Solare Neutrinos - Physik · Markus Bobrowski Seminarvortrag Solare Neutrinos 3 1 Die rätselhaften...

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Universität Regensburg Seminar Nukleare Astrophysik (PD Dr. Alexander Lenz) Markus Bobrowski Solare Neutrinos Skript zum Seminarvortrag 10/21/09.-

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Universität RegensburgSeminar Nukleare Astrophysik(PD Dr. Alexander Lenz)

Markus Bobrowski

Solare Neutrinos

Skript zum Seminarvortrag

10/21/09.-

Markus BobrowskiSeminarvortrag Solare Neutrinos

2Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1 Die rätselhaften Teilchen 3

1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.2 Die Masse der Neutrinos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.3 Die Schwache Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2 Erzeugung von Neutrinos 8

2.1 Beta-Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.2 Teilchenbeschleuniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.3 Extraterrestrische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

3 Neutrino-Astronomie 15

3.1 Das solare Neutrino-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

3.2 Radiochemische Methode: Homestake/GALLEX . . . . . . . . . . . . 17

3.3 Cherenkov-Zähler: Super-Kamiokande und SNO . . . . . . . . . . . . 21

3.4 Reaktorneutrino-Experiment KamLAND . . . . . . . . . . . . . . . . 27

3.5 Neutrino-Teleskope AMANDA und IceCube . . . . . . . . . . . . . . 30

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31 Die rätselhaften Teilchen

1 Die rätselhaften Teilchen

1.1 Einführung

Dieses Kapitel soll einen kurzen ein-

Abbildung 1: Das Bild zeigt die erste experimentelle Beob-achtung eines Neutrinos in einer Blasenkammeraufnahme vom13.11.1970. Zu sehen ist die Kollision mit einem Proton (rechts):Der lange Strich ist ein aus dem Neutrino entstandenes Myon,der kurze das Proton; Die dritte vom Kollisionspunkt ausgehendeLinie ist ein bei der Reaktion erzeugtes Pi-Meson.

führenden Überblick über ein Elem-entarteilchen geben, das – bedenktman daß durch jeden Quadratzenti-meter auf der Erde pro Sekunde 33,4Milliarden Neutrinos fliegen – ganzund gar nicht exotisch oder selten istund doch erst 1930 überhaupt erst„erdacht“ wurde. Noch Jahrzehnte hates gedauert, es erstmals nachzuwei-sen. Die Fermionen der schwachen Wech-selwirkung, die Leptonen, gliedern sichin drei Familien:

Name Symbol LadungElektron e− −eElektron-Neutrino νe 0Myon µ −eMyon-Neutrino νµ 0Tauon τ −eTauon-Neutrino ντ 0

Zu jedem Lepton existiert ein entsprechendes Neutrino. Die folgende Tabelle gibteinen kurzen Überblick über die Eigenschaften der Neutrinos.

Einordnung FermionLepton

Wechselwirkung schwache WechselwirkungGravitation

Antiteilchen Antineutrino (möglicherweise identisch?)

Arten Elektron-NeutrinoMyon-NeutrinoTauon-Neutrino

Spin 1/2

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41 Die rätselhaften Teilchen

Im folgenden soll ein kurzer chronologischer Überblick über die Historie der Neutri-noforschung gegeben werden:

• 1914 entdeckten Chadwick und Geiger das kontinuierliche β-Spektrum. Zuvorwaren bereits die gequantelten Energien des α-Zerfalls entdeckt und erklärtworden.

• 1930 postuliert Wolfgang Pauli die Existenz eines weiteren, bisher nicht be-obachteten Teilchens, das einen beliebigen Teil der diskreten Zerfallsenergieübernehmen kann. Damit ist das kontinuierliche Spektrum erklärt.

• 1956: Nachweis des νe durch Reines und Cowan

• 1962: Nachweis des νµ durch Ledermann, Schwartz und Steinberger

• 1979: Erste Experimente unter Leitung von Ray Davis weisen auf einen gerin-geren solaren Neutrino-Fluß hin, als vom solaren Standard-Modell prognosti-ziert.

• 2000: Nachweis des ντ am DONUT

• 2001: Experimente am SNO zeigen, daß Neutrinos eine Masse haben.

1.2 Die Masse der Neutrinos

Es war lange Zeit nicht klar, ob Neutrinos eine Ruheenergie besitzen. Wie wir spä-ter sehen werden, läßt sich nur so der (scheinbare) solare Neutrinodefekt erklä-ren. Nach heutigem Stand ist dies tatsächlich der Fall. Im folgenden sind einigeneuere Messergebnisse nach [11] angegeben. Massenmessungen beruhen auf Tritium-Betazerfallsexperimenten. Dabei zerfällt Tritium zu 3He, einem Elektron und einemElektron-Antineutrino. Tatsächlich messen die Experimente die Massenquadrate, diekurioserweise bei allen bisherigen Experimenten negativ waren. (Dies ist vermutlichauf systematische Fehler zurückzuführen)

Experiment m2[

eV 2]

formale Grenze JahrAverage of PDG (07) −1.1 ± 2.4 15 2007Mainz −1.6 ± 2.5 ± 2.1 2.2 2000Troitsk −1.0 ± 3.0 ± 2.1 2.5 2000Zürich −24 ± 48 ± 61 11.7 1992Tokyo INS −65 ± 85 ± 65 13.1 1991Los Alamos −147 ± 68 ± 41 9.3 1991Livermore −130 ± 20 ± 15 7.0 1995

Daß eine Neutrinomasse existiert, kann aus dem Vorkommen der Neutrino-Oszillationgeschlossen werden. (Dazu später mehr!) Genauer folgen daraus die Unterschiede

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51 Die rätselhaften Teilchen

∆m2 der flavours. Zusammen mit den β-Zerfallsexperimenten kann damit eine ab-solute Größe ermittelt werden. Die Grenzen für die Massen aller flavours sind nachPDG average 2007 ([2])

flavour e µ τeV < 2 < 0.19M 18.2MC.L. 95% 90% 95%

1.3 Die Schwache Wechselwirkung

Ein ganz wesentliche Eigenschaft von Neutrinos ist ihre geringe Wechselwirkungmit Materie. Neutrinos unterliegen nur der Gravitation und der schwachen Wech-selwirkung und haben daher in Reaktionen sehr kleine Wirkungsquerschnitte imBereich von 10−44cm2, während beispielsweise eine typische elektromagnetische Re-aktion einen Wirkungsquerschnitt von 10−23 . . . 10−33cm2 hat. Daraus resultiert eineäußerst geringe Wechselwirkung mit Materie: Die mittlere freie Weglänge eines Neu-trinos in Wasser ist etwa ein Lichtjahr. Dies gibt Anlaß zu einem kurzen Überblicküber die schwache Wechselwirkung.Die schwache Wechselwirkung ist eine der vier Grundkräfte. Ihre Reichweite ist nur10−14 mal der der starken Wechselwirkung. Reaktionen der schwachen Wechselwir-kung werden vermittelt durch W±- sowie Z0-Bosonen als Austauschteilchen. Siebesitzen beide eine Ruhemasse, daher ist die schwache Wechselwirkung, ebenso wiedie starke, kurzreichweitig. Prozesse der schwachen Wechselwirkung besitzen einesogenannte crossing-Symmetrie. Existiert eine Reaktion

a + b → c + d

so ist immer auch der Prozeß

b → a + c + d

möglich. Flavour ist eine der Quantenzahlen von Quarks und Leptonen. Neutri-nos kommen in drei flavours vor: als Elektron-, Myon- und Tauon-Neutrinos. ImRahmen der Quantenelektrodynamik und Quantenchromodynamik ist flavour ei-ne Symmetrie, die in der elektroschwachen Wechselwirkung dagegen gebrochen ist.Hier existieren Prozesse, die Änderungen des flavours verursachen. Prozesse mit W±-Austausch, also Austausch eines geladenen Teilchens, bezeichnet man als geladene

Ströme oder charged current, Z0-Prozesse als neutrale Ströme, neutral current. EineÄnderung des flavours ist nur bei CC-Reaktionen möglich. Reaktionen, an denenNeutrinos beteiligt sind, kann man grob nach drei Arten klassifizieren:

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61 Die rätselhaften Teilchen

i. charged-current Reaktion unter Austausch eines W±-Bosons:

n + νe → p+ + e−

Dabei sind Neutron und Proton wie folgt aus Up- und Down-Quarks aufgebaut:

n = udd p = uud

Der Feynman-Graph eines geladenen Stromes ist von der Form:

νe

d

d

u

e−

u

d

u

Unter crossing-Symmetrie ist der Betazerfall von Neutronen, den wir im näch-sten Kapitel besprechen werden, diesem Prozeß äquivalent.Wir machen nun zunächst eine einfache Feststellung, die später schwerwiegen-de Folgen haben wird: Im Prinzip ist die gleiche Reaktion natürlich auch füralle anderen flavours denkbar, also

n + νµ → p+ + µ− n + ντ → p+ + τ−.

Berücksichtigt man aber die Ruheenergien der drei erzeugten Leptonen (nach[7])

Teilchen mc2

Elektron 511keV

Myon 105, 7MeV

Tauon 1777MeV

so stellt man fest, daß µ- und τ -Neutrinos aus dem solaren Spektrum, wie esspäter in Abbildung 3 zu sehen sein wird, bei weitem nicht die erforderlicheEnergie besitzen, um ein Myon bzw. Tauon zu erzeugen. Im Falle der Sonneist Eν < mµ und dieser Prozeß läuft nur für Elektronen und deren Neutrinosab.

ii. neutral-current Reaktion unter Austausch eines Z0-Bosons, möglich mit allenflavours

n + νi → n + νi

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71 Die rätselhaften Teilchen

Z0

νi

d

d

u

νi

d

d

u

iii. Elastische Elektron-Neutrino-Streuung (electron scattering), möglich mit allenflavours.

e− + ν → e− + ν

Für µ− und τ -Neutrinos existieren nur NC-Prozesse:

Z0

νµ

e−

νµ

e−

Z0

νµ

e−

νµ

e−

Für Elektron-Neutrinos dagegen sind sowohl NC- als auch CC-Prozesse mög-lich, die für die beiden anderen flavours magels Myonen und Tauonen im De-tektormaterial ausscheiden

Z0

νe

e−

νe

e−

W+

νe

e−

e−

νe

Z0

νe

e−

νe

e−

W−

νe

e−

νe

e−

Damit wird insbesondere verständlich, daß Elektron-Neutrinos einen höherenWirkungsquerschnitt besitzen als die beiden anderen flavours.

Alle drei vorgestellten Prozesse sind sogenannte leptonische bzw. semi-leptonische

Prozesse. Daneben gibt es in der Theorie der schwachen Wechselwirkung noch reinhadronische Prozesse, an denen nur Quarks und Antiquarks beteiligt sind. Sie sollenhier nicht weiter besprochen werden. Ein Beispiel ist der Zerfall eines Kaons K+ = usin Pionen π+ = ud, π0 = uu:

K+ → π+ + π0

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82 Erzeugung von Neutrinos

2 Erzeugung von Neutrinos

In diesem Kapitel sollen die verschiedenen künstlichen und natürlichen Neutrino-quellen besprochen werden. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die derNeutrinoforschung zugänglichen Energiebereiche:

Quelle Energiebereich

β-Zerfall,Kernreaktoren 1 . . . 10MeV

Teilchenbeschleuniger 101 . . . 105MeV

atmosphärisch 102 . . . 105MeV

kosmische Strahlung > 50GeV (VHE),< 106GeV (UHE)

solar 0, 1 . . .20MeV

Supernovae ≤ 100MeV

Urknall 5, 3 · 10−4eV(nicht nachweisbar)

2.1 Beta-Zerfall

Der Beta-Zerfall ist vermittels der crossing-Symmetrie verwandt mit den in 1.3ibesprochenen CC-Prozessen.

• β−-Zerfall

AZX →A

Z+1 Y + + e− + νe

n → p+ + e− + νe

• β+-Zerfall

AZX →A

Z−1 Y − + e+ + νe

p+ → n + e+ + νe

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92 Erzeugung von Neutrinos

Der Feynmangraph des β−-Zerfalls ist:

d

u

d

u

W−

d

νe

e−

u

Der Betazerfall ist die Grundlage für die Entstehung von Neutrinos in Reaktoren.

2.2 Teilchenbeschleuniger

In Beschleunigern lassen sich Neutrinos hoher Energien und beliebiger flavours erzeu-gen, beispielsweise durch Zerfälle von Kaonen, die wiederum über einen Pion-ZerfallNeutrinos erzeugen.

2.3 Extraterrestrische Quellen

Bei Supernovae wird der größte Teil

Abbildung 2: Neutrinoemission der SN 1987A.

der während des Kollapses freiwer-denden Gravitationsenergie in Formvon Neutrinos abgegeben. Der Kol-laps eines Sternes setzt etwa 1057 Neu-trinos frei. Direkt nachweisen konnteman dies beispielsweise an der Su-pernova 1987A1. Auch aus der Zeitdes Urknalls sollten noch Neutrinosvorhanden sein. Mit einer Tempera-tur von 1, 7K ist es jedoch nahezuunmöglich, diese nachzuweisen. Wirbeschäftigen uns daher im folgendennur mit den solaren Neutrinos. DieSonne schöpft ihre Energie aus Kern-fusion. Als prominentes und wichtig-stes Beispiel sei hier die pp-Kette genannt.

4p+ →4 He2+ + 2e− + 2νe

1Stern Sandulaek -69 202, Große Magellansche Wolke, 15 . . . 18 Sonnenmassen

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102 Erzeugung von Neutrinos

Abbildung 3: oben: Das solare Neutrino-Spektrum nach erzeugenden Reaktionen, wie es vom solaren Standard-Modellvorhergesagt wird; Die Neutrinoflüsse der Kontinuumsquellen sind angegeben in Einheiten von cm−2s−1MeV −1, dieLinienflüsse in Einheiten von cm−2s−1, [2] — unten: Neutrinoquellen der Sonne und der von ihnen erzeugte Fluß, [3]

Die Positronen annihlieren mit den im Überschuß vorhandenen Elektronen, sodaßdie relevante Energiebilanz gegeben ist durch2

4p+ + 2e− →4 He2+ + 2νe + 26, 73MeV − Eν

Dieser Reaktionsmechanismus ist auf unserer Sonne für 98,4% des Energieumsatzesverantwortlich. Das solare Neutrino-Enegiespektrum ist Abbildung 3 zu entnehmen:Die pp-Reaktion ist als kontinuierliches Spektrum zu erkennen, ebenso wie die 8B-und die 3He-(hep)-Reaktion. Insbesondere die 8B-Reaktion wird später wichtig wer-den. Daneben weist das Spektrum drei diskrete Linien auf, von denen eine aus derProton-Elektron-Proton- (pep) und zwei aus 7Be-Reaktion stammen. Die nachfol-gende Tabelle gibt eine Übersicht über die solaren Neutrinoquellen. Die folgende

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112 Erzeugung von Neutrinos

Übersicht soll als kurze Erinnerung dienen, die Reaktionen richtig einzuordnen.

2Zahlenwerte nach [3]

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122 Erzeugung von Neutrinos

Temperaturabhängigkeit der Kernfusion Nach der klassischen Thermody-namik ist es auf der Sonne zu kalt für Kernfusionen. Die thermische Energie derWasserstoffkerne würde nicht ausreichen, die abstoßenden Coulombkräfte zwischenden beiden Protonen zu überwinden. Daß Kernfusion dennoch stattfindet, ist nurquantenmechanisch mit Hilfe des Tunneleffektes zu verstehen.

Klassisch können sich zwei Protonen mit kinetischer Energie W = 1

2mv2 nur bis auf

einen Abstand rmin annähern:

1

2mv2 =

q1q2

rmin

⇒ rmin =2q1q2

mv2

(Wir benutzen hier die reduzierte Masse m und die Relativgeschwindigkeit v.) Ausder Quantenmechanik ist die Tunnelwahrscheinlichkeit bekannt

PTunnel ∝ e−2π2rmin

λ = e−4π2q1q2

hv

mit der de Broglie Wellenlänge λ = hmv

und der thermischen Geschwindigkeit v. DieGeschwindigkeit folgt der Maxwell-Boltzmann-Verteilung

P (v) ∝ e−mv2

2kT .

Die gesamte Reaktionswahrscheinlichkeit ist damit

P = D exp

(

−4π2q1q2

hv−

mv2

2kT

)

.

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132 Erzeugung von Neutrinos

Das Maximum der Reaktion ist demnach zu erwarten für

dP

dv= 0

⇔ D exp

(

−4π2q1q2

hv−

mv2

2kT

)

d

dv

(

−4π2q1q2

hv−

mv2

2kT

)

= 0

(

4π2q1q2

hv2−

mv

kT

)

= 0

und es ergibt sich die Bedingung

v =

(

4π2q1q2kT

hm

)1

3

Zur Anschauung: Für m = mp/2 = 0, 503638u, q1 = q2 = e und die realistischeParameter auf der Sonne

v = 1, 5 · 108 cm

s, rmin = 2, 4 · 10−11cm � 10−13cm

Die maximale Reaktionswahscheinlichkeit ist demnach in Abhängigkeit von der Tem-peratur

Pmax (T ) = D exp

(

−4π2q1q2

hv−

mv2

2kT

)

= D exp

(

−4π2q1q2

h

(

4π2q1q2kT

hm

)−1

3

−m

2kT

(

4π2q1q2kT

hm

)2

3

)

= D exp

(

−3

2

(

4π2q1q2

h

)2

3 ( m

kT

)1

3

)

= D exp

(

(

T0

T

)1

3

)

, T0 :=

(

3

2

)3(

4π2q1q2

h

)2m

k= 3, 85 · 1010K

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142 Erzeugung von Neutrinos

Temperatur P/DErde 300K 7 · 10−220

Kern der Sonne 15, 7MK 1, 4 · 10−6

Kerne heißer Sterne 100MK 7 · 10−4

Folgerungen

• Auch in stellaren Kernregionen verläuft die Reaktion noch ziemlich langsam.

• Insbesondere ist die Rate geringer für höhere Kernladungen. (Der CNO-Zyklusbraucht höhere Temperaturen)

• Hier wichtig: Die Fusionsrate hängt empfindlich von der Temperatur ab. Beiguter Kenntnis der Temperatur, wie es auf der Sonne der Fall ist, sollte einegute Abschätzung der Fusionrate und damit des erzeugten Neutrinostromsmöglich sein.

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153 Neutrino-Astronomie

3 Neutrino-Astronomie

Dieses Kapitel behandelt die heute bestehenden technischen Möglichkeiten zur De-tektion kosmischer Neutrinos. Die dabei entstehenden Probleme hängen im wesent-lichen mit der geringen Wechselwirkung der Neutrinos mit Materie zusammen. Re-aktionen kosmischer Neutrinos sind daher extrem selten zu erwarten und aufgrundder Seltenheit ihres Auftretens sorgsam von Neutrinos aus irdischen Quellen zu un-terscheiden. Als Schwierigkeit erweist sich überdies die teils hohe Schwellenenergiemancher Detektortypen. Um Reaktionen vom Rauschhintegrund zu trennen bzw.überhaupt erst zu ermöglichen ist eine gewisse Mindesteingangsenergie der Neutrinoserforderlich. Dadurch sind teils nicht unerhebliche Bereiche des solaren Spektrumsder Beobachtung unzugänglich. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über diein diesem Kapitel besprochenen Experimente3:

Typ Experiment Schwellenenergie

radiochemisch GALLEX, Homestake, SAGE 233keV

Cherenkov (Super-)Kamiokande, SNO 2, 2MeV

Reaktorneutrino-Experiment KamLAND, CHOOZ 250keV

Photoemulsion DONUT, CHORUS -

Neutrinoteleskope IceCube, AMANDA, Baikal 40GeV

Bevor auf die spezifischen Besonderheiten der verschiedenen Experimente eingegan-gen wird, sollen zunächst die allen Versuchen gemeinsamen Eigenschaften heraus-gestellt werden. Der geringe Wirkungsquerschnitt der Neutrinos macht es nötig, inallen Experimenten sehr große Targetmassen zu verwenden. Ferner ist eine guteAbschirmung von irdischen Störquellen nötig. Man wählt daher meist unterirdischeStandorte in Bergwerksminen oder ähnlichem. Dabei ist auf eine geringe Radio-aktivität des umgebenden Gesteins zu achten. Davor führen wir jedoch kurz in einscheinbares Paradoxon ein, das den Wissenschaftlern jahrzehntelang Kopfzerbrechenbereitete.

3Angegeben ist bei mehreren Experimenten die minimal erreichbare Schwellenergie. DasDONUT/CHORUS-Experiment ist nur der Vollständigkeit halber aufgeführt und wird später nichtbehandelt. Es befaßte sich mit dem expliziten Nachweis der Existenz von τ -Neutrinos.

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163 Neutrino-Astronomie

3.1 Das solare Neutrino-Problem

Die Sonne ist ein relativ gut verstan-

Abbildung 4: Neutrino-Flüsse einiger der im folgenden bespro-chenen Experimente in solar neutrino units (1SNU = 10−36

Neutrinoeinfänge pro Sekunde und Targetkern) – Die SSM-Rechnungen sind auf dem Stand von 2006. [3]

dener Hauptreihenstern. Die allgemei-ne Theorie der stellaren Evolution lie-fert sehr genaue Vorhersagen über denerwarteten Neutrinostrom. Aufwen-dige und weithin anerkannte Rech-nungen zum solaren Standardmodellwurden von Bahcall et al. durchge-führt. Vergleicht man diese Ergebnis-se mit helioseismologischen Schallge-schwindigkeits-Messungen4 , so ergibtsich eine Übereinstimmung mit einerGenauigkeit von 0,1%rms. Es beste-hen also a priori keinerlei Zweifel ander Richtigkeit des Sonnenmodells. DieErgebnisse verschiedener Experimen-te zur Messung des Neutrinostroms,die im folgenden genauer untersuchtwerden sollen, sind in Abbildung 4zusammengefaßt. Das Homestake-Ex-periment misst aber beispielsweise nurknapp 32% der erwarteten Neutrinos,auch alle anderen verzeichnen Defini-zite, die nicht mit den Fehlergrenzenvereinbar sind. Diese Abweichung läßtsich durch die astrophysikalischen Mo-delle nicht erklären.Der Schlüssel zur Lösung des Rätselsliegt in der Natur der Neutrinos. Mangeht heute davon aus, daß ein Neutri-no als ein Quantenzustand beschrie-ben werden kann, der sich als Überlagerung der drei Basiszustände ausdrücken läßt.

|ν〉 = ce |νe〉 + cµ |νµ〉 + cτ |ντ 〉

Die Neutrinos werden in den Fusionsreaktionen der Sonne als reine Elektron-Neutrinoserzeugt, während ihres Fluges zur Sonne können sich die quantenmechanischen Ent-wicklungskoeffizienten jedoch ändern und die Neutrino-Arten ineinander übergehen.Diesen Vorgang bezeichnet man auch als Neutrino-Oszillation. Man kann diese Os-zillationen auch dadurch versthen, daß man den Zustand |νi〉 eines Neutrinos als

4mehr darüber ist zu finden in [9]

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173 Neutrino-Astronomie

Abbildung 5: Graphische Übersicht über die gemessenen Neutrinoflüsse im Vergleich mit dem SSM (nach den Berech-nungen von Bahcall et al., 2004, aus [6])

Linearkombination von mehreren Masseneigenzuständen darstellt, die sich bekannt-lich alle mit unterschiedlichen Propagatoren entwickeln. Im folgenden soll auch un-tersucht werden, wie sich dieser Prozeß auf die Meßergebnisse der vorgestellten De-tektorarten auswirken kann.

3.2 Radiochemische Methode: Homestake/GALLEX

3.2.1 Grundlagen

Die Radiochemische Methode beruht auf dem in 1.3i vorgestellten inversen β-Zerfall

AZX + νe → A

Z+1Y+ + e−

n + νe → p+ + e−.(1)

Wie in 1.3i erklärt wurde, können mit diesem Reaktionsmechanismus ausschließlichElektron-Neutrinos nachgewiesen werden. Die Targetmasse wird für eine Beobach-tungsdauer von der etwa zwei- bis dreifachen Halbwertszeit des Tochterisotops derNeutrinostrahlung ausgesetzt. Nach (1) entstehen dabei radioaktive Kerne, derenZerfall über den Nachweis der erzeugten Auger-Elektronen bzw. Röntgenquanten

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183 Neutrino-Astronomie

gemessen wird. Dazu muß das erzeugte radioaktive Isotop auf chemischem Wegeaus der Targetmasse extrahiert werden. Insbesondere ist mit radiochemischen Me-thoden eine Auswertung erst nach Ende der Beobachtungen möglich.

3.2.2 Aufbau

Experimente dieses Typs werden in einer ehe-

Abbildung 6: Das Experiment in der Goldmine in Ho-mestake, South Dakota (Foto: Brookhaven Nationallaboratory) [4]

maligen Goldmine in Homestake, South Da-kota, durchgeführt. 1500m unter der Erde unddamit von irdischen Störquellen wirkungsvollabgeschirmt befindet sich ein Tank mit 615tPerchlorethylen (C2Cl4) in der ab einer Neu-trinoenergie von 0, 814MeV die Reaktion

37Cl + νe → 37Ar+ + e−

37Ar → 37Cl− + e+ + νe

abläuft. Sie kann anhand der unten abgedruck-ten Nuklidkarte nachvollzogen werden. DasTochterisotop zerfällt mit einer Halbwertszeitvon 35 Tagen. Seit 30 Jahren werden im Mit-tel alle zwei Tage ein Neutrino detektiert.

Das GALLEX-Experiment im Gran-Sasso-Laboratorium arbeitet in 1200 MeternTiefe im italienischen Gran-Sasso-Tunnel mit 110t einer GaCl3-Lösung (in HCl,

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193 Neutrino-Astronomie

davon entfallen 30, 3t auf Gallium) und der Reaktion

71Ga + νe → 71Ge+ + e−.

Das Tocherisotop 71Ge zerfällt mit einer Halbwertszeit von 11, 4 Tagen. Zu Beginneiner Beobachtung werden nun etwa 1mg stabiles Germanium der GaCl3-Lösungzugegeben. Nach Ablauf der Beobachtungsdauer von zwei bis drei Wochen wird dasTarget mit Stickstoff ausgewaschen. Dazu wird der Tank 12 bis 20 Stunden mitStickstoff gespült, wobei leicht flüchtiges GeCl4 aus der Verbindung des Galliumsmit Salzsäure in die Gasphase übergeht. Im Anschluß wird das Gas durch einen30l Wassertank geleitet und in der Folge durch weitere Auswaschvorgänge auf nur1l Wasser konzentriert. Die letzte Extraktion erfolgt mit CCl4 und wiederum mitWasser, diesmal nur noch 50ml. Diese Reinigung dient auch zur Abscheidung radio-aktiven Tritiums, das bei der nachfolgenden Ratenzählung die Ergebnisse verfälschenwürde. Dazu wird das GeCl4 mit Hilfe von Natriumborohydrid (NaBH4) zu GeH4

reduziert, das in einer 3:7-Mischung in Xenon unter 800 Torr in die Ratenzählunggeschickt wird. Mit diesem Verfahren erreichte man eine chemische Ausbeute5 von85,6% bzw. später sogar 99%.6

Die Menge an radioaktivem 71Ge ist selbst gemäß SSM so gering, daß nur ein Zerfallpro Tag zu erwarten wäre. Das Erfordert Miniaturisierung der Zählereinrichtungsowie extreme Ansprüche an die Reinheit der verwendeten Materialien in Bezug aufradioaktive Kontaminierung und an die Schrimung.

Ein vergleichbares amerikanisch-russisches Experiment SAGE arbeitete mit 28t, spä-ter 56t metallischem Gallium.

5also Verhältnis von Ge im Zähler zu der Anfangs zugegebenen Menge6Alle Angaben nach [12].

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203 Neutrino-Astronomie

Abbildung 7: Schematischer Aufbau des GALLEX-Experiments [12]

3.2.3 Zielsetzung und Ergebnisse

Ziel des GALLEX-Experiments war es, Aufschlüsse über den solaren Neutrinodefektzu erlangen. Bereits zuvor war das Defizit gegenüber den Prognosen des solarenStandardmodells bekannt geworden. Die GALLEX-Reaktion läuft ab einer Schwellevon 0, 23MeV , was gegenüber Homestake den Vorteil hat, daß noch ca. die Hälfteder 0, 42MeV pp-Neutrinos gemessen werden kann. Dennoch fand auch Gallex zuwenig Neutrinos7:

erwartet nach SSM: Φ (ν) = 126 ± 10 SNU (SSM)Φ (ν) = 123, 4± 8, 2 SNU (seismisch)

Meßwert GALLEX: Φ (ν) = 77, 5 ± 6, 2 SNU

Dies entspricht einem Defizit der sechsfachen Standardabweichung und ist nicht mitdem SSM vereinbar. Dies ist aus heutiger Sicht im Rahmen der Neutrinooszillatio-nen verständlich, da der radiochemische Experimenttyp nur sensitiv für Elektron-Neutrinos ist.

7vergleiche auch die Abbildung 4. Die Neutrino-Flüsse sind angegeben in solar neutrino units

(SNU): 1SNU = 10−36 Einfänge pro Sekunde und Targetkern. Die prognosizierten Werte unter-scheiden sich leicht, je nach Quelle. Dies ist jedoch irrelevant für die Größenordnung des gefundenenDefizits.

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213 Neutrino-Astronomie

3.3 Cherenkov-Zähler: Super-Kamiokande und SNO

3.3.1 Grundlagen

Cherenkov Experimente, zu denen die beiden Kamiokan-

Abbildung 8: Der Elektron-Neutrino-Streuprozeß in SNO undKamiokande, [13]

de-Detektoren sowie das Sudbury Neutrino Observato-

ry (SNO) gehören, arbeiten im wesentlichen mit einemElektron-Neutrino-Streuprozeß in Wasser. Allerdings lie-gen hier je nach Versuchsaufbau bis zu drei verschiede-ne Mechanismen vor, die alle unterschiedliches Verhal-ten bezüglich der verschiedenen flavours und deren Wir-kungsquerschnitten zeigen.

i. Der erste und wichtigste Vorgang ist ein ES-Prozeß. Solche Streuungen wurdenin 1.3iii vorgestellt. Für die Auswertung wird wichtig werden, daß hier – imGegensatz zu den radiochemischen Detektoren – alle flavours streuen, wennauch mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten: Für νµ und ντ findet dieReaktion nur mit einem Wirkungsquerschnitt von σ (νµτe) ≈ 0, 16σ (νee) statt.Durch Stöße werden hochenergetische Elektronen erzeugt (β = v

c≈ 1), die in

dispersiven in Medien mit Brechzahlen > 1 Tscherenkow-Strahlung in einemKegel mit dem charakteristischen Öffnungswinkel

cos φ =1

nβ,

die mit Photomultiplieren nachgewiesen werden kann. Dadurch ist es möglichdie Richtung des registrierten Neutrinos festzustellen. Um die Ereignisse si-cher von Störungen zu trennen, muß man sich auf Energien > 5 . . . 6, 5MeVbeschränken.

ii. Die beiden weiteren Reaktionsmechanismen beruhen auf dem Einsatz vonschwerem Wasser statt gewöhnlichem. Eine mögliche CC-Reaktion ist im Bild9 links dargestellt. Es handelt sich um die CC-Reaktion

d+ + νe → 2p+ + e−.

(inverser β-Prozeß) Nach 1.3i ist diese Reaktion nur für Elektron-Neutrinosmöglich.

iii. Eine dritte Möglichkeit ist der in Abbildung 9 rechts erklärte NC-Prozeß

d+ + ν → p+ + n + ν

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223 Neutrino-Astronomie

Abbildung 9: Die in (ii) und (iii) besprochenen CC- bzw. NC-Prozesse, [13]

an dem Neutrinos aller flavours gleichermaßen teilnehmen. Dabei entsteht einschnelles freies Neutron, daß für weitere Kernreaktionen genutzt werden kann.Dazu nutzt man den Einfang der Neutronen durch Chlor, das im Fall von SNOin Form von 2, 5t NaCl dem Wasser zugegeben wird.

35Cl + n → 36Cl + γ

Das beim Einfall freiwerdende Gammaquant kann wieder mittels Photomultiplier-Tubes detektiert werden. Im Falle von SNO ergibt sich am Ende eine γ-Energievon 8, 6MeV Eine weitere Nachweismöglichkeit baut auf die Reaktion

3He + n → 3H + p.

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233 Neutrino-Astronomie

3.3.2 Aufbau

(Super-)Kamiokande. Im Zeitraum von

Abbildung 11: Das SNO-Experiment, [13]

1985 bis 1995 war das japanische Kamio-

kande-Experiment (Kamioka Nucleon De-

cay Experiment) in Japan in Betrieb, zu-nächst gedacht für die Untersuchung desProton-Zerfalls, und machte nach erfolg-losen Ergebnissen dazu Messungen an so-laren 8B-Neutrinos. In 1000m Tiefe unterdem Erdboden befanden sich 2140t Reinst-wasser, davon die inneren 640t für sola-re Neutrinos. 980 Photomultiplier an denWänden registrieren alle 3 bis 4 Tage einNeutrino. Seit 1996 läuft das Experimentausgebaut als Super -Kamiokande mit 50000tReinstwasser und 11200 Photomultipliern.Darin können Neutrinos ab 6, 5MeV vomHintergrund natürlicher Radioaktivität ge-trennt werden. Der Tank besteht aus zweiTeilen: Die äußeren 32000t schirmen dienatürliche Radioaktivität des umgebendenGesteins ab, der innere Teil dient dem ei-gentlichen Nachweis von Neutrinos. Dadurchwird auch eine Erkennung von störenderTscherenkow-Strahlung durch kosmische Myo-nen möglich, die auch im äußeren Teil regi-striert werden kann – im Gegensatz zu denerst im inneren Bereich erzeugten Elektro-nen. Insbesondere die Möglichkeit die re-gistrierten Events richtungsabhängig (ver-leiche die Abbildung 10) und in Echtzeitzu messen läßt eine effektive Trennung von Signalen und Störungen zu. Die starkeRichtungskorrelation war im übrigen auch der erste experimentelle Nachweis derEmission von Neutrinos auf der Sonne. Dies geht auch aus der gemessenen Tag-Nacht-Asymmetrie

ATN =Tag − Nacht

0, 5 · (Tag + Nacht)= −0, 021 ± 0, 020+0,013

−0,012

hervor.

SNO erforscht seit 1999 in 2070 Metern Tiefe unter der Erde in einer kanadischen

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243 Neutrino-Astronomie

Abbildung 10: oben: Super-Kamiokande, Kamioka, Japan – unten: typische Aufzeichnung einer Reaktion. Der Kreis istdie Projektion des Cherenkov-Kegels auf die Behälterwände. [14]

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253 Neutrino-Astronomie

Nickelmine nördlich von Lake Huron solare 8B-Neutrinos. Wie Super-Kamiokandegliedert sich das Target in zwei Teile; Der Außenbereich besteht aus 7300t Reinst-wasser zur Abschirmung bzw. Identifizierung von Störeffekten, der innere Kern deskugelförmigen Tanks aus 1000t D2O. An dem im Bild zu erkennenden Gestängerund um die transparente Kugelwand sind 10000 Photomultiplier-Tubes angebracht.Insbesondere zeichnet sich SNO dadurch aus, daß der solare Neutrinofluß unab-hängig in allen drei Kanälen (ES, CC, NC) gemessen werden kann, die alle aufunterschiedlichen Reaktionen mit ebenso unterschiedlichen Wirkungsquerschnittenbasieren. Die Unterscheidung der Anteile von ES- und CC-Reaktion (vergleiche dieAbbildungen 8 und 9), die beide auf der Detektion von durch Elektronen erzeugteCherenkov-Strahlung beruhen, wird erreicht durch Selektion nach der Richtungs-abhängigkeit, gemessen mit dem Winkel ϑ� der Flugrichtung des Elektrons zurRichtung Sonne–Erde (also der ursprünglichen Flugrichtung des Neutrinos): Wäh-rend die ES-gestreuten Elektronen einen starken Vorwärtspeak verursachen, sind dieRichtungen der CC-Elektronen näherungsweise im Bereich 1 . . . 1

3cos ϑ� verteilt. Die

Schwellenenergien für die NC-Reaktion ist 2, 2MeV

3.3.3 Auswertung der Ergebnisse

Das SNO-Experiment hat ganz wesent-

Abbildung 12: Vergleich der Daten von Super-Kamiokande(ES, rote Linie) mit den CC-Messungen von SNO (blau) –[10], S. 13

lich zur Klärung des Neutrino-Problemsbeigetragen. Die ersten veröffentlichtenErgebnisse waren im Jahr 2001 zunächstnur Messungen der CC-Reaktion alsodes reinen νe-Flusses. Die Graphik inAbbildung 12 vergleicht den νe Fluß ausder CC-Messung von SNO mit Wertenvon Super-Kamiokande, das zur etwa glei-chen Zeit den Fluß basierend auf ESmaß. Zunächst erwartete man natürlichΦCC

SNO(νe) = ΦES

SK(νi). Ein Vergleich der

experimentellen Daten zeigt jedoch, daß

ΦES

SK− ΦCC

SNO= (0, 57 ± 0, 17) · 106cm−2s−1

Die Signifikanz dieser Abweichung war > 3σ. Damit war ein aktiver Beitrag einerweiteren Komponente evident. Der nur leicht höhere Beitrag bei Superkamiokandeerklärt sich aus heutiger Sicht zwanglos aus dem geringeren Wirkungsquerschnitt(1 : 6), mit dem die µ- und τ -flavours beitragen. Obwohl die Unsicherheiten in denMessungen von SNO noch groß waren alle Werte mit dem Modell der Neutrinooszil-lation vereinbar. Insbesondere ist aber ein Jahr später (2002) mit der NC-Reaktion3.3.1iii ein Meßkanal geschaffen worden, der zwischen den drei flavours nicht diffe-renziert. In der Tat entspricht der auf diesem Kanal gemessene Fluß Φ genau denVorhersagen des SSM, wie man anhand der Abbildungen 4 und 13 nachvollziehen

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263 Neutrino-Astronomie

Abbildung 13: Ergebnisse des SNO-Experiments: Dargestellt ist der Fluß Φµτ der 8B Myon- und Tauon-Neutrinos inAbhängigkeit vom Elektron-Neutrino-Fluß Φe für die NC- (blau), CC- (rot) und ES-Messungen (grün) sowie die Vorhersagedes SSM. Die untere Graphik zeigt die Meßergebnisse für die neueren Messungen in Salzphase. Zum Vergleich sind dieErgebnisse von Super-Kamiokande eingezeichnet. Es ergibt sich eine hervorragende Deckung mit dem SNO-ES-Werten.Die Streifenbreite entspricht dem 1σ-Fehler (68% Vertrauensniveau). [13]

kann. Die quantenmechanische Vorhersage der Neutrinooszillation wird damit aufsschönste bestätigt. In den Messungen der beiden anderen Kanäle spiegelt sich dasscheinbare Defizit an Neutrinos wider. Bildet man die Differenz aus dem NC-FlußΦ und dem νe-Fluß Φe aus der CC-Reaktion 3.3.1ii, erhält man den Fluß Φµτ derbeiden anderen flavours, die bei den Fusionsreaktionen auf der Sonne nicht entste-hen können. Da Φµτ von Null verschieden ist, sind Neutrinooszillationen zweifelsfreibewiesen. Neutrinos müssen also auf ihrem Weg von der Sonne zur Erde ihren fla-vour ändern können.Auch die aus den CC-Messungen gewonnene spektrale Verteilung der Neutrinos ent-sprach exakt der vom SSM prognostizierten, ungestörten Form des 8B-Spektrums.

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273 Neutrino-Astronomie

3.4 Reaktorneutrino-Experiment KamLAND

3.4.1 Idee und Grundlagen

Nachdem mit den SNO-Daten der Be-

Abbildung 14: Übersicht über die für KamLAND relevantenReaktoren, [16]

weis von Neutrino-Oszillationen gelun-gen war, suchte man nach Möglichkei-ten, diese Oszillationen auch bei Neutri-nos irdischer Quellen nachzuvollziehen.Als Quellen dienen zwanzig japanischeKernkraftwerke, in denen β−-Zerfälle gro-ße Mengen Elektron-Antineutrinos frei-setzen. Japan mit seiner hohen Reaktor-dichte erweist sich dafür als besondersgeeignet. Die für die Messung in Be-tracht genommenen Kernreaktoren sindin Abbildung 14 aufgelistet. Im Expe-riment KamLAND (Kamioka Liquid Scin-

tillator Anti-Neutrino Detector) werdengemäß

p + νe → n + e+

bei Target-Impacts Neutronen und Po-sitronen erzeugt. Beide erzeugen Gamma-Blitze, die mit PMTs nachgewiesen wer-den können: Das e+ durch Annihilationmit Elektronen, das Neutron bei Ein-fang durch ein Proton. Dabei filtert Kam-LAND die Gammablitze nach Koinzi-denz: Nur Zeitabstände im Bereich 0, 5 . . . 1000µshaben sich als Folgen von Neutrino-Ereignissenerwiesen.

3.4.2 Versuchsaufbau

KamLAND nutzt die Anlagen des alten Kamiokande-Experiments in Kamioka. Iminneren Bereich des kugelförmigen transparenten Targetbehälters befinden sich 1000tFlüssigszintillator. Dieses Target ist umgeben von einer mit transparentem Öl ge-füllten Kugel, die von 1000 PMTs ungeben ist. Das ganze befindet sich wiederum inder Mitte eines Wassertanks, der wieder zur Störeinflußreduzierung (beispielsweise

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283 Neutrino-Astronomie

Myonen) dient.

3.4.3 Auswertung der Ergebnisse

Abbildung 15 zeigt das gemesse-

Abbildung 15: Messungen des KamLAND-Experiments: Die graueKurve gibt das aus der Emission und Entfernung berechnete Spek-trum ohne Oszillation an, die schwarze dasjenige mit, [15]

ne νe-Spektrum im Vergleich mitdem aus Emission und Entfernungberechneten, sowohl ohne als auchmit Berücksichtigung der Oszilla-tionen. Man findet auch hier wie-der eine sehr gute Bestätigung derquantenmechanischen Vorhersageder Neutrinooszillation. Offenbarzeigen die Oszillationen zudem einüber das Energiespektrum hinwegnicht einheitliches Oszillationsver-halten. Abbildung 16 zeigt die be-rechneten Neutrinooszillationen inAbhängigkeit von der Entfernungzum Reaktor. Die gepunktet ein-gezeichnete Kurve beschreibt den oszillatorisch schwankenden Verlauf des Elektronneutrino-Flusses abhängig vom Abstand. Daraus geht hervor, daß KamLAND schon rein geo-graphisch das erste Experiment war, das in der Lage sein konnte, Oszillationseffekte

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293 Neutrino-Astronomie

Abbildung 16: KamLAND und vergleichbare frühere Experimente nach ihren Entfernungen zur Quelle; Die gepunkteteLinie zeigt die theoretisch berechneten Oszillationen. [16]

nachzuweisen. Alle vorangehenden Experimente (beispielsweise CHOOZ) versuch-ten durch Nähe zur Quelle die Neutrinoflüsse zu erhöhen und standen daher inAbständen, in denen noch keinerlei Oszillationen zu messen waren.

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303 Neutrino-Astronomie

3.5 Neutrino-Teleskope AMANDA und IceCube

3.5.1 Beschreibung

IceCube ist ein Neutrinoteleskop riesigen Ausmaßes,

Abbildung 17: Prinzip der IceCube-Messungen: Ein Myon erzeugt bei seinemFlug durchs Eis einen Lichtkegel, [17]

das bis 2011 in den Eismassen der Antarktis entstehensoll. 1km3 hochreines arktisches Eis dient als Target-material für den Nachweis kosmischer Neutrinos – ineiner Tiefe von 1450 bis 2450 Metern, wo es unterdem enormen Druck keine störenden Lufteinschlüsseim Eis mehr gibt. Einfallende Neutrinos erzeugen imEis Myonen und Tauonen, beispielsweise

n + νµ → p+ + µ−.

Das Myon bewegt sich in der ursprünglichen Richtungdes Neutrinos weiter und emittiert in einem Kegel mitgeschwindigkeitsabhängiger blaues Cherenkov-Licht,das von mindestens 4200 PMTs über 100 Millionenmal verstärkt wird. IceCube ist damit in der Lage,Neutrino-Impacts richtungstreu nachzuweisen. Ziel istder Nachweis kosmischer Hochenergie-Neutrinos in ei-nem spektralen Bereich von 1011 . . . 1021eV . Man rech-net mit etwa tausend Ereignissen täglich. Aufgrunddes hohen Druckes werden hauptsächlich Myonen erzeugt werden, daher ist mit einerhöheren Sensitivität für Myon-Neutrinos zu rechnen. Ein Großteil der registriertenNeutrinos stammt von Kaskaden atmosphärischer Streuprozesse, die astronomischuninteressant sind. IceCube wird daher nur Teilchen aufzeichnen, die von unten ein-treten und schon den ganzen Weg durch die Erde hinter sich haben. Dabei werdenauf einfache Weise auch alle anderen Störeinflüsse ausgeschlossen, also Ereignisse dievon anderen Teilchen als Neutrinos hervorgerufen werden – schließlich können nurNeutrinos ungehindert durch die ganze Erde gelangen. Seit 1997 schon liefert dasVorgängerexperiment AMANDA Daten, bisher jedoch ohne signifikante Ergebnisse.Man hofft daher auf die weit höhere Empfindlichkeit von IceCube ab 2011.

3.5.2 Ziele

Nahezu alle Wellenlängenbereiche elektromagnetischer Strahlung sowie alle Artenvon Elementarteilchen sind auf ihrem Weg vom Ort ihrer Erzeugung zur Erde mas-siven Beeinflussungen unterworfen: Strahlung und Licht werden durch interstellareMaterie geschwächt, alle geladenen Teilchen wie Elektronen oder α-Teilchen durchelektromagnetische Felder abglenkt, Neutronen zerfallen auf dem langen Weg zur Er-de. Die Neutrino-Astronomie erschließt der beobachtenden Astrophysik einen völlig

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313 Neutrino-Astronomie

neuen Bereich des Energiespektrums bis hin zu PeV -Beobachtungen (1015eV ). Ice-Cube soll die Natur kosmischer Gamma Ray Bursts untersuchen und klären, ob dieTeV -Photonen aus dem Krebsnebel oder vielen aktiven galaktischen Kernen (AGNs)elektromagnetischen oder hadronischen Ursprungs sind.

Bilder des Röntgensatelliten Chandra zei-

Abbildung 18: Potentielle Quellen der von IceCube er-faßten Neutrinos, [17]

gen in einem Auflösungsbereich, der vonIceCube erreicht werden wird, einen dif-fusen kosmischen Röntgenhintergrund, derhauptsächlich auf AGN-Strahlungsprozessezurückzuführen ist. Verschiedene Modelledafür machen Vorhersagen über die diffuseNeutrino-Hintergrundstrahlung, der IceCu-be auf der Spur sein wird. Darüberhinaussoll das Experiment bei Energien, die ir-dischen Teilchenbeschleunigern unzugäng-lich sind, nach Supersymmetrischen Teil-chen suchen und schließlich Neutrino-Os-zillationen auf Längenskalen von mehrerenMegaparsec beobachten.

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32Literatur

Literatur

[1] Magill/Pfennig/Galy: Karlsruher Nuklidkarte; FZK, 7. Auflage 2006

[2] The Particle Data Group web site: http://pdg.lbl.gov/

[3] W.-M. Yao et al. (Particle Data Group), J. Phys. G 33, 1 (2006) (URL:http://pdg.lbl.gov)

[4] Today in Astronomy 142, Spring 2004

[5] W. Gebhardt: Skript zur Vorlesung

[6] homepage of Jörn Wilms (Uni Erlangen): http://astro.uni-tuebingen.de/ wilms/

[7] W. Demtröder: Experimentalphysik 4 - Kern-, Teilchen und Astrophysik;Springer, Berlin/Heidelberg/New York 1998

[8] H. V. Klapdor-Kleingrothaus/K. Zuber, Teilchenastrophysik, Stuttgart1997

[9] R. Kippenhahn/A. Weigert: Stellar Structure and Evolution, Springer, Ber-lin/Heidelberg/New York 1994

[10] Physics Today, Aug. 2001

[11] Centre for Underground Physics in Pyhäsalmi:http://cupp.oulu.fi/neutrino/nd-mass.html

[12] GALLEX web site: http://www.mpi-hd.mpg.de/nuastro/gallex.html

[13] SNO web site: http://www.sno.phy.queensu.ca/

[14] Super-Kamiokande web site:http://www-sk.icrr.u-tokyo.ac.jp/sk/index-e.htm

[15] KamLAND web site: http://www.awa.tohoku.ac.jp/KamLAND/ –http://kamland.lbl.gov/

[16] KamLAND web site at Stanford University:http://hep.stanford.edu/neutrino/KamLAND/

[17] IceCube web site: http://www.icecube.wisc.edu/

Dieses Skript ist im Internet auf meiner Homepage unter www.caelestis.de verfügbar.