

Da man in der Forschung über Open Innovation im Dienstleistungsbereich noch relativ am Anfang steht, hat der vorliegende Beitrag beabsichtigt, ein sche-matisches Framework für die Übertragbarkeit der Open Innovation-Grundsätze auf den Dienstleistungsbereich zu entwickeln. Hierzu wurden geeignete Bewer-tungsmethoden identifiziert, zu Indikatoren aggregiert und im Service Open Inno-vation Framework zusammengeführt. Die so geschaffene neue und strukturierte Vorgehensweise wurde dann beispielhaft auf ausgewählte Servicebereiche ange-wendet, und die Ergebnisse wurden in das Framework eingeordnet. Hierbei hat sich gezeigt, dass das größte Potenzial zur Anwendung der Open Innovation-Grundsätze insbesondere für die Bereiche der produktbegleitenden und unterneh-mensberatenden Dienstleistungen, aber auch für die Entwicklung von Mobilitäts- und Gesundheitsdienstleistungen, besteht.

In Ermangelung einer ausreichenden empirischen Datenbasis beruhen die hier entwickelten Vorschläge zur Einordnung größtenteils auf den subjektiven Ein-schätzungen der Autoren. Mit der konzeptionellen Entwicklung des Service Open Innovation Framework wurde der Versuch unternommen, eine auf Plausibilitäts-überlegungen beruhende und aus den Erfahrungen der Autoren abgeleitete Ent-scheidungsunterstützungshilfe für die praktische Anwendung bereitzustellen. Für die wissenschaftliche Weiterentwicklung dieses Ansatzes wäre es in einem nächs-ten Schritt die Aufgabe, das Framework zusätzlich auf ein empirisches Fundament

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52 Matthias Gotsch, Simon Fiechtner und Hagen Krämer

zu stellen. Hierzu wären breit angelegte Untersuchungen zu empfehlen, in denen durch den Einsatz von klassischen Datenerhebungsmethoden wie Befragungen und Beobachtungen eine belastbare Datengrundlage geschaffen werden könnte. Auch Fallstudien oder Paneluntersuchungen könnten dazu beitragen, die hier im Rahmen eines induktiven Vorgehens abgeleiteten Aussagen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge empirisch näher zu überprüfen.

Die vorgestellte Bewertungsmethode kann daher nur einen Anfang auf dem Weg hin zu einem flächendeckenden Einsatz von Open Innovation im Rahmen des Dienstleistungsentwicklungsprozesses darstellen. Gedacht ist das hier vorge-stellte Service Open Innovation Framework als Anstoß für die Entwicklung einer umfassenden Entscheidungsunterstützung von Unternehmen, die ihren Service-Innovationsprozess mittelfristig für den Einbezug von Open Innovation öffnen möchten.

6 Literaturverzeichnis

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Konstruktion von Prozessmodellen für digitalisierte Prüfungsdienstleistungen

Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas

Die Jahresabschlussprüfung durch externe Wirtschaftsprüfer ist eine gleicherma-ßen verpflichtende sowie notwendige Dienstleistung mit zentraler Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Ihre Ausführung ist maßgeblich durch ein volatiles, ge-setzliches Rahmenwerk und durch die zunehmende Digitalisierung von Geschäfts-prozessen beeinflusst. In diesem Zusammenhang wird in der Wissenschaft die Weiterentwicklung von traditionellen Prüfungshandlungen auf Basis historischer Daten zu einer kontinuierlichen Prüfung in quasi-Echtzeit diskutiert. Allerdings ist aus wissenschaftlicher Sicht zu konstatieren, dass nur wenige Forschungsarbeiten die Prozessdimension dieser Dienstleistung beschreiben und die dafür erforderli-chen Modelle bislang fehlen. Um diese Forschungslücke zu schließen, werden in diesem Beitrag erstmalig Prozessmodelle unterschiedlicher Prüfungsansätze dar-gestellt. Dabei werden in dem zur Modellkonstruktion verwendeten methodischen Rahmen sowohl der Ist-Zustand der Praxis als auch der Stand der Forschung be-rücksichtigt. Die Ergebnisse dieses Beitrags unterstützen sowohl Wissenschaftler als auch Praktiker bei der Reflexion und der Umsetzung der digitalen Transfor-mation der Abschlussprüfung.

1 Einleitung

Die zentrale Dienstleistung von Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern ist die Prüfung des Jahresabschlusses von Unternehmen entsprechend gesetzlicher und gesetzesnaher Vorgaben (WPK 2014a; Marten et al. 2015). Die Verpflichtung zur Abschlussprüfung besteht in Deutschland grundsätzlich für alle mittleren und großen Kapitalgesellschaften entsprechend §316 Handelsgesetzbuch. Damit waren nach einer Schätzung der Wirtschaftsprüferkammer (WPK) im Jahr 2014 ca. 40.000 Unternehmen in Deutschland prüfungspflichtig (2014b). In der WPK wa-ren mit Stand Juli 2013 insgesamt 21.698 Mitglieder verzeichnet. Im Jahr 2014 betrug der Gesamtumsatz der zwanzig größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bei Abschlussprüfungen insgesamt 1,8 Mrd. Euro (WPK 2015). Zudem ist die Wirtschaftsprüfung als separater Wirtschaftszweig unter „Abschnitt M: Erbrin-gung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_3

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56 Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas

klassifiziert (DESTATIS 2008). Die Abschlussprüfung als gleichermaßen not-wendige wie verpflichtende Dienstleistung von Wirtschaftsprüfern hat folglich ei-ne enorme Bedeutung für die deutsche Wirtschaft.

Verschärfte gesetzliche Rahmenbedingungen, veränderte Nachfragefaktoren und die Digitalisierung von Geschäftsprozessen drängen die Wirtschaftsprüfer-branche zu einem Paradigmenwechsel: Als Reaktion auf die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise strebt die Europäischen Union (EU) mit der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 (European Parliament 2014b) und der begleitenden Richtlinie 2014/56/EU (European Parliament 2014a) die Reform der Abschlussprüfung in ih-ren Mitgliedsstaaten an. Durch die Transformation in nationales Recht in Form des Abschlussprüfungsreformgesetzes (AReG) sowie des Abschlussprüferauf-sichtsreformgesetzes (APAReG) ist zukünftig mit einer zunehmenden Spannung des Abschlussprüfungsmarkes in Deutschland zu rechnen (BMJV 2015). Kern-punkte dieser Reform betreffen die verpflichtende externe Rotation von Wirt-schaftsprüfern, erweiterte und zeitlichere Berichterstattung sowie verstärkte Quali-täts- und Unabhängigkeitsanforderungen. Im Schrifttum wird zudem der Wandel von einer historischen Abschlussprüfung zu einer kontinuierlichen Prüfungs-dienstleistung diskutiert, die sich vermehrt an Entscheidungsträger von Unterneh-men als an Gläubiger richtet (Elliott 2002). In diesem Zusammenhang ist ein wachsendes Interesse von Unternehmen und Einzelpersonen an frühzeitig veröf-fentlichten Abschlüssen festzustellen (Murthy und Groomer 2004). Infolgedessen liegt die Umsetzung einer kontinuierlichen Prüfungsdienstleistung nicht nur im In-teresse des Unternehmens, das sich einer externen Pflichtprüfung unterziehen muss, sondern auch im Interesse von Investoren und potenziellen Kapitalgebern. Schließlich agieren Wirtschaftsprüfer in einem zunehmend digitalisierten Umfeld, das durch die Automatisierung und Virtualisierung von Geschäftsprozessen, wachsenden Volumen rechnungslegungsrelevanter Daten (Moffitt und Vasarhelyi 2013) und deren jederzeitige Verfügbarkeit und Zugriffsfähigkeit durch Cloud Technologie gekennzeichnet ist (Liu und Vasarhelyi 2014).

Diese veränderten Rahmenbedingungen stellen die Wirtschaftsprüferbranche vor die Herausforderung, die eigenen Dienstleistungsprozesse zu analysieren, um zukünftig deren effiziente und qualitative Ausführung sicherzustellen. Allerdings ist aus wissenschaftlicher Sicht zu konstatieren, dass nur wenige Forschungsarbei-ten die Prozessdimension der Abschlussprüfung beschreiben und die dafür erfor-derlichen Modelle, insbesondere bei der Kernaufgabe, der Durchführung von Prü-fungshandlungen, bislang fehlen.

Gegenstand des vorliegenden Forschungsbeitrags ist die Entwicklung und gra-fische Darstellung von Prozessmodellen unterschiedlicher Prüfungsansätze der Abschlussprüfung. Dazu wurde ein methodischer Rahmen entwickelt, auf dessen Grundlage die Modelle in der Business Process Modeling Notation konstruiert wurden. Die Ergebnisse des Beitrags bieten sowohl für Wissenschaftler als auch Praktiker einen Mehrwert bei der Analyse der Abschlussprüfung: Zum einen wird ein generalisierbarer, methodischer Rahmen zur Konstruktion von Prozessmodel-len für die Abschlussprüfung eingeführt und angewendet. Zum anderen können

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Konstruktion von Prozessmodellen für digitalisierte Prüfungsdienstleistungen 57

die Konstruktionsergebnisse zu einem tieferen Verständnis und einer genaueren Analyse bei der Erstellung und Umsetzung der Prozesse beitragen (Leimeister 2012). Diese Ergebnisse können zudem als Argumentationsgrundlage verwendet werden, um Maßnahmen zur digitalen Transformation von Tätigkeiten bei der Ab-schlussprüfung zu begründen.

Das Papier ist wie folgt aufgebaut: In Abschnitt 2 wird der Stand der Forschung bei der Digitalisierung der Abschlussprüfung in Form eines Stufenmodells be-schrieben. Anschließend wird in Abschnitt 3 der methodische Rahmen zur Kon-struktion vorgestellt und die verwendeten Methoden erläutert. Abschnitt 4 umfasst die Konstruktionsergebnisse in Form von textuellen und grafischen Repräsentatio-nen. Der Beitrag schließt mit einem Fazit und einem Ausblick auf ausstehende Arbeiten in Abschnitt 5.

2 Digitalisierung der Prüfungsprozesse

Die Entwicklung der Abschlussprüfung in Bezug auf Automatisierung und Digita-lisierung lässt sich durch drei wesentliche Stufen beschreiben (vgl. Abb. 1). Als erste Stufe wurde die punktuelle Unterstützung der traditionellen Jahresabschluss-prüfung durch computer-basierte Prüfungswerkzeuge und -techniken identifiziert (engl. computer-assisted audit tools and techniques, CAATTs). Der Einsatz von CAATTs zum Zwecke der Abschlussprüfung und verwandten Dienstleistungen von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, z. B. Betrugserkennungsverfahren oder projektbegleitende Prüfungen, lässt sich seit Mitte der 1970er Jahre in der Litera-tur belegen (Samson 1973; Kunkel 1974; Perry 1975). Im Vordergrund steht dabei insbesondere die Automatisierung von Prüfungshandlungen zur Erlangung von Prüfungsnachweisen. Die Definition von CAATTs variiert von Autor zu Autor und hat sich in den vergangen Jahren stetig verändert (Kiesow et al. 2014). Ent-sprechend Singleton und Flesher (2003) werden CAATTs durch die interne und externe Revision genutzt, um rechnungslegungsrelevante Daten aus den Informa-tionssystemen des Prüfungsmandats zum Zwecke der Prüfung zu verarbeiten. Nach Braun und Davis (2003) hingegen beinhalten CAATTs im weiteren Sinne die Nutzung von allen Informationstechniken, die zur Vervollständigung einer Abschlussprüfung dienen. Insbesondere durch den Einsatz genereller Prüfsoftware (engl. general audit software, GAS) kann die Prüfung von Rechnungslegungsdaten beschleunigt werden. Daher werden in vielen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften CAATTs zur Auswertung von Massendaten bereits standardmäßig eingesetzt (Goldshteyn et al. 2013; Töller und Herde 2012).

Die zweite Stufe ist durch die Weiterentwicklung der traditionellen, ggf. durch CAATTs unterstützte Jahresabschlussprüfung auf Basis historischer Daten, wie z. B. manuelle Aktenprüfung oder Prüfung von Belegen in Stichproben, zu einer kontinuierlichen Prüfung in Echtzeit oder quasi-Echtzeit (engl. continuous audi-ting, CA, Byrnes et al. 2012; CICA/AICPA 1999). Diese Überlegungen sind vor allem durch die Weiterentwicklung von CAATTs zu kontinuierlichen Prüfungsan-

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58 Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas

sätzen gekennzeichnet, bei denen eine automatisierte Auswertung des rechnungs-legungsrelevanten Datenmaterials noch während des Berichtsjahres erreicht wer-den soll. Wesentliche Forschungsbeiträge beschreiben in diesem Zusammenhang die Nutzung von in den Systemen des Mandanten eingebetteten Prüfungsmodulen (engl. embedded audit modules, EAM; Groomer and Murthy, 1989; Vasarhelyi and Halper, 1991) und monitoring control layer (MCL; Vasarhelyi et al. 2004). Mit dieser Weiterentwicklung gehen maßgebliche Veränderungen bei der Ausfüh-rung der Dienstleistung „Abschlussprüfung“ einher: Umverteilung der Arbeitsbe-lastungen vom Jahresabschluss in ein unterjähriges Prüfungsgeschäft, Unabhän-gigkeitsfragestellungen oder die ad-hoc Bearbeitung von automatisch generierten Prüfungsfeststellungen. Bisher konnten kontinuierliche Prüfungsansätze vorwie-gend in individualisierten Einzelszenarien umgesetzt werden (Alles et al. 2008; Shin et al. 2013); eine flächendeckende Verbreitung in der Praxis konnte bislang nicht festgestellt werden.

Traditionelle JAP

IT-gestützte JAP(CAATTs)

Continuous Auditing (EAM, MCL)

Audit-as-a-Service

Digitalisierung

Aut

omat

isie

rung

Stu

fe 1

Stu

fe 2

Stu

fe 3

Traditionelle JAP

IT-gestützte JAP(CAATTs)

Continuous Auditing (EAM, MCL)

Audit-as-a-Service

Abb. 1. Digitale Evolution der Jahresabschlussprüfung (in Anlehnung an Kiesow und Thomas 2016b)

In der jüngeren CA-Literatur werden vermehrt drei Trends und deren Auswir-kungen auf die Abschlussprüfung diskutiert: Digitalisierung, Virtualisierung und Spezialisierung (Liu und Vasarhelyi 2014). Im Kontext der Digitalisierung wer-den dabei insbesondere die Erzeugung und Nutzung rechnungslegungsrelevanter Daten betrachtet. Dabei stehen sowohl die Prüfung von in Echtzeit generierten Massendaten (engl. big data, Alles 2015; Cao et al. 2015; Moffitt und Vasarhelyi 2013) als auch deren Verwendung für prädiktive Analysen (engl. predictive data analysis, big data analytics, Kuenkaikaew und Vasarhelyi 2013; Liu und Vasarhelyi 2014) im Vordergrund. Durch Virtualisierung kann die jederzeitige Verfügbarkeit rechnungslegungsrelevanter Daten und Prüfungsservices ermöglicht werden. Dabei werden in der Literatur sowohl Konzepte zur Prüfung cloud-basierter Buchhaltungssysteme (Doelitzscher et al. 2012; Lins et al. 2015) als auch

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Konstruktion von Prozessmodellen für digitalisierte Prüfungsdienstleistungen 59

cloud-basierte Prüfungsansätze (Subhani und Kent 2015; Abo-Alian et al. 2015) behandelt. Schließlich ist die Auslagerung und Spezialisierung einzelner Audit-Serviceprovider Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen. In Anlehnung an Gilder (2006), der cloud-basierte Datencenter als „Informationsfabriken“ versteht, könnten cloud-basierte Audit-Serviceprovider als „Prüfungsfabriken“ oder „Revi-sionsfabriken“ (vgl. Hölzer und Arendt 2011) angesehen werden. Bezogen auf die Abschlussprüfung als Dienstleistung kann diese dritte Stufe als „Audit-as-a-Service“ zusammengefasst werden. Die drei Stufen sind zusammengefasst in Abb. 1 dargestellt.

3 Methodischer Rahmen der Forschungsarbeit

In der vorliegenden Forschungsarbeit wird der konstruktionsorientierte Modellbe-griff nach Stachowiak zugrunde gelegt, wonach ein Modell eine durch einen Kon-struktionsprozess gestaltete, zweckrelevante Repräsentation eines Objektes dar-stellt (Stachowiak 1973; Thomas 2006). Der Konstruktionsprozess ist im Wesent-lichen an das Klassifikationssystem von Prozessmodellen nach Thomas (2009) angelehnt (vgl. Abb. 2). Der Fokus liegt dabei auf den unterschiedlichen Metho-den zum Erkenntnisgewinn, die sich aus der den jeweiligen Reifegraden der Prü-fungsansätze in Wissenschaft und Praxis ergeben. Wie in Abschnitt 2 beschrieben wurde, lassen sich insgesamt drei Entwicklungsstufen der Abschlussprüfung iden-tifizieren: Traditionelle Jahresabschlussprüfung (Stufe 1), kontinuierliche Prüfung (Stufe 2) und Audit-as-a-Service (Stufe 3). Diese drei Stufen unterscheiden sich sowohl in ihrer wissenschaftlichen Relevanz als auch in der Verbreitung in der Praxis. Aktivitäten der traditionellen Jahresabschlussprüfung, wie z. B. die Prü-fung von Belegen in Stichproben, sind etablierter Bestandteil der Prüfungspraxis und kaum noch Gegenstand von Forschungsbeiträgen. Ansätze zur kontinuierli-chen Prüfung werden zwar seit mehr als 30 Jahren in der Wissenschaft diskutiert, eine Verbreitung in der Praxis konnte aber bislang kaum festgestellt werden. Die Auseinandersetzung mit Audit-as-a-Service, d. h. die Auslagerung von (kontinu-ierlichen) Prüfungsaktivitäten an spezialisierte Datendienstleister und die Virtuali-sierung von Abläufen durch Cloud-Technologie, steht wissenschaftlich und auch praktisch noch am Anfang. Daher wurden unterschiedliche Konstruktionsmetho-den gewählt, die zum Erkenntnisgewinn der für die Modellierung erforderlichen Informationen durchgeführt wurden. Diese sind in den nachfolgenden Unterab-schnitten 3.1 bis 3.3 beschrieben.

Bei der Konstruktion der Modelle handelt es sich durchgängig um Neukon-struktionen, da die erstellten Modelle weder auf vorherigen Versionen aufbauen noch Varianten oder Anpassungen existierender Modelle vorgenommen werden. Der Interaktionsgrad unterscheidet sich bei der Konstruktion der drei Prüfungsan-sätze: Bei der traditionellen Abschlussprüfung wurde die Konstruktion arbeitstei-lig mit den Experten durchgeführt. Dabei wurden die von den Experten genannten Elemente und Funktionen von den Autoren zu einem Gesamtprozess zusammen-

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60 Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas

gefügt. Für Continuous Auditing erfolgte die Konstruktion vollständig individuell, d. h. ohne die Mitwirkung beteiligter Akteure. Bei Audit-as-a-Service wurden die Modelle kollaborativ in Form einer heuristischen Artefaktgestaltung (Gregory und Muntermann 2014) konstruiert. Die Ergebnisse der Konstruktion wurden in die-sem Beitrag sowohl grafisch dargestellt als auch um textuelle Beschreibungen er-gänzt, um eine größtmögliche Anschaulichkeit sicherzustellen (Thomas 2009).

Abb. 2. Methodischer Rahmen der Forschungsarbeit (in Anlehnung an Thomas 2009)

3.1 Experteninterviews

Zur Konstruktion des Prozessmodells der traditionellen Abschlussprüfung wurde ein empirisch-realistischer Ansatz in Form von Experteninterviews gewählt. Die Wahl dieser induktiven Vorgehensweise begründet sich durch die oben beschrie-bene Verbreitung traditioneller Prüfungsmethoden in der Praxis mit einem stark ausgeprägten Reifegrad. Für die gewählte Erhebungsmethode in Form von Exper-teninterviews richtet sich das methodische Vorgehen dieser Arbeit nach der soge-nannten qualitativen Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel (2010). Insgesamt wurden neun Experten befragt, die jeweils mehrjährige Erfahrung in der IT-gestützten Jahresabschlussprüfung aufwiesen. Entsprechend des Interviewansatzes wurden die auszuwertenden Materialien als Text mit einem Suchraster durch-leuchtet und daraus Extraktionsergebnisse gewonnen, die dann analysiert und in-terpretiert wurden. In diesem Fall besteht das auszuwertende Material aus den Transkriptionen der Experteninterviews.

Die Interviews wurden als nichtstandardisierte, leitfadengestützte Interviews durchgeführt, da dadurch der Raum für freie Antworten und Vertiefungen entspre-chend der Expertise der Befragten gegeben wird. Zudem können die Reihenfolge der Fragen variieren und gegebenenfalls abweichende Fragen gestellt werden. Im Ergebnis entsteht ein natürlicher Redefluss zwischen Befragten und Interviewer, sodass sich ein Fokus auf bestimmte Themen legen lässt, die dem Experten als

Continuous Auditing

Audit-as-a-Service

Konstruktionsergebnis(Abschnitt 4)

Induktiv/deduktiv(Literaturanalyse)

Deduktiv(Conceptual Modeling)

Konstruktionsprozess(Abschnitt 3)

Stufe 1

Prüfungsansätze(Abschnitt 2)

Stufe 2

Stufe 3

Traditionelle JAP/CAATTs

Induktiv (Experteninterviews)

Grafische Repräsentation 3

(BPMN)

Grafische Repräsentation 2

(BPMN)

Grafische Repräsentation 1

(BPMN)

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Konstruktion von Prozessmodellen für digitalisierte Prüfungsdienstleistungen 61

wichtig erscheinen (Oates 2005). In der nachfolgenden Tabelle sind Details zu den neun befragten Experten und den Interviews enthalten.

Tabelle 1. Details über Experten und Interviews

Experte Berufserfahrung Grade Standortgröße Interviewzeit 1 9 Jahre Senior Manager ca. 1.700 59,38 min. 2 2 Jahre Consultant ca. 200 36,11 min. 3 8 Jahre Manager ca. 700 41,29 min. 4 3,5 Jahre Senior Consultant ca. 200 55,01 min. 5 19 Jahre Senior Manager ca. 1.700 23,16 min. 6 12 Jahre Director ca. 140 42,04 min. 7 8 Jahre Senior Consultant ca. 500 52,51 min. 8 13 Jahre Manager ca. 500 54,58 min. 9 2,5 Jahre Consultant ca. 500 49,39 min.

3.2 Literaturanalyse

Zu kontinuierlichen Prüfungsansätzen (Stufe 2) existieren zwar umfangreiche Vorarbeiten in der akademischen Wissensbasis, jedoch lassen sich kaum in der Praxis vollständig umgesetzten Systeme identifizieren. Die Autoren dieses Papiers entschieden sich daher, die Prozessmodelle auf Basis des Forschungsstands zu konstruieren. Dazu wurde eine strukturierte Analyse der wissenschaftlichen Lite-ratur entsprechend Webster und Watson (2002) sowie vom Brocke et al. (2015) durchgeführt. Diese Analyse umfasste eine Suche in sechs wissenschaftlichen Da-tenbanken (EbscoHost, SpringerLink, ISI Web ob Knowledge, ACM Digital Library, ScienceDirect sowie Wiley) unter Verwendung der Begriffe {Continuous Assurance}, {Continuous Auditing} und {{Continuous Monitoring}+{Audit}}. Relevanz und Qualität der Artikel wurden unter Berücksichtigung des Publikati-onsmediums und Beurteilung von Titel, Abstract und Schlüsselbegriffen be-stimmt. Nach Durchführung einer Rückwärtssuche auf Basis der in den Artikeln genutzten Referenzen sowie einer Vorwärtssuche anhand der Zitationen bei GoogleScholar wurden insgesamt 94 relevante Artikel zur Analyse identifiziert (vgl. Abb. 3).

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Abb. 3. Literaturanalyse (in Anlehnung an Webster und Watson 2002)

Auf dieser Literaturbasis wurden zwei Kernkonzepte kontinuierlicher Prü-fungsansätze herausgearbeitet, die vorwiegend in der Literatur diskutiert und wei-terentwickelt werden: eingebettete Prüfungsmodule (engl. embedded audit mo-dules, EAM, Groomer und Murthy 1989; Vasarhelyi und Halper 1991; Debreceny et al. 2003, 2005) sowie monitoring control layer (MCL, Vasarhelyi et al. 2004; Kogan et al. 2014). Nach der Analyse der korrespondierenden Papiere wurde der prozessuale Ablauf unter Berücksichtigung der darin beschriebenen Architekturen durchgespielt. Dies war möglich, da die Autoren über entsprechendes Domänen-wissen verfügen.

3.3 Conceptual Modeling

Die Modellkonstruktion der Stufe 3 ist durch die Schwierigkeit gekennzeichnet, dass es sich bei Audit-as-a-Service bislang um einen theoretischen Ansatz handelt, der erst am Anfang der wissenschaftlichen Betrachtung steht und bisher nicht in der Praxis umgesetzt wurde. In diesem Fall sind weder die Ableitung eines Pro-zessmodells anhand leitfadengestützter Experteninterviews noch die Konstruktion auf Basis etablierter Erkenntnisse aus der Wissensbasis anwendbar. Die Autoren dieses Papiers entschieden sich daher, die grafische Repräsentation und deren tex-tuelle Beschreibung durch ein Conceptual Modeling durchzuführen. Dabei wurde Conceptual Modeling als eine Heuristik zur Gestaltung von Artefakten verstanden, die die Entwicklung und das Experimentieren mit unterschiedlichen Typen von Repräsentationen einer Problemlösung beinhaltet und diese grafisch, konzeptionell oder technisch zu einer Lösungskomponente zusammenfasst (Gregory und Muntermann 2014).

Um der Komplexität der Dienstleistung „Abschlussprüfung“ Rechnung zu tra-gen, ist es aus Sicht der Autoren wichtig, die Ansicht von Experten aus der Praxis zu berücksichtigen. Daher wurde das Conceptual Modeling in Form von Eins-zu-Eins-Diskussionen mit je einem Experten in der IT-gestützten Abschlussprüfung und einem Experten im Bereich des Enterprise Architecture Managements durch-geführt, wobei die Experten jeweils eine Berufserfahrung von mehr als zehn Jah-ren aufwiesen und in ihren jeweiligen Unternehmen Führungskräfte sind. Ein zu-

GrundlageSchritt Ergebnis

1.

2.

3.

Literaturdatenbanken Datenbanksuche 52 Artikel

Referenzen aus Artikel in Schritt 1

Zitationen auf Artikel in Schritt 1

Rückwärtssuche

Vorwärtssuche

11 Artikel

31 Artikel

Suchansatz

94 ArtikelVollständige Basis für die Literaturanalyse:

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sammengefasstes Ergebnis dieser Diskussionen war die grundsätzliche Architek-tur eines Audit-as-a-Service-Ansatzes, die jedoch nicht Gegenstand des vorliegen-den Beitrags ist (Kiesow und Thomas 2016). In einem weiteren Schritt wurde an-schließend der prozessuale Ablauf der analytischen Prüfung innerhalb dieser Ar-chitektur und unter Berücksichtigung der Rollen und Aufgabenverteilung im Au-dit-as-a-Service entworfen.

4 Repräsentationen der Prozessmodelle

Zur grafischen Darstellung der Prozessmodelle wurde die Business Process Mo-delling Notation (BPMN) verwendet. BPMN ist eine standardisierte Modellie-rungssprache, die branchenübergreifend bei der Abbildung von Geschäftsprozes-sen angewendet werden kann. Sie kann darüber hinaus zur Analyse unterschiedli-cher Anwendungsdomänen und zur Gestaltung von (IT-)Systemen eingesetzt wer-den. Dabei vereint BPMN Elemente aus verschiedener Geschäftsprozessmodellie-rungssprachen, was eine Wiedererkennung zu anderen Modellierungssprachen zu-lässt und daher zu ihrer intuitiven Anwendung beitragen kann (zur Muehlen und Recker 2008; Dijkman et al. 2008; Leimeister 2012). BPMN basiert zudem auf leicht verständlichen Basiselementen (Event, Activity, Gateway, Swimlane und Flow), was eine leicht verständliche grafische Repräsentation von komplexen Ge-schäftsprozessen und -modellen gestattet. Diese Basiselemente sind variier- und erweiterbar, sodass nötige Elemente entweder spezialisiert oder generalisiert wer-den können. Dies dient sowohl bei der Modellierung und dem Verständnis eines Prozesses als auch bei der informationstechnischen Umsetzung eines Modells (Dijkman et al. 2008; Recker 2010). Zusammengefasst verleiht die Vielzahl an Möglichkeiten und Erweiterungen der Modellierungssprache eine hohe Aus-drucksstärke, was bei der sachgerechten grafischen Repräsentation von Ab-schlussprüfungsprozessen von besonderer Relevanz ist.

4.1 Traditionelle Jahresabschlussprüfung

Grundlegende Voraussetzung und Fundament zur Erfüllung der Dienstleistung „Abschlussprüfung“ sind die fünf Phasen der traditionellen Jahresabschlussprü-fung entsprechend Marten et al. (2015): (1) Auftragsannahme und Prüfungspla-nung, (2) Risikobeurteilung, (3) Prüfungshandlungen zur Erlangung von Prü-fungsnachweisen, (4) Berichterstattung und (5) Dokumentation (vgl. Abb. 4). In dieser Forschungsarbeit wird ausschließlich Phase 3, Prüfungshandlungen zur Er-langung von Prüfungsnachweisen, betrachtet, da diese Phase den Kern der Ab-schlussprüfung darstellt.

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64 Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas

(1) Auftragsannahme

undPrüfungsplanung

(2)Risikobeurteilung

(3)Prüfungshandlungen

zur Erlangung von Prüfungsnachweisen

(4)Berichterstattung

(5)Dokumentation

Abb. 4. Gesamtprozess der Jahresabschlussprüfung (in Anlehnung an Marten et al. 2015)

Die Durchführung von Prüfungshandlungen setzt die unterjährige Verarbei-tung von Geschäftsvorfällen als technische Transaktionen in Rechnungslegungs-systemen voraus. Dieser Vorgang ist daher als separater Teilprozess beim zu prü-fenden Mandanten dargestellt. Der eigentliche Prüfungsprozess beginnt mit der Erteilung des Prüfauftrags. Bei der Prüfungsgesellschaft werden zu Beginn Prü-fungsziele und Prüfungsumfang festgelegt, was maßgeblich durch die Expertise des zuständigen Wirtschaftsprüfers und den Gegebenheiten der Prüfung, wie z. B. Erstprüfung oder Prüfungsumfang, abhängt. Anschließend müssen sowohl die analytischen Nachweisprüfungshandlungen ausgewählt als auch relevante Syste-me und Datenfelder bestimmt werden. Auf dieser Basis werden das Analyseskript erstellt und die Datenanfragen an den Mandanten gestellt.

Die Anfrage wird durch den Mandanten bearbeitet, was die Prüfung auf Mach-barkeit und die Freigabe durch die Dateneigner beinhaltet. Anschließend werden die angeforderten Daten aus den relevanten Systemen exportiert und an die Prü-fungsgesellschaft versendet. Dort werden die Daten in die Prüfsoftware importiert. Darin werden die Daten anhand des im Vorfeld erstellten Skriptes analysiert. Die Beurteilung der Ergebnisse bedarf in der Regel noch die Klärung durch den Man-danten, der in diesem Fall Nachweise nachliefern muss. Wenn noch weitere Prü-fungssicherheit erforderlich ist, müssen noch weitere analytische oder Einzelfall-prüfungshandlungen durchgeführt werden. Andernfalls endet der Prozess. Insge-samt ist der Prozess maßgeblich durch manuelle Tätigkeiten und einem hohen Ab-stimmungsaufwand zwischen Prüfungsgesellschaft und Mandanten in der Ab-schlussprüfung charakterisiert (vgl. Abb. 5).

4.2 Continuous Auditing

Die in der Literatur vorwiegend diskutierten Ansätze zu CA für die externe Revi-sion basieren entweder auf der Implementierung von EAM in den Systemen des Mandanten oder auf der Installation einer MCL-Architektur im Betrieb der Prü-fungsgesellschaft (Kuhn und Sutton 2010). In beiden Fällen bestehen die vorberei-tenden Aktivitäten in der Definition und Implementierung von Prüfungsregeln (EAM) bzw. Relevanzkriterien für die Datenselektion, Prüfungsregeln und Be-trugsmuster (MCL).

Der EAM-Ansatz (vgl. Abb. 6) sieht vor, dass die definierten Prüfregeln in ein separates Modul innerhalb der Rechnungslegungssysteme implementiert werden. Dazu muss mandantenseitig die Umsetzung der Prüfregeln in die technische Aus-wertungslogik erfolgen. Jede Transaktion des Mandanten wird in das EAM gela-

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den und anschließend auf Basis der implementierten Regeln geprüft. Wird ein Fehler identifiziert, wird ein Alarm generiert, der dem Prüfer über eine separate Anwendung, wie z. B. ein Audit-Dashboard, unmittelbar angezeigt wird. Jede kri-tische oder fehlerhafte Transaktion muss zudem aus der Systemumgebung des Mandanten in eine Datenbank kopiert werden, die nicht mehr im Einflussbereich des Mandanten liegt (Prüferdatenbank). Anschließend wird ein Report generiert, auf dessen Grundlage der Wirtschaftsprüfer die Prüfungsergebnisse des EAM be-urteilt und ggf. weitere Nachweise anfordert.

Der EAM-Ansatz bedingt den nahezu uneingeschränkten Zugriff auf die Sys-teme des Mandanten. Um die daraus resultierenden Probleme, wie z. B. Unabhän-gigkeitsfragestellungen, zu vermeiden, wurde mit dem Konzept der MCL eine Ar-chitektur entwickelt, die die Auswertungslogik in den Verantwortungsbereich der Prüfungsgesellschaft legt und die Ergebnisse in Form zeitgesteuerter Reports lie-fert.

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Abb. 5. Erlangung von Prüfungsnachweisen durch analytische Prüfungshandlungen bei der traditionellen Abschlussprüfung mit CAATTs

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Abb. 6. Continuous Auditing durch Embedded Audit Module (in Anlehnung an Vasarhelyi und Halper 1991, Debreceny et al. 2005 sowie Kuhn und Sutton 2010)

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68 Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas

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Abb. 7. Continuous Auditing durch Monitoring Control Layer (in Anlehnung an Vasarhelyi et al. 2004 und Kuhn und Sutton 2010)

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Bei der MCL-Architektur (vgl. Abb. 7) werden die Transkationen regelmäßig, z. B. täglich, aus den Rechnungslegungssystemen exportiert und in die Systeme der Prüfungsgesellschaft übertragen. Nach der Filterung der relevanten Daten und Speicherung über entsprechende Layer werden sowohl die Fehleranalyse als auch die eine Betrugserkennung durchgeführt. In beiden Fällen wird im Falle eines Ein-tretens ein Alarm erzeugt, der den Wirtschaftsprüfer von der Beeinträchtigung in Kenntnis setzt. Auf Basis eines regelmäßig erzeugten Berichts werden anschlie-ßend wieder die Ergebnisse beurteilt.

MCL-Ansätze sind durch einen hohen Implementierungsaufwand bei den Prü-fungsgesellschaften gekennzeichnet und sind üblicherweise nur auf einen Man-danten zugeschnitten. Aufgrund dieser hohen Kosten bei der Implementierung und durch die genannten Herausforderungen der beiden Ansätze ist bislang keine flä-chendeckende Verbreitung von CA-Ansätzen in der Praxis zu beobachten.

4.3 Audit-as-a-Service

Der Ansatz Audit-as-a-Service sieht die Integration eines Datendienstleisters vor, der sich auf die Implementierungs- und Auswertungsaktivitäten der kontinuierli-chen Prüfungsansätze spezialisiert hat (vgl. Abb. 8). Die Beauftragung dieses Dienstleisters erfolgt durch den Mandanten selbst und ist idealerweise durch eine langfristige Geschäftsbeziehung gekennzeichnet. Auch dieser Ansatz erfordert vorbereitende Aktivitäten, die durch die Prüfungsgesellschaft und den Daten-dienstleister durchgeführt werden müssen. Eine wesentliche Voraussetzung ist die Implementierung von Exportskripten durch den Datendienstleister in den relevan-ten Rechnungslegungssystemen des Mandanten. Wie in den im vorherigen Ab-schnitt beschriebenen Ansätzen muss die Prüfungsgesellschaft Auswertungsregeln festlegen, anhand der die Daten geprüft werden können. Datendienstleister können zudem eine Auswahl von Standardauswertungen vorhalten. Diese Auswertungslo-gik wird in einer Auswertungskomponente implementiert, die direkt mit dem zent-ralen Speicherort, dem Audit Datawarehouse, verbunden ist.

Ähnlich zum MCL-Ansatz erfolgt die Übertragung der rechnungslegungsrele-vanten Daten automatisiert und regelmäßig anhand des implementierten Ex-portskriptes. Um die Anschlussfähigkeit an verschiedene Mandanten zu ermögli-chen, wird eine Importroutine benötigt, die die heterogenen Datensätze unter-schiedlicher Mandanten und Systeme in ein strukturgleiches Meta-Datenformat überträgt. Die so harmonisierten Daten werden anschließend in das Audit Data-warehouse übertragen. Die Daten werden anschließend durch die implementierte Auswertungslogik analysiert. Bei der Identifikation eines Fehlers kann ein Alarm auf eine prüferseitige Applikation gesendet werden. In jedem Fall enthält die Prü-fungsgesellschaft einen Report über die ausgewerteten Daten und Ergebnisse.

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70 Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas

Abb. 8. Integration eines Datendienstleisters durch Audit-as-a-Service

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Bei diesem Ansatz ist die Bereitstellung der Dienstleistung in Form einer cloud-basierten Anwendung denkbar. Dabei wird die Anwendung auf den Servern eines zertifizierten Rechenzentrums des Datendienstleisters betrieben und kann über eine Browserapplikation bedient werden. Die Prüfungsgesellschaft kann dar-über die Auswertungslogik einsehen und verändern sowie die Ergebnisse der Da-tenanalysen verfolgen. Ebenso ist auch ein mandantenseitiger Zugang auf die Ap-plikation möglich, über die der Mandant über die Ergebnisse der Auswertungen in Kenntnis gesetzt wird.

Dieser Ansatz ermöglicht die unterjährige und zeitnahe Prüfung der Rech-nungslegung und erfüllt somit die Kriterien einer kontinuierlichen Prüfung. Durch die vollständige Prüfung aller Rechnungslegungsdaten kann eine Vollprüfung er-zielt werden, was das Risiko, wesentliche Fehldarstellungen zu übersehen, stark reduziert. Der Ansatz sichert darüber hinaus die Unabhängigkeit des Prüfers und unterstützt die externe Rotationspflicht, da die einmalig installierten Skripte und Hardware weitergenutzt werden kann. Im Falle einer Rotation sind lediglich die Berechtigungen auf die Daten zu ändern.

5 Fazit und Ausblick

Die Abschlussprüfung durch externe Prüfungsgesellschaften ist eine gleicherma-ßen notwendige wie verpflichtende Dienstleistung, die zunehmend steigenden An-forderungen ausgesetzt ist. Erstmalig wurde in diesem Beitrag die Konstruktion von Prozessmodellen der Abschlussprüfung anhand eines methodischen Rahmens beschrieben. Dabei wurden sowohl die Ansicht von Experten aus der Branche als auch der Stand der Literatur in Prozessmodelle transferiert. Durch die Repräsenta-tion der unterschiedlichen Prüfungsansätze als einheitliche und somit vergleichba-re Ergebnisse eines strukturierten Konstruktionsprozesses, wird eine qualitative Analyse möglich. Diese kann zur Umsetzung kontinuierlicher Prüfungsansätze in der Praxis beitragen. Darüber hinaus wurde mit Audit-as-a-Service ein Ansatz vorgestellt, bei dem repetitive, digitalisierbare Aktivitäten an einen spezialisierten Datendienstleister ausgelagert werden. Die Autoren dieses Beitrags gehen davon aus, dass durch Audit-as-a-Service wesentliche Herausforderungen für die Wirt-schaftsprüferbranche überwunden werden können. Zugleich sind damit jedoch auch Veränderungen bestehender Dienstleistungsprozesse verbunden.

Gegenstand weiterer Forschungsarbeiten sind die Weiterentwicklung und Ana-lyse der dargestellten Prozesse. Insbesondere durch die Evaluation der theoreti-schen Modelle durch Experten erwarten die Autoren einen wesentlichen Erkennt-nisgewinn. Zudem sind die Machbarkeit des Ansatzes, die technische Umsetzung und geeignete Geschäftsmodelle von Audit-as-a-Service zu untersuchen.

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72 Andreas Kiesow, Tim Schomaker und Oliver Thomas

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WPK (2014b) Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer – Aufgaben und Möglichkeiten des Berufsstandes. URL: http://www.wpk.de/uploads/tx_templavoila/WPK-Broschue re_Aufgaben_und_Moeglichkeiten_WP-vBP_01.pdf, abgerufen am 05. Januar 2016

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Teil II: Service Engineering –

Methoden und Werkzeuge

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Methoden der Dienstleistungsmodularisierung – Entwurf eines Ordnungsrahmens zur Systematisierung

Jens Pöppelbuß und Aleksander Lubarski

Die Modularisierung von Dienstleistungen verspricht eine Möglichkeit, dem Di-lemma zwischen der von Kunden eingeforderten Vielfältigkeit und der von Dienst-leistungserbringern gewünschten Kosteneffizienz zu begegnen und wird in den vergangenen Jahren zunehmend in der Dienstleistungsforschung diskutiert. Vo-rangehende Arbeiten haben in diesem Zuge bereits Modularisierungsmethoden aus der Produktion auf Dienstleistungen übertragen, angepasst und weiterentwi-ckelt oder sogar neue dienstleistungsspezifische Methoden entwickelt. Eine Syste-matisierung dieser Methoden hinsichtlich der von ihnen unterstützten Aufgaben und von ihnen zugrunde gelegten unterschiedlichen Modularisierungsprinzipien existiert jedoch bislang nicht. Dieser Beitrag entwickelt daher einen Ordnungs-rahmen zur Systematisierung von Methoden der Dienstleistungsmodularisierung. Existierende Modularisierungsmethoden werden mit seiner Hilfe eingeordnet. Die hierdurch geschaffene Methodenübersicht verdeutlicht die Heterogenität existie-render Methoden hinsichtlich ihrer Prämissen und Ziele. Sie zeigt außerdem auf, dass weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf besteht, um sämtliche Phasen der Modularisierung noch besser methodisch zu unterstützen.

1 Einleitung

Der Megatrend der Individualisierung zwingt Unternehmen dazu, ihren an-spruchsvollen und heterogenen Kunden immer stärker auf Einzelsituationen zuge-schnittene Produkte und Dienstleistungen anbieten zu können (Bask et al. 2011b). Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es aber gleichermaßen notwendig, interne Prozesse zu standardisieren (Böttcher und Klingner 2011) und die Varian-tenvielfalt von Leistungen auf ein wirtschaftliches Maß zu begrenzen. Das Kon-zept der Modularisierung bietet für dieses Dilemma eine mögliche Lösung, da es eine breite Marktabdeckung durch eine genügend große Zahl von Leistungsvarian-ten bei gleichzeitig geringen Kosten verspricht (Pekkarinen und Ulkuniemi 2008).

Das Konzept der Modularisierung hat seinen Ursprung in der Produktion und wird darüber hinaus auch seit Jahrzehnten in der Softwareentwicklung angewandt.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_4

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Methoden der Dienstleistungsmodularisierung 77

Die Anwendung dieses Konzepts auf Dienstleistungen befindet sich hingegen so-wohl in der akademischen Diskussion als auch in der Praxis noch in einer frühen Phase (Carlborg und Kindström 2014). Existierende Arbeiten diskutieren das Konzept der Modularisierung von Dienstleistungen im Allgemeinen (Bask et al. 2010; Lin et al. 2010; Pekkarinen und Ulkuniemi 2008). Es gibt außerdem erste Literaturanalysen (Dörbecker und Böhmann 2013; Tuunanen et al. 2012) sowie Fallstudien zu den Potenzialen und Umsetzungsstrategien (Bask et al. 2011a; Böhmann und Loser 2005; Carlborg und Kindström 2014). Darüber hinaus wer-den Methoden zur Modularisierung aus der Produktion übertragen und neue Me-thoden entwickelt (Dörbecker et al. 2014; Peters und Leimeister 2013).

Diese wertvollen Beiträge scheinen bislang die breite Anwendung des Modula-risierungskonzeptes in der Dienstleistungspraxis noch nicht zu stimulieren. Auch wenn einzelne Modularisierungsmethoden schon vorgestellt und ihre Nutzbarkeit in Fallstudien praktisch demonstriert wurden (Dörbecker et al. 2014; Peters und Leimeister 2013), so wird deutlich, dass sie jeweils für sich in der Regel nur Teil-bereiche von Modularisierungsinitiativen unterstützen können (z. B. Dekompositi-on, Strukturierung von Elementen bzw. Komponenten oder Modulbildung). Sie gehen zum Teil auch von Voraussetzungen aus, die in Unternehmen nicht zwangs-läufig vorzufinden sind (z. B. bereits definierte und voneinander abgegrenzte Leis-tungsbestandteile oder eine umfassende Transparenz über Dienstleistungsprozes-se). Es fehlt bislang auch ein umfassender Überblick, welche Schritte im Rahmen von Modularisierungsinitiativen wie aufeinander folgen und welche Methoden sich jeweils zur Unterstützung anbieten.

Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel dieses Beitrags, einen Ordnungsrahmen für die Einordnung existierender Methoden zur Modularisierung zu entwickeln. Hierdurch erhalten Praktiker einen Überblick über wesentliche Phasen und For-men der Dienstleitungsmodularisierung, der sie dabei unterstützt, geeignete Me-thoden für eine praktische Umsetzung auszuwählen. Wissenschaftlern kann der Ordnungsrahmen als Orientierungshilfe dienen, um zu bestimmen, wo weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf besteht. Die Entwicklung des Ordnungs-rahmens erfolgte in einem iterativen Prozess und basiert auf einer Analyse existie-render Modularisierungsmethoden.

Der nachfolgende Teil dieses Beitrags ist wie folgt strukturiert. Im zweiten Ka-pitel wird kurz auf Besonderheiten der Dienstleistungsmodularisierung eingegan-gen und deren Implikation für Modularisierungsmethoden diskutiert. Das dritte Kapitel erläutert das Vorgehen zur Entwicklung des Ordnungsrahmens, der an-schließend im vierten Kapitel detailliert beschrieben wird. Das fünfte Kapitel il-lustriert die Anwendung des Ordnungsrahmens anhand einer Einordnung von Mo-dularisierungsmethoden. Der Beitrag schließt mit einem Fazit (Kapitel 6).

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2 Dienstleistungsmodularisierung

Unter Modularisierung wird ein Design-Prinzip verstanden, bei dem ein komple-xes Produkt aus mehreren Teilprodukten (Modulen) besteht, die unabhängig von-einander weiterentwickelt und ersetzt werden können, ohne dass das gesamte Sys-tem beeinflusst würde (Baldwin und Clark 2000). Bisher hat die Modularisierung hauptsächlich bei der Entwicklung von Produkten (z. B. zur Ermöglichung konfi-gurierbarer Fahrzeuge, welche der Kunde ausgehend von seinen Präferenzen „zu-sammenbauen“ kann) und der Softwareentwicklung (z. B. Customizing von An-wendungssystemen und größeren Softwarepaketen) Anwendung gefunden (Voss und Hsuan 2009). Zu den möglichen Vorteilen der Modularisierung zählen unter anderem die Wiederverwendbarkeit einzelner Komponenten für zukünftige Ent-wicklungen (Carlborg und Kindström 2014), schnellere Produktentwicklung (Böttcher und Klingner 2011), Skalen- und Verbundeffekte (Tuunanen et al. 2012) sowie eine verbesserte Kosteneffizienz im Allgemeinen (Bask et al. 2011b).

Unternehmen des Dienstleistungssektors stehen in ähnlicher Weise wie Sach-guthersteller vor der Herausforderung, zunehmend individuelle Kundenwünsche möglichst effizient zu erfüllen. Allerdings können die Prinzipien der Produktmo-dularisierung offenbar nicht ohne Anpassungen auf Dienstleistungen angewendet werden, was sich zum Großteil auf die spezifischen Charakteristika von Dienst-leistungen zurückführen lässt. Zum einen sind Dienstleistungen immateriell und können nicht vorproduziert bzw. vorgelagert werden, wie es oft in der modularen Produktion der Fall ist (de Blok et al. 2010). Zum anderen macht ihre Prozessnatur sowie die enge Zusammenarbeit zwischen dem Anbieter und dem Kunden (als so-genannter externer Faktor) es schwierig, Dienstleistungen uneingeschränkt aufzu-teilen (Bask et al. 2010) und standardisierte Schnittstellen zwischen einzelnen Modulen zu definieren (Lin und Pekkarinen 2011). Die Notwendigkeit der Anpas-sung von Modularisierungsmethoden aus der Produktion für Dienstleistungen und die gezielte Entwicklung neuer Methoden zur Dienstleistungsmodularisierung wurde bereits in der Wissenschaft diskutiert (Lin und Pekkarinen 2011; Pekkari-nen und Ulkuniemi 2008; Peters und Leimeister 2013). Allerdings erscheint es bisher unklar, welche Schritte genau im Rahmen einer Modularisierungsinitiative durchlaufen werden müssen und welche Anwendungsvoraussetzungen (Inputs, wie z. B. bereits eine Liste mit identifizierten Elementen bzw. Basiskomponenten) und Ergebnisse (Outputs, wie z. B. Module als Zusammenfassungen von Elemen-ten) zu erwarten sind. Viele der bisherigen Publikationen haben nur einzelne Teil-aufgaben adressiert, was die Notwendigkeit einer Systematisierung existierender Methoden verdeutlicht.

3 Vorgehen

Der Ausgangspunkt der Ordnungsrahmenentwicklung ist eine Literaturrecherche im Bereich der Dienstleistungsmodularisierung, insbesondere im Hinblick auf

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Methoden der Dienstleistungsmodularisierung 79

Modularisierungsmethoden. Bei der Suche nach passenden Publikationen und bei der Entwicklung des Ordnungsrahmens wurde ein hermeneutisches Vorgehen ge-wählt, das sich an den Empfehlungen von Boell und Cecez-Kecmanovic (2014) orientiert. Die Idee des hermeneutischen Vorgehens ist es, dass ein Forschungs-vorhaben (z. B. Literaturrecherche, Konzeptentwicklung) als ein iterativer Prozess (sogenannter hermeneutischer Zirkel) durchgeführt wird, bei dem das ursprüngli-che Verständnis der Forscher sich mit jeder Iteration verfeinert, bis das Ergebnis ausgereift ist. Abb. 1 verdeutlicht das konkrete Vorgehen zur Entwicklung des Ordnungsrahmens und der Einordnung der Methoden.

Abb. 1. Vorgehen zur Entwicklung des Ordnungsrahmens

Für die Literaturrecherche wurden gängige Datenbanken (ISI Web of Know-ledge, Google Scholar, EBSCO, Science Direct, Elsevier and JSTOR) nach rele-vanten Journal- und Konferenzpublikationen durchsucht. Bei der Suche nach den Publikationen wurde der Suchbegriff „service“ in Kombination mit weiteren Suchbegriffen wie „modularity“, „module“ und „modular“ sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache benutzt. Ergänzend wurden Vorwärts- und die Rückwärtssuchen ausgehend von identifizierten und als relevant eingeschätzten Publikationen vorgenommen sowie weitere Suchen mit neuen Begriffen aus den identifizierten Publikationen durchgeführt. Obwohl es das Hauptziel war, Metho-den zur Modularisierung von Dienstleistungen zu identifizieren, wurden auch sol-che Methoden aus der Produktmodularisierung berücksichtigt, für die ein Potenzi-al zur Anwendung auf Dienstleistungen vermutet wurde (z. B. durch geeignete Anpassungen wie der Definition alternativer Bewertungskriterien). Es wurden an-dererseits nur solche Publikationen berücksichtigt, deren Hauptbeitrag eine tat-sächliche Methode bzw. eine Handlungsanweisung für die Modularisierung war. So wurden bspw. die Beiträge von Carlborg und Kindström (2014) oder Bask et al. (2011b) nicht in die Analyse eingeschlossen, da sie lediglich eine Einordnung bzw. Klassifizierung von Modularisierungsstrategien präsentieren. Als Ergebnis

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80 Jens Pöppelbuß und Aleksander Lubarski

konnten insgesamt elf Methoden identifiziert werden, die in Tabelle 1 dargestellt sind.

Tabelle 1. Identifizierte Modularisierungsmethoden

Quelle Bezeichnung Beschreibung Browning (2001), Corsten und Salewski (2013)

Design Struc-ture Matrix (DSM)

Eine DSM erfasst Abhängigkeiten zwischen einzelnen (standardisierten) Leistungselementen, aus denen sich das betrachtete Produkt bzw. die betrachtete Dienstleis-tung zusammensetzt. Diese Abhängigkeiten werden an-hand ihrer Stärke bewertet und in einer symmetrischen Matrix (n x n) notiert.

Dörbecker et al. (2014)

Multiple Do-main Matrix (MDM)

MDM ist eine Erweiterung von DSM, bei der verschie-dene Domänen integriert werden. MDM besteht aus ei-ner beliebigen Anzahl von DSM (Beschreibung der Elemente einer Domäne, also n x n) und DMM (Bezie-hung der Elemente von zwei verschiedenen Domänen, also n x m).

Böttcher et al. (2011), Klingner und Becker (2014)

Service- Metamodell und Konfigu-rationsgraph

Das Service-Metamodell beschreibt die Struktur von Dienstleistungsmodellen, um die Modellierung und Konfiguration von Dienstleistungen softwaretechnisch zu unterstützen. Verschiedene Konnektortypen sowie mögliche logische und zeitliche Abhängigkeiten von Dienstleistungskomponenten werden definiert. Der dar-aus ableitbare Konfigurationsgraph gibt eine strukturier-te Übersicht über die Module sowie ihrer logischen und temporalen Abhängigkeiten, sodass der Kunde seine in-dividuelle Dienstleistung bzw. Dienstleistungsprozess konfigurieren kann.

Erixon (1996) Modular Function Deployment (MFD)

Die Methode gruppiert einzelne Produktelemente an-hand ihrer Funktionen in Module. Dafür wird zuerst das komplexe Produkt in Elemente zerlegt und anschließend anhand zwölf vordefinierter Kriterien bewertet.

Geum et al. (2012)

Modified House of Quality

Die Methode ist eine Erweiterung des MFD, indem diese mit dem Konzept des House of Quality (HoQ) kombi-niert wird. Die Bedürfnisse von Kunden werden in funk-tionale Anforderungen übertragen und mit den relevan-ten Kriterien (sowohl für den Produkt als auch Dienst-leistungsbereich) bewertet.

Ho et al. (2009) Interaction Graph

Die Interaktion ergibt sich aus der Häufigkeit des Auf-rufs von Service-Elementen untereinander. Cluster bzw. Module ergeben sich einer möglichst geringen Interakti-on zwischen Modulen (Coupling) und einer hohen Inter-aktion der Elemente innerhalb eines Moduls (Cohesion).

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Methoden der Dienstleistungsmodularisierung 81

Quelle Bezeichnung Beschreibung Hölttä (2003) Modularizing

using Den-dograms

Für jedes Produkt wird eine funktionale Struktur (mit den Inputs und Outputs für jedes Element) erstellt und als eine Black-Box notiert. Um ähnliche Black-Boxes zu identifizieren, werden Input- bzw. Outputgrößen auf Ähnlichkeiten geprüft bzw. miteinander (quantitativ) verglichen.

Li et al. (2012) Module Partition Pro-cess

Die Methode modularisiert ausgehend von den Kunden-anforderungen zunächst separat Dienstleistungs- und Produktanteile, um diese anschließend in ein Integrated-Service-Product (ISP) zusammenzuführen.

Lin und Pekka-rinen (2011)

Quality Func-tion Deploy-ment with House of Quality

Die Dienstleistungserbringung wird in drei Ebenen auf-geteilt wird und mit Hilfe des House of Quality auf allen drei Ebenen parallel modularisiert.

Peters und Leimeister (2013)

TM3 TM3 wurde speziell für telemedizinische Dienste entwi-ckelt und beschreibt ein Vorgehensmodell mit fünf Pha-sen für den ganzen Modularisierungsprozess.

Stone et al. (2000)

Function Structure Heuristic

Die Methode sieht vor, dass die Modulbildung anhand relevanter Flüsse (z. B. Energiefluss, Materialfluss) getä-tigt wird. Die Funktionen, die über diese Flüsse verbun-den sind, werden mit Hilfe von drei Heuristiken in un-abhängige Module zusammengefasst.

4 Ordnungsrahmen

Der Ordnungsrahmen zur Einordnung von Methoden zur Dienstleistungsmodula-risierung umfasst zwei Dimensionen. Die erste Dimension beschreibt den Prozess zu einer modularen Dienstleistungsarchitektur, während die zweite Dimension be-schreibt, wie dieses Ergebnis grundsätzlich strukturiert ist. Übergeordnet darge-stellt ist die Festlegung der Modularisierungsziele und -reichweite, die Umfang und Art der Ausführung der Phasen sowie die angestrebte Strukturierung beein-flussen.

Die erste Dimension unterscheidet verschiedene Phasen, die im Rahmen von Initiativen zur modularen Gestaltung von Dienstleistungsangeboten durchlaufen werden, beginnend mit der Informationssammlung über das gegebenenfalls schon existierende Dienstleistungsportfolio und/oder Kundenbedarfe bis hin zum Testen des Modulbaukastens, der die definierten Module sowie Regeln und Schnittstellen zur Modulkombination umfasst. Die zweite Dimension unterscheidet zwischen verschiedenen Strukturierungsformen der Module. Aus der produzierenden Indust-rie bekannt sind vor allem logische Strukturen, bei denen der Aufbau von Produk-ten aus seinen Komponenten beschrieben wird, wie z. B. bei einer Stückliste. Aus der im Dienstleistungssektor besonders relevanten Prozessperspektive ergibt sich hingegen eine temporale Struktur, d. h. Module befinden sich in einer zeitlichen

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Ordnung zueinander. Prozessmodule bzw. Teilprozesse folgen aufeinander und es bestehen Vorgänger-Nachfolger-Beziehungen. Diese ersten beiden Strukturie-rungsformen lassen sich in einer Analogie zur Aufbau- und Ablauforganisation in der Organisationsgestaltung verstehen. Komplexe Strukturen kombinieren schließ-lich mehrere dieser zuvor genannten Strukturen miteinander, d. h. mehrere logi-sche Strukturen, mehrere temporale Strukturen oder logische und temporale Struk-turen. Abb. 2 gibt einen Überblick über diesen Ordnungsrahmen, dessen Aufbau nachfolgend im Detail beschrieben wird.

Abb. 2. Ordnungsrahmen zur Einordnung von Methoden der Dienstleistungsmodularisie-rung

4.1 Modularisierungsziele und -reichweite

Der Ordnungsrahmen verweist auf Modularisierungsziele und eine Modularisie-rungsreichweite, die den Ablauf und das Ergebnis von Initiativen zur Dienstleis-tungsmodularisierung in Unternehmen und anderen Organisationen beeinflussen. Bei den Modularisierungszielen lassen sich im Wesentlichen zwei übergeordnete Ziele und damit verbundene Modularisierungsstrategien differenzieren. Dies ist zum einen die effizienzgetriebene Modularisierung, die zum Ziel hat, die mit dem Angebot von variantenreichen Dienstleistungen verbundenen Kosten zu minimie-ren, z. B. durch eine bessere Ressourcenauslastung. Verbunden mit dieser Zielset-zung ist in der Regel auch eine Reduzierung auf eine notwendige Menge von standardisierten Leistungsbestandteilen bzw. Teilprozessen, aus denen sich die nachgefragten Leistungsbündel bzw. Erbringungsprozesse kundenspezifisch kon-figurieren lassen. Zum anderen kann das Ziel aber auch ein marktorientiertes Va-riantenmanagement sein, das vor allem das Ausschöpfen bisher nicht erreichter Marktpotenziale zum Ziel hat (Krebs und Ranze 2015). Mit einer vorher nicht vorhandenen Variantenvielfalt sollen bspw. neue Kundengruppen erschlossen

Informationen erheben Dekomposition Strukturierung Modulbildung Testen

Definition der Modul-

beziehungen

Logische Struktur

TemporaleStruktur

KomplexeStruktur

Dienstleistungs-modelle Elemente

Element-struktur

Konfigurierbare Module

(Baukasten)Module

Einzelne Dienstleistung (DL)

Teilmenge des DL-Portfolios

GesamtesDL-Portofolio

Effizienzorientiert

Marktorientiert

Modularisierungsreichweite

Modularisierungs-ziele

Modularisierungsziele und -reichweite

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Methoden der Dienstleistungsmodularisierung 83

werden. Hinsichtlich der Modularisierungsreichweite ist zu unterscheiden, wel-cher Teil und Umfang des Dienstleistungsportfolios der Organisation zum Gegen-stand der Modularisierungsinitiative wird. Hier gilt es zum einen, durch die Modu-larisierung Synergien zu ermöglichen, die über die Grenzen einzelner bestehender Dienstleistungsangebote hinausgehen. Gleichzeitig ist es notwendig und sinnvoll, sich auf besonders dringliche oder erfolgsversprechende Teilbereiche zu be-schränken, um die Machbarkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit der Modularisie-rungsbemühungen zu gewährleisten bzw. zu erhöhen.

4.2 Phasen der modularen Gestaltung von Dienstleistungen

Die erste Dimension umfasst die sechs Phasen (1) Informationssammlung, (2) De-komposition, (3) Strukturierung, (4) Modulbildung, (5) Definition der Modulbe-ziehungen und (6) Testen. Im Ordnungsrahmen sind darüber hinaus die Outputs der Phasen genannt, die wiederum als Inputs für die folgenden Phasen dienen. Die genannten sechs Phasen orientieren sich an der Modularisierungsmethode TM3, die von Peters und Leimeister (2013) für die Telemedizin als Anwendungsfeld entwickelt wurde und in diesem Beitrag auf Basis weiterer gesichteter Modulari-sierungsmethoden erweitert und verfeinert wurde.1

Die Phase Informationssammlung dient der Erfassung des Status Quo im Sinne des existierenden Dienstleistungsangebots und der Dienstleistungserbringungspro-zesse einerseits sowie der Identifikation des Kundenbedarfs nach verschiedenen Dienstleistungsvarianten andererseits. Zur Erhebung der Informationen bieten sich Methoden der qualitativen Forschung an, wie z. B. Interviews, Beobachtungen und Analysen von Dokumenten und Daten (Peters und Leimeister 2013). Das Ergebnis dieser ersten Phase sind Dokumentationen und Dienstleistungsmodelle, die in Di-agrammen und Texten festgehalten sein können. Aus der Analyse des bisherigen Dienstleistungsangebots entsteht ein Dienstleistungskatalog, der eine Übersicht über die angebotenen Leistungen und Leistungsvariationen liefert. Aus der Erhe-bung von Dienstleistungserbringungsprozessen entstehen Prozessmodelle, die die zeitliche Abfolge von Aktivitäten und die Zuordnung von Aktivitäten zu Ressour-cen darstellen (z. B. in der Form von Service-Blueprints oder Prozessmodellen in der EPK-Notation oder BPMN). Derartige Modelle dokumentieren als sogenannte Ist-Modelle den Status Quo. Aus der Identifikation des Kundenbedarfs können darüber hinaus sogenannte Soll-Modelle abgeleitet werden, die die vom Kunden nachgefragten Dienstleistungsvarianten darstellen und als ein Zielbild für die Mo-dularisierungsbemühungen dienen können. Dienstleistungsvarianten können sich

1 TM3 umfasst ursprünglich die fünf Phasen (1) Status Capturing, (2) Decomposition, (3)

Matrix Generation, (4) Interface Specification und (5) Testing. Die im hier vorgestellten Ordnungsrahmen explizit ausgewiesene Phase der Modulbildung ist in der TM3-Methode ein Teil der Matrix Generation (Peters und Leimeister 2013).

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sowohl auf unterschiedliche Leistungsumfänge als auch auf variierende Erbrin-gungsprozesse beziehen.

Die Phase Dekomposition widmet sich der Aufschlüsselung der zuvor gesam-melten Informationen in ihre Elemente auf einer detaillierteren Betrachtungsebe-ne. Die Elemente bilden letztlich die kleinsten Einheiten, aus denen im weiteren Verlauf Module gebildet werden können. Leistungen aus dem Leistungskatalog werden im Sinne einer Stückliste in ihre Bestandteile gegliedert, wie z. B. eine Pkw-Inspektion in Ölwechsel, Sicherheitscheck und Filterwechsel. Prozesse wer-den analog in ihre Teilprozesse oder Aktivitäten zerlegt (Lin und Pekkarinen 2011). Ebenso lassen sich Kundenbedarfe in detailliertere Anforderungen überset-zen (Geum et al. 2012). Das Ergebnis dieser Phase ist eine Menge von Elementen (z. B. Leistungskomponenten, Aktivitäten oder Kundenanforderungen).

In der Phase Strukturierung werden die zuvor identifizierten Elemente anhand einer oder mehrerer Beschreibungsdimensionen sortiert und Zusammenhänge zwi-schen den Elementen beschrieben. Elemente lassen sich z. B. in Matrizen sich selbst gegenüberstellen (Corsten Salewski 2013), um deren Verbindungs- oder In-teraktionsstärke untereinander aufzuzeigen. Diese Zusammenhänge werden in der Regel bewertet, entweder durch ein qualitatives Ranking (z. B. in „schwach“, „stark“, irrelevant“) oder quantitativ (z. B. auf der Skala von 0 bis 10). Elemente lassen sich auch anhand vorgegebener Attribute in verschiedene Klassen zuordnen (automatisierte Aktivität vs. manuelle Aktivität, Verwendung bestimmter Res-sourcen, Kundenkontakt ja/nein, etc.). Das Ergebnis ist eine Elementstruktur, bspw. in Form einer Matrix oder als eine Klassifikation, die einzelne Elemente zu-einander in Beziehung setzt bzw. voneinander abgrenzt (Browning 2001; Corsten und Salewski 2013; Dörbecker et al. 2014). Die Elementstruktur kann sich aus verschiedenen Matrizen oder Klassifikationen zusammensetzen, wenn verschiede-ne Attribute zur Beschreibung der Elemente verwendet werden. In diesen Fällen handelt es sich um eine komplexe Struktur. Es ist jedoch zu beachten, dass durch das Hinzufügen neuer Beschreibungsdimensionen die Komplexität der Element-struktur in der Regel überproportional steigt, was insbesondere für eine mathema-tische Modulbildung in der nächsten Phase zu Komplexitätsproblemen führen kann (Dörbecker et al. 2014).

Die Phase Modulbildung baut auf der Elementstruktur auf. Sie hat zum Ziel, die Elemente, die einen starken Zusammenhang bzw. eine starke Interaktion aufwei-sen, zu Modulen mit einer hohen inneren Kohärenz zusammenzufassen (Ho et al. 2009). Entsprechend der Grundidee der Modularisierung sollen die entstehenden Module gleichzeitig möglichst unabhängig von anderen Modulen sein. Für die Modulbildung kommen häufig Cluster-Algorithmen zum Einsatz (Hölttä et al. 2003). Möglich sind auch heuristische (Stone et al. 2000) bzw. rein subjektive Zu-sammenfassungen von Elementen zu Modulen, die auf Expertenwissen beruhen oder durch Card-Sorting-Übungen (auch unter der Einbindung von Kunden) her-geleitet werden können (Kohlborn und Poeppelbuss 2013). In diesem Zusammen-hang ist zu überlegen, welche Anzahl an Modulen angestrebt wird, damit die neue Architektur weder zu übermäßig großen und wenig differenzierten Modulen führt

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noch zu feingliedrig wird. Bei ersterem Ansatz würden alle Elemente zu einem oder nur wenigen verschiedenen Modulen zugeordnet. Theoretisch können auch Elemente eins zu eins ohne weitere Zusammenfassung in Module umdefiniert werden, was dann zu einem sehr feingliedrigen Ergebnis führt. Einen Anhalts-punkt hierzu liefern Dörbecker et al. (2014), die abhängig von dem gewünschten Granularitätsgrad verschiedene Szenarien vorstellen, die einen Einfluss auf die Anzahl der Module haben. Das Ergebnis dieser Phase ist ein Set von Modulen, die jeweils aus Elementen bestehen.

In der Phase der Definition der Modulbeziehungen wird festgelegt, wie sich Dienstleistungen bzw. Dienstleistungsbündel auf Basis der zuvor gebildeten Mo-dule konfigurieren lassen. Es lassen sich Platzhalter definieren, für die zwischen verschiedenen Modulalternativen zu wählen ist. Bestimmte Module können sich gegenseitig bedingen oder ausschließen (Böttcher und Klingner 2011; Erixon 1996). Bestimmte Pakete oder Kombinationen von Modulen können mit besonde-ren Merkmalen versehen werden (wie sogenannte Flatrates oder Paketpreise). Zu dieser Phase zählt auch die Definition von Schnittstellen, die die Kombination be-stimmter Module erst ermöglicht (vgl. auch die Phase 4 „Interface Specification“ der TM3-Methode von Peters und Leimeister 2013). Hierbei ist sicherzustellen, dass die Outputs eines Moduls kompatibel mit den erwarteten Inputs anschließen-der Module sind. Das Ergebnis dieser Phase ist ein Modulbaukasten, der aus kon-figurierbaren Modulen mit definierten Schnittstellen und Konfigurationsregeln be-steht.

Die abschließende Phase umfasst das Testen des geschaffenen Modulbaukas-tens. Hierbei ist zu überprüfen, ob die Verwendung der Module unter Berücksich-tigung der definierten Schnittstellen und Konfigurationsregeln zu gültigen und sinnvollen Lösungen führt und gleichzeitig nicht gewünschte Konfigurationen ef-fektiv ausgeschlossen werden. Darüber hinaus ist zu evaluieren, ob sich durch die Schaffung des modularen Baukastens tatsächlich auch Verbesserungen in der Ef-fektivität und Effizienz des Vertriebs sowie der Erbringung von Dienstleistungen ergeben. Dies kann bspw. daran überprüft werden, ob sich die benötigte Zeit für die Angebotserstellung oder der Ressourcenbedarf für die Dienstleistungserbrin-gung im Vergleich zum anfangs erhobenen Status Quo verringern lassen oder ob die ermittelten Kundenbedarfe angemessen durch die möglichen Konfigurationen abgedeckt werden.

Die dargestellten Phasen stellen in ihrer Reihenfolge einen idealtypischen Pro-zess dar, der sich aus den insgesamt elf betrachteten Methoden in ihrer Gesamtheit ableiten lässt. Es ist davon auszugehen, dass in der Praxis Phasen ausgelassen werden sowie Rücksprünge oder Iterationen im Rahmen von Modularisierungsini-tiativen vorkommen. Auch ein Einstieg in fortgeschrittene Phasen oder ein vorzei-tiger Abbruch sind denkbar. Ein Beispiel hierfür wäre es, wenn ein Unternehmen bereits einen sehr feingliedrigen und komplexen Leistungskatalog vorliegen hat, den es mit Hilfe von Modulen einfacher und für Kunden ggf. besser verständlich präsentieren möchte. Die Phase der Dekomposition wird möglicherweise nur dann durchlaufen, wenn bisherige eher monolithisch gestaltete Dienstleistungsangebote

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in eine modulare Dienstleistungsarchitektur überführt werden sollen, aber nicht, wenn neue Dienstleistungsmodule gemäß Kundenanforderungen von Grund auf neugestaltet werden können (Böttcher und Klingner 2011). Des Weiteren ist zu beachten, dass die sechs Phasen auch über die in Abb. 2 dargestellten Output-Input-Beziehungen hinausgehend voneinander abhängig sind. Die Elementstruk-tur, die in der Phase Strukturierung entsteht, stützt sich bspw. auf die Informatio-nen, die im Rahmen der Phase Informationssammlung erhoben wurden. Ist eine bestimmte Art der Elementstruktur in den Modularisierungszielen definiert wor-den, ergeben sich hieraus auch Anforderungen an die Informationssammlung.

4.3 Strukturierungsformen

Die zweite Dimension unterscheidet verschiedene Strukturierungsformen, die be-schreiben, nach welchem Grundprinzip die betrachteten Dienstleistungen modul-arisiert werden sollen. Basierend auf der verbreiteten Unterscheidung zwischen Produkt- und Prozessmodularisierung differenziert der Ordnungsrahmen zunächst zwischen einer logischen und einer temporalen Struktur. Analog unterscheiden auch Böttcher und Klingner (2011) zwischen logischen und temporalen Abhän-gigkeiten von Leistungsbestandteilen, die bei der Modularisierung von Dienstleis-tungen zu berücksichtigen sind. Eine komplexe Struktur ergibt sich aus der Kom-bination mehrerer dieser zuvor genannten Strukturen (vgl. Abb. 3).

Abb. 3. Unterscheidung der Strukturierungsformen

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Methoden der Dienstleistungsmodularisierung 87

Logische Strukturen lassen sich analog zu den aus der Produktion bekannten Stücklisten in der Regel als Baumstrukturen darstellen. Sie geben Auskunft dar-über, welche Elemente Teil eines übergeordneten Elements (bzw. Komponente, Gruppe oder Modul) sind. Auch Matrizen, die die Beziehungen zwischen Leis-tungsbestandteilen (von Sach- oder Dienstleistungen) oder zwischen Organisatio-nen, Organisationseinheiten und Ressourcen anhand eines Kriteriums (wie bspw. Koordinationsaufwand zwischen Aktivitäten in Corsten und Salewski 2013) ab-bilden, werden als logische Strukturen angesehen.

Temporale Strukturen definieren zeitliche Abfolgen von Aktivitäten und/oder Ereignissen. Sie lassen sich mit Hilfe von Flussdiagrammen, Petri-Netzen oder spezifischen Prozessmodellierungssprachen wie EPK oder BPMN 2.0 darstellen (vgl. auch die auf BPMN 2.0 basierende domänenspezifische Prozessmodellie-rungssprache in Peters und Leimeister 2013). Grundlegend für diese Art von Strukturen ist es, dass Vorgänger-Nachfolger-Beziehungen definiert werden.

Komplexe Strukturen ergeben sich aus der Kombination verschiedener logi-scher und/oder temporaler Strukturen. Hierdurch wird eine multidimensionale Analyse der zu Modulen zusammenzufassenden Elemente ermöglicht. Böttcher und Klingner (2011) ergänzen zum Beispiel eine Baumstruktur, die Leistungs-komponenten in ihre Elemente gliedert, um zusätzliche logische und temporale Abhängigkeiten. Dörbecker et al. (2014) kombinieren mit Hilfe einer Multiple Domain Matrix (MDM) eine Ressourcen- und eine Prozessdimension.

5 Einordnung existierender Methoden

Existierende Modularisierungsmethoden lassen sich mit Hilfe des Ordnungsrah-mens systematisieren. Hierdurch kann verdeutlicht werden, welche Phasen von Modularisierungsinitiativen sie unterstützen und welche Strukturierungsform sie zugrunde legen. Abb. 4 zeigt eine Einordnung der elf Methoden, die auch als Aus-gangsbasis für die Entwicklung des Ordnungsrahmens dienten. Eine Einordnung hinsichtlich der Modularisierungsziele und -reichweite erfolgt nicht, da die gesich-teten Modularisierungsmethoden hierzu in der Regel keine detaillierten Angaben machen bzw. von einer allgemeinen Anwendbarkeit ausgehen.

5.1 Einordnung nach Phasen

Hinsichtlich der Phasen wird deutlich, dass nur zwei der Methoden bereits eine Unterstützung in der Phase Informationssammlung bieten. Das Service-Meta-modell und die TM3-Methode setzen hierbei einen Fokus auf den Prozessfluss der Dienstleistungserbringung (Klingner und Becker 2014; Peters und Leimeister 2013), während die Methode Quality Function Deployment with House of Quality den Ausgangspunkt bei der Ermittlung der Kundenanforderungen sieht (Lin und Pekkarinen 2011).

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Es sind nur insgesamt fünf Methoden, die bereits die Dekomposition von zuvor monolithisch gestalteten Leistungen in ihre Elemente unterstützen. Klingner und Becker (2014) skizzieren bspw. auf Basis ihres Service-Metamodells und unter Anwendung der Workflow-Patterns (van der Aalst et al. 2003) einen Ansatz, mit dem ausgehend von Prozessmodellen monolithische Dienstleistungen in kleinere, funktional abgegrenzte Komponenten zergliedert werden können. Zusätzlich zu den drei zuvor genannten Methoden dienen auch die Function Structure Heuristics (Stone et al. 2000) und der Module Partition Process (Li et al. 2012) der Dekom-position von Produkten und Dienstleistungen.

Abb. 4. Einordnung von Methoden zur Dienstleistungsmodularisierung

Alle betrachteten Methoden unterstützen die Phase der Strukturierung. Das be-deutet, dass sie allesamt die Möglichkeit bieten, Beziehungen zwischen zuvor identifizierten Elementen abzubilden. Beispiele hierfür sind die Design Structure Matrix (DSM) zur Darstellung des Koordinationsbedarfs zwischen verschiedenen Aktivitäten (Corsten et al. Salewski 2013) oder die hierarchische Strukturierung von Elementen anhand verschiedener Abstraktionsebenen wie bspw. Dienstleis-tungsmodul, Prozessmodul und Aktivitätsmodul (Lin und Pekkarinen 2011).

Einzelne der Methoden wie die DSM und MDM bieten lediglich die Möglich-keit der strukturierten Darstellung von Elementbeziehungen und verweisen dann in der Regel auf Algorithmen, die zur anschließenden Modulbildung genutzt wer-den können (wie Algorithmen zur Clusterbildung). Die Mehrzahl der betrachteten Methoden gibt aber zumindest Hinweise, wie aus den strukturiert dargestellten

Informationen erheben Dekomposition Strukturierung Modulbildung Testen

Definition der Modul-

beziehungen

Logische Struktur

TemporaleStruktur

KomplexeStruktur

Dienstleistungs-modelle Elemente

Element-struktur

Konfigurierbare Module

(Baukasten)Module

Modularisierungsziele und -reichweite

DSM

MDM

Konfigurations-graphService-Metamodell

Interaction Graph

Modified House of Quality

Quality Function Deployment with House of Quality

Module Partition Process

TM3

Function Structure Heuristic

Modularizing using Dendograms

Modular Function Deployment

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Methoden der Dienstleistungsmodularisierung 89

Elementen (Elementstruktur) in einem weiteren Schritt Module gebildet werden können. Die TM3-Methode schlägt verschiedene Kriterien vor, die bei der Modul-bildung berücksichtigt werden können, wie die Notwendigkeit von bestimmten Räumlichkeiten, Geräten, Wissen oder Kundenintegration für die Durchführung von Aktivitäten. Bei der Modular Function Deployment ergibt sich die Anzahl der Methode rein rechnerisch aus der Anzahl der Elemente. Die Module werden dann durch die qualitative Bewertung von Elementen anhand einer vordefinierten Liste von Modultreibern (engl. „module driver“) gebildet (Erixon 1996).

Mit dem Konfigurationsgraph (Böttcher und Klingner 2011) widmet sich eine Methode gezielt der Definition von Modulbeziehungen. Sie bietet eine diagramm-basierte Notation, mit der sich logische und temporale Beziehungen von Dienst-leistungsmodulen darstellen lassen und den Rahmen für mögliche Konfigurationen von Modulen zu Dienstleistungen darstellen. Die grundlegende Strukturierung fußt auf dem bereits zuvor genannten Service-Metamodell (Klingner und Becker 2014) und ist daher in der gleichen Zeile innerhalb des Ordnungsrahmens darge-stellt. In der TM3-Methode ist in dieser Phase die Gestaltung von Schnittstellen (Interfaces) zwischen Modulen mit Hilfe definierter Inputs und Outputs vorgese-hen (Peters und Leimeister 2013).

TM3 und Modular Function Deployment sind die beiden einzigen Methoden, die abschließend auf die Notwendigkeit des Testens der gebildeten Module und ih-rer Schnittstellen hinweisen, jedoch ohne konkrete Testverfahren zu nennen.

5.2 Einordnung nach Strukturierungsformen

Die dargestellten Methoden legen unterschiedliche Strukturierungsformen zu-grunde, die sowohl auf die Outputs als auch die Inputs der jeweils durch sie abge-deckt Phasen einen Einfluss haben. Der Ordnungsrahmen unterscheidet hier zwi-schen einer logischen, temporalen oder komplexen Struktur.

Als typisches Beispiel für eine eindimensionale logische Strukturierung kann die besonders populäre DSM gelten, bei der ein Set von Elementen sich selbst ge-genübergestellt wird und die Zusammenhänge zwischen den Elementen anhand einer gewählten Dimension bewertet werden, wie bspw. der Koordinationsauf-wand (Corsten und Salewski 2013). Der Interaction Graph nach Ho et al. (2009) beruht auf der Häufigkeit, wie oft sich Elemente gegenseitig aufrufen.

Als Repräsentanten einer weitgehend rein temporalen Strukturierung lassen sich die TM3-Methode und die Function Structure Heuristic interpretieren, da die-se die Modellierung und Analyse von (Prozess-)Flüssen in den Vordergrund rü-cken, bei denen verschiedene Aktivitäten oder Funktionen in Vorgänger- und Nachfolgerbeziehungen grafisch dargestellt werden und als Ausgangspunkt für die Modulbildung dienen.

Besonders verbreitet sind jedoch komplexe Strukturierungen, bei denen ver-schiedene Beschreibungsdimensionen kombiniert werden, mit Hilfe derer Elemen-te zu Modulen gruppiert werden. Bei der Anwendung und Evaluation der Multiple Domain Matrix (MDM) durch Dörbecker et al. (2014) wurden die Prozessdomäne

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90 Jens Pöppelbuß und Aleksander Lubarski

und die Ressourcendomäne miteinander kombiniert. Der Konfigurationsgraph bil-det gleichermaßen sowohl logische als auch temporale Abhängigkeiten von Ele-menten bzw. Modulen gemeinsam in einem Diagramm ab (Böttcher und Klingner 2011). Bei der Modular Function Deployment sind es insgesamt zwölf verschie-dene Modultreiber, anhand derer Elemente bewertet werden (Erixon 1996).

6 Fazit und Ausblick

Der vorliegende Beitrag präsentiert einen umfassenden Ordnungsrahmen zur Ein-ordnung und Unterscheidung von Methoden zur Dienstleistungsmodularisierung und bietet damit einen wertvollen Beitrag zur Systematisierung existierender Ar-beiten in diesem Forschungsfeld, das insbesondere in den vergangenen zehn Jah-ren eine wachsende Beachtung im Rahmen der Dienstleistungsforschung gefunden hat und sich weiterhin dynamisch entwickelt. Der Ordnungsrahmen verdeutlicht die Komplexität und den Umfang der Aufgaben, die mit Modularisierungsinitiati-ven verbunden sind. Die vorgenommene Einordnung von Methoden zeigt, dass die dargestellten existierenden Methoden zum Großteil nur Teilbereiche unterstützen und somit in der Regel eine Kombination von verschiedenen Methoden im Rah-men von Modularisierungsinitiativen in Unternehmen notwendig sein wird. Für die Auswahl von Methoden durch Praktiker bietet der Ordnungsrahmen eine Ori-entierungshilfe. Für Wissenschaftler bietet er eine Landkarte zur Verortung zu-künftiger Forschungs- und Entwicklungsvorhaben.

Der in diesem Beitrag vorgeschlagene Ordnungsrahmen versteht sich als Ent-wurf, der Gegenstand weiterer Diskussionen und Verbesserungen sein wird. Es ist anzunehmen, dass es zusätzliche Arbeiten gibt, die sich mit der Modularisierung von Dienstleistungen oder einzelnen Phasen (wie z. B. Veröffentlichungen zu Ser-vice Decomposition aus einer Marketing-Perspektive) beschäftigen, die bei der hier dargestellten Entwicklung des Ordnungsrahmens bislang nicht oder nicht aus-reichend berücksichtigt wurden. Die Auswahl der zu berücksichtigen Dimensio-nen (Phasen und Strukturierungsformen) sowie die jeweils zu unterscheidenden Ausprägungen (sechs Phasen und drei Strukturierungsformen) basieren auf einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit existierenden Modularisierungsmethoden. Beide Dimensionen stellen zudem Weiterentwicklungen etablierter Arbeiten dar: Die Phasen basieren auf der TM3-Methode von Peters und Leimeister (2013) und die Strukturierungsformen beruhen auf der Unterscheidung von logischen und temporalen Abhängigkeiten nach Böttcher und Klingner (2011). Jedoch erwies sich gerade die Abgrenzung zwischen logischen und temporalen Strukturen häufig als nicht leicht, da auch bei Prozessen, die zunächst eine Orientierung anhand temporaler Abhängigkeiten nahelegen, mitunter eine rein logische Aufteilung in Teilprozesse erfolgt und temporale Abhängigkeiten letztlich ganz vernachlässigt werden (Corsten und Salewski 2013; Lin und Pekkarinen 2011). Die Gestaltung des Ordnungsrahmens sowie die Einordnung der Methoden unterliegen dement-sprechend auch subjektiven Einflüssen der Autoren, so dass andere Wissenschaft-

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Methoden der Dienstleistungsmodularisierung 91

ler möglicherweise zu einer abweichenden Strukturierung des vorliegenden Me-thodenportfolios gelangen würden. Dieser Beitrag hat daher das explizite Ziel, die Dimensionen des vorgeschlagenen Ordnungsrahmens einer kritischen Diskussion zu unterziehen. Möglicherweise bieten sich auch weitere Dimensionen neben den Phasen und den Strukturierungsphasen für eine Systematisierung von Modularisie-rungsmethoden an, die im Ordnungsrahmen zu ergänzen wären. Die kritische Prü-fung und Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens wird dementsprechend auch als wesentlicher Forschungsbedarf für die Zukunft angesehen.

Darüber hinaus ergibt sich weiterer Forschungsbedarf aus der Einordnung der untersuchten Methoden. Offenbar wird die Phase der Strukturierung als Hauptauf-gabe von Modularisierungsmethoden gesehen, jedoch fassen viele Wissenschaftler auch vorhergehende oder nachfolgende Phasen als wichtige Aufgabenbereiche auf, die methodisch zu unterstützen sind. Weiterer Diskussionsbedarf besteht da-her einerseits in der Frage, was im engeren Sinne unter Dienstleistungsmodulari-sierung zu verstehen ist und wie sich das von angrenzenden Aufgabenbereichen abgrenzen lässt. Andererseits bietet es sich an, bisher eher schwach adressierte Phasen wie die Definition von Modulbeziehungen und das Testen stärker zu durchdringen und hierfür bessere Methodenunterstützung zu entwickeln.

Danksagung. Wir danken der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH und dem Land Bremen für die Förderung des Forschungsvorhabens „BakerStreet – Baukastenstrategien für Industrienahe Dienstleistungen“ (Förderkennzeichen: FUE0576B). Das Forschungsvor-haben erfolgt in Kooperation mit sowie durch weitere finanzielle Unterstützung der enco-way GmbH, Bremen.

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Eine Methode zur ex-ante Bestimmung des adäquaten Detaillierungsgrades in der Prozessmodellierung

Volker Nissen und Torsten Gollhardt

Eine der Zielstellungen des Consulting Research (Nissen 2007) ist die anwen-dungsnahe und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Entwicklung von Methoden, die in Praxisprojekten der Unternehmensberatung eingesetzt werden können. Trotz der großen Bedeutung der Prozessmodellierung im Kontext von Beratungs-projekten gibt es hinsichtlich einiger grundlegender Aspekte der Modellierung bisher kaum methodische Unterstützung. Dies betrifft auch die Frage, wie detail-liert ein Prozess sinnvollerweise modelliert werden sollte. Unternehmensberater entscheiden dies heute mit ihren Kunden meist unter Rückgriff auf Intuition und einschlägige Erfahrungen. Viele Geschäftsprozessmodelle müssen später nach-träglich bearbeitet werden, weil der Frage nach dem richtigen Detaillierungsgrad im Vorfeld nur sporadisch oder gar nicht nachgegangen wurde. Im vorliegenden Beitrag wird daher die Forschungsfrage untersucht, welche im Vorhinein messba-ren Faktoren den adäquaten Detaillierungsgrad beeinflussen. Auf dieser Basis wird eine Methode entwickelt, wie dieser im konkreten Anwendungsfall ex-ante systematisch und weitgehend objektiviert ermittelt werden kann. Als Mehrwert dieser Methode sind beispielsweise der notwendige Zeit- und Ressourcenbedarf in Beratungsprojekten mit Modellierungsanteil oder reinen Modellierungsprojekten deutlich besser abzuschätzen. Auch Akzeptanz und Verständlichkeit der Prozess-modelle können positiv beeinflusst werden. Die grundsätzliche Eignung der vorge-schlagenen Methode wird anhand einer Fallstudie und durch Expertenbefragung belegt.

1 Motivation und Einordnung in das Forschungsfeld Consulting Research

Unternehmensberater helfen Kunden im Rahmen ihres professionellen Dienstleis-tungsangebotes, betriebswirtschaftlich motivierte Problemstellungen zu lösen (Nissen 2007). Dies setzt normalerweise einen Knowhow-Vorsprung auf Seiten der Berater voraus. Während hierbei übertragbare Erfahrungen aus vergleichbaren früheren Projekten häufig eine Rolle spielen (Maister 2003), ist es oft auch über-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_5

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 95

legenes Methodenwissen, mit dem Berater die Kunden unterstützen und von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugen wollen. Mit Bezug auf die IT-nahe Unternehmens-beratung hat man erst in jüngster Zeit begonnen, sich wissenschaftlich mit der Me-thodenentwicklung und –anwendung in Beratungskontexten zu beschäftigen (Nis-sen 2010, Drews und Janßen 2014). Gleichzeitig erfordern die zunehmende Pro-fessionalisierung der Beratungskunden bei Beraterauswahl und -einsatz (Mohe 2003) sowie die zunehmende Konkurrenz durch Freelancer und Anbieter aus Bil-liglohnländern (Nissen 2013), dass Beratungsanbieter sich ihrerseits weiter profes-sionalisieren. In dieser Situation will das Consulting Research (Nissen 2007) un-terstützen, beispielsweise durch die praxisnahe und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Entwicklung von Methoden, die in Beratungsprojekten eingesetzt wer-den können (Shugan 2004).

Kurz gefasst soll unter dem Begriff Consulting Research die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Dienstleistung Unternehmensberatung, den Beratungsun-ternehmen als Organisationen und dem Beratungsmarkt mit seinen verschiedenen Teilnehmern auf Anbieter- und Nachfragerseite verstanden werden. Consulting Research hat zwei zentrale Anliegen (Nissen 2007). Erstens, die wissenschaftliche Durchdringung des Themas Unternehmensberatung, wobei der von einzelnen Be-ratungsprojekten abstrahierende wissenschaftliche Erkenntnisgewinn im Mittel-punkt steht. Zweitens, die Entwicklung und Übertragung wissenschaftlicher Theo-rien, Erkenntnisse und Methoden auf die unternehmerische Praxis mit dem Ziel, Aufgabenstellungen und Probleme im Umfeld von Beratungsprozessen und Bera-tungsunternehmen besser zu lösen. Das letztere Ziel entspringt dem Verständnis der Betriebswirtschaftslehre nach Heinen (1991) als angewandte Sozialwissen-schaft, die neben einer theoretischen Erklärungsfunktion auch eine praktische Ge-staltungsaufgabe zu erfüllen hat, indem sie den Entscheidungsträgern in Unter-nehmen konkrete Hilfestellungen gibt.

Eine in vielen Beratungsprojekten wiederkehrende Aufgabenstellung betrifft die Modellierung von Unternehmensprozessen mit geeigneten Werkzeugen (z. B. ARIS Platform) und Notationen (z. B. ereignisgesteuerten Prozessketten). Die Modellierungszwecke sind vielfältig und reichen von der Unterstützung einer Qualitätsmanagement-Zertifizierung über die Prozessanalyse und -verbesserung, Schulungszwecke und Simulation bis hin zur Vorbereitung der Auswahl und Ein-führung von Unternehmenssoftware. Trotz dieser großen Bedeutung der Prozess-modellierung gibt es hinsichtlich einiger grundlegender Fragen der Modellierung bisher kaum methodische Unterstützung. Dies betrifft auch die Frage, wie detail-liert ein Prozess sinnvollerweise modelliert werden sollte. Unternehmensberater entscheiden dies heute mit ihren Kunden meist unter Rückgriff auf Intuition und einschlägige Erfahrungen. So formulieren beispielsweise Jeanneret et al. (2012, 1): „a modeler must rely on his experience and his feelings to decide how much and which detail is worth being modeled. This may result in models at the wrong level of abstraction (…)“. Gleichzeitig betonen diese Autoren, dass der Modellie-rungszweck maßgeblichen Einfluss auf die zweckmäßige Wahl des Ab-straktionslevels hat. Doch sind noch viele weitere Einflussfaktoren vorstellbar,

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96 Volker Nissen und Torsten Gollhardt

von denen letztlich abhängt, was der adäquate Detaillierungsgrad (DetGrad) eines Prozessmodells im gegebenen Kontext ist. In der Praxis müssen Geschäftspro-zessmodelle oft nachträglich bearbeitet werden, weil der Frage nach dem adäqua-ten DetGrad im Vorfeld nur sporadisch oder gar nicht nachgegangen wurde.

Die Auswahl der adäquaten Modelldetaillierung ist heute eines der zentralen Probleme der Prozessmodellierung (Indulska et al. 2009, Gadatsch 2010). Zur Lö-sung dieser Problemstellung existieren in der Literatur bisher nur wenige Empfeh-lungen. Im vorliegenden Beitrag wird daher die Forschungsfrage untersucht, wel-che im Vorhinein messbaren Faktoren den adäquaten DetGrad beeinflussen. Auf dieser Basis werden Richtlinien vorgeschlagen, wie der adäquate DetGrad im konkreten Anwendungsfall ex-ante systematisch und weitgehend objektiviert er-mittelt werden kann. Dabei werden zwei frühere Vorschläge (Termer et al. 2012, Nissen et al. 2014) zu diesem Thema aufgegriffen und in synergetischer Form verbunden und ergänzt.

Als Mehrwert dieser Methode sind einerseits der notwendige Zeit- und Res-sourcenbedarf in Beratungsprojekten mit Modellierungsanteil oder reinen Model-lierungsprojekten deutlich besser abzuschätzen. In vielen Fällen lassen sich die (Folge)Kosten für Kunden voraussichtlich sogar senken, da spätere Ergänzungen und Nachbesserungen durch zunächst falsche Einschätzung des notwendigen DetGrades unwahrscheinlicher werden. Ferner ist anzunehmen, dass Akzeptanz und Verständlichkeit der Prozessmodelle durch die methodengestützte Ermittlung des adäquaten DetGrads steigen (Indulska et al. 2009, Gadatsch 2010).

2 Begriffliche Grundlagen

Ein Prozess stellt gemäß Rosemann (1996) „[…] die inhaltlich abgeschlossene, zeitliche und sachlogische Abfolge der Funktionen dar, die zur Bearbeitung eines betriebswirtschaftlichen relevanten Objekts ausgeführt werden.“ Die Bestimmung eines adäquaten DetGrads von Prozessmodellen ist eine grundlegende Frage der Geschäftsprozessmodellierung, die beispielsweise aus den Grundsätzen ordnungs-gemäßer Modellierung von Becker et al. (1995) abgeleitet werden kann. So stehen sich insbesondere die Grundsätze der Relevanz (Modellumfang) und der Wirt-schaftlichkeit (Modellierungsaufwand) bei der Erstellung eines Prozessmodells limitierend gegenüber.

In der Fachliteratur über die Prozessmodellierung wird häufig ein adäquater DetGrad gefordert, ohne aber eine konkrete Empfehlung zur Bestimmung dieses DetGrad zu geben (Termer et al. 2012). Es finden sich meist nur Aussagen zur hierarchischen Untergliederung von Prozessen in verfeinerte Teilprozesse. Die Hierarchisierung von Prozessmodellen wird gern synonym mit dem Begriff des Detaillierungsgrades verwendet. Andere mögliche Aspekte der Detaillierung, wie etwa ergänzende Informationsobjekte oder die Anreicherung der Prozesselemente mit Attributinformationen werden selten thematisiert.

Page 115: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 97

Die Prozesstiefe beschreibt in diesem Kontext, über wie viele Ebenen ein Pro-zess zerlegt wird, bis der benötigte DetGrad erreicht ist. Die Prozessbreite gibt an, wie viele Systemzustände durch die Modellierung abgedeckt sind. Je mehr (Spezi-al-)Fälle modelliert sind, desto höher ist die Prozessbreite (Nissen et al. 2014, Ro-semann 1996). Als Prozesslänge wird hier der Umfang des Prozessmodells bei gleichbleibender Prozesstiefe und -breite bezeichnet.

Nachfolgend findet zunächst eine Einordnung in den Forschungsansatz des De-sign Science Research (DSR) statt. Anschließend werden zwei Vorgängerarbeiten, welche den derzeitigen State-of-Art repräsentieren, kurz vorgestellt und kritisch diskutiert. Auf dieser Basis wird dann eine neue Methode abgeleitet, welche die Stärken der beiden Vorgänger kombiniert, aber deren Schwächen weitestgehend vermeidet. Diese neue Methode wird im Rahmen einer Fallstudie beispielhaft an-gewendet und anschließend mittels Delphi-Studie evaluiert. Der Beitrag schließt mit einem systematischen Vergleich der drei betrachteten Methoden, einem kriti-schen Fazit sowie dem Ausblick auf weiteren, teilweise bereits in Bearbeitung be-findlichen Forschungsbedarf.

3 Forschungsmethodik

Die zu entwickelnde Methode stellt ein Artefakt im Sinne Hevners (2004) dar. Der Arbeit liegt die Design Science Research Methodology (DSRM) nach Peffers et al. (2008) zugrunde. Diese Methodik besteht aus den sechs, in Abb. 1 dargestell-ten, Schritten, die an unterschiedlichen Stellen abgebrochen oder erneut begonnen bzw. iteriert werden können.

Abb. 1. Design Science Research Methodology (in Anlehnung an Peffers et al. 2008)

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98 Volker Nissen und Torsten Gollhardt

Unser Ausgangspunkt ist das Problem, im konkreten Projekt den Detaillie-rungsgrad hinsichtlich Prozesstiefe und Prozessbreite sowie ergänzender Be-schreibungselemente (Attribute, Informationsobjekte) angemessen zu wählen. Durch das angestrebte Artefakt (Methode) soll es möglich werden, den DetGrad der Prozessmodellierung im konkreten Anwendungsfall richtig zu wählen. Diese Fragestellung ist für die Beratungs- und Modellierungspraxis relevant, weil der gewählte DetGrad maßgeblich die Kosten der Modellierung, die Eignung des Mo-dells für die gewählte Zielsetzung und letztlich auch den Zeitbedarf für die Model-lierung beeinflusst (Gaddatsch 2010).

Unsere Designtätigkeit beruht wesentlich auf einer systematischen Analyse der Stärken und Schwächen zweier früherer Vorschläge zum gleichen Thema in der Literatur. Eine zielführende Synthese und Ergänzung der beiden bisherigen Lö-sungsmethoden ermöglicht es, im neu geschaffenen Artefakt die Stärken der bei-den bisherigen Methoden zu kombinieren und deren Schwächen weitgehend zu kompensieren.

Wir demonstrieren die Anwendbarkeit und den Nutzen des Artefakts anhand eines beispielhaften Anwendungsszenarios. Die weitere Evaluation der Methode geschieht durch eine Delphi-Studie als eine spezielle Methode der strukturierten Expertenbefragung (Ammon 2009). Methodisch wird diese Delphi-Studie durch-geführt, um Expertenmeinungen und ein Gruppenurteil zu der vorgeschlagenen neuen Methodik zu erfassen und daraus Informationen über die Eignung und An-passungsbedarfe des Artefakts zu gewinnen. Bei der Gestaltung und Durchführung der Delphi-Studie orientieren wir uns an Häder und Häder (2000) sowie Häder (2014). Die konkrete Fragengestaltung und Datenerhebung erfolgt in Anlehnung an Empfehlungen von Bortz und Döring (2006).

Die breitere Evaluation unseres Vorschlages muss zukünftigen Arbeiten und praktischen Anwendungen in der Beratungs- und Modellierungspraxis vorbehalten bleiben. Dieser Beitrag stellt unseren Versuch dar, die bisherigen Ergebnisse in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu kommunizieren.

4 Vorgängerarbeiten

4.1 Überblick

Eine ausführliche Literaturanalyse zum Thema ist in Nissen et al. (2014) beschrie-ben. Darauf aufbauend ergab eine Aktualisierung dieser Literatursuche, dass im gegebenen Themengebiet zwei Methoden den aktuellen Stand der Forschung dar-stellen, die nachfolgend in kurzer Form beschrieben und anschließend hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen analysiert werden. Die erste Methode von Termer, Nissen und Wessels ist im Aufsatz von Termer et al. (2012) sowie ergänzend der unveröffentlichten Arbeit von Wessels (2012) dokumentiert.

Unter der Annahme, dass der adäquate DetGrad in Abhängigkeit des Modellie-rungszwecks bestimmt werden kann (Becker et al. 1995), liegt der Schwerpunkt

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 99

dieser Methode auf der Forschungsfrage, welcher DetGrad in Abhängigkeit vom jeweiligen Modellierungszweck sinnvoll ist und welche Aspekte bezüglich der Modellierung hierbei zu differenzieren sind.

In der zweiten Arbeit von Nissen, Termer und Heyn (2014) wird dagegen nicht davon ausgegangen, dass der adäquate DetGrad allein durch den Modellierungs-zweck zu bestimmen ist. Vielmehr ist die Frage zu beantworten, von welchen Fak-toren der adäquate DetGrad abhängig ist und wie infolgedessen dieser DetGrad ex-ante bestimmt werden kann, wenn die Werte der Einflussfaktoren ermittelt sind.

Die vorliegende Arbeit knüpft an diese zwei Vorarbeiten an, indem beide Me-thoden synergetisch verknüpft werden. Der Schwerpunkt der Darstellungen liegt dabei auf der Beschreibung, Demonstration und Evaluierung dieser neuen Metho-de. Bezüglich der Vorgängerarbeiten kann hier aus Platzgründen nur ein Grund-verständnis für die nachfolgende Stärken-/Schwächen-Analyse vermittelt werden. Für weitergehende Details wird auf die angegebene Literatur verwiesen.

4.2 Methode nach Termer, Nissen und Wessels (2012)

Termer et al. (2012) orientieren sich im Wesentlichen an den Modellierungszwe-cken, um den adäquaten DetGrad der Modellierung ex-ante zu bestimmen. Basis sind von Rosemann et al. (2012) identifizierte Einsatzzwecke von Prozessmodel-len. Ferner leiten die Autoren weitere Modellierungszwecke aus der entsprechen-den Literatur ab und unterscheiden gemäß Rosemann et al. (2012) zwischen den Kategorien Organisationsgestaltung und Anwendungssystemgestaltung. Die Zwe-cke werden anschließend auf ähnliche Anforderungen und Eigenschaften unter-sucht.

Als Einflussfaktoren werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit sowie der Relevanz aus den „Grundsätzen ordnungsmäßiger Modellierung“ betrachtet. Fer-ner werden dazu exemplarisch fachliche Kriterien aufgezählt (vgl. hierzu Tabelle 1), die je nach Ausprägung einen niedrigeren bzw. höheren DetGrad benötigen.

Tabelle 1. Fachliche Einflussfaktoren auf den adäquaten Detaillierungsgrad von Prozess-modellen (Termer et al. 2012)

Wirtschaftlichkeit Relevanz Flexibilität Automatisierbarkeit Dynamik, Änderungshäufigkeit Wettbewerbsrelevanz Strukturiertheit Wissens- und Datenintensität Ausführungshäufigkeit Domäne Perspektive

Wesentliche Tendenzen sind bei Automatisierbarkeit, Wettbewerbsrelevanz, Strukturiertheit und Häufigkeit erkennbar, die eher für einen höheren DetGrad sprechen. Ferner argumentieren Flexibilität und Dynamik wiederum für einen niedrigeren DetGrad. Bei Wissens- und Datenintensität, Domäne und Perspektive

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100 Volker Nissen und Torsten Gollhardt

sind entsprechende Aussagen nicht direkt ableitbar und müssen im Einzelnen überprüft werden. So sind bspw. implizites und explizites Wissen zu differenzie-ren, weil sie den DetGrad verschieden beeinflussen (Termer et al. 2012).

Die Methode ist an die Gewichtung der ARIS-Beschreibungssichten (Scheer 2001) durch Speck und Schnetgöke (2012) angelehnt. Um den adäquaten DetGrad der Prozessmodelle systematisch bewerten zu können, entwickeln Termer et al. (2012) ein Bewertungsschema, das aus vier grundlegenden Dimensionen besteht. Zum einen können Prozesstiefe und -breite bzgl. des DetGrads abgestuft werden. Zum anderen ist es möglich, Aussagen zu Informationsobjekten und Attributen zu treffen. Um das Modell beherrschbar zu machen, wird bei Informationsobjekten und Attributen auf eine hierarchische Detaillierung verzichtet und deren Ausprä-gungen nur aufgelistet. Das Ergebnis ist in Abb. 2 dargestellt.

Bei Prozesstiefe und -breite werden mithilfe unterschiedlicher Farbgebung der empfohlene MindestDetGrad (dunkel) sowie der MaximalDetGrad (hell) angege-ben. Im Beispiel ist also die Prozesstiefe mindestens auf Stufe 3 und somit auf der Ebene der Arbeitsvorgänge zu detaillieren, maximal ist eine Detaillierung sogar bis auf Stufe 5 und somit auf der Ebene der Elementartätigkeiten sinnvoll. In der Spalte Informationsobjekte findet sich in den Kästen aus Platzgründen die Kurz-bezeichnung der im Modell zu detaillierenden Informationsobjekte. Die Bezeich-nung ORG im Beispiel bezeichnet Organisationseinheiten. In der Attributspalte stehen wiederum stellvertretende Bezeichner für Attributkategorien (hier beispiel-haft Kennzahlen), die mehrere Attributfelder und ihre Ausprägungen zusammen-fassen. Die Attribute und Informationsobjekte können, wie im Beispiel ersichtlich, auch eingeklammert dargestellt werden, um zu kennzeichnen, dass die Modellie-rung dieser Details als optional bewertet wird.

Die differenzierten und ausgewählten Modellierungszwecke werden in Wessels (2012) anhand der identifizierten Einflussfaktoren diskutiert und in das genannte Bewertungsschema übertragen.

Abb. 2. Beispielhafte Bewertung der Modellierungsaspekte (Termer et al. 2012)

4.3 Methode nach Nissen, Termer und Heyn (2014)

Die Arbeit von Nissen, Termer und Heyn (2014) stellt eine Weiterentwicklung der eben dargestellten Methodik mit etwas anderem Fokus dar. Erstens klammern die Autoren die Prozesslänge, den Informationsgehalt und die Attributierung aus, da bei diesen keine detaillierten Aussagen ex-ante getroffen werden können (Nissen et al. 2014, Rosemann 1996).

Zweitens wird der adäquate DetGrad nun anhand dreier Einflussfaktoren be-stimmt: fachliche Kriterien, Modellzweck und Rahmenbedingungen. Fachliche Kriterien beschreiben die Eigenschaften von Prozessen. Insofern wird festgelegt,

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 101

welche inhaltlichen Aspekte das Prozessmodell aufweisen muss. Der Zweck gibt an, mit welcher Zielstellung das Geschäftsprozessmodell erstellt wird. Mithilfe der Rahmenbedingungen werden externe Umstände bei der Modellierung erfasst.

Die Autoren identifizieren unterschiedliche Faktoren aus der Literatur und be-schreiben deren generellen Einfluss auf den adäquaten DetGrad. Dabei werden die folgenden fachlichen Kriterien hinsichtlich des zu modellierenden Prozesses be-schrieben: Strukturiertheit, Ausführungshäufigkeit, Automatisierung, Änderungs-frequenz, Flexibilität, Wissensintensität, Daten- und Informationsintensität, Si-cherheitsaspekte, Anzahl der Auslöse- und Bereitstellungsereignisse, Ressourcen-verwendung und Vorhandensein von Prozesskennzahlen. Diese werden unter-schiedlich stark gewichtet. Zudem werden die tendenziellen Auswirkungen unter-schiedlicher Ausprägungen auf den DetGrad dargestellt.

Ferner identifizieren Nissen et al. (2014) Modellierungszwecke aus der Litera-tur, kritisieren aber, dass diese oftmals einen unterschiedlichen Abstraktionsgrad aufweisen. Sie unterscheiden die Modellierungszwecke in zwei Ebenen. Zum ei-nen wird zwischen Organisationsgestaltung und Anwendungssystemgestaltung un-terschieden. Der notwendige DetGrad der Modellierung ist bei der Organisations-gestaltung tendenziell geringer. Zum anderen wird differenziert, ob das Modell Mittel zum Zweck oder das Ergebnis eines Zwecks ist (Ergebnisbezug), da sich dies ebenfalls auf die zweckmäßige Detaillierung auswirken kann.

Abschließend leiten die Autoren Rahmenbedingungen der Modellierung aus der Literatur ab und erläutern deren Auswirkungen auf den DetGrad. Diese Rah-menbedingungen sind die Mitarbeiterqualifikation, Complianceanforderungen, die Prozessrelevanz für das Unternehmen, die Dringlichkeit der Modellerstellung so-wie das Vorhandensein von Best Practices bzgl. der zu modellierenden Prozesse. Hinsichtlich der Rahmenbedingung Compliance wird festgelegt, dass diese immer einzuhalten ist. Somit bestimmt die Compliance neben dem Modellzweck den mi-nimalen DetGrad.

Nissen et al. (2014) ermitteln auf dieser Basis (fachliche Kriterien, Modellie-rungszweck, Rahmenbedingungen der Modellierung) ex-ante die adäquate Pro-zesstiefe und -breite. Die Prozesstiefe wird, wie schon bei Termer et al. (2014), an Hüsselmann (2003) angelehnt, in die fünf Stufen Hauptprozess, Geschäftsprozess, Arbeitsvorgang, Arbeitsschritt und Elementartätigkeit unterteilt. Bezüglich der Prozessbreite werden ebenfalls fünf Stufen differenziert, um bei der Anwendung der Methode eine gewisse Einheitlichkeit bzw. Übersichtlichkeit zu gewährleisten.

Im folgenden Abschnitt werden die dargestellten Methoden auf Stärken und Schwächen untersucht. Anschließend wird eine Synthese durchgeführt mit dem Ziel, die jeweiligen Stärken beider Methoden zielführend zu verknüpfen.

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102 Volker Nissen und Torsten Gollhardt

4.4 Diskussion der Vorgängerarbeiten

4.4.1 Stärken

Ein Vorteil der Methode nach Termer et al. (2012) ist die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Modellierungszwecken. Deren Einfluss auf den adäquaten DetGrad wird herausgestellt, allerdings nur in der unveröffentlichten Arbeit von Wessels (2012) auch im Detail diskutiert. Ferner beachtet die Methode neben der Prozesstiefe und -breite auch Informationsobjekte sowie Prozessattribute als grundlegende Bestandteile des DetGrads der Prozessmodellierung.

Die Autoren entwickeln ein einheitliches Bewertungsschema, um den adäqua-ten DetGrad für die verschiedenen Modellierungszwecke systematisch bewerten zu können. Dadurch wird auch die Identifikation von Gemeinsamkeiten und Un-terschieden verschiedener Modellierungszwecke erleichtert. Entsprechende Zweckkombinationen werden in Wessels (2012) beispielhaft vorgestellt. Dement-sprechend werden Überlegungen erleichtert, Geschäftsprozessmodelle simultan für mehrere Zwecke zu modellieren, um langfristig gesehen den Modellierungs-aufwand zu minimieren (Termer et al. 2012).

Nissen et al. (2014) heben die fachlichen Kriterien des Prozesses auf dasselbe Niveau wie den Modellierungszweck. Mit den zusätzlich identifizierten Rahmen-bedingungen werden so insgesamt drei Einflussbereiche bzgl. des adäquaten Det-Grads ermittelt, was eine differenziertere Beurteilung ermöglicht. Die fachlichen Kriterien werden im Vergleich mit Termer et al. (2012) ausführlicher auf-geschlüsselt und inhaltlich ergänzt. Anders als dort wird jedoch die Prozesslänge nicht weiter als eigenständiger Aspekt des adäquaten DetGrades betrachtet (Nis-sen et al. 2014). Vielmehr wird die Prozesslänge von der gewählten Prozesstiefe und -breite beeinflusst (Rosemann 1996). Die richtige Prozesslänge muss bei je-dem Modell individuell bestimmt werden. Da somit generelle Empfehlungen zur Prozesslänge mit Bezug auf den richtigen DetGrad nicht möglich sind, wird dieses Kriterium nicht mit in das Modell zur Bestimmung des adäquaten DetGrad aufge-nommen. Dieser Auffassung soll auch in der vorliegenden Arbeit gefolgt werden.

Anders als Termer et al. (2012) wird in Nissen et al. (2014) ein mathematisches Modell zur ex-ante Berechnung des adäquaten DetGrads entwickelt. Die drei iden-tifizierten Eingangsgrößen (mit ihren Detailfaktoren) beeinflussen das Gesamter-gebnis in verschiedener Form. Der Modellierungszweck dient als Minimalbedin-gung. Fachliche Kriterien und Rahmenbedingungen fließen in die Berechnungs-logik ein, wobei die fachlichen Kriterien aufgrund der hohen Anzahl und unter-schiedlichen Relevanz in drei Abstufungen gewichtet werden. Die Gewichtungen der fachlichen Kriterien werden jeweils ausführlich begründet.

4.4.2 Schwächen

An der Arbeit von Termer et al. (2012) kann bemängelt werden, dass die Abgren-zung der einzelnen Modellierungszwecke, trotz intensiver Literaturauswertung, immer noch nicht völlig trennscharf ist. So könnte zum Beispiel bei der Organisa-

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 103

tionsdokumentation eine weitere Unterscheidung in die Dokumentation zu Ma-nagementzwecken und jene zur Mitarbeiterinformation vorgenommen werden, um konkretere Angaben für die Prozesstiefe zu ermöglichen. Auch werden z. B. Aktu-alität und Wartbarkeit der Modelle nur im Zusammenhang mit Organisationsdo-kumentation und Zertifizierung diskutiert, obwohl diese Aspekte auch hinsichtlich anderer Zwecke wie bspw. zu Schulungszwecken bedeutsam sind. Allerdings muss ein gewisses Abstraktionsniveau der Modellierungszwecke eingehalten wer-den, um die Analyse effizient durchführen zu können.

Der Modellzweck fließt im Vergleich zu Termer et al. (2012) nur vereinfacht in das Modell von Nissen et al. (2014) ein. Allerdings ist auch fraglich, inwiefern der Zweck selbst überhaupt in das berechnete Ergebnis einfließen sollte, da der Mo-dellierungszweck mit weiteren fachlichen Kriterien zusammenhängen könnte, welche die Berechnung beeinflussen. Dieser Frage wird in der Arbeit von Nissen et al. (2014) nicht nachgegangen.

Eine Schwachstelle der Methode von Termer et al. (2012) ist das überwiegende Vernachlässigen von Rahmenbedingungen wie z. B. Complianceanforderungen. Ferner werden einige offensichtlich relevante fachliche Kriterien zum modellier-ten Prozess, wie bspw. Sicherheitsaspekte oder die Anzahl auslösender Ereignisse nicht berücksichtigt. Hier sind die von Nissen et al. (2014) identifizierten fachli-chen Kriterien und Rahmenbedingungen vollständiger. Allerdings scheint in die-ser Arbeit wiederum die zweite Ebene „Ergebnisbezug“ beim Modellzweck unnö-tig, weil keine konkreten Hinweise zum Einfluss des Ergebnisbezugs auf den adä-quaten DetGrad gegeben werden. Auch ist nicht eindeutig geklärt, ob zusätzlich zu der Compliance und dem Modellierungszweck auch andere Aspekte als Mini-malbedingung des DetGrades betrachtet werden sollten.

Das Bewertungsschema von Termer et al. (2012) listet Informationsobjekte und Attribute lediglich auf und gibt keine Hinweise auf eine mögliche Detaillierung dieser Aspekte. Allerdings muss beachtet werden, dass das Bewertungsschema dadurch entsprechend komplexer und evtl. nicht mehr beherrschbar werden könn-te. Bei Nissen et al. (2014) wird das Thema Informationsobjekte und Attribute kaum behandelt. Eine entsprechende Weiterentwicklung des Modells wäre aller-dings möglich. Zuvor müssten potenzielle Informationsobjekte und Attribute iden-tifiziert, analysiert und kategorisiert werden.

Einen weiteren Kritikpunkt stellen subjektive Anteile in beiden Methoden dar. Ein Beispiel sind die erarbeiteten Empfehlungen von Wessels zur adäquaten De-taillierung von Prozessmodellen für einzelne Modellierungszwecke. Diese er-scheinen zwar plausibel und gut begründet, sind jedoch Ergebnis einer subjektiven Einschätzung. Dies gilt in der Methode von Nissen et al. (2014) analog für die Gewichtungen (und Multiplikatoren) der fachlichen Kriterien bei der Berechnung des adäquaten DetGrades. Hier steht eine umfassende praktische Anwendung und Evaluation noch aus.

Das Modell von Nissen et al. (2014) beruht abschließend auf der Annahme, dass die zur Berechnung des adäquaten DetGrades notwendigen Daten sich im Unternehmen auch beschaffen lassen. Ferner ist fraglich, ob eine sinnvolle Emp-

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104 Volker Nissen und Torsten Gollhardt

fehlung ausgearbeitet werden kann, wenn die Spanne des minimalen und maxima-len DetGrads sehr groß ist. Durch die Berechnung des adäquaten DetGrads im Nachkommabereich entsteht überdies eine gewisse Scheingenauigkeit, welche das Ergebnis exakter wirken lässt als es eigentlich ist. Tabelle 2 fasst die Ergebnisse der Stärken-Schwächen-Analyse übersichtsartig zusammen.

Tabelle 2. Zusammenfassung Stärken/Schwächen der Vorgängermethoden

Methode Stärken Schwächen Termer et al. (2012), Wessels (2012)

Detaillierte Analyse der Modellie-rungszwecke

Abgrenzung der Modellierungs-zwecke ist nicht immer eindeutig

Entwicklung und Anwendung eines systematischen Bewertungsschemas

Vernachlässigung von Rahmenbe-dingungen und einiger fachlicher Kriterien

Hinweise auf Informationsobjekte und Attribute

Informationsobjekte und Attribute werden lediglich aufgelistet und nicht vertieft

Organisations- und Anwendungssys-tem-orientierte Zweckkombinationen vorgedacht

Bewertung der Modellierungszwe-cke hat subjektive Anteile

Nissen et al. (2014)

Beachtung von Rahmenbedingungen Zweite Ebene „Ergebnisbezug“ beim Modellzweck ohne konkreten Mehrwert

Ergänzung und detaillierte Aufschlüs-selung von fachlichen Kriterien (Ein-flussfaktoren)

Subjektive Anteile in den Gewich-tungen der Kriterien

Überblick über tendenziellen Einfluss von fachlichen Kriterien und Rahmen-bedingungen auf DetGrad

Modellierungszweck fließt nur stark vereinfacht in Bewertungs-modell ein

„Mathematisches“ Modell zur ex-ante Berechnung des adäquaten DetGrads

Keine Aussage über Informations-objekte und Attribute

Compliance determiniert minimalen DetGrad

Anwendung des Bewertungsmo-dells nicht trivial, erfordert Erfah-rung

5 Weiterentwickelte Methode

5.1 Grundlagen und Ausgabegrößen des Modells

Im Folgenden wird, ausgehend von den eben vorgestellten Vorgängerarbeiten und deren Stärken und Schwächen, eine weiterentwickelte Methode zur ex-ante Er-mittlung des adäquaten DetGrades von Prozessmodellen entworfen. Die Anwend-barkeit wird im Rahmen einer Fallstudie belegt. Abschließend wird die neue Me-thode mittels einer Delphi-Studie grundlegend evaluiert. Das Design Science Vor-gehensmodell nach Peffers et al. (2008) begrüßt ausdrücklich Iterationen zwischen

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 105

Evaluation und Designaktivitäten. In diesem Sinne enthalten die nachfolgenden Darstellungen bereits die wesentlichen und konsolidierten Anregungen seitens der befragten Experten in der Delphi-Studie.

Die Analyse der Stärken und Schwächen der beiden Vorgängermethoden im vorigen Abschnitt hat gezeigt, dass die Methode von Termer et al. (2012) und Wessels (2012) mit ihren Stärken geeignet ist, Schwächen der Methode von Nis-sen et al. (2014) auszugleichen. Dies betrifft insbesondere die differenzierte Be-rücksichtigung des Modellzweckes bei der Bestimmung des DetGrades sowie die Verwendung von Attributen und Informationsobjekten in Abhängigkeit von eben diesem Modellierungszweck. Letztere werden auch in der neuen Methode berück-sichtigt, da sie wichtige Zusatzinformationen bei der Modellierung aufnehmen können.

Die Prozesstiefe wird gemäß Hüsselmann (2003) bei Nissen et al. (2014) in fünf Stufen unterschieden: Hauptprozess, Geschäftsprozess, Arbeitsvorgang, Ar-beitsschritt und Elementartätigkeit. Es ist davon auszugehen, dass die höchste Abstraktionsebene, der Hauptprozess, in jeder Form von Prozessmodellierung be-nötigt wird. Seine Modellierung kann daher vorausgesetzt werden und braucht im Berechnungsmodell nicht separat erscheinen. Demgemäß sind nur noch vier rele-vante Ebenen der Prozesstiefe im Berechnungsmodell zu differenzieren.

Die Prozessbreite wird analog in vier Ebenen abgestuft (vgl. Tabelle 3). Der „Standardfall“ beschreibt in Anlehnung an Freund et al. (2010) den typischen Pfad bei der Durchführung eines Prozesses. Danach folgen mit aufsteigender Abde-ckung der Sonderfälle „Varianten“ und „Ausnahmen“ sowie „vollständig“.

Tabelle 3. Abstufungen der Prozessbreite

Stufe Bezeichnung Berücksichtigte Varianten 1 Standardfall Optimalfall 2 Varianten Wenige 3 Ausnahmen Viele 4 Vollständig Alle

5.2 Eingabegröße Modellierungszweck

In der Frage, wie der adäquate DetGrad eines zu erstellenden Prozessmodells ex-ante bestimmt werden kann, ist als eine wichtige Eingangsgröße der Modellie-rungszweck zu berücksichtigen. Dabei wird der Unterscheidung in Termer et al. (2012) gefolgt, die wiederum auf Rosemann et al. (2012) und Allweyer (2009) aufsetzen – das Ergebnis ist in Tabelle 4 wiedergegeben. Dabei wird grob zwi-schen den Kategorien Organisations- und Anwendungssystemgestaltung differen-ziert und darunter die Modellierungszwecke subsummiert. Auf die zweite Diffe-renzierungsebene des Ergebnisbezugs der Modellierung, wie von Nissen et al. (2014) vorgeschlagen, wird verzichtet, da sich, anders als vom Hauptzweck, dar-aus keine Empfehlung bzgl. des adäquaten DetGrads ableiten lässt.

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106 Volker Nissen und Torsten Gollhardt

Tabelle 4. Prozessmodellierungszwecke, verändert nach Termer et al. (2012)

Schwerpunkt Organisationsgestaltung Schwerpunkt Anwendungssystemgestaltung Organisationsdokumentation Anforderungsanalyse/Softwareauswahl Kontinuierliche Prozessverbesserung (Modellierung der IST-Situation)

Workflowmanagement

Kontinuierliche Prozessverbesserung (Modellierung der SOLL-Situation)

Modellbasiertes Customizing

Business Process Reengineering Softwareentwicklung Kontinuierliches Prozessmanagement Simulation Personalbedarfsplanung Prozesskostenrechnung Benchmarking Schulungszwecke/Wissensmanagement Zertifizierung

Die Auflistung in Tabelle 4 ist nicht als abgeschlossen zu betrachten. Prozess-modelle können auch in weiteren Szenarien zum Einsatz kommen, wie z. B. als Planungsinstrument im Projektmanagement (Rosemann 1996). Tendenziell sind diese weiteren Anwendungszwecke allerdings von geringerer praktischer Bedeu-tung.

1 2 3 4 1 2 3 4

Organisationsdokumentation ORG

Kontinuierliche Prozessverbesserung (IST) ORG MSG DAT (Kennzahlen)

Kontinuierliche Prozessverbesserung (SOLL) ORG MSG DAT

Business Process Reegnineering ORG MSG DAT

Kontinuierliches Prozessmanagement (ORG) (MSG) (DAT) (Kennzahlen)

Simulation RES Simulationsdaten****

Personalbedarfsplanung ORG Bearbeitungszeiten, Leistungen, Leistungsmengen

Prozesskostenrechnung RES Bearbeitungszeiten, Leistungen, Leistungsmenten, (Kostenarten)

Strukturelles Benchmarking (Kennzahlen)

Schulungszwecke (ORG) (MSG) (DAT)

Zertifizierung ORG (Kennzahlen)

Anforderungsanalyse ORG MSG DAT IS Organisationsattribute, Datenattribute

Workflowmanagement ORG MSG DAT IS Organisationsattribute, Datenattribute

Prozesstiefe * Prozessbreite **Informationsobjekte***Zwecke Attribute

Abb. 3. Empfehlungen zum minimalen (dunkel) und maximalen (hell) Detaillierungsgrad von Prozesstiefe und Prozessbreite in Abhängigkeit vom Modellierungszweck, verändert nach Wessels (2012). * 1 = Geschäftsprozesse, 2 = Arbeitsvorgänge, 3 = Arbeitsschritte, 4 = Elementartätigkeiten. ** 1 = Standardfall, 2 = Varianten, 3 = Ausnahmen, 4 = Vollständig. *** ORG = Organisationseinheiten, MSG = Nachrichten, DAT = Daten, RES = Ressourcen, IS = Informationssysteme. **** Simulationsdaten = u. a. Bearbeitungs-zeiten, Ressourcenverbrauch, Kosten, statistische Verteilungen

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 107

Notwendige Informationsobjekte und Attribute lassen sich, wie in der Ausfüh-rung von Wessels (2012) deutlich wird, in Abhängigkeit des Modellierungszwecks feststellen. Dort werden Empfehlungen für die Detaillierung in Abhängigkeit vom Modellierungszweck ausführlich diskutiert. Diese sind in Abb. 3 dargestellt. Der empfohlene min. DetGrad ist farblich jeweils dunkel hinterlegt. Der empfohlene max. DetGrad ist farblich hell angegeben. Eine Evaluierung dieser Empfehlungen ist Teil der in Abschnitt 7 beschriebenen Delphi-Studie.

5.3 Eingabegröße fachliche Kriterien zum Prozess

Hinsichtlich der zweiten Eingangsgröße des Modells, den fachlichen Kriterien zum modellierten Prozess, orientieren wir uns im Kern am Vorschlag von Nissen et al. (2014). In Tabelle 5 sind die tendenziellen Auswirkungen der fachlichen Einflussfaktoren auf den DetGrad tabellarisch dargestellt.

Tabelle 5. Tendenzielle Auswirkungen fachlicher Kriterien (nach Nissen et al. 2014)

Fachliche Kriterien Ausprägung tendenzieller Detaillie-rungsgrad

Strukturiertheit schwach niedrig stark hoch

Ausführungshäufigkeit häufig hoch selten niedrig

Automatisierung automatisiert hoch manuell niedrig

Änderungshäufigkeit (Dynamik) häufig niedrig selten hoch

Flexibilität hoch niedrig niedrig hoch

Wissensintensität hoch niedrig niedrig hoch

Daten- und Informationsintensität hoch hoch niedrig niedrig

Sicherheitsaspekte vorhanden hoch nicht vorhanden niedrig

Kennzahlen vorhanden hoch nicht vorhanden niedrig

Auslöse- und Bereitstellungser-eignisse

viel hoch wenig niedrig

Ressourcenverwendung eindeutig hoch nicht eindeutig niedrig

Anzahl Prozessbeteiligte niedrig niedrig hoch hoch

Durchführungsdauer Prozess kurz niedrig lang hoch

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108 Volker Nissen und Torsten Gollhardt

Grundlegend ist es denkbar, dass der Modellierungszweck das Berechnungser-gebnis zum DetGrad einmal direkt und einmal indirekt durch mit dem Zweck eng verbundene fachliche Kriterien beeinflusst. Dies soll durch die Differenzierung zweckspezifischer und zweckunabhängiger Kriterien vermieden werden. Eine ent-sprechende Überprüfung ergab, dass die relevanten Prozesskennzahlen mit dem Modellierungszweck eng zusammenhängen und daher keine Eingangsgröße der Berechnung sein sollten. Kennzahlen können jedoch in Form von Attributen zum Modell berücksichtigt werden. Die restlichen Kriterien sind zweckunabhängig.

Die ursprüngliche dreistufige Gewichtung der fachlichen Kriterien nach Nissen et al. (2014) wurde im Zuge der Delphi-Studie auf zwei Stufen verkürzt und die Multiplikatoren angepasst. Das Ergebnis kann in Abb. 5 abgelesen werden.

5.4 Eingabegröße Rahmenbedingungen der Modellierung

Rahmenbedingungen beinhalten Faktoren, welche die Prozessmodellierung von außen beeinflussen können. Damit werden bei der Bestimmung des DetGrades ex-terne Umstände des Modellierungsprojektes berücksichtigt. Sie sind Tabelle 6 zu entnehmen und beruhen teilweise auf der Literaturanalyse in Nissen et al. (2014) und zum anderen Teil auf den Ergebnissen der Delphi-Studie (vgl. Abschnitt 7).

Anders als in Nissen et al. (2014) vorgeschlagen, werden die Rahmenbedin-gungen ebenfalls gewichtet. Wir orientieren uns an den Vorschlägen der befragten Experten der Delphi-Studie. Das Ergebnis ist in Abb. 5 zu sehen. Beim Modellie-rungszweck wird hingegen keine Gewichtung vorgenommen. Der Zweck geht wie die Complianceanforderungen als Minimalbedingung in die Bewertung ein.

Tabelle 6. Tendenzielle Auswirkungen von Rahmenbedingungen

Rahmenbedingung Ausprägung tendenzieller DetGrad Mitarbeiterqualifikation hoch niedrig

niedrig hoch Complianceanforderungen vorhanden abhängig von Compliance

nicht vorhanden keine Aussage möglich Relevanz für das Unternehmen bedeutend hoch

unbedeutend niedrig Dringlichkeit der Modellierung hoch niedrig

niedrig hoch Verfügbarkeit Best-Practices vorhanden an Best-Practice ausrichten

nicht vorhanden keine Aussage möglich Budget niedrig niedrig

hoch hoch Anzahl der Modellersteller niedrig niedrig

hoch hoch Erfahrung der Modellersteller gering niedrig

hoch hoch Informationsverfügbarkeit gering gering

hoch hoch

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 109

5.5 Vorgehen im Überblick

Die Berechnung der adäquaten Prozesstiefe und -breite orientiert sich grundsätz-lich am Vorgehen von Nissen et al. (2014), doch wurden bei den Eingabegrößen und Gewichtungen Anpassungen als Konsequenz aus der Evaluationsphase vorge-nommen. Informationsobjekte und Attribute können zweckspezifisch aus Abb. 3 abgelesen werden.

Abb. 4 bietet eine Übersicht zum Konzept der neuen Methode. In Abb. 5 ist das Berechnungsschema der adäquaten Prozesstiefe und -breite wiedergegeben. Das Modell muss jeweils einmal für die Prozesstiefe und einmal für die Prozess-breite ausgefüllt werden. Bei der Anwendung müssen die fachlichen Kriterien und Rahmenbedingungen einzeln eingeschätzt und entsprechend ausgefüllt werden.

Abb. 4. Grundkonzept der neuen Methode

Die tendenziellen Zusammenhänge von Ausprägungen fachlicher Kriterien und Rahmenbedingungen auf den adäquaten DetGrad werden in der Berechnungslogik für Prozesstiefe und Prozessbreite angewendet. Obwohl das Schema in Abb. 5 für Prozesstiefe und Prozessbreite identisch aussieht, kann es im Einzelfall sein, dass sich die Bewertungen von Kriterien und Rahmenbedingungen bzgl. der Dimensio-nen Prozesstiefe und Prozessbreite unterschiedlich gestalten. Dies gilt insbesonde-re für das fachliche Kriterium der Flexibilität im Prozess.

Die Bewertungen der fachlichen Kriterien werden addiert und anschließend durch die Summe der Gewichtungen geteilt. Entsprechend wird bei den Rahmen-bedingungen vorgegangen. Diese zwei Werte geben die Spanne des adäquaten DetGrads an. Als Minimalbedingung sind, wie oben bereits ausgeführt, die Com-pliance und der Modellierungszweck zu beachten.

Bei der Ermittlung der Ausprägungen fachlicher Kriterien sollen heuristische Regeln sicherstellen, dass nicht kompatible Kombinationen der einzelnen Fakto-ren ausgeschlossen werden. Diese beruhen einerseits auf einer Auswertung der Prozessmodellierungsliteratur und andererseits auf der Erfahrung aus Modellie-rungsprojekten. Heuristische Regeln stellen tendenzielle Zusammenhänge von

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110 Volker Nissen und Torsten Gollhardt

Ausprägungen verschiedener fachlicher Kriterien (vgl. Tabelle 7) dar. Sie sollen helfen, die Ausprägungen effizient und konsistent zu bestimmen, soweit keine an-derslautenden Informationen vorliegen.

Abb. 5. Berechnungsschema des adäquaten DetGrads bzgl. Prozesstiefe und Prozessbreite

Tabelle 7. Regeln (Beispiele) für Zusammenhänge der fachlichen Kriterien

Regel Wenn Dann 1 Strukturierbarkeit (schwach) Automatisierung (manuell) 2 Strukturierbarkeit (stark) Wissensintensität (niedrig) 3 Strukturierbarkeit (schwach) Wissensintensität (hoch) 4 Strukturierbarkeit (stark) Daten- / Informationsintensität (hoch) 5 Strukturierbarkeit (schwach) Daten- / Informationsintensität (niedrig) 6 Wissensintensität (hoch) Automatisierung (manuell) 7 Automatisierung (automatisiert) Daten- / Informationsintensität (hoch) 8 Automatisierung (automatisiert) Änderungshäufigkeit (selten) 9 Automatisierung (automatisiert) Flexibilität (niedrig)

10 Automatisierung (automatisiert) Ressourcenverwendung (eindeutig)

Jede Zeile in Tabelle 7 repräsentiert eine Regel. Die Regeln setzen zwei fachli-che Kriterien in eine Wenn-Dann Beziehung und sind nach folgendem Schema

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 111

aufgestellt: Wenn Kriterium eins mit zugehöriger Ausprägung vorliegt, dann hat Kriterium zwei tendenziell die angegebene Ausprägung. In Regel eins ist z. B. eine tendenziell schwache Strukturierbarkeit vorgegeben und somit soll das Kriterium der Automatisierung zu manuell tendieren. Auf eine genauere Darstellung des heuristischen Regelwerkes muss hier aus Platzgründen verzichtet werden.

6 Fallstudie (Demonstrationsbeispiel)

Um anhand der Einflussfaktoren als Methoden-Input den adäquaten DetGrad als Methoden-Output berechnen zu können, sind folgende Schritte durchzuführen:

Bewerten der Einflussfaktoren Berechnen und Festlegen der adäquaten Prozessbreite und -tiefe Festlegen der Informationsobjekte und Attribute

Als Beispielprozess dient hierbei in Anlehnung an Nissen et al. (2014) die Auf-tragsbearbeitung in einem Versandhaus. Die Annahmen dort werden übernom-men. Da es jedoch in der neuen Methode auch neue fachliche Kriterien und Rah-menbedingungen gibt, werden deren Ausprägungen zufällig gewählt. Die Anzahl der Prozessbeteiligten wird mittel und die Durchführungsdauer hoch eingeschätzt. Ferner wird angenommen, dass das Budget und die Erfahrung des Modellerstellers mittel, die Informationsverfügbarkeit hoch und die Anzahl der Modellierer niedrig sind.

Tabelle 8. Bewertung fachlicher Kriterien, angepasst aus Nissen et al. (2014)

Fachliches Kriterium Tendenzielle Ausprägung Prozesstiefe Prozess-

breite Strukturiertheit hoch 4 von 4 4 von 4 Ausführungshäufigkeit häufig 4 von 4 4 von 4 Automatisierung hoch 3 von 4 3 von 4 Änderungshäufigkeit (Dynamik) selten 3 von 4 3 von 4 Flexibilität niedrig 4 von 4 1 von 4 Wissensintensität niedrig 3 von 4 3 von 4 Daten- und Informationsintensität hoch 3 von 4 3 von 4 Sicherheitsaspekte mittel 2 von 4 2 von 4 Auslöse- und Bereitstellungsereignisse wenig 1 von 4 1 von 4 Ressourcenverwendung eindeutig 1 von 4 1 von 4 Anzahl Prozessbeteiligter mittel 2 von 4 2 von 4 Durchführungsdauer hoch 4 von 4 4 von 4

Als Modellierungszweck wird die Einführung eines Workflowmanagementsys-tems unterstellt. Für diesen Modellierungszweck wird gemäß Abb. 3 hinsichtlich Prozesstiefe die höchste Detailstufe (Elementartätigkeit) und bzgl. Prozessbreite mindestens Stufe 3 (Ausnahmen) bei der Prozessmodellierung empfohlen. Diese

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Werte stellen fortan den minimalen DetGrad dar. In Tabelle 8 sind die Bewertun-gen der fachlichen Kriterien dargestellt. Tabelle 9 beinhaltet die Bewertungen von Rahmenbedingungen der Modellierung.

Tabelle 9. Bewertung der Rahmenbedingungen, angepasst aus Nissen et al. (2014)

Rahmenbedingung Tendenzielle Ausprägung Prozesstiefe Prozess-

breite Mitarbeiterqualifikation niedrig 4 von 4 3 von 4 Compliance mittel 2 von 4 2 von 4 Relevanz hoch 4 von 4 4 von 4 Dringlichkeit niedrig 3 von 4 3 von 4 Best-Practice hoch 3 von 4 2 von 4 Budget mittel 2 von 4 2 von 4 Anzahl der Modellersteller niedrig 1 von 4 1 von 4 Erfahrung der Modellersteller mittel 2 von 4 2 von 4 Informationsverfügbarkeit hoch 4 von 4 4 von 4

Im Folgenden werden zunächst Prozesstiefe und -breite berechnet. Danach werden die Minimalbedingungen sowie Informationsobjekte und Attribute disku-tiert. Die Berechnung ist in Abb. 6 dargestellt. Nach Auf- bzw. Abrunden ergibt sich als vorläufiges Ergebnis Stufe 3 in der Prozesstiefe (Arbeitsschritte) und Stu-fe 3 in der Prozessbreite (Ausnahmen).

Die Compliance greift als Minimalbedingung weder bei der Prozesstiefe noch bei der Prozessbreite. Allerdings wird durch den Modellierungszweck bzgl. der Prozesstiefe mindestens Stufe 4 (Elementartätigkeiten) vorgeschrieben. Da Work-flowsysteme Parameter innerhalb oder zwischen Anwendungssystemen übergeben (Allweyer 2009) ist die Prozessmodellierung auf Ebene der Elementartätigkeiten als Grundlage für die Systementwicklung zweckdienlich.

Ferner werden gemäß Abb. 3 Organisationseinheiten, Informationssysteme, Nachrichten sowie Daten als Informationsobjekte empfohlen. Für die Einführung eines Workflowmanagementsystems sind bspw. Organisations- und Datenattribute notwendig, um Rollen, Verantwortlichkeiten und Berechtigungen abzubilden so-wie die Integration der vorhandenen Anwendungssysteme zu ermöglichen.

Das Fallbeispiel zeigt daher, dass die neue Methode zur ex-ante Bestimmung des adäquaten DetGrades zu sinnvollen Aussagen bezüglich der geplanten Pro-zessmodellierung kommt, die eine entsprechende Planung des Modellierungspro-jektes erleichtern und somit einen praktischen Nutzen stiften.

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 113

Abb. 6. Berechnung der Prozesstiefe (oben) und Prozessbreite (unten)

7 Evaluation mittels Delphi-Studie

7.1 Konzeption und Durchführung der Studie

Das Kernziel der Delphi-Methode nach Häder und Häder (2000) sowie Häder (2014) im vorliegenden Fall war es, eine einheitliche Expertenmeinung zu Ker-naspekten der vorgeschlagenen neuen Methode zu ermitteln. Dies sollte ohne Ab-sprachen zwischen den Experten geschehen, um die jeweiligen Expertenmeinun-gen nicht zu verfälschen (Ammon 2009). Die Experten sollten außerdem Gele-genheit haben, eventuell fehlende Aspekte zum Modell zu ergänzen, weshalb au-ßer geschlossenen Fragen auch offene Fragen in der ersten Runde der Befragung enthalten waren.

Auch Leitfaden-Befragungen oder Gruppengespräche wären mögliche Metho-den gewesen, um die Fragen zu klären. Es wurde jedoch die Delphi-Studie ge-wählt, da sie einerseits bei vertretbarem Aufwand die Erfassung einer Gruppen-meinung zu einem Sachverhalt ermöglicht. Durch die Verwendung geeigneter Be-fragungstools können außerdem mit geringem Aufwand mehrere Experten gleich-zeitig befragt werden ohne gruppendynamische Beeinflussungen in Kauf nehmen

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zu müssen. Ein weiterer Vorteil der Delphi-Studie ist die Strukturierung und mit-hin die gute Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Experten (Ammon 2009).

Der Erhebungszeitraum der Delphi-Studie war Ende Juli bis Anfang Oktober 2014. Die Auswahl der Experten wird im Wesentlichen durch Wissen und Status terminiert (Ammon 2009). Es wurde darauf geachtet, dass die Teilnehmer über verschiedene, aber tiefe und relevante Fachkenntnisse verfügen und sich in ihrer Funktion unterscheiden. Als Expertengruppen wurden daher Prozessmodellierer, Prozessmodellnutzer und im Bereich Prozessmodellierung tätige Wissenschaftler befragt.

Als Mindestanforderung wird in der Literatur ein Minimum von zehn Experten gemäß Parenté und Anderson-Parenté (1987) genannt. Diese wurden im vorlie-genden Fall aufgrund beschränkter finanzieller und zeitlicher Ressourcen vor al-lem aus eigenen Firmenkontakten sowie Kontakten zu einschlägig arbeitenden Wissenschaftlern gewonnen. Daneben wurde ein Aufruf zur Teilnahme im ARIS-Nutzerforum veröffentlicht. Schließlich wurden Experten gebeten, den Zugang an weitere Experten weiterzuleiten (Schneeballverfahren). Das Teilnehmerpanel der ersten Runde setzte sich aus neun Modellerstellern, drei Modellnutzern und vier Wissenschaftlern zusammen. Die Erfahrung im Bereich Geschäftsprozessmodel-lierung betrug im Durchschnitt etwa 8,6 Jahre. Die dritte Befragungsrunde been-deten acht Modellersteller sowie jeweils drei Modellnutzer und drei Wissenschaft-ler. Die Abbruchquote war damit vergleichsweise gering.

Die Delphi-Studie bestand aus drei Befragungsrunden, die softwaregestützt (QuestBack) online durchgeführt wurden. Abb. 7 veranschaulicht den Gesamtab-lauf unserer Delphi-Befragung.

Abb. 7. Ablauf der Delphi-Studie (angelehnt an Nikles 2007)

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 115

Ohne auf Einzelheiten hier näher eingehen zu können, sollten die folgenden Methodenfacetten mittels der befragten Experten näher überprüft werden:

1. Facette: Der adäquate DetGrad wird von drei Einflussfaktoren (fachliche Krite-rien, Rahmenbedingungen, Modellzweck) bestimmt.

2. Facette: Die Einflussfaktoren wirken sich unterschiedlich stark auf den adäqua-ten DetGrad aus und müssen dementsprechend gewichtet werden oder gelten als Minimalbedingung.

3. Facette: Der adäquate DetGrad kann anhand dieser Einflussfaktoren in unter-schiedlichen Dimensionen ermittelt werden.

4. Facette: Die Ermittlung des adäquaten DetGrads besitzt eine hohe praktische Relevanz.

Der Fragebogen wurde mit einem Anschreiben eingeleitet. Damit wurden die Experten insbesondere über den Zweck der Erhebung und die Art und Weise der Datenauswertung aufgeklärt. Daneben wurden wesentliche Kernbegriffe, wie Pro-zesstiefe und Prozessbreite definiert, um ein einheitliches Problemverständnis zu schaffen. Die Verständlichkeit der Fragen wurde in einem Pre-Test evaluiert und optimiert.

Um qualitative Aspekte statistisch auswerten zu können, müssen diese durch adäquate Bewertungsskalen quantifiziert werden. Die Intervalle zwischen den Skalenstufen sollen gleiche Abstände aufweisen (‚Äquidistanz‘) und auch entspre-chend von den Befragten wahrgenommen werden. Die Abstufungen sollten inso-fern eindeutig formuliert werden, dass diese von unterschiedlichen Personengrup-pen gleich verstanden werden. Bezüglich der Antwortskalen hat sich bei geschlos-senen Fragen eine fünfstufige Skala mit einer neutralen Antwort und jeweils zwei positiven bzw. negativen Stufen in der Praxis bewährt (Bortz und Döring 2006), was hier übernommen wurde.

In der ersten Runde der Befragung sollten die Experten im Wesentlichen fach-liche Kriterien, Rahmenbedingungen und Zwecke der Prozessmodellierung frei benennen (offene Fragen) und gewichten. Zusätzlich sollten die in der Methode vorgeschlagenen vierstufigen Differenzierungen von Prozessbreite und Prozesstie-fe bezüglich ihrer Sinnhaftigkeit beurteilt werden. Schließlich ging es noch darum, die praktische Relevanz der vorgeschlagenen neuen Methode einzuschätzen. In den weiteren Delphi-Runden wurden die Ergebnisse innerhalb der befragten Gruppe sukzessive mittels geschlossener Fragen konsolidiert. Gleichzeitig wurden mehr Details der Methode offengelegt, um eine differenziertere Beurteilung durch die Experten zu ermöglichen. So wurde beispielsweise nach der tendenziellen Wirkung einzelner Einflussfaktoren auf den adäquaten DetGrad gefragt.

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7.2 Ergebnisse der Delphi-Studie

Die Kernergebnisse der Delphi-Studie mit Blick auf die oben genannten vier Me-thodenfacetten werden nachfolgend kurz zusammengefasst.1

Die Differenzierung von Prozesstiefe und -breite sahen die Experten ganz überwiegend als geeignet an. Die ursprünglichen Bezeichnungen der Abstufungen zur Prozessbreite wurden allerdings geringfügig umbenannt. Auch erschien die ur-sprünglich vorgesehene Angabe von konkreten Durchführungshäufigkeiten bei den Abstufungen der Prozessbreite für die Experten mehrheitlich nicht sinnvoll, da diese Angaben nicht generalisiert werden können. Sie wurden daher im Unter-schied zur Vorgehensweise von Nissen et al. (2014) wieder gestrichen. Ferner wurde die in der vorliegenden Arbeit getroffene Annahme, dass die Ebene der Hauptprozesse vernachlässigt werden kann, weil diese ohnehin modelliert werden muss, bestätigt.

Die identifizierten Modellierungszwecke wurden ebenso durch die Experten bestätigt. Um die Datenauswertung zu erleichtern, wurde optional vorgeschlagen, Modellierungszwecke wie Prozessverbesserung, Ist-/Soll-Erhebung oder Prozess-management aufgrund ihrer thematischen Nähe zu „Reorganisation/ Schwachstel-lenanalyse“ zusammenzufassen.

Bei der Überprüfung der Empfehlungen zum minimalen DetGrad in Abhängig-keit vom jeweiligen Modellierungszweck (vgl. Abb. 3) wurden diese tendenziell bestätigt. Die Hypothese, Informationsobjekte und Attribute könnten in Abhän-gigkeit vom Zweck bestimmt werden, wurde ebenfalls bestätigt. Der Mittelwert betrug 4,1 von 5. Die Standardabweichung war mit 1,2 vergleichsweise hoch. Als zusätzlichen Einfluss gaben die Experten die Mitarbeiterqualifikation, die Com-pliance und die Erfahrung des Modellerstellers an. Ferner wurden technische Ein-schränkungen wie bspw. das verwendete Werkzeug genannt.

Die bei Nissen et al. (2014) identifizierten fachlichen Kriterien wurden durch die Experten bestätigt. Jedoch gab es zwei zusätzliche in den offenen Fragen der ersten Befragungsrunde genannte Aspekte: die Anzahl der am Prozess beteiligten Personen und die Durchführungsdauer des Prozesses. Mit 57,1 % entschied sich die knappe Mehrzahl der Experten in einer späteren Runde dann wieder für eine Streichung der Durchführungsdauer als Einflussfaktor. Abweichend von der bis-herigen Vorgehensweise sprach sich eine knappe Mehrheit der Experten später auch dafür aus, die Automatisierung unter den Einflussfaktoren als Minimalbedin-gung des DetGrades zu definieren, die Compliance jedoch nicht.

Im Gegensatz zu den fachlichen Kriterien wurden alle in Nissen et al. (2014) identifizierten Rahmenbedingungen bestätigt, wobei allerdings vier weitere Vor-schläge gemacht wurden: die Anzahl der Modellierer, das Budget, die Erfahrung des Modellierers und die Informationsverfügbarkeit.

1 Aus Platzgründen fokussieren wir uns hier auf besonders relevant erscheinende Ergeb-

nisse der Delphi-Studie, die das Berechnungsmodell im Kern betreffen.

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 117

Der tendenzielle adäquate DetGrad in Abhängigkeit von fachlichen Kriterien und Rahmenbedingungen unterschied sich im Durchschnitt nur bei zwei Aspekten von den Annahmen in Nissen et al. (2014). Einerseits konnten sich die Experten bei der Wirkung der Wissensintensität nicht einigen. Hier wird daher die ur-sprüngliche Empfehlung beibehalten. Andererseits gingen die Experten bei einer eindeutigen Ressourcenverwendung von einem hohen notwendigen DetGrad aus.

Die Informationsobjekte und Attribute wurden ohne Ausnahme bestätigt. Des Weiteren wurden Risiken als Informationsobjekte vorgeschlagen. Das Informa-tionsobjekt Risiko kann bspw. im Kontext einer Modellierung im validierten Um-feld (z. B. Life Sciences) relevant werden.

Die finalen Gewichtungen und assoziierten Multiplikatoren der Expertenbefra-gung sind in Abb. 5 zu sehen. Diese weichen deutlich von den ursprünglichen Vorschlägen in Nissen et al. (2014) ab. Anstatt einer dreistufigen Gewichtung der fachlichen Kriterien werden lediglich zwei Abstufungen (mittel und hoch) unter-schieden. Des Weiteren werden im Gegensatz zur Methode von Nissen et al. (2014) nun auch die Rahmenbedingungen in der Berechnung des DetGrades ge-wichtet. Diese Gewichtung ist ebenfalls zweistufig (mittel und hoch).

Die Experten bewerteten die finale Gewichtung von fachlichen Kriterien und Rahmenbedingungen überwiegend geeignet. Die relativ hohe Standardabweichung von 1,1 macht deutlich, dass sich die Experten nicht wirklich einig waren. Zudem sind die Mittelwerte mit 3,6 (fachliche Kriterien) und 3,7 (Rahmenbedingungen) vergleichsweise niedrig. Infolgedessen bietet sich evtl. eine spätere qualitative Überprüfung z. B. in Form eines Workshops an, um die einzelnen Einflussfaktoren neu zu bewerten und ggf. die Gewichtungen zu ändern. Zudem könnten in diesem Zusammenhang branchenspezifische oder projektindividuelle Gewichtungen dis-kutiert werden.

Die praktische Relevanz der Forschungsfrage und deren Lösung durch das Be-reitstellen einer entsprechenden Methode wurden grundsätzlich hoch eingeschätzt. Der Mehrwert wurde vor allem in den Zeit- und Kostenersparnissen gesehen, die z. B. durch das Wegfallen von Modellnachbearbeitungen entstehen. Ferner stelle der ermittelte adäquate Detaillierungsgrad eine Orientierung und somit eine Ent-scheidungshilfe im Projekt dar. Das Problem wurde in Modellierungsprojekten als omnipräsent eingeschätzt. Interessanterweise sah ein Wissenschaftler die Methode als theoretisch bedeutsam an, praktisch jedoch eher weniger. Die Frage, ob die Experten eine solche Methode in der Praxis anwenden würden, wurde überwie-gend bejaht.

Die meisten Experten würden die Methode zur Ermittlung des adäquaten De-taillierungsgrads zumindest testweise in Projekten anwenden. Der Mehraufwand bei Anwendung der Methode in einem realen Modellierungsprojekt wurde ohne Toolunterstützung durchschnittlich auf 3,6 von 5 (überwiegend hoch) einge-schätzt. Mit Toolunterstützung sinkt der erwartete Mehraufwand im Durchschnitt auf etwa 3 von 5 (mittelmäßig hoch). Die Standardabweichung betrug hierbei 1 bzw. 0,9. Dies unterstreicht, dass die Anwendung insbesondere in umfangreichen

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Modellierungssituationen wesentlich von einer IT-basierten Implementierung der vorgestellten Methode profitieren würde.

Hinsichtlich der praktischen Anwendung wurde von einigen Experten aber auch Skepsis geäußert. Ein Wissenschaftler merkte an, die Einflussfaktoren nur als Denkhilfe zu nutzen und gab an, den adäquaten Detaillierungsgrad subjektiv bes-ser als die Methode zu ermitteln. Hierin dürfte sich dokumentieren, dass eine sub-jektive, erfahrungsbasierte und intuitive Festlegung des DetGrades bislang die ge-lebte Praxis ist, die bei entsprechender Erfahrung und Weitblick ja auch gute Er-gebnisse liefern kann (aber vor allem bei Fehlen dieser Voraussetzungen eben oft auch nicht liefert).

Ferner bezweifelte ein Modellersteller, dass alle notwendigen Informationen für die Einschätzung der Einflussfaktoren zur Verfügung stehen. Die Methode muss infolgedessen um die Möglichkeit erweitert werden, Einflussfaktoren bei der Er-mittlung vernachlässigen zu können.

Schließlich werteten die Experten die Aussagekraft und das Ergebnis der Fall-studie mit durchschnittlich 4,3 von 5 als überwiegend geeignet. Die Standardab-weichung betrug hierbei lediglich 0,6.

8 Fazit und kritische Würdigung

Um die Synthese abzuschließen, sollen nun alle drei Methoden systematisch ge-genübergestellt werden (vgl. Abb. 8). Zunächst wird die Ganzheitlichkeit als Kri-terium definiert, welche sich sowohl auf den Input als auch auf den Output der Methode bezieht. Bezüglich des Inputs wird angestrebt, alle potenziellen Faktoren zu erfassen, zu analysieren und in die jeweilige Methode einzubeziehen. Als Maß-stab gelten hierbei die drei von Nissen et al. (2014) identifizierten Einflussfakto-ren: fachliche Kriterien, Rahmenbedingungen und Modellierungszweck. Der Out-put der Methode sollte, um der Anforderung der Ganzheitlichkeit gerecht zu wer-den, alle notwendigen Aspekte abdecken, die bei der Bestimmung des adäquaten Detaillierungsgrads von Interesse sind. In Anlehnung an Termer et al. (2012) wer-den Prozesstiefe und -breite, Informationsobjekte sowie Attribute als sinnvolle Er-gebnismenge angesehen.

Im Sinne des Design Science Vorgehensmodells nach Peffers et al. (2008) wird die Systematik als weiteres Kriterium festgelegt. Um diese zu erfüllen, müssen gemäß Hoffman et al. (2004) Probleme auf der funktionalen Ebene (Ziele, Anfor-derungen, Bedingungen) analysiert und anschließend sukzessiv zu einer spezifi-schen Lösung iteriert werden. Des Weiteren wird in diesem Zusammenhang unter-sucht, wie nachvollziehbar Schlussfolgerungen und Entscheidungen im Rahmen der jeweiligen Methode sind. Dieses Kriterium leitet sich aus der von Termer et al. (2012) definierten Anforderung, „[…] eine möglichst objektive Aussage über die adäquate Detaillierung von Prozessmodellen […] treffen zu können […]“ ab. Fer-ner wird als Kriterium die unkomplizierte Benutzung der Methode angestrebt, um sie verschiedenen Usergruppen zugänglich zu machen.

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 119

Abb. 8. Methoden-Vergleich

Fachliche Kriterien und Rahmenbedingungen werden bei Termer et al. (2012) nur indirekt über den Modellzweck berücksichtigt und gelten daher als nicht er-füllt. Da Nissen et al. (2014) den Modellierungszweck lediglich vereinfacht be-rücksichtigt, wird dieses Kriterium als nicht vollständig erfüllt eingeschätzt. Alle drei Methoden ermitteln die adäquate Prozesstiefe und -breite, wodurch die ent-sprechenden Kriterien erfüllt werden. Nissen et al. (2014) vernachlässigen Infor-mationsobjekte und Attribute als Ausgabemenge. Dementsprechend werden diese Aspekte als nicht erfüllt bewertet. Ferner wird der Punkt Informationsobjekte bei Termer et al. (2012) und bei der neuen Methode als nicht vollständig erfüllt einge-schätzt, weil es möglich wäre, Informationsobjekte noch weiter zu untergliedern.

Die Systematik und die Objektivität werden bei beiden Vorgängermethoden als nicht vollständig erfüllt eingeschätzt. So diskutiert Wessels (2012) bspw. Aktuali-tät und Wartbarkeit nur bei zwei von insgesamt dreizehn Modellierungszwecken. Des Weiteren wirken in einzelnen Fällen die erarbeiteten Empfehlungen intersub-jektiv schwer nachvollziehbar. Die von Nissen et al. (2014) eingeführte zweite Modellzweck-Ebene des Ergebnisbezugs erscheint wenig zielführend. Zum einen lassen sich einige Modellierungszwecke trotz dieser weiteren Unterscheidungs-ebene nicht eindeutig einordnen. Zum andern können von der zweiten Ebene (Er-gebnisbezug) keine konkreten Empfehlungen hinsichtlich des adäquaten DetGrads abgeleitet werden, was deren Sinn infrage stellt. Zudem sind die vorgeschlagenen Gewichtungen der fachlichen Kriterien teilweise schwer nachvollziehbar. Bei der neuen Methode hingegen wurden fachliche Kriterien, Rahmenbedingungen und Gewichtungen durch Fachexperten bewertet und optimiert, was in beiden Krite-rien eine bessere Bewertung rechtfertigt.

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Zur Anwendung/Benutzung kann bei Termer et al. (2012) keine Aussage ge-troffen werden, da ein Anwendungsbeispiel fehlt. Die Arbeiten von Nissen et al. (2014) und die vorliegende Arbeit enthalten hingegen eine Fallstudie, welche die grundlegende Anwendbarkeit demonstriert.

In Summe ist festzuhalten, dass die aus der Synthese und Ergänzung der Vor-gängerarbeiten entstandene neue Methode die Anforderungen am besten abdeckt und damit den bisherigen Ansätzen überlegen ist. Sie erscheint grundsätzlich ge-eignet, in Beratungsprojekten mit Modellierungsanteil oder reinen Modellierungs-projekten eingesetzt zu werden, um beispielsweise den Zeit- und Ressourcenein-satz in der Modellierung besser abzuschätzen und die Eignung und Akzeptanz der generierten Modelle zu verbessern. Damit würde ein grundlegendes Anliegen des Consulting Research umgesetzt, nämlich die anwendungsnahe und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Entwicklung von Methoden, die in Praxisprojekten der Unternehmensberatung eingesetzt werden können.

Dennoch sind ein paar Einschränkungen angezeigt. So war das Panel der Del-phi-Studie nicht gleichmäßig verteilt. Die Modellersteller dominieren gegenüber den Modellnutzern und Wissenschaftlern. Das praxisbezogene Panel, repräsentiert durch Modellersteller und Modellnutzer, überwiegt die Gruppe der Wissenschaft-ler, welche das theoriebezogene Panel darstellen. Hier könnte eine breitere Über-prüfung die Ergebnisse im Detail (z. B. bezüglich der Gewichtungen) verändern.

Auch wären weitere Fallstudien in der Praxis der Unternehmensberatung wün-schenswert, um die Anwendbarkeit der Methode, insbesondere die Gewichtung der Einflussfaktoren sowie die Empfehlungen zu Informationsobjekten und Attri-buten breiter zu prüfen. Ferner könnten auch branchenspezifische und projektindi-viduelle Gewichtungen diskutiert werden.

Die Analyse der Modellierungszwecke von Wessels (2012) deckt die (später hinzugekommenen) Modellierungszwecke „modellbasiertes Customizing“ und „Softwareentwicklung“ noch nicht ab, so dass hierzu aktuell Empfehlungen zum DetGrad der Modellierung fehlen. Auch fehlt hier generell noch das in der Delphi-Studie hinzugekommene Informationsobjekt „Risiko“.

In der Evaluation wurde deutlich, dass die Bereitschaft, die hier vorgeschlagene Methode anzuwenden, bei einer Implementierung als IT-gestütztes Werkzeug steigt. Bei einer toolgestützten Anwendung müssten die Anwender lediglich die Einflussfaktoren einschätzen und den Modellierungszweck angeben.

Ferner ist es sinnvoll, im Sinne einer weitergehenden Evaluation, vorhandene Prozessmodelle in Bezug auf deren tatsächlichen Detaillierungsgrad und die Wer-te der verschiedenen Einflussfaktoren zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser in-duktiven Vorgehensweise ließen sich dann mit den deduktiv hergeleiteten Emp-fehlungen der hier vorgestellten Methode vergleichen, um deren Anschluss-fähigkeit in der Praxis festzustellen und methodische Aspekte weiter zu optimie-ren. Ein entsprechendes Forschungsvorhaben steht derzeit kurz vor dem Ab-schluss. Dabei wurden sowohl publizierte Prozessmodelle als auch die Ergebnisse von Modellierungsprojekten in Organisationen ausgewertet. Die Ergebnisse bele-gen eine gute Passfähigkeit der hier vorgestellten neuen Methode mit den Ergeb-

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Adäquate Detaillierungsgrade in der Prozessmodellierung 121

nissen der Praxis und lediglich geringen Anpassungsbedarf. Eine detaillierte Aus-wertung und Aufbereitung der Ergebnisse steht noch aus.

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen mit Process Mining

Michael Leyer

Dienstleistungsprozesse sind durch Kundenintegration in der Leistungserstellung gekennzeichnet. Informationssysteme ermöglichen eine stärkere Einbindung von Kunden, aber die Auswirkungen auf die Prozessausführung sind oft unklar. Mit Simulationsmodellen der Prozesse kann dafür eine bessere Vorhersage getroffen werden. Es ist allerdings unklar, wie Kundenintegration dabei modelliert wird. Daher wird in diesem Beitrag eine Methodik entwickelt, die basierend auf Daten des Process Mining die Erstellung von Simulationsmodellen unter Berücksichti-gung der Kundenintegration ermöglicht. Process Mining liefert die Grundlage der notwendigen Daten. Die Methodik beschreibt die Bildung eines Simulationsmo-dells für Dienstleistungsprozesse und formalisiert Kundenintegration für die Mo-dellierung. 1

1 Einleitung

Derzeit lassen sich zwei wesentliche Trends bei der Gestaltung von Dienstleis-tungsprozessen beobachten. Einerseits werden Prozesse vereinfacht, standardisiert und automatisiert, andererseits steigt die Komplexität von Prozessen, da diese in-dividueller auf Kundenwünsche eingehen und durch Möglichkeiten von Informa-tionssystemen viele Prozessbeteiligte eingebunden werden. In beiden Fällen er-folgt eine vermehrte Auslagerung von Aktivitäten zum Kunden hin (Campbell et al. 2011).

Allerdings sind nicht alle Prozessveränderungen erfolgreich, da Annahmen nicht immer wie erwartet eintreffen, so dass es zu höheren Kosten im Fall einer missglückten Veränderung kommen kann. Ein wesentlicher Faktor bei Dienstleis-

1 Der Beitrag basiert im Wesentlichen auf gekürzten und überarbeiteten Inhalten der Dis-

sertation von Leyer M (2012), Operative Steuerung von Dienstleistungsprozessen. Me-thodik zur Steigerung der Produktivität von informationszentrierten Dienstleistungspro-zessen, Logos, Berlin.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_6

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tungen ist die Integration von Kunden in den Leistungserstellungsprozess, da Kunden sich oft anders als im Sinne des Anbieters verhalten (Sampson und Froehle 2006). Kunden kommen z. B. zu spät zu vereinbarten Terminen oder stel-len nicht alle notwendigen Unterlagen bereit. Dann kommt es aus Sicht eines An-bieters zu ungeplanten Verzögerungen, die insbesondere im Kapazitätsmanage-ment Probleme bereiten, da Bearbeitungszeiten dann nicht zu den geplanten Ein-satzzeiten von Mitarbeitern passen. Dies ist insbesondere bei Dienstleistungen ein Problem, da hier nicht auf Vorrat vorgearbeitet werden kann (Adenso-Diaz und Gonzalez-Torre 2002, Chase und Apte 2007).

Eine wesentliche Methodik zur Vorausschau der Auswirkungen von Prozess-veränderungen ist die Geschäftsprozesssimulation. Die Nutzung ist allerdings in der Praxis oft gering, da aufwändig Daten gesammelt und Annahmen getroffen werden müssen (Jahangirian et al. 2010). Eine erfolgsversprechende Möglichkeit zur Verringerung der Modellerstellungszeit ist die Nutzung von automatischen Aufzeichnungen des Prozessverlaufs in Informationssystemen (Liu et al. 2011). Allerdings gibt es bisher keinen Ansatz, der beschreibt, wie eine Verbindung bei-der Methodiken mit dem Ziel einer vollständigen Modellierung eines Dienstleis-tungsprozesses unter Berücksichtigung der Kundenintegration erfolgen kann. Da-her stellt sich folgende Forschungsfrage: Wie kann Kundenintegration modelliert werden, um mit Daten des Process Mining ein Simulationsmodell von Dienstleis-tungsprozessen zu erstellen?

Dazu wird in diesem Beitrag eine Methodik beschrieben, wie eine Modellie-rung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen mit Pro-cess Mining erfolgen kann. Gemäß den Anforderungen von (Bussmann et al. 2004), besteht die Methodik aus einer Definition des Problembereichs (Einleitung und theoretischer Hintergrund), Modelle, die verschiedene Aspekte des Problems aufgreifen (einzelne Schritte der Methodik), Methoden, die Daten zwischen Schritten transformieren (Beschreibungen in den einzelnen Schritten) und eine Vorgehensweise, wie die einzelnen Schritte aufeinander aufbauen (Methodik).

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Kundenintegration während der Leistungserstellung

Ein Prozess besteht aus mehreren miteinander verbundenen Aktivitäten, die für die Erfüllung eines festgelegten Geschäftsziels nötig sind (Davenport und Short 1990). Während der Bearbeitung wird der Status des Kundenauftrags Schritt für Schritt geändert. Das bedeutet, dass sich der Zustand des betrachteten Prozesses im Zeitverlauf an bestimmten Punkten sprunghaft verändert (Banks et al. 2005). Prozesse werden daher diskret (d. h. in Intervallen) und ereignisorientiert abgebil-det bzw. modelliert (Greasley 2003).

Bei Dienstleistungsprozessen sind neben Mitarbeitern oder IT-Systemen auch die Kunden in der Leistungserstellung beteiligt, d. h. ohne deren Input ist die

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen 125

Dienstleistungserbringung nicht möglich (Sampson und Froehle 2006, Corrêa et al. 2007). In einem Prozess sollte eindeutig festgelegt sein, wo Kunden sich poten-ziell einbringen können, was dann in der Ausführung tatsächlich entweder syn-chron (z. B. Gespräch) oder zeitverzögert (z. B. Email) realisiert werden kann (Fließ und Kleinaltenkamp 2004). Aus Sicht eines Dienstleistungsanbieters kommt es dabei in der relevanten Aktivität zu Liegezeiten, da der Anbieter wäh-rend der Ausführungszeit von Kunden auf den Kundeninput warten muss (Bowen 1986). Ausnahme ist, wenn ein Anbieter parallel in einer anderen Aktivität Leis-tungen erbringen kann.

2.2 Process Mining

Process Mining ist eine Methode zur Auswertung von Zeitstempeln, in denen In-formationen über die Ausführung von Prozessen enthalten sind (van Dongen 2005). Ausgangspunkt sind die Kundenaufträge eines Prozesses, für die dokumen-tiert wird, wann welche Aktivitäten von wem durchgeführt wurden (Rozinat und van der Aalst 2006). Entscheidend ist, dass alle Kundenaufträge eine eindeutige Identifikationsnummer (ID) haben, so dass alle durchgeführten Aktivitäten einer ID zugeordnet werden können (van der Aalst und Weijters 2004). Elemente eines Zeitstempels sind (1) eine fortlaufende Nummer, (2) die ID, (3) die ausgeführte Aktivität, (4) der Zeitstempel (Datum, Uhrzeit), (5) das Ende und (6) die ausfüh-rende Ressource. Ein Kundenauftrag lässt sich damit aus Prozesssicht als eine Se-quenz von Zeitstempeln beschreiben (Event Log).

Die Aufzeichnung von solchen Zeitstempeln erfolgt in der Regel automatisch durch prozessorientierte Informationssysteme (Dumas et al. 2005). Das entschei-dende Merkmal solcher Systeme ist die Zuordnung von Informationen zu eindeu-tigen IDs der Kundenaufträge über den gesamten Prozess (van der Aalst et al. 2003). Ist ein Prozess in einem solchen System implementiert, wird jedes Mal, wenn eine Aktivität ausgeführt wird (Ereignis), ein Zeitstempel erstellt. Aus die-sen Zeitstempeln kann mit Hilfe des Process Mining das Prozessmodell erstellt, die Übereinstimmung eines solchen Modells mit den Prozessausführungsdaten ge-prüft sowie bestehende Modelle erweitert werden (van der Aalst und Günther 2007).

2.3 Geschäftsprozesssimulation

Im Mittelpunkt von Simulationen stehen Modelle, mit denen die relevanten Eigen-schaften eines Systems aus der Realität nachgebildet werden. Mit diesen Modellen werden Abläufe ausprobiert bzw. simuliert, die in der Realität aus verschiedenen Gründen nicht beobachtbar sind (Sargent 2013). Bei der Geschäftsprozesssimula-tion steht die Abbildung von Geschäftsprozessen bzw. gesamten Produktionssys-temen mit dynamischen Modellen im Fokus. Im Allgemeinen wird die stochasti-sche Variante verwendet, da vor allem Ereignisse (z. B. Eingang eines Kundenauf-

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126 Michael Leyer

trags), aber auch Bearbeitungsschritte zufälligen Einflüssen unterliegen (Pidd 2004).

Die traditionelle Simulation basiert hauptsächlich auf dem theoretischen Mo-dell eines Prozesses, das teilweise mit aktuellen Informationen und Annahmen an-gereichert wird. Durch Workflowmanagementsysteme können große Datenmen-gen des Prozessablaufs automatisch erfasst und in eine Simulationsumgebung übertragen werden (van der Aalst et al. 2008). Neben Daten aus den Zeitstempeln werden noch zusätzliche Informationen wie die vorhandene Anzahl von Mitarbei-tern sowie deren Arbeitszeiten in einem Zeitraum, Bearbeitungskosten (Mitarbei-ter sowie fixe Kosten), Kundenintegration sowie die Steuerungsregel benötigt (Liu et al. 2012).

2.4 Stand der Literatur

Erste Ansätze der Modellierung der Kundenintegration finden sich bereits bei Da-vies (1994). Dieser präsentiert eine Methodik für die Erstellung generischer Simu-lationsmodelle im Kontext bankbetrieblicher Prozesse. Dabei sollten Verzögerun-gen (z. B. durch Kundenintegration) berücksichtigt werden, aber es erfolgt keine weitere Erläuterung zur Modellierung. Die Nutzung von Event Logs wird von Ronzinat et al. (2009a, 2009b), Maruster und van Beest (2009) sowie Liu et al. (2011) aufgegriffen. (Rozinat et al. 2009a, 2009b) beschreiben die technische Um-setzung in ProM und CPN, d. h. wie ein Prozessmodell erstellt wird und mit weite-ren Daten aus den Event Logs in ein Simulationsmodell überführt wird. Maruster und van Beest (2009) gehen ähnlich vor und beschreiben die Vorgehensweise an-hand von drei Fallstudien. (2011) fokussieren darauf, wie ereignisgesteuerte Ab-bildungen für Simulationsmodelle aus Event Logs extrahiert werden können. In allen Ansätzen werden Informationen wie Steuerungskonzepte, Ressourcenver-fügbarkeiten über das beobachtete Verhalten hinaus und Prozesskosten nicht be-rücksichtigt sowie die Modellierung der Kundenintegration nicht thematisiert.

3 Methodik

3.1 Formale Beschreibung der Zeitstempel

Eine wesentliche Grundlage der Methodik sind die beschriebenen Event Logs. In einem Event Log befinden sich die Ereignisse E1…Ee E in einem Dienstleis-tungsprozess. Ein Ereignis wird mit E (A, Z, T, P, K) wie folgt definiert:

Es findet eine Aktivität Aa statt. Jede auftretende Aktivität in einem Prozess muss mit einem eindeutigen Index a versehen werden.

Immer wenn für eine Aktivität eine Aktivität durchgeführt wird, wird der Zeit-punkt festgehalten. Zur Bestimmung einer eindeutigen Reihenfolge von Ereig-nissen, erfolgt dies in der Variable Z im Format „TT:MM:JJJJ hh:mm:ss“.

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen 127

Die Festlegung, um welchen Typ eines Ereignisses es sich handelt, wird in T festgelegt. Tb steht für den Beginn einer Aktivität; Te für das Ende.

Jede Aktivität eines Ereignisses wird von einer Person P ausgeführt. Pm P sind Mitarbeiter des Dienstleistungsunternehmens, wobei m den einzelnen Mit-arbeitergruppen (Mitarbeiter mit gleicher Qualifikation) entspricht. Kunden werden aggregiert mit Pk P bezeichnet; externe Zulieferer mit Pez P und in-terne Zulieferer mit Piz P.

Jedes Ereignis findet für einen Kundenauftrag Kl statt. Für jedes Kl kann so die Reihenfolge der durchgeführten Aktivitäten über die Variable Z bestimmt wer-den. N(Kl) entspricht der Anzahl von Kundenaufträgen in einem Event Log.

3.2 Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Methodik

Die Vorrausetzungen an die Methodik lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Aufzeichnung: Die Prozessausführung muss über alle Aktivitäten erfasst wer-den und ein Kl muss eindeutig zugeordnet sein.

Prozesslänge: Ein Prozess sollte mehr als eine Aktivität aufweisen und mehr als ein Mitarbeiter die Aktivitäten durchführen.

Zeitstempel: Die Zeitstempel müssen ein Minimum an Informationen (gemäß der beschriebenen Ausprägungen von Zeitstempeln) enthalten. Die Kennzeich-nung von Kundenaktivitäten kann mit zwei Möglichkeiten erfolgen:

o Die Information ist direkt in den Ereignissen aufgezeichnet. Dies kann z. B. in Form der Eintragung „Kunde“ für P sein.

o Im Fall eines internen Kunden, der das gleiche Workflowmanagementsys-tem nutzt, müssen die relevanten Rollen als Pk gekennzeichnet werden.

Betrachtungszeitraum: Nur im Betrachtungszeitraum abgeschlossene Kunden-aufträge können in die Analyse einbezogen werden, da u. a. die Gesamtbearbei-tungszeit jedes Kundenauftrags benötigt wird.

Datenverfügbarkeit: Über die Zeitstempel hinaus müssen noch zusätzliche In-formationen für die Erstellung des Simulationsmodells vorliegen.

Datenbereinigung: Die Zeitstempel müssen bereinigt werden, da reale Daten in der Regel Fehler beinhalten. Typische Fehler sind:

o Aktivitäten mit einer Bearbeitungszeit von „0“:

(1)

Dieser Fehler kann z. B. dadurch verursacht werden, dass ein Mitarbeiter fälschlicherweise einen Vorgang angeklickt hat. Alle betroffenen Zeitstem-pel sollten entfernt werden. Eine Ausnahme stellen Zeitstempel dar, die von

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128 Michael Leyer

einem IT-System ausgeführt werden. In diesem Fall ist eine Manipulation durch Addition einer Sekunde für Te nötig. Nur so kann die Reihenfolge der Aktivitäten eindeutig erkannt werden.

o Zeitstempel, die nicht alle Informationen beinhalten, die in den formalen Be-schreibungen enthalten sind: Alle Zeitstempel mit unvollständigen Informa-tionen müssen entfernt werden.

o Aktivitäten „Liegezeit“: Werden vom Workflowmanagementsystem die Lie-gezeiten als Aktivität aufgezeichnet, so müssen die zugehörigen Zeitstempel entfernt werden.

o Unvollständige Zeitstempel von Aktivitäten: Es kann vorkommen, dass für eine Aktivität nur der Zeitstempel des Beginns oder der des Endes der Bear-beitung aufgezeichnet wird. Diese Zeitstempel müssen entfernt werden.

Die beschriebenen Voraussetzungen sind allgemein und erlauben eine generelle Anwendung auf Dienstleistungsprozesse. Sie sind weitestgehend vergleichbar mit den Anforderungen des Process Mining, das für jeden Prozess angewendet werden kann, so lange die Prozessdurchführung aufgezeichnet wird (van der Aalst et al. 2003).

3.3 Schritt 1: Erstellung des Prozessmodells

Ziel des Prozessmodells ist die Abbildung des Netzwerks aus Aktivitäten im Dienstleistungsprozess. Aus Zeitstempeln eines Prozesses kann das gesamte Set der Aktivitäten Aa extrahiert werden. Aktivitäten für einen Kundenauftrag Kl kön-nen anhand des Zeitpunkts Z in eine eindeutige Reihenfolge gebracht werden. Die Menge der Zeitstempel im Event Log muss in zwei Hälften geteilt werden (Ver-meidung „Overfitting“). Die Teilung erfolgt randomisiert, so dass in beiden Hälf-ten die gleiche Anzahl an vollständig abgeschlossenen Kundenaufträgen enthalten ist.

Für die Erstellung des Modells werden die Zeitstempel der ersten Hälfte mit Algorithmen des Process Mining auf typische Muster untersucht, d. h. die Reihen-folge der Aktivitäten für Kundenaufträge. Für Echtdaten kann der Heuristic Miner als bester Algorithmus angesehen werden (Weijters et al. 2006), da er sehr robust gegenüber Störungen und Ausnahmen in einem Event Log ist. Das Modell soll die Verbindungen erfassen, die sehr häufig vorkommen. Verbindungen, die sehr sel-ten vorkommen, sind für das Modell von geringer Relevanz und sollten deshalb nicht enthalten sein. Würden alle jemals in den Daten aufgetretenen Verbindungen im Modell enthalten sein, bestände die Gefahr eines unübersichtlichen „Spaghetti-Diagramms“ (Bose und van der Aalst 2009). Es muss daher eine Abschätzung zwischen dem Detaillierungsgrad und der Verwendbarkeit des Modells erfolgen.

Das Prozessmodell wird dann auf seine Validität geprüft, d. h. die Überein-stimmung mit den Prozessablaufdaten (Rozinat et al. 2008). Dafür wird die zweite

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen 129

Hälfte der Zeitstempel verwendet. Für die Überprüfung sollte der Ansatz der „Conformance“-Prüfung von (2005) verwendet werden. Jede Abweichung, d. h. ein aufgezeichneter Verlauf eines Kundenauftrags, der nicht der Reihenfolge der Aktivitäten im Prozessmodell entspricht, wird mit ihrem Ausmaß bewertet. Damit kann ermittelt werden, wie gut das erstellte Prozessmodell zu den historischen Da-ten passt. Die Übereinstimmung des Modells mit den realen Daten sollte über 90 Prozent liegen (Rozinat und van der Aalst 2005). Zusätzlich sollte das Prozessmo-dell mit dem Prozessverantwortlichen auf Plausibilität überprüft werden (Maruster und van Beest 2009).

Die Erstellung des Prozessmodells kann z. B. mit der Software ProM erfolgen. In dieser Software sind die beschriebenen Algorithmen sowie der Ansatz zur Überprüfung der Konformität des Prozessmodells enthalten (van der Aalst et al. 2007).

3.4 Schritt 2: Identifikation von Kundenintegrationsmustern

Im zweiten Schritt wird ermittelt, wo innerhalb eines Dienstleistungsprozesses die Kunden tatsächlich integriert sind. Dies betrifft sowohl die Aktivitäten, die Kun-deninput anfordern, als auch die Aktivitäten, die den Kundeninput erhalten. Die Identifikation beschränkt sich auf die Kundenintegration, die durch das ermittelte Prozessmodell abgebildet wird. So kann es sein, dass es selten auftretende Kun-denintegrationsmuster gibt, die nicht im Prozessmodell enthalten sind.

Die Integration von Kunden wird mit Hilfe von Kundenintegrationsmustern (I mit Iij I) spezifiziert. Diese Muster sind durch eine oder mehrere aufeinander-folgende Aktivitäten gekennzeichnet, die zu einer Unterbrechung der Bearbeitung auf der Seite des Dienstleistungsunternehmens führen. Abb. 1 gibt ein Beispiel.

Abb. 1. Beispiel für ein Kundenintegrationsmuster

Mehrere Kundenaktivitäten hintereinander werden zu einer Kundenintegration zusammengefasst. Kundenintegrationsmuster werden formal wie folgt definiert:

Vorherige Aktivität (Ai)

Nächste Aktivität (Aj)

Kunden-integrations-muster

Sachbearbeiter

Sachbearbeiter

Kunde

Kunde

Sachbearbeiter

Sachbearbeiter…

P

Ende

Beginn

Ende

Beginn

Ende

Beginn…

T

#203

#203

#203

#203

#203

#203…

K……

07.03.2010 15:25

Nachreichung Unterlagen

08.03.201011:05

Prüfung

08.03.201014:23

Prüfung

05.03.201010:14

Nachreichung Unterlagen

05.03.201010:14

Prüfung

……

05.03.201010:04

Prüfung

A Z

Sachbearbeiter

Sachbearbeiter

Kunde

Kunde

Sachbearbeiter

Sachbearbeiter…

P

Ende

Beginn

Ende

Beginn

Ende

Beginn…

T

#203

#203

#203

#203

#203

#203…

K……

07.03.2010 15:25

Nachreichung Unterlagen

08.03.201011:05

Prüfung

08.03.201014:23

Prüfung

05.03.201010:14

Nachreichung Unterlagen

05.03.201010:14

Prüfung

……

05.03.201010:04

Prüfung

A Z

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130 Michael Leyer

(2)

Aktivitäten, die Kundeninput anfordern, werden als Ai bezeichnet, während für empfangende Aktivitäten Aj gilt. Ai muss dabei nicht notwendigerweise Aj ent-sprechen, z. B. bei Rückschleifen.

Alle Ereignisse eines Kundenauftrags werden gruppiert und anhand der Zeit-punkte in eine zeitliche Reihenfolge gebracht. Liegt eine Kundenaktivität vor, werden die vorherige und die nachfolgende Aktivität im Dienstleistungsunterneh-men als Kundenintegrationsmuster zusammengefasst. Für die weiteren Schritte wird den relevanten Ereignissen E eine weitere Eigenschaft mit Iij hinzugefügt. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen von der obigen Definition:

Die erste Ausnahme liegt vor, wenn im Schritt 3 festgestellt wird, dass eine Ak-tivität ausschließlich Kundeninput anfordert, d. h. die Aktivität Ai nur eine Folge aus der Anforderung von Kundeninput in einer vorherigen Aktivität ist. Diese Ausnahmen können allerdings erst im Schritt 3 identifiziert werden. Für diese Kundenintegrationsmuster wird daher Schritt 2 erneut durchgeführt. Dazu wird die vorherige Aktivität Ai-x ausgewählt (x ist dabei die vorherige Aktivität von Ai, bei der keine ausschließliche Anforderung des gleichen Kundeninputs erfolgt), so dass sich folgende abweichende formale Definition für diese Kundenintegrationsmuster ergibt:

(3)

Die zweite Ausnahme liegt vor, wenn es eine anfordernde, aber keine empfan-gende Aktivität gibt. Dann endet die Bearbeitung für den Kundenauftrag, da keine Rückmeldung durch den Kunden erfolgt. Die abweichende formale Definition ist:

(4)

Liegt eine Kombination von beiden Ausnahmen vor, wird die formale Definiti-on wie folgt angepasst:

(5)

Mit der beschriebenen Vorgehensweise können alle in einem Event Log enthal-tenen Kundenintegrationsmuster, d. h. alle Kombinationen von anfordernden und empfangenden Aktivitäten, identifiziert werden. Die Summe aller auftretenden Kombinationen in einem Event Log wird als N(Iij) bezeichnet.

3.5 Schritt 3: Analyse des Auftretens von Kundenintegration

In diesem Schritt wird das Auftreten der Kundenintegration in den Aktivitäten Ai (gilt auch für den Fall Ai-x) quantitativ analysiert. Gemäß der diskutierten Sicht-weise sind Kunden in den Leistungserstellungsprozess von Dienstleistungen inte-griert. Kundenintegration bedeutet demzufolge, dass der Kunde sich selbst oder Sachgüter bzw. Informationen während des Leistungserstellungsprozesses bereit-

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen 131

stellt (Johnston 2005). Damit stellt der Kunde einige für die Erbringung einer Dienstleistung notwendigen Ressourcen zur Verfügung. Das bedeutet, dass Kun-den über die als passive Integration bezeichnete Konsumption einer Dienstleistung auch aktiv tätig werden (Büttgen 2007). Das bedeutet, dass eine Interaktion zwi-schen Dienstleistungsanbieter und Kunde stattfindet, bei der eine Mindestaktivität durch den Kunden erfolgt. Aus Sicht des Dienstleistungsanbieters wird die Durch-führung von Kundenaktivitäten als Liegezeit bewertet, da ohne den Kundeninput eine weitere Bearbeitung nicht stattfinden kann.

Um die Wichtigkeit der dafür identifizierten Kundenintegrationsmuster zu be-stimmen, wird ermittelt, wie oft eine Integration stattfindet. Dabei kann eine Akti-vität Ai Bestandteil mehrerer Kundenintegrationsmuster sein. Wie oft jedes Kun-denintegrationsmuster Iij in den Ereignissen auftritt, wird mit n(Iij) beschrieben.

Die Häufigkeit für jedes Kundenintegrationsmuster sollte in Relation zu der Gesamtzahl an Durchführungen der jeweils anfordernden Aktivität gesetzt wer-den. Diese Gesamtzahl wird für jede Aktivität Ai mit der Variable n(Ai) bezeich-net, die angibt, wie oft Ai in den Ereignissen ausgeführt wurde. Damit kann der prozentuale Anteil bestimmt werden, wie oft eine Aktivität Ai Kundeninput anfor-dert:

(6)

Entspricht Ai(Iij) 100 Prozent, wird Schritt 2 für diese Iij erneut durchgeführt. Zudem sollte überprüft werden, ob dem jeweiligen Auftreten eine Wahrscheinlich-keitsverteilung F zu Grunde liegt. Ziel ist es, damit die Integration von Kunden besser prognostizieren zu können. Der Zeitpunkt des Auftretens eines Kunden-integrationsmusters wird folgendermaßen bestimmt:

(7)

Für die Überprüfung, ob die vorliegenden Werte einer kontinuierlichen Wahr-scheinlichkeitsverteilung unterliegen, gibt es mehr als 40 verschiedene Tests (Dufour et al. 1998). Von diesen wird der modifizierte Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstest (K-S-Test) empfohlen (Yazici und Yolacan 2007). Mit diesem Test wird überprüft, ob die Abweichung der empirischen Daten von einer theoreti-schen Wahrscheinlichkeitsfunktion gering ist, d. h. statistisch signifikant ist (Roussas 1973). Die dafür notwendigen Gleichungen lauten (Maibaum 1976):

(8)

(9)

(10)

Die Variable q ist die kumulative Wahrscheinlichkeit der beobachteten Werte. Im vorliegenden Fall entsprechen die beobachteten Werte tx(Iij). Für jedes Iij wer-

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132 Michael Leyer

den daher die aufgetretenen Zeitpunkte untersucht. zq ist die kumulative Wahr-scheinlichkeit der jeweils ausgewählten statistischen Verteilung und D ist die Dif-ferenz zwischen den beobachteten und den erwarteten Werten. Die Ergebnisse werden in die folgende Gleichung eingesetzt (Pearson und Hartley 1972):

(11)

Eine untersuchte Wahrscheinlichkeitsverteilung kann als signifikant angenom-men werden, wenn

(12)

Mit einer solchen Verteilung F[t(Iij)] kann das Auftreten von Kundenintegration erklärt bzw. prognostiziert werden. Sind mehrere Verteilungen für das Auftreten eines Iij signifikant, werden alle als relevant erfasst. Zwar gibt es immer eine beste Verteilung (F*[t(Iij)], für die max D* gilt), aber die Unterschiede sind teilweise sehr gering. So kann die bestmögliche Verteilung für verschiedene Zeiträume ei-nes informationszentrierten Dienstleistungsprozesses unterschiedlich sein, aber immer aus der Menge der insgesamt statistisch signifikanten Verteilungen stam-men.

3.6 Schritt 4: Analyse der Dauer der Kundenintegration

Die Anforderung von Kundeninput führt zu einer zeitlichen Verzögerung bei der Leistungserstellung. In dieser Zeit kann keine weitere Bearbeitung für den jewei-ligen Kundenauftrag erfolgen, d. h. es werden keine Mitarbeiterkapazitäten benö-tigt. Diese Liegezeit sollte pro Kundenintegrationsmuster analysiert werden, um abzuschätzen, wann die Mitarbeiterkapazitäten in der empfangenden Aktivität be-nötigt werden. Die Berechnung erfolgt nicht für Kundenintegrationsmuster der Ausnahme Ii, da in diesen Fällen keine Liegezeit auftritt.

Zur Berechnung der durchschnittlichen Dauer eines Iij müssen zuerst die indi-viduellen Liegezeiten von Kundenaufträgen jedes einzelnen Auftretens von Iij be-rechnet werden. Die individuellen Liegezeiten jedes aufgetretenen Iij in E werden folgendermaßen berechnet:

(13)

Die durchschnittliche Liegezeit für jedes Iij ergibt sich mit den berechneten Werten wie folgt:

(14)

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen 133

Die durchschnittliche Liegezeit gibt zwar das Ausmaß des Einflusses der Kun-denintegration an, ermöglicht aber eine nur ungenaue Vorhersage, wann die Wei-terbearbeitung des Auftrags erfolgen kann. So kann ein Großteil der Kunden sich nach kurzer Zeit zurückmelden, aber eine durchschnittlich lange Liegezeit durch Ausreißer verursacht werden. Auch die Liegezeiten werden daher mit Hilfe des K-S-Tests auf Wahrscheinlichkeitsverteilungen untersucht. Hierzu werden wiederum die Formeln 9 bis 13 verwendet. In diesem Fall entspricht q der kumulativen Wahrscheinlichkeit der beobachteten Werte von Wx(Iij). Die statistisch signifikan-ten Verteilungen werden mit F[ W(Iij)] bezeichnet mit F*[ W(Iij)] als am besten passende Verteilung.

3.7 Schritt 5: Einfluss des Kontexts auf die Kundenintegration

In Ergänzung zur allgemeinen Modellierung sollte geprüft werden, ob es Kon-textfaktoren gibt, die einen Einfluss auf die quantitativen Werte der Kundenin-tegration haben (Banker und Natarajan 2008). Als Kontext wird alles bezeichnet, was sich außerhalb des Prozesses befindet (Dey 2001) und einen systematischen Einfluss auf den Prozessverlauf oder das -verhalten haben kann (Leyer 2011). Kontextfaktoren können Eigenschaften von Kunden sein (z. B. Kundenstatus), Ei-genschaften der Kundenaufträge (z. B. Art des Auftrags) oder allgemeine Bedin-gungen (z. B. Wetter). So kann beispielsweise Kundenintegration bei Dienstleis-tungen mit individuellen Anteilen eher auftreten als im Standardfall oder eine Rückmeldung vom Kunden mit Informationen in der Ferienzeit länger als außer-halb der Ferienzeit dauern.

Dafür wird mit statistischen Methoden getestet, ob es hinsichtlich eines Kon-textfaktors einen Unterschied der jeweiligen Werte gibt. Dazu müssen als erstes die relevanten Kontextfaktoren (KF) und ihre Ausprägungen identifiziert werden (Leyer 2011). KF müssen auf Basis von Annahmen über mögliche Einflüsse in diesen Kategorien identifiziert und getestet werden. Datenquellen können sowohl interne als auch externe Datenbanken sowie Websites sein. Wichtig ist, dass die Daten für den zu analysierenden Zeitraum vollständig vorliegen.

Die Ausprägungen jedes KF werden als nominale Variablen kodiert. Jeder KF kann damit durch KFgh beschrieben werden, mit g als fortlaufender Nummer des KF und h als fortlaufender Nummer der jeweiligen Ausprägung. Die Ausprägun-gen jedes KFs müssen den einzelnen Aktivitäten im Prozess zugeordnet werden. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:

Die Zuweisung einer Ausprägung ist von der Durchführung einer bestimmten Aktivität abhängig. Dabei kann es sich um eine zusätzliche Aktivität handeln, die z. B. in einem Zahlungsverkehrsprozess ausschließlich für Auslandsüber-weisungen durchgeführt wird. Wenn eine solche Aktivität im Event Log für ei-nen Kundenauftrag dokumentiert ist, wird jedem Zeitstempel des Kundenauf-trags die jeweilige Ausprägung zugeordnet.

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134 Michael Leyer

Das Datum bzw. die Uhrzeit der Zeitstempel wird als Referenz für die Zuord-nung der Ausprägungen der Kontextfaktoren genutzt. Hier ist die Zuordnung von Zeitstempeln zu Kundenaufträgen unerheblich. Die Ausprägungen werden daher dem jeweiligen Zeitstempel ohne weitere Restriktionen zugeordnet.

Zur Analyse des Einflusses eines Kontextfaktors auf das Auftreten einer kun-deninduzierten Verzögerung kann der Chi-Quadrat-Test ( 2-Statistik) verwendet werden, da beide Variablen nominal skaliert sind. Für die Analyse der Dauer einer aufgetretenen Verzögerung wird bei normalverteilten Daten die einfaktorielle Va-rianzanalyse (F-Statistik) im anderen Fall der Mann-Whitney-U-Test (U-Statistik) bei zwei Ausprägungen bzw. der Kruskal-Wallis-Test (K-Statistik) für mehr als zwei Ausprägungen angewendet.

Es kann vorkommen, dass für ein Kundenintegrationsmuster (Auftreten oder Dauer) mehrere Kontextfaktoren einen statistisch signifikanten Einfluss haben. In diesem Fall müssen die einzelnen Ausprägungen der betroffenen Kontextfaktoren für die jeweiligen Kundenintegrationsmuster zusammen getestet werden. Dazu werden die jeweiligen Kombinationen der Ausprägungen der einzelnen Kon-textfaktoren für jedes Kundenintegrationsmuster in einer Dummy-Variablen abge-bildet. Die Anzahl aller möglichen Kombinationen von Ausprägungen der Kon-textfaktoren für eine Aktivität wird mit N[KF(Iij)] bezeichnet. Die Dummy-Variable wird für alle statistisch signifikanten Kontextfaktoren für das Auftreten eines Kundenintegrationsmusters mit

(15)

bzw. im Fall der Dauer eines Kundenintegrationsmusters mit

(16)

definiert. Bei der Auswertung der Kombinationen sollte man sich auf die häufiger vor-

kommenden Kombinationen von Merkmalen konzentrieren, da Kombinationen mit einer geringen Anzahl keine nennenswerten Auswirkungen haben. Ist ein Er-gebnis nicht signifikant, wird der Kontextfaktor, der einzeln den geringsten signi-fikanten Einfluss hat, von der Bestimmung von KFy(Iij) ausgenommen. Die Über-prüfung auf einen kombinierten Einfluss muss in diesem Fall wiederholt werden, bis ein signifikantes Ergebnis erreicht wird.

Für statistisch signifikante Ergebnisse sollten die Schritte 3 und 4 erneut durch-geführt werden. Das Auftreten von Kundenintegration wird dann mit Wx(Iijh), die Dauer mit tx(Iijh) unterschieden.

3.8 Schritt 6: Erstellung des Simulationsmodells

Das statische Prozessmodell wird mit den Informationen aus den vorherigen Schritten sowie weiteren Informationen ergänzt, um ein dynamisches Simulati-onsmodell zu entwickeln. Quellen für zusätzlich benötigte Daten sind z. B. die

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen 135

Prozessdokumentation, die Prozesskostenrechnung sowie Daten über die Mitarbei-terverfügbarkeiten und -fähigkeiten (Chevalier und Van den Schrieck 2008).

3.8.1 Bestimmung der Bearbeitungszeiten

Für jede enthaltene Aktivität Aa, die von einem Mitarbeiter Pm ausgeführt wird, wird die Bearbeitungszeit jedes Auftretens dieser Aktivität in den Zeitstempeln berechnet. Die Summe des Auftretens einer Aktivität Aa wird mit n(Aa) bezeich-net. Die Bearbeitungszeit für jedes Auftreten wird wie folgt berechnet:

(17)

Auch für Bearbeitungszeiten wird getestet, ob Kontextfaktoren einen statistisch signifikanten Einfluss haben (gleiche Vorgehensweise wie in Schritt 5). Die An-zahl aller möglichen Kombinationen von Ausprägungen der Kontextfaktoren für eine Aktivität wird mit N[KF(Aa)] bezeichnet. Die Dummy-Variable wird für alle statistisch signifikanten Kontextfaktoren formal wie folgt definiert:

(18)

Für jede Aktivität mit einem statistisch signifikanten Einfluss von Kontextfak-toren erfolgt über die Variable BZx(Aa, KFh) bzw. BZx(Aa, KFx). Die betroffenen Aktivitäten werden durch Aah unterschieden, d. h. die Aktivität wird pro signifi-kanter Ausprägung eines Kontextfaktors aufgeteilt.

Auch für die Bearbeitungszeiten werden nach der beschriebenen Vorgehens-weise die zu Grunde liegenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen ermittelt. Die am besten passende statistisch signifikante Verteilung wird vereinfacht mit F*[BZ(Aa)] bezeichnet. Zudem wird für jede Aktivität die durchschnittliche Bear-beitungszeit berechnet, der verwendet wird, wenn weniger als fünf Beobachtungen vorliegen:

(19)

3.8.2 Bestimmung der Verzweigungswahrscheinlichkeiten

Können auf eine Aktivität im Prozessmodell verschiedene weitere Aktivitäten fol-gen, so gibt es mehrere mögliche Wege für einen Kundenauftrag. Für jede Ver-zweigung Vvw muss die Wahrscheinlichkeit der Nutzung bestimmt werden, d. h. welche Folgeaktivitäten wie oft genutzt werden. v steht für die erste Aktivität und w für die folgende Aktivität. Diese Informationen sind in den Zeitstempeln enthal-ten, da die Anzahl der Aktivitäten sowie deren Folgeaktivitäten damit bestimmt werden können. Die Anzahl der Verzweigungen für eine Aktivität wird mit

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136 Michael Leyer

N(Vvw) bezeichnet. Die Verzweigungen für jede relevante Aktivität w ist formal definiert als:

(20)

Die Anzahl des Auftretens jeder Verzweigung in den Zeitstempeln wird mit n(Vvw) angegeben. Für jede betroffene Aktivität können die Verzweigungswahr-scheinlichkeiten wie folgt berechnet werden.

(21)

Auch für jede VWKvw sollte der Einfluss von Kontextfaktoren geprüft werden; siehe Vorgehensweise für das Auftreten von Kundenintegration.

3.8.3 Bestimmung der Verfügbarkeit von Ressourcen

Die Verfügbarkeit der benötigten Ressourcen für den betrachteten Prozess wird anhand der folgenden Merkmale bestimmt:

Anzahl der Ressourcen: Für jede Mitarbeitergruppe Pm, die dem Prozess zuge-ordnet ist, muss die Anzahl der verfügbaren Mitarbeiter N(Pm) bestimmt wer-den (Falls IT-System unbeschränkt). Die Anzahl wird entweder vom Prozess-verantwortlichen angegeben oder kann aus den Zeitstempeln ermittelt werden. Letztere Möglichkeit ist nur anwendbar, wenn einer Mitarbeitergruppe Pm le-diglich ein einzelner Mitarbeiter zugeordnet ist.

Zuordnung zu Aktivitäten: Jede Mitarbeitergruppe wird einer Aktivität zuge-ordnet. Es kann eine Mehrfachzuordnung von mehreren Mitarbeitergruppen zu einer Aktivität sowie mehrerer Aktivitäten zu einer Mitarbeitergruppe erfolgen. Die Zuordnung kann mit Hilfe der Zeitstempel ermittelt werden. Dazu muss er-fasst werden, welche Pm für eine Aktivität Aa eingesetzt wurden.

Zeitliche Verfügbarkeit: Die Arbeitszeiten (inklusive Pausenzeiten) müssen für jede Pm festgelegt werden. Die zeitliche Verfügbarkeit sollte in Form eines Zeitplans für die einzelnen Wochentage erfolgen. Für jeden Wochentag wird damit die grundsätzliche Anwesenheitszeit definiert.

Prozentuale Verfügbarkeit: Bei weniger als 100 Prozent ist anzugeben, wie lange Mitarbeiter für andere Tätigkeiten im Durchschnitt zur Verfügung stehen. Damit wird abgebildet, dass Mitarbeiter im Fall einer Anforderung nicht sofort zur Verfügung stehen. Es ist zu beachten, dass die prozentuale Verfügbarkeit einen Maximalwert darstellt. Sind Mitarbeiter im betrachteten Prozess nicht ausgelastet, können Sie auch Aktivitäten in anderen Prozessen ausführen.

3.8.4 Zuweisung von Prozesskosten

Die Informationen über entstehende Prozesskosten sind nicht in den Zeitstempeln enthalten. Kernpunkt der Prozesskosten sind die Kosten der Mitarbeitergruppen

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen 137

pro Minute. Damit können Bearbeitungszeiten monetär bewertet werden. Aus die-sen Werten können in Verbindung mit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit die Kosten pro Einsatzminute der Mitarbeitergruppen bestimmt werden. Ausgangs-punkt für die Berechnung der Prozesskosten pro Minute sind die jährlichen Brut-togehälter der jeweiligen Mitarbeitergruppen Pm(JG). Die Zuordnung der Gehälter zu den Arbeitszeiten erfolgt über die maximal verfügbare Einsatzzeit (EZ) für die Bearbeitung von Kundenaufträgen eines Mitarbeiters:

(22)

Damit können die Prozesskosten pro Einsatzminute jeder Mitarbeitergruppe be-rechnet werden:

(23)

Zusätzlich zu den mitarbeiterbezogenen Kosten der Prozessausführung können noch Kosten bei der Nutzung einer Ressource Pm(FK) oder der Durchführung ei-ner Aktivität Aa(FK) entstehen. Solche Kosten können z. B. Portokosten für die Versendung eines Briefs, die kostenpflichtige Anforderung von externen Informa-tionen und Anfahrtskosten eines Mitarbeiters sein.

3.8.5 Zuordnung von Steuerungskonzepten

Auch die Informationen über das im Prozess verwendete Steuerungskonzept SK sind nicht in den Zeitstempeln enthalten. Das verwendete Steuerungskonzept muss daher zusätzlich vom Prozessverantwortlichen mitgeteilt werden. Werden mehrere Steuerungskonzepte eingesetzt, muss eine eindeutige Abgrenzung erfolgen. Das bedeutet einerseits eine Zuordnung zu den einzelnen Aktivitäten Aa(SK), falls un-terschiedliche Steuerungskonzepte zum gleichen Zeitpunkt in verschiedenen Akti-vitäten verwendet werden. Eine Anwendung unterschiedlicher Steuerungskonzep-te zu verschiedenen Zeitpunkten sollte dadurch berücksichtigt werden, dass die Betrachtungsperiode der Zeitstempel entsprechend abgegrenzt wird. Ansonsten ist eine klare Zuordnung der Effekte eines Steuerungskonzepts nicht möglich.

Für die Ausgangssituation kann allerdings jeweils nur ein Steuerungskonzept pro Aktivität verwendet werden, da ansonsten eine eindeutige Bestimmung der Auswirkungen eines Steuerungskonzepts nicht möglich ist.

3.8.6 Modellierung von Zulieferern

Für die Aktivitäten der Zulieferer werden die gleichen Schritte wie zur Ermittlung der Bearbeitungszeiten durchgeführt. Sind die Aktivitäten von Zulieferern nicht eindeutig als solche identifizierbar, müssen über die Informationen in den Zeit-stempeln hinaus die relevanten Mitarbeitergruppen vom Prozessverantwortlichen

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138 Michael Leyer

identifiziert werden. Die Modellierung erfolgt allerdings als Liegezeit, so dass den Aktivitäten keine Ressourcen zugewiesen sind.

Alle Liegezeiten der Zulieferer werden mit Wr,s bezeichnet. Die Berechnung der Liegezeiten für jede Zuliefereraktivität ist wie folgt:

(24)

Damit wird die durchschnittliche Liegezeit pro Zuliefereraktivität berechnet:

(25)

Analog zu Bearbeitungszeiten und Kundenintegration muss zudem geprüft werden, ob der Kontext Auswirkungen auf die Dauer von Zuliefereraktivitäten hat. Außerdem müssen die auftretenden Kosten für die Nutzung der Zuliefererak-tivitäten ergänzt werden und die Verzweigungswahrscheinlichkeiten für die Zulie-fereraktivitäten bestimmt werden. Diese Festlegung ist allerdings nur notwendig, wenn das Ergebnis der Zuliefereraktivität in verschiedenen Aktivitäten weiterbe-arbeitet wird.

3.8.7 Modellierung der Kundenintegration

Alle Ergebnisse über die Auswirkungen der Kundenintegration können direkt für das Simulationsmodell verwendet werden. So werden Kundenaktivitäten als Ver-zögerungen mit den jeweiligen am besten passenden Verteilungen modelliert.

3.8.8 Modellierung des Ist-Szenarios

Ausgangspunkt für die Bestimmung des Ist-Szenarios ist der Eingang von Kun-denaufträgen (KE). Für alle KE wird der erste relevante Zeitstempel identifiziert. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:

Ist die erste aufgezeichnete Aktivität eines KE von einem Mitarbeiter Pm ausge-führt worden, wird E(A1, Z, Ta, Pm, Kl) herangezogen. In diesem Fall entspricht der Eingang des KE dem Beginn der Bearbeitung.

Im Fall einer vorherigen aufgezeichneten Aktivität wird der dazugehörige Zeit-stempel E(Aa, Z, Te, Pk, Kl) genutzt. Solche Aktivitäten können Kundenaktivi-täten sein (wenn das Workflowmanagementsystem auch deren Aktivitäten auf-zeichnet) oder die automatische Generierung eines Eingangs-Zeitstempels.

Die Erstellung eines Zeitplans orientiert sich an den Wochentagen (WT), so dass festgelegt wird, wie viele Aufträge an jedem Wochentag eingehen n(KEWT). Die Anzahl der enthaltenen Wochentage N(KEWT) kann über die Differenz des zeitlich ersten und des zeitlich letzten Zeitstempels anhand der Eigenschaft T mit

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen 139

der Information „TT:MM:JJJJ“ bestimmt werden. Die durchschnittliche Anzahl des Eingangs von KE an einem Wochentag (gerundet) wird wie folgt berechnet:

(26)

Ausgehend von der durchschnittlichen Anzahl der Kundenauftragseingänge kann die durchschnittliche Tageszeit des Eingangs bestimmt werden. Diese Infor-mation ist in der Eigenschaft T des ersten Zeitstempels von jedem Kundenauftrag mit „hh:mm:ss“ enthalten. Die Tageszeit wird für jeden Wochentag getrennt ana-lysiert, indem die Eingangszeitstempel anhand des Werts KEWT in Zeiträume unterteilt werden. Für die Zeiträume wird jeweils der Mittelwert sowie die Stan-dardabweichung (jeweils auf ganze Zahlen auf- oder abgerundet) berechnet. Über-schneiden sich zwei Zeiträume, werden diese Zeiträume zusammengefasst.

3.8.9 Validierung des Simulationsmodells

Es wird dann geprüft, ob das Modellverhalten dem Verhalten des Prozesses in der Realität entspricht (Sargent 2013). Dazu sollte die Struktur als auch das Verhalten des Simulationsmodells validiert werden (Robinson und Brooks 2010). Hinsicht-lich der Validierung der Modellstruktur sollte die Konformität der Modellstruktur (Rozinat und van der Aalst 2005) geprüft werden und eine Abstimmung mit dem Prozessverantwortlichen erfolgen (Kleijnen 1995) (vgl. Schritt 1).

Die Überprüfung des Verhaltens des Simulationsmodells erfolgt anhand der Variablen DLZ, BZ und N(Kl) (Kleijnen 1995). Zur Generierung der nötigen Werte muss das Simulationsmodell ausgeführt werden, das in einem leeren Zu-stand startet. Dadurch findet eine Verzerrung statt, so dass eine Aufwärmphase genutzt wird (Messung erst nach einer ausreichenden Vorlaufzeit) (Robinson 2007). Die Dauer der Vorlaufzeit sollte nach einem heuristischen Ansatz das An-derthalbfache der maximal beobachteten DLZ haben (Hoad et al. 2010).

Zudem sollte der gewählte Messzeitraum eine hinreichende Anzahl an Kunden-aufträgen generieren. Analog zur Aufwärmphase sollte auch der Messzeitraum der anderthalbfachen Dauer der längsten beobachteten Durchlaufzeit entsprechen (Cassandras und Lafortune 2007).

Darüber hinaus ist eine ausreichende Anzahl von Durchläufen des Szenarios zur Validierung des Verhaltens nötig. Eine einmalige Durchführung des Simulati-onsmodells führt zu zufälligen Werten, da das Modell aus einem Zusammenspiel von Wahrscheinlichkeitsfunktionen besteht. Die Anzahl der Durchläufe sollte in mehreren Stufen (z. B. 50, 100, 200, 500, 1000, 10000) erfolgen. Für jede Stufe wird geprüft, ob die Ergebnisse statistisch signifikant mit den Ist-Werten der drei Variablen übereinstimmen. Die Prüfung erfolgt mit einem T-Test bei einer Stich-probe (Sargent 2013). Für die Anzahl der Kundenaufträge ist zu beachten, dass ein Vergleich mit angepassten Ist-Werte erfolgen muss, wenn der verwendete Ist-Datenzeitraum nicht dem Simulationszeitraum (SZ) entspricht. Die angepasste Anzahl der Kundenaufträge wird wie folgt berechnet:

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140 Michael Leyer

(27)

Sind die Ergebnisse der T-Tests für alle Variablen statistisch signifikant, kann davon ausgegangen werden, dass das Simulationsmodell das Verhalten des Ist-Prozesses adäquat abbildet. Dann können Veränderungen am Modell vorgenom-men werden und die Auswirkungen simuliert werden.

4 Implikation, Limitation und Ausblick

Mit der beschriebenen Methodik können Simulationsmodelle für Dienstleistungs-prozesse auf Basis von Daten des Process Mining erstellt werden. Bestehende An-sätze (Maruster und van Beest 2009, Rozinat et al. 2009a, 2009b, Liu et al. 2012) werden wie folgt erweitert. Der erste wesentliche Beitrag der Methodik ist die Modellierung von Kundenintegration. Diese wird formalisiert und hinsichtlich des Auftretens und der Dauer genau spezifiziert. Zweitens bezieht die Methodik die Berücksichtigung des Kontexts nicht nur für Kundenintegration sondern für das gesamte Simulationsmodell mit ein. Und drittens werden bestehende Ansätze (Maruster und van Beest 2009, Rozinat et al. 2009a, 2009b, Liu et al. 2012) da-hingehend erweitert, dass umfängliche Simulationsmodelle ermöglicht werden, d. h. unter Einbezug von externen Daten neben den Event Logs.

Praktische Implikationen ergeben sich hinsichtlich mehrerer Aspekte. Erstens ermöglicht die Methodik eine Beurteilung von Veränderungen im Prozess. Ent-scheidend dabei ist, dass die Produktivitätsmessung nun unter Berücksichtigung der Kundenintegration erfolgen kann. Damit kann genauer beurteilt werden, um wie viel Prozent eine Verbesserungsmaßnahme die Produktivität gesteigert hat. Zweitens ermöglicht die Methodik eine detaillierte Übersicht, wo Kunden im Pro-zess integriert sind und welche zeitlichen Auswirkungen die Integration hat. Diese Ergebnisse können z. B. für eine Modularisierung des Prozesses zur Bündelung der Kundenintegration genutzt werden. Darüber hinaus kann beurteilt werden, wie sich dadurch der Anteil der kundenbezogenen Produktivität verändert. Zu solchen Fragestellungen wird aktuell noch Forschungsbedarf gesehen (Ostrom et al. 2015). Drittens können die Ergebnisse zur Verbesserung des Kapazitätsmanagements ge-nutzt werden. Aufgrund der genaueren Prognose der Zeitpunkte der Leistungser-stellung für einzelne Aktivitäten und Mitarbeitergruppen kann die grundsätzliche Einplanung der benötigten Mitarbeiter präziser erfolgen. Viertens ist festzustellen, dass trotz der breiten Anwendungsmöglichkeiten und Fortschritte hinsichtlich der operativen Geschäftsprozesssimulation eine Lücke zwischen den theoretischen Erkenntnissen und der praktischen Anwendung gibt. So wird festgestellt, dass die Geschäftsprozesssimulation zwar als der am meisten genutzte Ansatz für Operati-onal Research angesehen wird, sie aber kaum von Unternehmen genutzt wird (Hoad et al. 2015). Dies gilt insbesondere für die Anwendung im Rahmen der ope-rativen Steuerung. Insgesamt wird die Geschäftsprozesssimulation als sehr hilf-

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Modellierung der Kundenintegration zur Simulation von Dienstleistungsprozessen 141

reich für das Management von komplexen Prozessen gesehen (Brooks und Wang 2015). Die Nutzung der Zeitstempel wie in der hier entwickelten Methodik soll die praktische Anwendung erleichtern. Aufgrund der automatischen Aufzeichnung werden Mitarbeiter nicht mit der Erfassung der Daten in ihrer Arbeit gestört, d. h. Zeitstempel aus Workflowmanagementsystemen fördern Einsatz und Verbreitung der Simulation.

Wie jedes Forschungsergebnis hat auch die vorgestellte Methodik Limitationen, die es zu beachten gibt. Erstens kann zwar mit den Zeitstempeln relativ schnell ein großer Zeitraum eines Prozesses erfasst werden, aber dafür sind nur Aktivitäten enthalten, die auch in dieser Form dokumentiert sind. Gespräche zwischen Mitar-beitern werden damit z. B. außen vorgelassen. Zeitstempel können neben Informa-tionssystemen auch durch Scanner oder manuelle Eingaben erzeugt werden. Hier-zu könnte eine Systematisierung erfolgen, für welche Arten von Aktivitäten Zeit-stempel in welcher Form am besten erzeugt werden können.

Zweitens werden in das Modell nur abgeschlossene Kundenaufträge mit einbe-zogen. Das sorgt für eine potenzielle Verzerrung gegenüber beobachteten Werten in der Realität. Hier muss ein hinreichend großer Zeitraum ausgewählt werden, um solche Probleme zu vermeiden. Es sollte aber bestimmt werden, wie die Länge des Zeitraums zu bestimmen ist, um potenzielle Verzerrungen zu vermeiden.

Drittens wird der Faktor Qualität nicht modelliert. Qualität ist ein schwer zu messender und teilweise subjektiver Indikator. Ein Indikator für die objektive Qualität könnten Rückschleifen während der Bearbeitung eines Kundenauftrags sein. Hinsichtlich der wahrgenommenen Qualität ist z. B. die Vielfalt der Mög-lichkeiten der Kundenintegration aus Kundensicht wichtig. Entsprechende Daten müssten zusätzlich zu den Zeitstempeln erfasst werden.

Viertens wird im vorliegenden Beitrag keine Evaluation der Methodik mit Hilfe von Testdaten oder Daten einer realen Umgebung vorgenommen. An dieser Stelle sei auf den Beitrag von Leyer und Moormann (2015) verwiesen, in dem eine An-wendung von wesentlichen Teilen der Methodik mit Echtdaten im Finanzdienst-leistungsbereich erfolgt. Der Beitrag enthält allerdings noch andere Aspekte der operativen Steuerung und beschreibt die Methodik nicht im Detail, wie dies im vorliegenden Beitrag erfolgt ist. Eine weitere Evaluierung mit Daten aus Kontex-ten in denen Sachgüter und Personen im Vordergrund stehen sollte in zukünftiger Forschung adressiert werden.

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen – Untersuchung der Übertragbarkeit der methodischen Ansätze und mathematische Formulierung

Dennis Behrens, Carola Gerwig, Thorsten Schoormann und Ralf Knackstedt

Dienstleistungsportale wie MyHammer oder Blauarbeit verzeichnen seit ihrem Entstehen immer größere Nutzerzahlen. Dabei wächst die Komplexität der Dienst-leistungsvermittlung stetig an. Dies ist einerseits auf die steigende Nutzerzahl und anderseits auf die technologischen Weiterentwicklungen, wie dem Internet der Dinge und Dienste, zurückzuführen. Um zukünftig effizienter Dienstleistungen zu vermitteln, müssen daher neue methodische Ansätze gefunden werden. Dieser Bei-trag zielt darauf ab, die Übertragbarkeit der Vermittlungsmechanismen von Dienstleistungsportalen auf den methodischen Ansatz des Demand-Side-Mana-gements zu untersuchen. Hierzu wurden bestehende Portale identifiziert und ana-lysiert. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Funktionsweise und der benötigten Daten wurde anschließend auf den Demand-Side-Management Kontext übertragen und gezeigt, dass diese Übertragung möglich ist. Abschlie-ßend wird ein erstes mathematisches Modell hergeleitet, das den Vermittlungsme-chanismus darstellt.

1 Einleitung

Dienstleistungen spielen, nicht nur in Deutschland, eine immer wichtigere Rolle (Statista 2016). Gleichzeitig sind sie jedoch starken Veränderungen unterworfen. Oftmals bieten technische Neuerungen Chancen und Risiken zugleich, auf jeden Fall aber die Notwendigkeit der Anpassung. Im Zuge der gemeinhin als Web 2.0 zusammengefassten Entwicklung des Internets und der einhergehenden massiven Nutzerintegration gab bzw. gibt es eine große Anzahl von Dienstleistungsportalen (DLP). Eines der wahrscheinlich bekannteren Portale ist MyHammer, das zu An-fang noch mit einem Auktionsmodell aufwartete, mittlerweile jedoch ohne Aukti-onen als Vermittlungsplattform fungiert (MyHammer AG 2012).

Einher mit den neuen Portalen gehen ein erhöhter Konkurrenzdruck und eine bessere Vergleichbarkeit von Dienstleistungen, nicht nur hinsichtlich der Qualität, sondern vor allem auch hinsichtlich des Preises. Gleichzeitig gibt es kontinuierli-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_7

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146 Dennis Behrens et al.

che Bestrebungen, Dienstleistungen zu standardisieren, um die Vergleichbarkeit weiter zu erhöhen und auch Qualitätsansprüche erfüllen zu können (Dienstleis-tungsportal 2016). Dies schlägt sich u. a. in DLP nieder, die Dienstleistungen zu einem Festpreis anbieten (PC Spezialist 2016). Darüber hinaus werden standardi-sierte Qualitätsanforderungen, wie bspw. ein Gewerbeschein, bei einigen Portalen als notwendige Voraussetzung benötigt, um als Dienstleister partizipieren zu kön-nen (bspw. Amazon Home Services 2016, Myammer 2016, Blauarbeit 2016).

Die Synchronisation zwischen Angebot (Dienstleister und Handwerker) und Nachfrage (Aufträge) stellt innerhalb der Portale ein komplexes Problem dar, dass bislang manuell und dezentralisiert gelöst wird. Dabei bewirken Faktoren, die oftmals außerhalb der Portale liegen, wie z. B. das Auftragsbuch, freie Personalka-pazitäten, die Entfernung zum Erbringungsort, eine Komplexitätszunahme. Hier stößt eine neue technologische Entwicklung Potenziale und Grenzen an: Industrie 4.0 bzw. Smart Services (Acatech 2013; Acatech 2014). Unter diesen Schlagwor-ten bzw. dem englischen Pendant Internet of Things, wird vor allem die Vernet-zung und Kommunikation von Maschinen, Produkten, etc. miteinander verstan-den. Neben vielen Möglichkeiten in der Produktion, wird dieser Trend auch weit-reichende Folgen für die Dienstleistungsbranche und deren Vermittlung über Por-tale bekommen.

DLP selbst stellen bspw. in einem aktuellen Positionspapier (Acatech 2014) für die auf „Industrie 4.0-Technologie“ aufbauenden Dienstleistungen, sog. Smart Services, einen entscheidenden Faktor dar. Als die Oberste von vier Ebenen sollen sie mit Hilfe „intelligenter Daten“ Dienstleistungen intelligent steuern. Neben in diesem Feld gängigen Verfahren, wie bspw. Big Data Methoden, kommen jedoch auch Methoden in Frage, die nicht direkt mit diesem Anwendungskontext in Ver-bindung gebracht werden. Ein Gebiet, dass sowohl ein ähnlich charakterisierbares Optimierungsproblem (vgl. Kapitel 2.3) besitzt, als auch durch die technologische Weiterentwicklung und Vernetzung bedingt wurde, ist die Steuerung von Strom-lasten. Hier ist im speziellen das Demand-Side-Management (DSM) zu nennen, dass durch die Smart Meter1 und deren Verknüpfung eine (bessere) Lastverteilung ermöglicht.

Dieser Beitrag untersucht daher, inwiefern DSM-Methoden zur automatisierten Vermittlung und Steuerung von Dienstleistungen in Dienstleistungsportalen ver-wendet werden können. Hierzu werden in einem ersten Schritt Arbeiten in dem Bereich der DLP betrachtet und der Betrachtungsfokus, bspw. hinsichtlich der Art der betrachteten Dienstleistungen erläutert (Kapitel 2). Darauf aufbauend werden Portale identifiziert, ausgewählt und analysiert (Kapitel 3). In Kapitel 4 wird die Übertragbarkeit zwischen den Vermittlungsmechanismen in DLPs und den Me-thoden des DSM, auf der Grundlage der Analyse, beschreiben. Um die Anwend-barkeit auch mathematisch darstellen zu können, wird eine erste (vereinfachte)

1 Zu näheren Informationen zum Thema Smart Meter(ing) siehe bspw. Molina-Markham

et al. (2010) oder Rajagopalan et al. (2011).

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 147

Problemformulierung aus einem gängigen DSM-Ansatz abgeleitet (Kapitel 5). Anschließend werden Limitationen aufgezeigt (Kapitel 6) und ein Ausblick gege-ben (Kapitel 7).

2 Dienstleistungsportale und Demand-Side-Management

2.1 Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands

Im Kontext von DLP können verschiedene Dienstleistungen bzw. Services ange-sprochen werden. Es ist deshalb wichtig, zuerst einzugrenzen, was unter Service im Bereich von Portalen verstanden wird bzw. welcher Service-Begriff im Fol-genden Zugrunde gelegt wird.

Oftmals verstehen in diesem Zusammenhang die Autoren darunter Service-Le-vel-Agreements (SLA) oder auch WebServices. Einige Autoren betrachten in die-sem Forschungsgebiet sog. Internet Service Provider (ISP). Hierbei ist die Quali-tätssicherung mit Hilfe bspw. von SLA von Bedeutung (Spillner u. Hoyer 2009). Ein anderes Gebiet sind sog. WebServices. Hierunter werden meistens Cloud-Dienste zusammengefasst, für die es ebenfalls Portale bzw. Marktplätze gibt (Barros et al. 2005). Diese unterscheiden sich jedoch grundlegend von den Busi-ness Services. WebServices werden i. d. R. ohne menschlichen Einsatz automati-siert angeboten, ein Beispiel wäre Dropbox oder Google Docs.

Darüber hinaus sind Business Services ein betrachteter Untersuchungsgegen-stand. Diese betrachten Dienstleistungen im klassischen Sinne – d. h. Dienstleis-tungen die bspw. von einem Handwerker ausgeführt werden und in einen Ge-schäftsprozess integriert sind. Um diese besser zu koordinieren, kommen sog. Bu-siness Webs und DLP zum Einsatz. Business Webs sollen Dienstleistungen ver-schiedener Unternehmen zu neuen Dienstleistungen, sog. Dienstleistungssyste-men, bündeln und diese den Kunden anbieten (Janiesch et al. 2014). Es geht dabei insbesondere um die Art und Weise der Kommunikation zwischen den einzelnen Dienstleistern.

DLPs hingegen fokussieren sich auf die Anbieter-Nachfrager-Beziehung und den Vermittlungsmechanismus von Dienstleistungen. Diese können dabei weiter unterteilt werden. Viele sind im Bereich eGouveranance zu finden (z. B. Bund 2016, Brandenburg 2016, Mecklenburg 2016). Hierbei handelt es sich um eine Dienstleistungsübersicht, z. T. mit Onlineunterstützung, bei der Kunden, in diesem Fall Bürgerinnen und Bürger, auf Dienstleistungen zugreifen und sich informieren können. Es geht hierbei weniger um die eigentliche Vermittlung von Dienstleis-tungen zwischen mehreren Akteuren. Dieser Beitrag fokussiert auf Dienstleistung-sportalen, wie bspw. MyHammer. Bei diesen geht es darum, verschiedene Anbie-ter und Nachfrager möglichst gut zusammen zu bringen.

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148 Dennis Behrens et al.

2.2 Dienstleistungsportale

DLPs sind auch in der Wissenschaft ein Untersuchungsgegenstand, der aus ver-schiedenen Sichten untersucht wird. Angetrieben durch die Erweiterung des Inter-nets um die Nutzerintegration zum Web 2.0 zur Jahrtausendwende, beschäftigen sich vermehrt wissenschaftliche Artikel und Arbeiten mit diesem Thema. Auch die Thematik der Dienstleistungsportale spielt seitdem eine Rolle in der Wissen-schaft. Einige Arbeiten beschäftigen sich mit dem Thema des sog. „Affiliate Mar-keting“, also dem Direktvertrieb im Internet (Borchardt 2010). Andere untersu-chen die Bedeutung für das Handwerk, bspw. in welchen Regionen Kunden das Portal MyHammer nutzen oder welche Leistungsarten wie oft nachgefragt werden (Dürig et al. 2012). Generelle Marktpotenziale und Maßnahmen um diese zu ver-wirklichen sind Thema der Arbeit von Zoch (2011).

Die meisten Artikel beschäftigen sich jedoch nicht direkt mit dem Vermitt-lungsmechanismus als solchem. Bspw. sind rechtliche und ethische Rahmenbe-dingungen (Kazemi 2014), der Preispolitik innerhalb der Portale (Hinz u. Creusen 2011; Kim u. Kircher 2012) oder auch der Vertrauensproblematik zwischen Dienstleister und Nachfrager (Lysik et al. 2015) Themen der Forschungsarbeiten. Der Vermittlungsprozess selbst wird, wenn überhaupt, nur mit der speziellen Aus-prägung der sog. „reverse auction“ betrachtet (Kollmann u. Häsel 2007). Eine Ar-beit führt die Vermittlung auf eine Prinzipal-Agent-Beziehung zurück (Müller 2007) und nutzt dafür das Beispiel MyHammer.

Es konnte darüber hinaus keine Arbeit gefunden werden, die sich spezieller mit dem Vermittlungsprozess von Dienstleistungsportalen beschäftigt oder eine mög-liche Automatisierung untersucht.

2.3 Demand-Side-Management

DSM ist ein Ansatz, um Stromlasten zeitlich zu verschieben und so Lastspitzen zu reduzieren2. Um Stromlasten, mit Hilfe der gestiegenen Vernetzung, besser steu-ern zu können, existieren dabei verschiedene Ansätze. Speziell um durch die durch Energiewende bedingt gestiegene Anzahl an dezentralen Erzeugern (Solar-anlagen, Windräder, etc.) zu managen, kommen Ansätze wie der des DSM zum Tragen. DSM existiert dabei länger als die Energiewende (z. B. Gellings u. Cham-berlin 1987), erfährt jedoch in letzter Zeit gestiegene Beachtung. Hierbei sollen anfallende Stromlasten zeitlich verschoben werden, sodass eine ausgeglichene Auslastung erreicht wird – also Lastspitzen verhindert werden. Wichtig ist, dass nicht die Reduktion der Lasten das Ziel ist, sondern lediglich eine Umverteilung angestrebt wird.

2 Für eine ausführliche Beschreibung des DSM siehe bspw.: Palensky und Dietrich (2011)

oder Gellings (1985).

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 149

Eine Restriktion besteht in der Verschiebbarkeit der Lasten, da nicht alle Lasten verschoben werden können. Generell können Lasten in zwei Oberkategorien auf-geteilt werden: starre und flexible Lasten (z. B. Behrens et al. 2014). Starre Lasten können nicht verschoben werden und müssen zum Zeitpunkt des Anfallens be-dient werden. Typische Beispiele sind Licht, Herd oder Fernseher. Flexible Lasten hingegen können zeitlich, mit gewissen Restriktionen, verschoben werden. Eine Restriktion betrifft die „Teilbarkeit“ der Lasten. Da die Lasten über einen gewis-sen Zeitraum anfallen, ist hier die Frage, inwiefern dieser Zeitraum unterbrochen werden kann. Der Ladevorgang eines Elektroautos bspw. kann unterbrochen wer-den, hier spricht man deshalb von flexibel, dynamischen Lasten. Der Waschvor-gang einer Waschmaschine kann bspw. nicht unterbrochen werden, sondern fällt am Stück an. Man spricht hier von flexiblen, nicht dynmischen Lasten. In folgen-der Abb. 1 wird die Hierarchie der Lasttypen nochmals aufgezeigt.

Abb. 1. Lasttypen

Eine weitere Restriktion ist die Nutzerpräferenz. Nicht jeder Nutzer ist gewillt oder kann seine Waschmaschine während der Nacht anstellen. Somit gibt es einen bestimmten Zeitrahmen in dem die Last anfallen darf. Ein Elektroauto hingegen kann sehr wohl nachts aufgeladen werden. Nichts desto trotz möchte der Nutzer am nächsten Morgen zur Arbeit fahren, sodass ein Zeitpunkt existiert, ab wann das Auto spätestens geladen sein muss.

Eingesetzt werden Methoden des DSM in verschiedenen Kontexten, bspw. in der Industrie und in privaten Haushalten. Speziell auf Haushaltsebene wird mit der Änderung des Energiewirtschaftsgesetz (§ 21 b Abs.3a, § 14a und § 40 Abs. 5 EnWG) eine maßgebliche Voraussetzung geschaffen, um DSM einsetzen zu kön-nen: So müssen bei Neubauten und großen Renovierungen bzw. Sanierungen Smart Meter, zum Messen und zum Steuern der angeschlossenen Verbraucher, in-stalliert werden und die Netzbetreiber sind verpflichtet, soweit möglich, variable Tarife anzubieten und für unterbrechbare Verbrauchseinrichtungen ein reduziertes Netzentgelt zu berechnen. Dies stellt einen wesentlichen Anreiz für Nutzer dar, um DSM zu nutzen. Allerdings führen variable Stromtarife nach einer Studie des Fraunhofer Instituts nicht ohne weiteres zu den gewünschten Lastverschiebungen. Diese erreichen nur dann signifikante Effekte, wenn die Optimierung automatisiert über programmierbare Haushaltsgeräte bestimmt wird (vgl. Dütschke et al. 2012).

Last

Starr Flexibel

Dynamisch

Nicht dynamisch

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150 Dennis Behrens et al.

Zur Implementierung von DSM existieren verschiedene Frameworks und Algo-rithmen. Dabei ist es entscheidend, ob die Optimierung lediglich auf eine Woh-nung beschränkt ist (z. B. Bassamzadeh et al. 2014; Stüdli et al. 2015) oder dar-über hinaus auch weitere Wohnungen bis hin zum gesamten Stromnetz betrachten. Für den zweiten Fall kann unterschieden werden, ob die Optimierung zentral ge-steuert wird, bspw. mit einer Heuristik (z. B. Bashash und Fathy 2013; Costanza et al. 2014). Alternativ können die einzelnen Wohneinheiten dezentral optimieren, sich aber sehr wohl miteinander absprechen bzw. die Verteilung der anderen Ver-braucher berücksichtigen (z. B. Beaude et al. 2012; Kwak et al. 2012). Dies soll verhindern, dass durch die Verschiebung neue Spitzenlasten entstehen. Hierfür ist eine bidirektionale Kommunikation zwischen den Wohnungen und dem Energie-anbieter notwendig. Der Vorteil von einer zentralen Koordination liegt darin, dass direkt ein globales Optimum für das betrachtete Grid angestrebt wird. Der Vorteil von der verteilten Optimierung liegt darin, dass die Informationen über die Mög-lichkeiten der Lastverschiebung einer einzelnen Wohnung nur in geringem Maße nach außen gegeben werden müssen. Auch auf diese Weise kann unter gewissen Voraussetzungen ein Optimum erreicht werden wie in Mohsenian-Rad et al. (2010) ausgeführt wird. Eine Übersicht über DSM Methoden ist bspw. in Gerwig et al. (2015) zu finden.

3 Methodisches Vorgehen

In einem ersten Schritt sollen bestehende Portale analysiert werden, um einen Überblick über deren Funktionsweise und die benötigten Informationen zur Dienstleistungsvermittlung zu bekommen. Hierfür wird eine qualitativ, empirische Analyse von (ausgewählten) Portalen vorgenommen.

Als ersten Schritt dient hierzu eine qualitative Querschnittsanalyse, um existie-rende Portale zu identifizieren. Das Vorgehen orientiert sich dabei an bekannten Werken zum Thema Literaturreviews im Bereich des Information-System-Research (ISR) (bspw. vom Brocke et al. 2009 oder Webster und Watson 2002). Die Übertragung bzw. Adaption einer Methode stellt dabei eine Möglichkeit dar und wird hier entsprechend verfolgt, um ein „Portalreview“ durchzuführen (Gre-gory und Muntermann 2014). Hier werden die Phasen Konzeptualisierung des Themas, Literatursuche, -analyse und -synthese übertragen (Phasen bspw. in vom Brocke et al. 2009). Die identifizierten Portale werden anschließend auf der Grundlage allgemeiner Informationen untersucht und klassifiziert. Einige Portale werden daraufhin mit Hilfe von Ausschlusskriterien eliminiert.

Ziel der Analyse der ausgewählten Portale ist es, einen Einblick in die Funkti-onsweise der Vermittlungsmechanismen auf der einen und in die benötigten Daten auf der anderen Seite zu bekommen. Da im weiteren Verlauf der Forschung ge-zeigt werden soll, dass DSM-Methoden geeignet sind, um im DLP Bereich zur Anwendung zu kommen, müssen zum einen die Funktionsweise und zum anderen

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 151

die benötigten Daten bekannt sein. Die Analyse wird daher in die Bereiche der Funktionssicht und der Datensicht unterteilt (vgl. Abb. 1).

Abb. 2. Methodisches Vorgehen

Anschließend wird die Übertragbarkeit der Vermittlungsmechanismen auf das DSM untersucht. Hierbei werden, analog zur Analyse, zuerst die Funktionssicht und anschließend die Datensicht betrachtet und eine mögliche Übertragbarkeit diskutiert.

Auf dieser Grundlage wird eine konzeptionell-deduktive Analyse vorgenom-men und ein vereinfachtes mathematisches Modell hergeleitet, um die Vermittlung formal zu beschreiben. Dieses Modell stellt den Ausgangspunkt für eine verfeiner-te Aufstellung des Optimierungsproblems dar und verdeutlicht die grundlegende Transformation des Vermittlungsmechanismus in DLPs auf das DSM.

4 Analyse ausgewählter Portale

4.1 Portalauswahl

Um vorhandene Portale zu identifizieren, wurde bei Google und Google Scholar gesucht und 17 Portale konnten gefunden werden. Hierzu wurden folgende Begrif-fe genutzt, mit denen einzeln und als Kombinationen gesucht wurde: „Dienstleis-tungsportal“, „Service Portal“ und „Service Marketplace“. Nach der Durchsicht der Ergebnisse wurde zudem noch nach Literatur zu den identifizierten Portalen selbst gesucht, sowie eine Vorwärts und Rückwärtssuche durchgeführt. Am Ende der Suche konnten 17 potenziell relevante Portale identifiziert werden:

MyHammer (www.my-hammer.de/) BlauArbeit (www.blauarbeit.de) Undertool (www.undertool.de/) MachDuDas (www.machdudas.de/) work5 (www.work5.de/) Autrago (www.auftrago.de/) Jobdoo (www.jobdoo.de/) my-okay (www.my-okay.de/) microjobs (www.microjobs-online.de/) doozerzone (www.doozerzone.de/) go4bid (www.go4bid.de/) auftragspoker (www.auftragspoker.de/)

Literatur-recherche

4.1Portalauswahl

4.2Portalanalyse

5.2Matching auf

Funktionsebene

5.3Matching auf Datenebene

5.4Math.

Modell

4 Analyse ausgewählter Portale 5 Übertragung auf den DSM Kontext

5.1 Allgemeines

Setting

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152 Dennis Behrens et al.

dasmachich (dasmachich.de/) auftragfinden (www.auftragfinden.tumblr.com/) rentme-online (www.rentme-online.de) meine-it (www.meine-it.de/) quotatispro (ehemals LetsWorkit) (www.quotatispro.de/)

Bei einer näheren Betrachtung konnten wir drei Ausschlusskriterien festlegen. Diese ergeben sich zum einen aus der Anforderung, dass wir nur Portale betrach-ten wollen, die aktuell und in Betrieb sind. Einige der identifizierten Portale liegen zudem nicht im beschriebenen Fokus (vgl. Kapitel 2.2).

Aktualität: Mehr als 1 Jahr keine neuen Aufträge mehr im System (go4bid, dasmachich, auftragfinden, doozerzone, rentme-online)

Fehlende Auftragsmenge: Die Portale haben weniger als 20 Aufträge (pro Jahr) im System und existieren bereits länger als 1 Jahr (my-okay, auftragspoker, Au-trago, dasmachich)

Keine Vermittlung: Das Portal vermittelt nicht mehr (aktiv), sondern ist bpsw. ein reines Branchenbuch (jobdoo, meine-it) oder eine reine Informationsseite (microjobs)

Tabelle 1. Relevante Portale und Referenzen

Relevante Portale und Referenzen

MyHammer (www.my-hammer.de/) BlauArbeit (www.blauarbeit.de) MachDuDas (www.machdudas.de/) Undertool (www.undertool.de/) work5 (www.work5.de/) quotatispro (www.quotatispro.de/)

Die ausgewählten Portale (vgl. Tabelle 1) wurden darüber hinaus hinsichtlich allgemeiner und statistischer Kriterien untersucht (vgl. Tabelle 2):

Anzahl der Nutzer: Es muss zwischen Dienstleistern und möglichen Auftrags-stellern unterschieden werden. Da die Anzahl der (möglichen) Auftragssteller zum einen nur schwer zu quantifizieren ist und zum anderen weniger Aussage-kraft als die Zahl der registrierten Dienstleister hat, werden diese betrachtet.

Anzahl/Art der Branchen: Anzahl der Branchen in einem Portal. Da die Portale diese unterschiedlich unterteilen, wird hierbei zwischen spezialisierten Porta-len, bspw. IT-Services, und allgemeinen Services unterschieden.

Anzahl Aufträge: Anzahl der durchschnittlichen Aufträge pro Tag.

Bekanntheit: Die Bekanntheit kann nicht ohne weiteres gemessen werden. Im Rahmen dieser Untersuchung haben wir uns für die Annäherung mit Hilfe der (geschätzten) Seitenaufrufe pro Monat entschieden, da diese ein entscheidender Punkt für die erfolgreiche Auftragsvermittlung darstellt.

Page 171: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 153

Auktion: Wird zur Auftragsvergabe ein Auktionsmechanismus genutzt?

Privat oder gewerblich: Wer darf sich als Dienstleister bei dem Portal registrie-ren? Wird also ein entsprechender Qualifikationsnachweis benötigt oder nicht?

Tabelle 2. Relevante Portale und Kriterien

Port

al

Seite

nauf

rufe

[i

n Ta

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d pr

o M

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]

Priv

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zuge

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Aukt

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Nut

zer

[in

Taus

end]

Bran

chen

MyHammer 1.188 Nein Nein 4.400 300 Alle BlauArbeit 181 Nein Ja 2.000 150 Alle MachDuDas 220 Ja Nein 12 k. A. Alle Undertool 4 Nein Ja 9 50 Alle work5.de 8 Ja Ja 2 5 Alle quotatispro 13 Nein Nein 270 20 Alle

4.2 Portalanalyse

Wie in Abschnitt 3 beschrieben, werden die Portale hinsichtlich der Funktionswei-se der Vermittlungsmechanismen (Funktionssicht) und der dafür benötigten In-formationen (Datensicht) hin untersucht. Maßgeblichen Einfluss auf die Funkti-onsweise hat dabei, ob eine Auktion genutzt wird oder nicht. Deshalb werden im Folgenden die Portale dieser beiden Gruppen analysiert

Die Datensicht betrachtet die Informationsbedarfe der einzelnen Akteure, um die Vermittlung erfolgreich durchführen zu können. Die beteiligten Akteure sind zum einen der Dienstleistungsanbieter und zum anderen der Dienstleistungsnach-frager. Da die Aufträge Ziel der Vermittlung sind, werden auf Nachfragerseite vor allem die entsprechenden Informationen bzgl. des Auftrags betrachtet.

4.2.1 Funktionssicht

Portale mit Auktionen

Drei der betrachteten Portale nutzen Auktionen in ihrem jeweiligen Vermitt-lungsmechanismus: BlauArbeit, Undertool und work5. Dieser kann in die folgen-den fünf Phasen unterteilt werden:

1. Registrierung des Nutzers: Bevor der Nachfrager das Portal nutzen kann, muss er sich in der Regel zuerst registrieren. Teilweise erfolgt dieser Schritt auch zeitgleich mit Einstellen des Auftrags.

2. Ausschreibung/Einstellung des Auftrags: Der Nachfrager stellt den Auftrag in das Portal. Hierbei müssen diverse Eingaben getätigt werden, um den Auftrag genauer zu spezifizieren (vgl. Abschnitt 4.2.2).

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154 Dennis Behrens et al.

3. Starten der Auktion: Der Nachfrager gibt beim Einstellen des Auftrags u. a. an, bis wann bzw. wie lange die Auktion läuft. In dieser Zeit können die Anbieter ein Gebot abgeben. Es kann z. T. auch ein Oberbetrag eingegeben werden, zu dem die Dienstleistung erfolgen soll.

4. Durchführen der Auktion: Der Auktionsmechanismus selbst ist eine sog. „re-verse auction“; Die Anbieter überbieten sich nicht wie bei einer normalen Auk-tion, sondern unterbieten sich.

5. Beenden der Auktion: Die Auktion kann auf zwei verschiedene Arten beendet werden: (a) Die eingestellte Auktionsdauer ist abgelaufen bzw. der Zeitpunkt ist erreicht sowie (b) der angegebene Höchstbetrag wurde unterboten. In diesem Fall kann oder muss die Auktion abgebrochen werden, abhängig von Portal und Einstellungen.

6. Entscheidung: Der Nachfrager hat nun prinzipiell drei Optionen, wobei sich diese nicht bei allen Portalen wiederfinden: (a) der Anbieter mit dem niedrigs-ten Gebot bekommt den Zuschlag, (b) der Nachfrager kann selbst entscheiden, welches Gebot er annehmen möchte. Hier können diverse Faktoren, wie bspw. die Bewertung des Anbieters eine Rolle spielen. Nicht immer ist diese Option verfügbar, genauso wie (c) alle Gebote werden ausgeschlagen. Dies hängt von dem jeweiligen Portal ab und ob die Vertragsmodalitäten eine „Annahme-pflicht“ voraussetzen.

Portale ohne Auktion

Neben den Portalen MyHammer, MachDuDas und Quotatispro, die den Vermitt-lungsmechanismus ohne Auktion anbieten, verfügen die Portale BlauArbeit und Undertool über die Funktion „Kostenvoranschlag“, der dem Mechanismus der Portale ohne Auktion entspricht. Der Ablauf ändert sich dabei in den Schritten zwei und fünf, wobei Schritt drei komplett entfällt:

1. Empfang des Angebots: Anbieter können nun auf der Grundlage der eingestell-ten Informationen Angebote bzw. Kostenvoranschläge verschicken.

2. Beenden der Ausschreibung: Analog zu dem Vorgehen mit Auktion, nur das die Ausschreibung und nicht die Auktion beendet wird.

3. Entscheidung: Der Nachfrager hat nun zwei Optionen: (a) der Nachfrager kann eins der Angebote annehmen, oder (b) der Nachfrager kann alle Angebote aus-schlagen.

In der folgenden Abb. 3 werden die Funktionsweisen mit Hilfe der ereignisge-steuerten Prozesskette verdeutlicht.

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 155

Ohne AuktionMit Auktion

Starte Aus-schreibung

Wähle Angebot aus

XOR

Zeit ist abgelaufen

Höchst-betrag ist

unterboten

XOR

XOR

Auftrag ist zu vergeben

Prüfe, ob Nutzer

registriert

XOR

Nutzer ist registriert

Nutzer ist nicht

registriert

Stelle Auftrag ein

Registriere Nutzer

Starte Auktion

Wähle Gebot aus

XOR

Zeit ist abgelaufen

Höchst-betrag ist

unterboten

XOR

XOR

Günstigstes ist

ausgewählt

Anderes ist ausgewählt

Keins ist ausgewählt

Keins ist ausgewählt

Angebot ist ausgewählt

Auftrag ist zu vergeben

Prüfe, ob Nutzer

registriert

XOR

Nutzer ist registriert

Nutzer ist nicht

registriert

Stelle Auftrag ein

Registriere Nutzer

Abb. 3. EPK zur Auftragsvermittlung in DLPs

4.2.2 Datensicht

Um den Vermittlungsmechanismus ausführen zu können, werden von den Akteu-ren verschiedene Informationen benötigt bzw. geliefert. Um diese zu ermitteln, wurden die einzelnen Portale untersucht und die notwendigen (und z. T. optiona-len) Eingaben identifiziert (vgl. Tabelle 3).

Anbieterseite

Es fällt auf, dass sowohl auf Anbieter als auch auf Nachfragerseite Kontaktdaten benötigt werden. Diese werden in allen Portalen durch ein entsprechendes Formu-lar abgefragt und enthalten in der Regel Namen, Anrede, Emailadresse, Telefon-nummer(n) und Adresse. Darüber hinaus müssen Dienstleister, die sich registrie-ren, bei allen Portalen eine bzw. mehrere Branchen bzw. Tätigkeitsfelder angeben. Da die betrachteten Portale keine spezialisierten Portale sind, unterstützen sie eine Vielzahl von Dienstleistungsarten. Dabei ist die Einteilung bzw. der Granulari-

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156 Dennis Behrens et al.

tätsgrad oftmals unterschiedlich (bei MyHammer werden bspw. 19 Kategorien, bei Blauarbeit 13 gelistet). Auch bei der Einstellung eines Auftrags muss eine Branche bzw. die Art der Dienstleistung ausgewählt werden. Dies dient der Zu-ordnung von in Frage kommenden Dienstleistern bzw. der erleichterten Auswahl von Aufträgen auf Anbieterseite.

Tabelle 3. Identifizierte Informationsbedarfe in den Portalen

Sich

t

Beda

rf

MyH

amm

er

Blau

Arbe

it

Mac

hDuD

as

Und

erto

ol

wor

k5

quot

atis

pro

Anb

iete

rsic

ht

Kontaktdaten X X X X X X Branche X X X X X X

Aktionsradius X X Auftragsbuch X X

Personal X X X Preisvorstellung X X X X X Qualifikationen X X X X

Bewertung X X X X X Zusätzlicher Index X X

Nac

hfra

gers

icht

Kontaktdaten (Nachfrager) X X X X X X Branche bzw Art X X X X X X

Titel, Beschreibung, Bilder, usw. X X X X X X Termin X X X X X X Umfang X

Erbringungsort X X X X X X Zahlungsdetails X X X

Bewertung X Auftrag echt X

Die Portale MyHammer und quotatispro adressieren zudem einen Aktionsradi-us des Anbieters. Dieser kann, bspw. mit Hilfe des sog. Auftragsradars, (MyHammer 2016) sich in Frage kommende Aufträge in einem gewissen Radius um einen bestimmten Ort, in diesem Fall um seinen aktuellen Standort, anzeigen lassen. Hierbei wird zusätzlich der mobile Kontext adressiert.

Um Aufträge annehmen zu können muss der Dienstleister sein Auftragsbuch kennen und die freien Kapazitäten kalkulieren. Auch hier sollte dies für alle Dienstleister identisch sein, wobei der Komplexitätsgrad z. B. mit der Anzahl der Mitarbeiter steigt. Explizit angesprochen wird dies bei drei Portalen (MyHammer, BlauArbeit, quotatispro). Eine explizite Unterstützung bei der Kapazitätsplanung hat jedoch kein Portal.

Fast alle Portale fordern eine Preisvorstellung des Anbieters. Dieses kann ex-pliziter erfolgen, wie im Falle von MachDuDas, bei dem jeder Nutzer seinen Stundenlohn hinterlegen kann. Indirekt wird dies aber bei allen Portalen abgefragt,

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 157

entweder indem auf einen Auftrag geboten wird oder ein Kostenvoranschlag bzw. Angebot erstellt wird.

Abgesehen von den Portalen MachDuDas und work5 forderten alle Portale ei-nen Qualifikationsnachweis. Dieser wird meistens durch einen Gewerbeschein er-bracht. Alternativ können bspw. bei MyHammer und Blauarbeit zusätzliche Quali-fikationen hinzugefügt werden (Meisterbrief, Mitgliedschaft in Handwerkskam-mern, etc.).

Darüber hinaus existiert bei allen Portalen eine Bewertung zu jedem Anbieter. In der Regel ist dies ein Wert zwischen null und fünf, oftmals symbolisiert mit Sternen.

Zusätzlich bieten einige Portale weiterreichende Bewertungen an. BlauArbeit hat einen sog. BlauArbeit-Index. Dieser bewertet auf einer Skala von null bis zehn den Dienstleister. In die Bewertung geht neben der „Standardbewertung“ auch ein, ob zusätzliche Zertifikate eingereicht wurden. Dies kann auch bei anderen Porta-len (bspw. quotatispro) eingetragen werden.

Nachfragereseite

Alle Portale verlangten eine allgemeine und ermöglichten eine detaillierte Be-schreibung der Aufträge. Bei den allgemeinen Informationen handelte es sich meistens um einen Titel bzw. eine Bezeichnung des Auftrags und eine (textuelle) Beschreibung. Als optionale Informationen konnten bspw. Bilder hochgeladen werden. Quotatispro verlangte zudem genauere Informationen bezüglich des Um-fangs, bei Malerarbeiten die Quadratmeterzahl, Deckenhöhe, etc.

Bei den Portalen MachDuDas, Undertool und work5 mussten zudem Zahlungs-details näher angegeben werden. So musste bspw. angegeben werden, ob es sich um Vorkasse handelt. Auch ob die Materialien bereits vorhanden sind oder nicht wurde erfragt.

Alle Portale verlangten Informationen bezüglich des Termins. Dabei konnte zwischen schnellstmöglich, bis zum Tag X, am Tag X oder im Zeitraum von bis gewählt werden. Ebenfalls eine Pflichtangabe bei allen Portalen, sofern die Dienstleistung nicht ortsungebunden ist, stellt der Erbringungsort dar.

Auch die Nachfrager konnten bei einem Portal bewertet werden (MachDuDas).

5 Übertragung auf den DSM Kontext

5.1 Allgemeines Setting

In den folgenden Abschnitten wird die Übertragbarkeit der Vermittlungsmecha-nismen innerhalb der Dienstleistungsportale auf DSM Methoden untersucht. Ge-nau wie bei der Portalanalyse wird die Übertragbarkeit auf verschiedenen Ebenen betrachtet, nämlich der Funktionsebene und der Datenebene. Bevor die Übertrag-barkeit betrachtet wird, soll zuerst das allgemeine Setting beschrieben werden, al-

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158 Dennis Behrens et al.

so welche Akteure äquivalent sind und wie sich der „neue“ Vermittlungsmecha-nismus ändert.

5.1.1 Akteure

Im Fall der DLP sind die entscheidenden Akteure der Dienstleister, der seine Leis-tung anbietet (Dienstleistungsanbieter) und der Kunde, der diese nachfragt (Dienstleistungsnachfrager) (vgl. Abb. 4). Bei der Übertragung auf den DSM Kontext ändert sich dies prinzipiell nicht, jedoch müssen die Bezeichnungen an-gepasst werden. Der Dienstleistungsanbieter „generiert“ eine Leistung, die später (bzw. genau genommen zum Zeitpunkt der Erstellung) konsumiert wird. Übertra-gen auf den DSM Kontext ist dies gleichzusetzen mit dem Stromerzeuger. Dieser generiert ebenfalls eine Leistung, in diesem Falle Strom, die von einem Nachfra-ger, in diesem Falle der Verbraucher, konsumiert wird. Auch der Konsum fällt quasi zum gleichen Zeitpunkt an. Ausnahme wäre hier die Speicherung bspw. in Batterien. Diese ist jedoch mit einer Optimierten Planung nur zum Teil nötig und kann darüber hinaus als zusätzlicher Verbraucher und später Erzeuger modelliert werden, sodass auch dies abgebildet werden kann.

Abb. 4. Akteure im DLP und DSM

Des Weiteren stellt der Nachfrager Aufträge in ein DLP ein. Auf DSM Seite ist der Nachfrager ein Verbraucher und stellt oftmals einen Haushalt dar. Der Auftrag wäre im DSM Fall also eine anfallende Last innerhalb des Haushalts. Diese Lasten können unterschieden werden in starre und flexible Lasten. Flexible Lasten wie-derrum in dynamische und nicht dynamische (vgl. Kapitel 2.3). Aufträge sind prinzipiell flexible Lasten. Ob sie dynamisch sind, also „getrennt“ werden können oder nicht, hängt von den Dienstleistungen ab. Einen Haarschnitt während der Er-bringung zu unterbrechen ist i. d. R. nicht praktikabel für den Friseur. Ein Zimmer das gestrichen wird trocknen zu lassen, einen anderen Auftrag zu bearbeiten und nach der Trocknungszeit den Auftrag (bspw. ein erneutes Streichen) zu beenden, würde aber durchaus praktikabel sein. Durch strenge Restriktionen hinsichtlich des Termins kann die Last bzw. der Auftrag jedoch „quasi starr“ sein, bspw. wenn ein Auftrag genau an einem bestimmten Termin erfüllt werden soll.

5.1.2 Gegenstand der Vermittlung

Bei DLPs werden Angebote eingestellt und Dienstleister bewerben sich darauf. Im DSM Kontext werden die Lasten des Verbrauchers angepasst, um möglichst güns-tig Strom zu beziehen und die Lasten „zu decken“. Bei der Übertragung auf den

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 159

DSM-Kontext würden bei einer Optimierung also nicht die Dienstleister auf die Aufträge, sondern die Aufträge auf die Dienstleister verteilt werden.

Auf den ersten Blick scheint dies ggf. ein unglückliches bzw. nicht praktikables Vorgehen zu sein. Betrachten wir jedoch die jüngsten Entwicklungen, bspw. die fortschreitende Standardisierung von Dienstleistungen und der damit einherge-henden Angleichung der Preise, kann mit dieser Strategie eine durchaus gute Ver-teilung erfolgen. Darüber hinaus wird bspw. von den Portalen Blauarbeit und quo-tatispro mit einem vollen Auftragsbuch geworben. Dies würde auch für eine Ver-teilung der Aufträge sprechen, da so die vorhandenen Kapazitäten aller Anbieter besser berücksichtigt werden könnten.

Wichtig sind an dieser Stelle die sich ändernden Rahmenbedingungen zu be-trachten. Durch das Internet der Dinge und Dienste wird eine größere Informati-onsbasis bestehen, die zu einer Umkehrung der Vermittlungsmechanismen hin-sichtlich der Richtung führen könnte. Letztlich bleibt das Ergebnis nach außen das Gleiche, intern (innerhalb des Portals) wird die automatisierte Vermittlung jedoch auf einen anderen Weg erreicht.

5.2 Matching auf Funktionsebene

5.2.1 Vermittlungsmechanismus mit Auktion

Der Vermittlungsmechanismus im DSM Kontext muss lediglich geringfügig an-gepasst werden, um ihn auf Dienstleistungen anzuwenden.

1. Registrierung des Nutzers: Dieser Schritt wird gleichbleiben.

2. Ausschreibung/Einstellung der Last: Anstelle des Auftrags muss die Last mit den entsprechenden Informationen eingestellt werden. Die benötigten Informa-tionen hierzu werden in Kapitel 5.3 beschrieben.

3. Starten der Auktion: Auch im Rahmen von DSM gibt es Algorithmen bzw. Vorgehensmodelle, die eine Auktion vorsehen, um die Lasten optimal zu ver-teilen (Behrens et al. 2014). Zum Beispiel haben (Deindl et al. 2008) einen agentenbasierten Ansatz gewählt, der eine Aktion zur automatisierten Lastver-teilung nutzt.

4. Durchführen der Auktion: Auch eine „reverse auction“ kann mit den bestehen-den Methoden (bspw. mit Hilfe eines Multi-Agenten-Systems) abgebil-det/verwirklicht werden.

5. Beenden der Auktion: Auch in diesem Fall kann die Auktion durch Ereignisse beendet werden. Da nun die Last bzw. der Auftrag auf den/die Dienstleister verteilt wird, müssen dort mehr Informationen hinterlegt werden (Preis, etc.). Auch hier würde das Zuteilen, ein entsprechender Bestätigungsmechanismus vorausgesetzt, aber einem Gebot entsprechen. Die Auktion kann entweder be-endet werden, wenn (a) die Zeit abgelaufen ist oder (b) der Oberbetrag unterbo-ten wurde.

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160 Dennis Behrens et al.

6. Entscheidung: Der Verbraucher hat nun ebenfalls drei Optionen: (a) Bestes Gebot annehmen, (b) Beliebiges Gebot annehmen oder (c) Kein Gebot anneh-men

5.2.2 Vermittlungsmechanismus ohne Auktion

Neben den bereits angesprochenen Änderungen aus dem vorhergehenden Ab-schnitt, kommen hier als DSM Algorithmus mehrere in Frage, bspw. auch eine Heuristik. Bei der Datenmenge bzw. der Vielzahl an Akteuren, sollte jedoch ein dezentralisierter Ansatz mit Systembezug genutzt werden (vgl. Gerwig et al. 2015).

5.3 Matching auf Datenebene

5.3.1 Anbieterseite

Kontaktdaten werden im DSM nicht direkt benötigt. Sehr wohl benötigen einzelne Akteure aber eine Schnittstelle, um miteinander kommunizieren zu können. Im DSM Kontext wird lediglich Strom erzeugt und verbraucht (auch wenn dies Elekt-rotechnisch nicht ganz korrekt ist). Es gibt also nur eine Branche. Sehr wohl könn-ten verschiedene Stromerzeugungsarten könnten hier berücksichtigt, bspw. Öko-strom, Atomkraft, etc.

Der Aktionsradius wird im DSM nicht berücksichtigt, sondern es wird i. d. R. das komplette (Smart) Grid betrachtet. Dieses kann von einem einzelnen Haushalt bis hin zu einem ganzen Land jede Granularität bzw. Komplexität annehmen. Man könnte, um nur Anbieter und Verbraucher aus einem bestimmten geographischen Gebiet zusammen zu bringen, das Grid jedoch in ein „virtuelles Grid“ unterteilen.

Das Äquivalent zu dem Auftragsbuch wäre im DSM ein Kapazitätsplan, also der prognostizierte (und teils feststehende) Stromverbrauch. Auch im DSM Kon-text wird dabei auf Unsicherheiten eingegangen bzw. es existieren diverse Prog-nosealgorithmen. Diese könnten auch für Unsicherheiten in DLPs genutzt werden.

Um zu ermitteln, wie viele Aufträge ein Anbieter annehmen kann, muss er sei-ne Personalressourcen kennen. Ähnlich ist es bei einem Stromerzeuger, der seine maximale Last kennen muss.

Die Preisvorstellung würde im DSM Kontext einer Kostenfunktion entspre-chen, die den Strompreis, ausgehend von der Kalkulation und Prognose anfallen-der Lasten, beziffert. Qualifikationen werden im DSM-Kontext nicht direkt be-rücksichtigt. Zum einen existieren (staatliche) Kontrollen und zum anderen gibt es oft nur weniger Anbieter. In den DLPs war eine Bewertung der Anbieter möglich und auch Grundlage des Entscheidungsprozesses. In den meisten DSM Algorith-men ist eine Bewertung nicht vorgesehen. Sehr wohl gibt es aber Ansätze, die mit einem Vertrauensansatz arbeiten, um ein „Smart Power Grid“ zu steuern (OC TRUST 2011).

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 161

5.3.2 Nachfragerseite

Die Beschreibung des Auftrags (Titel, Beschreibung, Bilder, usw.) definieren die Art des Auftrags. Dies entspricht im DSM Kontext der Art der Last, also welches Gerät angeschlossen ist und Strom benötigt (Waschmaschine, Trockner, Licht, usw.). Es reicht dabei eine einheitliche Bezeichnung.

Damit der Auftrag zeitlich koordiniert werden kann, gibt der Nachfrager seine Präferenzen hinsichtlich des Erbringungszeitraums bzw. -punkts an. Dies ent-spricht sehr genau den zeitlichen Restriktionen, denen Lasten hinsichtlich der Nutzerpräferenzen unterworfen sind. Eine flexible Last kann bspw. innerhalb ei-nes bestimmten Intervalls anfallen (z. B. darf eine Waschmaschine nicht nachts laufen und muss deshalb zwischen acht und 22 Uhr angestellt werden), zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig sein (das Elektroauto muss bis acht Uhr aufgeladen sein) oder an einem bestimmten Zeitpunkt (Licht bei Dunkelheit).

Der Umfang des Auftrags, bspw. in Personenstunden, wird im Rahmen von DSM als die benötigte Leistung abgebildet und üblicherweise in Kilowattstunden angegeben. Ein Erbringungsort wird im DSM nicht direkt berücksichtigt, da der Ort identisch mit dem Standort des Gerätes ist. Sehr wohl könnte dies aber mit dem angesprochenen „virtuellen Grid“ berücksichtigt werden.

Zahlungsdetails werden im Rahmen der DSM Methoden nicht abgebildet. Ob ein Auftrag echt ist oder nicht, wird im DSM Kontext nicht explizit abgebildet. Auch hier könnte aber ein direkter oder indirekter Mechanismus diese Validierung übernehmen (z. B. OCTRUST 2011). Nachfolgend werden alle Informationen und deren Übertragbarkeit nochmals zusammengefasst (vgl. Abb. 5).

Abb. 5. Matching auf Datenebene

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162 Dennis Behrens et al.

5.4 Mathematisches Modell

5.4.1 Restriktionen

Um den Vermittlungsprozess der DLPs mit Hilfe von DSM Methoden steuern zu können, muss das mathematische Modell angepasst werden, um spezielle Dienst-leistungsspezifika Rechnung zu tragen. Ein erstes, grundlegendes Modell soll im Folgenden hergeleitet werden. Hierfür werden gewisse Vereinfachungen getrof-fen. Im ersten Schritt gehen wir davon aus, dass jede Dienstleistung von jedem Anbieter übernommen werden kann und dass die Kosten für eine Personenstunde bei jedem Anbieter dieselben sind. Auch das (vollständige) Vorhandensein der In-formationen wird vorausgesetzt. Folgend wird daher in einem ersten Schritt das Ausgangsmodell skizziert und dieses anschließend übertragen. Beweise und das vollständige Modell (Berücksichtigung aller Restriktionen) sind nicht Teil dieser Ausarbeitung.

5.4.2 Ausgangspunkt: DSM Modell

Wir betrachten die Lastvorgänge im Smart Grid3. Dazu bezeichne N die Menge an Wohnungen innerhalb des Smart Grids und die Menge an Verbraucher einer Wohnung . Angenommen, der viertelstündliche Verbrauch jedes Ver-brauchers ist für jedes eines Tages festgelegt, dann ergibt sich durch

der gesamte Verbrauch der Wohnungen im Smart Grid in der t-Viertelstundes des Tages.

Wir nehmen an, dass es unter den Verbrauchern solche gibt, deren Verbrauch in einem gewissen zeitlichen Rahmen verschoben werden kann wie beispielsweise der Betrieb der Waschmaschine, während andere Lastvorgänge beispielsweise verursacht durch Lampen einen festgelegten zeitlichen Rahmen haben. Wir defi-nieren als das zeitliche Intervall, in der die gesamte Energie für ei-nen Lastvorgänge erbracht werden muss. Dabei ist der Wert, den an-nehmen kann durch ein Intervall beschränkt. Die möglichen Lastallokationen für einen Lastvorgang sind also beschrieben durch:

3 Zu näheren Informationen zum Thema Smart Grid siehe bspw. Amin und Wollenberg

(2005) oder Farhangi (2010).

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 163

Wir nehmen weiwterhin an, dass im Smart Grid erneuerbare Energieträger wie Solar- und Windanlagen eingebunden sind und somit Energie zur Verfügung steht, die am besten zu dem Zeitpunkt ihrer Bereitstellung lokal verbraucht wird. Sei M die Menge der nicht skalierbaren Stromproduzenten und der dadurch verfügba-re Strom der Anlage in der t-Viertelstunde, dann wird insgesamt

Energie in der t-Viertelstunde bereitgestellt. Ein Ziel von DSM-Methoden ist es, einen möglichst hohen Anteil des Strom-

bedarfs durch erneuerbare Energieträger wie Solar- und Windanlagen abzudecken und darüber hinaus eine möglichst gleichmäßige Unterdeckung zu erreichen; mit anderen Worten das Optimierungsproblem für die Allokation der verschiebbaren Lasten für einen Tag lässt sich wie folgt ausdrücken (sofern die die Gleichungen (1), (2), (3) und (4) gelten):

5.4.3 Dienstleistungsportal

Auf ähnliche Weise lässt sich ein Dienstleistungsportal modellieren. Sei N die Menge an Kunden und die Menge an Aufträgen eines Kunden . Als zeit-liche Einheit wählen wir in diesem Modell Stunden; sei die Anzahl an Perso-nenstunden, die für den Zeitpunkt eines Tages angefordert wer-den (zunächst ohne Berücksichtigung von Flexibilität), dann stellt sich der gesam-te Bedarf zum Zeitpunkt t wie gehabt in Gleichung (1) dar.

Wir nehmen an, dass der Auftrag eines Kunden mit einer gewissen zeitlichen Flexibilität versehen ist. Wie zuvor definieren wir als das zeitliche In-tervall, in der der Auftrag erfüllt muss, der Umfang des Auftrages seine

Personenstunden. Dabei lässt sich ggf. die maximale Anzahl an Perso-nen festlegen, die an dem Auftrag arbeiten sollen. Wir fordern, das

. Sei M die Anzahl an Anbietern und die verfügbaren Personenstunden zum

Zeitpunkt . Dann beschreibt Gleichung (4) die maximal durch das Dienstleistungsportal verfügbaren Personenstunden zum Zeitpunkt t.

Ziel ist es nun, möglichst viele Aufträge annehmen zu können und im besten Fall x komplett durch y abzudecken. Die Personenstunden, die darüber hinaus feh-len, können ggf. von außen einkauft werden und durch einen eigenen Stab an Mit-arbeitern erbracht werden. Sollen möglichst wenige Mitarbeiter dazu genommen werden, muss die Unterdeckung der Dienstleistung möglichst gleichmäßig verteilt sein und das Optimierungsproblem entspricht exakt (5), wenn gesetzt wird.

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164 Dennis Behrens et al.

6 Limitationen

Nicht unerwähnt bleiben sollen die Limitationen, die das beschriebene Vorgehen und die Resultate haben. Zum einen betrifft dies die identifizierten Portale, die später für die Analyse genutzt wurde. Zum anderen werden möglich Hemmnisse nicht diskutiert.

Bezüglich der Portalsuche und -analyse wurden nur Portale aus dem deutsch-sprachigen Raum betrachtet. Auch in anderen Ländern bzw. Sprachräumen exis-tieren Dienstleistungsportale. Diese funktionieren jedoch meistens ähnlich, bei-spielsweise hat die MyHammer AG weitere Niederlassungen, u. a. in England. Auch der Internetshop Anbieter Amazon bietet seit kurzer Zeit ein Dienstleistung-sportal an, Amazon Home Services. Auch wenn hier mehr Restriktionen vorhan-den sind (Hintergrundcheck der Dienstleister, Zufriedenheitsgarantie, etc.), weicht die Funktionsweise nicht von den beschriebenen Portalen ab. Im Gegenteil: die Spezifizierung des Auftrags muss zum Teil sehr viel detaillierter erfolgen, als dies bei den betrachteten Portalen der Fall ist. Darüber hinaus kann nicht ausgeschlos-sen werden, dass alle vorhandenen Portale gefunden wurden.

Hemmnisse existieren vor allem im Bereich der Datenweitergabe. Um die be-schriebene Automatisierung der Vermittlungsmechanismen durchführen zu kön-nen, ist es nötig, dass die Akteure ihre Daten teilen. Damit ist nicht gemeint, dass jeder Zugriff auf bspw. das Auftragsbuch eines Dienstleisters hat. Das Portal, das in diesem Fall als Mittler auftritt, sollte jedoch Zugriff auf diese Informationen haben. Analog bezieht sich dies auf alle anderen, relevanten Informationen, so-wohl auf Anbieter- als auch auf Nachfragerseite. Dass diese sensiblen Informatio-nen nicht breitwillig geteilt werden, da auch ein Anschluss an eventuell existie-rende Backends nötig wäre, leuchtet ein. Nichts desto trotz stellt dies ein generel-les Hemmnis von Smart Services dar und es ist davon auszugehen dass sich diese Hemmnisse auch zukünftig weiter verringern werden.

7 Forschungsagenda

Hinsichtlich der zu erwartenden Änderungen und technologischen Fortschritte, ist eine Anpassung der Vermittlungsmechanismen bei Dienstleistungsportalen unab-dingbar. Ob nun ein konkreter DSM Algorithmus die beste Lösung hierfür ist, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. Nichts desto trotz konnte gezeigt werden, dass die betrachteten Vermittlungsmechanismen der Dienstleis-tungsportale zu einem großen Teil auf die Optimierungsansätze des DSM übertra-gen werden können.

In einem nächsten Schritt sollte die erste „Grobformulierung“ des mathemati-schen Modells weiter forciert und verfeinert werden. Darüber hinaus sollte der transformiere Vermittlungsmechanismus in einem Experiment (zuerst im Labor mit einer Simulation und danach im Feld, bspw. mit Studierenden) getestet wer-den.

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Demand-Side-Management in Dienstleistungsportalen 165

Darüber hinaus sollten Unsicherheiten näher betrachtet werden. Zum einen Un-sicherheiten bezogen auf die Vertrauenswürdigkeit und die Güte der Dienstleister und zum anderen bezüglich des Eintretens von unvorhergesehenen Ereignissen, sodass der Auftrag nicht stattfinden kann oder eine Fehlkalkulation vorliegt. Im Rahmen der DSM Forschung werden unvorhergesehene Ereignisse und auch Prognosen mit entsprechenden Algorithmen betrachtet. Dies stellt ein komplexes Forschungsgebiet dar. Fehlkalkulationen können fast noch ausgeschlossen wer-den. Hierzu wäre eine Übertragung auf sogenannte HVAC (Heating Ventilation and Air Conditioning) Lasten zu prüfen. Diese sind schwer kalkulierbar, da äußere Faktoren und Einflüsse (ein geöffnetes Fenster, Umgebungstemperatur, usw.) teils massiven Einfluss auf die benötigte Leistung haben, um bspw. die gewünschte Temperatur zu erreichen.

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Teil III: Smart Services

für die digitale Arbeit

Page 187: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Typologien industrienaher Dienstleistungen: Eine Literaturübersicht

Erdem Galipoglu und Melinda Wolter

Industriegüterhersteller erweitern zunehmend ihr Kerngeschäft um sogenannte industrienahe Dienstleistungen, um einen Wettbewerbsvorteil generieren zu kön-nen. Damit gewinnen industrienahe Dienstleistungen nicht nur in der Praxis an Bedeutung, sondern werden auch immer mehr in der Forschung diskutiert. Da viele Typologien industrienaher Dienstleistungen auf Grundlage weniger Merk-male basieren und somit selten eine trennscharfe Abgrenzung zulassen, besteht bei der Typologisierung in ein zusammenfassendes Modell noch Forschungsbedarf. Aufgrund vorherrschender Diskrepanzen bezüglich des Begriffsverständnisses und der Strukturierung industrienaher Dienstleistungen erscheint es notwendig einen Überblick über verwendete Terminologien, Definitionen und Typologien zu geben, um diese anschließend zu einem einheitlichen Verständnis zu konsolidieren. Im Zentrum dieses Beitrags steht demnach eine Literaturübersicht, welche die Grund-lage für eine kritische Beurteilung bilden soll, um am Ende der Arbeit weitere Möglichkeiten zur Typologisierung industrienaher Dienstleistungen und zur Ein-ordnung der unterschiedlichen Ausprägungsformen in Gruppen aufzuzeigen.

1 Einleitung

Die Erweiterung der internationalen Märkte bedingt durch die Liberalisierung des Welthandels sowie die Aufhebung von Markteintrittsbarrieren und dem damit verbundenen Eintritt neuer Wettbewerber setzt Unternehmen zunehmend unter Wettbewerbsdruck (Boyt und Harvey 1997; Busse 2005).Während deutsche In-vestitionsgüterhersteller aufgrund technisch und qualitativ hochwertiger Produkte ihrer Konkurrenz bisher überlegen waren, führt die verschärfte Wettbewerbssitua-tion zunehmend zu einer Anpassung der Produkteigenschaften und somit zu ho-mogenen und austauschbaren Leistungen (Busse 2005; Frambach et al. 1997; Spath/Demuß 2006; Sturm et al. 2007). Um dennoch einen Wettbewerbsvorteil generieren zu können und somit dieser Entwicklung entgegenzuwirken, erweitern Industriegüterhersteller zunehmend ihr Kerngeschäft um sogenannte industrienahe Dienstleistungen (Mannweiler 2010). Während industrienahe Dienstleistungen bisher überwiegend die technische Gebrauchsfähigkeit der Produkte garantieren

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_8

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Typologien industrienaher Dienstleistungen 171

sollten, werden diese mittlerweile vermehrt eingesetzt um zusätzliche Gewinne zu generieren und Kundenbeziehungen zu fördern (Eickelpasch 2012; Hertweck 2002). Außerdem ergeben sich aufgrund der hohen technischen Komplexität der industriell gefertigten Produkte und den damit einhergehenden wachsenden Kun-denbedürfnissen nach individuellen Problemlösungen, neue Gelegenheiten, indust-rienahe Dienstleistungen entlang des Produktlebenszyklus anzubieten (Busse 2005; Frambach et al. 1997; Zink und Eberhard 2009).

Da viele Typologien industrienaher Dienstleistungen auf Grundlage weniger Merkmale basieren und somit selten eine trennscharfe Abgrenzung zulassen, be-steht bei der Typologisierung in ein zusammenfassendes Modell noch For-schungsbedarf (Kersten et al. 2006). Aufgrund vorherrschender Diskrepanzen be-züglich des Begriffsverständnisses und der Strukturierung industrienaher Dienst-leistungen erscheint es notwendig einen Überblick über verwendete Terminolo-gien, Definitionen und Typologien zu geben, um diese anschließend zu einem ein-heitlichen Verständnis zu konsolidieren. Im Zentrum dieses Beitrags steht dem-nach eine Literaturübersicht, welche die Grundlage für eine kritische Beurteilung bilden soll, um am Ende der Arbeit weitere Möglichkeiten zur Typologisierung industrienaher Dienstleistungen und zur Einordnung der unterschiedlichen Aus-prägungsformen in Gruppen aufzuzeigen.

Der Beitrag ist wie folgt strukturiert. Im zweiten Abschnitt werden die Begriff-lichkeiten Dienstleistung, Klassifikation und Typologie definiert, gefolgt von der Beschreibung der zugrundeliegenden Methodik im dritten Abschnitt. Der vierte Abschnitt gibt einen Überblick über die Literatur zu industrienahen Dienstleistun-gen, einschließlich der Begriffsbestimmung von industrienahen Dienstleistungen und ihrer Typologien. Es folgen schließlich eine Diskussion und das Fazit.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Dienstleistungen

Aufgrund der Heterogenität des Dienstleistungssektors und der fehlenden Trenn-schärfe bezüglich der Abgrenzung zwischen Dienstleistungen und Sachgütern wurde sich bisher auf keine einheitliche Definition von Dienstleistungen geeinigt (Haller 2012, 6; Schreiner 2005, 11). Während in der wissenschaftlichen Literatur Einigkeit darüber herrscht, dass Dienstleistungen sich durch gewisse Charakteris-tika von Sachgütern unterscheiden, ist nicht eindeutig, welche Kombinationen bzw. Ausprägungen der Eigenschaften eine eindeutige Abgrenzung ermöglichen (Corsten/Gössinger 2007; Frietzsche 2001; Maleri/Frietzsche 2008; Meffert/Bruhn 2012). Jedoch lassen sich Dienstleistungen durch zwei grundlegende Merkmale kennzeichnen (Busse 2005, 15; Fließ 2009, 9; Haller 2012, 6). Dazu zählt zum ei-nen die Immaterialität, die aus der fehlenden Greifbarkeit und somit der Substanz-losigkeit der Leistung resultiert (Hilke 1989, 13; Maleri 1997, 95 f.). Als zweites zentrales Merkmal gilt die Integrativität eines externen Faktors im Leistungserstel-

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172 Erdem Galipoglu und Melinda Wolter

lungsprozess. Dienstleistungen lassen sich also durch Leistungen kennzeichnen, die ausschließlich mithilfe eines externen Faktors erstellt bzw. erbracht werden können. Bei dem externen Faktor handelt es sich meist um den Kunden selbst und/oder vom Kunden eingebrachte Objekte, welche durch kundenspezifische Vorgaben bzw. Eigenschaften integrativ am Leistungserstellungsprozess mitwir-ken und somit zum individuellen Leistungsergebnis beitragen (Bruhn 2013, 23; Engelhardt 1990, 280; Fließ 2009, 14). Verschiedene Bezeichnungen für den ge-meinsamen Wertschöpfungsprozess, wie beispielsweise die integrative Leistungs-erstellung (Kleinaltenkamp 1997) oder die integrative Wertschöpfung (Fließ 2009, 13), heben die Bedeutung des Kunden als essentiellen Bestandteil des Prozesses hervor. Weiterhin ergeben sich aus den beiden konstitutiven Eigenschaften die folgenden Merkmale: Dienstleistungen lassen sich insbesondere durch mangelnde Lager- und Transportfähigkeit, Interaktion, Heterogenität, Individualität, fehlende Eigentumsübertragung, Schwierigkeit der Leistungsbeurteilung, Simultanität von Leistungserstellung und -ergebnis sowie Flüchtigkeit charakterisieren (Corsten 1985, 85–87).

2.2 Klassifikationen

Ein zentrales Problem vieler wissenschaftlicher Bereiche liegt in der angemesse-nen Klassifizierung der zu untersuchenden Forschungsobjekte. Trotz der Überein-stimmung über die Bedeutung von Klassifikationen für die Entwicklung wissen-schaftlicher Erkenntnisse werden Begrifflichkeiten wie Klassifikation, Taxonomie oder Typologie in der Literatur häufig heterogen verwendet und folgen somit un-terschiedlichen Definitionsansätzen (Gregor 2006; Nickerson et al. 2013).

Bei der Klassifikation handelt es sich um eine Methode der Klassenbildung, welche Elemente einer Grundgesamtheit gemäß ihrer Gemeinsamkeiten in Klas-sen bzw. Gruppen einordnet (Bailey 1994). Dabei kann es sich entweder um den Prozess handeln, welcher die Entwicklung einer geeigneten Klasseneinteilung be-inhaltet, oder um das Ergebnis der Klassenbildung (Bailey 1994; Sodeur 1974). Grundlage der systematischen Gruppierung bilden die Eigenschaften bzw. die Merkmale der Elemente (Sodeur 1974). Anhand der festgelegten Merkmale wer-den die Elemente nach ihren Gemeinsamkeiten gruppiert (Sodeur 1974). Durch die Zusammenfassung von Objekten in Klassen und somit die vereinfachte Dar-stellung einer Grundgesamtheit, ermöglichen Klassifikationen die systematische Beschreibung komplexer Sachverhalte (Bailey 1994; Brennan 1987; Sodeur 1974).

2.3 Typologien und Taxonomien

Häufig werden die Begriffe Typologie und Taxonomie synonym verwendet. Laut Bailey (1994) lassen sich die beiden Begrifflichkeiten wie folgt voneinander ab-grenzen. Während es sich bei der Typologie um eine konzeptuelle Klassifizierung handelt, basiert die Taxonomie auf der Klassifizierung empirischer Einheiten (Bai-

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Typologien industrienaher Dienstleistungen 173

ley 1994). Bei Typologien handelt es sich um eine qualitative Klassifizierung, da sie auf Basis von Konzepten und daher deduktiv abgeleitet und ohne Quantifizie-rung oder statistischer Analysen erstellt werden (Bailey 1994). Sie grenzen den Klassifizierungsbegriff ein, indem sie ausschließlich mehrdimensional und kon-zeptuell sind. Im Gegensatz dazu, bildet die Grundlage einer Taxonomie häufig ein Datensatz empirischer Objekte, welcher anhand von Merkmalen gemessen wird. Mithilfe verschiedener, meist quantitativer Techniken, können die empiri-schen Objekte bereits während der empirischen Erhebung oder im Anschluss ge-mäß ausgewählter Dimensionen gruppiert oder auch konzeptualisiert werden.

Klassifikationen dienen also der systematischen Ordnung von Elementen einer Grundgesamtheit, indem sie diese aufgrund gemeinsamer Eigenschaften in Klas-sen einteilen. Außerdem ermöglichen sie es, speziell auch für industrienahe Dienstleistungen, zielgruppenspezifische Strategien zu entwickeln und das Ma-nagement entsprechend den Anforderungen der einzelnen Klassen auszurichten (Kuckartz 2012).

3 Methodik

Bei der Festlegung der diesem Beitrag zugrundeliegenden Methodik, wurde be-wusst von einer reinen systematischen Literaturrecherche, wie von Cooper (1988) und Webster und Watson (2002) vorgeschlagen, abgesehen. Diese Art des Vorge-hens wird aufgrund seines reinen formalistischen Wesens, ohne Berücksichtigung des Inhalts und dem Mangel an einem gewissen Grad an akademischer Kreativität und Neugierde kritisiert (MacLure 2005). Stattdessen wurde die systematische Recherche mit dem von Boell und Cecez-Kecmanovic (2014) vorgeschlagenen hermeneutischem Ansatz kombiniert. Dieser besagt, dass die Literaturrecherche viel mehr einem iterativen Prozess folgen sollte, der als hermeneutischer Zirkel bezeichnet wird. Dabei wird das anfangs vorliegende Grundverständnis über meh-rere Iterationen weiterentwickelt und bei der weiteren Recherche berücksichtigt, um den gesamten Themenkomplex ganzheitlich betrachten zu können.

Während der Fokus des Literaturüberblicks auf Ergebnissen, Theorien und praktischen Anwendungen liegt, besteht das Ziel darin, das Wissen zu industrie-nahen Dienstleistungen in kompakter Form darzustellen und zu konsolidieren, um die Konzepte anschließend zu analysieren und zu beurteilen (Cooper 1988).

Um einen Überblick über verwendete Begrifflichkeiten industrienaher Dienst-leistungen zu gewinnen, erfolgte die Literatursuche zunächst mit dem Begriff in-dustrienahe Dienstleistung sowohl über Rückwärtssuche als auch über Vorwärts-suche. Der verwendete Initialbegriff industrienahe Dienstleistung beinhaltet die beiden relevanten Schlagwörter Industrie und Dienstleistung, impliziert keine Produktbindung, ist branchenneutral und wird darüber hinaus von großen, in Deutschland angesehenen Institutionen wie der Gewerkschaft IG Metall und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) verwendet, womit sich die Auswahl begründen lässt. Mit einem deutschsprachigen Begriff als Ausgangs-

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174 Erdem Galipoglu und Melinda Wolter

punkt, wurde schon zu Beginn der Schwerpunkt auf deutschsprachige Literatur gelegt, was sich besonders mit der traditionell hohen Bedeutung der Industrie, be-sonders des Anlagen- und Maschinenbaus in Deutschland, begründen lässt. Da die Literaturrecherche einem hermeneutischen Ansatz folgt, hat der verwendete Initi-albegriff jedoch ohnehin nur eine untergeordnete Rolle für den weiteren Verlauf der Recherche. So wurde, nach einer Zusammenstellung verschiedener Termino-logien, gezielt nach diesen gesucht, um die verschiedenen Ansätze zur Definition und Klassifikation industrienaher Dienstleistungen zu erfassen.

Die Recherche erfolgte über wissenschaftliche Suchmaschinen (Web of Know-ledge, Google Scholar, EBSCO, Science direct), dem Online-Bibliothekskatalog der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (SuUB) und alle darin enthaltenen Literaturdatenbanken. Dabei wurden Beiträge aus Monographien, Fachzeitschrif-ten, Jahrbüchern und Forschungsberichten sowie empirische Studien berücksich-tigt. Dazu gehören sowohl wissenschaftliche als auch praktische Studien, sowie insbesondere nationale, aber auch internationale Beiträge, um so ein breites Spekt-rum von Ansätzen zu Typologien industrienaher Dienstleistungen erfassen zu können. Für die Literaturübersicht wurden ausschließlich Arbeiten verwendet, die sich weitestgehend mit industrienahen Dienstleistungen befassen und somit eine Grundlage für eine weitere Analyse unterschiedlicher Definitionen und Typolo-gien schaffen. Bei der Suche wurde keine zeitliche Eingrenzung der Veröffentli-chungen vorgenommen, da es sich bei den neueren Ansätzen oftmals um Erweite-rungen von Primärliteratur handelt und diese somit eine Basis für viele Ergebnisse schafft. Zudem wurde auch keine Einschränkung hinsichtlich der Outlets, in denen die Beiträge erschienen sind, vorgenommen. Für die Auswahl der relevanten Bei-träge wurden Titel, Abstract und ggf. die Keywords herangezogen.

Gemäß den verglichenen Ansätzen in der Literaturanalyse gibt Tabelle 1 eine Übersicht über die verwendeten Begrifflichkeiten für Klassifikationen. Da in der verwendeten Literatur der Begriff Typologie am häufigsten in Verbindung mit der Klassifizierung industrienaher Dienstleistungen angewendet wird, verwendet auch dieser Beitrag den Term, unabhängig davon, ob es sich um eine empirische und/oder konzeptuelle Klassifizierung handelt.

Tabelle 1. Übersicht über verwendete Begrifflichkeiten für Klassifikationen

Autor Begrifflichkeit Boyt und Harvey (1997); Frambach et al. (1997); Kohtamäki und Partanen (2013); Lorenz-Meyer (2004)

Klassifikation

Busse (2005); Stegner (1992) Arten Eggert et al. (2011); Meyer (2015) Strukturierung Meyer (1985); Lorenz-Meyer (2004); Wimmer und Zerr (1995) Systematisierung Gebauer et al. (2010); Kohtamäki und Helo (2015) Konzeptualisierung Homburg und Garbe (1996); Meyer (2015); Mathieu (2001); Kohtamäki und Helo (2015); Seegy (2009); Spath und Demuß (2006);

Typologie

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Typologien industrienaher Dienstleistungen 175

4 Literaturüberblick zu industrienahen Dienstleistungen

4.1 Begriffsbildung und Einordnung industrienaher Dienstleistungen

Obwohl Dienstleistungen schon immer das Produktangebot von Industriegüterun-ternehmen bereichert haben, wurde diesen in alten Dienstleistungsmodellen kein hoher Wert beigemessen und aus Kundensicht nicht nur als kostenlose Zusatzleis-tungen, sondern auch als selbstverständlich angesehen. So wurde das Angebot zu-sätzlicher Dienstleistungen zunächst mit dem Begriff Kundendienst betitelt (Ro-sada 1990; Weber 1989). Unter Kundendienst versteht Rosada (1990) alle Dienst-leistungen, die Bestandteil eines Kernproduktes sind und den Absatz der Haupt-leistung fördern. Da der Begriff in der Praxis häufig mit dem Beheben von Störfäl-len, wie Reparaturleistungen, negativ verbunden wird (Weber 1989), gilt dieser mittlerweile als überholt und lässt sich daher nur noch vereinzelt auffinden.

Vielmehr rücken Begrifflichkeiten in das Zentrum vieler Arbeiten, die auf den Bezug zum Produkt verweisen, wie etwa produktbegleitende, produktdifferenzie-rende oder produktnahe Dienstleistungen. In neuen Dienstleistungsmodellen wird das industrienahe Dienstleistungsangebot aufgrund neuer Zielsetzungen zu eigen-ständig absatzfähigen Marktleistungen entwickelt, welche neben den Produkten auch zunehmend zur Unterstützung der Kunden eingesetzt werden (Johnstone et al. 2008; Mathieu 2001). Demnach gewinnen Begrifflichkeiten, die auf die eigen-ständige Absatzfähigkeit des Dienstleistungsangebots verweisen, zunehmend an Relevanz. Beispielhaft sind hier Herstellerservices zu nennen.

Die am häufigsten verwendeten Begriffe für das neue Leistungsangebot setzen den Fokus jedoch auf den Anbieter der Dienstleistungen und nehmen somit eine erste Abgrenzung zu Standarddienstleistungen vor. An dieser Stelle lassen sich Begrifflichkeiten wie industrienahe und industrielle Dienstleistungen oder indust-rielle Serviceleistungen aufführen, welche die industrielle Herkunft der Dienstleis-tungen verdeutlichen sollen. Weitere Ansätze versuchen den Begriff nicht nur durch die Bedeutung des Anbieters, sondern auch die des Nachfragers einzugren-zen. Um zu verdeutlichen, dass es sich bei dieser Art von Dienstleistungen um Dienstleistungen im B2B-Bereich und expliziter um solche handelt, dessen Anbie-ter und Nachfrager produzierende Unternehmen darstellen, finden Begriffe wie B2B-Dienstleistungen beziehungsweise Services oder unternehmensbezogene Dienstleistungen Anwendung. Die wesentlichen Begriffe für industrienahe Dienst-leistungen aus der Forschung und Praxis sind in Tabelle 2 dargestellt.

Die Vielzahl geht zum einen mit der Heterogenität industrienaher Dienstleis-tungen einher, zum anderen werden unterschiedliche Begrifflichkeiten zum Teil synonym verwendet oder finden in einem analogen Kontext Anwendung, obwohl diese kein einheitliches Verständnis von industrienahen Dienstleistungen aufwei-sen (Busse 2005; Lorenz-Meyer 2004; Münkhoff 2013). Viele Begrifflichkeiten fokussieren sich außerdem auf eine Ausprägungsform ohne dabei industrienahe Dienstleistungen als Ganzes berücksichtigt zu haben. Dies liegt oftmals in unter-

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176 Erdem Galipoglu und Melinda Wolter

schiedlichen Ansätzen begründet, die auf unterschiedliche Zielsetzungen oder Fragestellungen zurückzuführen sind (Seegy 2009). Letztendlich lassen sich neben einer Vielzahl von Begrifflichkeiten zahlreiche unterschiedliche Definitionen für industrienahe Dienstleistungen auffinden (Busse 2005; Lorenz-Meyer 2004; Münkhoff 2013; Stegner 1992). Unabhängig davon, welche Begrifflichkeiten von den jeweiligen Autoren verwendet wurden, findet in dem vorliegenden Beitrag ausschließlich der Begriff industrienahe Dienstleistung Anwendung.

Tabelle 2. Begriffsvielfalt industrienaher Dienstleistungen

Autor(en) Begrifflichkeit Kieffer (2013) Additive Dienstleistungen Neu und Brown (2005) Business-to-Business Dienstleistungen /

Business-to-Business Services Hilke (1989) Funktionelle Dienstleistungen Zapf (1990) Gewerblich industrielle Dienstleistungen Bienzeisler (2013) Hersteller Services Eickelpasch (2012); Haß (1995) Industrienahe Dienstleistungen Boyt und Harvey (1997); Garbe (1998); Homburg und Garbe (1996); Kohtamäki und Partanen (2013); Lorenz-Meyer (2004); Luczak et al. (2006); Meyer (2015); Münk-hoff (2013); Seegy (2009); Seiter (2013); Spath und Demuß (2006); Stegner (1992)

Industrielle Dienstleistungen / Industrial Services

Müller (1993) Industriell investive Dienstleistungen Busse (2005) Industrielle Services Casagranda (1994) Industrielle Serviceleistungen Engelhardt und Schwab (1982) Investive Dienstleistungen Killinger (1999) Kernproduktbegleitende Dienstleistungen Rosada (1990); Rau (1975); Weber (1989) Kundendienst / Customer Service Laib (1996) Primärdienstleistungen Frambach et al. (1997); Johnstone et al. (2008)

Product Services

Martin et al. (2014) Produktbegleitende Dienstleistungen Meyer (1985) Produktdifferenzierende Dienstleistungen Kaufmann (1977) Produktivdienstleistungen Hartmann und Gsell (2001) Produktnahe Dienstleistungen Buschak (2014) Unternehmensbezogene Dienstleistungen

4.2 Definition industrienaher Dienstleistungen

Die Schwierigkeit bei einem einheitlichen Begriffsverständnis lässt sich aus der Heterogenität von Dienstleistungen ableiten. Da bei diesen bereits Probleme bei einer einheitlichen Begriffsdefinition bestehen, resultiert bei industrienahen Dienstleistungen dieselbe Problematik.

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Typologien industrienaher Dienstleistungen 177

Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie sich einzelne Definitionen in-dustrienaher Dienstleistungen erschließen lassen. Seegy (2009) nimmt beispiels-weise eine Begriffsabgrenzung anhand der wesentlichen Eigenschaften und Funk-tionen industrienaher Dienstleistungen vor. Weitere Möglichkeiten bestehen zu-dem in der Einordnung in das Gesamtverständnis von Dienstleistungen oder in der Abgrenzung zu anderen Dienstleistungsformen (Meyer 2015). Andere Ansätze versuchen das Spektrum industrienaher Dienstleistungen durch Enumeration zu erfassen. Häufig unterscheiden sich die Abgrenzungsversuche durch die Breite des Begriffsverständnisses. So stützt sich Münkhoff (2013) auf ein sehr breites Be-griffsverständnis, welches alle Leistungen, die zur Problemlösung beim Kunden beitragen, umfasst. Generell werden zur Definition von industrienahen Dienstleis-tungen unterschiedliche Merkmale in Betracht gezogen, auf die im Folgenden nä-her eingegangen wird.

4.2.1 Verwendung von industrienahen Dienstleistungen

Ein erstes Merkmal bezieht sich auf die Verwendung von industrienahen Dienst-leistungen und unterscheidet zwischen externen und internen Dienstleistungen. Während externe Dienstleistungen auf einem Absatzmarkt für Unternehmen ange-boten werden, sind interne Dienstleistungen solche Leistungen, die innerhalb eines Unternehmens für den Eigenbedarf erbracht werden. Diese beinhalten beispiels-weise das Rechnungswesen, das Controlling, die Marktforschung oder das Perso-nalwesen. Lorenz-Meyer (2004) grenzt diese aufgrund der fehlenden Absicht zur marktgerichteten Leistungserbringung sowie des fehlenden externen Faktors von industrienahen Dienstleistungen ab. Homburg und Garbe (1996) schließen interne Dienstleistungen ebenfalls vom Leistungsverständnis industrienaher Dienstleis-tungen aus. Die Ausnahme bilden nach deren Ansicht Transport- und Finanzie-rungsleistungen, welche zum Verkauf der Sachleistung beitragen und somit zu den industrienahen Dienstleistungen gezählt werden können. Buschak (2014) und Ge-bauer (2008) schließen interne Dienstleistungen in das Begriffsverständnis mit ein, sofern die bisher vom Kundenunternehmen selbst durchgeführten Leistungen aus-gelagert wurden.

4.2.2 Kunden industrienaher Dienstleistungen

Weitere Ansätze orientieren sich bei der Abgrenzung am Dienstleistungsnachfra-ger. Hierbei lässt sich eine Uneinigkeit über die Konsumenten industrienaher Dienstleistungen feststellen. So differenziert Müller (1993) abhängig vom Nach-frager in industriell-konsumtive und industriell-investive Dienstleistungen und ordnet somit dem Begriff industrienaher Dienstleistungen sowohl Endkunden als auch Unternehmen als Konsumenten zu. Im Gegensatz zu Müller (1993) fordern die Definitionen von Buschak (2014), Homburg und Garbe (1996), Lorenz-Meyer (2004), Meyer (2015) sowie Spath und Demuß (2006) industrienahe Dienstleis-tungen im B2B Bereich anzusiedeln, sodass die Kunden somit ausschließlich Un-ternehmen darstellen. Gemäß der Differenzierung nach dem Dienstleistungsnach-

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frager in konsumtive und investive Dienstleistungen beziehen diese Ansätze dem-entsprechend nur investive Dienstleistungen, also von Unternehmen nachgefragte Dienstleistungen, in das Begriffsverständnis ein. Seiter (2013) hingegen schließt wie Müller (1993) sowohl Unternehmen als auch private Kunden in die Begriffs-definition ein. Dies begründet sie damit, dass die Fokussierung auf Unternehmen als alleinige Kunden industrienaher Dienstleistungen eine große Dienstleistungs-gruppe unberücksichtigt lässt. Frambach et al. (1997) beziehen ebenfalls Unter-nehmen und Endkunden in die Definition ein, grenzen Unternehmen jedoch in Kunden des sekundären und tertiären Sektors ein. Weitergehend werden industrie-nahe Dienstleistungen bezüglich ihres Verwendungszwecks beim Kunden diffe-renziert. Backhaus (1992) setzt industrienahe Dienstleistungen in Verbindung mit Investitionsgütern, die von Unternehmen beschafft werden, um weitere Leistungen zu erstellen. Garbe (1998) erweitert das Verständnis, indem nicht nur Leistungen berücksichtigt werden, deren Beschaffung mit einer Investitionsentscheidung ein-hergeht, sondern auch solche, die im Produktionsprozess bearbeitet werden.

4.2.3 Anbieter industrienaher Dienstleistungen

Industrienahe Dienstleistungen sind aufgrund der Verbindung zum Kerngeschäft des Kunden und des zu deren Produktion notwendigen Know-hows als industrie-typisch anzusetzen (Stegner 1992). Diese werden somit überwiegend als Bestand-teil der Produktion und des Angebots von Industrieunternehmen angesehen. Hom-burg und Garbe (1996) verweisen bei ihrer Definition industrienaher Dienstleis-tungen auf die Begriffsbildung funktioneller Dienstleistungen von Hilke (1989). Demnach grenzen sie industrienahe Dienstleistungen (funktionell) von rein inves-tiven Dienstleistungen (institutionell) durch den Dienstleistungsanbieter ab. Wäh-rend rein investive Dienstleistungen von reinen Dienstleistungsunternehmen er-bracht werden, beziehen sich industrienahe Dienstleistungen auf das Dienstleis-tungsangebot von produzierenden Unternehmen. Manche Ansätze grenzen die Art des Dienstleistungsanbieters noch weiter ein, indem sich industrienahe Dienstleis-tungen ausschließlich auf das Dienstleistungsangebot von Investitionsgüterherstel-lern, wie Maschinen- oder Anlagenbauern, beziehen (Seegy 2009; Seiter 2013; Spath und Demuß 2006).

4.2.4 Bezug zum Kerngeschäft

Eine weitere Abgrenzung industrienaher Dienstleistungen beruht auf der Bezie-hung zum Kerngeschäft. Frambach et al. (1997) nehmen dadurch eine Unterschei-dung zum Kundenservice vor. Bei industrienahen Dienstleistungen setzen sie den direkten Bezug zum Kernprodukt voraus und bezeichnen diese als Dienstleistun-gen, die über den Transaktionsprozess und somit über den Kundenservice hinaus-gehen. Nach der Auffassung von Seiter (2013) stehen industrienahe Dienstleistun-gen im Zusammenhang mit einer Sachleistung. Während sie den direkten Bezug industrienaher Dienstleistungen zu einer Sachleistung voraussetzt, teilt sie diese in Dienstleistungen ein, die den Einsatz des Sachgutes ermöglichen sowie in Dienst-

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Typologien industrienaher Dienstleistungen 179

leistungen, die die Verwendung des Produktes unterstützen. Spath und Demuß (2006) sehen industrienahe Dienstleistungen als überwiegend selbstständige Leis-tungen, welche nicht unmittelbar mit einem Sachgut in Verbindung stehen müs-sen, aber schwerpunktmäßig der Vermarktung dieser dienen. Im Gegensatz zu rei-nen investiven Dienstleistungen, welche Spath und Demuß (2006) als selbststän-dig marktfähige Leistungen von Dienstleistungsunternehmen bezeichnen, sind in-dustrienahe Dienstleistungen an eine Sachleistung gekoppelt.

Reckenfelderbäumer und Busse (2006) betrachten den direkten Produktbezug als obligatorisch und sprechen von der wirtschaftlichen Abhängigkeit einer Dienstleistung von einem Sachgut. Der Absatz von industrienahen Dienstleistun-gen ist demnach der Nachfrage nach dem zugrunde liegenden Sachgut nachgela-gert und hängt entscheidend von dessen Komplexität bzw. Störanfälligkeit ab (O-lemutz 1995; Steven und Schade 2004). Buschak (2014) hingegen vertritt eine sehr integrative Sichtweise und spricht davon, dass industrienahe Dienstleistungen „[…] mit der industriellen Produktion von Sachleistungen verschmolzen […]“ sind (Buschak 2014, 62). Er bezeichnet industrienahe Dienstleistungen somit als Leistungsbündel, bestehend aus Sach- und Dienstleistungsanteilen, die gemeinsam zum Gesamtleistungspotenzial beitragen. Dabei geht Buschak (2014) soweit, hyb-ride Leistungsbündel, die aus integrativen Dienstleistungs- und Sachleistungsan-teilen bestehen, welche bereits während der Produktion aufeinander abgestimmt und kombiniert werden, mit industrienahen Dienstleistungen gleichzusetzen. Homburg und Garbe (1996) beschränken industrienahe Dienstleistungen nicht auf produktergänzende Leistungen, sondern schreiben ihnen ebenfalls das Potenzial als eigenständig absatzfähige Leistungen zu.

Lorenz-Meyer (2004) geht dabei auf die beschränkte Sichtweise der Begriffsde-finition industrienaher Dienstleistungen auf Grundlage des Vermarktungszusam-menhangs von Kerngeschäft und industrienahen Dienstleistungen ein. Er erweitert den Ansatz um die Beziehung zwischen Kerngeschäft und industrienahen Dienst-leistungen, welche auf einer gemeinsamen Ressourcennutzung beruht. In Folge dieses Kompetenzzusammenhangs integriert er in sein Begriffsverständnis solche Dienstleistungen, die Industriegüterunternehmen zwar unabhängig vom Kernge-schäft anbieten, die aber aus den Fähigkeiten und Ressourcen des Kerngeschäfts resultieren. Die Beziehung zwischen Kerngeschäft und industrienaher Dienstleis-tung basiert dabei also sowohl auf dem Vermarktungszusammenhang, als auch auf einer gemeinsamen Ressourcennutzung. Lorenz-Meyer (2004) spricht hierbei von sekundär-industriellen Dienstleistungen, welche auf den „[…] Synergien für den Absatz des Kerngeschäfts […]“ beruhen und von tertiär-industriellen Dienstleis-tungen basierend auf „[…] Synergien aus dem Kerngeschäft“ (Lorenz-Meyer 2004, 35). Busse (2005) verzichtet dabei vollständig auf eine Differenzierung in-dustrienaher Dienstleistungen nach Primär- und Sekundärleistungen bzw. Haupt- und Nebenleistungen, um eine Gleichrangigkeit mit Sachleistungen im Leistungs-angebot zu gewährleisten.

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4.2.5 Betrachtete Kernleistung

Weitergehend differenzieren einige Definitionsansätze, ob es sich bei der zugrun-deliegenden Sachleistung um ein Eigen- oder Fremdprodukt des dienstleistungs- anbietenden Unternehmens handelt. Gemäß Seiter (2013) muss die industrienahe Dienstleistung dabei nicht notwendigerweise vom Hersteller der Sachleistung er-bracht werden, da dies aus Sicht des Kunden keine Auswirkung auf das Ergebnis der Dienstleistung hat. Diese Form der industrienahen Dienstleistungen, die nicht an der eigenen Sachleistung erbracht wird, bezeichnet Seiter (2013) als Indepen-dent-Dienstleistungen.

Lorenz-Meyer (2004) entwickelt für industrienahe Dienstleistungen, die an Fremdprodukten erbracht werden, sogar eine eigene Sparte und berücksichtigt in dem Zusammenhang nur solche Dienstleistungen, die sich aus den vorhandenen Kompetenzen des Unternehmens ergeben. Wie bereits oben aufgeführt, ergeben sich tertiär industrielle Dienstleistungen aus den zugrunde liegenden Kompetenzen und Ressourcen und lassen sich somit auf das Angebot im Zusammenhang mit Fremdprodukten erweitern. Die Beziehung zwischen Kerngeschäft und Dienstleis-tung basiert nun nicht mehr auf der gemeinsamen Vermarktung, stattdessen sind Dienstleistungen eigenständig absatzfähige Leistungen und somit nicht an das ei-gene Kerngeschäft gekoppelt.

Findet das Dienstleistungsgeschäft völlig unabhängig vom eigenen Kernge-schäft statt, sprechen Homburg und Garbe (1996) hingegen von einer Ausgliede-rung und somit von einer „[…] Diversifikationsentscheidung in den Dienstleis-tungsbereich“ (Homburg und Garbe 1996, 258–260) anstatt von industrienahen Dienstleistungen. Auch Busse (2005) differenziert hinsichtlich des Herstellers der Kernleistung in Eigen- und Fremdprodukte. Industrienahe Dienstleistungen wer-den demnach von Industrieunternehmen für ihre eigenen Sachleistungen angebo-ten und von solchen Dienstleistungen abgegrenzt, welche für fremde Sachleistun-gen und somit ebenfalls von institutionellen Dienstleistungsunternehmen angebo-ten werden können.

4.2.6 Strategische Zielsetzung des Angebots

Häufig wird bei den Definitionen zusätzlich die strategische Zielsetzung des An-gebots industrienaher Dienstleistungen in Betracht gezogen. Lorenz-Meyer (2004) betont dabei die Differenzierung von industrienahen Dienstleistungen zu Ver-kaufsförderungsmaßnahmen im Spektrum der Marketinginstrumente. Während diese kurzfristige Absatzwirkungen zum Ziel haben, unterscheiden sich industrie-nahe Dienstleistungen durch ihre „[…] eigenständige, bedarfsgerichtete […]“ Ei-genschaft als Absatzleistung (Lorenz-Meyer 2004, 36). Viele Ansätze fokussieren sich bei der Zielsetzung auf die Kundenbindungsfunktion von industrienahen Dienstleistungen, die durch die Erhöhung des Kundennutzens aufgebaut und ge-stärkt werden soll. Frambach et al. (1997) sprechen dabei von einem Aufbau nachhaltiger und intensiver Kundenbeziehungen. Zusätzlich beziehen einzelne Autoren auch die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit als wichtige Funktion indust-

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Typologien industrienaher Dienstleistungen 181

rienaher Dienstleistungen ein. So verbindet Busse (2005) mit industrienahen Dienstleistungen die Chance sowie die Notwendigkeit, sich von Wettbewerbern aufgrund erschwerter Imitierbarkeit zu differenzieren. Frambach et al. (1997) und Seegy (2009) deuten im Zusammenhang mit der Zielsetzung des Angebotes in-dustrienaher Dienstleistungen auf die zusätzliche Gewinnerzielung, einhergehend mit der Absatzförderung des Kernprodukts, hin.

4.3 Typologien industrienaher Dienstleistungen

Generell ermöglichen Typologien aufgrund ihrer komplexitätsreduzierenden Ei-genschaft einen besseren Überblick sowie Einsichten in die einzelnen Ausprä-gungsformen von industrienahen Dienstleistungen (Boyt und Harvey 1997). Münkhoff (2013) kommt zu dem Entschluss, dass eine Differenzierung zwischen industrienahen Dienstleistungen essentiell ist, um wichtige Rückschlüsse über die-se ziehen zu können. Grund dafür ist die Heterogenität des Themengebietes und der damit einhergehenden Schwierigkeit, Aussagen über das gesamte Spektrum industrienaher Dienstleistungen zu treffen, sowie der unterschiedlichen Wir-kungsweise des Angebots industrienaher Dienstleistungen auf unterschiedliche Faktoren, wie den Unternehmenserfolg oder das Marketing, abhängig von der Ausprägungsform. Frambach et al. (1997) betonen, dass die Nachfrage nach in-dustrienahen Dienstleistungen im Zusammenhang mit industriellen Produkten über Marktsegmente variiert. Um wettbewerbsfähig zu bleiben ist demnach das Verständnis von Kundenbedürfnissen und -wünschen entscheidend. Eine Typolo-gie kann dabei sinnvoll sein, um dieses Verständnis zu erlangen und gleichzeitig den entsprechenden Dienstleistungstyp zuordnen zu können. Eggert et al. (2011) sehen in Typologien des heterogenen Leistungsspektrums außerdem die Möglich-keit, für Manager wichtige Strategien abzuleiten und Handlungspläne zu entwi-ckeln. Eine Typologie kann außerdem Grundlage einer Machbarkeitsstudie sein und dabei helfen benötigte Kompetenzen und Ressourcen offenzulegen, um somit eine Basis für das Angebot von bestimmten Dienstleistungen zu schaffen.

Es lässt sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Typologien industrienaher Dienstleistungen auffinden. Diese Vielfalt ist die Folge unterschiedlich breit ge-wählter Abgrenzungskategorien oder verschiedener Zielsetzungen der Typologien. Tabelle 3 gibt einen Überblick über häufig verwendete Dimensionen zur Typolo-gisierung industrienaher Dienstleistungen. Die Typologieansätze lassen sich unter fünf eindimensionale Modelle subsummieren, wobei häufig eine Mischung dieser Dimensionen zu zwei- oder dreidimensionalen Typologien industrienaher Dienst-leistungen herangezogen wird. Diese werden im Folgenden näher erläutert.

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Tabelle 3. Dimensionen zur Typologisierung industrienaher Dienstleistungen

Dimensionen Ausprägungsformen Kaufphasen Vorkaufphase

Kaufphase Nachkaufphase phasenübergreifend

Verrichtungsobjekt Produkt (eigen/fremd) Geschäft Subjekt

Benötigte Kompetenzen und Ressourcen operativ strategisch kulturell

Funktion Unterstützung von Leistungen Ergänzung von Leistungen Eigenständig absatzfähige Leistungen

Bezug zur Kernleistung abhängig unabhängig

4.3.1 Typologisierung anhand der Kaufphase

Eine Grundlage für viele Typologien bildet häufig die Dimension der Kaufphasen des Produkts, in denen die industrienahe Dienstleistung in Anspruch genommen wird. Hier werden die Dienstleistungen nach dem zeitlichen Bezug zum Absatz-vorgang in die Phasen Vorkauf-, Kauf-, oder Nachkaufphase, sowie in einigen Ansätzen auch phasenübergreifend eingeordnet. Gebauer et al. (2010) greifen in ihrer eindimensionalen Typologie auf diesen Ansatz zurück und teilen die verfolg-ten Dienstleistungsstrategien und die damit verbundenen Dienstleistungsschwer-punkte in die jeweiligen Phasen ein. Dabei steht nicht die Verkaufsphase für die Auflistungsreihenfolge im Vordergrund, sondern vielmehr das benötigte Know-how sowie die entsprechenden Kompetenzen, die mit der Erbringung der Dienst-leistung einhergehen. Demzufolge lassen sich die Dienstleistungsformen, entspre-chend ihrem Anforderungsniveau anordnen.

Frambach et al. (1997) entwickeln aus ihrer empirischen Studie ebenfalls eine eindimensionale Typologie basierend auf den Verkaufsphasen. Hierbei unter-scheiden sie zwischen transaktionsbezogenen Dienstleistungen, welche in der Vorverkaufsphase zur Unterstützung der Kaufentscheidung, durch zum Beispiel Demonstrationen, angeboten werden und nach der Kaufentscheidung zum Einsatz kommen, um den Kunden mit seinem Kauf zufrieden zu stellen und somit die Funktionsfähigkeit des Produktes etwa durch Wartungsinspektionen zu gewähr-leisten. Im Gegensatz zu transaktionsbezogenen Dienstleistungen werden kunden-bindungsbezogene Dienstleistungen gemäß Frambach et al. (1997) phasenüber-greifend und somit entlang des gesamten Produktlebenszyklus angeboten. Lorenz-Meyer (2004) kritisiert die Typologisierung nach den Phasen des Kaufaktes da-hingehend, dass diese der Exklusivität von Typologien nicht gerecht wird. Diese

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Typologien industrienaher Dienstleistungen 183

fordert, dass die Ausprägungsformen sich überschneidungsfrei in die Typologie einordnen lassen.

Homburg und Garbe (1996) fügen zur Typologisierung industrienaher Dienst-leistungen noch eine weitere Dimension hinzu. In dem zweidimensionalen Ansatz werden industrienahe Dienstleistungen entlang der Kaufphasen sowie nach dem Verrichtungsobjekt eingeordnet. Dabei sind industrienahe Dienstleistungen ent-weder direkt auf das Produkt oder auf das Subjekt ausgerichtet. Bei der Ausrich-tung auf das Produkt differenzieren sie in eigen- oder fremdproduktgerichtete Dienstleistungen, während hinsichtlich des Subjekts zwischen unmittelbar oder mittelbar subjektgerichteten Dienstleistungen unterschieden werden kann. Für unmittelbar subjektgerichtete Dienstleistungen sind beispielhaft Beratungsdienst-leistungen zu nennen, während mittelbar subjektgerichtete Dienstleistungen, wie Problemerkennungsanalysen, die Mitwirkung des Kunden voraussetzen. Das Re-sultat sind insgesamt zwölf Typen, denen jeweils Beispiele zugeordnet werden.

4.3.2 Typologisierung nach dem Verrichtungsobjekt

Weitere Ansätze, die ausschließlich auf dem Verrichtungsobjekt basieren, gehen auf Busse (2005), Eggert et al. (2011) oder Lorenz-Meyer (2004) zurück. Eggert et al. (2011) nehmen demnach eine Differenzierung in services supporting the product (SSP), um die Installation und Anwendung des Produktes zu verbessern und somit die Funktionsfähigkeit zu garantieren, sowie in services supporting the client (SSC) vor, welche die Kunden bei der Handhabung der Kernleistung unter-stützen sollen. Subjektbezogene Dienstleistungen sind meist auf die individuellen Kundenbedürfnisse ausgerichtet und können unabhängig vom Kernprodukt er-bracht werden. Hierbei geht es nicht mehr um die ausschließliche Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Produktes, stattdessen sollen Kunden den maximalen Nutzen aus der Kernleistung ziehen können (Mathieu 2001). Der Zweck subjekt-bezogener Dienstleistungen liegt gemäß Gebauer et al. (2010) in der Steigerung von Effektivität und Effizienz in den Kundenprozessen oder sogar in der kunden-seitigen Risikominimierung durch die Übernahme ganzer Produktionsprozesse durch den Hersteller. Seegy (2009) unterteilt industrienahe Dienstleistungen in die drei Typen Dienstleistungen zur Produkt- und Prozessunterstützung, Dienstleis-tungen zur Anwenderunterstützung und Dienstleistungen zur Geschäftsunterstüt-zung, wie Full-Service Pakete oder Betreibermodelle.

4.3.3 Typologisierung nach den Kompetenzen und Ressourcen

Ein weiterer Typologieansatz berücksichtigt die Kompetenzen eines Unterneh-mens sowie das benötigte Know-how, welches mit dem Angebot spezieller Dienstleistungsformen einhergeht. Demnach ordnen Spath und Demuß (2006) in-dustrienahe Dienstleistungen in ein Reifemodell ein und erhalten entsprechend der einhergehenden Komplexität die folgenden fünf Typen: Dienstleistungen als Zu-satzleistung, Dienstleistungen als Betreuung, Dienstleistungen als Beratung, Dienstleistungen als Leistungsgarantie und Dienstleistungen als Ergebnisgarantie.

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Methieus (2001) Typologie stützt sich ebenfalls auf die Auswirkungen auf die un-ternehmerischen Kompetenzen und Ressourcen, fügt jedoch noch das Verrich-tungsobjekt als zweite Dimension hinzu. Während taktische Dienstleistungen auf zusätzliche Handlungen innerhalb des Marketing- bzw. Produktmixes beschränkt sind und somit nur einen begrenzten Einfluss auf das Unternehmensgeschäft ha-ben, erfordern strategische Dienstleistungen eine Erweiterung des bisherigen Un-ternehmensportfolios um zusätzliche Kernkompetenzen, ohne dabei jedoch Aus-wirkungen auf das Geschäftsmodell zu haben. Kulturelle Dienstleistungen, als dritte Ausprägungsform, gestalten das Geschäftsmodell um und führen somit zu weitreichenden Konsequenzen für das Unternehmen. Die zweite Dimension Ver-richtungsobjekt gliedert sich ebenfalls in drei Ausprägungsformen. Dazu zählen der Kundenservice, die Produktdienstleistungen zur Unterstützung der Kernleis-tung sowie Dienstleistungen als eigenständig marktfähige Leistungen, welche ein Kunde in Anspruch nehmen kann, ohne dabei das Kernprodukt von dem Anbieter zu beziehen. Die resultierenden Typen stellen bei Mathieu (2001) Beispiele aus der Unternehmenspraxis dar.

4.3.4 Typologisierung anhand der Funktion

Kohtamäki und Helo (2015) differenzieren industrienahe Dienstleistungen nach der Zielsetzung beziehungsweise der Funktion. Demnach ordnen sie industrienahe Dienstleistungen in vier Typen ein. Dazu zählen Dienstleistungen zur Optimie-rung, welchen beispielhaft Reparaturdienstleistungen, Ersatzteildienste, Instand-haltungen, Garantien oder technische Supports für ähnliche Produkte anderer Her-steller zuzuordnen sind, Forschung und Entwicklungsdienstleistungen, wie Mach-barkeitsstudien, Problemanalysen oder Produktgestaltung, Business Services wie Beschaffungsservice, Projektmanagement und Finanzierungsservice und der Kun-denservice, welcher Seminare, Kosten-Nutzen-Analysen oder technische Anwen-derschulungen umfasst.

4.3.5 Typologisierung durch den Bezug zur Kernleistung

Homburg und Garbe (1996) gehen bei einer zweiten Typologie außerdem auf den Bezug zur Kernleistung ein. Die mehrdimensionale Typologie folgt einer hierar-chischen Struktur und gliedert industrienahe Dienstleistungen zunächst in indust-rienahe Sekundärdienstleistungen und industrienahe Primärleistungen. Während industrienahe Primärdienstleistungen unabhängig vom Produkt und somit als ei-genständige Marktleistungen angeboten werden, sind industrienahe Sekundär-dienstleistungen im Produktpreis enthalten und somit ausschließlich als Zusatz-leistungen zum Produkt absatzfähig. Industrienahe Sekundärdienstleistungen las-sen sich in obligatorische Leistungen, die den Absatz des Kerngeschäfts ermögli-chen und vom Kunden vorausgesetzt werden, wie beispielsweise Garantie- oder Rücknahmeleistungen und in fakultative Dienstleistungen, die zur Förderung des Produktabsatzes beitragen, gliedern. Lorenz-Meyer (2004) kritisiert an dieser Dif-ferenzierung, dass diese nur aus Kundensicht durchführbar ist. Dies lässt sich auf

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Typologien industrienaher Dienstleistungen 185

die Subjektivität der Kunden zurückführen. Während manche Kunden in einer Leistung lediglich ein Zusatzangebot sehen, erwarten andere Kunden diese Leis-tung zwingend. Eine weitere Problematik liegt in der dynamischen Perspektive, welche nicht gewährleistet, eine solche Differenzierung aufrecht zu erhalten. Bliemel und Fassott (2000) begründen dies mit dem Einstellungswandel von Kun-den gegenüber Zusatzleistungen, welche mit der Zeit als selbstverständlich be-trachtet werden könnten. Zur weiteren Differenzierung gehen Homburg und Garbe (1996) an dieser Stelle ausschließlich auf die fakultativen Dienstleistungen ein, die vom Hersteller selbst gestaltet und beeinflusst werden können. Auf der nächsten Ebene differenzieren Homburg und Garbe (1996) industrienahe Primär- und Se-kundärleistungen jeweils nach dem Verrichtungsobjekt in subjekt- und produktbe-zogene Dienstleistungen, wobei produktbezogene Primärdienstleistungen in Ei-gen- und Fremdprodukte unterteilt werden. Auf der letzten Ebene findet eine Gliederung, bezogen auf den Kaufprozess, in Vor-, Parallel- und Folgeleistung statt. Ausgenommen sind hiervon allerdings Fremdprodukte.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Lorenz-Meyer (2004), der industrienahe Dienstleistungen nach der Beziehung zum Kerngeschäft in sekundär industrienahe und tertiär industrienahe Dienstleistungen gliedert. Während sich sekundär indust-rienahe Dienstleistungen ebenfalls auf den Vermarktungszusammenhang zwischen Produkt und Dienstleistung beziehen und in obligatorische und fakultative Dienst-leistungen unterteilt werden, basiert die Beziehung zwischen Kerngeschäft und Dienstleistung bei tertiär industrienahen Dienstleistungen nicht mehr auf der ge-meinsamen Vermarktung, sondern auf den zugrunde liegenden Kompetenzen und Ressourcen. Tertiär industrienahe Dienstleistungen können somit in Zusammen-hang mit Fremdprodukten erbracht werden. Lorenz-Meyer (2004) gliedert tertiär industrienahe Dienstleistungen in evolutionäre und revolutionäre Dienstleistun-gen. Evolutionäre tertiäre Dienstleistungen resultieren aus demselben Geschäft wie die sekundären Dienstleistungen, werden den Kunden aber unabhängig vom Erwerb des Kerngeschäfts angeboten. Bespielhaft ist die Pflege von Produkten ei-nes anderen Herstellers zu nennen. Die zweite Kategorie tertiärer Dienstleistun-gen, die Lorenz-Meyer (2004) als revolutionäre industrielle Dienstleistungen be-zeichnet, bieten Industrieunternehmen völlig neue Geschäftsmodelle, indem die Fähigkeiten aus dem Kerngeschäft für die Vermarktung neuer Dienstleistungen verwendet werden. Ersatzteilliefersysteme, die den Kunden von Fremdprodukten zugänglich gemacht werden, sind ein Beispiel für diesen Typus.

5 Diskussion

Generell kann der Typologieansatz basierend auf den verfolgten Dienstleistungs-strategien einem Produktionsunternehmen dabei helfen eine geeignete Strategie entsprechend seiner Fähigkeiten zu verfolgen, um damit das Dienstleistungsge-schäft zu entwickeln. Die gleichzeitige Differenzierung nach den Kaufphasen bie-tet dem Anbieter eine Übersicht über die Möglichkeiten, in welchen Phasen

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Dienstleistungen während des Lebenszyklus von Produkten angeboten werden können. Dementsprechend kann überprüft werden, ob die Kunden in allen Phasen durch zusätzliche Dienstleistungen bedient werden oder wo noch Potenziale und ungenutzte Ressourcen zur Erweiterung des Dienstleistungsportfolios bestehen. Problematisch kann dieser Ansatz jedoch dahingehend werden, wenn es sich bei dem bezogenen Produkt des Kunden um ein Fremdprodukt handelt. Die Phasen-bewertung lässt sich dann nicht mehr aus Anbietersicht durchführen, sondern kann nur noch aus Sicht des Kunden angewendet werden.

Viele Ansätze gehen hinsichtlich des Verrichtungsobjektes lediglich auf kun-den- und produktunterstützende Dienstleistungen ein. Eine wichtige Rolle spielen hierbei jedoch auch Dienstleistungen, welche sich auf das Geschäft bzw. das Ma-nagement von Kunden beziehen. Diese stellen zusätzliche Herausforderungen an das Anbieterunternehmen und deren Qualität hängt stark von der zugrundeliegen-den Beziehung zum Kunden ab. Um Wissen über die Prozesse des Kunden zu er-langen und adäquate Beratungen bezüglich der Geschäftsprozesse des Kunden zu geben, sind langjährige Geschäftsbeziehungen notwendig. Außerdem sind ge-schäftsbezogene Dienstleistungen, wie individuelle Beratungen, abhängig von kundenspezifischen Prozessen und Abläufen und können somit mit unterschiedli-chen Herausforderungen für den Hersteller einhergehen.

Der Typologieansatz ausgehend von den Fähigkeiten und Ressourcen berück-sichtigt nicht nur die Kompetenzen eines Unternehmens, sondern auch das benö-tigte Know-how, was mit dem Angebot spezieller Dienstleistungsformen einher-geht. Strategisch gesehen spielt die Typologie von Mathieu (2001) eine entschei-dende Rolle, da aus diesem Ansatz Folgen für das Geschäftsmodell ersichtlich werden und industrienahe Dienstleistungen entsprechend ihrer Ausprägungsform klare strukturelle und strategische Folgen mit sich ziehen können.

Der Ansatz von Kohtamäki und Helo (2015) klassifiziert industrienahe Dienst-leistungen gemäß ihrer Funktionen. Diese Vorgehensweise folgt eher einer Enu-meration und läuft daher Gefahr, dass die Vielfalt industrienaher Dienstleistungen nur angedeutet wird und somit nicht voll ausgeschöpft werden kann (Lorenz-Meyer 2004). Außerdem sind die resultierenden Typen nicht überschneidungsfrei.

Aus Homburgs und Garbes (1996) dreidimensionaler Typologie resultiert ein schiefes Baumdiagramm, welches auf den verschiedenen Ebenen keine einheitli-che Anzahl an Abzweigungen vornimmt und somit die Ausprägungsformen in-dustrienaher Dienstleistungen nicht einheitlich voneinander abgrenzt. Zudem ist deren Systematisierungsversuch nicht im Sinne einer Typologie aufgebaut. Wie sie selbst in ihrer Arbeit zu verstehen geben, sind „[…] Beispiele […] so zu ver-stehen, dass diese Dienstleistungen meistens, aber nicht immer, zu den jeweiligen Kategorien gehören“ (Homburg und Garbe 1996, 262). Somit bilden die Typen keine homogenen Gruppen, welche sich gegenseitig ausschließen.

Die meisten Ansätze können dahingehend kritisiert werden, dass diese nicht das gesamte Spektrum industrienaher Dienstleistungen erfassen oder verschiedene Ausprägungsformen aufgrund der fehlenden Exklusivität der Typologien mehre-ren Typen zugeordnet werden können und demnach das Kriterium der Trennschär-

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Typologien industrienaher Dienstleistungen 187

fe nicht erfüllen. Generell kommt es immer darauf an, welches Ziel mit einer Ty-pologie verfolgt wird. So zielt Meyer (1985) mit seiner Typologie beispielsweise auf die operativen Auswirkungen der einzelnen Typen für die Planung und den Vertrieb ab. Die daraus resultierende Typologie verfolgt demnach andere Ziele und Prämissen, als eine Typologie, welche sich auf die strategischen Auswirkun-gen des Angebots industrienaher Dienstleistungen fokussiert. Außerdem variiert das Angebot industrienaher Dienstleistungen mit der Komplexität und der Zielset-zung des Kerngeschäfts. Seegy (2009) ist diesbezüglich der Auffassung, dass die Form der angebotenen Dienstleistung von dem Geschäft und der Eigenschaften der Produkte des Herstellers abhängig ist. Morris und Davis (1992) schlagen daher vor, industrienahe Dienstleistungen, welche für mehrere Industrien relevant sind, aus der Literatur abzuleiten, während relevante industriespezifische Dienstleistun-gen empirisch hergeleitet werden müssen.

6 Fazit

Ziel dieser Arbeit war es, das heterogene Themengebiet industrienaher Dienstleis-tungen zu strukturieren und eine Übersicht über die Trends der bisherigen For-schung zu Definitionen und Typologien industrienaher Dienstleistungen zu ver-schaffen. So lässt sich abschließend sagen, dass das unterschiedliche Begriffsver-ständnis industrienaher Dienstleistungen vor allem in der unterschiedlichen Auf-fassung über die Merkmale begründet ist. Außerdem sind die unterschiedlichen Definitionsansätze häufig Resultat unterschiedlich breit gewählter Abgrenzungs-kategorien. Entsprechend der Mehrzahl der Definitionsansätze lässt sich für den vorliegenden Beitrag folgende Definition für industrienahe Dienstleistungen auf-stellen:

Industrienahe Dienstleistungen werden von Unternehmen des produzieren-den Gewerbes neben ihrem Kerngeschäft als Zusatz- oder eigenständig marktfähige Leistungen für produzierende Unternehmen angeboten. Wird die Dienstleistung im Bezug zu einer Kernleistung angeboten, ist es uner-heblich, ob der Kunde die Dienstleistung von einem produzierenden Unter-nehmen zur Unterstützung eines Fremdproduktes bezieht oder diese in Verbindung mit dem Eigenprodukt des dienstleistenden Unternehmens in Anspruch nimmt.

Auch das Spektrum industrienaher Dienstleistungen lässt sich nur schwer erfas-sen und die unterschiedlichen Ausprägungsformen können aufgrund der fehlenden Exklusivität der Typologien häufig mehreren Typen zugeordnet werden. Meistens gehen die resultierenden Typen mit einer unterschiedlichen Relevanz für ver-schiedene Branchen oder Unternehmen einher. Generell kommt es immer darauf an, welches Ziel eine Typologie verfolgen soll. Viele Ansätze zielen auf die Aus-wirkungen der einzelnen Typen in Bezug auf die Planung, das Marketing und den Vertrieb, die strategische Ausrichtung, sowie die benötigten Kompetenzen und Ressourcen oder die Auswirkungen auf den Gewinn ab. Dadurch wird deutlich,

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188 Erdem Galipoglu und Melinda Wolter

welche Schwierigkeiten und Anforderungen für die Erstellung einer Typologie ei-nes derart heterogenen Themengebiets bestehen und, dass es unmöglich ist alle Zielsetzungen in nur einer Typologie zu konsolidieren. Außerdem variiert das An-gebot industrienaher Dienstleistungen mit der Komplexität und der Zielsetzung des Kerngeschäfts. Während Komponentenhersteller aufgrund der einfach struktu-rierten Produkte weniger Dienstleistungen in ihrem Portfolio anbieten, können Anbieter von komplexen und erklärungsbedürftigen Produkten ein weitaus breite-res Dienstleistungsportfolio besitzen (Seegy 2009). Eine gute Typologie muss demnach so allgemein gestaltet sein, dass sich auch industriespezifische Dienst-leistungen gut einteilen lassen.

In Zukunft wird die voranschreitende Technologie mit dem Verzicht von Per-sonal einhergehen. Bereits heute ersetzen industrienahe Dienstleistungen, wie Fernwartungssysteme oder das Online-Condition-Monitoring, Personal vor Ort und führen somit nicht nur zu zusätzlichen Umsätzen, sondern gleichzeitig zu Kosteneinsparungen. Außerdem könnten Kunden durch neue Technologien in der Lage sein, technische Dienstleistungen in Zukunft eigenständig durchzuführen (Bienzeisler 2013). Dies könnte dazu führen, dass Industriegüterherstellern wich-tige Einnahmequellen und Differenzierungsmöglichkeiten gegenüber Wettbewer-bern verloren gehen. Typologien industrienaher Dienstleistungen könnten dazu dienen wichtige Leistungslücken und Nischen zu entdecken, um somit einen Wettbewerbsvorteil auszubauen. Eine wichtige Grundlage bilden an dieser Stelle hybride Leistungsbündel, die aus integrativen Dienstleistungs- und Sachleistungs-anteilen bestehen, welche bereits während der Produktion aufeinander abgestimmt und kombiniert werden. Bezüglich einer Typologie, welche dazu dient Einzigar-tigkeiten neu entwickelter industrienaher Dienstleistungen bzw. Leistungskombi-nationen zu identifizieren und Möglichkeiten für neue Dienstleistungen im Unter-nehmen ausfindig zu machen, besteht demnach noch Forschungsbedarf.

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Vom Techniker zum Modellierer – Konzeption und Entwicklung eines Smart Glasses Systems zur Laufzeitmodellierung von Dienstleistungs-prozessen

Dirk Metzger, Christina Niemöller, Lisa Berkemeier, Lukas Brenning und Oliver Thomas

Technische Dienstleistungen als essentieller Bestandteil innovativer Geschäftsmo-delle werden immer komplexer, sodass deren Erbringung ohne adäquate IT-Unterstützung kaum möglich ist. Zur Befüllung von prozessorientierten, mobilen Assistenzsystemen müssen die Dienstleistungsprozesse erfasst werden. Neben der Immaterialität und Integrativität sind diese Dienstleistungen u. a. durch die Kom-plexität der dynamischen Bearbeitungsstrukturen und komplexer Fehlersuchbäu-me schwierig von Modellierungsexperten ex post zu erfassen. In diesem Beitrag wird deshalb ein Konzept vorgestellt, mit dem der Prozess vor Ort vom Dienstleis-tungserbringer während der Ausführung seiner Tätigkeit dokumentiert wird. Der Prozessausführende wird durch sogenannte Smart Glasses unterstützt, sodass die Tätigkeit während des Prozesses nicht eingeschränkt wird. Bei dem gestaltungs-orientierten Ansatz werden aus verwandter Literatur und bekannten Workflow Pattern die einzelnen Prozessbausteine, die zur Laufzeitmodellierung notwendig sind, identifiziert, das Konzept vorgestellt und anhand eines Demonstrationsbei-spiels, basierend auf einem realen Kundendienstprozess, evaluiert. Der Ansatz gibt Implikationen für die Forschung der Wirtschaftsinformatik, wie neue Techno-logien die Modellierung vor Ort unterstützen können, welche Prozesskonstrukte notwendig sind und wie Domänenexperten in den Modellierungsprozess einge-bunden werden können. Für die Praxis ergeben sich neue Möglichkeiten der Pro-zessaufnahme. Für die Forschung bietet der Beitrag die Grundlage für weitere Forschung im Bereich Dienstleistungsmodellierung und Prozessaufnahme zur Be-füllung von Service Support Systemen.

1 Motivation

Dienstleistungen werden zunehmend zum Katalysator innovativer Geschäftsmo-delle; Dienstleistungsmodelle werden zum Dreh- und Angelpunkt informations-technischer Unterstützung (Thomas und Nüttgens 2012). Gerade technische

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_9

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194 Dirk Metzger et al.

Dienstleistungen wie Instandhaltung werden zunehmend komplexer, sodass deren Erbringung ohne adäquate IT-Unterstützung kaum möglich ist (Becker und Neumann 2006; Matijacic et al. 2013). Diese Unterstützung sollte prozessbasiert und mobil erfolgen und die Informationsbedarfe des Dienstleistungserbringers de-cken (Däuble et al. 2015; Matijacic et al. 2013). Zur Befüllung dieser prozessge-steuerten Assistenzsysteme ist es erforderlich, die Dienstleistungsprozesse zu mo-dellieren. Die Charakteristika von Dienstleistungen, wie die Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension (Scheer et al. 2006), sowie der industrielle Charakter von technischen Dienstleistungen (Becker und Neumann 2006) bergen dabei spezielle Anforderungen an die Modellierung. Neben der Immaterialität und Integrativität sind diese Dienstleistungen u. a. durch die Komplexität der dynamischen Bearbei-tungsstrukturen und komplexer Fehlersuchbäume schwierig von Modellierungs-experten ex post zu erfassen. Domänenexperten besitzen das Wissen über die fachliche Ausführung des Prozesses, während die Modellierungsexperten das Wissen über die methodische Aufzeichnung des Prozesses innehaben (Pendergast et al. 1999). Dadurch ergeben sich ein hoher Ressourcenaufwand und ebenso Probleme bei der Zusammenführung des unterschiedlichen Wissens (Riemer et al. 2011). Zur Begegnung der Komplexität werden verschiedene Ansätze zur Verein-fachung des Modellierungsprozesses, wie bspw. der werkzeuggestützten, kollabo-rativen Modellierung, zur Einbindung verschiedener Stakeholder (Riemer et al. 2011) oder der Vereinfachung von Modellierungssprachen für Novizen (Becker et al. 2007; Recker et al. 2010; Wilmont et al. 2010) diskutiert. Diese begegnen da-bei jedoch noch nicht dem Problem, dass der Prozessablauf an sich kompliziert zu erfassen und wiederzugeben ist und, dass häufig Änderungen an Prozessen auftre-ten. Deshalb wurden bereits Überlegungen zur Modellierung von Flexibilität (Buildtime vs. Runtime) getroffen (Weber et al. 2008).

Der folgende Ansatz setzt auf dieser Idee der Modellierung zur Runtime auf und begegnet zusätzlich dem Problem, dass (a) der Prozess nicht ex post wieder-gegeben und mit Modellierungsexperten diskutiert werden muss, sondern direkt vom Prozessausführenden vor Ort aufgezeichnet werden kann. (b) der Prozess mit der gleichen Technologie aufgezeichnet werden kann, mit der die Ausführung der Dienstleistung später informationstechnisch unterstützt wird. Dabei wird gestal-tungsorientiert nach Österle (2010) vorgegangen. Das Design eines Smart Glasses Systems zur Laufzeitmodellierung von Geschäftsprozessen wird vorgeschlagen und anhand eines Demonstrationsbeispiels evaluiert. Das methodische Vorgehen und der Aufbau des Beitrags werden in Kapitel 2 erläutert.

Mit dem Beitrag wird das bestehende Wissen erweitert, indem untersucht wird, welche Anforderungen an die Modellierung durch die Charakteristika von Dienst-leistungen entstehen, welche Prozessbausteine bei der Laufzeitmodellierung be-rücksichtigt werden müssen und wie ein mobiles IT-System aufgebaut sein muss, damit die Dokumentation und Modellierung durch den Prozessausführenden wäh-rend der Tätigkeit möglich ist. Für die Praxis ergeben sich durch den Ansatz neue Möglichkeiten der Prozessaufnahme, die versucht, den kritisierten Punkten (res-

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Vom Techniker zum Modellierer 195

sourcenintensiv durch u. a. verschiedene Stakeholder, Kommunikationsaufwand, schwierige Beschreibbarkeit) zu begegnen.

2 Charakterisierung technischer Dienstleistungsprozesse und Implikationen für die Modellierung

2.1 Technische Dienstleistungen

Eine Dienstleistung kann vereinfacht als eine Aktivität beschrieben werden, die aufgrund ihrer Immaterialität nicht im Voraus produziert und gelagert werden kann und durch eine intensive Interaktion zwischen dem Dienstleistungserbringer und -empfänger gekennzeichnet ist (Leimeister 2012; Meffert und Bruhn 2012; Thomas 2006). Zur Charakterisierung von Dienstleistungen haben sich vier Defi-nitionsansätze etabliert: enumerative, negative, institutionelle und konstitutive Ab-grenzung (Meffert und Bruhn 2009; Scheer et al. 2006). Sowohl die enumerative, die negative als auch institutionelle Abgrenzung genügen den wissenschaftlichen Ansprüchen nicht, u. a. aufgrund fehlender Kriterien oder nicht Beachtung von Mischformen (Burr und Stephan 2006; Leimeister 2012; Scheer et al. 2006).

Bezugnehmend auf die konstitutiven Definitionen von Dienstleistungen werden vier Eigenschaften einer Dienstleistung, häufig als IHIP bezeichnet, genannt: Im-materialität (Intangibility), Heterogenität (Heterogeneity), Untrennbarkeit von Er-stellung und Konsum (Inseperability of Production and Consumption) sowie Nichtlagerfähigkeit (Perishability) der Dienstleistung (Zeithaml et al. 1985). Die beschriebenen IHIP-Eigenschaften lassen sich den zwei wesentlichen konstituti-ven Merkmalen Immaterialität sowie Integrativität unterordnen, da die weiteren Unterscheidungen sich gegenseitig bedingen. Obwohl die IHIP-Eigenschaften lange als Standard galten, wird in der Forschung diskutiert, ob die IHIP-Eigenschaften den Prozess und den interaktiven Charakter einer Dienstleistung entsprechend widerspiegeln und bspw. die Immaterialität als zentrales Merkmal für die Definition hinreichend ist (Leimeister 2012). Neben reinen Dienstleis-tungsprozessen spielen Leistungsbündel auch Sach- und Dienstleistung eine zu-nehmend wichtigere Rolle (Leimeister und Glauner 2008; Scheer et al. 2006; Thomas et al. 2010) sowie die Modularisierbarkeit (Leimeister 2012). Dies ist u. a. bei technischen Dienstleistungen der Fall, wodurch sich eine zunehmende Kom-plexität ergibt, die Anforderungen an die Modellierung technischer Dienstleistun-gen impliziert.

Technische Dienstleistungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie primär an technischen Objekten des Kunden wie z. B. Maschinen und Anlagen – verrichtet werden (Becker und Neumann 2006). Beispiele für technische Dienstleistungen sind die Instandhaltung, Ersatzteilbeschaffung sowie Umrüstung, Optimierung und Stilllegung bzw. Demontage von Anlagen (Becker und Neumann 2006; Thomas et al. 2014; Walter 2010). Technische Dienstleistungen wie die des Tech-

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196 Dirk Metzger et al.

nischen Kundendienstes werden vor Ort an der Maschine, häufig in einem kurzen Zeitfenster erbracht (Matijacic et al. 2013). Am Beispiel von technischen Ser-viceprozessen und ihrer inhaltlichen Klassifikation können die Komplexität und der damit verbundene Einfluss auf die Modelle und Modellierung dargestellt wer-den. In der DIN 31051 werden Technische Serviceprozesse unterteilt in Inbetrieb-nahme, Instandhaltung und Entsorgung (vgl. Abb. 1). Die Instandhaltung wird wiederum differenziert in Wartung, Inspektion, Verbesserung und Instandsetzung (DIN 2003; Schlicker et al. 2010).

Abb. 1. Inhaltliche Differenzierung von Technischen Serviceprozessen (DIN 2003; Schlicker et al. 2010)

Aus der inhaltlichen Differenzierung ergeben sich unterschiedliche Repräsenta-tionsformen (vgl. Abb. 2).

Abb. 2. Repräsentationsformen technischer Serviceprozesse (in Anlehnung an Schlicker et al. 2010, 155)

Grundsätzlich können die Serviceprozesse nach einer linearen Bearbeitungsab-folge, mit antizipierbarem Verlauf und einer nicht-linearen Bearbeitungsstruktur, deren Ablauf kaum vorhergesehen werden kann, gegliedert werden (Schlicker et al. 2010). Inbetriebnahme- und Entsorgungsprozesse folgen meist einer linearen

Inspektion Wartung Instandsetzung

Instandhaltung

Vorgehen zur Überführung in

erstmaligen funktionsfähigen

Zustand des Serviceobjekts Erfassung des IST-

Zustandes

Durchführung von Maßnahmen zur

Erhaltung des Serviceobjekts

Diagnose und Reparatur zur

Rückführung in funktionsfähigen

Zustand

EntsorgungInbetriebnahme

Technische Serviceprozesse

Verbesserung

Technische und administrative

Maßnahmen zur Steigerung der

Funktionssicherheit

Vorgehen zum Abbau des

Serviceobjekts

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Vom Techniker zum Modellierer 197

Bearbeitung, die schon während der Konstruktions- und Entwicklungsphase des Produkts identifiziert, in einer sinnvollen Reihenfolge geordnet und als explizites Wissen dokumentiert werden können. Gleiches gilt für Inspektions-, Verbesse-rungs- und Wartungsprozesse, welche häufig checklistenbasiert erfolgen. Dahin-gegen beinhalten Instandsetzungsprozesse – also Diagnose- und Reparaturprozes-se – komplexe Abläufe, in denen sich Arbeitsschritte zur Fehlerdiagnose mit den Arbeitsschritten einer Reparatur abwechseln. Somit wird einer nicht-linearen, dy-namischen und verzweigten Bearbeitungsstruktur gefolgt, abhängig vom Kontext der Störung. Da aber die Bauteile in Wirkungsbeziehungen zueinander stehen, be-stimmt die Bewertung des zuletzt durchgeführten Arbeitsschrittes hierbei den nächsten Schritt. Somit ergibt sich der Prozessverlauf ad hoc zur Laufzeit (Schlicker et al. 2010).

2.2 Komplexität technischer Dienstleistungen

Basierend auf der inhaltlichen Differenzierung können technische Serviceprozesse bezüglich ihrer Komplexität eingeordnet werden. Dabei werden als Dimensionen zum einen die Dauer der Leistungserstellung und zum anderen die Anzahl der Teilleistungen und ihre Heterogenität angelegt (vgl. Abb. 3).

Abb. 3. Komplexitätsmatrix technischer Serviceprozesse (Meffert und Bruhn 2012; Schlicker et al. 2010)

Nicht nur die Heterogenität der Dienstleistungen selbst, sondern auch die Hete-rogenität der Objekte (Maschinen und Anlagen) an denen die Dienstleistung er-bracht werden soll, erschweren die Leistungserbringung. Die Maschinen werden durch hydraulischen und elektronischen Fortschritt immer komplexer. Dadurch werden auch die Fehlersuchbäume vielschichtiger, was die Modellierung er-schwert.

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198 Dirk Metzger et al.

Um dieser Komplexität zu begegnen muss der Dienstleistungserbringer mit In-formationen sowohl zur Dienstleistungsausführung als auch zum Objekt ausgestat-tet werden. Dies ist nur durch die Unterstützung durch IT möglich (Matijacic et al. 2013), da eine Fülle an Informationsbedarfen des Dienstleistungserbringers ad hoc am Point of Service erfüllt werden muss (Däuble et al. 2015). Dazu ist die Unter-stützung durch ein mobiles, prozessorientiertes Assistenzsystem erforderlich (Fellmann et al. 2011; Matijacic et al. 2013; Thomas et al. 2014).

Zur Befüllung der Assistenzsysteme, müssen die Prozesse dokumentiert wer-den. Basierend auf den Charakteristika dieser komplexen Dienstleistungsprozesse, sollen im Folgenden die Anforderungen identifiziert und darauf aufbauend eine IT-Unterstützung zur Laufzeit-Modellierung vorgestellt werden.

2.3 Anforderungen für die Modellierung technischer Dienstleistungsprozesse

Die Charakteristika von Dienstleistungen sowie der industrielle Charakter techni-scher Dienstleistungen haben spezifische Anforderungen an die Modellierung der Dienstleistungsprozesse zur Folge:

Immaterialität

Bezugnehmend auf den immateriellen Charakter von Dienstleistungen werden häufig die schlechtere Beschreib- oder Messbarkeit von Dienstleistungen proble-matisiert (Maleri 1997). Laut Becker und Neumann existieren für technische Dienstleistungen zwar verschiedene, gängige Systematisierungsansätze; dennoch treten Probleme bei der Standardisierung der Auftragsabwicklung und der Forma-lisierung adäquater Prozessbeschreibungen zur Leistungserbringung auf, die eben-falls die Abbildung in Informationssystemen erschweren (Becker und Neumann 2006). Diese schlechte Greif- und Beschreibbarkeit implizieren, dass der Prozess direkt bei der Erbringung vom Domänenexperten dokumentiert werden sollte. Da dieser häufig kein erfahrener Modellierer ist, muss eine einfache Möglichkeit, oh-ne Kenntnisse von Modellierungssprachen, erstellt werden bspw. Textbasiert mit einzelnen Bildern. Um den realen Prozessablauf am Point of Service zu erfassen, darf dieser nicht durch die Modellierungstätigkeit beeinflusst oder verfälscht wer-den. Somit sollten a) sowohl die Hände frei sein für die eigentliche Dienstleis-tungserbringung, b) kein zusätzliches IT-System notwendig sein und c) Die Unter-stützung mobil, ad hoc und einfach einsetzbar sein. Die Wiederverwendung des Assistenzsystems ist denkbar.

Integrativität

Die Heterogenität von Dienstleistungen wird bestimmt durch externe Faktoren wie bspw. die Tagesform des Kunden (Leimeister 2012). Somit bedeutet die Hete-rogenität der Dienstleistung eine erschwerte Standardisierbarkeit. Dies trifft vor

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Vom Techniker zum Modellierer 199

allem bei technischen Dienstleistungen zu die sowohl standardisierte Leistungen wie Wartungen mit Checklisten, aber auch spezialisierte Leistungen wie die Stö-rungsdiagnose beinhalten, welche ein hohes Maß an Wissen und Kreativität erfor-dern (Walter 2010). Die Untrennbarkeit von Erbringung und Konsum (uno-actu-Prinzip) hat Einfluss auf die Flexibilität des Dienstleistungsprozesses. Dadurch, dass der Erbringer und der Kunde gleichzeitig der Dienstleistung beiwohnen (Leimeister 2012), beinhalten die Geschäftsprozesse somit auch Leistungsanteile des Kunden (Integrativität) was laut Becker und Neumann dazu führt, dass sich erforderliche Arbeitsgänge eines Auftrags vielfach erst zur Laufzeit aus dem Kun-denverhalten oder aus dem Zustand der technischen Objekte ergeben. Planungs- und Dispositionsaktivitäten müssen ggf. mehrfach iteriert werden (Becker und Neumann 2006). Dies impliziert, dass bei der Modellierung mehrere Varianten aufgenommen werden müssen. Die dynamische Bearbeitungsstruktur und die sich zur Laufzeit erst ergebenen Prozesse (Schlicker et al. 2010) führen dazu, dass auch die Modellierung im Vorfeld zu komplex ist und ebenfalls während der Laufzeit erfolgen sollte.

Modularisierbarkeit

Leimeister ergänzt die konstitutiven Eigenschaften um die Eigenschaft der Modu-larisierbarkeit, bei der es sich um die Zerlegung der Prozesse in Teildienstleistun-gen handelt (Leimeister 2012). Dieser Vorgang wird Dekomposition genannt und hat Implikationen für die Architektur des Backend-Systems. Es bedarf an Schnitt-stellen, dass Elemente, die eine starke Abhängigkeit untereinander aufweisen, in einem Modul zusammengeführt werden können. Die einzelnen Module können wiederverwendet werden, was positiven Einfluss auf den wirtschaftlichen Nutzen hat (Böhmann und Krcmar 2006). Zur Administration der Service-Portfolios müs-sen u. a. Funktionen zum Entfernen überflüssiger Dienstleistungsprozesse geschaf-fen werden (Leimeister 2012).

Basierend auf den identifizierten Anforderungen soll ein mobiles System zur Modellierung der Prozesse zur Laufzeit entwickelt werden.

3 Methode

Methodisch orientiert sich der gestaltungsorientierte Beitrag an Österle (Österle et al. 2010) und deckt alle vier Schritte Analyse, Entwurf, Evaluation und Diffusion ab. In der Übersicht (vgl. Abb. 4) sind die Kapitel zu den jeweiligen Schritten zu-geordnet. Das vorgestellte Ergebnis des Beitrags ist ein Smart Glasses System zur Modellierung von Geschäftsprozessen während der Laufzeit, welches auf Basis der Google Glass prototypisch instanziiert wird. Der Bedarf für eine Modellierung während der Ausführung wurde in Kapitel 1 und 2 beschrieben und wird im Fol-genden in Kapitel 4 als Forschungslücke aufgezeigt. Darauf folgt die Konzeption des Systems in Kapitel 5. Zuletzt wird der Prototyp als Demonstrationsbeispiel

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200 Dirk Metzger et al.

gegen die gewählte Forschungslücke evaluiert wie von Riege, Saat & Bucher (Riege et al. 2009) vorgeschlagen. Die Diffusion der Forschungsergebnisse erfolgt durch den Beitrag selbst.

Abb. 4. Methodik des Beitrags

Der Beitrag wird dabei geleitet durch die folgenden Forschungsfragen:

FF1: Welche Implikationen haben die Charakteristika technischer Dienstleistung-en auf die Modellierung von Dienstleistungsprozessen? FF2: Welche Prozessbausteine sollten bei einer Laufzeitmodellierung berück-sichtigt werden? FF3: Wie kann ein System zur Laufzeitmodellierung mit Smart Glasses konstru-iert sein?

4 Related Work

Neue Technologien zur Modellierung

Neue Technologien haben nicht nur Einfluss auf den Arbeitsalltag, sondern ändern auch die Möglichkeiten der Modellierung von Geschäftsprozessen. Verschiedene Autoren beschäftigen sich mit der Idee, Prozesse mit neuen Technologien einfa-cher modellieren zu können. So haben bspw. Kolb et. al die Nutzerfreundlichkeit von Multi-Touch Endgeräten zur Aufnahme und Änderung von Prozessen durch die Einführung standardisierter Gesten untersucht. Als Basis dienen Konzepte der Interaktion mit Multi-Touch-Endgeräten, Anforderungen an entsprechende Appli-kationen und formale Modellierungsfunktionen. Ziel ist die Entwicklung von intu-itiven Gesten. Diese werden anhand einer Untersuchung, mit Studenten ohne Er-fahrungen im Bereich Prozessmodellierung, abgeleitet. Die intuitive Anwendung von Gesten eröffnet neue Möglichkeiten zur Prozessmodellierung und ist flexibel auf verschiedenen Endgeräten einsetzbar (Kolb et al. 2012). Die verbesserte Nutz-barkeit durch eine intuitive Steuerung erleichtert vor allem die Bedienung durch unerfahrene Nutzer, jedoch sind weiterhin Grundkenntnisse formaler Modellie-rung erforderlich, um einen Prozess konsistent abzubilden.

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Vom Techniker zum Modellierer 201

Flexibilisierung der Modelle

Prozessmodelle können in Bezug auf das Merkmal der Ablauffähigkeit in Buildti-me- und Runtime-Modelle, auch Konstruktionszeit und Laufzeit genannt, unter-schieden werden (Thomas 2009). Die aus dem Software-Engineering stammenden Bezeichnungen Buildtime und Runtime wurden aufgrund der zunehmenden Be-deutung modellbasierter Softwareentwicklungen Mitte der 1990er-Jahre auf die Prozessmodellierung übertragen (Remme und Scheer 1996; Remme 1997). Die Unterscheidung betrifft weniger die Zeit, sondern die intendierte Verwendung des Modells (Ausführung vs. Wiederverwendung) (vom Brocke 2002). Während Mo-delle auf Buildtime-Ebene nicht ablauffähig sein müssen, enthalten Modelle auf Runtime-Ebene nur ablauffähige Konstrukte (Schütte 1998). Klassischerweise wird aus einem Buildtime-Modell ein Runtime-Modell, in dem das Modell auf ei-ne ablauffähige Variante reduziert wird (vom Brocke 2002). Im vorliegenden Konzept wird allerdings reverse vorgegangen, d. h. die Modelle werden direkt zur Runtime aufgenommen und könnten, falls gewünscht, in ein Buildtime-Modell zur Wiederverwendung überführt werden.

Die Flexibilisierung von Modellen ist ein weiterer Aspekt, der in der Literatur untersucht wird. So definieren Weber et. al Veränderungsmuster für Informations-systeme mit Prozessbewusstsein, um Prozessflexibilität zu gewährleisten und da-mit Prozessänderungen beherrschbar zu machen. Die identifizierten Änderungs-muster werden in der Praxis überprüft und dort eingesetzte Systeme hinsichtlich ihrer Flexibilität untersucht. Die vorhandenen Systeme konnten dabei nicht dem Anspruch an Veränderbarkeit gerecht werden (Weber et al. 2008). Der Ansatz Runtime-Modelle während des Prozessablaufs zu adaptieren, kann durch eine di-rekte Neuaufnahme der Prozesse während ihrer Durchführung weiterentwickelt werden. Auf diese Weise können Prozesse nicht nur direkt von einem Fachexper-ten angepasst, sondern auch schrittweise neu abgebildet werden, ohne zwangsläu-fig auf Buildtime Modelle zurück zu greifen.

Einbindung von Domänenexperten

Der konstruktive Mehrwert der Einbindung von Fachexperten in die Prozessmo-dellierung, wird unter anderem von Recker et. al sowie Wilmont et. al hervorge-hoben. Recker et. al untersuchen in einer Experimentalstudie das grundsätzliche Verständnis der Modellierung betrieblicher Prozesse durch Modellierer ohne for-male Vorkenntnisse. Dazu werden Prozesse mit Stift und Papier aufgenommen, die von den Probanden sowohl schriftlich, graphisch als auch hybrid dargestellt werden. Hervorgehoben wird eine gesteigerte Akzeptanz der Prozessmodelle, durch einen möglichst intuitiven Ansatz für Modellierer ohne formale Kenntnisse sowie die Unterstützung des Prozessdesigns durch Graphiken und Bilder (Recker et al. 2010). Dies impliziert für unseren vorgeschlagenen Ansatz, die Einbindung und Verbesserung der Visualisierung. Alternativ zu abstrakten Graphiken können Prozesse während der Modellierung mittels Smart Glasses durch Sprach- und

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202 Dirk Metzger et al.

Bildaufnahmen angereichert werden, z. B. durch die Aufnahmefunktionen von Smart Glasses. Die Vorteilhaftigkeit der Einbindung von Domänenexperten ge-genüber der Verwendung konventioneller Modellierungsmethoden in einer Kolla-boration mit unerfahrenen Anwendern, wird ebenfalls von Wilmont et. al themati-siert (Wilmont et al. 2010). Die Autoren entwickeln Modellierungsansätze, in de-nen die Sicht von Domänenexperten ohne Modellierungserfahrung aufgegriffen wird. Dazu werden das Modellierungsverhalten und die angewandten Konzepte von Modellierungsexperten und Domänenexperten verglichen. Die unterschiedli-chen Sichtweisen der beiden Gruppen auf die Realität führen zu anderen Abstrak-tionen von Prozessen. Modellierungsexperten fehlt die alltägliche Erfahrung mit der Domäne, um einen geeigneten Abstraktionsgrad festzulegen. Angesichts der Dynamik ihrer Tätigkeit, begegnen Domänenexperten dagegen der Schwierigkeit alle relevanten Aspekte ihrer Tätigkeit bis ins Detail zu kommunizieren. Im Fall einer eigenständigen Modellierung durch Fachexperten ist eine ausgeprägte Unter-stützung durch das Modellierungstool erforderlich (Wilmont et al. 2010). Smart Glasses bieten die Chance, Modellierungen durch Fachexperten interaktiv zu ge-stalten und zu unterstützen. Durch Adaptionsmöglichkeiten der Prozesse können Änderungen dynamisch und parallel zu der Durchführung der entsprechenden Tä-tigkeit erfasst werden. Dabei wird der Herausforderung den Prozess im Detail nachträglich wiedergeben zu müssen, begegnet.

In der Literatur wird das Thema der Laufzeitmodellierung unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Die Adaption von neuen Technologien, die Flexibili-sierung der Modelle zur Laufzeit und die Einbindung von Fachexperten in den Modellierungsprozess sind bereits untersuchte Themen. Da bisher keine Techno-logie zur Verfügung stand, mit der ohne Unterbrechung und Beeinflussung der Dienstleistungsausführung eine Modellierung möglich war, wurde die Nutzung einer solchen Technologie zur Modellierung durch Domänenexperten während der Laufzeit bisher nicht betrachtet. Hier setzt der vorliegende Beitrag an, indem die Gestaltung eines Smart Glasses Systems zur Laufzeitmodellierung während der Dienstleistungsausführung durch den Domänenexperten vorgestellt wird.

5 Laufzeitmodellierung mit Smart Glasses

5.1 Pattern

Im nachfolgenden werden die Workflow Pattern von van der Aalst (van der Aalst et al. 2003) aufgegriffen. Diese wurden ausgewählt, da die Laufzeitmodellierung mit dem Ziel der Prozessaufnahme für ein späteres Service Support System konzi-piert wird, welches die Ausführung des Dienstleistungsprozesses unterstützen soll.

Die Pattern wurden jeweils bezüglich deren Erforderlichkeit in der Laufzeitmo-dellierung bewertet. Dabei wurde insbesondere berücksichtigt, dass die Laufzeit-modellierung mittels eines einzigen Gerätes durchgeführt wird. Die gleichzeitige, kollaborative Modellierung und Bearbeitung von Aufgaben wird in diesem Ansatz

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Vom Techniker zum Modellierer 203

(vorerst) nicht unterstützt und ist Bestandteil weiterer Forschungsarbeiten. Eine Beschränkung auf zunächst ein Gerät begründet sich darin, dass der Dienstleis-tungsausführende später ebenfalls mit einem Gerät des Service Support Systems unterstützt wird. Der Dienstleistungsausführende kann Tätigkeiten zur Laufzeit nur sequentiell ausführen; eine parallele Ausführung ist nicht möglich. Somit wer-den alle Pattern zu parallelen Abläufen ebenfalls in der Laufzeitmodellierung als nicht nutzbar eingestuft. Eine Übersicht der nutzbaren und nicht nutzbaren Pattern ist in Tabelle 1 gegeben.

Tabelle 1. Workflow Pattern und deren Nutzbarkeit in der Laufzeitmodellierung

Pattern Erforderlich in Laufzeitmodellierung

1) Sequence Ja, da es sich um das grundlegende Muster handelt. Sequentielle Abläufe werden berücksichtigt.

2) Parallel split Nein, da in der Prozessausführung keine parallelen Tätigkeiten möglich sind bzw. unterstützt werden.

3) Synchronization Nein, da kein paralleler Split möglich ist und daher auch kein Join mit Synchronisation nötig ist.

4) Exclusive choice Ja, da es verschiedene Prozesszweige geben kann. Die Prozess-zweige werden jeweils einzeln bei einem Durchlauf des jeweili-gen Zweiges zur Laufzeit aufgezeichnet.

5) Simple merge Ja, analog zu den Splits bzw. Exclusive choices werden auch Zu-sammenführungen wieder berücksichtigt.

6) Multi-choice Nein, die Nutzung von teilweise parallelen Tätigkeiten ist ebenso nicht möglich in der Prozessausführung. Daher werden Oder-Entscheidungen nicht berücksichtigt.

7) Synchronizing merge

Nein, als Pendant zum Multi-choice wird dieses aus gleichen Gründen nicht berücksichtigt.

8) Multi merge Ja, da es die Erweiterung zum Simple-merge darstellt und daher ebenso berücksichtigt wird.

9) Discriminator Nein, da in der Prozessführung keine parallelen Pfade berück-sichtigt werden und die Nutzung dieses Patterns obsolet wird.

10) Arbitrary cycles Ja, da einfache Wiederholungen von Tätigkeiten innerhalb der Prozessführung sinnvoll berücksichtigt werden können.

11) Implicit termination

Nein, ein implizites Ende ist nur für multiple instances (vgl. Pattern 12–15) relevant.

12 – 15) Multiple instances

Nein, da die Detaillierung über multiple Instanzen in einem Ser-vice Support System nicht sinnvoll angezeigt werden kann.

16) Deferred choice Ja, da verzögerte Entscheidungen durch eintreffende Ereignisse über das Nachrichtensystem einer Prozessführung abgebildet werden könnten.

17) Interleaved pa-rallel routing

Nein, da die Reihenfolge der Aktivitäten ohne vorgegebene Ord-nung zur Laufzeit entschieden wird und hier zur Laufzeit model-liert wird. Dadurch kann direkt die Ordnung per Sequenz einge-baut werden.

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204 Dirk Metzger et al.

Pattern Erforderlich in Laufzeitmodellierung

18) Milestone Nein, da in der einfachen Prozessführung die Nutzung von Mei-lensteinen nicht notwendig ist.

19) Cancel activity Nein, da die Entscheidung darüber ob eine Tätigkeit ausgeführt oder zurückgezogen wird, nicht beim Ausführenden liegt. Damit muss diese während der Laufzeit nicht modelliert werden.

20) Cancel case Nein, da diese Entscheidung ebenso nicht beim Aus-führenden liegt und daher nicht mit modelliert wird.

Insgesamt sind für den weiteren Verlauf 6 der 20 Pattern relevant und werden in der vorgeschlagenen Umsetzung berücksichtigt. Damit wird die oben genannte Forschungsfrage FF2 nach den Prozessbausteinen, die für die Laufzeitmodellie-rung relevant sind, beantwortet.

5.2 Umsetzung

Im Folgenden soll dargestellt werden, wie die in Kapitel 4.2 als nützlich identifi-zierten Pattern bei der Laufzeitmodellierung mit Smart Glasses umgesetzt werden. Hierfür werden, wie in Abb. 5 dargestellt, fünf Funktionen zur Verfügung gestellt: Change, New Activity, New Split, Delete und New Merge. Die durch die Aus-führung dieser Funktionen hinzukommenden Konstrukte sind in blau dargestellt.

Abb. 5. Funktionsübersicht des Smart Glasses Systems

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Vom Techniker zum Modellierer 205

Sequence

Zum Abbilden einer Abfolge von Aktivitäten wird die Funktion New Activity zur Verfügung gestellt. Die Funktion ermöglicht durch Aufnahme eines Fotos und ei-ner Prozessbeschreibung (per Stimmerkennung), eine neue Aktivität an eine be-stehende Aktivität anzuhängen (vgl. Abb. 6). Wenn auf die bestehende Aktivität bereits eine andere Aktivität folgt, wird die neue Aktivität zwischen beiden ange-ordnet. Am Anfang des Modellerstellungsprozesses umfasst das Modell noch kei-ne Aktivität, an die eine neue Aktivität angehängt werden kann. In diesem Fall wird die neue Aktivität automatisch zur Startaktivität.

Abb. 6. Erstellen einer neuen Aktivität

Exclusive choice / Deferred choice

Bei diesen beiden Pattern handelt es sich um Entscheidungen, die während der Laufzeit des Prozesses getroffen werden müssen. Zur Realisierung von Entschei-dungen muss in der Prozessmodellierung ein XOR-Gateway zur Verfügung ge-stellt werden. Abb. 7 stellt die Umsetzung der Funktion New Split dar, die dem be-stehenden Prozess vor der aktuellen Aktivität ein XOR-Gateway mit den notwen-digen Fällen anfügt. Dazu wird zunächst abgefragt, welche Bedingung für die Aufteilung des Prozesspfades vorliegt und welche Alternativen im aktuellen und im ursprünglichen Pfad betrachtet werden. Bei der Erstellung muss darauf geach-tet werden, wie die Entscheidung gefällt wird, um die exclusive choice von der de-ferred choice zu unterscheiden.

Abb. 7. Aufteilen von Prozesspfaden

Simple merge / Multi-merge / Arbitrary-circles

Neben den Entscheidungen, die einen Prozess in mehrere Pfade aufteilen, müssen verschiedene Pfade wieder zusammengefügt werden können. Dafür wird die Funktion New Merge bereitgestellt. Diese Funktion wird nach einem Split angebo-

„New Activity“ „Ok Glass -> Take a Picture“„Ok Glass -> Record Audio ->

Open the device“

„New Split“ „Check registration number“ „372894“ „491672“

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206 Dirk Metzger et al.

ten, damit wieder an bereits bestehende Fälle angeschlossen werden kann. In Abb. 8 ist die Funktion, wie ein Pfad mit einem bestehenden zusammengefügt wird, dargestellt. Der Nutzer kann nach Auswahl der Funktion New Merge entscheiden, an welcher Stelle er die Pfade wieder zusammenführen möchte. Durch diese Opti-on wird dem Nutzer auch die Möglichkeit gegeben einen Arbitrary-circle zu er-stellen, indem er den Pfad vor dem öffnenden Gateway wieder zusammenführt.

Abb. 8. Zusammenführen von zwei Prozesspfaden

Neben der Umsetzung der Pattern kann mit der Funktion Change eine beste-hende Aktivität geändert werden (vgl. Abb. 5). Dadurch können Fehler oder miss-verständliche Bezeichnungen mit der Smart Glasses direkt geändert werden. Um eine Aktivität, die eventuell nicht mehr gebraucht oder die versehentlich erstellt wurde, löschen zu können, wird die Funktion Delete zur Verfügung gestellt (vgl. Abb. 5). Die entsprechende Aktivität wird dabei gelöscht und die vorhergehende Aktivität mit der nachfolgenden verbunden, sofern diese existiert.

5.3 Architektur

Die in Abb. 9 beschriebene Architektur stellt dar, wie die Kommunikation der ver-schiedenen Komponenten des Systems abläuft.

Abb. 9. Architektur des Smart Glasses Systems

Die beteiligten Komponenten sind der Techniker, der die Prozessaufnahme durchführt, der Server, der die Daten des Technikers empfängt und der Modellie-

„New Merge“ „Ok Glass“ „1“

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Vom Techniker zum Modellierer 207

rer im Backoffice, der die Prozessaufnahme des Technikers überprüft und gegebe-nenfalls anpasst.

Zunächst nimmt der Techniker mit Hilfe von Smart Glasses den Prozess auf bzw. ändert einen bestehenden Prozess nach seinen Bedürfnissen ab (1). Die Pro-zessänderungsvorschläge werden vom Modellierer abgerufen (2). Dieser überprüft die neuesten Änderungen im Prozess und kann gegebenenfalls Änderungen durch-führen, um die Qualität des Prozesses gewährleisten zu können. Dabei kann der Mitarbeiter im Backoffice auf mehr Funktionen zurückgreifen als der Techniker. So kann er zum Beispiel Splits und Merges löschen oder auf einsatzbezogene Me-tadaten zurückgreifen. Die Metadaten können unter anderem den Auftragnehmer oder spezifische Informationen zum Wartungsobjekt umfassen. Diese Informatio-nen helfen dabei, die durchgeführten Änderungen des Technikers nachzuvollzie-hen.

Danach wird der Prozess durch den Mitarbeiter im Backoffice freigegeben (3+) oder der Prozessänderungsvorschlag zurückgewiesen (3-). Die neuen Änderungen werden in der Datenbank persistiert (4), sodass sie dann von allen Technikern, die mit Smart Glasses ausgerüstet sind, abgerufen werden können (5 und 6). Auch be-reits vor der Einführung des Smart Glasses System bestehende Prozesse können im Backoffice auf den Server geladen werden (I) und sind damit für die Techniker abrufbar. So wird sichergestellt, dass bereits eine Basis von Prozessen zur Verfü-gung gestellt wird. Als zusätzliche Funktionen im Backoffice besteht die Mög-lichkeit auch parallele Prozessabläufe einzubauen (II). Dazu ist jedoch ein größe-rer Überblick über die verschiedenen Prozesse erforderlich.

Nicht zuletzt besteht die Möglichkeit über eine Schnittstelle den Server an wei-tere Systeme, wie beispielsweise ERP, CRM oder weitere Verwaltungssysteme anzubinden (III). Die dort vorhandenen Daten können dann in Echtzeit dem Nut-zer der Smart Glasses zur richtigen Zeit angezeigt werden (IV), sodass dieser op-timal informiert ist.

Die vorgestellte Architektur ist als Referenz für die Erstellung analoger Syste-me zu verstehen und kann dazu adaptiert werden. Sie dient gleichermaßen für den Prototyp auf Basis der Google Glass. Sowohl die vorgestellte Umsetzung als auch die Architektur dienen damit als Konstruktionsreferenz und beantworten die oben genannte Forschungsfrage FF3 nach der Konstruktion eines Systems zur Lauf-zeitmodellierung mit Smart Glasses.

6 Demonstrationsbeispiel

Das in Kapitel 5 dargestellte System soll im Folgenden anhand eines Demonstra-tionsbeispiels veranschaulicht werden (Riege et al. 2009). Dabei sollen die erar-beiteten Konstrukte am Beispiel eines realen Prozesses aus dem Klima- und Hei-zungsbau aufgezeigt werden. Der Prozess wurde in Rahmen des Forschungspro-jektes Glassroom erhoben und beschreibt den Wechsel eines Tanks. Bei dem Dienstleister handelt es sich um einen mittelständischen B2B-Serviceerbringer mit

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208 Dirk Metzger et al.

ca. 140 Mitarbeitern, der technische Dienstleistungen für Produzenten von Klima- und Heizungstechnik anbietet. Die Service-Erbringung beinhaltet vorwiegend In-standhaltungsprozesse und ist zusätzlich durch eine hohe Heterogenität der Ser-vice-Objekte charakterisiert. Dies ist bedingt dadurch, dass nicht selbst gefertigt wird, sondern die die Instandhaltung unterschiedlicher Hersteller und deren jewei-ligen Anlagen mit wiederum zahlreichen Varianten erfolgt.

In Abb. 10 ist ein mit BPMN modellierter Prozess eines Tankwechsels abgebil-det. Die einzelnen Prozessschritte werden vom Techniker mit Smart Glasses auf-gezeichnet, indem Fotos der einzelnen Schritte aufgenommen und durch Sprach-aufnahmen ergänzt werden. Unterschieden werden die Prozessneuaufnahme und -bearbeitung von drei Technikern, dargestellt in den Varianten 0, 1 und 2. Nach der Aufnahme oder Adaption des Prozesses erfolgt im Backoffice die Freigabe und ggf. Überarbeitung des Prozessmodells.

Die Variante 0 stellt die Neuaufnahme einer Sequence durch einen Techniker dar. Die einzelnen Schritte werden jeweils als New Activity während der Durch-führung eines Tankwechsels aufgezeichnet. Dieser Prozess steht anschließend al-len Technikern als Anleitung zur Verfügung. Ein weiterer Techniker stellt bei ei-nem Tankwechsel Abweichungen vom Prozess fest und adaptiert diesen unmittel-bar, dargestellt in Variante 1. Zunächst erweitert er den Prozess um den New Split „Check registration number“ um die Anbringung der Schrauben festzustellen. Ab-hängig von der Modellserie folgen auf den Exclusive choice die Pfade „Loosen right screws“ oder die ergänzte „Loosen left screws“. Mit einem New Merge kehrt er zum Prozess aus Alternative 0 zurück. Im darauffolgenden Schritt stellt der Servicemitarbeiter die ungenaue Beschreibung der Aktivität „Removing“ fest und detailliert diese mit einem Change als „Remove tank“. Im weiteren Verlauf spezi-fiziert der Techniker die Anbringung einer neuen Dichtung durch den New Split „Are there old seals inside the hose?“. Ist eine alte Dichtung im Schlauch verbaut, folgt die neue Alternative „Remove old seals“ und ein New Merge zurück zum ur-sprünglichen Prozess. Im weiteren Verlauf tritt eine Aktivität doppelt auf, der Techniker verkürzt den Prozess mit einem Delete. Abschließend fügt der Techni-ker am Prozessende die New Activity „Turn tank into right position“ ein. Die Än-derungen werden von einem Mitarbeiter im Backoffice evaluiert, anschließend wird der aktualisierte Prozess auf dem Server zur Verfügung gestellt.

Einem weiteren Techniker, ebenfalls mit Smart Glasses ausgestattet, liegt damit beim Wechsel eines Tanks der Prozess bestehend aus Alternative 0 und 1 vor. Seine Prozessadaption ist in Alternative 2 dargestellt. Im Schritt „Remove old se-als“ findet der Techniker nach Entfernung der alten Dichtung Rückstände im Schlauch der Anlage. Er erweitert den Prozess um den New Split „Are there remaining parts of old seals inside the hose?“, nimmt die Alternative „Remove remaining parts“ in den Prozess auf und schließt sich wieder der Prozessfolge aus Alternative 1 an. Anschließend steht den Technikern der Gesamtprozess mit den Bestandteilen der Alternativen 0, 1 und 2 zur Verfügung.

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Abb. 10. Beispiel eines Servicesprozesses aufgenommen in drei Iterationen

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210 Dirk Metzger et al.

7 Fazit und Ausblick

Die grundlegende Idee, während der Laufzeit Prozesse durch den Ausführenden aufnehmen zu lassen, war bisher nicht oder nur mit Einschränkungen möglich. Die Notwendigkeit die Tätigkeit zu unterbrechen, um das Endgerät hervorzuholen und den Prozess zu dokumentieren, sorgt für Ablenkung, sodass dies keine zufrieden-stellende Lösung bietet. Somit wurden Prozesse unabhängig von deren Ausfüh-rung dokumentiert bzw. modelliert. Die notwendige Zusammenarbeit der Prozess- und Modellierungsexperten wurde als zu kosten- und zeitintensiv wahrgenommen. Hinzu kam, dass technische Dienstleistungen aufgrund Ihrer Komplexität schwer zu erfassen und die sich erst zur Laufzeit ergebenen Instandsetzungsprozesse ex ante nicht vorhersehbar und ex post schwierig beschreibbar waren. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wurde eine intuitive und parallel ausführbare Mög-lichkeit zur Prozessmodellierung vor Ort geschaffen. Es wurde zunächst auf theo-retischer Basis erarbeitet, welche Anforderungen sich aus den Charakteristika technischer Dienstleistungen für die Modellierung ergeben (vgl. FF1), welche Konstrukte für die Laufzeitmodellierung in Frage kommen (vgl. FF2) und dann auf Basis von Smart Glasses, die hands-free und mittels Voice Recognition ge-steuert werden können, ein Prototyp entwickelt (vgl. FF3). Dieser lässt sich paral-lel zur Ausführung der Tätigkeit nutzen und ermöglicht so die Modellierung zur Laufzeit. Dabei können nicht nur komplett neue Modelle erstellt werden, sondern auch bestehende Modelle erweitert bzw. überarbeitet werden. Um die Qualität der Modellierung gewährleisten zu können, wurde im Backend ein Freigabemecha-nismus konzipiert, welcher von Prozess- und/oder Modellierungsexperten genutzt werden kann, um die vorgeschlagenen Prozesse und Änderungen freizugeben und wieder an die Ausführungsumgebungen der Mitarbeiter zurückzuspielen. Das da-mit vorgestellte Konzept kann als Vorlage für weitere Systeme dieser Art verwen-det werden.

Durch die bisher nicht verfügbare Hardware, war es nicht möglich zeitgleich den Prozess auszuführen und dabei zu modellieren. Dies ändert sich durch die Verfügbarkeit von Smart Glasses. In der Literatur konnten bisher keine theoreti-schen Beiträge über diese Art von Laufzeitmodellierung identifiziert werden. Die-ser Beitrag bildet einen Ausgangspunkt für weiteren Forschungsbedarf. Dabei können verschiedene Aspekte von Smart Glasses wie bspw. der Cognitive Load während der Nutzung relevant sein, womit bestimmt werden kann, ob das System aus Benutzersicht sinnvoll anwendbar ist. Darüber hinaus ist das System aktuell so limitiert, dass keine parallelen Tätigkeiten über mehrere ausführende Personen gleichzeitig möglich sind. Dies wäre als Erweiterung denkbar, wobei dabei Syn-chronisation und Kollaboration untersucht werden müssten.

Insgesamt bildet das vorgestellte Konzept eine Basis zur Laufzeitmodellierung, die sowohl für Theorie als auch Praxis der Herausforderung der Modellierung als zeit- und kostenintensiv zumindest teilweise begegnet. Die Verknüpfung von pro-zessorientierten Service Support Systemen zur Unterstützung der Ausführung von Geschäftsprozessen mit der gleichzeitigen Modellierung und Adaption selbiger

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Vom Techniker zum Modellierer 211

bietet das Potenzial den Aufwand zur Erstellung und Pflege dieser Service Sup-port Systeme zu minimieren.

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Mass Customization und Product-Service-Systems: Vergleich der Unternehmenstypen und der Entwicklungsumgebungen

Paul Christoph Gembarski und Roland Lachmayer

Trotz der zum Teil sehr ähnlichen Zielsetzungen finden sich in der Literatur bisher kaum Abgrenzungen oder Verbindungen zwischen den beiden Unternehmenstypen kundenindividueller Massenfertiger und Anbieter von Product-Service Systemen. Im folgenden Beitrag werden zunächst beide Unternehmenstypen miteinander verglichen und in einem geeigneten unternehmenstypologischen Rahmenwerk ab-gebildet. Weiterhin werden Prozesse und Werkzeuge zur PSS-Entwicklung vorge-stellt und mit jenen der kundenindividuellen Massenfertigung grundsätzlich ver-glichen. Besonderer Fokus wird hierbei auf Produktkonfigurationssysteme gesetzt.

1 Einleitung

Anbieter technischer Erzeugnisse sehen sich in den heutigen heterogenen und glo-balisierten Märkten einem erhöhten Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Als Reaktion darauf differenzieren sie ihr Angebot stetig entsprechend einer großen Bandbreite von Kundenbedürfnissen. Dabei wird die Bewältigung der Komplexität bei Auf-tragsakquise, Produktentwicklung sowie schließlich Fertigung und Distribution zu einem kritischen Erfolgsfaktor (Herlyn 2012).

Der wirtschaftliche Erfolg wird in diesem Zusammenhang auch durch die Me-thoden der variantengerechten Produktentwicklung bestimmt, wie Sie heutzutage z. B. mit der Plattformstrategie und modularen Konstruktionsbaukästen vor allem in der Automobilindustrie angewendet werden (Renner 2006).

Insbesondere bei der kundenindividuellen Massenfertigung (im Englischen Mass Customization; nachfolgend mit MC abgekürzt) wird der scheinbare Wider-spruch zwischen Vielfalt des Produktangebots auf der einen Seite und dem stabi-len und effizienten Produktionsprozess mit Massenfertigungsmitteln andererseits weitgehend aufgelöst. Die Unternehmen, die MC betreiben, haben sich dabei zum Ziel gesetzt, durch die Integration des Kunden in einen Co-Design-Prozess hoch-gradig spezialisierte, auf den Kunden maßgeschneiderte Lösungen zu erzeugen, um auf diese Weise eine nachhaltige und dauerhafte Kundenbindung zu erreichen (Reichwald und Piller 2009).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_10

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Ähnliche Ziele verfolgen die Anbieter von hybriden Leistungsbündeln (sog. Product-Service Systemen; nachfolgend als PSS bezeichnet), deren Charakteristi-kum die integrierte und gleichrangige Entwicklung von Produkt- und Dienstleis-tungskomponenten ist (Gräßle et al. 2010). Insbesondere wird bei einem solchen PSS das Ziel verfolgt, Kundenanforderungen nicht ausschließlich vor und wäh-rend der Produktentwicklung zu erfassen und in eine einzelne technische Lösung umzusetzen, sondern den Kunden über den gesamten Produktlebenszyklus zu be-gleiten und durch Austausch oder Rekonfiguration von Produkt- und Dienstleis-tungskomponenten auf neue oder veränderte Anforderungen zu reagieren (Müller 2013).

Trotz der sehr ähnlichen Zielsetzungen finden sich in der Literatur bisher kaum Abgrenzungen oder Verbindungen zwischen den beiden Unternehmenstypen. Vergleiche beschränken sich auf die Analyse der Wertsteigerungsfähigkeiten indi-viduell konfigurierter Produkte gegenüber Standarderzeugnissen und die Mög-lichkeit der Kundeneinbindung (Vogel-Heuser et al. 2014). Die Analyse des Pro-duktentwicklungsprozesses und der Entwicklungswerkzeuge für MC sowie deren Bewertung im Hinblick einer Übertragbarkeit für PSS ist bis heute nicht bekannt. Der vorliegende Beitrag schließt einen Teil dieser Lücke.

Ziel des Beitrags ist auf der einen Seite der unternehmenstypologische Ver-gleich und die Differenzierung von MC und PSS und auf der anderen Seite eine Betrachtung der Entwicklungsumgebungen für MC und PSS um darauf aufbauend weiteren Forschungsbedarf vor allem mit Fokus auf die Produktkonfiguration zu identifizieren.

2 Unternehmenstypologische Analyse

Der Begriff der kundenindividuellen Massenfertigung bzw. Mass Customization wurde Ende der 1980er Jahre von Davies in die wissenschaftliche Diskussion ein-gebracht (Davies 1987) und durch Boynton et al. weitergehend als die Fähigkeit charakterisiert, individualisierbare Produkte mit der Effizienz der Produktions-technologien für Massenfertigung anbieten zu können (Boynton et al. 1993).

Um ein grundsätzliches Verständnis für MC zu erreichen, wird im folgenden Abschnitt der damit verbundene Unternehmenstyp anhand der Produkt-Prozess-Wandelmatrix hergeleitet, hierauf aufbauend erfolgt die Beschreibung der Charak-teristika eines kundenindividuellen Massenfertigers. Im Anschluss werden PSS charakterisiert und in das unternehmenstypologische Rahmenwerk integriert. Der Begriff Unternehmenstypologie wird hier im Sinne von Miles und Snow verwen-det, welche Unternehmen basierend auf der Verbindung von Marktstrategie, Un-ternehmensstruktur, unternehmensinterner Prozesse und Managementtheorie klas-sifizieren (Miles und Snow 1986).

Eine Betrachtung der einzelnen Geschäftsmodelle, also des Modells der Zu-sammenhänge, wie ein bestimmter Nutzen für Kunden oder andere Akteure in der

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Wertschöpfungskette generiert und in Form von Umsätzen wieder in das Unter-nehmen zurückfließt (Schallmo 2013), geht über das Ziel dieses Artikels hinaus.

2.1 Produkt-Prozess-Wandelmatrix

Die von Boynton et al. vorgestellte Produkt-Prozess-Wandelmatrix ist eine theore-tisch-deduktive Unternehmenstypologie (vgl. Abb. 1), aus der vier grundsätzliche Wettbewerbsstrategien sowie deren Transformationsvorschriften abgeleitet wer-den. Grundlage ist ein Modell zum unternehmensinternen Wandel. In diesem Rahmenwerk wird auf der einen Achse Produktwandel als Einheit für neue Pro-dukte oder Produktvarianten aufgeführt, während Prozesswandel alle Prozess-schritte und Technologien umfasst, um diese neuen Produkte zu entwickeln, zu produzieren und zu vermarkten (Boynton et al. 1993).

Abb. 1. Produkt-Prozess-Wandelmatrix (Boynton et al. 1993)

Beide Formen des Wandels können stabil oder dynamisch auftreten. Ersteres bedeutet hier, dass ein Wandel langsam und absehbar eintritt, während ein dyna-mischer Wandel schnell, revolutionär und im Allgemeinen unvorhersehbar ist.

Erfindung (Invention; klassische Einzelfertigung) bezieht sich auf eine auf Dif-ferenzierung setzende Werkstattfertigung, bei der permanent neue Produkte ent-worfen und die jeweiligen Prozesse für deren Entwicklung und Fertigung neu ge-neriert werden. Produkte, die sich für eine breite Vermarktung eignen, werden im Folgenden zu Massenfertigungserzeugnissen weiterentwickelt. Hier sind die Ska-leneffekte durch die Produktionssteigerung weitest möglich auszuschöpfen, was im Gegenzug bedeutet, dass der Produktionsprozess stabil gehalten werden muss. Jede Störung (entweder durch Produktanpassung oder eine neue Fertigungsvarian-te) führt entweder zu steigenden Rüstaufwänden oder ungewollten Anlaufeffekten (Lernkurve, erhöhte Ausschussrate, etc.). Boynton et al. heben hervor, dass eine Synergie zwischen den beiden Typen Invention und Massenfertigung besteht, da

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letzteres nicht in der Lage ist, aus sich heraus völlig neue und innovative Produkte hervorzubringen, und somit aus ersterem bedient werden muss.

Als dritter Unternehmenstyp wird die sogenannte kontinuierliche Verbesserung eingeführt, der üblicherweise in entweder stark segmentierten oder Nischenmärk-ten agiert. Dieser Typ schließt sich somit an die Massenproduktion an und fokus-siert auf Rationalisierung, Prozessverbesserung und Qualitätssteigerung. Bekannte Ansätze hierfür sind TQM oder Kaizen (Reichwald und Piller 2009). Begleitet werden diese Maßnahmen durch eine stetige Ausweitung des Produktportfolios und das Besetzen von Marktnischen. MC bildet den vierten Unternehmenstyp und fokussiert auf die von Pine sogenannte dynamische Stabilität (Pine und Davies 1993). Darunter ist zu verstehen, dass Produkte (vor allem in Abgrenzung zu In-vention) durch die Verwendung von flexiblen aber gleichzeitig stabilen Prozessen in Produktentwicklung und Produktion kundenspezifisch maßgeschneidert werden können. Wichtige Prinzipien, um dieses zu erreichen und gleichzeitig die entste-hende Produktkomplexität zu beherrschen, sind z. B. Produktkonfiguration und modulare Konstruktionsbaukästen (Gembarski und Lachmayer 2015a).

2.2 Charakteristika von kundenindividuellen Massenfertigern

MC fokussiert als Wettbewerbsstrategie, wie bereits dargestellt, zum einen auf die Möglichkeit der Produktanpassung und Individualisierung durch den Kunden, auf der anderen Seite auf die Anwendung von flexiblen Produktionsprozessen mit Massenfertigungseffizienz.

Ersteres resultiert in einer konsequenten Fokussierung auf den Kunden, da nur er in der Lage ist, seine spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen an ein Pro-dukt zu formulieren. Piller sieht daher in MC einen auf den Kunden abgestimmten Co-Design-Prozess für sowohl Produkte als auch (begleitende) Dienstleistungen, um diese individuellen Bedürfnisse zu treffen (Piller 2004). Zum anderen wird durch die Betonung von „Masse“ und die damit verbundenen Produktentwick-lungsmethoden sowie Fertigungstechnologien die Unterscheidung zur traditionel-len Einzelfertigung angestrebt. Um den scheinbaren Widerspruch zwischen Indi-vidualprodukt und Massenfertigung aufzuheben ist es notwendig, den Co-Design-Prozess innerhalb eines definierten, stabilen Lösungsraums durchzuführen, der sowohl auf die sichere Spezifikation der Kundenbedürfnisse, als auch auf die reak-tionsschnelle Produktion und Distribution ausgelegt ist. Daraus ergeben sich ver-schiedene Individualisierungsstrategien (und daraus wiederum unterschiedliche Geschäftsmodelle), die sich am Grad der Kundenintegration und am daraus fol-genden Einfluss auf die Wertschöpfungskette unterscheiden (Gembarski und Lachmayer 2015b).

Als Beispiele seien set-up customization und aesthetic co-design angeführt. Un-ter ersterem verstehen die Autoren die Möglichkeiten der Produktanpassung und Beeinflussung vor allem bei mechatronischen Erzeugnissen durch ihre Software-komponente. Beispiele hierfür sind Verbrennungsmotoren, deren Beschleuni-gungs- und Verbrauchscharakteristik durch die entsprechenden Steuergeräte kon-

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trolliert werden können, oder die Vielfalt der mobilen Endgeräte, die sich, wenn-gleich größtenteils aus identischen physischen Komponenten aufgebaut, durch die aufgespielten Applikationen in ihrer Funktionalität unterschiedlich konfigurieren lassen. Der Kundeneinfluss auf die Entwicklung und Fertigung der Hardware-komponenten ist bei diesem Geschäftsmodell äußerst gering. Im Gegensatz dazu zielt aesthetic co-design auf ebendiese Miteinbeziehung des Kunden ab, indem ihm erlaubt wird, das äußere Erscheinungsbild des Produkts nach seinen Vorstel-lungen zu variieren. Dieses bezieht sich zum einen auf Farbe und Textur, aber ebenso auf z. B. Gehäuseformen, ohne dabei aber Einfluss auf die die funktionalen Bausteine des Produkts zu nehmen. Die Gestaltungsmöglichkeiten müssen hier durch den Anbieter im Vorfeld so definiert werden, dass zum einen keine Beein-trächtigung des Endprodukts eintritt (z. B. weil ein Gehäuse zu klein modelliert worden ist und mit anderen Bausteinen kollidiert oder weil eine konstruktive Schnittstelle zwischen Gehäuse und Modulträger verändert wurde und somit eine Montage nicht mehr möglich ist), auf der anderen Seite muss sichergestellt sein, dass die Kundenvarianten mit vorhandenen Fertigungseinrichtungen effizient her-gestellt werden können (Lachmayer et al. 2015).

Pine et al. stellen darüber hinaus fest, dass auch die unternehmenseigenen Pro-zesse, seien sie administrativ oder direkt auf die Leistungserbringung bezogen, als modulares Baukastensystem zu entwickeln sind, die je nach Bedarf für eine Kun-denlösung spezifisch konfiguriert werden. Im weitesten Sinne bezieht sich dieses auch auf die Zusammenstellung des Wertschöpfungsnetzwerks. Die Koordination ist häufig zentralisiert, während die einzelnen Module organisatorische und Er-gebnisverantwortung für ihre Prozesse besitzen (Pine et al. 1993).

Tabelle 1. Eigenschaften eines kundenindividuellen Massenfertigers (Boynton et al. 1993)

Change conditions Constant and unforecastable changes in market demand, periodic and forecastable change in process technology

Strategy Low-Cost process differentiation within new markets

Key organizational tool Loosely coupled networks of modular, flexible processing units

Workflows Customer / Product specific value chains

Employee roles Network coordinators and on-demand processors

Control system Hub and Web system; centralized network coordination, inde-pendent processing control

I/T alignment challenge Integration of constantly changing network information pro-cessing/communication requirements; interoperability, data com-munication and co-processing critical to network efficiency

Critical synergy Reliance on continuous improvement form for increasing process flexibility within processing units

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Die Eigenschaften des kundenindividuellen Massenfertigers sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Für weitere Merkmale und eine Diskussion der Erfolgsfaktoren für MC wird auf Fogliatto et al. verwiesen (Fogliatto et al. 2012). Dort findet sich ebenfalls ein Überblick über Studien von erfolgreichen MC-Implementierungen in der Investitionsgüterindustrie, der Mobilfunkbranche, bei Nahrungs- und Genuss-mitteln sowie bei Bekleidung und Schuhen. Weitere Beispiele von Versicherungen und Finanzinstituten werden in (Boynton et al. 1993) vorgestellt.

2.3 Charakterisierung von PSS

Müller definiert PSS als kunden-, lebenszyklus- und nachhaltigkeitsorientierte so-zio-technische Systeme, Lösungen oder Angebote, welche Produkte und Dienst-leistungen integrieren. Die sich daraus ergebenden Geschäftsbeziehungen integrie-ren Kunde und Anbieter und zielen auf die Bereitstellung von Funktionalität ab, um Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Als Erfolgsfaktoren für die PSS-Entwicklung und Implementierung stellt er u. a. die Fähigkeit heraus, sich schnell und effizient an sich ändernde Kundenanforderungen anpassen und diese Anforderungsände-rungen bereits in der frühen Phase der Produktentwicklung antizipieren zu kön-nen. Ebenso benennt er das effiziente Erfassen und Überwachen der Kundenan-forderungen (Müller 2013).

Meier fokussiert in seinen Arbeiten auf industrielle PSS. Hierbei charakterisiert er ebenfalls die gemeinsame Entwicklung von Produkt- und Dienstleistungsantei-len als zentrales Merkmal. Weiterhin benennt er die Anpassungsfähigkeit der Lö-sung an sich ändernde Anforderungen im Produktlebenszyklus sowie den mögli-chen Austausch und die Rekonfiguration von einzelnen Bestandteilen des PSS (Meier et al. 2010).

Auch Morelli sieht die Anwendung von PSS hauptsächlich zwischen Unter-nehmen und nicht im Angebot für den Konsumenten. Für ihn stellt das PSS das Ergebnis einer sog. value co-production dar, welche aus einem Wertschöpfungs-netzwerks auf Basis eines gemeinsamen Entwicklungsprozesses heraus betrieben wird (Morelli 2006).

Tukker baut ein Rahmenwerk zur Charakterisierung unterschiedlicher PSS auf, bei dem prinzipiell zwischen Produkt-orientierten, Nutzen-orientierten und Ergeb-nis-orientierten PSS und den sich hieraus ergebenden Geschäftsmodellen unter-schieden wird. Als Beispiel für Ergebnis-orientierte PSS werden u. a. Pay-per-Print-Modelle gesehen, bei denen der Kunde prinzipiell nicht in die Entwicklung der Drucksysteme eingebunden ist sondern das Druckergebnis und weitere Anfor-derungen spezifiziert. Weiterhin bewertet Tukker für acht formulierte PSS-Typen deren Einfluss auf den Marktwert der angebotenen Lösung für den Kunden, Kos-ten für den Anbieter, Kapitaleinsatz und Wandlungsfähigkeit (Tukker 2004).

Mont hebt in seiner Beschreibung des PSS-Konzeptes u. a. den Nutzen von PSS für produzierende Unternehmen hervor. So ergibt sich durch eine mögliche Auf-wertung und Modernisierung ein zusätzlicher Wert für den Kunden, weiterhin wird die Kundenbeziehung wird durch den Interaktionsprozess bei der Anforde-

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rungserhebung und -überwachung intensiviert. Darüber hinaus verlängert sich der Produktlebenszyklus, auf der anderen Seite soll durch eine geeignete Produkt-struktur die Demontage und Entsorgung bzw. Instandsetzung und Wiederinver-kehrbringen des Produkts oder seiner einzelnen Bestandteile ermöglicht werden (Mont 2002).

2.4 Einordnung von PSS in die Produkt-Prozess-Wandelmatrix

Bezogen auf die in Abschnitt 2.1 vorgestellte Produkt-Prozess-Wandelmatrix ist aus der vorhergehenden Charakterisierung die Einordnung in Bezug auf die beiden Wandelarten vorzunehmen.

Mit Blick auf das Produkt bzw. die angebotene Leistung implizieren PSS einen Wandel der Kundenbedürfnisse über die Zeit. Dieses ist bei der Entwicklung von PSS zu berücksichtigen, jedoch kann Art, Umfang und Zeitpunkt dieser Änderun-gen nicht im Vorfeld vorhergesehen werden. Im Modell der Produkt-Prozess-Wandelmatrix entspricht dieses einem dynamischen Produktwandel.

Bezogen auf die unternehmensinternen Prozesse zur Synthese, Produktion und Distribution der kundenindividuellen Lösung sind diese weitestgehend stabil zu gestalten. Dieses begründet sich zum einen in einer schnellen Reaktionsfähigkeit auf geänderte Kundenanforderungen, auf der anderen Seite fordert das Lebenszyk-lusmanagement bei PSS auch im Hinblick auf die spätere Entsorgung oder das von Mont angesprochene Wiederinverkehrbringen von PSS-Bestandteilen diese Stabi-lität.

Abb. 2. Produkt-Prozess-Konfigurations-Wandelmatrix

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Bezogen auf die in Abschnitt 2.1 vorgestellte Produkt-Prozess-Wandelmatrix würde sich anhand der Kriterien Produkt- und Prozesswandel somit kein Unter-schied zwischen MC und PSS zeigen, da beide einen dynamischen Angebotswan-del mit einem stabilen Prozesswandel abbilden. Zur besseren Differenzierung wird daher die bestehende Typologie um eine dritte Achse erweitert (vgl. Abb. 2).

Das Wort Basiskonfiguration (im Englischen: Baseline) ist hierbei aus dem Konfigurationsmanagement entlehnt und bezeichnet dort eine festgelegte Pro-duktausprägung, von der nachfolgende Zustände abgeleitet, mit ihr verglichen bzw. im Allgemeinen Änderungen bewertet und dokumentiert werden können (Guess 2006).

Ein stabiler Wandel der Basiskonfiguration bei gleichzeitig stabilem Prozess- und dynamischem Produktwandel erlaubt dem Anbieter die Reaktion durch An-passung vorhandener, evtl. bereits ausgelieferter Produkt- und Dienstleistungs-komponenten, so wie es im Fall eines PSS angestrebt ist. Hingegen führt ein dy-namischer Wandel der Basiskonfiguration eher zu einem Ersetzen eines bereits im Einsatz befindlichen Produktes. An dieser Stelle steht der kundenindividuelle Massenfertiger und erzeugt auf Basis der aktuellen Kundenbedürfnisse eine neue Lösung. Die Autoren weisen an dieser Stelle darauf hin, dass diese Sichtweise nicht bedeutet, dass MC eher für das Konsumgütergeschäft eingesetzt werden soll-te, während PSS eher die Investitionsgüterindustrie ansprechen. Eine solche Ver-einfachung ist aufgrund der komplexen Marktzusammenhänge, die bei diesen Un-ternehmenstypen auftreten, nicht statthaft.

Basierend auf der konzeptionellen Ähnlichkeit der beiden Unternehmenstypen wird die Hypothese aufgestellt, dass die Entwicklungsprozesse und Modellie-rungswerkzeuge der kundenindividuellen Massenfertigung für PSS angewendet werden können. Daher wird im nachfolgenden Abschnitt zunächst der Stand der Technik in Bezug auf Entwicklung und Entwicklungsumgebungen von PSS-Bestandteilen charakterisiert um darauf aufbauend die PSS-Konfiguration zu un-tersuchen.

3 Entwicklung und Konfiguration von PSS-Artefakten

Kern des PSS-Konzeptes ist die gleichrangige Entwicklung von Produkt- und Dienstleistungskomponenten. Daher wird im folgenden Abschnitt zunächst darge-stellt, in wie weit Entwicklungsprozesse für die integrierte Entwicklung von PSS zur Verfügung stehen, danach wird die Konfiguration und Rekonfiguration von PSS beleuchtet. Darauf aufbauend werden Entwicklungsumgebungen, also rech-nergestützte Werkzeuge zur PSS-Synthese vorgestellt.

3.1 Prozesse zur Integrierten Entwicklung von PSS

Prozesse für die integrierte Entwicklung von Sach- und Dienstleistungen im Sinne eines PSS werden seit etwa zehn Jahren in der Literatur diskutiert, wobei sich die

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Mehrzahl der Veröffentlichungen lediglich auf Teilaspekte der Entwicklungspro-zesse oder einzelne Bausteine eines PSS (entweder Produkt- oder Dienstleistungs-anteile) beschränken (Aurich et al. 2006, Spath und Demuß 2006, Yang et al. 2009, Vasantha et al. 2012). Ganzheitliche PSS-Entwicklungsprozesse werden nur vereinzelt diskutiert.

Müller entwickelt für die integrierte Entwicklung von PSS einen prozessorien-tierten Ansatz aus Sicht der Systemmodellierung. Der von ihm vorgestellte Ansatz der „layer-basierten PSS-Entwicklung“ setzt hierbei auf dem V-Modell XT auf und vereint die unterschiedlichen Perspektiven „PSS-Lebenszyklus“, „PSS-Architektur“ sowie „PSS-Entwicklungsmanagement“. Es spiegelt zum einen die Entwicklung von aus dem Gesamtsystem dekomponierten Bausteinen wider, ebenso wie die Systemintegration und Validierung dieser einzelnen Bausteine in-nerhalb des ausdetaillierten PSS. Das von ihm vorgestellte Rahmenwerk ist als 150 %-Prozess zu verstehen, welcher konkret auf die vorhandenen Bedürfnisse bei einer spezifischen PSS-Entwicklung zuzuschneiden und zu konfigurieren ist (Mül-ler 2013).

Morelli stellt aus der Software-Entwicklung kommend in seinen Arbeiten un-terschiedliche Prozesse für die PSS-Entwicklung bereit, die überwiegend auf so-genannten „Blueprints“ basieren, also auf Ablaufplänen verschiedener erfolgreich geplanter PSS (Morelli 2006).

Steinbach stellt in seiner Arbeit ein Rahmenwerk zur Entwicklung von PSS vor, welches auf der Unterscheidung von strukturbeschreibenden Merkmalen und verhaltensbeschreibenden Eigenschaften basiert. Diesem liegt der Grundgedanke des Property-Driven-Development (PDD) von Weber zu Grunde, dass der Ent-wickler in seiner Tätigkeit durch die Festlegung der Produktmerkmale auf Basis seiner Anforderungen die Eigenschaften des Produktes mittelbar determiniert (Weber 2005). Bezogen auf den Dienstleistungsanteil des PSS bestimmen die Merkmale weiterhin die Potenzial- und Prozessdimension, während die Eigen-schaften die Ergebnisdimension des PSS darstellen. Steinbach konkretisiert diesen Entwicklungsprozess und entwickelt darauf aufbauend ein Softwarewerkzeug, welches den Entwickler bei seiner Tätigkeit unterstützen soll (Steinbach 2005).

Eine Übersicht von weiteren Aspekten für die PSS-Entwicklung wird von Cavalieri und Pezzotta vorgestellt (Cavalieri und Pezzotta 2012). Sie geben wei-terhin einen Überblick über einzelne Methoden und Werkzeuge, die aus der Ent-wicklung physischer Produkte übernommen worden sind. In dieser Übersicht fällt auf, dass modulare Produkt-/Dienstleistungsarchitekturen und Produktkonfigurati-on nicht genannt werden.

3.2 Konfigurationsfähigkeit von PSS

Die grundsätzliche Konfigurierbarkeit von PSS wurde in der Literatur bereits an mehreren Stellen diskutiert. Laurischkat fokussiert z. B. in ihrer Arbeit auf die Konfiguration der Dienstleistungsanteile bei einem PSS. Sie geht davon aus, dass basierend auf fünf grundsätzlichen Typen von PSS-Dienstleistungsanteilen eine

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sogenannte Generierung (gleichbedeutend mit Konfiguration; Anm. d. Autors) an-hand der Kriterien Nutzenversprechen, Lebenszyklusphase, Bezug und Zuwei-sung, Rechtsverbindlichkeit, Fallunterscheidung, Fernunterstützung, Automatisie-rungsgrad und Verantwortlichkeit möglich ist. Durch diese Kriterien lassen sich Dienstleitungsanteile fallspezifisch durch Konfigurationsregeln (Wenn-Dann-Regeln) oder Entscheidungstabellen mit den Funktionen von Produktbestandteilen eines PSS verbinden und eröffnen so einen Lösungsraum (Laurischkat 2012).

Mannweiler synthetisiert einen Konfigurationsprozess für industrielle PSS, bei dem basierend auf den Kundenanforderungen vorab definierte PSS-Bausteine (überwiegend jedoch Produktanteile) zu einem PSS aggregiert werden. Die Konfi-guration wird dabei am von ihm definierten Erfüllungsgrad gemessen, der dar-stellt, in wie weit die eingangs formulierten Anforderungen durch die spezifische Konfiguration erfüllt worden sind (Mannweiler 2014).

Grundsätzlicher betrachten Aurich et al. die Konfigurierbarkeit von PSS. Sie fokussieren hierbei auf die möglichen Produkt- und Servicestrukturen für ein PSS (Aurich et al. 2009). Ihr Vorgehen greift weitestgehend den Gedanken der Modu-larisierung auf. Für die Synthese der kundenspezifischen PSS-Variante greifen die Autoren auf das Prinzip der Konfigurations- und Verträglichkeitenmatrix zurück (Puls 2003).

3.3 Rechnerunterstützte Entwicklung von PSS

Die Rolle des Rechnereinsatzes in der modernen Produktkonstruktion ist allge-mein anerkannt, komplexe Produkte werden heute in einer rechnerunterstützten Entwicklungsumgebung modelliert (Vajna 2009). Zum einen dienen diese Syste-me zur Festlegung der Produktgestalt und der Ableitung der notwendigen Ferti-gungsdaten im Sinne von technischen Zeichnungen (Hirz 2013). Ein weiterer wichtiger Aspekt im Hinblick auf Ressourceneffizienz, Funktionsintegration und die Wirtschaftlichkeit von Produktkomponenten ist hierbei deren rechnergestützte Simulation (z. B. in Finite-Elemente-Analysen) und Optimierung.

Bezogen auf die rechnerunterstützte Gestaltung von Dienstleistungen (Service-CAD, SCAD) sind bisher nur einzelne Ansätze dokumentiert. Sakao et al. stellen mit dem Service Explorer eine rechnerunterstützte Dienstleistungsmodellierung basierend auf einem Anbieter-Nachfrage-System vor (Sakao et al. 2009). Im Sys-tem werden zunächst die Anforderungen und der Zustand eines Nachfragers mo-delliert um im folgenden Schritt hierauf basierend die Transformationsvorschrift in einen gewünschten Zustand zu gestalten. Dieses geschieht über dekomponierte Funktionseinheiten des Dienstleistungsanbieters, ähnlich der Feature-basierten Modellierung in der Geometriegestaltung. Das Prinzip dahinter entspricht der Mo-dellierung von Funktionsstrukturen, so wie sie für physische Produkte in den 1980er und 1990er Jahren u. a. von Roth präsentiert wurde (Roth 2000).

Hara et al. weisen darauf hin, dass in CAD-Systemen für physische Produkte keine Modellierung des Kundennutzens möglich sei (Hara et al. 2006). Diese Aus-sage ist unter Einbeziehung der Möglichkeiten der Parametrik und der Wissen-

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implementierung in heutige CAD-Systeme jedoch per se nicht haltbar, da die Er-füllung von quantifizierbaren Anforderungen und der damit gestiftete Nutzen sehr wohl innerhalb von digitalen Produktmodellen integriert werden kann (Gembarski et al. 2015).

3.4 Wissensbasierte Modellierung von PSS

Einen Lebenszyklusbasierten Ansatz für die wissensbasierte Ansteuerung und Zuweisung von Dienstleistungsmodulen stellen Yang et al. vor (Yang et al. 2009). Ihren Überlegungen zu Folge lassen sich an ein dafür vorbereitetes Produkt Dienstleistungsmodule koppeln, die auf Basis von Daten, die in der Produktnut-zungsphase zu überwachen sind, getriggert werden. Als Beispiel führen sie die Überwachung einer Spielekonsole hinsichtlich Beschleunigungen und mechani-scher Schockbelastung an. Im Fall der Schockbelastung können dann potenziell beschädigte Baugruppen der Konsole schnell ersetzt werden, ohne zusätzlichen Diagnoseschritt im Kundenservice. Details zur Gestaltung der hierfür notwendi-gen Wissensbasis für die Auswertung von Ereignissen oder zu Schlussfolge-rungsmechanismen, wie sie für wissensbasierte Systeme typisch sind (vgl. dazu auch Abschnitt 4.2), werden nicht gegeben.

Akasaka et al. stellen mit dem service design catalogue eine Erweiterung für den Service Explorer vor (Akasaka et al. 2012). Der dort beschriebene Katalog wird als Unterstützungssystem zur Synthese von Dienstleistungsanteilen eines PSS entwickelt, welches dem Entwickler Dienstleistungsbausteine für zu realisie-rende Funktionen liefert. Nach eigenen Angaben orientierten sich die Autoren an den Konstruktionskatalogen, die Roth in den 1980er und 1990er Jahren als Wis-sensspeicher für Konstruktionswissen entwickelt hat (Roth 2001), ohne jedoch die dafür typische Struktur von Gliederungs-, Haupt- und Zugriffsteil zu verwenden.

Kuntzky stellt in ihrer Arbeit ein wissensbasiertes Entwicklungssystem für PSS vor, das auf der Technik des fallbasierten Schließens aufbaut (Kuntzky 2013). Grundlage hierfür ist die modulare Ausgestaltung der PSS-Bestandteile, sowie die Formulierung von Anforderungen und Wissen über die Aggregation eines be-stimmten PSS. Auf Basis dieser Daten ist eine Konfiguration von PSS in der frü-hen Phase der Entwicklung möglich, wenn gleiche oder ähnliche PSS und deren Anforderungsprofile in der Fallbasis gefunden und angepasst werden können. Im Gegensatz zu anderen Techniken wissensbasierter Systeme muss hierbei das Wis-sen nicht erst in ein formales, explizites Modell übersetzt werden (vgl. hierzu auch Abschnitt 4.2).

3.5 Zwischenfazit

Es können in der Literatur einzelne ganzheitliche Entwicklungsprozesse für PSS identifiziert werden. Festzuhalten ist dabei jedoch, dass die genannten Ansätze in ihrer Anwendung und Validierung auf spezifische PSS-Entwicklungsprojekte sehr vage und konzeptuell bleiben. Weiterhin werden sie zum Teil an sehr einfachen

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Beispielen diskutiert, was den Transfer auf die Entwicklung praxisrelevanter, komplexer PSS erschwert. Ebenso vernachlässigen die Ansätze vielfach den wich-tigen Aspekt der Planung und Gestaltung von Konfigurierbarkeit und Rekonfigu-ration eines PSS über den Produktlebenszyklus hinweg, was als ein zentraler Punkt bei der Entwicklung von PSS identifiziert wurde. Bei Müller wird zumin-dest der Hinweis auf ein begleitendes Konfigurationsmanagement gegeben.

Die Konfigurierbarkeit von PSS wird in der Literatur, wie dargestellt, grund-sätzlich als machbar eingestuft, Grundlage hierfür stellen häufig modulare Pro-dukt- und Dienstleistungsstrukturen dar. Die Rekonfiguration in der Nutzungspha-se auf Basis geänderter Anforderungen wird jedoch nur in einzelnen Ansätzen für die Dienstleistungsmodellierung explizit mit einbezogen. Die dort verwendeten Konfigurationsmodelle weisen jedoch Schwächen bei der Anwendung für kompli-zierte, vielteilige Systeme auf, was insbesondere in Bezug auf Konfigurations- und Verträglichkeitenmatrizen mehrfach in der Literatur berichtet worden ist.

Eine gemeinsame Modellierung von Produkt- und Dienstleistungsanteilen im Sinne eines gemeinsamen, parametrischen Datenmodells ist bisher nicht doku-mentiert, Schnittstellen zwischen gestaltorientierten CAD-Systemen und SCAD sind aktuell nicht untersucht. Für die Rechnerunterstützung des Konfigurations-prozesses werden einzelne Softwareprototypen vorgestellt, die jeweiligen Konfi-gurationsmechanismen werden wenn jedoch nur oberflächlich vorgestellt oder stellen mehr oder weniger simple Produktionsregeln dar. In diesem Zusammen-hang ist festzuhalten, dass die rein regelbasierte Systeme als Paradigma für die Konfiguration komplexer technischer Systeme ausgeschlossen wurden, weil sie in ihrem Aufbau zu inflexibel und ihrer Wartung zu aufwendig sind. Eine Verbin-dung zu den Wissenstechnologien (knowledge technologies, KT) oder der wis-sensbasierten Konstruktion (knowledge-based-engineering, KBE) bleibt überwie-gend aus. Eine Ausnahme stellt hierbei der von Kuntzky vorgestellte Ansatz des fallbasierten Schließens dar, bei dem das Wissen über den Zusammenhang von Problemstellung und Lösung jedoch implizit modelliert wird und nicht über ein parametrisches Datenmodell im Sinne einer Kopplung zwischen gestaltorientier-tem CAD und SCAD.

Die gezielte Modellierung eines Lösungsraumes, der Produkt- und Dienstleis-tungsanteile eines PSS gemeinsam mit ihren Abhängigkeiten und Parametern dar-stellt, konnte aus der Literatur bisher nicht recherchiert werden. Solche Lösungs-räume werden vielfach im Bereich von MC durch Produktkonfiguratoren aufge-spannt. Daher werden im folgenden Abschnitt solche Konfigurationssysteme grundlegend vorgestellt und als wissensbasierte Systeme charakterisiert. Für eine detaillierte Präsentation der einzelnen Konfigurationsmechanismen, wie sie in Standard-CAD-Systemen implementiert werden können, sei an dieser Stelle auf Gembarski et al. verwiesen (Gembarski et al. 2015).

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4 Lösungsraummodellierung mittels Produktkonfiguratoren

Zur Modellierung von Lösungsräumen in der Produktentwicklung und zur Dar-stellung dieser Lösungsräume gegenüber dem Kunden eignen sich Produktkonfi-gurationssysteme. Produktkonfiguration ist hierbei als Entwicklungstätigkeit zu verstehen, bei der ein Endprodukt durch die Aggregation von vordefinierten Bau-steinen, die auf eine vordefinierte Art und Weise mit einander verbunden werden und kommunizieren können, gebildet wird (Sabin und Weigel 1998).

Der Produktkonfigurator ist damit mehr als ein Filter, der auf ein bestehendes Produktportfolio angewendet wird, solange bis entweder genau eine oder auch keine Endproduktvariante auf Basis der Anforderungen identifiziert ist. Vielmehr beinhalten solche Konfigurationssysteme eine Wissensbasis, in der das Konfigura-tionswissen gespeichert ist, welches aussagt, ob zwei Optionen sich gegenseitig ausschließen, oder ob die Auswahl eines Systembausteins zu Anpassungen der ak-tuellen Konfiguration führt.

4.1 Anwendungsgebiete für Konfiguratoren

Ebendiese Eigenschaft führt zur Anwendung von Konfiguratoren als Vertriebsun-terstützungssystem. Die Hauptfunktion von Vertriebskonfiguratoren ist in der ein-deutigen Übersetzung von Kundenbedürfnissen in eine technische Spezifikation zu sehen. Weitere Funktionen sind Angebotskalkulation, Generierung von Ange-botsdokumenten und die Visualisierung des Endprodukts.

Heute am Markt befindliche Vertriebskonfiguratoren erlauben eine Buchfüh-rung über alle vom Benutzer ausgeführten Schritte, im Detail umfasst dies die ein-zelnen Schritte und deren Dauer während der Konfiguration, sowie den Abbruch und die Wiederaufnahme des Konfigurationsprozesses. Aus diesen Daten können dann wichtige Informationen für den Vertrieb in Bezug auf Trendscouting oder die Präferenzanalyse unterschiedlicher Produktvarianten gewonnen werden (Pine und Davies 1993).

Hochentwickelte Vertriebskonfiguratoren, sogenannte Auswahlassistenten oder Navigatoren (im Englischen Choice Navigators), erlauben sogar eine bidirektiona-le Kommunikation mit dem Kunden, sodass ein Kunde z. B. zu einer populären Produktvariante hingeführt werden kann. Basis hierfür sind z. B. personenbezoge-ne Daten, die vom Kunden vorher abgefragt werden, statistische Daten oder sol-che aus sozialen Netzwerken. Damit soll zum einen der Konfigurationsprozess vereinfacht werden, weil dem Kunden bereits eine Basiskonfiguration vorgestellt werden kann, die im Großen und Ganzen seinen Bedürfnissen entspricht und nur noch in Kleinteilen angepasst wird. Auf der anderen Seite kann ein Kunde auch beeinflusst werden in dem Sinne das „andere Kunden, die sich selbst als sportiv bezeichnen, sich für diese und jene Konfiguration entschieden haben“ (Gembarski und Lachmayer 2015b).

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Mass Customization und Product-Service-Systems 227

Im Gegensatz zu Vertriebskonfiguratoren sind Konstruktionskonfiguratoren überwiegend für den internen Einsatz innerhalb einer Produktentwicklungsabtei-lung konzipiert. Solche Konfiguratoren sind grundsätzlich wissensbasierte Syste-me und zielen auf die Transformation eines Konstruktionsproblems in ein Konfi-gurationsproblem ab. Dafür ist alles nötige Konstruktionswissen, unabhängig da-von, ob es sich um Auslegungsregeln, Gestaltungsrichtlinien oder Fertigungsrest-riktionen handelt, explizit in dem System gespeichert (Gembarski et al. 2015).

Diese sogenannten Expertensysteme ersetzen dabei nicht den Produktentwick-ler, sondern sie unterstützten ihn in seiner Tätigkeit, komplexe technische Systeme zu entwickeln, die ohne Rechnerunterstützung so nicht entwickelt werden könn-ten.

4.2 Konfiguratoren im Kontext wissensbasierter Systeme

Konstruktionskonfiguratoren werden im Allgemeinen als Teil der wissensbasier-ten Entwicklungssysteme (Knowledge Based Engineering, KBE) klassifiziert. Als solche liefern sie Produktbeschreibungen auf Basis von vordefinierten Funktionen, Komponenten, Restriktionen, Beziehungen und Präferenzkriterien. Chapman und Pinfold verstehen unter einem KBE-System einen evolutionären Schritt in der rechnergestützten Produktentwicklung und benennen im Detail die Verbindung zwischen objektorientierter Programmierung, künstlicher Intelligenz und der rech-nerunterstützten Konstruktion (CAD), um automatisierte Lösungen für die Varian-ten- und Änderungskonstruktion zu generieren (Chapman und Pinfold 2001).

Als Untergruppe der wissensbasierten Systeme bestehen KBE-Systeme aus den folgenden Komponenten (Milton 2008):

1. Wissensbasis: Behälter für alle Arten von deklarativen und domänenspezifi-schen Informationen, Strukturen sowie Regeln. Im Kontext der mechanischen Konstruktion können dies Maße von Normteilen oder Fertigungsrestriktionen sein.

2. Inferenzmaschine: Separierte Form von Wissen, das die Steuerung der Lö-sungsraumexploration durch das KBE-System bewirkt. Es beschreibt dabei so-wohl einzelne Inferenzen, also die Anwendung der Wissensbasis für Berech-nung oder Evaluation, als auch Aufgabenwissen, also die Verbindung von Infe-renzen, Benutzereingaben und KI-Methoden wie Constraint-Propagierung zu komplexen Planungs- und Konstruktionsaufgaben, z. B. für den Konstruktions-prozess von Aufzügen

3. Arbeitsspeicher/Blackboard: Speicher für die Instanziierung von fallspezifi-schen Teilen der Wissensbasis und Zwischenergebnisse

4. Benutzerschnittstelle: Diese erlaubt die Interaktion zwischen Nutzer und Sys-tem

Page 245: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

228 Paul Christoph Gembarski und Roland Lachmayer

5. Editor: Dieser erlaubt die Interaktion zwischen Wissensingenieur und System um Wissensbasis und Inferenzmaschine zu verändern

Speziell für KBE-Systeme kommt die Integration in eine rechnergestützte Ent-wicklungsumgebung dazu, was u. a. durch die Implementierung in CAD-Systeme erreicht wird (La Rocca 2012).

Bezogen auf den Inferenzmechanismus werden grundsätzlich drei unterschied-liche Ansätze unterschieden:

Regelbasiert: die Wissensrepräsentation beruht auf Produktionsregeln, die als Wenn-Dann-Beziehungen formuliert werden. Diese Regeln müssen in keinem kausalen Zusammenhang zueinander stehen (können dies aber: Regeln können für das Auslösen untergeordneter Regeln oder das Auskommentieren anderer Regeln aus dem Arbeitsspeicher eingesetzt werden). Viele Autoren berichten, dass rein regelbasierte Systeme sich ausschließlich für den Einsatz bei lokalen und eng umgrenzten Problemen eignen, da mit steigender Anzahl von Artefka-ten und Regeln das System nicht mehr wartungsfreundlich gestaltet werden kann (McDermott 1982)

Modellbasiert: Die Einschränkung des Lösungsraumes erfolgt auf Basis eines Produktmodells, welches aus den Systemkomponenten und seinen Beziehungen besteht. Die Beziehungen können z. B. physikalisch oder logisch modelliert werden (constraint-based) oder auf Basis von Ressourcenbereitstellungs- und Ressourcenverzehrfunktionen (Heinrich und Jüngst 1992).

Fallbasiert: Es werden keine expliziten Konfigurationsregeln oder Modelle de-finiert. Schlussfolgerungen werden auf Basis von bereits gespeicherten Lösun-gen (Fällen) getroffen. Abhängig von der Reife des Inferenzmechanismus kann das System entweder nur Lösungen finden, die exakt zu einem gegebenen An-forderungsprofil passen, oder eine Auswahl von mehreren Fällen treffen, die den best-fit repräsentieren. Hochentwickelte Systeme sind dazu in der Lage, vorhandene Fälle zu alterieren oder zu kombinieren, um so zu neuen Lösungen zu kommen (Gembarski und Lachmayer 2015b).

4.3 Produktkonfiguratoren für PSS

Die bestehende Literatur berichtet nur vereinzelt über die Implementierung von Produktkonfiguratoren zur PSS-Entwicklung. Wie in Abschnitt 3.5 dargelegt, handelt es sich hierbei entweder um regelbasierte oder fallbasierte Systeme. Mo-dellbasierte Ansätze sind aktuell nicht vorhanden.

Dennoch können aus der Literatur der 1990er Jahre tragfähige Konzepte für die Konfiguration von sowohl physischen als auch nicht-physischen Entwicklungsar-tefakten auf Basis von Anforderungen und der Spezifikation von Aufgabenstel-lungen identifiziert werden. Erwähnt sei hier das Expertensystem XRAY, welches zur prototypischen Konstruktion von Röntgenanalysesystemen erzeugt worden ist

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Mass Customization und Product-Service-Systems 229

(Cunis et al. 1993). Der Rückgriff auf eine derart alte Technologie scheint zu-nächst anachronistisch, jedoch gehört XRAY gemessen an seinem Funktionsum-fang, der Architektur und der Implementierung zu den besser dokumentierten Ex-pertensystemen.

XRAY wurde in PLAKON entwickelt, ein Expertensystemkern, der ähnlich wie Software-Entwicklungsumgebungen heute alle nötigen Funktionen und Klas-sen für die Erzeugung von Planungs- und Konfigurationssystemen inklusive Infer-enz- und Konfliktlösungsmechanismen zur Verfügung stellt.

An XRAY wurden seinerzeit folgende Anforderungen gestellt:

Interaktive Definition der Prüfaufgabe unter Berücksichtigung von Prüflings-geometrie, zu detektierenden Fehlern, Prüfzeit und sich daraus ergebenden Kosten

Automatische Auswahl und Konfiguration der Hardwarekomponenten für das Röntgenprüfsystem sowie Angabe von Alternativen und deren Auswirkungen auf die Prüfqualität

Automatische Erstellung des Prüfplanes und eines idealen Prüfablaufes, bei dem die Prüfung weitgehend redundanzarm ausgeführt werden soll

Automatische Konfiguration der Software zur Bilderkennung für eine effiziente Identifikation der möglichen Bauteilfehler

Interaktive Simulation und Test der Analysesoftware anhand von Beispielbil-dern.

Das entwickelte System konnte diese Anforderungen grundsätzlich erfüllen. Besonderes Augenmerk ist auf die gemeinsame Konfiguration von Hard- und Software zu setzen, die hier zur effizienten Erfüllung der Prüfaufgaben unerläss-lich gewesen sind. Als Inferenzmechanismus wurden überwiegend modellbasierte Ansätze verwendet. Eine Verbindung zu gestaltorientierten Konstruktionssyste-men, um beispielsweise Fertigungszeichnungen zu generieren, lag im Projekt je-doch nicht im Fokus.

5 Schlussbetrachtung

In diesem Beitrag wurden die Unternehmenstypen des kundenindividuellen Mas-senfertigers und des Anbieters von PSS mit einander verglichen und die prinzipi-elle Anwendbarkeit im speziellen der Produktkonfiguration bei PSS diskutiert. Hierbei wurde gezeigt, dass bereits Ansätze zur regelbasierten und zur fallbasier-ten Konfiguration bestehen, die modellbasierte Konfiguration jedoch bisher nicht implementiert worden ist.

Als Ursache hierfür kann das Fehlen eines gemeinsamen Datenmodells für alle Artefakte eines PSS, seien es Hardware-, Software- oder Dienstleistungskompo-nenten, sowie deren Beziehungen untereinander gesehen werden. Wünschenswert

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230 Paul Christoph Gembarski und Roland Lachmayer

wäre hier der Aufbau eines parametrischen Modells, sodass die Anpassungs- und Variantenkonstruktion von PSS dabei ähnlich leistungsstark erfolgen kann, wie es bereits heute mit den am Markt verfügbaren CAD-Systemen für rein physische Produkte bereits Stand der Technik ist. Ein solches Datenmodell würde zusätzlich die rechnergestützte Produktoptimierung ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist zu überprüfen, in wie weit Steinbachs Ansatz des Transfers vom property-driven-development von PSS hierfür eine Grundlage ist.

Die bisher identifizierten Konfiguratoren beschränken sich auf die Unterstüt-zung oder Teilautomatisierung der Entwicklung und Aggregation von PSS. Wei-terhin sind neben solchen Konstruktions- auch Vertriebskonfiguratoren entweder als Unterstützungssystem für den Außendienstmitarbeiter im Vertrieb oder als Frontendsystem für den Endkunden zu implementieren.

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Page 250: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Modellierung der Lebenszyklen von Smart Services

Stefan Wellsandt, Jürgen Anke und Klaus-Dieter Thoben

Smart Services sind ein Ansatz für die IT-gestützte Erbringung von Dienstleistun-gen auf Basis vernetzter Produkte. Sie schaffen eine neue Grundlage für die Ge-staltung der Beziehung zwischen Hersteller und Endnutzer sowie die Ausprägung neuer Wertschöpfungsstrukturen. Den damit verbundenen Potenzialen steht ein hoher Anspruch an die Konzeption und das Management von Smart Services ent-gegen. Dieser entsteht unter anderem durch die Komplexität des zugrundeliegen-den Cyber-Physischen Systems (CPS) und den individuellen Lebenszyklen der ein-zelnen Bestandteile. Zudem sind verschiedene Akteure und ihre Aufgaben in der Dienstleistungserbringung sowie verschiedene materielle und immaterielle Leis-tungen sowie Material-, Informations- und Geldflüsse zu beachten. In diesem Bei-trag untersuchen wir das Unterstützungspotenzial der Modellierung von Smart Services mit der Lifecycle Modeling Language (LML). Am Beispiel der automati-sierten Nachlieferung von Verbrauchsmaterial für einen 3D-Drucker wird beur-teilt, welche Vorteile mit der Modellierung der Lebenszyklen von Smart Services verbunden sind.

1 Einleitung

1.1 Motivation

Im Zuge der Entwicklung des „Internet der Dinge“ werden physische Produkte mit eingebetteten Systemen und Kommunikationsfähigkeiten zu intelligenten, vernetzten Produkten erweitert. Damit erhalten sie neben ihren lokalen physischen Funktionen auch global nutzbare digitale Funktionen (Fleisch et al. 2015). Bei-spielsweise warnen vernetzte Fahrräder bei Kettenverschleiß und holen bei Stür-zen Hilfe (Kempkens 2014). Auch industrielle Produkte wie z. B. Kompressoren, Lüftungstechnik oder Aufzüge werden mit digitalen Dienstleistungen für Fern-steuerung, Überwachung, nutzungsbezogene Abrechnung und anderen Diensten aufgewertet (Herterich et al. 2015).

Digitale Dienste dieser Art als Ergänzung zu physischen Produkten werden durch das Konzept „Servitization“ beschrieben (Neely 2008). Es ermöglicht eine

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_11

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234 Stefan Wellsandt, Jürgen Anke und Klaus-Dieter Thoben

völlig neue Gestaltung der Interaktion zwischen Herstellern, Betreibern und Nut-zern physischer Güter und bietet damit die Grundlage für neue Geschäftsmodelle (Zolnowski und Böhmann 2013; Velamuri et al. 2013).

Besonders Hersteller von technischen Produkten und Geräten können die Art und Qualität ihrer Kundenbeziehung durch das Angebot von Services neugestalten und sich damit vom Wettbewerb differenzieren (Gräßle et al. 2010; Fischer et al. 2012). Gleichermaßen können solche Services von Dritten erbracht werden, die als Service Provider bzw. Intermediär Bestandteil neuer Wertschöpfungsstruk-turen werden (Schäfer et al. 2015).

Bei der Gestaltung von Smart Services haben Anbieter die Aufgabe, die pas-senden Leistungen in geeignete Services zu bündeln und die Prozessschritte unter Einbezug externer Partner zu planen. Gleichzeitig müssen die notwendigen Vor-leistungen für die erwartete Absatzmenge kostenadäquat gestaltet werden. Insbe-sondere bei der Überführung von Demonstratoren in marktfähige Angebote sind eine Reihe von Entscheidungen zu treffen, um die Dienstleistung in der vom Kun-den geforderten Qualität erbringen zu können. Dabei müssen der gesamte Lebens-zyklus von Entwicklung, Herstellung, Nutzung, Wartung bis zur Entsorgung be-trachtet und Informations-, Material- und Geldflüsse berücksichtigt werden.

Die dabei entstehende Komplexität ist zum einen auf die Interdisziplinarität im Gestaltungsprozess zurückzuführen, bei dem Vertreter von diversen Fachabteilun-gen des Unternehmens mitwirken. Zum anderen sind Smart Services komplexe Systeme, deren Lebenszyklen wiederum Teil des Lebenszyklus der zugrundelie-genden Teilkomponenten sind (Langer et al. 2009). Die Gestaltung komplexer In-formationssysteme kann mit einer geeigneten Modellierung unterstützt werden (Hansen et al. 2015). Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag folgende Forschungsfrage adressiert: Welchen Nutzen erhalten Stakeholder bei der Ent-wicklung von Smart Services für Verbrauchsmaterial durch eine Modellierung des Lebenszyklus mit der Lifecycle Modeling Language (LML)?

Dabei vertreten wir die These, dass die Modellierung von Lebenszyklen für Smart Services mit LML eine höhere Transparenz über die Abläufe der Dienstleis-tungserbringung sowie über die Abhängigkeiten der Teilkomponenten untereinan-der entsteht und damit die frühzeitige Identifikation von Risiken erleichtert wird.

1.2 Methodik

Ziel

Das Ziel dieses Beitrags ist es, die Komplexität von Smart Services durch die Mo-dellierung von Lebenszyklen transparent zu machen. Damit sollen Entwickler von Smart Services in die Lage versetzt werden, die mit dem Betrieb des Service ver-bundenen Effekte einfacher zu erkennen. Die Grundannahme ist, dass ein besseres Verständnis der Beziehungen zwischen den einzelnen Produkt-, Software- und Dienstleistungskomponenten eines Smart Service zu einer besseren Handhabung der Komplexität führt.

Page 252: Smart Service Engineering: Konzepte und Anwendungsszenarien f¼r die digitale Transformation

Modellierung der Lebenszyklen von Smart Services 235

Als Ergebnis erwarten wir Aussagen über den Nutzen der Modellierung von Lebenszyklen für Smart Services für verschiedene Stakeholder. Identifizierte De-fizite können eine Grundlage für Erweiterungen der Modellierungssprache bilden.

Diese Arbeit bezieht sich ausschließlich auf die Bewertung eines Modells der Prozesse und Strukturen zur Erbringung von Smart Services für vernetzte Produk-te. Das Vorgehen zur Herstellung des Modells wird nicht explizit berücksichtigt.

Vorgehen

Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden im ersten Schritt Smart Services für vernetzte Produkte charakterisiert. Dabei wird zum einen auf die Systembe-standteile und zum anderen auf die Bedeutung von Lebenszyklen eingegangen. Aus diesen beiden Aspekten leiten wir Ziele ab, die mit der Modellierung erreicht werden sollen. Im zweiten Schritt wird ein Smart Service für die automatisierte Bereitstellung von Verbrauchsmaterial von 3D-Druckern beschrieben und mit Hil-fe der Lifecycle Modeling Language (LML) modelliert. Schließlich wird das Mo-dell im letzten Schritt hinsichtlich seiner Erfüllung der erarbeiteten Ziele sowie der Aussagekraft für verschiedene Stakeholder überprüft. Daraus lassen sich Aus-sagen über die Eignung von Lebenszyklusmodellen für Smart Services im Kon-zeptionsprozess sowie weitere Forschungsbedarfe ableiten. Der Beitrag ist ent-sprechend dieses Vorgehens strukturiert.

2 Smart Services für vernetzte Geräte

2.1 Charakterisierung von Smart Services

Als „Smart Service“ wird die bedarfsgerechte Bereitstellung der Kombination von internetbasierten und physischen Dienstleistungen bezeichnet (Kagermann et al. März 2015). Smart Services sind somit eine Kombination aus Sach- und Dienst-leistungen, die auch als Product-Service-System (PSS) oder als hybrides Leis-tungsbündel (Becker et al. 2009) bezeichnet werden. Besonders für technische Produkte werden PSS als Mittel zur Transformation von produkt- zu dienstleis-tungs- und ergebnisorientierten Angeboten gesehen (Adrodegari et al. 2015).

Vernetzte Produkte werden auch als „Intelligent Products“ (Meyer et al. 2009) oder „Smart Objects“ (Vasseur und Dunkels 2010) bezeichnet. Die Begrifflichkei-ten variieren im Detail, jedoch haben sie gemeinsam, dass physische Produkte mit digitalen Kommunikationsfähigkeiten sowie IT-gestützten Möglichkeiten zur Er-fassung sowie ggf. Beeinflussung des Zustands eines Produktes sowie seiner Um-gebung ausgerüstet sind. Sie erlauben es Produkte effizienter in den Nutzungskon-text des Kunden zu integrieren (Kees et al. 2015). Die Vernetzung der Produkte ermöglicht zudem die einfache Integration des Produkts als externen Faktor und schafft damit die Grundlage für datengetriebene Dienstleistungsangebote (Porter und Heppelmann 2014).

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236 Stefan Wellsandt, Jürgen Anke und Klaus-Dieter Thoben

Der Erbringung von Smart Services liegt typischerweise folgendes Funktions-prinzip zugrunde: Ein vernetztes Produkt liefert mittels Machine-to-Machine Kommunikation (M2M) über das Internet Informationen zu seinem Zustand, der z. B. mittels Sensoren erfasst wird. Bei einigen Geräten sind zudem Aktorik bzw. Steuervorgänge zu berücksichtigen. Die Kommunikation zwischen Produkt und zentralem Server oder Cloud-Dienst erfolgt über das Internet (Wortmann und Flüchter 2015). In der Cloud können die Zustandsdaten als Grundlage für operati-ve und analytische Funktionen verwendet werden. Ein Smart Service bündelt ver-schiedene Funktionen, ergänzt diese mit weiteren Internetdiensten und stellt sie den Nutzern, z. B. per mobiler Apps oder Webapplikation zur Verfügung.

Smart Services sind somit sozio-technische Systeme, die aus der Kombination von Sensoren, Aktoren, eingebetteten Systemen, digitalen Netzwerken, Internet-diensten sowie Koordinations- und Managementprozessen bestehen, was der Cha-rakteristik von Cyber-Physischen Systemen (CPS) entspricht (Geisberger und Broy 2012). Die Mehrzahl der Publikationen zu CPS behandelt technische Aspek-te, jedoch gibt es auch die Sicht auf CPS als Grundlage für die Erbringung von Dienstleistungen. Dabei steht der Charakter einer Kundenlösung aus Dienstleis-tungen und Sachleistungen, deren Koordination mittels Software sowie eine Be-trachtung der Wertschöpfung unter Einbezug des Kunden im Fokus (Mikusz 2014).

Tabelle 1. Konkretisierung der CPS-Elemente für einen Smart Service

Allgemeines CPS-Element Ausprägung des CPS-Elements für einen Smart Service Physikalischer Prozess Lokale, physikalische Funktion des Produkts Sensoren und Aktoren zur Er-fassung von bzw. zum Einwir-ken auf physikalische Vorgän-ge

Diverse Ausprägungen, abhängig vom konkreten Produkt, z. B. Sensoren für Füllstände, Temperaturen, Druck sowie Aktoren zur Schaltung bzw. Steuerung

Eingebettete Systeme Eingebettetes System zur Steuerung des physischen Pro-dukts mit eingebetteter Software und Kommunikationsmo-dul

Digitale Netze Diverse Technologien zur Verbindung von Embedded Sys-tem und Betreiberplattform, z. B. über Mobilfunk, WLAN oder Unternehmensnetze

Nutzung weltweit verfügbarer Daten und Dienste

(cloudbasierte) Softwareplattform des Betreibers sowie ggf. zusätzliche Internetdienste, z. B. elektronische Marktplätze

Multimodale Mensch-Maschine-Schnittstellen

Diverse Ausprägungen der Benutzerinteraktion am Produkt selbst, mit mobilen Apps oder Web-Applikationen

Managementprozesse Management des Service (Buchung, Konfiguration, Ab-rechnung)

Koordinationsprozesse Erbringung des Service, Steuerung der Leistungserbrin-gung

Logistikprozesse Lieferung von physischen (z. B. Ersatzteile, Verbrauchsma-terial) oder digitalen Bestandteilen (z. B. Softwareupdates)

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Modellierung der Lebenszyklen von Smart Services 237

Im vorliegenden Beitrag werden Smart Services als hybride Leistungsbündel verstanden, die CPS-gestützt Dienstleistungen für technische Produkte erbringen (Schäfer et al. 2015). Eine Voraussetzung zur Analyse der Lebenszyklen ist das Verständnis der für Smart Services relevanten Systembestandteile. Dazu konkreti-sieren wir die oben genannten Elemente eines allgemeinen CPS für die Ausprä-gung eines CPS zur Unterstützung von Smart Services (vgl. Tabelle 1).

2.2 Lebenszyklen in Smart Services

Begriffsverständnis und Konzepte

Unter einem Lebenszyklus werden verschiedene, aufeinander folgende Zeitab-schnitte verstanden, die den Weg eines Produktes oder einer Dienstleistung kenn-zeichnen. Aus dieser flussbasierten Sichtweise (vgl. Herrmann 2010) kann der Le-benszyklus in Phasen unterteilt werden. Kiritsis schlägt dazu eine Teilung in Be-ginning-of-Life (BOL), Middle-of-Life (MOL) und End-of-Life (EOL) vor (Kiritsis 2011). Die drei Phasen können in Prozesse unterteilt werden. Bei einer Detailierung können beispielsweise Material-, Energie-, und Informationsflüsse entlang des Lebenszyklus abgebildet werden (Herrmann 2010). Ein Beispiel für ein Modell eines Produktlebenszyklus ist in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1. Beispiel für ein Produktlebenszyklusmodell (Wellsandt et al. 2015)

Eine noch spezifischere Sichtweise auf den Lebenszyklus ist die Betrachtung individueller Produkte (Hans et al. 2010). Bei diesem sogenannten „item-level PLM“ stehen Produktinformationen im Vordergrund, die zu einer einzelnen, iden-tifizierbaren Produktinstanz oder einer Produktkomponente gehören. Relevant sind diese Informationen beispielsweise für die Produktentwicklung (z. B. Indivi-dualisierung von Produkten).

Lebenszyklen und Smart Services

Der Anbieter eines Smart Service trägt in der Regel die Verantwortung für den ge-samten Lebenszyklus des zugrundeliegenden Service-Systems. Eine damit ver-

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bundene Herausforderung besteht darin, dass Sach- und Dienstleistungen als ein-zelne Komponenten entwickelt werden, die jedoch integrativ zusammenwirken müssen. Die Bestandteile eines Smart Service weisen dabei unterschiedliche Le-benszyklen auf. Beispielsweise können unterschiedliche Versionen einer Kompo-nente vorhanden sein (z. B. Softwareplattform). Änderungen im Lebenszyklus ein-zelner Komponenten können sich z. B. durch neue Kundenbedarfe, Gesetzesände-rungen oder Verfügbarkeit neuer Technologien ergeben (Wolfenstetter et al. 2015).

Daher müssen, anders als beim in Abb. 1 dargestellten Produktlebenszyklus, mehrere Lebenszyklen simultan betrachtet werden. Die Lebenszyklen laufen dabei parallel oder zeitlich versetzt nebeneinander. Zwischen den Phasen der Lebens-zyklen bestehen typischerweise Beziehungen. Bei langlebigen Produkten können beispielsweise einzelne Teile, wie die Softwareplattform, einen kompletten Le-benszyklus durchlaufen, während andere Teile noch weiter nutzbar sind (z. B. ein-zelne Produktkomponenten). Nachfolgend sind Beispiele für Auswirkungen auf-geführt, die sich aus Veränderungen im Lebenszyklus eines Leistungsbestandteils ergeben:

Defekt des Produkts: Austausch des Produktes erfordert Logistikleistung für die Anlieferung, Rücknahme des defekten Produktes sowie Anpassung der Konfi-guration des Service auf die neue Hardware.

Defekt eines Embedded Systems: Austausch der entsprechenden Hardware, Up-date der Embedded Software, Übertragung der alten Konfiguration (z. B. zur Erhaltung der digitalen Produktidentität).

Änderungen im Service-Management-Prozess (z. B. Einführung von Abo- oder Prepaid-Modellen): Anpassung der Betreiberplattform, ggf. Anpassung der Servicekonfiguration (Auswahl des Abrechnungsmodells) durch Kunden, Up-date der Embedded Software.

Welche Beziehungen zwischen Lebenszyklen bzw. Teilen eines Lebenszyklus vorliegen wird aktuell diskutiert: Wiesner et al. und Westphal et al. erläutern die Bedeutung von Wechselwirkungen zwischen Produkt und Service Lebenszyklus Management bei produzierenden Unternehmen (Westphal et al. 2015; Wiesner et al. 2015). Weiterführende Betrachtungen der Interdependenzen zwischen Lebens-zyklusphasen von PSS finden sich bei (Laurischkat 2012). Lindström et al. zeigen Wechselwirkungen von Lebenszyklen in „Functional Products“ auf (Lindström et al. 2014). Diese Form von PSS besteht aus Hardware, Software, Management Operations und einem Service Support System. Weitere Herausforderungen im Umgang mit mehreren Lebenszyklen in der Produkt- und Serviceentwicklung werden in aktuellen Forschungsprojekten anwendungsnah untersucht. Beispiele relevanter Projekte sind Manutelligence (Manutelligence Consortium 2016), Fal-con (Falcon Consortium 2016) und Psymbiosis (Psymbiosys Consortium 2016).

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Modellierung der Lebenszyklen von Smart Services 239

2.3 Ziele der Modellierung von Lebenszyklen in Smart Services

Die folgenden Betrachtungen erfolgen im Kontext des Manutelligence Projektes (Manutelligence Consortium 2016). Im Rahmen des Projektes sollen für vier Ent-wicklungsvorhaben Lebenszyklusmodelle erstellt werden. Die Modelle werden genutzt, um die Berechnung von Lebenszykluskosten und Umweltwirkungen zu begleiten. Zudem sollen damit Schwachstellen und andere risikobehaftete Situati-onen der zu entwickelnden Produkte und Services aufgezeigt werden. Anhand der Modelle sollen keine Berechnungen durchgeführt werden.

Bei der Konzeption von Smart Services müssen beim Anbieter diverse Fachab-teilungen mitwirken, um die Anforderungen an einen neuen Service zu formulie-ren. Einige Fachabteilungen (im Weiteren als Rollen bezeichnet) sowie deren Aufgaben und Informationsbedarfe sind in Tabelle 2 aufgeführt (nach Junginger et al. 2006). Sie orientieren sich am Beispiel der Bereitstellung von Verbrauchsmate-rial.

Tabelle 2. Aufgaben und Informationsbedarfe von Rollen im Service-Engineering

Rolle Aufgaben Informationsbedarfe Marketing / Produktmanagement

Kundenbindung steigern, Servicever-träge verkaufen, Anforderungen erfas-sen und dokumentieren

Kundenbedürfnisse, Kunden-zufriedenheit, Kundenzahl, Preise

Entwickler / Architekt

Smart Service entwerfen Kundenbedürfnisse, Lösungs-ansätze

Finanzen Finanzbedarf minimieren und zusätz-liche Erträge sicherstellen

Zahlungsreihe

Einkauf Beschaffung des Verbrauchsmaterials bei Kunststoffhersteller/-händler

Mengen und Zeiten für die Bereitstellung von Vorleis-tungen

Logistik Kommissionierung und Transport des Verbrauchsmaterials

Zu liefernde Mengen und Zeitpunkte

Aus den vorherigen Abschnitten lässt sich erkennen, dass ein Smart Service als hybrides Leistungsbündel u. a. durch zwei Eigenschaften charakterisiert ist:

Hohe Komplexität aufgrund der Diversität zu betrachtender Elemente (z. B. me-chanische, elektronische Bauteile, Software, kunden- und hersteller-/anbieter-seitige Prozesse) sowie der Anzahl relevanter Stakeholder (vgl. Rollen in Ta-belle 2). Weiterhin sind, beispielsweise für die Beanspruchung von Ressourcen, entsprechende Kosten zu berücksichtigen.

Interdependenzen die durch eine Betrachtung von Informations-, Material-, Energie- und Geldflüssen zwischen Systemelementen hervorgerufen werden.

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Diese beiden Aspekte sollten bei einer Modellierung der Lebenszyklen eines Smart Services berücksichtigen werden, um in der Konzeption nützlich zu sein. Konkretisiert wird dies durch folgende Ziele, die mit der Modellierung verfolgt werden:

Z1: Die Konzeption einer produktnahen Dienstleistung unterstützen. Die Mo-dellierung soll die Planung eines Smart Services sowie die Vorbereitung weite-rer Analysen unterstützen (z. B. Life Cycle Assessment oder Life Cycle Costing).

Z2: Die Komplexität veranschaulichen und damit ihre Handhabung verbessern. Komplexität ist einerseits durch die Anzahl der Systemelemente gekennzeich-net und andererseits durch die Beziehungen der Elemente untereinander. Beide Aspekte müssen in einem Modell Berücksichtigung finden.

Z3: Eine Beurteilung des Servicekonzepts für verschiedene Stakeholder ermög-lichen. Das Modell muss leicht verständlich sein – Übersichtlichkeit und ein-deutige Element- und Beziehungsbezeichnungen sind dazu erforderlich.

Z4: Die Risiken durch Abhängigkeiten zwischen Systemelementen kenntlich machen. Auswirkungen bei Veränderung einer Komponente auf andere Kom-ponenten müssen abgeleitet werden, z. B. der Austausch oder die Aktualisie-rung von Hard- oder Software und deren Auswirkungen auf andere Systemele-mente.

Z5: Die Planung von Kapazitäten für bereitzustellende Ressourcen unterstüt-zen. Ressourcenaufwände, z. B. in Form von Personenstunden, müssen im Mo-dell abgebildet werden können.

2.4 Life Cycle Modeling Language (LML)

Ein Vergleich von Modellierungsansätzen für Dienstleistungen aus verschiedenen Disziplinen zeigte, dass insbesondere die Modellierung hybrider Produkte sowie die Abbildung von Lebenszyklen nur sehr begrenzt unterstützt wurden (Hoffmann et al. 2009). Einige grundsätzlich verwendbare Modelltypen, die auch im Kontext der Dienstleistungsmodellierung eingesetzt werden können, sind in (Scheer et al. 2006) beschrieben. Speziellere Ansätze, die zur Beschreibung von Prozessen ver-wendet werden, finden sich z. B. in (Gronau et al. 2010; Meis et al. 2010; Becker und Klingner 2013).

Ein in der wissenschaftlichen Literatur noch nicht diskutierter Ansatz, die le-benszyklusweiten Beziehungen zwischen den Bestandteilen eines Smart Service abzubilden, ist der Einsatz der Modellierungssprache LML (Lifecycle Modeling Language). LML ist eine aus der Entwicklungspraxis motivierte Modellierungs-sprache, die sich an etablierten Sprachen, wie SysML und Entwicklungsleitfäden wie dem DoDAF, orientiert (LML Steering Committee 2015). Die Spezifikation von LML folgt dem Ansatz des „Model-Based Systems Engineering“ (vgl. Object

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Modellierung der Lebenszyklen von Smart Services 241

Management Group 2015). Um die kooperative, interdisziplinäre Arbeit in der Systementwicklung zu unterstützen, wurde bei der Erstellung der Sprache auf eine eindeutige Bezeichnung der Beziehungen zwischen den Teilen eines Modells ge-achtet. Hierzu liefert LML eine Ontologie, in der verschiedene Modellelement-klassen und deren Beziehungen abgebildet sind. Ein exemplarischer Ausschnitt der LML-Ontologie ist in Abb. 2 dargestellt.

Abb. 2. Beispiele für Elementklassen und deren Beziehungen (LML Steering Committee 2015)

Insgesamt sind in der Ontologie zwölf wesentliche Elementklassen enthalten. Jede dieser Klassen steht zu den übrigen in einer Beziehung. LML unterstützt wei-terhin das Prinzip der Vererbung. Dies bedeutet, dass manche Klassen aus anderen abgeleitet sind, beispielsweise ist eine „Resource“ aus einem „Asset“ abgeleitet. Die LML-Ontologie wird durch verhaltensbezogene und strukturbezogene Dar-stellungsmethoden unterstützt, wie beispielsweise Aktivitätsdiagramme (wie ver-hält sich das System) und Hierarchiedarstellungen (wie stehen Systemsteile zuei-nander). Um zu zeigen, dass LML keine gänzlich neue Sprache ist, sind die Ge-meinsamkeiten zwischen SysML und LML in Abb. 3 dargestellt.

Abb. 3. Vergleich zwischen SysML und LML (LML Steering Committee 2015)

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3 Fallbeispiel „Verbrauchsmaterial für 3D-Drucker“

3.1 Beschreibung und Einordnung des Szenarios

In diesem Abschnitt wird ein Smart Service für die Bereitstellung von Ver-brauchsmaterial von 3D-Druckern vorgestellt sowie die zu berücksichtigenden Komponenten und ihre Lebenszyklen identifiziert.

3D-Drucker

In der Fertigungstechnik hat in den letzten Jahren die additive Fertigung von Pro-dukten ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erzeugt. Additive Fertigungsverfahren sind bereits seit vielen Jahren im Bereich des Prototypenbaus im Einsatz. Im Be-reich privat gebräuchlicher 3D-Drucker findet vor allem die „Fused Filament Fabrication“ (FFF) Technologie eine Anwendung – so auch im Open Source 3-D Drucker „RepRap“ (RepRap Project 2014). Grundlage der FFF ist ein beheizter Druckkopf der feste Materialien, wie beispielsweise thermoplastische Kunststoffe, aufschmilzt. Mit Hilfe einer beweglichen Rahmenstruktur kann der Druckkopf in alle drei Raumrichtungen verfahren werden. Einmal aufgetragen, härtet das flüssi-ge Material aus und bildet Schicht für Schicht den zu fertigenden Körper. Im Fol-genden wird der Begriff 3D-Drucker als Synonym für FFF-basierte Drucker ge-nutzt.

Verbrauchsmaterialbereitstellung bei 3D-Druckern

Ähnlich den konventionellen Papierdruckern benötigt ein 3D-Drucker einen steti-gen Vorrat an Druckmaterial. Dieser wird typischerweise in Form eines auf einer Spule aufgerollten Kunststoffdrahts bereitgestellt. Je nach Druckertyp können ein oder mehrere Rollen des Verbrauchsmaterials gleichzeitig im Drucker bevorratet werden (z. B. unterschiedliche Farben oder zusätzliches, wasserlösliches Material für Stützstrukturen). Die Bereitstellung von Druckmaterial für 3D-Drucker ist eine der möglichen Dienstleistungen, die Hersteller von Druckern (oder separate Dienstleister) ihren Kunden anbieten können. Andere Dienstleistungen sind die Bereitstellung und Wartung des Gerätes sowie die Durchführung von Anwen-dungstrainings (vgl. dazu Hagl 2015).

Noch weiter gehen komplette Dienstleistungsangebote bei denen Kunden ledig-lich die Spezifikationen des zu druckenden Teils an den Dienstleistungsanbieter weitergeben (vgl. beispielsweise Sculpteo 2015). In anderen Fällen verkaufen An-bieter Spezifikationen in Form von vorhandenen 3D Modellen – der Kunde wählt dabei ein Modell aus und erhält das zugehörige Produkt.

Ein Dienst der sowohl für Besitzer von privaten 3D-Druckern als auch für pro-fessionelle Dienstleistungsanbieter in Frage kommt, ist die automatisierte Bereit-stellung von Druckmaterial. Mit Blick auf das Thema dieser Veröffentlichung, ist die Materialbereitstellung eine Dienstleistung an der, neben dem Kunden und dem

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Dienstanbieter (Betreiber), auch andere Unternehmen beteiligt sind (z. B. Lo-gistikdienstleister und Entsorger verbrauchter Spulen). Damit handelt es sich um eine zustandsüberwachende Dienstleistung, deren Aufbau die Existenz von unter-scheidbaren Produktinstanzen, relevante Zustandseigenschaften sowie Zielberei-che für diese Eigenschaften erfordert (Knoke und Thoben 2014). Grundlage der Dienstleistung ist der Vertragsschluss zwischen Kunde und Betreiber des Diens-tes, in dem die technischen Voraussetzungen, Leistung, Fristen und Abrechnungs-bedingungen festgehalten sind. Im Anschluss muss der 3D-Drucker softwaretech-nisch an das Bestellsystem des Betreibers angeschlossen und als neue Produktin-stanz registriert werden. Dazu wird entsprechend des beschriebenen Aufbaus von Smart Services eine Softwareplattform eingesetzt. Auf dieser Grundlage kann der Zustand „Restmenge Druckmaterial“ vom Drucker abgefragt und zur Überwa-chung an die Plattform des Betreibers übermittelt werden.

Die eigentliche Erbringung der Dienstleistung läuft ebenfalls entsprechend der Vorschläge von Knoke und Thoben wie folgt ab: Kundenseitig wird durch den 3D-Drucker automatisiert ein Bestellauftrag ausgelöst, wenn der Zustand „Rest-menge“ unter einen Schwellwert von z. B. 10 % fällt. Je nach Konfiguration ist ei-ne Bestätigung des Auftrags durch den Kunden erforderlich. Nach Auftragsein-gang beim Betreiber müssen Verbrauchsmaterialien beschafft werden. Dies kann beispielsweise bei einem Großhändler für Kunststoffe oder einem Kunststoffher-steller erfolgen. Die eingekauften Materialien sind dann über einen Logistikdienst-leister an den Kunden auszuliefern. Die Bereitstellung von Verbrauchsmaterial kann zusätzlich mit der Verpflichtung verbunden sein die nicht mehr benötigten Materialträger (z. B. Rollen für Kunststoffdraht) zurückzunehmen. Dazu können beispielsweise Annahmestellen vereinbart oder ein Rückversand über einen Lo-gistikdienstleister realisiert werden. Die Abrechnung ist wiederum vom gewählten Preismodell abhängig. Im beschriebenen Beispiel sind sowohl Einzelbestellung und -abrechnung als auch Abonnements denkbar. Beide Varianten sind bei ver-gleichbaren Angeboten von Druckerherstellern wie Xerox (Xerox Corp. 2016) und HP (HP Deutschland 2016) bereits praktisch in Anwendung.

3.2 LML-Modell des Smart Service

Vorgehen bei der Modellierung

Ziel des Modells ist die Beschreibung der Beziehungen zwischen den Elementen des vorgestellten Smart Service. Dabei steht nicht die formal korrekte Modellie-rung im Vordergrund, sondern die Bewertung der Lebenszyklusmodellierung an-hand der in Abschnitt 2.3 aufgestellten Ziele. Zur Unterstützung der Modellierung wurde das Werkzeug Innoslate (SPEC Innovations 2016) verwendet, das neben SysML auch die LML Spezifikation berücksichtigt. Die Modellierung von Le-benszyklen am Beispiel des Verbrauchsmaterialdienstes erfolgt durch die Ablei-tung spezifischer Elemente aus den Elementklassen der LML-Ontologie. Die zu-gehörigen Beziehungen werden durch das Modellierungswerkzeug automatisch

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gemäß der LML-Spezifikation erzeugt. Zur Visualisierung der Elemente werden Aktivitätsdiagramme und Graphen verwendet. Die Bezeichnung „Graph“ wird da-bei statt des in LML verwendeten „Spider Diagram“ verwendet. Spinnennetzdia-gramme haben typischerweise einen anderen Aufbau und eine andere Bedeutung als der in der LML-Spezifikation benannte Diagrammtyp.

Schritt 1 – Stakeholder bestimmen und deren Beziehungen festlegen

Als erster Schritt der Erstellung eines Lebenszyklusmodells wurden relevante Sta-keholder identifiziert (ähnlich den Perspektiven bei einem Service Blueprint). Auf diese Weise wird dem Modell ein erster Rahmen gegeben, der im Weiteren detail-liert werden kann. Die Anzahl der zu betrachtenden Stakeholder hängt von der Be-trachtungstiefe der Modellierung ab. In diesem Paper soll nicht gezeigt werden, wie eine Dienstleistung möglichst umfassend beschrieben werden kann. Aus die-sem Grund wurde eine kleine Zahl an Stakeholdern berücksichtigt. Grundsätzlich ermöglicht die Auswahl der Stakeholder eine erste Berücksichtigung des Lebens-zyklus, d. h. Stakeholder aus unterschiedlichen Phasen des Lebenszyklus sollten bedacht werden (wobei letztlich nicht alle tatsächlich modelliert werden müssen).

Neben der Betrachtung von Stakeholdern wurden auch erste Beziehungen be-rücksichtigt. Beziehungen sind dabei als Informations- und Materialaustausch zwischen Stakeholdern zu verstehen (Geldströme werden dabei als Informationen betrachtet). Eine Übersicht über die in diesem Beispiel betrachteten Stakeholder und deren Beziehungen ist in Abb. 4 gegeben.

Abb. 4. Übersicht über Stakeholder und wichtige Beziehungen

Neben dem Kunden, der im Zentrum der Dienstleistung steht, werden drei Un-ternehmen betrachtet. Der Dienstleistungsanbieter kommuniziert dabei direkt mit dem Kunden und ermittelt, ob ein konkreter Bedarf an Verbrauchsmaterial be-steht. Der Anbieter gibt die Bedarfsmeldung an einen Großhändler für Kunststoffe weiter, der wiederum einen Logistikdienstleister informiert. Der Logistikdienst-

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leister erhält das gewünschte Material vom Großhändler und liefert es an den Kunden aus. Bei Anlieferung werden verbrauchte Materialrollen vom Kunden an den Logistikdienstleister übergeben – dieser gibt sie letztlich an den Großhändler zurück. Der Betrachtungsfall der Rückgabe ist nicht weitergehend modelliert wor-den.

Schritt 2 – Modellierung auf Basis der LML-Ontologie.

Ausgehend vom in Abb. 4 dargestellten Netzwerk aus Stakeholdern wurden einige Bestandteile der Dienstleistung genauer modelliert. In dieser Publikation werden zwei Formen von Elementen unterschieden:

a) Physische, softwarebasierte und abstrakte Elemente b) Lebenszyklusphasen und Prozesse/Aktivitäten

Eine Übersicht der wesentlichen Bestandteile des modellierten Smart Service liefert Tabelle 3. Lebenszyklusphasen und Prozesse sind in der Tabelle nicht ent-halten.

Tabelle 3. Wesentliche Bestandteile im Modell des Smart Services

Bezeichnung Form Anmerkung 3D-Drucker Abstrakt Fasst Hardware und Software zusammen 3D-Drucker – Hardware Physisch Struktur, Mechanik und Elektronik 3D-Drucker – Software Software Datenverarbeitung Druckmaterial Abstrakt Fasst Spule und Kunststoffdraht zusammen Spule Physisch Träger für den Kunststoffdraht Kunststoffdraht Physisch Verbrauchsmaterial im eigentlichen Sinne Betreiberplattform Software Software des Dienstbetreibers

Neben physischen und softwarebasierten Bestandteilen sind im Rahmen der Modellierung auch abstrakte Elemente definiert. Diese dienen dazu unterschiedli-che Detaillierungsgrade in Form von Modellebenen zu realisieren. Die oberste Ebene stellt dabei der Lebenszyklus des Smart Service dar (vgl. Abb. 5).

Der modellierte Lebenszyklus besteht aus den drei Phasen BOL, MOL und EOL. Die Entwicklungsphase des Smart Service erzeugt einen 3D-Drucker, der in der Lage ist, den Materialverbrauch zu bestimmen und zu kommunizieren. Wei-terhin wird eine Serviceplattform entwickelt, über die Teile des Dienstes abgewi-ckelt werden (z. B. Rechnungserstellung). Aus der Betriebsphase des Service wer-den Daten zurück in die Entwicklung geführt, um dort für die Weiterentwicklung des Smart Service genutzt zu werden.

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Abb. 5. Darstellung des Lebenszyklus als oberste Modellebene

Die ersten beiden Phasen der obersten Modellebene sind weiter detailliert (mit „decomposed“ gekennzeichnet). Unterhalb der BOL und MOL Phasen befinden sich weitere Modellebenen mit Prozessen sowie In- und Outputs. Zwei unterhalb der MOL Phase abgebildete Modellebenen sind in Abb. 6 dargestellt. Die Benen-nung der untergeordneten Aktivitäten beinhaltet den Namen der Lebenszykluspha-se sowie eine laufende Nummer (oben links in jeder Box). Inputs/Outputs und an-dere LML-Elementklassen sind nicht gesondert hervorgehoben.

Abb. 6. Beispiele für Aktivitäten auf unterschiedlichen Modellschichten

Graphen (auf Basis der LML-Ontologie) veranschaulichen die Beziehungen zwischen den modellierten Elementen; die Beziehungen sind durch die LML-Ontologie vorgegeben. Wird beispielsweise die Elementklasse „Action“ mit einem Element der Klasse Input/Output verbunden, besteht zwischen den Elementen die Beziehung „generates“ beziehungsweise deren Inverse „generated by“. Ein Bei-spiel für einen einfachen Graphen ist in Abb. 7 dargestellt.

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Abb. 7. Beispiel eines Graphen für den Input/Output „Zahlung“

Eine Schwierigkeit bei der Visualisierung mittels Graphen ist die wachsende Komplexität sofern mehr als nur die direkten Nachbarn eines Elements betrachtet werden. Abb. 8 zeigt das gleiche Beispiel für den Input/Output „Zahlung“ mit Nachbarelementen zweiten Grades. Der komplette Graph zum Modell repräsen-tiert die Gesamtheit der einzelnen Modellierungsebenen. Um sinnvoll mit einem LML-Graphen zu arbeiten, müssen relevante Teilbereiche herausgefiltert werden.

Abb. 8. Erweitertes Beispiel eines Graphen für den Input/Output „Zahlung“

Lebensphasenübergreifende Beziehungen sind im Modell nur für einen Fall ab-gebildet: Der Materialstand des Druckers wird während der Betriebsphase des Service erzeugt und zurück in die Service Entwicklung geleitet (zusammen mit den Kundendaten und den getätigten Bestellungen für Verbrauchsmaterial). Mit den gewonnenen Informationen kann der Service, auf allgemeiner Ebene oder speziell auf einen Kunden bezogen, verbessert werden.

Ein Beispiel für eine mögliche datenbasierte Verbesserung stellt dabei die Verwendung des Materialstandes zur Dimensionierung des Druckmaterialspei-chers dar. Diese könnte beispielsweise auf Basis eines parametrisierten CAD-Modells des Druckers erfolgen. Einen Design-Ansatz hierzu liefern Klein et al. (2015). Ein anderes Beispiel ist die Anpassung des Smart Service hinsichtlich der zu leistenden Logistik. Aufgrund von Kundendaten und Bestellmengen können zusätzliche (ortsnahe) Zwischenhändler ausgewählt werden. Damit können die Lieferzeiten des Verbrauchsmaterials entsprechend reduziert werden.

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Vorteilhaft an der Darstellung dieser Verbesserung ist, dass die Rolle des Lo-gistikers (und die Optimierung dahingehender Prozesse) bereits im Entwurf des Smart Service berücksichtigt werden kann. Den anfallenden Druckerdaten wird somit bereits in der Entstehungsphase des Smart Service eine Bedeutung/ein Wert zugeordnet. Abb. 9 zeigt, wie die Verwendung von Nutzungsdaten in der Entwick-lung des Smart Service modelliert wurde.

Abb. 9. Model des der Verwendung von Nutzungsinformationen in der Weiterentwicklung

Der Umfang des Modells und einige weitere Merkmale sind in Tabelle 4 zu-sammengefasst.

Tabelle 4. Merkmale des modellierten Smart Service

Merkmal Ausprägung Anzahl Modellelemente 57 insgesamt: 31 Actions, 7 Assets, 19 Inputs/Outputs (ent-

sprechend der LML-Ontologie) Anzahl Abstraktionsebenen

Maximal 5 Ebenen (z. B. Smart Service Betrieb > Kunden-prozesse abwickeln > Drucker verwenden > Hardwarebe-zogene Funktionen ausführen > Objekt drucken)

Gestaltung der Aktivitätsdiagramme

Maximal 3 Prozesse in Aktivitätsdiagrammen verwendet, andernfalls wurde eine neue Abstraktionsebene erstellt.

Verwendete Arten von Flüssen zwischen Prozessen

Elektronische und Analoge Informationen (z. B. Sensorda-ten, Lieferschein), Material (z. B. Verbrauchsmaterial, leere Spulen), Geld (Zahlung für Service)

4 Diskussion und Bewertung des Modellierungsansatzes

In diesem Abschnitt wird der in diesem Papier gewählte Ansatz der Modellierung von Lebenszyklen diskutiert und abschließend bewertet. Die ursprünglich formu-

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lierte These dieser Arbeit wird noch einmal überprüft – wesentliche Annahme zum Nutzen einer Lebenszyklusmodellierung ist die verbesserte Identifikation von Risiken durch Abbildung von Abhängigkeiten zwischen den Dienstleistungsele-menten.

Als Ausgangspunkt der Bewertung stehen dabei die im Vorfeld aufgeführten Vorarbeiten (Quellen) und der beispielhaft modellierte Dienst zur Verfügung. Die Diskussion gliedert sich dabei so, dass unterschiedliche Perspektiven während der Entwicklung eines Smart Service eingenommen werden. Diese Perspektiven sind mit Rollen verbunden, die sich innerhalb und außerhalb der entwickelnden Orga-nisation befinden (vgl. Tabelle 2). Welche Rollen im Speziellen behandelt werden sollten kann in dieser Diskussion nicht ausführlich behandelt werden, da ein fikti-ves Beispiel ohne vorgegebenen organisationalen Kontext modelliert wurde. Die Beiträge zur Bestätigung/Widerlegung der Ausgangsthese sind mit eckigen Klammern gekennzeichnet.

Marketing und Produktmanagement

Eines der wesentlichen Informationsbedürfnisse ist die Ermittlung und Dokumen-tation der Kundenbedürfnisse. Vor diesem Hintergrund ist das Aktivitätsdiagramm für das Marketing weniger geeignet, da es keine Anforderungen beschreibt. Der Graph ist hingegen so konzipiert, das mit ihm Anforderungen (eine LML-Elementklasse) und Dienstleistungsbestandteile zurückverfolgt werden können („traceability“). Aufgrund der Beziehungen zwischen den Entitäten des Modells können Auswirkungen von Änderungen an Anforderungen verdeutlicht werden – konkrete Risiken (z. B. fehlende oder fehlerhafte Anforderungen) werden damit jedoch nicht aufgedeckt. [bestätigt These nicht]

Entwicklung/Architekt

Das Entwickeln des Smart Services ist mit dem Gestalten von Hard- und Software verbunden. Aktivitätsdiagramme können hierbei helfen Daten-, Material-, Ener-gie- und Geldströme transparent zu machen. Dies hilft Risiken (eine LML-Elementklasse) zu identifizieren die, beispielsweise beim Ausfall der Sensorik in der Druckerhardware auftreten (z. B. lösen Verbrauchsdaten die Eingangsbestel-lung beim Betreiber aus). Auf identifizierte Schwachstellen kann zu einem späte-ren Zeitpunkt der Entwicklung gesondert eingegangen werden, beispielsweise in-dem die Betreiberplattform Schätzwerte auf Basis historischer Daten nutzt und gleichzeitig den Kunden über das Fehlen von Verbrauchsdaten informiert. Der Graph liefert der Entwicklung wichtige Anhaltspunkte wie sich Änderungen an der Dienstleistung bzw. am Produkt auswirken können. Aufgrund der hohen Komplexität der Graphen (viele Elemente und Beziehungen) sind computerunter-stützte Analyseverfahren sinnvoll. [bestätigt These]

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Finanzen

Die Abwicklung des modellierten Smart Service erfordert die Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen. Zwischen diesen Unternehmen werden Waren gegen Geld getauscht, d. h. das Betreiberunternehmen muss finanzielle Mittel aufwenden um den Dienst aufrechtzuerhalten. Für eine erste Abschätzung der finanziellen Risi-ken eines Smart Service ist die generelle Kenntnis darüber hilfreich, welche Geld-flüsse geplant sind. Genauere Betrachtungen erfordern die Quantifizierung der Geldflüsse, was im vorliegenden Beispiel nicht erfolgt. Grundsätzlich bietet LML aber über Attribute die Möglichkeit genauere Angaben zu Inputs/Outputs zu hin-terlegen (z. B. Einheit und Wert). [bestätigt These teilweise]

Einkauf

Die Beschaffung erfolgt im vorliegenden Beispiel insofern, als das der Betreiber eine vereinbarte Bestellmenge an Verbrauchsmaterial liefert, sobald der Füllstand eines 3D-Druckers unter einen definierten Schwellwert fällt. Da dieser Wert bei jedem Kunden anders definiert sein kann, erhält der Einkauf keine aktuellen In-formationen aus dem Lebenszyklusmodell (statisches Modell). Die Länge der Lie-ferkette beziehungsweise die Anzahl der an der Beschaffung beteiligten Stakehol-der kann jedoch über das Modell abgebildet werden. Damit kann eine grobe Ein-schätzung von Risiken vorgenommen werden (z. B. wie wahrscheinlich Verzöge-rungen bei der Auslieferung sein könnten). [bestätigt These teilweise]

Logistik

In einem Lebenszyklusmodell kann grundsätzlich auch eine Lieferkette abgebildet werden (als Entitäten zwischen denen Material getauscht wird). Die generelle Charakteristik, d. h. wie lang eine Lieferkette ist und wie Bestellungen für einen Transport ausgelöst werden, kann anhand des Beispiels bereits transparent nach-vollzogen werden. Weitergehende Betrachtungen erfordern beispielsweise genau-ere Angaben zu Liefermengen und zu Orten (Abhol- und Lieferort). Diese Infor-mationen können grundsätzlich über LML abgebildet werden (Attribute und Ort-Entität). Angaben über tatsächliche Bestellmengen und -zeiten sowie Orte variie-ren jedoch insbesondere bei den Kunden. Diese dynamischen Vorgänge können mit LML nicht abgebildet werden. [bestätigt These teilweise]

Der Modellierungsansatz wird mit den Zielen aus Abschnitt 3 evaluiert:

Z1: Die Konzeption einer produktnahen Dienstleistung unterstützen. Die ein-heitlichen Beschreibungs- und Ausdrucksformen von LML sowie die Anleh-nung an SysML sollen den an der Konzeption beteiligten Stakeholdern einen leichten Zugang zum Modell liefern. Weitergehende Analysen können die klar definierten Arten von Modellelementen wiederverwenden; dies ist beispiels-weise im Rahmen einer Lebenszykluskostenbetrachtung denkbar. [Ziel erfüllt]

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Z2: Die Komplexität veranschaulichen und damit ihre Handhabung verbessern. Die Spezifikation von LML liefert in der Version 1.0 bereits zwölf Entitäten und die zugehörigen Beziehungen. Zwar wurden im vorliegenden Beispiel nur wenige Elemente der Sprache tatsächlich verwendet, jedoch zeigt die vorherige Diskussion aus Sicht unterschiedlicher Rollen, dass andere Elemente von LML sinnvoll verwendet werden können (z. B. die Kosten-Entität). Für den Fall, dass die Entitäten die Komplexität einer Dienstleistung nicht ausreichend abbilden, kann die Sprache durch Ableiten neuer Entitäten auf Basis bereits vorhandener erweitert werden. Gleiches gilt für die Beziehungen zwischen den Elementen. [Ziel erfüllt]

Z3: Eine Beurteilung des Servicekonzepts für verschiedene Stakeholder ermög-lichen. Die Beurteilung eines Servicekonzeptes kann aus unterschiedlichen Per-spektiven erfolgen (z. B. finanziell, technisch, logistisch und ökologisch). Je nach Perspektive sind dem Modell andere Entitäten hinzuzufügen, beispiels-weise Kosten-Entitäten im Fall der Finanzabteilung. Ein Schwachpunkt des Modells ist der Umgang mit dynamischen Größen, d. h. Größen die sich über die Zeit ändern. Diese können bisher nicht mit LML abgebildet werden – ein Lebenszyklusmodell ist zunächst statisch. Durch Softwarelösungen könnten die Attribute von Entitäten jedoch dynamisch angepasst werden, z. B. indem ein Attribut mit aktuellen Messwerten belegt wird. Auf diese Weise könnte ein Le-benszyklusmodell auch zur Beurteilung der aktuellen Situation einer Dienstleis-tung herangezogen werden – im Gegensatz zur statischen Beurteilung während der Planungsphase. [Ziel teilweise erfüllt]

Z4: Die Risiken durch Abhängigkeiten zwischen Systemelementen kenntlich machen. Grundsätzlich können mit LML Risiken über eine eigene Element-klasse abgebildet werden. Ob alle potenziellen Risiken dabei modellierbar sind ist unklar. Einige Risiken, die einen Smart Service betreffen, sind abhängig da-von in welcher Lebenszyklusphase sich Dienstleistungskomponenten befinden. Für das vorliegende Beispiel wurden keine sinnvollen zeitbezogenen Risiken identifiziert. In anderen Fällen, bei komplexeren Smart Services, könnte bei-spielsweise die Abschaltung eines Dienstleistungsbestandteils (EOL Phase) da-zu führen, dass ein anderer Bestandteil ebenfalls nicht mehr funktionsfähig ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn zwei oder mehr Dienste auf die glei-che Informationsquelle zugreifen. Zeitbezogen ist dieser beispielhafte Fehler deshalb, weil er nur dann von Bedeutung ist, wenn der eine Bestandteil der Dienstleistung in seiner EOL Phase und der andere in seiner MOL Phase ist. [Ziel teilweise erfüllt]

Z5: Die Planung von Kapazitäten für bereitzustellende Ressourcen unterstüt-zen. Ressourcenplanung und das Identifizieren von Ressourcenengpässen kön-nen in LML durch die Modellierung mittels Ressourcen-Entität unterstützt werden. Für die Modellierung der beispielhaften Dienstleistung wurde auf diese Möglichkeit verzichtet, um das Modell einfach zu halten. Ressourcen stellen

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auch eine Schwierigkeit bei der Modellierung dar, da sie nur erzeugt, ver-braucht oder verwendet werden können. Das Verbrauchsmaterial kann als Res-source modelliert werden, die vom Großhändler erzeugt wird (was nicht ganz korrekt ist, da dieser den Kunststoff nicht herstellt). Das Material wird durch den Druckprozess vom 3D-Drucker verbraucht. Problematisch ist die Modellie-rung der Ressource „Verbrauchsmaterial“ während des Transports vom Händ-ler zum Kunden – die Ressource wird dabei nicht verbraucht, aber auch nicht verwendet. Die Beschreibung von Ressourcen ist in LML, bezogen auf die Le-benszyklusmodellierung von Smart Services, nicht intuitiv. [Ziel nicht erfüllt]

Die Bewertung mit Bezug auf das modellierte Beispiel sowie die verwendete Modellierungsumgebung (Innoslate) ist in Tabelle 5 zusammenfassend dargestellt. Bei der Interpretation ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nur ein Beispiel modelliert wurde (ohne konkreten organisationalen Kontext) und die software-technische Unterstützung von LML noch verbesserungswürdig ist (Modellierungs-umgebung).

Tabelle 5. Zusammenfassung der Bewertung

Ziel der Modellierung Bewertung Z1: Konzeption unterstützen erfüllt Z2: Komplexität veranschaulichen erfüllt Z3: Beurteilung des Servicekonzepts teilweise erfüllt Z4: Risiken erkennen teilweise erfüllt Z5: Planung von Kapazitäten unterstützen nicht erfüllt

5 Fazit und Ausblick

Eine Bewertung der Modellierung von Lebenszyklen eines Smart Service mit der Modellierungssprache LML konnte in diesem Beitrag nicht eindeutig als sinnvoll nachgewiesen werden. Die vorab formulierte These sowie die fünf Modellierungs-ziele wurden aus Sicht der Autoren sehr unterschiedlich bewertet. Als ein Schwachpunkt der Modellierung wurde der statische Charakter des Modells iden-tifiziert. Wobei sich generell die Frage stellt, ob ein Lebenszyklusmodell grund-sätzlich eher statisch oder eher dynamisch angelegt sein sollte.

Ein weiterer Punkt, der bei der Modellierung von den Autoren als schwierig empfunden wurde, ist der notwendige Detaillierungsgrad des Modells. Grundsätz-lich hat ein Lebenszyklusmodell den Anspruch den Lebenszyklus (d. h. mehrere Prozesse/Phasen) abzubilden. Bis zu welcher Tiefe dies erfolgen soll, ist bisher in der Literatur nicht weitergehend behandelt – die Antwort hängt dabei vermutlich vom organisationalen Kontext ab, der in dieser Arbeit aufgrund des fiktiven Bei-spiels fehlte. Anzumerken ist außerdem, dass die Modellierung des Beispieldiens-tes bereits nach kurzer Zeit schnell an Komplexität zunimmt. Für jede neue Entität kommen zusätzliche Inputs/Outputs und Beziehungen zu anderen Entitäten hinzu

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Modellierung der Lebenszyklen von Smart Services 253

– insbesondere die Graphendarstellung wird damit schnell unübersichtlich. Hier können Filter eine sinnvolle Methode sein, um die Darstellung für einzelne Stake-holder anzupassen und die Komplexität handhabbar zu machen. Andererseits könnte so ein Vorteil der Lebenszyklusmodellierung verloren gehen: Probleme mit der Dienstleistung könnten gerade dann identifiziert werden, wenn ein Stake-holder Wechselwirkungen bei einem ihn nicht unmittelbar betreffenden Dienst-leistungsbestandteil erkennt, die anderen Rollen bisher verborgen waren (z. B. fi-nanzielle oder umweltbezogene Risiken).

Insgesamt ist die Sprache LML als vielversprechend für die Modellierung von Lebenszyklen anzusehen, auch wenn einige Aspekte noch unklar sind. Ein Vorteil besteht in der Möglichkeit, die Modelle über die Planungsphase hinaus mit Er-kenntnissen aus dem Betrieb des Smart Service weiterzuentwickeln und zu verfei-nern. Im Weiteren sollten die Möglichkeiten der Sprache weiter untersucht wer-den, was auch die Anpassung der Sprache hinsichtlich der Modellierung von Le-benszyklen für Smart Services betrifft.

Um weitere Erkenntnisse über die Modellierung von Lebenszyklen zu gewin-nen, sollten verschiedene reale Fälle abgebildet werden – Referenzmodelle sind dabei zu vermeiden, da diese kaum in der Lage sind den reichhaltigen Kontext ei-ner Modellierungsaufgabe zu erfassen. Interessant könnte dabei der Einsatz von Action-based Research als Methodik sein, um zu ermitteln, wie die Stakeholder das Modell entwickeln und nutzen. Dies kann die Grundlage für die Erarbeitung von Best-Practices für die Modellierung dienen, um neuen Nutzern von LML eine Orientierung für Strukturierung und Detaillierungsgrad von Modellen zu liefern.

Ein anderes Thema für die weitere Forschung wäre die Untersuchung der Mo-dellierung von item-level Modellen, d. h. der Erzeugung und Verwaltung einzelner Serviceinstanzen. Diese könnten für das Management einzelner Kunden möglich-erweise deutlich konkretere Planungs- und Steuerungsgrundlagen bieten, sind je-doch mit hohem Wartungsaufwand verbunden.

Anmerkung. Ein Teil dieses Beitrags wurde im Rahmen des Forschungsprojektes Manu-telligence (Grant Nr. 636951) durch die EU gefördert.

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Teil IV: Mobility Servitization –

Potenziale neuer Geschäftsmodelle

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität

Katja Laurischkat, Daniel Jandt und Arne Viertelhausen

Welche Geschäftsmodelle können die Elektromobilität massenmarktfähig machen? Geschäftsmodelle sind der Schlüsselfaktor, um den ökonomischen Wert von tech-nologischen Innovationen zu erschließen. Hierbei gilt es im Hinblick auf das adressierte Kundensegment die technologisch bedingten Treiber zu nutzen und Hemmnisse abzubauen. Mit dem übergeordneten Ziel derartige Geschäftsmodelle systematisch zu entwickeln, wird zum einen literaturbasiert ein Rahmenwerk abge-leitet, welches der Erfassung und Analyse elektromobilitätsspezifischer Ge-schäftsmodelle dient. Zum anderen werden auf Basis dieses Rahmenwerks Exper-teninterviews mit Unternehmen geführt, welche bereits erfolgreich im Feld der Elektromobilität tätig sind. Hierbei zeigt sich, dass bereits vielversprechende dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle existieren, welche Elektromobilität in attraktive Marktangebote überführen. Diese Geschäftsmodelle haben es derzeit jedoch noch nicht geschafft, den Massenmarkt zu erschließen. Daher werden die bestehenden Geschäftsmodelle zu fünf Idealtypen abstrahiert um zu prüfen, inwie-fern diese die technologiebedingten und kundenspezifischen Treiber und Hemm-nisse adressieren. Aus dieser Analyse werden bislang ungenutzte Potenziale deut-lich. Anhand eines Beispiels wird abschließend aufgezeigt, wie ein Potenzial für eine Geschäftsmodellinnovation anhand des Rahmenwerks genutzt werden kann. Zusammenfassend stellt die vorliegende Analyse des Schrifttums und der im Markt befindlichen Geschäftsmodelle Wissenschaftlern und Praktikern einen Ausgangs-punkt bereit, um massenmarktfähige Geschäftsmodelle für die Elektromobilität zu entwickeln.

1 Einleitung und Motivation

Der erste Abschnitt gibt zunächst einen Überblick über die derzeitige Situation des Elektromobilitätsmarktes in Deutschland. Anschließend werden Treiber und Hemmnisse für den erfolgreichen Markthochlauf der Elektromobilität identifiziert. Schlussendlich wird der in diesem Beitrag verfolgte Lösungsansatz erläutert, wel-cher als Basis für die Entwicklung massenmarktfähiger Geschäftsmodelle für die Elektromobilität dient.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_12

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität 259

1.1 Elektromobilität in Deutschland

Das Ziel der deutschen Bundesregierung ist es, dass Deutschland zum Leitmarkt und Leitanbieter von Elektromobilität wird (NPE 2014a). So zeigt eine Betrach-tung des derzeitigen Elektromobilitätsmarktes in Deutschland bereits eine Vielzahl an unterschiedlichen Ansätzen, durch welche Elektromobilität in Form von attrak-tiven Nutzenversprechen dem Kunden angeboten wird.

Als ein Beispiel hält BMW i mit dem Rundumservice für Elektromobilität „360° ELECTRIC“ für seine Kunden ein umfangreiches Angebot bereit, welches neben dem BMW i3 als Kernprodukt auch eine Wallbox, eine Photovoltaikanlage und den Zugang zu öffentlicher Ladeinfrastruktur beinhaltet. Eine derartige Ge-samtlösung bietet ebenfalls der US-amerikanische Autohersteller Tesla Motors mit seinem Model S und dem bestehenden Netz an Schnellladesäulen an (Tesla 2015). Komplettiert wird dessen Mobilitätslösung ebenfalls durch eine Wallbox und ei-nen zusätzlichen Stromspeicher, durch welchen die Synergien einer Photovoltaik-anlage und eines Elektrofahrzeugs optimal genutzt werden können. Auch Porsche setzt mit seiner „Mission E“ ein klares Zeichen in Richtung der Elektromobilität. So soll Ende dieses Jahrzehnts ein rein elektrisch angetriebenes Modell auf den Markt kommen (Porsche 2015).

Neben den konventionellen Kauf- und Leasingangeboten der Automobilherstel-ler werden zunehmend auch Carsharing Angebote mit Elektrofahrzeugen angebo-ten. Ein Anbieter von elektromobilem Carsharing ist Drive Carsharing, welches ein breites Spektrum an Elektrofahrzeugen unterschiedlicher Hersteller zur Kurz-zeitmiete anbietet. Zudem befinden sich auch in der car2go-Flotte der Daimler AG rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge im Einsatz.

Neben diesen Mobilitätsanbietern haben auch Energieversorger bereits mit elektromobilitätsspezifischen Geschäftsmodellen auf die aufkommende Technolo-gie reagiert. So hat das Stadtwerkenetzwerk Trianel ein Modell für das Contrac-ting von Ladesäulen ausgearbeitet, welches das Betreiben von Ladesäulen attrak-tiver gestalten soll. Auch der Energieversorger WEMAG hat durch eine Partner-schaft mit dem Elektroautopionier Karabag unter dem Namen „ReeVOLT!“ einen Schritt in Richtung der Elektromobilität gemacht. Dieses Unternehmen verknüpft Elektrofahrzeuge, Photovoltaikanlagen und Stromspeicher.

Weitere Unternehmen haben sich auf den Zugang zur Ladeinfrastruktur spezia-lisiert. Das Unternehmen ladenetz.de macht die Ladesäulen unterschiedlicher Stadtwerke über eine einheitliche Ladekarte verfügbar. Und auch das Joint-Venture Hubject der Unternehmen BMW, Bosch, Daimler, EnBW, RWE und Siemens bietet mit seiner Marke „intercharge“ die Möglichkeit, an allen teilneh-menden Ladesäulen europaweit zu laden. Besonders hervorzuheben ist das Unter-nehmen ubitricity, welches Ladekabel mit intelligenten Stromzählern anbietet und somit nur geringe technische Anforderungen an die genutzten Ladesäulen hat, wodurch die Kosten der Ladesäulen minimiert werden können (ubitricity 2015).

Schlussendlich bietet das Unternehmen Alphabet herstellerunabhängige ganz-heitliche Produkte und Services für die Unternehmensmobilität an. Hierzu zählen

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260 Katja Laurischkat, Daniel Jandt und Arne Viertelhausen

Fuhrparkservices, Leasingservices und Mobilitäts- und Beratungsservices. Somit werden Unternehmen dabei unterstützt ihre Flotte zu elektrifizieren.

Auch wenn in den unterschiedlichsten Industrien derzeit elektromobilitätsspezi-fische Lösungen entstehen, konnte die Elektromobilität den Massenmarkt derzeit noch nicht erschließen (NPE 2014a). Die Gründe hierfür sind die derzeit noch nicht überwundenen Hemmnisse und ungenutzten Treibern, welche diese disrupti-ve Technologie mit sich bringt. Diese Treiber und Hemmnisse werden im nach-folgenden Abschnitt im Detail erläutert.

1.2 Treiber und Hemmnisse für die Elektromobilität

Die zentralen Elemente von Geschäftsmodellen sind die Kunden und das für sie vorgesehene Nutzenversprechen, welches auf die Bedürfnisse der Kunden zuge-schnitten sein muss. Analog zu dem Konzept des Value Proposition Canvas (Osterwalder et al. 2015) werden nachfolgend für die Erfüllung des Kundenbe-dürfnisses Mobilität mittels Elektrofahrzeugen die wesentlichen Treiber und Hemmnisse dargestellt.

Die zentralen Treiber für Kunden der Elektromobilität sind günstige Betriebs-kosten, die Nutzung von selbst erzeugter Energie als Fahrstrom, das positive Image für nachhaltige Mobilität und hoher Fahrspaß und Fahrkomfort.

Im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren sind erhebliche Koste-neinsparungen im laufenden Betrieb zu erwarten (Wu et al. 2015): Zum einen sind neu zugelassene Elektrofahrzeuge bis 2020 für 5 Jahre steuerbefreit (BuW 2015). Zum anderen haben Elektrofahrzeuge oftmals sehr günstige Versicherungseinstu-fungen und deutlich geringere Wartungskosten aufgrund des Wegfalls vieler An-triebsstrangkomponenten wie beispielsweise der Abgasanlage, dem Anlasser oder der Lichtmaschine (Proff et al. 2014). Hauptsächlich werden Kosteneinsparungen jedoch durch den Energieträger Fahrstrom erzielt, der im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen auf lange Sicht aufgrund der Verknappung der Ölreserven günstiger sein wird (Bozem et al. 2013). Zudem begünstigt die Aufladung von Elektrofahr-zeugen mit selbsterzeugten Strom die Unabhängigkeit von Energiepreisentwick-lungen. Wird regenerativ erzeugter Strom zum Fahren genutzt, trägt dies zu einer beinahe CO2-neutralen Mobilität bei (Plötz et al. 2014). Dies unterstreicht das po-sitive Image der Elektromobilität in Bezug auf Nachhaltigkeit und Innovativität.

Darüber hinaus bieten Elektrofahrzeuge einen hohen Fahrspaß und ein komfor-tables Fahrgefühl, was durch ein konstant anliegendes Drehmoment und exzellen-te Beschleunigungswerte sowie durch einen nahezu geräusch- und vibrationsfreien Motor erreicht wird (MTZ 2015).

Dem gegenüber stehen Hemmnisse, die den flächendeckenden Einsatz von Elektrofahrzeugen erschweren. Zu den zentralen Hemmnissen gehört der hohe Komplexitätsgrad der elektrischen Mobilitätslösung, der Mangel an öffentlicher Ladeinfrastruktur sowie die Barrieren beim Zugang zu dieser, die vergleichsweise hohen Anschaffungskosten für ein Elektrofahrzeug und die einhergehenden Unsi-cherheiten in Bezug auf technologische Weiterentwicklungen.

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität 261

Für elektrische Mobilität werden die Komponenten Fahrzeug inklusive Trakti-onsbatterie, Parkraum inklusive Ladeinfrastruktur und Ladestrom benötigt, die un-tereinander jeweils kompatible Schnittstellen aufweisen müssen. Unterschiede bei der Ladeinfrastruktur durch den Ladestecker (Schuko, Typ1, Typ2, Combo, CHAdeMO, Supercharger), den Lademodi (Mode 1 bis 4) und der Ladeleistung (3,6 kW, 11 kW, 22 kW) zeigen im Ansatz wie technisch komplex das System Elektromobilität ist (NPE 2014b). Nur punktuell errichtete öffentliche Ladeinfra-struktur sowie heterogene Zugangs- und Abrechnungssysteme (NPE 2015) führen zu hoher Unsicherheit bei potenziellen Elektromobilitätskunden. Die fehlende Si-cherheit wird durch oftmals zu gering wahrgenommenen Reichweiten und langen Aufladungszeiten (Cocca et al. 2015) nur verstärkt und trägt nicht zur Alltagstaug-lichkeit von Elektrofahrzeugen bei. Zudem herrscht Unsicherheit bei der Investiti-on in Elektromobilität, da zum Beispiel durch technologische Sprünge im Bereich der Batterietechnik verbesserte Reichweiten und sinkende Preise in den nächsten Jahren zu erwarten sind (Bosch 2015).

1.3 Lösungsansatz zur Förderung der Massenmarktfähigkeit

Um die Elektromobilität massenmarktfähig zu machen, gilt es, die mit dieser Technologie verbundenen Treiber für den Kunden zu fördern und die Hemmnisse abzumildern (Osterwalder et al. 2015). Bereits in der Vergangenheit konnte ge-zeigt werden, dass die Markteinführung neuer Technologien durch ein dienstleis-tungsorientiertes Geschäftsmodell deutlich beschleunigt werden konnte, da dieses dazu beitragen kann, eine Technologie in ökonomischen Nutzen zu transferieren (Chesbrough und Rosenbloom 2002). Daher ist es das Ziel dieses Beitrags, beste-hende dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle zu identifizieren, welche die Technologie der Elektromobilität in attraktive Kundenlösungen überführen. Diese Geschäftsmodelle können dann als Ausgangspunkt zur Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle dienen, welche den Massenmarkt adressieren.

Es wird das folgende Vorgehen verfolgt: Zunächst wird ein Rahmenwerk für elektromobilitätsspezifische Geschäftsmodelle aus der Literatur abgeleitet. Auf Basis dieses Rahmenwerks werden Experteninterviews mit Unternehmen geführt, welche sich bereits erfolgreich im Bereich der Elektromobilität platziert haben. Somit können die bestehenden Geschäftsmodelle zu Beginn der Markthochlauf-phase systematisch erfasst werden. In diesem Schritt werden insbesondere die durch das Geschäftsmodell genutzten Treiber und abgebauten Hemmnisse ver-deutlicht. Abschließend werden die bestehenden Geschäftsmodelle gegenüberge-stellt und es wird eine exemplarische Innovation eines dieser Geschäftsmodelle zur Erschließung weiterer Kundensegmente aufgezeigt, welches die Massenmarkt-fähigkeit ermöglicht. Dieses Vorgehen ist in Abb. 1 dargestellt.

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262 Katja Laurischkat, Daniel Jandt und Arne Viertelhausen

Abb. 1. Darstellung des verfolgten Forschungsvorgehens

2 Rahmenwerk zur Erfassung und Analyse elektromobilitätsspezifischer Geschäftsmodelle

In diesem Abschnitt wird ein Rahmenwerk für dienstleistungsorientierte Ge-schäftsmodelle in der Elektromobilität aus dem Schrifttum abgeleitet. Aufbauend auf einer Recherche bestehender allgemeiner und elektromobilitätsspezifischer Beschreibungsraster werden die zentralen Elemente im Elektromobilitätskontext detailliert erläutert. Die einzelnen Aspekte werden schlussendlich in einen neuen Ansatz zur systematischen Analyse von elektromobilitätsspezifischen Geschäfts-modellen überführt.

2.1 Vergleich bestehender Ansätze zur Geschäftsmodellinnovation

Das Schrifttum bietet sowohl branchenunabhängige als auch elektromobilitätsspe-zifische Ansätze zur Entwicklung von Geschäftsmodellen.

Der Business Model Canvas ist ein in der Praxis häufig anzutreffendes Rah-menwerk für Geschäftsmodelle unterschiedlichster Branchen (Osterwalder und Pigneur 2011). Es umfasst die Dimensionen der Architektur der Wertschöpfung, des Nutzenversprechens, der Kundensegmente und der Ertragsmechanik. In einem hierauf aufbauenden Werk wird der Fokus auf den Fit zwischen dem Nutzenver-sprechen und dem Kunden gelegt (Osterwalder et al. 2015). Des Weiteren bildet der Business Model Navigator die Möglichkeit, auf Basis von 55 abstrahierten Geschäftsmodellmustern das eigene Geschäftsmodell zu innovieren (Gassmann et al. 2013). Eine umfangreiche Übersicht bestehender Rahmenwerke für Geschäfts-modelle findet sich in Schallmo (2012).

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität 263

Darüber hinaus existieren auch elektromobilitätsspezifische Rahmenwerke. Die Schwerpunkte der im Rahmen der Literaturrecherche betrachteten Veröffentli-chungen liegen auf der Informations- und Kommunikationstechnik (Krenge et al. 2013), den reinen Dienstleistungen (Busse et al. 2014), den Stakeholdern (Plota et al. 2010), einer Klassifizierung der Nutzenversprechen (Walther et al. 2010) und rein ökonomischen Gesichtspunkten (Weiller und Neely 2013). Zudem existiert ein Konfigurationsbaukasten (Bernhart und Zollenkop 2011) und eine Morpholo-gie (Kley et al. 2011). Somit werden bereits zahlreiche Aspekte der Elektromobili-tät adressiert. Ein Rahmenwerk, welches die strukturierte Analyse von bestehen-den Geschäftsmodellen in Hinblick auf ihre Vollständigkeit aus Endkundensicht ermöglicht, ist jedoch nicht vorhanden (Laurischkat et al. 2015).

Eine Betrachtung des Schrifttums zeigt, dass eine Passgenauigkeit zwischen dem adressierten Kundensegment und dem angebotenen Nutzenversprechen der Kern eines jeden Geschäftsmodells ist (Gassmann et al. 2013, Osterwalder et al. 2015). Zudem können Muster verwendet werden, um erfolgreich implementierte Geschäftsmodelle zu abstrahieren und diese Muster auf andere Geschäftsmodelle anzuwenden. Daher werden die drei Elemente Kunde, Nutzenversprechen und Muster im Folgenden näher betrachtet.

2.2 Fokus 1: Der Kunde

Die adressierten Kunden sind der zentrale Punkt eines jeden Geschäftsmodells. Ih-re Entscheidung für oder gegen ein Nutzenversprechen bestimmt den Umsatz ei-nes Unternehmens. Kunden können durch individuelle Merkmale beschrieben werden, auf die wiederum das Nutzenversprechen eines Geschäftsmodells anzu-passen ist. Durch die Analyse von 27 wissenschaftlichen Studien zur Elektromobi-lität (von 2010 bis 2015) sind 32 relevante Merkmale zur Beschreibung von Kun-den identifiziert worden. In Abb. 2 sind die identifizierten Merkmale in wesentli-chen Merkmalsgruppen kategorisiert. Dabei sind die drei Gruppen Mobilitätsbe-dürfnis, Voraussetzungen und Akzeptanz von zentraler Bedeutung. Soziodemo-grafie und Fahrzeugmerkmale gelten als unterstützende Merkmalsgruppen zur vollständigen Erfassung eines Kundensegments. Aus den in der Kategorie „Mobi-litätsbedürfnis“ enthaltenen Merkmalen kann eine anschauliche Darstellung des Mobilitätsprofils eines potenziellen Kunden abgeleitet werden. Unter „Vorausset-zungen“ sind jene Merkmale zusammengefasst, die die Ist-Situation der Umwelt des Kunden beschreiben. Persönliche Präferenzen sind primär in der Kategorie „Akzeptanz“ zusammengefasst, ergänzend werden fahrzeugspezifische Anforde-rungen der Kategorie „Fahrzeugmerkmale“ zugeordnet. Soziodemografische Merkmale beleuchten die soziale Stellung und die Lebensphase. Mit Hilfe der er-mittelten Merkmalsgruppen, Merkmale und der jeweils dazugehörenden Ausprä-gungsformen können unternehmensspezifische Kundensegmente abgebildet wer-den. Allerdings ist die eindeutige Festlegung auf allgemeingültige Kundenseg-mente aufgrund der hohen Anzahl und Vielfalt der Merkmale und den jeweiligen Ausprägungsformen nicht möglich. Die Begleit- und Wirkungsforschung Schau-

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264 Katja Laurischkat, Daniel Jandt und Arne Viertelhausen

fenster Elektromobilität bestätigt diese Aussage und sieht die Reduzierung auf ei-nen elektromobilitätspezifischen Prototypen kritisch (BuW 2015). Vielmehr er-möglicht die Vielzahl an elektromobilitätsspezifischen Merkmalen mitsamt den dazugehörigen Ausprägungsformen den Unternehmen die geeigneten Schwer-punkte in der Segmentierung zu setzen und damit das Nutzenversprechen auf die entsprechenden Kundensegmente auszurichten.

Abb. 2. Merkmalsgruppen und Merkmale zur Segmentierung von Elektromobilitätskunden

2.3 Fokus 2: Ganzheitliche Nutzenversprechen

Jeder Kunde hat einen spezifischen Job, den er mittels eines Produktes oder einer Dienstleistung erledigen möchte (Christensen et al. 2007). Essentiell für jedes Ge-schäftsmodell ist es, dass das Nutzenversprechen mit diesem Job zur Deckung ge-bracht wird (Osterwalder et al. 2015). Im Kontext der Elektromobilität ist dieser Job ein kundenspezifisches Mobilitätsbedürfnis, wie im vorangegangenen Ab-schnitt erläutert. Das zentrale Produkt ist das Elektrofahrzeug. Jedoch ist Elektro-mobilität nicht nur das Elektrofahrzeug, sondern ein ganzes System, das neben der Fahrzeugtechnik auch die benötigte Energie, die Ladeinfrastruktur und die Infor-mations- und Kommunikationstechnik umfasst (NPE 2014a). Kunden werden die Elektromobilität daher nur dann akzeptieren, wenn ihr Mobilitätsbedürfnis in Form des beschriebenen Gesamtsystems befriedigt wird. Um diesem systemischen Gedanken bei elektromobilitätsspezifischen Geschäftsmodellen Rechnung zu tra-gen, werden im Folgenden sogenannte Key Values eingeführt (Laurischkat et al. 2015). Durch diese kann sichergestellt werden, dass das betrachtete Kundenseg-ment alle notwendigen Produkte und Dienstleistungen angeboten bekommt, um dem jeweiligen Mobilitätsbedürfnis gerecht zu werden. Aus Gründen der Über-sichtlichkeit werden die definierten sechs Key Values drei unterschiedlichen

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität 265

Gruppen zugeordnet, hier definiert als: Mobilitätsanbieter, Stromversorger und Infrastrukturanbieter.

Die Informations- und Kommunikationstechnik (Key Value 1) als Basistechno-logie kann allen drei Gruppen zugeordnet werden. Sie ermöglicht beispielsweise das Roaming von Ladesäulen oder das steuerbare Laden von Elektrofahrzeugen. Der Ladestrom (Key Value 2) wird vom Stromversorger bereitgestellt. Der Park-platz sowie die Ladesäule (Key Value 3 und 4) werden der Gruppe Infrastruk-turanbieter und das Fahrzeug sowie die Traktionsbatterie (Key Value 5 und 6) dem Mobilitätsanbieter zugeordnet. Zusammen bilden diese sechs Key Values die notwendigen und hinreichenden Nutzenbestandteile einer ganzheitlichen, auf ei-nander abgestimmten Mobilitätslösung, wie in Abb. 3 dargestellt.

Abb. 3. Die sechs Key Values eines ganzheitlichen Elektromobilitätsangebots

2.4 Fokus 3: Elektromobilitätsspezifische Geschäftsmodellmuster

Die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle kann durch die Adaption bestehender Geschäftsmodellmuster erleichtert werden (Gassmann et al. 2013). Zur Ermittlung elektromobilitätsspezifischer Geschäftsmodellmuster erfolgte bereits an anderer Stelle eine entsprechende Literaturrecherche (Laurischkat et al. 2015). Die in die-sem Zusammenhang identifizierten fünf Geschäftsmodellmuster sind durchweg als dienstleistungsorientiert zu bezeichnen und werden im Folgenden unter diesem Fokus beleuchtet. Darüber hinaus werden in den jeweiligen Beschreibungen die wesentlichen charakteristischen Merkmale der Geschäftsmodelle aus Kundensicht dargestellt.

E-Carsharing

Entgegen dem vollständigen Erwerb eines Elektrofahrzeugs durch den Kunden, wird diesem beim E-Carsharing der Zugang zu einer Elektrofahrzeugflotte in ei-

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266 Katja Laurischkat, Daniel Jandt und Arne Viertelhausen

nem definierten Geschäftsgebiet gewährt. Die Nutzungsdauer ist hierbei in der Regel deutlich kürzer als jene beim Mietwagengeschäft und ist auf eine geschlos-sene Nutzergruppe beschränkt (Kasperk und Drauz 2013). Internetbasierte Dienste für das Auffinden, Öffnen und Schließen des Elektrofahrzeugs sowie die minuten- oder kilometergenaue Abrechnung unterstützen einen unbürokratischen und fle-xiblen Zugang zu Mobilität.

Intermodaler Transport

Intermodale Mobilitätsanbieter bündeln das Verkehrsangebot mehrerer Anbieter wie etwa das E-Carsharing, öffentliche Verkehrsmittel oder Taxidienste und pla-nen für den Kunden eine optimale Route (Kasperk und Drauz 2013). Der Kunde nutzt dabei auf einer Wegstrecke gegebenenfalls mehrere Individual- und Kollek-tivverkehrsmittel und wird durch Navigations- und Informationsdienste barriere-frei an sein Ziel geführt. Die Bezahlung der Fahrtentgelte wird durch einen platt-formübergreifenden Abrechnungsdienst unterstützt (Schade et al. 2014).

Vehicle to Grid (V2G)

Indem Elektrofahrzeuge neben den Aufladungszeiten am Stromnetz angeschlossen bleiben, ist es bei langen Stillstandzeiten über die Fahrzeugbatterie möglich, Ein-nahmen zu erwirtschaften. Netzbetreiber können die von einem Aggregator ge-bündelten Batteriekapazitäten (Kempton und Tomić 2005) als Netzreserven zur kurzfristigen Regulation oder zur Zwischenspeicherung regenerativ erzeugter Energien erwerben (Weiller und Neely 2014). Geeignete IT-Systeme regeln dabei sowohl die Abgabe als auch Aufnahme von Strom und stellen eine bedarfsgerech-te Aufladung zu den erforderlichen Einsatzzeiten des Fahrzeugs sicher. In Kombi-nation mit kundenseitiger Energieerzeugung fördert V2G die Unabhängigkeit von Energiepreisentwicklungen und das nahezu CO2-freie Fahren.

Batteriewechsel

Das Prinzip des automatisierten Batteriewechsels bei Elektrofahrzeugen ähnelt dem Tankstellenetz für Verbrennungsfahrzeuge, setzt jedoch eine kompatible Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Wechselstation voraus (Christensen et al. 2012). Hierbei besitzen Kunden lediglich temporär eine Batterie und zahlen nur für den darin enthaltenden Strom. Der Anbieter ist Eigentümer des Batteriepools und ist somit für die entsprechende Ladung der Batterien verantwortlich. Das Bat-teriewechselsystem vereinheitlicht das heterogene Angebot unterschiedlichster Ladeinfrastrukturkomponenten und vereinfacht und verkürzt die Zeitdauer (ca. 5 min. Wechselzeit) der Aufladungsvorgänge des Kunden (Weiller und Neely 2013).

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität 267

E-Roaming

Durch eine E-Roamingplattform werden verschiedene Anbieter separater Ladeinf-rastrukturlösungen verbunden (Pfeiffer und Bach 2014) und dem Kunden ein ein-heitliches Zugangs- und Abrechnungssystem zu Verfügung gestellt (Noyen et al. 2013). Dies ermöglicht einen barrierefreien Zugang zu den im Verbund befindli-chen öffentlichen Ladesäulen. Internetbasierte Navigationsdienste werden zum Auffinden der Ladesäulen genutzt und bargeldlose Bezahlmöglichkeiten tragen zur Flexibilität des Kunden bei.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die im wissenschaftlichen Diskurs stehenden Geschäftsmodellmuster unterschiedlich stark in der Praxis etabliert sind. V2G-Lösungen werden bis jetzt nicht in kommerzieller Form angeboten und Angebote für den Batteriewechsel sind im europäischen Raum ebenfalls nicht ver-fügbar. Dennoch sind diese Geschäftsmodellmuster für die Entwicklung massen-markttauglicher Geschäftsmodelle als möglicher Lösungsraum miteinzubeziehen.

2.5 Erstellung des Rahmenwerks für elektromobilitätsspezifische Geschäftsmodelle

Die Teilergebnisse der vorangegangen Abschnitte 2.1 bis 2.4 werden in diesem Abschnitt in ein ganzheitliches Rahmenwerk überführt, welches in Abb. 4 darge-stellt ist und zur Erfassung bestehender Geschäftsmodelle in Abschnitt 3 dient. Darüber hinaus bildet es die Grundlage für die Entwicklung innovativer massen-marktfähiger Geschäftsmodelle.

Im oberen Bereich des Rahmenwerks sind die adressierten Kundensegmente einzutragen und mit dem mittig platzierten Geschäftsmodell zu verbinden. Die Kundensegmente sind mit Hilfe der in Abschnitt 2.2 erläuterten Merkmale und dazugehörigen Ausprägungen geschäftsmodellspezifisch zu definieren. Sie zeigen welche Teilbereiche des Gesamtmarktes durch das Geschäftsmodell bisher abge-deckt werden.

Im unteren Bereich des Rahmenwerks sind die in Abschnitt 2.3 erläuterten Key Values als Bausteine von elektromobilitätsspezifischen Nutzenversprechen abge-bildet. Für eine Mobilitätslösung des Endkunden sind stets alle sechs Key Values erforderlich. Durch das Nutzenversprechen eines betrachteten Geschäftsmodells werden die primär adressierten Key Values grafisch verknüpft. Durch diese Rah-menwerkskomponente wird die Technologie Elektromobilität auf die für den Kunden erforderlichen Komponenten projiziert.

Das zentral angeordnete Geschäftsmodell bildet das Bindeglied zwischen der verfügbaren Technologie und den entsprechenden Kundensegmenten. Mit Hilfe eines Geschäftsmodells und dessen dienstleistungsorientierten Komponenten wird die Technologie in kundenspezifische Nutzenversprechen überführt, die die Trei-ber der Elektromobilität fördern und gleichzeitig zur Reduzierung der Hemmnisse beitragen. Dabei können mehrere Key Values in ganzheitlichen Angeboten ge-bündelt werden oder aber eine Spezialisierung auf ein oder nur wenige Key Valu-

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es erfolgen. Letztes erfordert jedoch die Ergänzung der noch fehlenden Key Valu-es durch Geschäftsmodelle anderer Akteure. Im Rahmenwerk abgebildete Ge-schäftsmodelle enthalten oftmals ein oder mehrere der in Abschnitt 2.4 literaturba-siert ermittelten Geschäftsmodellmuster, die auf der linken Seite in Abb. 3 wie-derzufinden sind. Zudem besteht die Möglichkeit neu identifizierte Muster in das Rahmenwerk aufzunehmen.

Abb. 4. Rahmenwerk zur Erfassung und Analyse bestehender Geschäftsmodelle

Nachdem die Schritte zur Erfassung und Analyse eines Geschäftsmodells erläu-tert wurden, werden die folgenden drei Suchpfade zur Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle vorgeschlagen: Der erste Suchpfad bezieht sich auf das adres-sierte Kundensegment. Mit Hilfe der in Abschnitt 2.2 vorgestellten Merkmale zur Gestaltung von neuen Kundensegmenten können bisher nicht adressierte Kunden identifiziert werden. Der zweite Suchpfad begründet sich in der Notwendigkeit der Ganzheitlichkeit des Nutzenversprechens, wie in Abschnitt 2.3 erläutert wurde. So stellen die bislang nicht adressierten Key Values ein offensichtliches Potenzial dar, das Nutzenversprechen umfangreicher zu gestalten. Zuletzt können mit Hilfe der in Abschnitt 2.4. genannten Geschäftsmodellmuster Ideen für die Erweiterung des bisherigen Geschäftsmodells gewonnen werden.

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3 Erfassung und Analyse bestehender Geschäftsmodelle

In dem ersten Abschnitt wurden die Treiber und Hemmnisse der Elektromobilität identifiziert. Anschließend wurde auf Basis einer Literaturrecherche ein Rahmen-werk zur Erfassung und Analyse von Geschäftsmodellen abgeleitet. In diesem Ab-schnitt wird nun anhand des Rahmenwerks erläutert, welche Unternehmen Elekt-rofahrzeuge bereits erfolgreich in ihr Geschäftsmodell integriert haben. Aus der Betrachtung dieser Unternehmen können fünf idealtypische Geschäftsmodelle ab-geleitet werden. In Abb. 5 sind die Kunden dieser Geschäftsmodelle in eine ideal-typische Technologieadaptionskurve eingeordnet. Das Ziel ist es, auf Basis beste-hender Geschäftsmodelle mit den sogenannten „Innovatoren“ als Kunden auf Ge-schäftsmodelle für den nachgelagerten Massenmarkt zu schließen.

Abb. 5. Einordnung der betrachteten Unternehmen in die Adaptionskurve nach Rogers (1962)

Zu diesem Zweck wurden semistrukturierte Interviews mit Elektromobilitäts-verantwortlichen aus zehn unterschiedlichen Unternehmen durchgeführt. Hierbei handelt es sich um vier Unternehmen, welche Elektrofahrzeuge in ihren Fuhrpark integriert haben, drei regionale Energieversorger, welche Ladeinfrastruktur anbie-ten, einem Parkhausbetreiber, welcher Zugang zu Ladeinfrastruktur ermöglicht, sowie einen Hersteller von Ladeinfrastruktur und einen Vertragshändler von Elektrofahrzeugen. Bei den Interviews standen die folgenden Fragen im Fokus:

Welche Kundensegmente werden adressiert? Welche Key Values werden bereitgestellt? Welche elektromobilitätsspezifischen Muster finden sich wieder? Welche Treiber werden gefördert? Welche Hemmnisse werden abgebaut?

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Auf Basis der Interviews konnten fünf unterschiedliche Geschäftsmodelle iden-tifiziert werden, welche derzeit den Elektromobilitätsmarkt in Deutschland prägen. Diese bestehenden Geschäftsmodelle werden im Folgenden näher erläutert.

3.1 Unkomplizierte Integration in Unternehmensfuhrparks

Der gewerbliche Einsatz von Kraftfahrzeugen ist in fast allen Branchen zu ver-zeichnen. Unternehmen wie Pflege- und Zustelldienste sowie Bäckereien betrei-ben mittlerweile elektrifizierte Unternehmensflotten, aber auch Banken nutzen diese Mobilitätsform für deren tägliche Dienstfahrten. Bei diesem Kundensegment können die Mobilitätsanforderungen mit Elektrofahrzeugen meist zu günstigen Konditionen erfüllt werden und es steigert zudem die Unternehmensattraktivität durch das nachhaltige Image der Elektromobilität.

Das Geschäftsmodell für Beratungsleistungen zur Integration von Elektrofahr-zeugen in Unternehmensfuhrsparks unterstützt Unternehmen mit eigenen Fahr-zeugflotten in der wirtschaftlichen Umstellung auf eine elektrifizierte Mobilitäts-lösung. Zum Leistungsspektrum gehört die Bestimmung der Lebenszykluskosten unter Einbezug des jeweiligen Fahrprofils, sowie die Auswahl und Beschaffung von geeigneten Elektrofahrzeugen und entsprechender Ladeinfrastruktur. Optional kann der Betrieb und das Management des Fuhrparks ebenfalls durch den Dienst-leister übernommen werden. Der Fokus der Beratung liegt weniger auf der Ver-mittlung von emotionalen Aspekten der Elektromobilität wie Fahrspaß und Fahr-komfort oder den Möglichkeiten der Nutzung von selbsterzeugtem Strom. Viel-mehr fokussiert das Geschäftsmodell auf die Reduktion der Betriebskosten und die Amortisation der Anschaffungskosten des Elektroahrzeugs durch die entsprechen-de Auslegung der benötigten Komponenten. Dies mindert die Komplexität für den Kunden und beschränkt die Auswahl auf nur wenige Umsetzungskonzepte. Wei-terhin bleiben der Mangel an öffentlicher Ladeinfrastruktur sowie deren Zugangs-barrieren und die Unsicherheit bei technologischen Sprüngen hinsichtlich der Bat-terietechnik unberücksichtigt. Jedoch sind diese beiden Aspekte von untergeord-neter Bedeutung für dieses Kundensegment, da die eigenen Elektrofahrzeuge in der Regel auf dem eigenen Firmengelände aufgeladen werden und die Haltedauer in Flotten bei zirka 3 bis 4 Jahren liegt (Fraunhofer ISI 2014).

Durch den Transfer elektromobilitätsspezifischen Wissens werden Gewerbe-kunden befähigt Elektromobilität als Ressource im eigenen Geschäftsmodell zu integrieren. Eine weitere Integrationsstufe stellt die Einführung des Mitarbeiter-Carsharings dar. Mitarbeiter des Unternehmens können nach Dienstschluss die Elektrofahrzeuge für private Zwecke mieten. Dies erhöht die Auslastung der Elektrofahrzeugflotte und senkt zugleich die Betriebskosten für den Unternehmer. Daneben trägt es dazu bei, dass die Mitarbeiter auch als Privatpersonen in Kontakt mit Elektromobilität kommen und dadurch Vorurteile aufgelöst und breite gesell-schaftliche Akzeptanz geschaffen werden kann.

Das betrachtete Geschäftsmodell zur Beratung zielt primär auf den Key Value Informations- und Kommunikationstechnik. Die weiteren Key Values (Fahrzeug,

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität 271

Batterie, Ladestrom und Ladeinfrastruktur) werden nur an den Kunden vermittelt und durch andere Unternehmen zugeliefert oder wie beispielsweise häufig im Fal-le des Parkraums selbst vom Kunden bereitgestellt.

3.2 Flexible Mobilität durch öffentliches E-Carsharing

Bewohner von Ballungszentren sehen sich mit steigenden Abgas- und Ge-räuschemissionen des innerstädtischen Verkehrs sowie mit mangelndem Parkraum am Wohnort konfrontiert. Gerade Anwohner in großen Wohnsiedlungen mit kur-zen Wegen zur Arbeit und zu Freizeitangeboten nutzen die Angebote des öffentli-chen E-Carsharings.

Das Geschäftsmodell für öffentliches E-Carsharing wird neben den Automobil-herstellern selbst auch von mehreren herstellerunabhängigen Unternehmen ange-boten. Das E-Carsharing zielt auf eine flexible Nutzung eines E-Fahrzeugs ab und wirkt durch überschaubare Anmietkosten als Katalysator für hohe Anschaffungs-kosten und hält damit die Betriebskosten für den Endkunden gering. Durch ein festvorgegebenes System aus einheitlichen Fahrzeugen und im Geschäftsgebiet fest zugeordneter Ladeinfrastruktur wird die Komplexität auf ein Minimum redu-ziert. Daher ist der Kunde unabhängig von öffentlicher Ladeinfrastruktur und nutzt nur ein im Geschäftsmodell vorgegebenes Zugangssystem. Kundenseitig er-zeugten Strom für die Aufladung ist in diesem Geschäftsmodell nicht vorgesehen. Zudem liegen die Unsicherheiten in Bezug auf technologische Sprünge auf Seiten des Anbieters, der im Rahmen der Attraktivität seines Nutzenversprechens die Produktkomponenten in der Regel auf aktuellen Stand der Technik hält.

Eine Abwandlung des öffentlichen E-Carsharings ist die Erhöhung der Miet-dauer auf bis zu ein Jahr. Kunden sollen durch sogenannte Schnuppermieten die Möglichkeit haben Elektrofahrzeuge dauerhaft in ihren Alltag zu integrieren und damit den Fahrspaß und Fahrkomfort ohne große Investitionen erleben zu können. Dies trägt zur Steigerung der Nutzerakzeptanz bei und spiegelt das nachhaltige Mobilitätsverhalten nach außen.

Öffentliche E-Carsharing Lösungen basieren auf dem Muster E-Carsharing und greifen durch das Nutzenversprechen alle sechs Key Values in direkter Form auf.

3.3 Günstiger Solarstrom durch Selbsterzeugung

Aufgrund fallender Kosten von Photovoltaikanlagen und dienstleistungsorientier-ter Geschäftsmodelle zur Vermarktung der Anlagen wird die Installation für Ei-genheimbesitzer zunehmend attraktiver. So ermöglicht die Installation einer Pho-tovoltaikanlage die Selbsterzeugung von Strom, dessen Kosten deutlich unter den konventionellen Bezugspreisen von den Energieversorgern liegen. Durch die Ver-fügbarkeit dieses günstigen Stroms können die Betriebskosten eines zusätzlich an-geschafften Elektrofahrzeugs verringert werden. Eine solche Lösung zielt zwar nicht primär auf den Fahrspaß von Elektrofahrzeugen aber, dafür aber auf die An-

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272 Katja Laurischkat, Daniel Jandt und Arne Viertelhausen

nehmlichkeiten einer nachhaltigen und kostengünstigen Energie- und Mobilitäts-lösung.

Bei der Installation einer Photovoltaikanlage oder auch bei bestehenden Photo-voltaikanlage ist davon auszugehen, dass die Kunden einen Stellplatz am Haus be-sitzen. Somit muss dem Kunden lediglich noch eine Ladesäule und ein Elektro-fahrzeug bereitgestellt werden, weswegen die vom Kunden wahrgenommene Komplexität der Lösung überschaubar bleibt. Auch der Mangel an öffentlicher Ladeinfrastruktur ist für den Kunden weitestgehend irrelevant, da dieser bevorzugt zuhause den selbsterzeugten Strom laden wird.

Bei diesem Geschäftsmodell werden die hohen Anschaffungskosten des Elekt-rofahrzeugs, die nach wie vor ein großes Hindernis darstellen, sowie die Unsi-cherheit bezüglich der technologischen Entwicklung nicht adressiert.

Eine häufig genannte Problematik bei einer Mobilitäts- und Energielösung aus Elektrofahrzeug, Ladesäule und Photovoltaikanlage ist, dass die Stromerzeugung genau dann am höchsten ist, wenn sich das Elektrofahrzeug nicht zuhause befin-det. Dies ist beispielsweise bei berufstätigen Personen der Fall, die mit ihrem Elektrofahrzeug zur Arbeit pendeln. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, die Lö-sung durch eine fest installierte Heimspeicherbatterie zu ergänzen. Diese kann die nicht unmittelbar durch den Haushaltsverbrauch benötigte Photovoltaikenergie speichern und zu einem späteren Zeitpunkt an das Elektrofahrzeug abgeben.

3.4 Barrierefreier Ladezugang durch E-Roaming

Elektrofahrzeugnutzer sind häufig mit der unübersichtlichen und komplizierten Lage unterschiedlichster Ladeinfrastrukturlösungen konfrontiert. Der überregiona-le Zugang zu öffentlicher Ladeinfrastruktur ist ein zentraler Wegbereiter für eine flexible Mobilität des Kunden und erfordert geeignete Dienstleistungen.

E-Roaming Geschäftsmodelle bieten den Kunden durch ein Produkt wie bei-spielsweise eine Ladekarte, einen Ladeschlüsselanhänger oder ein intelligentes Ladekabel Zugang zu den Ladesäulen von in einem Verbund zusammengeschlos-senen Ladeinfrastrukturanbietern. Zahlreiche Einzelverträge und Zugangskarten für Insellösungen einzelner Ladeinfrastrukturanbieter werden somit überflüssig. Hierdurch nimmt die Komplexität im Bereich der Aufladung ab und der Zugang zu Ladesäulen wird erleichtert. Zudem wird die Sichtbarkeit von öffentlich zu-gänglichen Lademöglichkeiten durch ein internetbasiertes Suchsystem erhöht.

Im Wesentlichen liegt der Fokus des Geschäftsmodells beim barrierefreien Zu-gang zu Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeugs, wodurch die hohen Anschaffungskos-ten, die Unsicherheiten technologischer Entwicklungen, der Fahrspaß und Fahr-komfort sowie die Nutzung selbsterzeugter Energie weitgehend unberücksichtigt bleiben. Jedoch trägt E-Roaming dazu bei, dass vermeintlich geringe Reichweiten von Elektrofahrzeugen mit Hilfe von durchgängig verfügbarer Ladeinfrastruktur in den Hintergrund treten und damit das positive Image nachhaltiger Mobilität ge-stärkt wird. Ein Beitrag zur Senkung der Betriebskosten von Elektrofahrzeugen ist allerdings erst zu erwarten, wenn die Tarifstrukturen der E-Roaming Partner ver-

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität 273

einheitlicht werden. Derzeit zahlen Kunden die an der jeweiligen Ladesäule aus-geschriebenen Preise und zusätzlich noch ein E-Roaming Entgelt je Tankvorgang.

Eine Sonderform des E-Roaming Geschäftsmodells stellt der Zugang mit einem intelligenten Ladekabel dar, das netzseitig nur noch einen sehr einfachen und kos-tengünstigen Ladepunkt erfordert. Denn über die integrierte Messtechnik des Ka-bels erfolgen die Identifizierung an der Stromabnahmestelle und die Abrechnung mit einem persönlich zugeordneten Stromvertrag. Hierbei ist nur der im Stromver-trag vereinbarte Preis vom Kunden zu entrichten, der damit unabhängig vom ge-nutzten Ladepunkt und dessen Betreiber ist.

Die betrachteten Ausprägungsformen des zentralen Musters E-Roaming zielen primär auf das Key Value Informations- und Kommunikationstechnik ab. Die Key Values Ladestrom, Ladeinfrastruktur und der damit verbunde Parkraum werden durch andere Unternehmen bereitgestellt und durch den E-Roaminganbieter ledig-lich vermittelt.

3.5 Fahrzeugbesitz mit ganzheitlichem Dienstleistungspaket

Elektrofahrzeuge aus dem Premiumbereich spiegeln den Stand der Technik im Mobilitätsbereich wieder. Gerade zahlungskräftige Personen aus der oberen ge-sellschaftlichen Schicht widmen der Elektromobilität ihre Aufmerksamkeit. Neben technischem Interesse und Spaß an innovativen Fahrzeugeigenschaften steigt die Bedeutung für nachhaltiges und umweltschonendes Mobilitätsverhalten. Oftmals sind es auch Eigenheimbesitzer, die sich ein Elektrofahrzeug nur als Zweitwagen für kurze Strecken oder spezielle Anlässe anschaffen.

Das Geschäftsmodell dieses Gesamtlösungsanbieters wird derzeit von nur we-nigen Mobilitätsanbietern angeboten. Das Nutzenversprechen beinhaltet neben ei-nem Elektrofahrzeug aus dem Premiumsegment zusätzlich darauf angepasste Pa-kete an unterstützenden Dienstleistungen. Dazu gehören zum einen die vollständi-ge Betreuung zur Begutachtung, zum Aufbau und zur Inbetriebnahme von einer Heimladelösung mit Photovoltaikanlage und Heimspeicherbatterie. Dies trägt zur Unabhängigkeit gegenüber Energiepreisschwankungen bei und vergünstigt die Betriebskosten, was für diese Zielgruppe allerdings von geringerer Bedeutung sein dürfte. Zum anderen ist ein passender Ökostromvertrag ebenfalls Teil des Dienst-leistungspakets, um das Elektrofahrzeug nahezu emissionsfrei zu bewegen. Eine durch den Geschäftsmodellanbieter eigens betriebene Schnellladeinfrastruktur an geografisch günstigen Orten ermöglicht den Kunden auch im öffentlichen Bereich zu laden. Dieses Ladesystem ist ein exklusiver Teil der Kundenlösung, die eine kostenfreie Aufladung ohne Barrieren ermöglicht. Es verringert die Komplexität, da eine auf das Elektrofahrzeug zugeschnittene Infrastruktur mit allen notwendi-gen Zugangsvoraussetzungen eine durch den Kunden nicht veränderbare aber ab-gestimmte Gesamtlösung darstellt. In anderen Geschäftsmodellen von Gesamtlö-sungsanbietern wird hingegen auf bestehende Infrastruktur mit Hilfe von E-Roaming Partnern zurückgegriffen. Weitere Nutzenversprechen sind die ergän-zende Nutzung von E-Carsharing Angeboten in Großstädten und der vergünstigte

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Zugang zu Mietfahrzeugen, falls eine andere Fahrzeugkategorie erforderlich wird. Parkplatzdienstleistungen komplettieren das Angebot, indem das Parken in Groß-städten durch Reservierung und einheitliche Abrechnung mit Hilfe einer Smart-phone-App vereinfacht wird.

Durch die meist wohlhabenden Kunden, spielen die relativ hohen Anschaf-fungskosten eine eher untergeordnete Rolle. Alternative Finanzierungsmöglichkei-ten wie das Leasing reduzieren zwar nicht den Gesamtpreis eines Elektrofahr-zeugs, ermöglichen aber durch überschaubare Raten den temporären Besitz eines eigenen Fahrzeugs. Da häufig nach Leasingsende zum nächst neueren Fahrzeug-modell gewechselt wird, sind technologische Unsicherheiten für diese Kunden-gruppe weniger wichtig. Vielmehr stehen in diesem Geschäftsmodell der durch das angebotene Elektrofahrzeug vermittelte Fahrspaß und Fahrkomfort im Vor-dergrund. Sportwagenähnliche Fahrleistungen bei einer gleichzeitig nachhaltigen Mobilitätsform stellen einen entscheidenden Faktor für Kunden dar, die ihre öko-logische Überzeugung nach außen hin sichtbar machen möchten.

Die betrachteten Ausprägungsformen des Geschäftsmodells für Gesamtlösun-gen elektrischer Mobilität enthalten die zentralen Muster E-Roaming und das E-Carsharing. Durch dieses umfangreiche Nutzenversprechen werden alle sechs notwendigen Key Values direkt adressiert.

4 Vergleich der idealtypischen Geschäftsmodelle und exemplarische Potenzialermittlung für Innovationen

In dem nachfolgenden Abschnitt 4.1 werden die idealtypischen Geschäftsmodelle zusammenfassend gegenübergestellt. Hierbei wird dargestellt, inwiefern die in Abschnitt 1.2. aufgeführten Treiber und Hemmnisse bereits genutzt beziehungs-weise abgebaut werden. In Abschnitt 4.2. wird anhand des Geschäftsmodells mit dem Nutzenversprechen „Fahrzeugbesitzt mit ganzheitlichem Dienstleistungspa-ket“ die Anwendung des Rahmenwerks veranschaulicht. Zudem werden exempla-risch Potenziale für die Innovation dieses Geschäftsmodells aufgezeigt.

4.1 Vergleich der idealtypischen Geschäftsmodelle

Die idealtypischen Geschäftsmodelle lassen sich in drei Kategorien einordnen. Holistische Geschäftsmodelle beinhalten die Bereitstellung einer elektromobilen Gesamtlösung unmittelbar durch den Anbieter. Intermediäre Geschäftsmodelle be-inhalten die Komposition einer elektromobilen Gesamtlösung, die durch weitere Anbieter zu erbringen ist. Komplementäre Geschäftsmodelle ergänzen andere Ge-schäftsmodelle lediglich, indem sie ausgewählte Treiber nutzen und Hemmnisse abbauen.

Die Geschäftsmodelle E-Carsharing und Anbieter von Elektrofahrzeugen mit ganzheitlichem Dienstleistungspaket zeichnen sich dadurch aus, dass sie dem adressierten Kundensegment alle notwendigen Key Values bereitstellen und zu-

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dem alle relevanten Treiber und Hemmnisse berücksichtigen. Dies bedeutet, dass der Kunde eine vollständige Mobilitätslösung von einem einzigen Anbieter erhält.

Bei dem Geschäftsmodell der Beratungsdienstleistung handelt es sich um einen Intermediär, der dem Kunden lediglich alle notwendigen Key Value vermittelt. Allerdings adressiert auch dieses Geschäftsmodell alle notwendigen Treiber und Hemmnisse, welche das Kundensegment betreffen, sodass diesem der Zugang zu einer vollständigen Mobilitätslösung möglichst einfach gemacht wird.

Bei den Geschäftsmodellen des selbsterzeugten Stroms und der E-Roaming Lö-sungen handelt es sich um komplementäre Geschäftsmodelle. Sie adressieren we-der jedes der erforderlichen Key Values noch die gesamten Treiber und Hemmnis-se. Isoliert betrachtet bieten diese Geschäftsmodelle dem Kunden keinen direkten Mehrwert. Jedoch komplementieren sie andere Geschäftsmodelle.

Abb. 6. Durch die idealtypischen Geschäftsmodelle adressierten Treiber und Hemmnisse

Die in Abschnitt 3 ausführlich erläuterten Geschäftsmodelle sind in Abb. 6 ge-genübergestellt. Treiber sind in ihrer Wirkung tendenziell positiv und Hemmnisse

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negativ für Kunden. Je nach Kundensegment sind die verschiedenen Treiber und Hemmnisse jedoch unterschiedlich ausgeprägt, sodass gewisse Kunden den Trei-bern und Hemmnissen nahezu neutral gegenüber stehen können. Je nachdem ob das Geschäftsmodell die kritischen Treiber und Hemmnisse adressiert, wird deut-lich, inwiefern das Geschäftsmodell die Technologie in Kundennutzen umwandelt.

4.2 Exemplarische Potenzialermittlung für Innovationen

Nachdem in dem vorangegangenen Abschnitt zusammengefasst wurde, welche Treiber und Hemmnisse in den aktuellen Geschäftsmodellen berücksichtigt wer-den, wird das bereits in Abschnitt 3.5 beschriebene Geschäftsmodell des Gesamt-lösungsanbieters exemplarisch analysiert und Potenziale zu dessen Weiterentwick-lung aufgezeigt.

Die Analyse des bestehenden Geschäftsmodells hat ergeben, dass ein zahlungs-starkes Kundensegment adressiert wird, für welches die hohen Anschaffungskos-ten eines Elektrofahrzeugs nicht hinderlich sind. Zudem schließt es die Muster E-Carsharing und E-Roaming ein. Den Kunden werden im Rahmen des Nutzenver-sprechens alle erforderlichen Key Values angeboten. Eine Darstellung des beste-henden Geschäftsmodells erfolgt in Abb. 7 anhand der durchgezogenen Verbin-dungslinien.

Nachdem das bestehende Geschäftsmodell analysiert und in dem Rahmenwerk abgebildet wurde, gilt es, die Innovationspotenziale aufzuzeigen. Hierbei ist her-vorzuheben, dass diese Potenziale nicht nur von dem betrachteten Unternehmen selbst, sondern auch von Konkurrenten genutzt werden können. Im Folgenden werden die drei Suchpfade zur Aufdeckung von Potenzialen zu Erweiterungen des analysierten Geschäftsmodells (vgl. Abschnitt 2.5) exemplarisch durchlaufen. In Bezug auf das bisher adressierte Kundensegment wäre eine Ausrichtung auf das Niedrigpreissegment eine möglicherweise lukrative Erweiterung des bisherigen Geschäftsmodells. Die bestehenden Synergien der Partnerschaften und bereits in-stallierter Infrastruktur können dadurch einem größeren Markt zu Verfügung ge-stellt werden. Der Fokus würde nicht mehr auf Kunden von Mittel- und Oberklas-senfahrzeugen liegen, sondern auf das Segment der Kleinwagenfahrer erweitert werden. Da der Gesamtlösungsanbieter bereits alle Key Value adressiert, die zur Befriedigung des Mobilitätsbedürfnisses benötigt werden, ist in diesem Suchpfad kein offensichtliches Potenzial zu finden. Bezüglich der Muster wäre es eine Mög-lichkeit, dass der Gesamtlösungsanbieter sein Nutzenversprechen um den inter-modalen Transport ausweitet. Dies wäre beispielsweise durch eine Kooperation mit Fahrradmietstationen oder dem Schienenverkehr möglich. Die Potenziale sind als gestrichelte Verbindungslinien in Abb. 6 kenntlich gemacht.

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität 277

Abb. 7. Exemplarische Darstellung eines Geschäftsmodells in dem Rahmenwerk

5 Zusammenfassung und Ausblick

In diesem Kapitel werden zunächst das Forschungsvorgehen und die Forschungs-ergebnisse zusammengefasst. Anschließend werden zwei auf diesen Ergebnissen aufbauende Forschungsschwerpunkte vorgestellt.

5.1 Zusammenfassung

Den Ausgangspunkt dieses Beitrags bilden die Treiber und Hemmnisse, welche die Technologie der Elektromobilität mit sich bringt. Da diese Technologie in Form simpler Produktverkäufe nur geringen Mehrwert für den Massenmarkt lie-fern kann, besteht der Lösungsansatz darin, die Technologie durch dienstleis-tungsorientierte Geschäftsmodelle in attraktive Nutzenversprechen zu überführen. Aufbauend auf einer Literaturrecherche wurden bestehende Rahmenwerke für die allgemeine und elektromobilitätsspezifische Geschäftsmodellentwicklung berück-sichtigt. Diese Recherche resultierte in den drei zentralen Elementen: Kunden,

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Nutzenversprechen und Geschäftsmodellmuster, welche allesamt in einem Rah-menwerk zur Potenzialanalyse von elektromobilitätsspezifischen Geschäftsmodel-len integriert sind. Mithilfe dieses Rahmenwerks wurden anschließend Experten-interviews durchgeführt, durch welche deutlich wird, dass erfolgreiche Ge-schäftsmodelle, die für das adressierte Kundensegment spezifischen Treiber nut-zen und Hemmnisse abbauen können. Dies führt dazu, dass die Technologie in kundenorientierte Nutzenversprechen überführt werden kann. Da diese Ge-schäftsmodelle bislang nur einen kleinen Teil des Massenmarkts adressieren, wur-de gezeigt, wie Potenziale aufgedeckt werden können, welche die Massenmarkt-fähigkeit der Elektromobilität steigern können.

5.2 Ausblick

In dem vorliegenden Beitrag wurden die in der Literatur vorhandenen Aspekte zur Entwicklung elektromobilitätsspezifischer Geschäftsmodelle recherchiert und die in der Praxis bereits implementierten Geschäftsmodelle analysiert. Als Ergebnis dessen wurde ein Rahmenwerk zur Erfassung, Analyse und Potenzialermittlung elektromobilitätsspezifischer Geschäftsmodelle geschaffen. Zukünftige For-schungsaktivitäten sind zum einen in dem Bereich der spielbasierten Geschäfts-modelleninnovation und zum anderen in dem Bereich der simulationsbasierten Wirtschaftlichkeitsberechnung von Heimlösungen aus Photovoltaikanlage und Elektrofahrzeug zu sehen. Diese zwei Forschungsgebiete werden im Folgenden kurz erläutert.

Mit Hilfe eines spielbasierten Ansatzes soll die systematische Entwicklung von Geschäftsmodellinnovationen im Bereich der Elektromobilität unterstützt werden. Dazu wird das in diesem Beitrag vorgestellte Rahmenwerk aus Abschnitt 2.5 als Ausgangspunkt für Unternehmen dienen, die ihre identifizierten Potenziale syste-matisch nutzen wollen. Der verfolgte Ansatz beruht darauf, dass innerhalb eines spielerischen Kontexts Barrieren bei der Bearbeitung dieser komplexen Problem-stellung gesenkt und die Kreativität für innovative Geschäftsmodelle gefördert werden. Diese spielorientierte Anwendung von Werkzeugen zur geführten Ge-schäftsmodellinnovation soll Unternehmen befähigen, über die in diesem Beitrag vorgestellten idealtypischen Geschäftsmodelle hinaus selbst Geschäftsmodellin-novation für die Elektromobilität zu entwickeln.

Die in Abschnitt 3.3 beschriebene Nutzung von selbsterzeugtem Strom inner-halb einer integrierten Mobilitäts- und Energielösung stellt einen vielversprechen-den Ansatzpunkt dar, um die Elektromobilität an den aufkommenden Trend der dezentralen Energieerzeugung zu knüpfen und diese somit in den Massenmarkt zu tragen. Da solche Lösungen sowohl anhand des Strombedarfs als auch anhand des Mobilitätsbedarfs des jeweiligen Kunden ausgelegt werden müssen, entstehen neue Herausforderungen für die Anbieter solcher komplexen Systeme. Der System Dynamics Ansatz ist geeignet, um solche Gesamtlösungen adäquat abzubilden und deren dynamisches Verhalten zu analysieren. Es ist hervorzuheben, dass sowohl Akteure aus der Energiewirtschaft als auch aus der Automobilindustrie und zu-

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Dienstleistungsorientierte Geschäftsmodelle für die Elektromobilität 279

nehmend Startups in den Markt für Heimlösungen aus Photovoltaikanlagen, Heimspeicherbatterien und Ladesäulen drängen. Doch erst wenn die geringen Be-triebskosten die derzeit noch hohen Anschaffungskosten hinreichend kompensie-ren, wird die Elektromobilität auf diesem Wege den Massenmarkt erschließen.

Danksagung. Der vorliegende Beitrag ist im Rahmen des vom Bundesministerium für Bil-dung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „MultEmobil“ entstanden. Die Autoren danken dem BMBF sowie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) als Projektträger für die Unterstützung.

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing: Eine Szenarioanalyse für den deutschen Markt

Jan-Hendrik Heinen und Jens Pöppelbuß

Das Car Sharing als Mobilitätsdienstleistung erlebt derzeit einen großen Zuwachs und wird auch für gewerbliche Kunden zunehmend attraktiv. Als weiterer Innova-tionstreiber für Mobilitätsdienstleistungen erweist sich die Nutzung von Elektro-fahrzeugen in Car-Sharing-Flotten. Dieser Beitrag untersucht die mögliche Wei-terentwicklung von gewerblichen Elektro-Car-Sharing-Dienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland mit Hilfe einer Szenarioanalyse. Er entwickelt mög-liche Zukunftsmodelle und identifiziert die treibenden Einflussfaktoren. Die Szena-rioanalyse wird gestützt von einer Literaturrecherche und ergänzenden Experten-interviews und bietet so einen realitätsnahen Blick in die unternehmerische Mobi-lität im Jahre 2020. Aus 38 mit Hilfe der Software INKA ermittelten Zukunftsmo-dellen (Szenarien) werden zwei wahrscheinliche, aber zugleich recht gegensätzli-che, detailliert beschrieben. Diese zeigen auf, dass im Bereich des gewerblichen Elektro-Car-Sharing in den nächsten fünf Jahren sehr unterschiedliche Entwick-lungen stattfinden können und dass eine positive Entwicklung insbesondere vom erfolgreichen Zusammenspiel verschiedener Faktoren aus diversen Umfeldern abhängt.

1 Einleitung

Das Car Sharing als Mobilitätsdienstleistung erlebt derzeit international und ins-besondere in Deutschland einen großen Zuwachs. Anfang 2014 gab es in Deutsch-land mehr als 150 Car-Sharing-Anbieter mit über 13.950 Fahrzeugen und 757.000 Mitgliedern, was einem Mitgliederzuwachs von 67,1 % im Vergleich zum Vorjahr entspricht (BCS 2014). Auch für Unternehmen wird diese Mobilitätsdienstleistung zunehmend attraktiv, da sie ein großes Potenzial für Flexibilität und Kostenreduk-tion bietet. Als zusätzlicher Innovationstreiber erweist sich die Nutzung von Elekt-rofahrzeugen, die speziell mit Car Sharing eine geeignete Kombination darstellt (BCS 2012). Durch den Einsatz von Elektrofahrzeugen im gewerblichen Car Sha-ring können sowohl Unternehmen (z. B. geringere Kosten und verbessertes Image), als auch das Umfeld (z. B. Lärmreduktion und geringerer Schadstoffaus-stoß) profitieren (Dannheim 2013). Des Weiteren besteht das Potenzial, bisherige

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_13

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing 283

Barrieren der Elektromobilität, wie bspw. die hohen Anschaffungskosten durch höhere Auslastung und geringere Betriebs- und Wartungskosten mithilfe des ge-werblichen Car Sharing abzumildern (Plötz et al. 2013).

Dieser Beitrag untersucht die mögliche Weiterentwicklung des gewerblichen Elektro-Car-Sharing in Deutschland mit Hilfe einer Szenarioanalyse. In der Litera-tur gibt es viele Studien zu einzelnen Aspekten, wie bspw. zur Batterietechnologie (Plötz et al. 2013), der Nutzerakzeptanz von Elektromobilität (Globisch et al. 2013) oder der Entwicklung der Infrastruktur (BMVI 2014), jedoch nur wenige Arbeiten, die diese unterschiedlichen Erkenntnisse zusammentragen. Auch die Kombination von gewerblichem Car Sharing und Elektromobilität wurde bisher nur in Ansätzen erforscht. Der vorliegende Beitrag beschreibt neben den Zu-kunftsbildern auch die treibenden Kräfte und Einflussfaktoren. Die Szenarioanaly-se wird gestützt von einer Literaturrecherche und ergänzenden Experteninterviews und bietet so einen realitätsnahen Blick in die unternehmerische Mobilität im Jah-re 2020. Sie zeigt mit Hilfe verschiedener Zukunftsmodelle plausible Entwick-lungstendenzen und -alternativen auf.

Der Beitrag ist wie folgt strukturiert. Kapitel 2 umreißt das Szenariofeld, ge-folgt von der Beschreibung des Vorgehens der Szenarioanalyse im dritten Kapitel. Kapitel 4 erläutert das gewählte Vorgehen der Szenarioanalyse. Anschließend werden zwei ausgewählte mögliche Szenarien vorgestellt (Kapitel 5), die jeweils für sich hochgradig konsistent sind, aber konträre Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen. Es folgen schließlich eine Diskussion (Kapitel 6) und das Fazit (Kapitel 7).

2 Elektromobilität im gewerblichen Car Sharing

2.1 Car Sharing

Das Car Sharing ist eine Mobilitätsdienstleistung, die eine Alternative zum priva-ten Auto oder zum Unternehmensfuhrpark darstellt. Gemäß der Definition des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung ist Car Sharing im Allgemei-nen die „organisierte (gebührenpflichtige) Nutzung eines Autos von mehreren Personen“ (BBSR 2013, 1) für in der Regel kurze bis mittellange Strecken, mit der der Besitz eines eigenen Fahrzeugs substituiert werden kann. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Car-Sharing-Konzepte (bspw. stationsbasiert oder -unabhängig, Car Pooling, Corporate Car Sharing, etc.) wodurch ein sehr heterogenes Anbieterfeld entsteht, das sich durch Größe, Philosophie, Selbstverständnis und Kundenfokus stark unterscheidet.

Bislang fällt die gewerbliche Nutzung von Car-Sharing-Angeboten mit nur 3,5 Prozent am gesamten Flottenmarkt in Deutschland noch sehr gering aus, bietet aber gute Wachstumspotenziale, da sich rund 44 Prozent der Unternehmen vor-stellen könnten, diese Mobilitätsdienstleistung zu nutzen (BFP 2012). Unterneh-men, die bereits auf diese Art der Mobilität zurückgreifen, sind größtenteils zu-

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284 Jan-Hendrik Heinen und Jens Pöppelbuß

frieden mit dem Angebot. Dies zeigt sich in einer Umfrage des Instituts für Klima, Umwelt und Energie, bei der 56 Prozent der Geschäftskunden die Nutzung der Dienstleistung in Zukunft beibehalten und weitere 36 Prozent die Nutzung sogar weiter ausbauen möchten (Wilke et al. 2012).

Ersten Studien zur Folge ist der durchschnittliche Umsatz bei Geschäftskunden höher als bei Privatkunden. Geschäftskunden fahren im Schnitt mehr Kilometer, buchen die Fahrzeuge häufiger und führen pro Ausleihvorgang längere Fahrten durch (Wilke et al. 2012). Die Nutzungszeiten von Privat- und Geschäftskunden ergänzen sich in der Regel gut (Wilke et al. 2012). Dienstleister können somit nicht nur eine neue Kundengruppe erschließen, sondern gleichzeitig eine höhere und gleichmäßigere Auslastung ihrer Fahrzeuge erzielen. Die Auslastungssteige-rung kann laut Car-Sharing Verband bis zu 30 Prozent betragen, wobei an dieser Stelle ein Nachteil der Elektromobilität zum Tragen kommt, da hierbei Pufferzei-ten zur Ladung eingeplant werden müssen und sich die potenzielle Nutzungszeit verringert (BCS 2012). Andererseits könnten durch die Einbindung von Elektro-mobilität und dem damit verbundenen Imagegewinn zusätzliche Kunden erschlos-sen werden.

2.2 Elektromobilität

Die in dieser Studie gewählte Perspektive auf Elektromobilität orientiert sich am Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung und kon-zentriert sich daher auf den Straßenverkehr und dort im Speziellen auf den motori-sierten Individualverkehr. Hierzu zählen Personenkraftwagen (Pkw) und leichte Nutzfahrzeuge. Weitere Mobilitätskonzepte wie bspw. Elektroroller, Elektrofahr-räder und der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) werden in dieser Szenario-analyse nicht betrachtet. Im Rahmen dieses Beitrags werden außerdem ausschließ-lich diejenigen Antriebskonzepte berücksichtigt, die rein elektrisch angetrieben werden können und somit ein großes Potenzial zur CO2-Reduktion bieten (dies schließt Plug-in-Hybride ein, aber Hybridfahrzeuge aus). Weitere alternative An-triebskonzepte wie etwa das Brennstoffzellenauto oder aber auch gasbetriebene Fahrzeuge werden nicht betrachtet.

Die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE 2011) sieht den Markt für Elektromobilität derzeit in seiner Anlaufphase und beschreibt das Potenzial, dass dieser sich bis 2020 in einen Massenmarkt entwickelt. Für diese Entwicklung wird in vielen Studien der Einsatz von Elektrofahrzeugen im gewerblichen Bereich als relevanter Faktor angesehen. So waren 2011 über 90 Prozent der Zulassungen von Elektrofahrzeugen dem gewerblichen Sektor zuzuschreiben (Wietschel et al. 2012) und auch 2013 wurden mehr als 86 Prozent der Elektrofahrzeuge für den gewerblichen Einsatz zugelassen (NPE 2011). Von den rund 1,5 Millionen rein gewerblich genutzten Fahrzeugen (keine privat genutzten Dienstwagen) sind mehr als 86 Prozent den Segmenten „mini“ bis „kompakt“ zuzuordnen. Somit sind in absoluten Zahlen rund 1,3 Millionen Fahrzeuge im gewerblichen Bereich theore-tisch für die Elektromobilität geeignet (Hacker et al. 2011). Des Weiteren werden

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing 285

bei 80 Prozent der gewerblichen Fahrten weniger als 80 km zurückgelegt, was selbst bei schlechten Bedingungen innerhalb der Reichweite von Elektrofahrzeu-gen liegt. Zudem kommen drei Viertel dieser Fahrzeuge im urbanen Raum zum Einsatz und können somit gut in Car Sharing-Programme eingebunden werden (Hacker et al. 2011). Bei Geschäftskunden würden laut einer Umfrage rund 50 Prozent eine verstärkte Einbindung von Elektrofahrzeugen in Car Sharing-Programme befürworten (BFP 2012).

3 Vorgehen

3.1 Überblick

Dieser Beitrag präsentiert die Ergebnisse einer Szenarioanalyse. Wichtige An-wendungsfelder der Szenariotechnik sind in der strategischen Ausrichtung von Unternehmen, in der Politik-, Stadt- und Raumplanung sowie in der Energie- und Klimaentwicklung zu finden. Durch die Szenariotechnik wird die Generierung von Zukunftsmodellen (Szenarien) ermöglicht, mit denen das zukünftige Spannungs-feld aufgezeigt werden kann. Eine oft genutzte Definition eines Szenarios ist dabei die „Beschreibung einer komplexen, zukünftigen Situation, deren Eintreten nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann sowie die Darstellung einer Entwick-lung, die aus der Gegenwart zu dieser Situation führen könnte“ (Gausemeier et al. 1995, 90). Ein Szenario stellt daher nicht die Zukunft als Ganzes dar, sondern be-schreibt nur eine mögliche Entwicklung aus dem gesamten Untersuchungsraum.

Abb. 1. Denken in Szenarien (in Anlehnung an Gausemeier et al. 1995)

Beim „Denken in Szenarien“ spannt die sogenannte Trichtergrafik ausgehend vom heutigen Zeitpunkt t0 den immer größer werdenden Möglichkeitsraum bis zum Zeitpunkt ts auf (vgl. Abb. 1). An dieser Stelle wird ein Querschnitt durchge-führt, auf dem die verschiedenen potenziellen Szenarien liegen (s1–3). Der Trichter

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286 Jan-Hendrik Heinen und Jens Pöppelbuß

selbst versteht sich als Mosaik aus vielen kleinen Trichtern, die jeweils die Ent-wicklung eines Einflussfaktors darstellen. In diesem Fall wurde dies beispielhaft für die Einflussfaktoren a, b, c und d dargestellt. Die Entwicklungspfade werden einerseits durch Daten gestützt, jedoch fließen auch Annahmen bei der Szenario-analyse ein. Aufgrund der Annahmen stellt ein Szenario kein wahres Wissen über die Zukunft, sondern eine hypothetische Konstruktion einer oder mehrerer mögli-cher, zukünftiger Situationen dar (Kosow und Gaßner 2008).

Für die systematische Durchführung der Szenarioanalyse wird in diesem Bei-trag das folgende Vorgehen auf Basis von Kosow und Gaßner (2008) gewählt. Dieses Vorgehen mit fünf Schritten stellt eine Zusammenführung von übergrei-fenden Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Szenarioansätze dar, die sich zumeist nur im Detailierungsgrad und der Nomenklatur unterscheiden (vgl. auch Abb. 2):

1. Szenariofeld-Bestimmung: Das Untersuchungsfeld dieser Studie ist die Elekt-romobilität im gewerblichen Car Sharing für das Jahr 2020 auf dem deutschen Markt (vgl. vorhergehendes Kapitel).

2. Identifikation der Einflussfaktoren: Im diesem Schritt werden die wichtigsten Einflüsse auf das Szenariofeld herausgearbeitet. Diese werden als Umfelder be-zeichnet, innerhalb derer sich die sogenannten Deskriptoren als Variablen des Gesamtsystems befinden.

3. Analyse der Einflussfaktoren: Im dritten Schritt werden die Deskriptoren weiter aufgespalten und jeweils zwei oder mehr mögliche Ausprägungen, im weiteren Verlauf als Projektionen bezeichnet, ermittelt. Die Projektionen stellen mögli-che Entwicklungsrichtungen der einzelnen Deskriptoren dar. Diese müssen sich nicht zwangsweise gegenseitig ausschließen, sollten aber eindeutig unterschied-liche Richtungen aufzeigen, in die sich der jeweilige Deskriptor entwickeln kann.

4. Szenario-Generierung (Erstellung und Auswahl der Annahmebündel): Nach-dem die Deskriptoren mit den zugehörigen Projektionen identifiziert wurden, werden alle Projektionen in einer Konsistenzmatrix gegenübergestellt und die gewichteten Zusammenhänge durch einen paarweisen Vergleich analysiert (Gausemeier et al. 1995). Durch dieses Vorgehen wird die Grundlage geschaf-fen, konsistente Szenarien zu konstruieren. Auf Basis dieser Konsistenzanalyse werden im weiteren Vorgehen durch die Szenariosoftware INKA Annahme-bündel zusammengefasst, wobei je eine Projektion pro Deskriptor ausgewählt wird. Aus der Vielzahl von Szenarien werden dann möglichst konsistente Sze-narien zur detaillierteren Betrachtung ausgewählt. von Reibnitz (1992) schlägt zudem als weiteres Kriterium die Unterschiedlichkeit der Szenarien vor. Die Szenarien sollten untereinander möglichst große Unterschiede aufweisen, um den gesamten Zukunftsraum abdecken zu können.

5. Szenario-Transfer (optional): Im fünften und letzten Schritt werden schließlich Implikationen aus der Szenarioanalyse abgeleitet. Durch diesen Schritt werden

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing 287

aus der Zukunft Konsequenzen für die Gegenwart gezogen. Dies widerspricht laut von Reibnitz (1992) dem traditionellen Planungsverhalten, bei dem die Zu-kunft aus den Informationen der Vergangenheit extrapoliert wird. Der erste Un-terabschnitt des Diskussionskapitels (Kapitel 6.1) dieses Beitrags diskutiert ent-sprechende Handlungsfelder und Implikationen.

Abb. 2. Schritte der Szenarioanalyse (ohne Szenario-Transfer)

3.2 Softwareunterstützung

Die Erstellung der Szenarien wird in dieser Studie durch die Szenariosoftware In-tegrierte Nutzeroberfläche zur Konsistenzmatrix Analyse (INKA 3 Version 1.2.2) unterstützt. Die Softwareunterstützung ist für diese Studie notwendig, da es bei mehr als fünf Deskriptoren mit den zugehörigen Projektionen bei manueller Aus-wertung kaum mehr möglich ist, eine stimmige Kombination dieser zu gewähr-leisten. Daher wird die Konsistenzmatrix in die Software eingegeben. Die Szena-rien werden dann durch den Algorithmus der Software berechnet. Hierbei wird nicht der vollständige Raum von Projektionsbündeln abgefragt, sondern es erfolgt eine sogenannte beschränkte Enumeration, bei der durch Ausschlussregeln Teil-mengen im Voraus ausgeblendet werden (Mißler-Behr 1993). Bei INKA werden hierbei die vier wichtigsten Ausprägungen im Voraus festgelegt und anhand dieser die Szenarien mit den höchsten Konsistenzsummen ermittelt. Die beschränkte Enumeration reduziert dabei die Rechenzeit drastisch, wodurch es möglich ist, ei-ne weitaus größere Anzahl von Deskriptoren mit ihren Ausprägungen in die Ana-lyse einzubeziehen, als dies bei einer vollständigen Enumeration der Fall wäre.

3.3 Datengrundlagen

Die Datengrundlagen der Szenarioanalyse umfassen Recherchen in der wissen-schaftlichen Literatur und in Internetquellen sowie Experteninterviews. Potenziel-le Quellen aus der Literaturrecherche wurden insbesondere auf ihre Aktualität, Be-lastbarkeit und den thematischen Bezug geprüft. Das Ergebnis der Literaturrecher-che stützt sich im Wesentlichen auf die in Tabelle 1 dargestellten Hauptquellen.

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Hierbei handelt es sich vorrangig um Studien und Berichte, durch die relevante Einflussfaktoren auf die Fragestellung identifiziert oder Informationen für mehrere Einflussfaktoren gewonnen werden konnten. Ergänzend wurden weitere Studien und wissenschaftliche sowie wirtschaftliche Berichte einbezogen, die jeweils für sich aber nur Teilaspekte adressieren.

Tabelle 1. Hauptquellen der Literaturrecherche

Titel der Studie Urheber Betrachtung der Umweltentlastungspotenziale durch den verstärkten Einsatz von kleinen, batterie-elektrischen Fahrzeugen im Rahmen des Projekts „E-Mobility“

Institut für angewandte Ökologie (Hacker et al. 2011)

Bewertung integrierter Mobilitätsdienste mit Elektrofahrzeugen aus Nutzerperspektive

Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (Hoffmann et al. 2012)

Elektrofahrzeuge in betrieblichen Fahrzeugflotten – Akzeptanz, Attraktivität und Nutzungsverhalten

Institut für sozial-ökologische Forschung (Deffner et al. 2012)

Flexible Carsharingsysteme / E-Carsharing – Über-sicht zu Kommunen Anbietern und Rahmenbedin-gungen

Integriertes Verkehrs- und Mobi-litätsmanagement (Vogel et al. 2013)

Integration von Elektrofahrzeugen in Carsharing-Flotten

Fraunhofer ISI (Doll et al. 2011)

Markthochlaufszenarien für Elektrofahrzeuge Fraunhofer ISI (Plötz et al. 2013) Unplugged – Electric vehicle realities versus con-sumer expectations

Deloitte (Giffi et al. 2011)

Zukunft des Car-Sharing in Deutschland Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (Wilke et al. 2012)

Zweiter Bericht der Nationalen Plattform Elektromobilität

Nationale Plattform Elektromobilität (NPE 2011)

Aufbauend auf der Literaturrecherche wurden im Rahmen dieser Studie zusätz-lich Experteninterviews geführt, um eine breitere Datengrundlage zu erhalten und die Deskriptoren und ihre Ausprägungen zu schärfen. Durch die Experteninter-views wurden insbesondere offen gebliebene Punkte aus der Literaturrecherche geklärt (vgl. Abb. 3).

Abb. 3. Einordnung der Experteninterviews

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Durch die Experteninterviews wurde aktuelles Experten- und Praxiswissen über Elektromobilität im gewerblichen Car Sharing in diese Arbeit eingebracht. Durch die Betrachtung aus Nutzer- und Anbieterperspektive konnten zudem beide Seiten der Dienstleistung gegenübergestellt werden (vgl. Tabelle 2). Insgesamt stellten sich elf von 36 angeschriebenen Unternehmen und Organisationen für Experten-gespräche zur Verfügung. Die Auswertung der einzelnen Interviews wurde ano-nymisiert durchgeführt, da es sich teilweise um konkurrierende Unternehmen han-delt und keine Rückschlüsse auf deren Strategien und Ansichten ermöglicht wer-den sollen.

Tabelle 2. Interviewpartner

ID Interviewpartner Rolle (Car-Sharing-Anbieter/-Nutzer) Position

1 Automobil-OEM 1 Stationsunabhängiger Anbieter Produktmanager Fleet

2 Automobil-OEM 2 Stationsunabhängiger Anbieter Pressesprecher 3 Automobil-OEM 3 Stationsbasierter Anbieter Projektmanager

4 Mobilitätssoftware -Spezialist

Anbieter von Mobilitätsmanage-mentsoftware

Vertriebsmitarbeiter

5 Stationsbasierter Anbieter 1 Stationsbasierter Anbieter Geschäftsführer 6 Stationsbasierter Anbieter 2 Stationsbasierter Anbieter Niederlassungsleiter 7 Übergreifende Organisation Anbieter Pressesprecher 8 B2B-Dienstleister Nutzer Geschäftsführer 9 Energiedienstleister Nutzer Geschäftsführer

10 Finanzdienstleister Nutzer Angestellter 11 Marketingdienstleister Nutzer Angestellter

4 Szenarioanalyse

Für die Szenarioanalyse wurden zunächst die sechs Umfelder (1) Industrie, die (2) Anbieter (Dienstleister), die (3) Gesellschaft, die (4) Politik, die (5) Technologie und die (6) Nutzer voneinander abgegrenzt. Die Dienstleister als Car-Sharing-Anbieter und die nutzenden Unternehmen stellen dabei die geschäftliche Kernbe-ziehung dar (vgl. Abb. 4).

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Abb. 4. Umfelder

Als nächstes wurden innerhalb der Umfelder Einflussfaktoren identifiziert und in einem Einflussfaktorenkatalog zusammengefasst. Als Informationsgrundlage dienten die Literaturrecherche und die Experteninterviews. Die Einflussfaktoren wurden aufgrund ihrer inhaltlichen Ähnlichkeit zu Deskriptoren zusammengefasst und im weiteren Verlauf von den Experten überprüft. Den Experten wurde dafür die Liste der Deskriptoren zusammen mit der gesamten Liste an möglichen Ein-flussfaktoren zugesendet. Aufgabe der Experten war die durch die Autoren erfolg-te inhaltliche Zusammenfassung zu prüfen und außerdem die Vollständigkeit der zusammengefassten Faktoren anhand der Liste der möglichen Einflussfaktoren und der eigenen Erfahrung zu kontrollieren. Die Anmerkungen der Experten be-trafen hauptsächlich die Ergänzung weiterer Einflussfaktoren im Einflussfakto-renkatalog. Als Beispiel ist hier der Deskriptor Batteriepreis zu nennen. Dieser war ursprünglich dem Deskriptor Wirtschaftlichkeit (Anbieter) zugeordnet. Laut der Experten hat die Entwicklung des Batteriepreises jedoch auch auf andere De-skriptoren einen großen Einfluss, sodass dieser als eigenständiger Deskriptor her-ausgestellt wurde. Tabelle 3 gibt eine Übersicht der abschließenden Liste der De-skriptoren. Die Nummerierung orientiert sich dabei an den Umfeldern denen diese angehören.

Im Anschluss wurde zudem die Relevanz der Deskriptoren für das Gesamtsys-tem durch die Experten bewertet. Dies ist im weiteren Vorgehen von Bedeutung, um die Wichtigkeit der einzelnen Faktoren in der Konsistenzanalyse und in der Ableitung von Konsequenzen einschätzen zu können. Die Experten bewerteten dabei die Relevanz anhand einer Skala von null bis drei (0 = keine Bedeutung, 1 = geringe Bedeutung, 2 = mittlere Bedeutung, 3 = große Bedeutung). Aus der Sum-me dieser Bewertungen ergibt sich eine Listung der Deskriptoren anhand ihrer Systemrelevanz. In der zweiten Spalte von Tabelle 3 ist die Relevanz aus der Be-

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing 291

wertung durch die Experten vermerkt (aufgrund gleicher Relevanzbewertung sind manche Ränge mehrfach vergeben).

Im Rahmen der Analyse der Einflussfaktoren wurden für die Deskriptoren je-weils zwei oder mehr mögliche Ausprägungen, so genannte Projektionen, ermit-telt. Diese Projektionen wurden eng an der Literatur und den Aussagen aus den Experteninterviews gebildet, um einen stimmigen und realitätsnahen Zukunfts-raum aufzuspannen.

Tabelle 3. Übersicht der Deskriptoren und Projektionen

Deskriptor Rang Projektion Hypothese 1.1 Elektromobili-tätslobby

12 Große Unterstützung Die Wirtschaft setzt auf Elekt-romobilität.

Wenig Durchsetzungs-vermögen

Rohöl- und Verbrenner-Lobby behalten die Oberhand.

1.2 Infrastruktur 7 Ausbau der Infrastruk-tur

Das Lade- und Car Sharing-Netzwerk wird stark ausge-baut.

Einheitlicher Standard Nutzer können Elektromobil barrierefrei an allen Ladesäu-len laden.

Keine Veränderung Aufgrund von mangelndem Bedarf wird die Infrastruktur nicht in bedeutsamem Um-fang ausgebaut.

2.1 Anbietervielfalt 12 Anbietervielfalt steigt Ansteigende Anbietervielfalt für gewerbliches Elektro-Car-Sharing.

Anbietervielfalt sinkt Abnehmende Anbietervielfalt für gewerbliches Elektro-Car-Sharing.

2.2 Angebotsat-traktivität

9 Stimmiges Gesamtpa-ket

Elektro-Car-Sharing als stimmiges Gesamtpaket mit zusätzlichen Services.

Kein überzeugendes Dienstleistungspaket

Anbieter können keine Anrei-ze durch zusätzliche Service-angebote schaffen.

2.3 Vernetzung 4 Starke Intermodalität und Vernetzung

Unkomplizierte und nutzer-freundliche intermodale Mo-delle erleichtern gewerbliche Unternehmensmobilität.

Isolierte Angebote Car Sharing ist für Unterneh-men zu begrenzt und nicht flexibel genug.

2.4 Wirtschaftlich-keit (Anbieter)

1 Wirtschaftlichkeits-schwelle erreicht

Elektro-Car-Sharing kann wirtschaftlich betrieben wer-den.

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Deskriptor Rang Projektion Hypothese Elektro-Car-Sharing nur mit starker Unter-stützung

Elektro-Car-Sharing findet mit Unterstützung in begrenz-tem Rahmen statt.

Elektro-Car-Sharing nicht wirtschaftlich

Elektromobile sind im Car Sharing nicht wirtschaftlich.

3.1 Nachhaltig-keitsdruck

18 Nachhaltigkeitsbe-wusstsein steigt

Gesellschaft erzwingt Nach-haltigkeitsbewusstsein der Unternehmen.

Kein gesellschaftlicher Druck auf Mobilitäts-form

Unternehmen erfahren kaum externen Druck zu nachhalti-ger Mobilität.

3.2 Problemprä-senz

10 Mobilität als Thema in Medien und Gesell-schaft präsent

Durch starke Problempräsenz gewinnen Elektromobilität und Car Sharing als Lösungs-ansätze an Bedeutung.

Keine Notwendigkeit von Veränderungen

Es besteht kein Bedarf und Interesse an veränderten Mo-bilitätsformen.

4.1 CO2-Regulierungen

16 Regulierungen fördern Elektro-Car-Sharing

Unternehmen werden in ihrer Mobilität durch CO2-Vorgaben eingeschränkt.

Alternative Lösungen um Regulierungen ein-zuhalten

Regulierungen beeinflussen Elektro-Car-Sharing für Un-ternehmen kaum.

4.2 Energiepreis 12 Strom relativ zu kon-ventionellen Energie-trägern günstig

Elektromobilität profitiert von steigenden Rohölpreisen.

Strom relativ zu kon-ventionellen Energie-trägern gleich oder teu-rer

Kraftstoffkostenvorteil von Elektromobilität sinkt.

4.3 Monetäre Anreize

16 Ausbau der monetären Anreize

Kosten für Elektrofahrzeuge werden durch monetäre An-reize gesenkt.

Kein Ausbau der mone-tären Anreize

Kein Ausbau der monetären Unterstützung durch die Poli-tik.

4.4 Nicht-monetäre Anreize

12 Ausbau nicht-monetärer Anreize

Politik setzt auf nicht-monetäre Förderung von Elektro-Car-Sharing.

Kein Ausbau der nicht-monetären Anreize

Nicht-monetäre Anreize wer-den nicht als politisches In-strument eingesetzt.

5.1 Batteriepreis 2 Preis sinkt deutlich Die Batteriekosten für Elekt-rofahrzeuge sinken deutlich.

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing 293

Deskriptor Rang Projektion Hypothese Preis auf ähnlichem Niveau

Batteriepreis bleibt auf einem ähnlichen Niveau.

5.2 Ladezeit 2 Steigerung der Ladel-eistung

Ladezeiten verkürzen sich durch Steigerung der Ladel-eistung und innovative Lade-konzepte.

Gleichbleibende Lade-zeit

Ladezeiten können nicht merklich reduziert werden.

5.3 Reichweite 10 Vergrößerung der Reichweite

Die Reichweite von Elektro-autos steigt auf über 200 km an.

Umdenken der Nutzer Nutzer lernen den angemes-senen Umgang mit Elektro-mobilität.

Gleichbleibende Reichweite

Keine merkliche Steigerung der Reichweite.

6.1 Elektromobili-tätsakzeptanz

4 Nachhaltigkeitsbe-wusstsein bei Unter-nehmen

Große Elektromobilitätsak-zeptanz der in Unternehmen im Jahr 2020.

Geringe Akzeptanz von Elektromobilität

Gewerbliches Elektro-Car-Sharing erfährt geringe Ak-zeptanz im Jahr 2020.

6.2 Mobilitätsbe-wusstsein

4 Unternehmen wollen Mobilitätskosten sen-ken

Car Sharing wird als kosten-günstige Mobilitätsdienstleis-tung vermehrt genutzt.

Unbekannte Mobili-tätskosten

Mobilitätsverhalten der Un-ternehmen ändert sich nicht grundlegend.

6.3 Wirtschaftlich-keit (Nutzer)

7 Elektro-Car-Sharing für Unternehmen wirt-schaftlich

Gewerbliches Elektro-Car-Sharing ist eine wirtschaftlich attraktive Alternative.

Elektro-Car-Sharing nicht wirtschaftlich

Elektro-Car-Sharing ist für gewerbliche Kunden nur sel-ten wirtschaftlich.

Auf Basis der Deskriptoren wurden im weiteren Verlauf die Konsistenzanalyse der Projektionen durchgeführt und mithilfe der Szenariosoftware INKA Szenario-bündel erstellt. Alle Projektionen wurden zunächst in einer Konsistenzmatrix ge-genübergestellt. Die Bewertung der Zusammenhänge der Projektionen in der Kon-sistenzmatrix erfolgte auf einer Skala von plus drei bis minus drei (vgl. Tabelle 4) und ist mit sieben Bewertungsmöglichkeiten im Gegensatz zu anderen Vorge-hensweisen bereits sehr detailliert (Mißler-Behr 1993).

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Tabelle 4. Bedeutung der Konsistenzwerte (Schwarz-Gerschka 2006)

Skala Bedeutung +3 gehört zwingend zusammen, bedingt sich gegenseitig +2 unterstützt sich gegenseitig +1 passt ins gleiche fördernde Klima 0 kein Zusammenhang (beziehungslos, aber Koexistenz möglich) -1 passt schlecht zusammen -2 widersprüchlich -3 schließt sich zwingend gegenseitig aus

Auf Basis dieser Konsistenzanalyse wurden im weiteren Vorgehen durch die Szenariosoftware INKA Annahmebündel zusammengefasst, wobei je eine Projek-tion pro Deskriptor ausgewählt wurde. Zu jedem Annahmebündel wurde zusätz-lich ein Konsistenzmittelwert und Unterschiede zu den anderen Szenarien ermit-telt, da dies relevante Faktoren für die Auswahl der Szenarien sind. Die Konsis-tenzzahlen beschreiben die Intensität des Wirkungszusammenhanges und zeigen gleichzeitig, ob sich die einzelnen Projektionen gegenseitig in ihrer Wirkung ver-stärken, hemmen oder neutral verhalten (Mißler-Behr 1993).

Insgesamt waren bei vollständiger Enumeration 884.736 Szenarien möglich. Durch die Software INKA wurden unter Festlegung der vier wichtigsten De-skriptoren insgesamt 38 konsistente Szenarien berechnet. In der vorliegenden Analyse sind die einflussstärksten Deskriptoren die Elektromobilitätsakzeptanz, die Infrastruktur, der Batteriepreis und die Wirtschaftlichkeit (Anbieter). Tabelle 5 zeigt die wichtigsten Kenngrößen aus dem mit der Software INKA erstellten Sze-nario-Bericht.

Tabelle 5. Kenngrößen der ermittelten Szenarien

Beschreibung der Kenngröße Wert aus INKA-Bericht Anzahl der berechneten Szenarien 38 Maximale durchschnittliche Konsistenz (Szenarionummer) 1,80 (3) Minimale durchschnittliche Konsistenz (Szenarionummer) 0,90 (36) Maximale Konsistenzsumme (Szenarionummer) 201 (1 und 2) Minimale Konsistenz (Szenarionummer) 102 (38) Vernetzungsgrad 73 %

Die durchschnittlichen Konsistenzwerte der Szenarien reichen von 1,80 (Kon-sistenzsumme 198) bis 0,96 (Konsistenzsumme 102). Alle weiteren Möglichkeiten wurden von der Software durch den Branch-and-Bound-Algorithmus ausgeschlos-sen. Der Vernetzungsgrad im Gesamtsystem beträgt 73 Prozent. Dies bedeutet, dass die einzelnen Deskriptoren und Ausprägungen stark miteinander verbunden sind. Wären viele Nullfelder in der Konsistenzmatrix enthalten, würde ein gerin-gerer Vernetzungsgrad entstehen. Für die Konsistenzmatrix wurden insgesamt 741 Konsistenzschätzungen durch die Autoren abgegeben. Hier ist ein kritischer Punkt

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing 295

der Szenarioanalyse zu sehen, da diese Werte aufgrund der großen Anzahl nicht im Einzelnen erklärt und hergeleitet werden können. Bei der Eingabe der Konsis-tenzwerte dienten die Ergebnisse aus der Einflussanalyse und der Experteninter-views sowie die Bewertung der Deskriptoren durch die Experten als Datengrund-lage.

Aufgrund ihrer hohen Konsistenz wurden für die weitere Untersuchung die Szenarien 3 und 5 aus den durch die Software INKA ermittelten Szenarien ge-wählt. Diese besitzen einen durchschnittlichen Konsistenzwert von 1,80 bzw. 1,71 (vgl. Abb. 5). Bei Szenario 3 passen die einzelnen Ausprägungen somit am besten zueinander. Szenario 5 wurde aufgrund seiner starken Unterschiedlichkeit zu Sze-nario 3 ausgewählt. Es hat 18 Unterschiede zu Szenario 3 kann somit gut zur Dar-stellung einer gegenteiligen Entwicklung herangezogen werden Diese Auswahl der Szenarien entspricht einer Empfehlung gemäß von Reibnitz (1992), der vor-schlägt, „sich auf zwei Szenarien zu konzentrieren, die in sich konsistent und stabil sind und sich gleichzeitig deutlich voneinander unterscheiden“ (von Reib-nitz, 28). Für diese Arbeit wurden somit mit den Szenariovorschlägen 3 und 5 zwei sehr konsistente (aus insgesamt 38) Szenarien ausgewählt, die einen großen Unterschied zueinander besitzen und daher die gegenteiligen Pole der Entwick-lung darstellen können.

Abb. 5. Auszug aus dem INKA-Bericht zu den Unterschieden der Szenarien

5 Beschreibung der ausgewählten Szenarien

5.1 Szenario 3 – Positive Rahmenbedingungen

Im Szenario 3, das den höchsten Konsistenzwert besitzt, entwickeln sich die Rah-menbedingungen für die Elektromobilität im gewerblichen Car Sharing positiv, wodurch eine eindeutig verstärkte Nutzung zu erwarten ist. Tabelle 6 zeigt die Ausprägungen der Deskriptoren geordnet nach Umfeldern.

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Tabelle 6. Ausprägungen für Szenario 3

Umfeld Ausprägung Industrie Große Unterstützung

Einheitlicher Standard Dienstleister (Anbieter)

Anbietervielfalt steigt Stimmiges Gesamtpaket Starke Intermodalität und Vernetzung Wirtschaftlichkeitsschwelle erreicht

Unternehmen (Nutzer)

Nachhaltigkeitsbewusstsein bei Unternehmen Unternehmen wollen Mobilitätskosten senken Elektro-Car-Sharing für Unternehmen wirtschaftlich

Gesellschaft Nachhaltigkeitsbewusstsein steigt Mobilität in Medien und Gesellschaft präsent

Politik Regulierungen fördern Elektro-Car-Sharing Strompreis < konventionelle Energieträger Ausbau der monetären Anreize Ausbau der nicht-monetären Anreize

Technologie Batteriepreis sinkt deutlich Steigerung der Ladeleistung Vergrößerung der Reichweite

Ein Hauptgrund für die in diesem Szenario dargestellte Entwicklung ist einer-seits die erhöhte Akzeptanz von Elektromobilität durch die nutzenden Unterneh-men und andererseits die höhere Wirtschaftlichkeit auf Anbieterseite. Alle be-troffenen Stakeholder arbeiten daran, die Rahmenbedingungen zu verbessern und die Elektromobilität an sich und speziell im gewerblichen Car Sharing zu verbes-sern. Die Elektromobilitätslobby hat einen großen Einfluss und bringt auf techni-scher Seite die Ladeleistung, Reichweite und weitere Aspekte voran. Der begin-nende Massenmarkt für Elektrofahrzeuge trifft in diesem Szenario zunehmend auf eine selbsttragende Nachfrage. Durch Zuschüsse der Politik in Forschung und Entwicklung und durch steigende Absatzzahlen können die Preise für Elektrofahr-zeuge reduziert werden. Außerdem entsteht durch verstärkte Mittel aus Industrie und Politik eine verbesserte Infrastruktur. Auch der Energiepreis für Strom ist im Gegensatz zu konventionellen Energieträgern eindeutig günstiger. Diese Faktoren bewirken, dass mehr und mehr tragfähige Geschäftsmodelle für Elektro-Car-Sharing-Anbieter entstehen. Hinzu kommen Privilegien für Elektrofahrzeuge wie etwa die Nutzung von Busspuren oder verlängerte Liefer- und Zufahrtszeiten. Durch diese Aspekte wird die Attraktivität und Akzeptanz auf Seiten der nutzen-den Unternehmen gesteigert, die somit eindeutige Vorteile des Elektro-Car-Sharings gegenüber anderen Mobilitätsformen sehen. Ein weiterer attraktivitäts-steigender Faktor ist die zunehmende Vernetzung seitens der Elektro-Car-Sharing-Anbieter. Diese kooperieren sehr stark miteinander und ermöglichen somit eine unkomplizierte Nutzung der Dienstleistung nicht nur innerhalb eines begrenzten Raumes, sondern auch über Städtegrenzen hinaus. Die Anbieter können ein größe-res Kundenpotenzial ausschöpfen und für die nutzenden Unternehmen entsteht ein

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing 297

Angebot mit noch größerer Flexibilität und Auswahlmöglichkeit. Wichtig sind hierbei außerdem zusätzliche Dienstleistungen wie bspw. Cloud-Services, durch die Registrierung, Buchung von Fahrzeugen und Ladestationen sowie die Abrech-nung für die Unternehmen problemlos und komfortabel durchgeführt werden kön-nen. Diese Cloud-Services ermöglichen zudem ein optimiertes Lademanagement der Elektrofahrzeuge und eine reibungslose Kommunikation innerhalb der Fahr-zeugflotte. Insgesamt verhilft in diesem Szenario das Car Sharing der Elektromo-bilität nicht nur im gewerblichen Bereich zu einem Durchbruch.

5.2 Szenario 5 – Stillstand der Entwicklung

Um die größtmögliche Spannbreite der möglichen zukünftigen Entwicklungen aufzuzeigen, wird als weiteres das Szenario 5 beschrieben, das einen Stillstand der Entwicklung repräsentiert. Dieses bietet eine Vielzahl von Unterschieden zum Szenario 3. Tabelle 7 fasst die zugehörigen Ausprägungen zusammen.

Tabelle 7. Ausprägungen für Szenario 5

Umfeld Ausprägung Industrie Wenig Durchsetzungsvermögen

Keine Veränderung der Infrastruktur Dienstleister (Anbieter)

Anbietervielfalt sinkt Kein überzeugendes Dienstleistungspaket Isolierte Angebote Elektro-Car-Sharing nicht wirtschaftlich

Unternehmen (Nutzer)

Geringe Akzeptanz von Elektromobilität Unbekannte Mobilitätskosten Elektro-Car-Sharing nicht wirtschaftlich

Gesellschaft Kein gesellschaftlicher Druck auf Mobilitätsform Keine Notwendigkeit von Veränderung

Politik Alternative Lösungen um Regulierungen einzuhalten Strompreis >= konventionelle Energieträger Kein Ausbau der monetären Anreize Kein Ausbau der nicht-monetären Anreize

Technologie Batteriepreis auf ähnlichem Niveau Gleichbleibende Ladezeit Gleichbleibende Reichweite

Bei diesem Szenario gibt es zwar keine Verschlechterung der Rahmenbedin-gungen, aber auch keine ernstzunehmende weitere Verbesserung. Dies führt dazu, dass insbesondere die Wirtschaftlichkeit auf Anbieterseite nicht erreicht wird und zudem auf Seiten der potenziellen Nutzer nicht ausreichend Akzeptanz und Anrei-ze für die Nutzung von Elektromobilität geschaffen werden können. Die Elektro-mobilitätslobby besitzt in diesem Szenario ein geringes Durchsetzungsvermögen und kann somit nur wenige bis keine Veränderungen in der Infrastruktur und bei den technischen Aspekten in Bezug auf Reichweite und Ladeleistung erzielen.

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298 Jan-Hendrik Heinen und Jens Pöppelbuß

Hinzu kommt, dass auch die Politik kaum weitere Anreize monetärer und nicht-monetärer Form liefert. Verstärkt wird die fehlende Wirtschaftlichkeit durch ein für die Elektromobilität ungünstiges Verhältnis der Energiepreise. Strom ist im Verhältnis zu konventionellen Kraftstoffen teurer, wodurch auch während des Be-triebes Mehrkosten für die Anbieter von Elektro-Car-Sharing entstehen. Bei den Anbietern mangelt es an attraktiven Zusatzangeboten für gewerbliche Nutzer und an der Intermodalität des Angebots. Die Anbieter agieren durch ihr Konkurrenz-denken eher isoliert voneinander, wodurch jedes Angebot für sich nur in einem begrenzten Raum verfügbar ist. Speziell für gewerbliche Kunden ist dadurch das Angebot nicht flexibel und umfassend genug. Die Entscheider in den nutzenden Unternehmen sehen Elektro-Car-Sharing nicht als Alternative für bereits vorhan-dene Mobilitätsformen an. Vor allem der fehlende Fortschritt in Bezug auf die Technologie der Elektrofahrzeuge steht einer verstärkten Einbindung dieser in Car Sharing-Konzepte im Weg. Dies bezieht sich sowohl auf die Anbieterseite, die durch hohe Batteriekosten und geringe Auslastung aufgrund langer Ladezeiten die Wirtschaftlichkeitsschwelle nicht erreichen, aber auch auf die Car Sharing nutzen-den Unternehmen. Diese stehen durch die langen Ladezeiten und die weiterhin begrenzte Reichweite dem Elektro-Car-Sharing weiterhin sehr kritisch gegenüber. Insgesamt bleiben die derzeitigen Herausforderungen bestehen bzw. werden durch den Stillstand sogar noch erhöht.

5.3 Zusammenfassende Betrachtung der vorgestellten Szenarien

Die beiden Szenarien zeigen auf, dass im Bereich des gewerblichen Elektro-Car-Sharing in den nächsten fünf Jahren sehr unterschiedliche Entwicklungen stattfin-den können. Abgesehen von einer möglichen Verschlechterung des Verhältnisses von Strompreis zum Preis konventioneller Energieträger ist zwar kaum eine Ver-schlechterung der Rahmenbedingungen zu erwarten und es wird an vielen Stellen an der Verbesserung der Rahmenbedingungen gearbeitet. Jedoch wird es bei ei-nem Ausbleiben solcher Verbesserungen zu einer sehr schleppenden Entwicklung kommen. Dies zeigt das Szenario 5. Nur durch die Zusammenarbeit der verschie-denen beteiligten Personen und Institutionen kann die Elektromobilität für den gewerblichen Verkehr vorangetrieben werden. Diese angesprochene Zusammen-arbeit findet im ersten dargestellten Szenario 3 in einer ausgeprägten Form statt. Hier werden die Rahmenbedingungen von allen Seiten positiv für das Elektro-Car-Sharing verändert. Die beiden Szenarien stellen somit sehr extreme Entwicklungs-tendenzen dar, um das gesamte Spannungsfeld der zukünftigen Entwicklungsmög-lichkeiten abbilden zu können.

Es ist zu vermuten, dass bis zum Jahr 2020 nur eine teilweise Verbesserung der Rahmenbedingungen erreicht wird. Durch die starke Abhängigkeit der einzelnen Faktoren untereinander ist es schwer zu ermitteln, wie stark der Grad der Verbes-serung für jeden einzelnen Deskriptor sein wird. Darüber hinaus weisen viele der Deskriptoren derzeit eine hohe Entwicklungsdynamik und aufgrund des frühen

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing 299

Marktstadiums auch viele Unsicherheiten auf. Auffällig ist, dass sich die zentralen Herausforderungen zumeist auf die Elektromobilität im Allgemeinen beziehen und dem konventionellen Car Sharing auch in Bezug auf gewerbliche Kunden nur sehr wenige Probleme gegenüberstehen. An dieser Stelle wurden bei den Expertenge-sprächen auf Nutzerseite sehr positive Erfahrungen angemerkt und auch auf An-bieterseite große Potenziale ausgemacht. Erst bei der Einbindung von Elektromo-bilität wurden Herausforderungen und Bedenken auf beiden Seiten deutlich.

6 Diskussion

6.1 Implikation und Handlungsfelder

Die Akzeptanz von Elektromobilität im Allgemeinen wirkt sich maßgeblich auf das Elektro-Car-Sharing aus. Obwohl häufig hervorgehoben wird, dass durch Car Sharing bestehende Nachteile der Elektromobilität aufgehoben oder verringert werden, besteht an dieser Stelle weiterhin großer Handlungsbedarf. In den Exper-teninterviews wurde angemerkt, dass für ein Umdenken im Mobilitätsverhalten die Entscheider im Unternehmen eine wichtige Rolle spielen. Die bereits beste-henden oder die in Zukunft entstehenden Potenziale scheitern vor allem an der Akzeptanz und fehlendem Wissen im Unternehmen. Auch Vorurteile gegenüber Car Sharing und der Elektromobilität spielen in diesem Zusammenhang eine Rol-le. Die Wirtschaftlichkeit auf Anbieterseite wurde von den in dieser Arbeit befrag-ten Experten als besonders relevanter Deskriptor angesehen. Kaufsubventionen können zwar in den nächsten Jahren den Anteil der Elektrofahrzeuge steigern, je-doch stoßen diese Maßnahmen bei steigender Fahrzeuganzahl und auf Dauer an ihre Grenzen. Dennoch ist nur über eine Verringerung der Kosten für Elektromo-bilität eine Erhöhung des Anteils von Elektrofahrzeugen möglich.

Die Wirtschaftlichkeit auf Anbieterseite und Elektromobilitätsakzeptanz auf Nutzerseite werden beide sehr stark vom Umfeld Technologie beeinflusst. Als Systemhebel hat dieses Umfeld einen sehr starken Einfluss auf das Gesamtsystem. Die staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung in der Elektromobilität ist daher ein sinnvoller Ansatzpunkt. Aber auch Nutzer und Anbieter sollten eine aktivere Rolle in der Förderung von Elektromobilität einnehmen, als es derzeit der Fall ist. Nutzende Unternehmen könnten bspw. anteilige Kosten an Elektrofahr-zeugen oder Kosten für den Infrastrukturaufbau tragen und somit eine Patenschaft übernehmen. Dies unterstützt die Car-Sharing-Anbieter, bringt die Einbindung von Elektromobilität voran und ist gleichzeitig ein gutes Marketingwerkzeug für die nutzenden Unternehmen. Durch ein Branding auf den Fahrzeugen oder Lade-säulen und durch die Kommunikation dieses Vorgehens können die betroffenen Unternehmen ihr Image und Nachhaltigkeitsbewusstsein verdeutlichen. Ein weite-res bereits angesprochenes Beispiel für eine engere Zusammenarbeit ist das Be-reitstellen von Car-Sharing-Stationen und Ladesäulen auf dem Unternehmensge-lände. Der Car-Sharing-Anbieter kann somit leichter und günstiger Parkflächen

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300 Jan-Hendrik Heinen und Jens Pöppelbuß

erwerben und sein Netzwerk ausbauen. Die nutzenden Unternehmen auf der ande-ren Seite haben eine Car Sharing-Station in direkter Unternehmensnähe und kön-nen zudem günstigere Konditionen durch das Bereitstellen dieser erhalten.

6.2 Limitationen

Ein bedeutendes Problem der Szenarioanalyse ist die inhärente Subjektivität der Methode. Auch in der Literatur wird häufig ein Fehlen an Transparenz, Nachvoll-ziehbarkeit und Glaubwürdigkeit als Kritik der Szenarioanalyse angeführt (Gau-semeier et al. 1995). An mehreren Stellen müssen Entscheidungen getroffen wer-den, um die Komplexität zu reduzieren und um den Fokus auf die wichtigen Ker-naspekte zu legen. Nur so kann die ohnehin sehr aufwendige Szenarioanalyse durchgeführt werden. Diese Entscheidungen werden bspw. bei der Auswahl der Deskriptoren und ihrer jeweiligen Ausprägungen getroffen. An dieser Stelle ist die Szenarioanalyse von der Vorstellungskraft, der Kreativität und dem Informations- und Kenntnisstand der beteiligten Personen abhängig. Ein weiterer kritischer Punkt ist das Ausfüllen der Konsistenzmatrix als Basis der Berechnung der Szena-riovorschläge mit INKA. Trotz des an sich recht formellen Vorgehens der Szena-rioanalyse entsteht hier eine gewisse Subjektivität, da bei der Vielzahl der auszu-füllenden Konsistenzwerte nicht für jeden einzelnen Wert eine stichhaltige Be-gründung geliefert werden kann. Laut Mißler-Behr (1993) sollen die Inputdaten durchaus einen subjektiven Charakter besitzen, da exakte Schätzungen eine Scheingenauigkeit der Inputdaten suggerieren, die bei der Szenarioanalyse als Einblick in die Systemstruktur und Grundlage für kontroverse Diskussion im wei-teren Verlauf nachteilig sein kann. Hier ist folglich ein geeigneter Mittelweg zwi-schen nachvollziehbarer Transparenz und subjektivem Interpretationsspielraum zu finden (Mißler-Behr 1993). Es ist daher durchaus möglich, dass beim Ausfüllen der Konsistenzmatrix durch andere Personen veränderte Szenarien durch INKA ermittelt werden. Es handelt sich bei der Szenarioanalyse jedoch um eine Betrach-tung der zukünftigen Entwicklung, welche immer mit Unsicherheiten verbunden ist. Die in dieser Arbeit ermittelten Szenarien stellen daher lediglich mögliche Entwicklungen dar.

7 Fazit

Abschließend lässt sich sagen, dass ein Zusammenspiel vieler Faktoren und Sta-keholder benötigt wird, um die Einbindung von Elektrofahrzeugen in das gewerb-liche Car Sharing-Angebot voranzutreiben. Eine Konzentration auf einzelne As-pekte erscheint nicht ausreichend, sondern es müssen viele Zahnräder ineinander-greifen, um den bislang geringen Anteil bis zum Jahr 2020 merklich steigern zu können. Dies muss zudem über die Barrieren in einzelnen Bereich hinaus auf poli-tischer, technologischer und gesellschaftlicher Ebene stattfinden. Innerhalb der nächsten Jahre ist daher lediglich eine teilweise Verbesserung der Situation zu er-

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Elektromobilität im gewerblichen Car-Sharing 301

warten. Im kleinen Rahmen können innovative Projekte und Kooperationen zwi-schen Car Sharing-Anbietern und nutzenden Unternehmen in diesem Zeitrahmen entstehen, eine großflächige Substitution der bisherigen Mobilitätsformen ist je-doch nicht zu erwarten. Es wird trotz aller Anstrengungen der Politik und Wissen-schaft weiterhin eine Vielzahl von Herausforderungen in der Praxis geben.

Der vorliegende Beitrag sieht die zukünftige Entwicklung in diesem Bereich demnach eher kritisch, da zeitnah viele Faktoren verbessert werden müssten, um bis zum Jahr 2020 eine verstärkte Einbindung der Elektromobilität in Car Sharing-Konzepte zu erzielen. Die Szenarioanalyse zeigt hierbei, dass die Herausforderun-gen des Elektro-Car-Sharing größtenteils auf Seiten der Elektromobilität und nicht beim Dienstleistungskonzept des Car Sharing an sich liegen. Der Anteil des Car Sharing in der gewerblichen Mobilität wird zwar mit großer Sicherheit zunehmen, da hier abgesehen von unpassenden Fahrprofilen kaum weitere Hürden zu über-winden sind. Jedoch wird der Anteil an Elektrofahrzeugen innerhalb dieser Flotten nur bei sehr positiver Entwicklung der Rahmenbedingungen merklich zunehmen.

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Carsharing Geschäftsmodelle – Entwicklung eines bausteinbasierten Modellierungsansatzes

Thorsten Schoormann, Dennis Behrens und Ralf Knackstedt

Die Bedeutung von Carsharing nimmt über die letzten Jahre weiter zu, wodurch Angebote und Nutzerzahlen stetig steigen. Im Jahr 2014/2015 existierten bereits rund 150 Anbieter mit über 1.000.000 Kunden in Deutschland. Eine große Anzahl an Angeboten bringt allerdings auch eine große Vielfalt in den Angeboten mit sich, sodass zahlreiche Unterschiede in den Konzepten des Carsharings bestehen (z. B. Art des Sharings, Mietgebühren oder Dienstleistungsangebote). Die Vielfalt der Konzepte stellt die Gestaltung und Darstellung der Geschäftsmodelle vor ver-schiedene Herausforderungen wie z. B. die Vergleichbarkeit. Im Rahmen dieses Beitrages wird daher zunächst die Domäne (literaturbasiert und empirisch) kon-zeptualisiert, um auf Basis identifizierter Merkmale und entsprechender Ausprä-gungen einen domänenspezifischen und bausteinbasierten Modellierungsansatz für Carsharing zu entwickeln, der zur Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit bei-tragen soll. Die insgesamt 16 entwickelten Bausteine setzen sich jeweils aus meh-reren Ausprägungen zusammen und wurden in drei verschiedenen Rahmenwerke für die Modellierung von Geschäftsmodellen angewendet.

1 Einleitung

In Teilen der Gesellschaft verliert der Besitz eines eigenen Fahrzeugs zunehmend an Relevanz und das eigentliche Bedürfnis nach Mobilität rückt in den Vorder-grund. Die Sachleistung Fahrzeug muss sich deshalb auch als Dienstleistung für individuelle Mobilitätsanforderung sehen (Diehlmann und Häcker 2012). Sowohl die Automobilindustrie als auch Mobilitätsdienstleister müssen sich daher neu ori-entieren. Während das klassische Kerngeschäft eines Automobilherstellers die Produktion und den Vertrieb eigener Fahrzeuge forcierte, sind heute vor allem zu-sätzliche Leistungen und Services nötig, um langfristig am Markt zu bestehen. In-novative Mobilitätskonzepte ermöglichen zudem Potenziale zur Berücksichtigung weitere Aspekte wie z. B. Umwelt und Nachhaltigkeit (Deffner et al. 2014).

Seit dem ersten Angebot von Carsharing im Jahr 1988 existieren im Jahr 2014/2015 bereits etwa 150 Anbieter (Bundesverband Carsharing 2014) und über 1.000.000 Nutzer in Deutschland (Statista 2016a, Stand 01/2015). Die Vielfalt der

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7_14

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304 Thorsten Schoormann, Dennis Behrens und Ralf Knackstedt

Anbieter bringt allerdings auch zahlreiche Unterschiede zwischen den Angeboten mit sich, wie bei der Gestaltung der Miettarife, den Gebühren oder den zusätzli-chen Dienstleistungen und Services. Innovative Geschäftsmodelle bringen neue Anforderungen mit sich, die durch Modellierungssprachen adressiert werden soll-ten (Frank et al. 2014), um Entwicklungen und Analysen zu ermöglichen. Eine einheitliche Repräsentation der verschiedenen Elemente und Strukturen ist zur Unterstützung der Vergleichbarkeit nötig.

Das Schaffen von Vergleichbarkeit fördert Aspekte der Modellqualität, redu-ziert Inkonsistenzen und ermöglicht übergreifende Analysen (z. B. Rosemann et al. 2005; Delfmann et al. 2009). Dazu wird jedoch eine einheitliche Darstellung der Geschäftsmodelle vorausgesetzt (Zolnowski und Böhmann 2010). Zur Vereinheit-lichung haben sich neben Gestaltungsprinzipien und Vorgehensmodellen domä-nenspezifische und bausteinorientierte Modellierungstechniken etabliert, die As-pekte der Vergleichbarkeit, Verständlichkeit, Klarheit und Wiederverwendbarkeit fördern können (Becker et al. 2009). Ziel dieses Beitrages ist es daher einen bau-steinorientierten Modellierungsansatz zu entwickeln, der vor allem zur Erhöhung der Vergleichbarkeit von Carsharing Geschäftsmodellen beiträgt.

Zur Entwicklung des Ansatzes werden zunächst Modellierungstechniken für Geschäftsmodelle sowie Ansätze zur Erhöhung der Modellvergleichbarkeit aufge-zeigt (Abschnitt 2). Anschließend wird das methodische Vorgehen erläutert, das aus einer Vorstudie zur empirischen Feststellung des Problems, der Konzeptuali-sierung der Carsharing Domäne sowie der Entwicklung der Bausteine besteht (Abschnitt 3). Dazu werden zunächst Merkmale und Ausprägungen aus der Do-mäne literaturbasiert und empirisch identifiziert, analysiert und verdichtet. Die Resultate werden in einem Morphologischen Kasten strukturiert, anhand dessen die Entwicklung der Bausteine erfolgt (Abschnitt 4). Zur Evaluation wird ein Fall-beispiel in drei verschiedenen Rahmenwerken für Geschäftsmodelle dargestellt (Abschnitt 5). Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert, hinsichtlich der identifizierten Unterschiede aus der Vorstudie verglichen, Limitationen aufgezeigt (Abschnitt 6) und eine Forschungsagenda aufgestellt (Abschnitt 7).

2 Modellierung von Geschäftsmodellen für Carsharing

2.1 Modellierung von Geschäftsmodellen

In der Literatur existiert zwar ein Konsens über den Nutzen von grafischen Visua-lisierungen für Geschäftsmodelle, jedoch keine Einigkeit über dessen Form, wo-durch ein vielfältiges Angebot an Repräsentationen und Ontologien zur Verfügung steht (z. B. Deelmann und Loos 2003; Kundisch und John 2012). Grundsätzlich können die Modellierungen verbal, textuell oder grafisch aufbereitet sein. Dabei bestehen Optionen zur Verknüpfung dieser Ansätze, in dem Kombinationen aus Texten, Wörtern und Grafiken gebildet werden (Zott et al. 2011).

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Carsharing Geschäftsmodelle 305

Repräsentationen können zudem in die Bereiche der flussorientierten sowie der ganzheitlichen Perspektive der Geschäftslogik unterteilt werden. Zu den verbreite-ten Vertretern der Flussorientierung zählt z. B. die e3-Value Methode von Gordijn (2002). Zu den meist verwendeten und adaptieren Ansätzen der ganzheitlichen Betrachtung zählen die e-Business Model Ontololgy sowie die Business Model Canvas nach Osterwalder und Pigneur (Zolnowski und Böhmann 2014). Die e-Business Model Ontology differenziert zwischen einem Modell (Kundenbezie-hungen, Produkt-Innovation, Infrastruktur und Finanzen) und einer Modell-Ontologie (Osterwalder und Pigneur 2002). Die Business Model Canvas betrachtet Geschäftsmodelle in neun Sichten für Partner, Aktivitäten, Ressourcen, Nutzen-versprechen, Kundenbeziehungen, Kanäle, Kunden, Einnahmen und Kosten (Osterwalder und Pigneur 2010). Trotz eines hohen Verbreitungsgrades werden in der Literatur Erweiterungen für die Business Model Canvas diskutiert, wie z. B. für das Integrieren von Aspekten der Nachhaltigkeit (z. B. Lüdeke-Freund 2010; Kanshieva 2012; Henriksen et al. 2012).

Darüber hinaus existieren weitere Ansätze wie die Beschreibung eines Ge-schäftsmodells mit mehreren Partialmodellen (z. B. Wirtz 2001; Alt und Zimmer-mann 2001). Diese sind zwar der allgemeingültigen Klasse der kombinierten Re-präsentation aus Grafik und Text zuzuordnen, bieten darüber hinaus allerdings dif-ferenziertere Strukturierungsmöglichkeiten. Einer der ersten Ansätze ist das inte-grierte Geschäftsmodell nach Wirtz (2001), das sich in Teilmodelle für Markt, Be-schaffung, Distribution, Erlöse sowie Leistungsangebot und -erstellung gliedert.

Insbesondere eine grafische Darstellung unterstützt die Betrachtung eines Ge-schäftsmodells. Dazu muss eine Notation festgelegt sein, die das Modellieren in einer einheitlich-formalen Weise ermöglicht. Einheitliche Beschreibungen unter-stützen das systematische Vergleichen, das vor allem dazu beitragen kann, Anfor-derungen an die Integration verschiedener Geschäftsmodelle (z. B. aus Produktion und Dienstleistung) abzuleiten (Zolnowski und Böhmann 2010). Aufgrund der Vielzahl von Repräsentationsformen sind einheitliche Vorgaben für die Modellie-rung gefordert, die zur Vergleichbarkeit beitragen. Zudem nutzen existierende An-sätze häufig Modellierungstechniken, die keine domänenspezifischen Elemente enthalten, wodurch uneinheitliche Modelle und Bezeichnungen entstehen können.

2.2 Vergleichbarkeit von Modellen

Grundsätzliches Ziel ist es, eine gemeinsame Sprache zu schaffen, die die Realität in einer einheitlichen und formalen Weise beschreibt (Frank 1997). Viele Model-lierungssprachen sind allerdings durch Allgemeingültigkeit geprägt, wodurch De-fizite entstehen können wie z. B. der Freiheitsgrad (Darstellung liegt in der Hand des Modellierenden), die Vergleichbarkeit (uneinheitliche Darstellung) oder die Verwendung Begriffen, die keinen direkten Bezug zur eigentlichen Anwendungs-domäne aufweisen (Algermissen et al. 2010).

Zur einheitlichen Gestaltung von Modellen existieren in der Literatur bereits verschiedene Ansätze, wie z. B. die Grundsätze ordnungsmäßiger Modellierung

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(GOM). GOMs geben Ziele vor, die bei der Konstruktion von Modellen beachtet werden sollten, um daran Maßnahmen zu entwickeln, die das Steigern der Klar-heit, Konsistenz und Qualität ermöglichen. Die Grundsätze adressieren dabei Richtigkeit, Relevanz, Wirtschaftlichkeit, Klarheit, Vergleichbarkeit und den sys-tematischen Aufbau (Becker 1998). Die Vergleichbarkeit ist einer der Hauptzwe-cke. Differenziert wird hier zwischen syntaktischer Vergleichbarkeit (Kompatibili-tät von durch unterschiedliche Methoden erstellte Modelle) und semantischer Vergleichbarkeit (inhaltliche Aussagen) (Rosemann und Schütte 1997).

Die Vereinheitlichung der Elementbezeichnungen kann zu einer höheren Mo-dellqualität beitragen, da empirische Studien zeigen, dass vor allem Bezeichnun-gen durch starke Variationen geprägt sind. Das Gewährleisten von Vergleichbar-keit ist allerdings eine große Herausforderung, die vor allem bei Entwicklungen mit mehreren Modellierenden schwer umzusetzen ist. Formalisierte Konventio-nen, die domänenspezifisches Vokabular strukturiert zur Verfügung stellen, sind hier von hoher Relevanz (Delfmann et al. 2009). Konventionen tragen dazu bei, Inkonsistenzen zu reduzieren und Modelle vergleichbarer zu gestalten, um bspw. übergreifende Auswertungen durchführen zu können (Rosemann et al. 2005). Vor allem bausteinorientierte Modellierungstechniken, die das Modellieren mit vorde-finierten Elementen unterstützen, ermöglichen eine einheitliche Gestaltung (Be-cker et al. 2009). In der Prozessmodellierung existieren zudem Richtlinien wie die Seven Process Modeling Guidelines, die u. a. besagen möglichst wenige Elemente zu verwenden und Verb-Objekt-Benennungen zu nutzen (Mendling et al. 2010).

Bestehende Prinzipien, Richtlinien und domänenspezifische Ansätze können zur Erhöhung der Vergleichbarkeit in Bezug auf die Modellierung von Carsharing berücksichtigt bzw. übertragen werden.

2.3 Vergleichbarkeit von Carsharing Geschäftsmodellen

Einen domänenspezifischen Beitrag für Carsharing liefert Stryia et al. (2015), die auf Basis eines Literatur-Reviews, Komponenten für Elektromobilitätsdienstleis-tungen (zu denen auch E-Carsharing zählt) vorschlagen. Dienstleistungen gelten als Beschleuniger und als Kontaktmöglichkeit für die Elektromobilität zur Bevöl-kerung, die auch durch Carsharing adressiert werden kann. Die identifizierten Komponenten werden direkt den verschiedenen Segmenten des Geschäftsmodell Frameworks zugeordnet (u. a. Ressourcen, Aktivitäten, Wertversprechen und Kundensegment). Durch den Domänen-Fokus werden spezifische Elemente wie Ladeinfrastrukturen forciert, wodurch die Vergleichbarkeit zwischen Angeboten von entsprechenden Leistungen unterstützt werden kann.

In Bezug auf die Modellierung von Geschäftsmodellen genügen nach Gerwig et al. (2014) – trotz verschiedener Modellierungstechniken – keine den Anforderun-gen, um das eigene Carsharing Tandem-Modell verallgemeinert darzustellen. Zur Durchführung von Analysen wird jedoch eine Darstellung mit insbesondere der Berücksichtigung wesentlicher Komponenten und deren logischen Zusammen-hänge benötigt (Gerwig et al. 2014).

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Carsharing Geschäftsmodelle 307

Da erste domänenspezifische Ansätze nur textuelle Elemente für eine spezifi-sche Modellierung der Geschäftsmodelle bereitstellen, ist eine allgemeingültige Lösung für Carsharing weiterhin offen. Der bausteinorientierte Ansatz liefert Po-tenziale für einheitliche Berücksichtigung von Domänenspezifika. Die Bausteine sollen dabei nicht an Rahmenwerke gebunden sein, sodass sie in unterschiedlichen Modellen verwendet werden können.

3 Methodisches Vorgehen

3.1 Übersicht

Dieser Beitrag zur Entwicklung eines Modellierungsansatzes kann der gestaltungsorientierten Forschung zugeordnet werden (z. B. Hevner et al. 2004). Takeda et al. (1990) schlagen auf Basis allgemeiner Design-Theorie Phasen zur Problemauswahl sowie zur Gestaltung des Lösungsvorschlags, der -entwicklung, der -evaluation und der -schlussfolgerung vor. Hinweise zum Vorgehen und zu Richtlinien aus dem Design Science Research adressieren ebenfalls Schritte der (praxisrelevanten) Problemidentifikation und -motivation, der Zieldefinition, der Artefakt-Gestaltung, der Anwendung, der Evaluation und der Kommunikation der Erkenntnisse (z. B. Hevner et al. 2004; Peffers et al. 2006; Peffers et al. 2007). Ein bereits evaluierter und bausteinorientierter Modellierungsansatz, der gleicher-maßen der gestaltungsorientierten Forschung folgt, ist PICTURE. Das Vorgehen enthält (1) die Problemstellung, (2) die Beschreibung der Lösungsmethode, (3) die Anwendung des Ansatzes, (4) die Evaluation sowie (5) die Definition des weiteren Forschungsbedarfs (Becker et al. 2007).

Da auch in diesem Beitrag eine nach gestaltungsorientierter Forschung ausge-richtete Entwicklung im Vordergrund steht, adressieren wir in Anlehnung an Be-cker et al. (2007) die Phasen der Vorstudie zur Festlegung und Motivation des Problems, der Konzeptualisierung der Domäne, der Entwicklung und Beschrei-bung des Modellierungsansatzes für die Domäne des Carsharings sowie die Eva-luation durch das Anwenden des Ansatzes auf ausgewählte Fallbeispiele (vgl. Abb. 1).

Abb. 1. Methodisches Vorgehen MK = Morphologischer Kasten

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3.2 Vorstudie: Modellierung eines Carsharing Modells

Zur Untersuchung typischer Unterschiede in den Repräsentationen wurde eine Vorstudie durchgeführt, in der die Modellierung eines Carsharing Geschäftsmo-dells untersucht wurde. In der Studie modellierten 21 Studierende anhand eines vorgegebenen Textes ein Geschäftsmodell. Da das Rahmenwerk der Business Model Canvas zu den in Wissenschaft und Praxis meist verwendeten Frameworks zählt (vgl. Abschnitt 2.1), wurde dies vorgegeben. Zudem haben sich die Studie-renden vorab in Vorlesungen und Übungen sowohl mit der Business Model Can-vas als auch mit Carsharing Geschäftsmodellen befasst. Die Auswertung zeigt, dass trotz der Vorgabe einer bekannten Modellierungstechnik sowie eines Textes zahlreiche Unterschiede in den Modellen zu finden sind (vgl. Tabelle 1).

Die 21 Studierenden waren zu dem Zeitpunkt der Vorstudie eingeschrieben in den Studiengängen Wirtschaftsinformatik (9/21), Informationsmanagement und -technologie (11/21) sowie Interkulturelles Informationsmanagement (1/21). Acht der Studierende befanden sich im Bachelor (Semester 5–13) und 13 im Master (Semester 1–5). Die Teilnahme an dem Kurs erfolgte auf eigenes Interesse. Für die Modellierung standen insgesamt 90 Minuten inklusive Einlese-Zeit zur Verfü-gung – unser Richtwert war dabei auf 40 Minuten angesetzt.

Tabelle 1. Unterschiede in der Modellierung

Unterschied Beschreibung/Häufigkeiten Bezeichnung Ausgehend von jeweils einem Modell existiert mindestens ein weite-

res Modell, das eine andere Bezeichnung verwendet, wodurch der Grad der Unterschiedlichkeit als vollständig angesehen werden kann.

Zusätzliche Elemente

13 der 21 untersuchten Modelle (~61 %) enthielten zusätzliche Ele-mente, die nicht explizit im Text benannt waren. Insgesamt wurden 482 Elemente modelliert (min. = 15; max. = 31). 13 Modelle enthal-ten mehr Elemente als der Durchschnitt von 22,9 Elementen.

Weniger Elemente

17 der 21 Modelle (~80 %) haben (Kern-)Informationen, die im Text benannt waren, nicht dargestellt. Acht Modelle enthalten weniger Elemente als der Durchschnitt von 22,9 Elementen.

Spezialisierung Zehn von 21 Modelle (~47 %) haben trotz der expliziten Nennung von Namen im Text, abstrakte Bezeichnungen für Rollen, Stellen oder Organisationeinheiten verwendet.

Zuordnung Ausgehend von jeweils einem Modell existiert mindestens ein weite-res Modell, das gleiche Elemente einem anderen Segment der Busi-ness Model Canvas zugeordnet hat.

Beschreibungs-art

Drei von 21 Modelle (~14 %) haben Sätze und vier (~19 %) haben Cluster gebildet. Die Anderen (~66 %) haben Stichpunkte für die Be-schreibung der Inhalte verwendet.

Aggregation Drei von 21 Modelle (~14 %) haben die im Text explizit getrennten Informationen zu einem abstrahierten Element zusammengeführt.

Ungenaue Spezifikation

Fünf Modelle (~23 %) enthalten ungenaue Elemente, die nicht ein-deutig definiert sind und somit nicht zum Verständnis beitragen.

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Carsharing Geschäftsmodelle 309

Zu beachten ist, dass bei der Durchführung der Vorstudie (a) vor allem Studie-rende teilgenommen haben, die ein Interesse und daher auch Affinität an Model-lierungen aufzeigen, (b) Vorkenntnisse hinsichtlich des Modellierungsansatzes vorhanden waren, (c) Vorkenntnisse hinsichtlich Carsharing Angeboten vorhan-den waren sowie (d) ein begrenzter Zeitraum zur Bearbeitung vorgegeben war. Zur Erläuterung der Unterschiede werden im Folgenden Beispiele aufgezeigt:

Bezeichnung der Elemente: Es entstanden kleinere Unterschiede wie z. B. „E-Auto“, „Elektromobil“ und „Elektroauto“ für die Antriebsart sowie größere Abweichungen, bei denen sich die Zugehörigkeit komplexer gestaltet, wie z. B. „Zuschüsse“, „Förderung“ und „Landesgelder“ für die Einnahmen. Vor allem das Werteversprechen zeigt ein hohes Maß an Individualität.

Zusätzliche Element: z. B. wurde aus dem Element der „Buchungssoftware“ die entsprechende Administration durch „Programmierer“ abgeleitet oder das Mar-keting mit „Werbung, Schulungen und Newsletter“ adressiert.

Weniger Elemente: z. B. wurden die „Stadtwerke“ als Energieversorger nicht berücksichtigt, obwohl sie in der Beschreibung explizit genannt wurden.

Spezialisierung von Elementen: Anstatt einer Organisationseinheit „Autoher-stellers“ wurden konkreten Instanzen wie z. B. „Volkswagen“ modelliert.

Zuordnung der Elemente: Unterschiedliche Zuordnungen des „Carsharingnut-zer“ sowohl zu dem Kunden- als auch zu dem Partnersegment.

Beschreibungsart der Elemente: Bei den Schlüsselaktivitäten wurde bspw. ein Cluster aus mehreren Merkmalen für „Onlineplattform“, „Verwaltung“ und „Support“ gebildet. In den Kundenbeziehungen existieren Modelle mit voll-ständigen Sätzen wie „Betreuung bei Leasing, Nutzung, Problem und Abgabe“, die den Varianten der einzelnen Stichpunkte gegenüberstehen.

Aggregation von Elementen: Im Werteversprechen adressieren einige Modelle die Aspekte „Umweltfreundlichkeit“ und „Mobilität“, während andere ein Ele-ment für „umweltfreundliche Mobilität“ darstellen.

Ungenaue Spezifikation der Elemente: Bei den Schlüsselpartnern wurde z. B. „Fahrpläne“ oder bei den Kundenbeziehungen „indirekt“ modelliert. Ohne wei-tere Angaben ist die Deutung dieser Elemente nicht gegeben.

Die Typen der identifizierten Unterschiede werden als Basis für die Diskussion (Abschnitt 6) erneut aufgegriffen, um daran darzulegen, welche Effekte der bau-steinorientierte Ansatz für Carsharing Geschäftsmodelle auf die Vergleichbarkeit der Modellierungen erzielen kann.

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310 Thorsten Schoormann, Dennis Behrens und Ralf Knackstedt

3.3 Konzeptualisierung, Entwicklung und Evaluation

Literaturbasierte und empirische Analyse

Zur Herleitung der Konzepte für das Carsharing wird ein stufenbasiertes Verfah-ren angewendet, das selektiv Literaturbeiträge und Carsharing-Anbieterinforma-tionen analysiert. Auf der Basis von gewonnen Erkenntnissen werden jeweils wei-tere zu analysierende Bedarfe festgelegt. Für die Recherche der Literatur werden Artikel berücksichtigt, die bereits Strukturierungen enthalten und somit einen Ein-stieg in die Domäne ermöglichen.

Die literaturbasierten Resultate werden anschließend mit einer praxisorientier-ten Analyse von Carsharing-Anbietern und -Webseiten abgeglichen und entspre-chend erweitert. Dabei werden den gefundenen Merkmalen die dazugehörigen Ausprägungen zugeordnet. Die Auswahl der ersten Anbieter folgt der verbreiteten Gliederung des Carsharings in stationsgebunden, stationsungebunden und privat. Darüber hinaus sollen möglichst unterschiedliche Anbieterformen integriert wer-den, in dem „Extrem-Ausprägungen“ (z. B. Größter Anbieter, kleinster Anbieter etc.) sowie „exotische Varianten“ berücksichtigt werden.

Zur Übersicht sollen identifizierte Merkmale und deren Ausprägungen struktu-riert visualisiert werden. Dazu existieren zahlreiche grafische Methoden (z. B. Lengler und Eppler 2007). Eine dieser Methoden sind Morphologische Kästen (Zwicky 1989), die das Darstellen innovativer Lösungsalternativen auf Basis vor-handener Informationen durch systematische Zerlegungen eines Problems unter-stützen. Da die Anwendung in Gruppen und durch ein Individuum erfolgen kann, Skalierbarkeit gegeben ist (Schawel und Billing 2012) und die Methode bereits für Geschäftsmodelle verwendet wurde (z. B. Kley 2011), werden die Resultate in diesem Beitrag in Morphologische Kästen (MK1-MK3) visualisiert.

Entwicklung eines bausteinorientierten Modellierungsansatzes

Im Anschluss an die Identifikation der Konzepte für das Carsharing folgt das Ent-wickeln eines bausteinorientierten und domänenspezifischen Modellierungsansat-zes, welcher das zentrale Artefakt dieses Beitrages darstellt. Die letzte Fassung des Morphologischen Kastens (MK3) stellt die Basis für die Entwicklung dar.

Evaluation durch Fallbeispiele

Die entwickelten Bausteine werden abschließend zur Modellierung eines beste-henden Carsharing Geschäftsmodells eingesetzt. Dazu werden exemplarisch drei verbreitete Rahmenwerke (vgl. Abschnitt 2.1) verwendet, um die Anwendung der Bausteine für die vielfältigen Carsharing Konzepte zu untersuchen. Das Evaluie-ren dient zur Demonstration der Qualität, dem Nutzen sowie der Wirksamkeit des designten Artefakts.

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Carsharing Geschäftsmodelle 311

4 Konzeptualisierung und Entwicklung

4.1 Literaturbasierte Analyse

Da dieser Beitrag insbesondere auf die Gewinnung von praxisnahen Daten aus der Analyse von Anbietern abzielt werden für die literaturbasierte Perspektive primär Artikel gesucht, die bereits Strukturierungen enthalten und somit eine Grundlage für die Konzeptualisierung darstellen. Die Resultate dienen zur Erstellung des ini-tialen Morphologischen Kastens (MK1). Für die Suche wurden unterschiedliche Kombinationen aus folgenden Schlüsselbegriffen verwendet: Carsharing, Taxo-nomie (oder: taxonomy), Typologie (oder: typology) und Framework. Als Such-maschine wurde Google Scholar1 gewählt, da es über eine große (interdisziplinäre) Datenbasis mit aktuellen und wissenschaftlichen Artikeln verfügt.

Die untersuchten Literaturfunde gliedern die Art des Carsharings in stationsge-bunden („two-way“ oder „one-way“) und stationsungebunden („free floating“). Fahrzeuge werden entweder durch Benzin, Diesel, Elektro, Erdgas oder (hybriden) Kombinationen daraus angetrieben (Ferrero et al. 2015).

Im Kontext der Elektromobilität wurden unterschiedliche Aspekte identifiziert wie Ressourcen (z. B. Fahrzeuge, Hardware, Ladeinfrastruktur, Patente, Software und Kapital), Aktivitäten (z. B. Bereitstellen von Fahrzeugen und Plattformen; Be-treiben von Fahrzeugen, Plattformen; Optimieren von Energieflüsse), Kunden (Geschäftskunden, Privatkunden, Öffentliche Hand) und Partner (Stryia et al. 2015). Barth und Shaheen (2002) identifizierten zudem die Zielgruppen der Nach-barschaft, der Stadt und des Staates. Die Buchung erfolgt onlinebasiert, es existiert ein 24-Stunden-Service und der Zugang zum Objekt wird über Smart Accesses wie z. B. „Smart Card“, „Smart Key Kiosk“ oder „Manuel Key Box“ gewährt (Barth und Shaheen 2002; Shaheen und Novick 2004). Kunden sind geschäftlich (z. B. Campus-Setting) oder privat (z. B. Resort oder Park). Einnahmen werden durch Gebühren und Provisionen oder durch Unterstützungen vom Staat und pri-vaten Investoren erzielt (Barth und Shaheen 2002).

4.2 Empirische Analyse (I)

Die Auswahl der initialen Carsharing-Anbieter – dessen Beschreibungen die Merkmale und Ausprägungen (MK1) ergänzen sollen – folgt der verbreiteten Gliederung in die drei Sharing-Arten und analysiert „Extrem-Ausprägungen“.

Das nach der Kundenzahl größte stationsungebundene Angebot von DriveNow (470.000 Kunden) bietet den Zugang zum Mietobjekt mit einem RFID-Chip, kos-tenfreie erste 200 Kilometer pro Miete sowie eine Betankung durch das Service-Team (Statista 2016b, Stand 09/2015; Carsharing-Blog 2015b). Flinkster (300.000 Kunden) ist der größte stationsgebundene Anbieter in Deutschland (Statista 1 https://scholar.google.de/.

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2016b, Stand 09/2015). Das Konzept der Deutschen Bahn ermöglicht in Berlin Einwegmieten, erhebt einmalige Registrierungsgebühren, berechnet den Mietpreis in Abhängigkeit von Zeit, Kilometer und Fahrzeugklasse und ist online, per App, SMS und Telefon buchbar. Durch die Vernetzung mit weiteren Anbietern wie Multicity und Car2Go entstehen größere Abdeckungen. Elementar für stationsge-bundene Konzepte sind die Stationen und das Betreiben dieser (Flinkster 2015; Carsharing-Blog 2015a). Bei Car2Go (2015) von Daimler (230.000 Kunden) kann die Buchung direkt am Mietobjekt erfolgen und der Tarif unterscheidet zwischen Fahren und Parken (Statista 2016b, Stand 09/2015). Cambio (48.000 Kunden, sta-tionsgebunden) setzt sich aus 16 Beteiligungs- und Partnerunternehmen zusam-men, prüft die Bonität bei der Registrierung, verlangt eine Kaution bei Nutzern unter 25 Jahren und bietet kostenlose Stornooptionen. Der Zugang zum Fahrzeug erfolgt über die Mitgliedskarte oder über die Abholung eines Schlüssels aus einem Tresor (Cambio 2014; Statista 2016b, Stand 09/2015; Carsharing-Blog 2015c).

Zu den kleineren Anbietern zählt z. B. Quicar (12.000 Kunden, stationsgebun-den) – von der Volkswagen AG –, das in der Tarifgestaltung zwischen Vielfahrer und normalen Fahrern differenziert (Quicar 2016; Statista 2015, Stand 2015). Ci-teeCar (5.000 Kunden) ist eine Mischform aus einem klassischen und unabhängi-gen Carsharing, bei denen auch private Personen einen Stellplatz (z. B. ihre Gara-ge) zur Verfügung stellen können (CiteeCar 2014; Statista 2015, Stand 2015).

Tamyca („take my car“) ist ein privater Anbieter, der keine eigene Fahrzeug-flotte verwaltet. Die Registrierung erfolgt online und die Mietgebühr wird aus-schließlich vom Vermieter bestimmt. Einnahmen werden durch die Provision in Höhe von 15 % bei einer Vermietung generiert. Abgesichert werden die Beteilig-ten durch die R+V Versicherung mit Optionen zu Voll- und Teilkasko, Haft-pflichtversicherungen sowie Schutzbriefen (Tamyca 2015; Carsharing-Blog 2015d).

Als weiterer Ansatz wurde das Tandem-Modell analysiert, bei dem sich das Universitätspersonal mit der Universität ein Elektroauto teilt. Das Fahrzeug steht während der Arbeitszeit für Dienstreisen zur Verfügung und kann zu den anderen Zeiten privat genutzt werden. Ressourcen sind die Ladeinfrastrukturen, Partner umfassen Universität, Autohersteller sowie Stromanbieter und Einnahmen werden durch Pauschalbeträge sowie Fördermittel erzielt (Gerwig et al. 2014).

4.3 Empirische Analyse (II)

Die weitere Analyse soll insbesondere private, stationsgebundene und Elektromo-bilitätsanbieter enthalten, um gezielte zur Sättigung (MK2) beizutragen.

Elektromobilität Anbieter: Drive Carsharing bietet Erdgas- und Elektrofahr-zeuge ihres Partners der Stadtwerke an (Drive Carsharing 2016). Multicity setzt auf Elektroantrieb und auf ökologischen Strom. Miettarife differenzieren zwischen Fahr- und Parkgebühren (Multicity 2015). Auch weitere Anbieter wie E-Wald o-der RuhrautoE setzen auf elektrische Mobilität und werden zum Teil von Externen (z. B. über Dritt- oder Fördermittel) finanziert. Weitere Merkmale oder Ausprä-

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gungen konnten nicht extrahiert werden, weshalb das Segment hier als gesättigt angesehen wird (E-Wald 2015; Ruhrauto 2015).

Stationsgebundene Anbieter: Hertz 24/7 (2013) differenziert zwischen einem Tag- und einem Nachttarif, Ford2Go (2015) ermöglicht den Zugang zu den Fahr-zeugen via App. Weitere gebundene Anbieter wie Stattauto enthalten keine neuen Angaben, weshalb eine Sättigung angenommen wird.

Private Anbieter: Drivy legt ähnlich wie Tamyca den Fokus auf Versicherungs-partner und generiert Einnahmen über eine Provision (Drivy 2015).

Zusätzlich zu den gezielten Bereichen wurden weitere Anbieter zur Sättigung analysiert: Audi Share (2015) unterscheidet zwischen den Tarifen „Pay per Use“ und „Lease“ (nur für Geschäftskunden). Stadtmobil (2016), Book-N-Drive (2015), teilAuto (2015), App2Drive (2015) und Scouter (2015) lieferten keine weiteren Konzepte, weshalb wir die Konzeptualisierung als gesättigt ansehen.

4.4 Zwischenfazit

Im letzten Schritt der Konzeptualisierung werden die identifizierten Merkmale ge-neralisiert und in einem Morphologischen Kasten (MK3) angeordnet (vgl. Abb. 2). Dabei wird die Sicht eines Anbieters eingenommen, sodass z. B. Mieteinahmen und nicht Kosten (Nachfrager) abgebildet sind.

Die Merkmalsausprägungen sind nicht disjunkt, sodass Mehrfachnennungen möglich sind. Im Folgenden werden die einzelnen Merkmale kurz erläutert:

Art des Carsharings: Stationsgebunden und -ungebunden. Das Stationsgebun-dene wird in „two-way“ und „one-way“ gegliedert, da Einwegmieten bestehen.

Anbieter, Partner und Kunden: Anbieter sind geschäftlich oder privat. Darüber hinaus könnten bspw. auch öffentliche Institutionen in der Rolle als Anbieter agieren. Partner sind Versicherer oder aus Kooperationen (z. B. Erhöhung der Abdeckungsdichte oder Anschlussmobilität). Kunden sind geschäftlich, privat oder öffentlich.

Fahrzeugklasse und Antriebsart: Für die Klassifizierung der Fahrzeuge existie-ren verschiedene Ansätze bei den Anbietern. Eine Obermenge ergeben Klein-, Kompakt-, Mittelklasse- und Oberklassewagen sowie Transporter. Neben den Antriebsarten Benzin und Diesel sind Elektro und Erdgas sowie Kombinatio-nen (Hybrid) wählbar.

Mitgliedschaftsgebühren, Tarife, Mietgebühren und Einnahmen: Die Mitglied-schaften unterscheiden Ansätze mit einmaligen oder kontinuierlichen Gebüh-ren. Dabei werden Tarifarten differenziert. Eine weitere Ausprägung ist das Leasing. Mietgebühren setzen sich meist aus zeit- und streckenbasierten sowie variierenden Kosten für die Fahrzeugklasse zusammen. Zusätzlich unterschei-den Angebote Freikilometer (je Stunde oder je Mietvorgang). Einnahmen kön-nen durch Mieten und Mitgliedschaften, Provisionen, private Investoren oder staatliche Zuschüsse generiert werden.

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Abb. 2. Morphologischer Kasten (MK3) für das Carsharing

Buchung, Stornierung und Zugang zum Fahrzeug: Buchungen erfolgen auf ver-schiedenen Kanälen (z. B. Telefon, Webseite oder Station). Das Fahrzeug kann mit einer Mitgliedkarte, RFID-Chip, APP oder einem Schlüssel, der von Ver-triebsstellen oder entsprechenden Tresoren abgeholt werden kann, geöffnet werden. Zudem kann storniert werden.

Dienstleistungen: Zu den weiteren Leistungen zählen Maßnahmen zur Instand-haltung, zur Sicherheit, zur Beratung sowie zur Betankungen und Reinigung.

Ressourcen und Versicherungen: Zu den Ressourcen zählen Buchungsportale, Ladeinfrastrukturen, Personal sowie die Vertriebs- und Parkstationen. Vor al-lem bei privaten Angeboten sind geeignete Absicherungen nötig, wie Haft-pflicht und Schutzbriefe.

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Carsharing Geschäftsmodelle 315

4.5 Entwicklung einer bausteinorientierten Modellierung

Die hier entwickelte domänenspezifische Erweiterung unterstützt vor allem die Repräsentation von relevanten Inhalten für Carsharing. Ein domänenspezifisches Modell ist explizit für einen Anwendungsbereich entwickelt und ist – meist aus-schließlich – für dessen Abbildung geeignet. Die hier konzipierten Bausteine kön-nen als Erweiterung für bestehende Rahmenwerke genutzt werden. Die Basis ist der Morphologische Kasten (Abschnitt 4.4), dessen Merkmale und Ausprägungen in Bausteine überführt werden. Für die Übersichtlichkeit werden die generalisier-ten Ausprägungen verwendet – z. B. bei der Mietgebühr nur Zeit und nicht Minute und Stunde. Die Bausteine sind in drei Bereiche gegliedert. Grafische Bausteine modellieren ausschließlich mit Symbolen. Textuelle Bausteine werden ohne sym-bolische Notation verwendet. Textuell-grafische Bausteine enthalten Symbole, benötigen jedoch meist weitere Daten, die mit Text ergänzt werden können.

Bausteine mit grafischer Repräsentation

In Abb. 3 werden die Bausteine mit grafischer Notation dargestellt. Dazu zählen Fahrzeugklassen und deren Antriebsart („Hybrid“ für explizites Abbilden von Kombinationsformen), Carsharing-Arten, die Zusammensetzung der Mietgebüh-ren (Zeit, Strecke und Fahrzeugklasse) sowie die Buchungsmöglichkeiten.

Abb. 3. Bausteine mit grafischer Repräsentation

Bausteine mit grafischer und textueller Repräsentation

Die Akteure im Carsharing können mit kombinierten Repräsentationen dargestellt werden, um individuelle Ausprägungen zu ermöglichen (vgl. Abb. 4).

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Abb. 4. Bausteine mit grafischer und textueller Repräsentation

Bausteine mit textueller Repräsentation

In Abb. 5 werden die Bausteine mit textueller Repräsentation zusammengefasst. Den Merkmalen der Service-Leistungen, des Versicherungsschutzes, der Stornie-rung, der Tarife, der Einnahmequellen, der Gebühren, der weiteren Ressourcen sowie des Zugangs zum Fahrzeug sind entsprechende Ausprägungen zugeordnet.

Abb. 5. Bausteine mit textueller Repräsentation

5 Evaluation

5.1 Auswahl des Modellierungsgegenstands

Um zu zeigen, dass die Bausteine unabhängig von dem Rahmenwerk der Model-lierung sind, werden im Folgenden exemplarisch drei verbreitete Ansätze (vgl. Abschnitt 2.1) für die Anwendung der Bausteine verwendet. Als Geschäftsmodell wird das Carsharing Angebot von Stadtmobil genutzt, das in der Konzeptualisie-rungsphase auf Grund der (empfundenen) Sättigung nicht weiter ausgewertet wur-de. Durch diese Auswahl kann überprüft werden, inwiefern Geschäftsmodelle, die

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keinen direkten Einfluss auf die Entwicklung der Bausteine aufweisen, mit dem Ansatz visualisiert werden können.

Stadtmobil (50.000 Kunden, stationsgebunden) ist ein Carsharing-Verbund aus sieben Mobilitätsdienstleistern und ermöglicht derzeit nur in Hannover Einweg-mieten. Die Registrierung kann im Gegensatz zu anderen Anbietern nicht online durchgeführt werden und es muss eine Kaution hinterlegt werden (Stadtmobil 2016; Statista 2016b, Stand 09/2015). Im Allgemeinen zielt Stadtmobil darauf ab „die Mobilität zu verbessern und gleichzeitig die Umwelt zu entlasten“ (Stadtmo-bil 2016). Dazu bieten sie ein stationsgebundenes Carsharing mit einer vielfältigen Flotte (Klein, Kompakt, Kombi, Komfort, Transporter, Maxi Bus) und unter-schiedlichen Antriebsarten (Diesel, Benzin, Elektro und Hybrid) an. Das Angebot adressiert private Kunden, Familien und Firmenkunden, die via Smartphone APP, Webseite, Hotline oder Vertriebsstelle die Fahrzeuge buchen können. Nach der Anmeldung können Nutzer das Fahrzeug mittels Kundenkarte öffnen. Die anfal-lenden Gebühren setzen sich je nach Tarifart zusammen: STANDARD (Anmeldege-bühr 29€ privat/89€ geschäftlich; Monatsbeitrag 5€ privat/11€ geschäftlich), PLUS (Anmeldegebühr 29€ privat/89€ geschäftlich; Monatsbeitrag 11€ privat/22€ ge-schäftlich) sowie MIKRO (Anmeldegebühr 29€ privat/89€ geschäftlich). Die Miete ist abhängig von der Zeit, den Kilometern und der Fahrzeugklasse. Bei Telefonbu-chungen fällt zudem 1€ Bearbeitungsgebühr an (Stadtmobil 2016).

5.2 Anwendung in der Business Model Canvas

Das Wertversprechen setzt sich aus dem stationsgebundenen Carsharing mit viel-fältiger Flotte und verschiedene Antriebsarten zusammen. Kunden sind generell fahrberechtigte Personen, die entweder privat oder geschäftlich sind. Kundenbe-ziehungen sind online und persönlich, wodurch die Kanäle Internet, Telefon und Vertriebsstationen enthalten sind. Für das Angebot werden u. a. das Buchungspor-tal, die Stationen, die Fahrzeuge und das Servicepersonal benötigt (Ressource). Aktivitäten sind primär das Administrieren der Ressourcen. Partner sind Akteure aus dem Verbund sowie verschiedene Automobilhersteller. Einnahmen werden über Anmelde-, Monats-, Nutzungs- und Buchungsgebühren geniert. Kosten ent-stehen vor allem durch die Flotte, die Stationen und das Personal.

Die Bausteine werden in Abhängigkeit der Bausteinart (textuell, grafisch sowie textuell/grafisch) den Segmenten des Modells zugeordnet. Die Textuellen werden vollständig integriert, wobei nur die zutreffenden Ausprägungen eingeblendet sind. Die nicht zutreffenden Ausprägungen sind ausgegraut, sodass deutlich wird, welche Option nicht zur Verfügung steht. Der Baustein für den Anbieter wurde nicht verwendet, da kein entsprechendes Feld für die anbietereigenen Informatio-nen vorgesehen ist – ggf. kann dazu das Werteversprechen genutzt werden. Die zusätzliche Buchungsgebühr für die Reservierung ist individuell für Stadtmobil und daher nicht im Bausteinangebot vorhanden.

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318 Thorsten Schoormann, Dennis Behrens und Ralf Knackstedt

Abb. 6. Fallbeispiel im Rahmenwerk der Business Model Canvas

5.3 Anwendung in der Geschäftsmodellnotation nach Wirtz

In Abb. 7 wird das integrierte Geschäftsmodell in Anlehnung an das Rahmenwerk nach Wirtz (2011) dargestellt, das entsprechend in seine Partialmodelle gegliedert ist sowie das „Fundament“ für Strategie, Ressourcen und Netzwerk berücksichtigt.

Das Leistungsangebot zeichnet sich durch eine stationsbasierte Nutzung eines vielfältigen Fahrzeugangebots mit unterschiedlichen Antriebsarten aus. Adressiert werden Kunden (Distributionsmodell), die sowohl privat als auch geschäftlich sein können. Das Erlösmodell verdeutlicht welche Bedarfe, Leistungsangebote und Transaktionen zwischen den Akteuren fließen. Die Leistungserstellung besteht aus dem Aufbau, der Wartung und der Administration der Ressourcen. Die Beschaf-fung der Fahrzeuge erfolgt über verschiedene Automobilhersteller. Darüber hinaus besteht die Kooperation im Verbund. Kosten entstehen durch Ressourcen und de-ren Instandhaltung, der Buchungssoftware, den Stationen sowie dem Personal.

Für die Strategie bietet insbesondere der Verbund Möglichkeiten zur Erhöhung der Abdeckung. Im Netzwerk fungieren die Verbundmitglieder sowie diverse Au-tomobilhersteller als strategische Partner. Im Bereich der Kernkompetenzen und Ressourcen sind Fahrzeuge, Stationen und das entsprechende Serviceteam.

Die Pfeile verdeutlichen Flüsse von Sach- und Dienstleistungen zwischen den Akteuren, die aus Gründen der Übersicht nicht mit dem Bausteinangebot model-liert wurden, aber mit Ressourcen, Services, Tarifen und Gebühren abgebildet werden können. Die weiteren Partialmodelle werden mit Bausteinen dargestellt.

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Carsharing Geschäftsmodelle 319

Abb. 7. Fallbeispiel im Rahmenwerk des integrierten Geschäftsmodells nach Wirtz (2011)

5.4 Anwendung in der e-Business Model Ontology

In Abb. 8 wird das Geschäftsmodell von Stadtmobil mit dem Rahmenwerk der e-Business Model Ontology dargestellt. Die verwendete Notation folgt der höchsten Abstraktionsstufe des Models, in dem die grundlegenden Komponenten des Mo-dells adressiert werden, die anschließend mit der Ontologie in weitere Verfeine-rungen detaillierter beschrieben werden können (Osterwalder und Pigneur 2002).

Die Produkt-Innovation beschreibt das Kundensegment und das Nutzenver-sprechen. Die Kundenbeziehungen setzen sich zusammen aus der Strategie zur Gewinnung von Kundeninformationen und der Distribution (Kanäle). Die Infra-struktur enthält Ressourcen, Aktivitäten sowie Partner. Die Ebene der finanziellen Aspekte besteht aus Einnahmen, Kosten und dem Profit.

Im Vergleich zu den vorher verwendeten Rahmenwerken bietet die e-Business Model Ontology neue Sichten für den Profit, der nicht mit Bausteinen abgebildet werden kann sowie die Strategie der Informationsgewinnung (z. B. Kunden- und Auftragsdaten aus Buchungsportalen). Ähnliche Strukturen sind in den Segmenten der Distribution (Kanäle), dem Kundensegment, dem Nutzenversprechen, Res-sourcen, Aktivitäten, den Partnern sowie der Einnahmen und Kosten zu finden. Diese können, wie bei den vorherigen Ansätzen, mit dem Bausteinangebot adres-siert werden.

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320 Thorsten Schoormann, Dennis Behrens und Ralf Knackstedt

Abb. 8. Fallbeispiel im Rahmenwerk der e-Business Model Ontology

6 Diskussion

Insbesondere die Darstellung der Tarife, der Fahrzeugflotte und deren Antriebsar-ten sowie der zusätzlichen Services sind durch Unterschiede geprägt, wodurch die Vergleichbarkeit sinkt. Der bausteinorientierte Ansatz unterstützt das einheitliche Modellieren, in dem Elemente und Strukturen vordefiniert zur Verfügung stehen. Anhand der identifizierten Typen der Unterschiede (Abschnitt 3.1) werden Poten-ziale und Grenzen des vorgestellten Modellierungsansatzes diskutiert (vgl. Tabelle 2).

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Carsharing Geschäftsmodelle 321

Tabelle 2. Diskussion der Unterschiede in der Modellierung

Unterschied Effekte des bausteinbasierten Ansatzes (These) Bezeichnung Die Bausteine enthalten domänenspezifische Bezeichnungen, sodass

grundsätzlich der Grad der Unterschiedlichkeit reduziert werden müsste. Voraussetzung ist, dass das Bausteinangebot genutzt wird.

Zusätzliche Elemente

Das Bausteinangebot definiert einen grundsätzlichen Rahmen, den die Modellierenden als (quasi) vollständig ansehen könnten, wodurch die Anzahl an zusätzliche Elemente reduziert werden könn-te. Herausforderung für den Modellierer könnte sein, relevante In-formationen, die nicht angeboten werden, trotzdem abzubilden.

Weniger Elemente

Abhängig vom Bausteinangebot (hier 16 Bausteine mit jeweils zwei bis sechs Ausprägungen) müsste die Anzahl der modellierten Ele-mente in einem Modell steigen, da angenommen wird, dass die Mo-dellierenden häufig die maximale Anzahl von passenden Ausprägun-gen verwenden werden.

Spezialisierung Da die Bausteine einen allgemeingültigen Charakter haben, können die Elemente auf dem gleichen Abstraktionsgrad erstellt werden.

Zuordnung Da die Bausteine unabhängig von einem Geschäftsmodellrahmen entwickelt wurden, kann zunächst keine direkte Verbesserung hin-sichtlich der Zuordnung sichergestellt werden. Allerdings geben ei-nige Bausteine (z. B. Partner oder Kunde) bereits durch ihre Be-zeichnung Hinweise für eine mögliche Zuordnung.

Beschreibungs-art

Die Bausteine enthalten einheitliche Beschreibungsarten, daher müsste der Grad der Unterschiedlichkeit hier reduziert werden. Vo-raussetzung dafür ist, dass das Bausteinangebot genutzt wird.

Aggregation Durch das Vorgeben einheitlicher Elemente müsste der Grad der un-terschiedlichen Abstraktionen reduziert werden. Voraussetzung ist, dass das Bausteinangebot genutzt wird.

Ungenaue Spezifikation

Das domänenspezifische Bausteinangebot müsste den Grad der un-genauen Bezeichnungen und Spezifikationen reduzieren, insofern die Modellierenden einen geeigneten Baustein verwenden und keine individuellen Elemente integrieren. Für individuell auftretende Ele-mente bestehen weiterhin Bedarfe zur Vereinheitlichung.

Limitationen

Aus dem Prozess der Suche und der Konzeptualisierung ergeben sich Limitatio-nen. Einerseits ist die Vollständigkeit der analysierten Daten limitiert, da für das Überprüfen und Erweitern der Konzepte weitere Daten aus der Literatur, von Ex-perten oder von Carsharing-Anbietern integriert werden können. Zudem bestehen Risiken bei literaturbasierten Datenbasis, die von Google Scholar bereitgestellt wird, da häufig nur wenige Angaben zur Aktualität gegeben sind und die Qualität der gefundenen Beiträge sehr unterschiedlich ist. Das Berücksichtigen und das Analysieren fachbezogener Datenbanken könnte die literaturbasierte Perspektive weiter ergänzen.

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322 Thorsten Schoormann, Dennis Behrens und Ralf Knackstedt

Neben den Konzepten für die Modellierung, wurde die Anwendbarkeit und Un-abhängigkeit der Bausteine exemplarisch mit verbreiteten Ansätzen untersucht. Um weitere Aussagen hinsichtlich der unabhängigen Anwendung treffen zu kön-nen, sind weitere Rahmenwerke zu verwenden.

7 Forschungsagenda

Die Strukturen von Carsharing sind bei der Erstellung der Konzepte berücksich-tigt, inwiefern sich allerdings auch Strukturen und Beziehungen zwischen den Bausteinen selbst ergeben, ist noch zu klären. Dazu zählt bspw. welche Bausteine sich gegenseitig ausschließen oder einschließen. Zudem könnten Bausteine in Ab-hängigkeit von spezifischen Perspektiven, wie z. B. den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, geprüft werden.

Aufbauend auf den initialen Bausteinen für die Modellierung von Carsharing können weitere Daten erhoben werden, die die Konzeptualisierung und damit die Basis für den Ansatz erweitern.

Zur Beurteilung der Praxistauglichkeit sind neben der Modellierung von Fall-beispielen (Anwendung) weitere Aspekte des Modellierungsansatzes zu evaluie-ren. Dazu zählt z. B. (a) die Evaluation der Konzepte, (b) die Evaluation des re-präsentationalen Aspektes sowie (c) die Übertragbarkeit auf weitere Rahmenwer-ke für Geschäftsmodelle.

Danksagung. Inspiriert wurde der Forschungsprozess durch die Durchführung des Hildes-heimer Denkwerk-Projektes (Förderkennzeichen: 32.5.6021.0079.0). Wir danken dem För-derer der Robert Bosch Stiftung für die Unterstützung.

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Autorenverzeichnis

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Anke Professur für Grundlagen der Wirtschaftsinformatik und Betriebliche Anwendungssysteme Hochschule für Telekommunikation Leipzig Gustav-Freytag-Str. 43-45, 04277 Leipzig [email protected] Dipl.-Inf. Michael Becker Fakultät für Mathematik und Informatik Abteilung Betriebliche Informationssysteme Universität Leipzig Augustusplatz 10, 04109 Leipzig [email protected] Dipl. Wirt.-Inf. Dennis Behrens, B. Sc. Institut für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik Abteilung Informationssysteme und Unternehmensmodellierung Universität Hildesheim Samelsonplatz 1, 31141 Hildesheim [email protected] Lisa Berkemeier, B. Sc. Fachgebiet Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik Universität Osnabrück Katharinenstr. 3, 49074 Osnabrück [email protected] Lukas Brenning, B. Sc. Fachgebiet Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik Universität Osnabrück Katharinenstr. 3, 49074 Osnabrück [email protected]

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017O. Thomas, Smart Service Engineering,DOI 10.1007/978-3-658-16262-7

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Autorenverzeichnis 327

Simon Fiechtner, M. Sc. Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft Moltkestr. 30, 76133 Karlsruhe [email protected] Erdem Galipoglu, M. Sc. Juniorprofessur für Industrienahe Dienstleistungen Universität Bremen Wilhelm-Herbst-Straße 5, 28359 Bremen [email protected] Dipl.-Ing. (FH) Paul Christoph Gembarski Institut für Produktentwicklung und Gerätebau Leibniz Universität Hannover Welfengarten 1A, 30161 Hannover [email protected] Dipl.-Math. Carola Gerwig Institut für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik Abteilung Betriebswirtschaft und Operation Research Universität Hildesheim Samelsonplatz 1, 31141 Hildesheim [email protected] Torsten Gollhardt, M. Sc. Fachgebiet Wirtschaftsinformatik für Dienstleistungen Technische Universität Ilmenau Helmholtzplatz 3, 98693 Ilmenau [email protected] Dr. rer. oec. Matthias Gotsch, Dipl.-Wi.-Ing. Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI Breslauer Straße 48, 76139 Karlsruhe [email protected] Jan-Hendrik Heinen, M. Sc. Juniorprofessur für Industrienahe Dienstleistungen Universität Bremen Wilhelm-Herbst-Straße 5, 28359 Bremen [email protected]

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328 Autorenverzeichnis

Daniel Jandt, M. Sc. mult. Fakultät für Maschinenbau Juniorprofessur Product-Service Systems Ruhr-Universität Bochum Universitätsstraße 150, 44801 Bochum [email protected] Dipl.-Wirt.-Inf. Andreas Kiesow, CISA Fachgebiet Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik Universität Osnabrück Katharinenstr. 3, 49074 Osnabrück [email protected] Dipl.-Inf. (FH) Stephan Klingner, M. Sc. Fakultät für Mathematik und Informatik Abteilung Betriebliche Informationsysteme Universität Leipzig Johannisgasse 26, 04103 Leipzig [email protected] Prof. Dr. Ralf Knackstedt Institut für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik Abteilung Informationssysteme und Unternehmensmodellierung Universität Hildesheim Samelsonplatz 1, 31141 Hildesheim [email protected] Prof. Dr. Hagen Krämer Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft Moltkestr. 30, 76133 Karlsruhe [email protected] Prof. Dr.-Ing. Roland Lachmayer Institut für Produktentwicklung und Gerätebau Leibniz Universität Hannover Welfengarten 1A, 30161 Hannover [email protected]

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Autorenverzeichnis 329

Prof. Dr.-Ing. Katja Laurischkat Fakultät für Maschinenbau Juniorprofessur Product-Service Systems Ruhr-Universität Bochum Universitätsstraße 150, 44801 Bochum [email protected] Prof. Dr. Michael Leyer Professur BWL der Dienstleistungen (Juniorprofessur) Universität Rostock Ulmenstraße 69, 18051 Rostock [email protected] Aleksander Lubarski, M. Sc. Juniorprofessur für Industrienahe Dienstleistungen Universität Bremen Wilhelm-Herbst-Straße 5, 28359 Bremen [email protected] Dirk Metzger, M. Sc. with Honors Fachgebiet Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik Universität Osnabrück Katharinenstr. 3, 49074 Osnabrück [email protected] Christina Niemöller, M. Sc. Fachgebiet Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik Universität Osnabrück Katharinenstr. 3, 49074 Osnabrück [email protected] Prof. Dr. Volker Nissen Fachgebiet Wirtschaftsinformatik für Dienstleistungen Technische Universität Ilmenau Helmholtzpl. 3, 98693 Ilmenau [email protected] Prof. Dr. Jens Pöppelbuß Juniorprofessur für Industrienahe Dienstleistungen Universität Bremen Wilhelm-Herbst-Straße 5, 28359 Bremen [email protected]

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330 Autorenverzeichnis

Tim Schomaker, B. Sc. Fachgebiet Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik Universität Osnabrück Katharinenstr. 3, 49074 Osnabrück [email protected] Thorsten Schoormann, M. Sc. Institut für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik Abteilung Informationssysteme und Unternehmensmodellierung Universität Hildesheim Samelsonplatz 1, 31141 Hildesheim [email protected] Prof. Dr. Klaus-Dieter Thoben Bremer Institut für Produktion und Logistik Universität Bremen Hochschulring 20, 28359 Bremen [email protected] Prof. Dr. Oliver Thomas Fachgebiet Informationsmanagement und Wirtschaftsinformatik Universität Osnabrück Katharinenstr. 3, 49074 Osnabrück [email protected] Arne Viertelhausen, M. Sc. Fakultät für Maschinenbau Juniorprofessur Product-Service Systems Ruhr-Universität Bochum Universitätsstraße 150, 44801 Bochum [email protected] Dipl.-Wirtsch.-Ing. Stefan Wellsandt Bremer Institut für Produktion und Logistik Universität Bremen Hochschulring 20, 28359 Bremen [email protected]

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Autorenverzeichnis 331

Melinda Wolter, B. Sc. Juniorprofessur für Industrienahe Dienstleistungen Universität Bremen Wilhelm-Herbst-Straße 5, 28359 Bremen [email protected]