SONDERAUSGABE DIE WELT DER ZUKUNFT … neuen Buch jüngst glaubhaft be-legt, dass die Gesellschaft...

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+ WOLFGANG W. MERKEL W ir leben in paradiesi- schen Zeiten! Was für eine absurde Aussage, das mag sa- gen, wer gerade Zei- tung gelesen oder die Tagesthemen gese- hen hat. Schuldenkrisen, Euro-Krise, Terrorismus und Gewalt im öffentlichen Raum scheinen eine andere Sprache zu sprechen. Und dennoch: Wer die vergan- genen Jahrzehnte Revue passieren lässt und zumindest Mitteleuropa betrachtet, muss eingestehen: Es geht uns ziemlich gut. Es herrschen Frieden, Demokratie und Rechtssicherheit. Der renommierte Harvard-Forscher Steven Pinker hat in einem neuen Buch jüngst glaubhaft be- legt, dass die Gesellschaft nie gewalt- ärmer war als heute – aller scheinbaren Präsenz von Ge- walt zum Trotz. Nicht zuletzt sind wir so gesund wie nie zuvor. Die Le- benserwartung ist auf einem Rekordhoch und steigt wei- ter. Vor einem halben oder gar einem Jahrhundert galt beispielsweise ein Patient mit der Diagnose Krebs als un- heilbar. Mittlerweile jedoch sind zahlreiche schwere Krankheiten beherrschbar Insulin, Chemotherapie und Bypass sei Dank. Aus Killern sind oftmals beherrschbare Leiden geworden. Doch wir sollten die Fort- schritte nicht als Selbstver- ständlichkeit betrachten, qua- si als einforderbares Recht. Denn es besteht die Gefahr, dass der Zustand „kippt“. Aus dem einfachen Grund, dass die Gesellschaft die abzuse- henden Kosten eines Tages vielleicht nicht mehr tragen kann. Etliche Fakten legen dies nahe. Punkt eins: die al- ternde Gesellschaft. Mit zu- nehmender Lebenserwartung nimmt die Zahl der Erkran- kungen zu. Rheuma, Krebs und Demenz sind eben vor- nehmlich Alterskrankheiten. Insbesondere die Leiden im Zusammenhang mit dem Hirnabbau stellen unsere Gesundheits- und Sozialsysteme vor große Probleme. Kaum eine Woche vergeht zudem, in der nicht auch neue Zahlen genannt wer- den zur Zunahme von Muskel- und Ske- letterkrankungen sowie psychischen Lei- den. Gerade deren Therapie ist langwie- rig und teuer, die Volkswirtschaft leidet unter den Ausfallzeiten der betroffenen Arbeitnehmer. Und schließlich werden Medikamente und Verfahren entwickelt, die zwar Linderung versprechen, dies aber zu einem teils exorbitanten Preis. Kurz gesagt: Die Gesellschaft steckt in der Fortschrittsfalle. Wer als Mediziner, Wissenschaftler oder Politiker die Stra- tegie verfolgt, mit den gewohnten Mit- teln weiterzumachen, steckt im Hams- terrad: Er läuft immer schneller, kommt aber nicht ans Ziel, sondern nur der Er- schöpfung näher. Was also tun? Das zu Ende gehende Wissenschaftsjahr 2011 – „Forschung für die Gesundheit“ – förderte den Dialog zwischen Forschung, klinischer Praxis und Bürgern. Jeder war eingeladen mit- zudenken. Die Zukunftsprobleme spie- geln sich in den Programmschwerpunk- ten des Wissenschaftsjahres wider, etwa das Voranschreiten der Volkskrankhei- ten, Krebsforschung und die zunehmen- de Bedeutung der Prävention. Präventi- on als Gesundheits- und Wirtschaftsfak- tor sowie die ethischen Di- mensionen der modernen Medizin griffen auch die drei Sieger des Essay-Wettbewer- bes „Welt der Zukunft“ auf. Es war der mittlerweile fünfte Wettbewerb dieser Art. Die Preise wurden am Dienstag im Axel Springer-Verlagshaus von Annette Schavan, Bun- desministerin für Bildung und Forschung, überreicht. Die Preisträger blicken weit in die Zukunft: in die Mitte dieses Jahrhunderts. Es sind einige der großen The- men – die Versorgung älterer Menschen sowie Prävention und Früherkennung von Krankheiten – aber sie wur- den weitergedacht. Sogar Heilung von Krankheiten, be- vor sie eintreten, war ein Thema. Das vermeintliche Paradoxon, ausgedacht von Alexander Kühn, erklärt sich als eine umfassende virtuelle Modellierung der Körper- funktionen, die – so die Visi- on – Leiden erkennt, bevor sie manifest werden. Die an- schließende Simulation der Therapie vor der realen The- rapie ergibt dann das optima- le Vorgehen, um einen Men- schen gesund zu erhalten. Dies ist sicherlich ein fanta- sievolles Szenario, aber ehr- geizige und inspirierte Denker sind ge- fragt und auch nötig. In dieser Sonder- ausgabe der „Welt“ stellen wir die drei Sieger und ihre Ideen vor, im Internet sind ihre Essays in voller Länge zu lesen. Das Wissenschaftsjahr 2012 steht dann unter dem Motto „Zukunftsprojekt Erde“. Es jährt sich zum 20. Mal der „Erdgipfel von Rio de Janeiro“. 2012 wird damit das Jahr der Nachhaltigkeitsfor- schung. Auch dazu wird es wieder einen Essay-Wettbewerb unter dem Titel „Die Welt der Zukunft“ geben. So gesund sind wir im Jahr 2050 Beim Essay-Wettbewerb „Welt der Zukunft“ haben sich junge Wissenschaftler Gedanken darüber gemacht, wie wir besser leben und zufrieden altern können Erster Preis: Alexander Kühn Gewinner gefunden Die innovativen Ideen der Sieger unseres Essay-Wettbewerbs Seite II und III HERBST 2011 SONDERAUSGABE DIE WELT DER ZUKUNFT Gewinner gesucht Im nächsten Jahr geht es um das Thema „Zukunftsprojekt Erde“ Seite IV DIE WELT:Im Wettbewerb „Welt der Zukunft“ haben Studenten Konzepte zur Gesundheitssicherung entwi- ckelt. Müssen wir nicht generell ei- nen neuen Blick auf die Probleme entwickeln? Schließlich rollen mit der alternden Gesellschaft und den Volkskrankheiten Herausforderun- gen neuer Dimensionen auf uns zu. ANNETTE SCHAVAN: Genau aus die- sem Grund stärken wir die Gesund- heitsforschung in Deutschland so stark wie noch nie. Dabei fördern wir gezielt die Erforschung der Volkskrankheiten. Das ist im Rahmenprogramm Gesund- heitsforschung der Bundesregierung festgelegt, das zu Beginn dieses Jahres gestartet ist. Wir verfolgen dabei die Strategie, die besten Wissenschaftler zusammenzuführen und so die rasche Übertragung des Wissens vom Labor in die Praxis zu fördern. Je mehr wir an medizinischen Themen forschen, desto besser können wir nicht nur Krankhei- ten behandeln, sondern sie gleichzeitig verhindern. Dafür investiert die Bun- desregierung bis 2014 mehr als 5,5 Milli- arden Euro. Das Motto des diesjährigen Wissenschaftsjahres „Forschung für unsere Gesundheit“ macht deutlich, dass Forschung nicht im Elfen- beinturm stattfinden darf, sondern den stetigen Dialog mit der Öffentlichkeit braucht, um ihren Nutzen für die Menschen entfalten zu können. Wir haben des- halb in den vergangenen Monaten bei zahlreichen Veranstaltungen und auch im In- ternet den Di- alog mit den Bürgerinnen und Bürgern geführt. Die Entwicklung neuer Medikamente ist teuer und langwierig. Wie kann die Forschungspolitik die Arzneimit- telentwicklung besser fördern, insbe- sondere in jenen schwierigen Fällen, in denen die Industrie aus Markt- oder Patentrechtsgründen kein Inte- resse an teuren Forschungsinvestitio- nen hat? Da, wo sich diese Probleme stel- len, werden wir aktiv, wie zum Beispiel in den Entwicklungs- ländern. Das Bundesfor- schungsministerium unter- stützt seit diesem Jahr so ge- nannte Produktent- wicklungspartnerschaften. Das sind in- ternationale Non-Profit-Organisatio- nen, die Präventionsmethoden, Diag- nostika und Medikamente gegen ver- nachlässigte und armutsbedingte Krankheiten entwickeln. Sie werden durch öffentliche und private wohltäti- ge Geldgeber finanziert. Im Gegenzug werden die Produkte den Betroffenen später zu einem sehr geringen Preis zur Verfügung gestellt. Dabei legen wir be- sonderen Wert darauf, die Kindersterb- lichkeit zu senken und die Gesundheit der Mütter zu verbessern. Was konnte das zu Ende gehende Wissenschaftsjahr Gesundheitsfor- schung bewirken? Welche Projekte und Neuerungen waren aus Ihrer Sicht besonders erfolgreich und in- novativ? Wir haben uns in diesem Wissen- schaftsjahr besonders an junge Men- schen gewandt. Denn sie werden von den großen Fortschritten in der Medi- zin am meisten profitieren. Dies ge- lingt aber nur, wenn wir sie frühzeitig in die Lage versetzen, Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Und die können sie umso wirksamer übernehmen, je intensiver sie sich mit dem Thema befassen. Ich freue mich, dass wir im Wissenschaftsjahr auch die erreichen konnten, die nicht selbstver- ständlichen Zugang zu Forschungsthe- men haben. So haben wir sie an unge- wöhnlichen Orten in die Welt der For- schung eingeladen: zum Beispiel mit einer Wanderausstellung durch große Bahnhöfe, im Kino oder im Sportver- ein. Über 13 000 Kinder lernen beim „Zirkeltraining der Gesundheitsfor- schung“ ganz alltagsnah in der Turn- halle, welchen Einfluss Ernährung und Bewegung auf die Gesundheit haben – und wie spannend Forschung ist. Sie haben den Essay-Wettbewerb „Gesundheit 2050“ unterstützt. Was erhoffen Sie sich von diesem Pro- jekt? Forschung braucht die Rückkoppelung in die Gesellschaft. Die Beiträge zum Wettbewerb haben uns einen spannen- den Einblick gegeben, wie sich junge Menschen die Medizin im Jahr 2050 vorstellen. Die Studierenden und jun- gen Wissenschaftler sehen und be- schreiben in ihren Texten sehr klar die Chancen und Potenziale der Forschung. Sie bringen aber auch ihre Bedenken zur Sprache. Der Wettbewerb hat sie dazu angeregt, die Rolle von Forschung in unserer Gesellschaft zu reflektieren. Im besten Fall bringen wir mit dem Wettbewerb sogar den einen oder an- deren jungen Menschen dazu, sich spä- ter auch beruflich in der Gesundheits- forschung zu engagieren. Interview: Wolfgang W. Merkel „Forschung darf nicht im Elfenbeinturm stattfinden“ Bundesministerin Annette Schavan setzt darauf, dass neue Erkenntnisse künftig schneller vom Labor in die Praxis übertragen werden PA/DPA Prof. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung E s vergeht keine Woche, in der nicht Nachrichten aus den For- schungslabors vom medizini- schen Fortschritt künden: Neue Medika- mente, Impfungen und Therapien. Viele Krankheiten haben mittlerweile ihren Schrecken verloren. Manche Diagnose, die noch vor wenigen Jahren meist ei- nem Todesurteil gleich kam, bedeutet heute lediglich, dass sich der Betroffenen auf ein chronisches Leiden einzustellen hat und lebenslang auf Medikamente an- gewiesen sein wird. Die Vision einer per- sonalisierten Medizin verheißt gar, dass sich Krankheiten künftig maßgeschnei- dert für ein jedes Individuum behandeln lassen. Die Berücksichtigung der geneti- schen Einzigartigkeit verspricht dabei bestmögliche Heilungserfolge. Doch es gibt auch eine andere Seite. Gefährliche Krankenhauskeime, gegen die kaum noch Antibiotika wirksam sind, fordern hierzulande Jahr für Jahr viele Tausend Todesopfer. Die Zahl der von Volkskrankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck Betroffenen nimmt trotz aller Aufklärung beständig zu und vor der sich abzeichnenden Welle von De- menzfällen stehen wir bislang praktisch ohne medizinische Antwort gegenüber. Und selbst da, wo der medizinische Fort- schritt fantastische neue Therapiemög- lichkeiten eröffnet, stellen sich viele doch die bange Frage, ob diese in der Zu- kunft auch noch von der Gesellschaft oder dem Einzelnen finanzierbar sind. Wie unser Gesundheitssystem im Jah- re 2050 aussehen wird und wie es dann um die Gesundheit der Deutschen ste- hen wird, kann niemand voraussagen. Zu dynamisch sind die künftigen Entwick- lungen. Die wirklich großen Durchbrü- che der medizinischen Forschung sind ohnehin meist nicht vorhersehbar. Gleichwohl ist es natürlich richtig und wichtig, Szenarien zu entwerfen und kre- ative Modelle zu entwickeln, wie sich die Medizin in den kommenden Jahrzehnten entwickeln könnte. Nur so ergeben sich ja Ansätze für eine aktive Steuerung in die eine oder andere Richtung. Beim Essay-Wettbewerb „Welt der Zu- kunft“, den wir in diesem Jahr zum fünf- ten Mal veranstaltet haben, waren Stu- denten aller Fakultäten eingeladen, sich Gedanken zum Thema „Gesundheit 2050“ zu machen. Optimistische wie pessimistische Visionen wurden da ent- worfen. Doch allen Essays merkte man an, dass dieses Thema bewegt und nahe geht. Unsere Jury hat drei Arbeiten, die ihr besonders kreativ und überzeugend erschienen, als preiswürdig benannt. Le- sen Sie auf den folgenden Seiten selbst, wie sich die Sieger des Wettbewerbs die Welt der Zukunft vorstellen. Jan-Eric Peters Chefredakteur der WELT-Gruppe EDITORIAL Modelle für die Zukunft Viele Krankheiten könnten bald ihren Schrecken verlieren JAN-ERIC PETERS Dritter Preis: Lea Klein Zweiter Preis: Fabian Deitelhoff DAVID HEERDE / OLIVER SCHAPER / BIRGITTA KOWSKY / GETTY IMAGES / PICTURE-ALLIANCE / DPA / SOEREN STACHE / PETER FÖRSTER / ARCO IMAGES / A. SKONIECZNY

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WOLFGANG W. MERKEL

W ir leben in paradiesi-schen Zeiten! Wasfür eine absurdeAussage, das mag sa-gen, wer gerade Zei-

tung gelesen oder die Tagesthemen gese-hen hat. Schuldenkrisen, Euro-Krise,Terrorismus und Gewalt im öffentlichenRaum scheinen eine andere Sprache zusprechen. Und dennoch: Wer die vergan-genen Jahrzehnte Revue passieren lässtund zumindest Mitteleuropa betrachtet,muss eingestehen: Es geht uns ziemlichgut. Es herrschen Frieden, Demokratieund Rechtssicherheit. Der renommierteHarvard-Forscher Steven Pinker hat ineinem neuen Buch jüngst glaubhaft be-legt, dass die Gesellschaft nie gewalt-ärmer war als heute – allerscheinbaren Präsenz von Ge-walt zum Trotz.

Nicht zuletzt sind wir sogesund wie nie zuvor. Die Le-benserwartung ist auf einemRekordhoch und steigt wei-ter. Vor einem halben odergar einem Jahrhundert galtbeispielsweise ein Patient mitder Diagnose Krebs als un-heilbar. Mittlerweile jedochsind zahlreiche schwereKrankheiten beherrschbar –Insulin, Chemotherapie undBypass sei Dank. Aus Killernsind oftmals beherrschbareLeiden geworden.

Doch wir sollten die Fort-schritte nicht als Selbstver-ständlichkeit betrachten, qua-si als einforderbares Recht.Denn es besteht die Gefahr,dass der Zustand „kippt“. Ausdem einfachen Grund, dassdie Gesellschaft die abzuse-henden Kosten eines Tagesvielleicht nicht mehr tragenkann. Etliche Fakten legendies nahe. Punkt eins: die al-ternde Gesellschaft. Mit zu-nehmender Lebenserwartungnimmt die Zahl der Erkran-kungen zu. Rheuma, Krebsund Demenz sind eben vor-nehmlich Alterskrankheiten.Insbesondere die Leiden imZusammenhang mit demHirnabbau stellen unsere Gesundheits-und Sozialsysteme vor große Probleme.

Kaum eine Woche vergeht zudem, inder nicht auch neue Zahlen genannt wer-den zur Zunahme von Muskel- und Ske-letterkrankungen sowie psychischen Lei-den. Gerade deren Therapie ist langwie-rig und teuer, die Volkswirtschaft leidetunter den Ausfallzeiten der betroffenenArbeitnehmer. Und schließlich werdenMedikamente und Verfahren entwickelt,die zwar Linderung versprechen, diesaber zu einem teils exorbitanten Preis.

Kurz gesagt: Die Gesellschaft steckt inder Fortschrittsfalle. Wer als Mediziner,Wissenschaftler oder Politiker die Stra-tegie verfolgt, mit den gewohnten Mit-teln weiterzumachen, steckt im Hams-terrad: Er läuft immer schneller, kommtaber nicht ans Ziel, sondern nur der Er-schöpfung näher.

Was also tun? Das zu Ende gehendeWissenschaftsjahr 2011 – „Forschung fürdie Gesundheit“ – förderte den Dialogzwischen Forschung, klinischer Praxisund Bürgern. Jeder war eingeladen mit-zudenken. Die Zukunftsprobleme spie-geln sich in den Programmschwerpunk-ten des Wissenschaftsjahres wider, etwadas Voranschreiten der Volkskrankhei-ten, Krebsforschung und die zunehmen-de Bedeutung der Prävention. Präventi-on als Gesundheits- und Wirtschaftsfak-

tor sowie die ethischen Di-mensionen der modernenMedizin griffen auch die dreiSieger des Essay-Wettbewer-bes „Welt der Zukunft“ auf.Es war der mittlerweile fünfteWettbewerb dieser Art. DiePreise wurden am Dienstagim Axel Springer-Verlagshausvon Annette Schavan, Bun-desministerin für Bildungund Forschung, überreicht.

Die Preisträger blickenweit in die Zukunft: in dieMitte dieses Jahrhunderts. Essind einige der großen The-men – die Versorgung ältererMenschen sowie Präventionund Früherkennung vonKrankheiten – aber sie wur-den weitergedacht. SogarHeilung von Krankheiten, be-vor sie eintreten, war einThema. Das vermeintlicheParadoxon, ausgedacht vonAlexander Kühn, erklärt sichals eine umfassende virtuelleModellierung der Körper-funktionen, die – so die Visi-on – Leiden erkennt, bevorsie manifest werden. Die an-schließende Simulation derTherapie vor der realen The-rapie ergibt dann das optima-le Vorgehen, um einen Men-schen gesund zu erhalten.Dies ist sicherlich ein fanta-sievolles Szenario, aber ehr-

geizige und inspirierte Denker sind ge-fragt und auch nötig. In dieser Sonder-ausgabe der „Welt“ stellen wir die dreiSieger und ihre Ideen vor, im Internetsind ihre Essays in voller Länge zu lesen.

Das Wissenschaftsjahr 2012 stehtdann unter dem Motto „ZukunftsprojektErde“. Es jährt sich zum 20. Mal der„Erdgipfel von Rio de Janeiro“. 2012 wirddamit das Jahr der Nachhaltigkeitsfor-schung. Auch dazu wird es wieder einenEssay-Wettbewerb unter dem Titel „DieWelt der Zukunft“ geben.

So gesund sind wir im Jahr 2050Beim Essay-Wettbewerb „Welt der Zukunft“ haben sich junge Wissenschaftler

Gedanken darüber gemacht, wie wir besser leben und zufrieden altern können

Erster Preis:Alexander Kühn

Gewinner gefundenDie innovativen Ideender Sieger unseresEssay-WettbewerbsSeite II und III

HERBST 2011SONDERAUSGABE DIE WELT DER ZUKUNFT

Gewinner gesuchtIm nächsten Jahr geht

es um das Thema„Zukunftsprojekt Erde“

Seite IV

DIE WELT: Im Wettbewerb „Welt derZukunft“ haben Studenten Konzeptezur Gesundheitssicherung entwi-ckelt. Müssen wir nicht generell ei-nen neuen Blick auf die Problemeentwickeln? Schließlich rollen mitder alternden Gesellschaft und denVolkskrankheiten Herausforderun-gen neuer Dimensionen auf uns zu.ANNETTE SCHAVAN: Genau aus die-sem Grund stärken wir die Gesund-heitsforschung in Deutschland so starkwie noch nie. Dabei fördern wir gezieltdie Erforschung der Volkskrankheiten.Das ist im Rahmenprogramm Gesund-heitsforschung der Bundesregierungfestgelegt, das zu Beginn dieses Jahresgestartet ist. Wir verfolgen dabei dieStrategie, die besten Wissenschaftlerzusammenzuführen und so die rascheÜbertragung des Wissens vom Labor indie Praxis zu fördern. Je mehr wir anmedizinischen Themen forschen, desto

besser können wir nicht nur Krankhei-ten behandeln, sondern sie gleichzeitigverhindern. Dafür investiert die Bun-desregierung bis 2014 mehr als 5,5 Milli-arden Euro. Das Motto des diesjährigenWissenschaftsjahres „Forschung fürunsere Gesundheit“ macht deutlich,dass Forschung nicht im Elfen-beinturm stattfinden darf,sondern den stetigen Dialogmit der Öffentlichkeitbraucht, um ihren Nutzenfür die Menschen entfaltenzu können. Wir haben des-halb in den vergangenenMonaten bei zahlreichenVeranstaltungenund auch im In-ternet den Di-alog mit denBürgerinnenund Bürgerngeführt.

Die Entwicklung neuer Medikamenteist teuer und langwierig. Wie kanndie Forschungspolitik die Arzneimit-telentwicklung besser fördern, insbe-sondere in jenen schwierigen Fällen,in denen die Industrie aus Markt-oder Patentrechtsgründen kein Inte-resse an teuren Forschungsinvestitio-

nen hat?Da, wo sich diese Probleme stel-

len, werden wir aktiv, wie zumBeispiel in den Entwicklungs-ländern. Das Bundesfor-schungsministerium unter-stützt seit diesem Jahr so ge-

nannte Produktent-

wicklungspartnerschaften. Das sind in-ternationale Non-Profit-Organisatio-nen, die Präventionsmethoden, Diag-nostika und Medikamente gegen ver-nachlässigte und armutsbedingteKrankheiten entwickeln. Sie werdendurch öffentliche und private wohltäti-ge Geldgeber finanziert. Im Gegenzugwerden die Produkte den Betroffenenspäter zu einem sehr geringen Preis zurVerfügung gestellt. Dabei legen wir be-sonderen Wert darauf, die Kindersterb-lichkeit zu senken und die Gesundheitder Mütter zu verbessern.

Was konnte das zu Ende gehendeWissenschaftsjahr Gesundheitsfor-schung bewirken? Welche Projekteund Neuerungen waren aus IhrerSicht besonders erfolgreich und in-novativ?Wir haben uns in diesem Wissen-schaftsjahr besonders an junge Men-

schen gewandt. Denn sie werden vonden großen Fortschritten in der Medi-zin am meisten profitieren. Dies ge-lingt aber nur, wenn wir sie frühzeitigin die Lage versetzen, Verantwortungfür ihre Gesundheit zu übernehmen.Und die können sie umso wirksamerübernehmen, je intensiver sie sich mitdem Thema befassen. Ich freue mich,dass wir im Wissenschaftsjahr auch dieerreichen konnten, die nicht selbstver-ständlichen Zugang zu Forschungsthe-men haben. So haben wir sie an unge-wöhnlichen Orten in die Welt der For-schung eingeladen: zum Beispiel miteiner Wanderausstellung durch großeBahnhöfe, im Kino oder im Sportver-ein. Über 13 000 Kinder lernen beim„Zirkeltraining der Gesundheitsfor-schung“ ganz alltagsnah in der Turn-halle, welchen Einfluss Ernährung undBewegung auf die Gesundheit haben –und wie spannend Forschung ist.

Sie haben den Essay-Wettbewerb„Gesundheit 2050“ unterstützt. Waserhoffen Sie sich von diesem Pro-jekt?Forschung braucht die Rückkoppelungin die Gesellschaft. Die Beiträge zumWettbewerb haben uns einen spannen-den Einblick gegeben, wie sich jungeMenschen die Medizin im Jahr 2050vorstellen. Die Studierenden und jun-gen Wissenschaftler sehen und be-schreiben in ihren Texten sehr klar dieChancen und Potenziale der Forschung.Sie bringen aber auch ihre Bedenkenzur Sprache. Der Wettbewerb hat siedazu angeregt, die Rolle von Forschungin unserer Gesellschaft zu reflektieren.Im besten Fall bringen wir mit demWettbewerb sogar den einen oder an-deren jungen Menschen dazu, sich spä-ter auch beruflich in der Gesundheits-forschung zu engagieren.

Interview: Wolfgang W. Merkel

„Forschung darf nicht im Elfenbeinturm stattfinden“Bundesministerin Annette Schavan setzt darauf, dass neue Erkenntnisse künftig schneller vom Labor in die Praxis übertragen werden

PA/D

PA

Prof. AnnetteSchavan, Bundesministerinfür Bildung undForschung

E s vergeht keine Woche, in dernicht Nachrichten aus den For-schungslabors vom medizini-

schen Fortschritt künden: Neue Medika-mente, Impfungen und Therapien. VieleKrankheiten haben mittlerweile ihrenSchrecken verloren. Manche Diagnose,die noch vor wenigen Jahren meist ei-nem Todesurteil gleich kam, bedeutetheute lediglich, dass sich der Betroffenenauf ein chronisches Leiden einzustellenhat und lebenslang auf Medikamente an-gewiesen sein wird. Die Vision einer per-sonalisierten Medizin verheißt gar, dasssich Krankheiten künftig maßgeschnei-dert für ein jedes Individuum behandelnlassen. Die Berücksichtigung der geneti-schen Einzigartigkeit verspricht dabeibestmögliche Heilungserfolge.

Doch es gibt auch eine andere Seite.Gefährliche Krankenhauskeime, gegendie kaum noch Antibiotika wirksam sind,fordern hierzulande Jahr für Jahr vieleTausend Todesopfer. Die Zahl der vonVolkskrankheiten wie Diabetes oderBluthochdruck Betroffenen nimmt trotzaller Aufklärung beständig zu und vorder sich abzeichnenden Welle von De-menzfällen stehen wir bislang praktischohne medizinische Antwort gegenüber.Und selbst da, wo der medizinische Fort-schritt fantastische neue Therapiemög-lichkeiten eröffnet, stellen sich vieledoch die bange Frage, ob diese in der Zu-kunft auch noch von der Gesellschaftoder dem Einzelnen finanzierbar sind.

Wie unser Gesundheitssystem im Jah-re 2050 aussehen wird und wie es dannum die Gesundheit der Deutschen ste-hen wird, kann niemand voraussagen. Zudynamisch sind die künftigen Entwick-lungen. Die wirklich großen Durchbrü-che der medizinischen Forschung sindohnehin meist nicht vorhersehbar.Gleichwohl ist es natürlich richtig undwichtig, Szenarien zu entwerfen und kre-ative Modelle zu entwickeln, wie sich dieMedizin in den kommenden Jahrzehntenentwickeln könnte. Nur so ergeben sichja Ansätze für eine aktive Steuerung indie eine oder andere Richtung.

Beim Essay-Wettbewerb „Welt der Zu-kunft“, den wir in diesem Jahr zum fünf-ten Mal veranstaltet haben, waren Stu-denten aller Fakultäten eingeladen, sichGedanken zum Thema „Gesundheit2050“ zu machen. Optimistische wiepessimistische Visionen wurden da ent-worfen. Doch allen Essays merkte manan, dass dieses Thema bewegt und nahegeht. Unsere Jury hat drei Arbeiten, dieihr besonders kreativ und überzeugenderschienen, als preiswürdig benannt. Le-sen Sie auf den folgenden Seiten selbst,wie sich die Sieger des Wettbewerbs dieWelt der Zukunft vorstellen.

Jan-Eric PetersChefredakteur der WELT-Gruppe

E D I T O R I A L

Modelle fürdie Zukunft

Viele Krankheitenkönnten baldihren Schreckenverlieren

J A N - E R I C P E T E R S

Dritter Preis:Lea Klein

Zweiter Preis:Fabian Deitelhoff

DAVID HEERDE / OLIVER SCHAPER / BIRGITTA KOWSKY / GETTY IMAGES / PICTURE-ALLIANCE / DPA / SOEREN STACHE / PETER FÖRSTER / ARCO IMAGES / A. SKONIECZNY

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S E I T E I I D I E W E LT H E R B S T 2 011

DIE WELT DER ZUKUNFT

Sie hatten in den vergangenen Wochenviel zu lesen und haben sich die Auf-gabe nicht leicht gemacht. Dies sinddie Mitglieder der Jury für den Wett-bewerb „Welt der Zukunft“:

Cornelia Quennet-Thielen studierteRechtswissenschaf-ten in Freiburg undTrier. Nach derzweiten juristischenStaatsprüfung ar-beitete sie ab 1985

als Richterin in Rheinland-Pfalz und ab1987 im Bundesministerium für Um-welt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit, wo sie u. a. Referatsleiterin fürinternationale Zusammenarbeit undspäter Unterabteilungsleiterin fürGrundsatzfragen war. Nach Stationenim Bundespräsidialamt wurde sie vonBundesministerin Annette Schavan2008 zur Staatssekretärin im Bundes-ministerium für Bildung und Forschungernannt.

Wolfgang M.Heckl, Generaldi-rektor des Deut-schen MuseumsMünchen, ist Pro-fessor für Experi-mentalphysik an derLudwig- Maximilian-

Universität München. Heckl, geboren1958, leitet eine interdisziplinäre Ar-beitsgruppe im Bereich Nanowissen-schaften und ist geschäftsführenderDirektor des KompetenzzentrumsNanobiotechnologie. Im Jahr 2004wurde er zum Generaldirektor desDeutschen Museums berufen. Hecklkann auf mehr als 150 wissenschaftlicheVeröffentlichungen verweisen, darun-ter in den Bereichen Bio- und Ober-flächenphysik. Er besitzt Patente in denBereichen Optik und Nanotechnologie.

Günter Stock istPräsident der Ber-lin- Brandenburgi-schen Akademie derWissenschaften. ImMai des vergange-nen Jahres wurdeProf. Dr. Stock zum

Präsidenten der Berlin-Brandenburgi-schen Wissenschaften gewählt. GünterStock ist Jahrgang 1944. Er studierte inHeidelberg Medizin und hatte an derdortigen Universität eine Professurinne. 1983 wechselte er zur ScheringAG. Er begann dort als Leiter der Herz-Kreislauf- Pharmakologie und wurde1989 in den Vorstand berufen.

Reinhard Hüttl,geboren 1957, istInhaber des Lehr-stuhls für Boden-schutz und Rekulti-vierung der Bran-denburgischenTechnischen Univer-

sität Cottbus. 2000 wurde der Umwelt-experte in den Wissenschaftsrat beru-fen, der die Bundesregierung und dieRegierungen der Länder berät. Von2003 bis 2006 war er Vorsitzender desWissenschaftsrates. Seit 2005 ist Prof.Dr. Hüttl Vizepräsident der acatech.

Jörg Hacker, Jahr-gang 1952, war von1988 bis 1993 Pro-fessor für Mikrobio-logie an der UniWürzburg. 1993wechselte er an denLehrstuhl für Mole-

kulare Infektionsbiologie. Den Vorstanddes Würzburger Instituts hatte er bis2008 inne. Von 2003 bis 2009 war erVizepräsident der Deutschen For-schungsgemeinschaft. Von 2008 bis2010 hatte er das Präsidentenamt desRobert- Koch-Instituts inne. 2009wurde Prof. Hacker zum Präsidentender Deutschen Akademie der Natur-forscher Leopoldina in Halle (Saale)gewählt. Er trat das Amt am 1. März2010 an.

Norbert Lossau,Jahrgang 1959, leitetseit 1994 das Res-sort Wissenschaftder „Welt“. Derstudierte Physikerpromovierte 1989an der Universität

Köln und arbeitete zunächst als freierJournalist für Zeitungen, Zeitschriftenund das Fernsehen (WDR). NorbertLossau ist Autor mehrerer Sachbücher.Er war zehn Jahre im Vorstand derWissenschaftspressekonferenz undDozent für Wissenschaftsjournalismusan der Humboldt-Universität Berlin.

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T Nicht jedes Medikament passtzu jedem Patienten. Für dieWissenschaft ist es eine großeHerausforderung, individuelleLösungen zu finden

CHRISTOPH D. FRIESS

K rebs, Multiple Sklerose, Di-abetes und andere Krank-heiten schon lange vor ih-rem Ausbruch erkennen zukönnen, ist ein nachvoll-

ziehbarer Traum. Statt erkrankte Men-schen zu heilen, könnten Ärzte gesundeMenschen so behandeln, dass die Krank-heit gar nicht erst auftritt.

Von dieser Vision handelt der Text„Gesundheit 2050: Der Virtuelle Patient“,mit dem Alexander Kühn aus Berlin denersten Preis des Essay-Wettbewerbs 2011gewonnen hat. Ausgangspunkt des Ge-dankenspiels sind die genetischen Infor-mationen, die in uns stecken und die beijedem Menschen anders sind. In KühnsGeschichte ist es möglich, diese persönli-chen Informationen eines jeden Einzel-nen aufzuschlüsseln und aus diesen Datenein Computermodell zu generieren, einvirtuelles Alter Ego. Anhand dieses Mo-dells kann man dann berechnen, welcheKrankheit wann auftreten wird. Undgleichzeitig können daran unterschiedli-che Arzneimittel getestet werden, sodassfür jeden Patienten ein individuell abge-stimmter Medikamentenmix entwickeltwird. Der Ausbruch der Krankheit somitim Idealfall verhindert.

So weit die Vision von Alexander Kühn.Tatsächlich ist der Grundgedanke hinterder Geschichte jedoch nicht ganz so uto-pisch, wie es auf den ersten Blick schei-nen mag. Und das weiß Kühn aus ersterHand, schließlich arbeitet er selbst an derEntschlüsselung von genetischem Materi-al, um Krebspatienten mit den richtigenMedikamenten zu versorgen.

Dabei sah es ursprünglich gar nicht soaus, als ob Gesundheit sein Thema wer-den würde. „Für mich stand nach demAbi fest, dass ich auf keinen Fall Jura oderMedizin studieren will“, erzählt der 33-Jährige. Also begann er ein Informatik-studium an der Berliner Humboldt-Uni-versität. „Das habe ich aber nach einemJahr abgebrochen, weil ich noch den Zivil-dienst ableisten musste.“ Den verbrachteKühn in einem Labor des DeutschenHerzzentrums.

Eine Erfahrung, die offenbar ihre Spu-ren hinterließ, denn er schrieb sich an-schließend an der Freien Universität zuBerlin im Fach Biochemie ein. Außerdembewarb er sich als Studentische Hilfskraftam Max-Planck-Institut und landete dortin einer Abteilung, in der das Genom desSeeigels entschlüsselt werden sollte.

„Dass ich in dieser Gruppe angefangenhabe, war purer Zufall,“ sagt AlexanderKühn nun.

Seeigel und ihre Gene sollten ihn je-denfalls die nächsten Jahre beschäftigen:Sowohl in seiner Diplomarbeit also auchin seiner Promotion widmete er sich derDNA der Meeresbewohner, entschlüsselteihre Erbinformation und entdeckte sogardas so genannte „Dickkopf-Gen“, einenAbschnitt im DNA-Strang, der für die Ent-wicklung des Kopfes zuständig ist. „Auchein Seeigel hat einen Kopf“, erklärt Kühn.„In der embryonalen Phase ist dieser auchnoch gut zu sehen, erst später entwickeltsich die runde Körperform.“ Nebenherfing Kühn noch ein BWL-Studium an derFernuniversität-Hagen an, das er 2009mit seiner Doktorarbeit abschloss.

Anschließend wechselte Kühn in Rich-tung Bioinformatik. „Das war eine be-wusste Entscheidung, ich wollte raus ausdem Labor“. Am Max-Planck-Institut ar-beitet er allerdings noch immer. Dort wid-met er sich nun der Krebsdiagnostik „Da-zu analysieren wir das genetische Materi-al, das in dem Tumor eines Patientensteckt. Diese Informationen werden dannauf ein Computermodell übertragen, andem einzelne Wirkstoffe virtuell getestetwerden. Mit Hilfe dieser Technik ist esmöglich, den behandelnden Ärzten Thera-pieempfehlungen zu geben, die ganz indi-viduell auf einen bestimmten Patientenzugeschnitten sind.“

Grundsätzlich sei diese Methode ausge-reift, doch gehöre sie noch lange nichtzum klinischen Alltag. Das werde aber inden nächsten Jahren bestimmt kommen,ist sich Kühn sicher. Nicht zuletzt, weilbei der DNA-Analyse rasante Fortschrittegemacht worden seien.

„Die erste Entschlüsselung einesmenschlichen Genoms hat zehn Jahre ge-dauert und Millionen von Euro gekostet,heute dauert die Analyse einer menschli-chen Genom-Sequenz eine Woche undschlägt mit knapp 10 000 Euro zu Buche.In absehbarer Zeit werden die Kostenweiter sinken“, sagt Kühn. Insofern seisein Essay auch gar nicht so fantastisch.„Allerdings ist Krebs auch ein verhältnis-mäßig einfacher Fall mit einer klaren Ver-bindung zwischen genetischer Verände-rung und der Krankheit. Das ist bei vielenanderen Krankheiten nicht der Fall“.

Dagegen sei die präventive Medizin,wie er sie in seinem Essay beschreibt,noch sehr utopisch. Alexander Kühn:„Aufgrund der Lebensweise und der gene-tischen Disposition mit Hilfe von Compu-termodellen individuelle Voraussagen zugenauen Krankheitsverläufen oder gardem Ausbrechen einer Krankheit zu tref-fen, ist noch lange nicht möglich, fallsüberhaupt. Eine Risikoaufstellung istmachbar, eine Heilung schon vor Ausbre-chen der Krankheit dagegen noch einWunschtraum.“

Vom Seeigel zur Zukunft der MedizinERSTER PREIS DES ESSAY-WETTBEWERBS Alexander Kühn erforscht in Berlin die DNA von Krebstumoren

Alexander Kühn ist Wissenschaftler am Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik. Hier entwickelt er Computer-modelle, mit deren Hilfe die genetischen Informationen von Krebstumoren nachgestellt werden können. Als Sieger desEssay-Wettbewerbs erhält Kühn ein maßgeschneidertes Fitnessprogramm mit Personal Trainer für ein Jahr

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G eh doch zum Arzt“, sagt meineGroßmutter besorgt zu mir,nachdem ich ihr die auffälligen

Hautflecken auf meinem rechten Armgezeigt habe. „Geh doch zum Arzt“, wie-derhole ich ihre Worte, schüttle leichtmeinen Kopf und kann mir dabei einSchmunzeln nicht verkneifen. Ich warnoch nie beim Arzt.

Nicht, dass ich von der Natur mit ei-ner übermäßigen körperlichen Konstitu-tion gesegnet wurde, ganz im Gegenteil.Mit Anfang 20 erkrankte ich an Hoden-krebs, später gesellte sich Diabetes dazu.Und jetzt eventuell Hautkrebs. Aber des-wegen zum Arzt? Zumal es sich bei denFlecken auf dem Arm nur um eine virtu-elle Projektion auf meinem Smartphonehandelt.

Wie damals, als bei mir Hodenkrebsund Diabetes diagnostiziert wurden. Aufmeiner Haut ist nichts zu sehen, nochnicht. „Aber Oma, das ist doch nur eineWarnung, dass ich sehr wahrscheinlichbald an Hautkrebs erkranken könnte. Ichmuss doch jetzt nur hier klicken. Unddann werden an meinem virtuellen Ichverfügbare Medikamente getestet. Dannbekomme ich den optimalen Medika-menten-Mix gleich zugeschickt und derKrebs wird nie ausbrechen“, sage ich zuihr und zeige dabei auf die App auf mei-nem Smartphone.

Seit 2012 europaweit das IT Future ofMedicine-Programm gestartet war, gabes viele Kritiker und Zweifler. Ebensowie meine Großmutter glaubten sienicht, dass es möglich sein könnte, ba-

sierend auf den persönlichen Genomda-ten und einer effizienten AnalytikKrankheiten zu heilen, geschweige dennKrankheiten prognostizieren und patien-tenspezifisch präventiv behandeln zukönnen. Und das individuell für jedeneinzelnen Menschen.

Virtuelle Tote werden wiederbelebt,damit echte Patienten überleben

Aber ich bin froh, dass meine Elternnicht zu dieser Gruppe gehörten. Ich fin-de es eher fahrlässig, dass man zu Zeitenmeiner Großmutter Patienten mit Medi-kamenten behandelt hat, von denen mangar nicht wusste, ob diese überhaupt beiallen Menschen eine Wirkung haben. Je-der Mensch und daher auch jede Erkran-kung ist ja verschieden.

Schließlich hat man ja auch schon da-mals Crash-Tests nicht an echten Autos,sondern an Automodellen auf Compu-tern simuliert. Glücklicherweise dachtenmeine Eltern nicht so wie meine Groß-mutter. So wurde mein Genom noch vormeiner Geburt bestimmt und ein mirselbst entsprechendes Computermodellangelegt. Wurde ich krank, konnten allein Frage kommenden Medikamente zu-nächst an diesem Modell, welches nahe-zu alle molekularen Interaktionen dermenschlichen Gene, RNAs und Proteinebeinhaltet und mit meinen Genomdatenpersonalisiert ist, auf ihre Wirkung hinüberprüft werden.

Die wirkliche Behandlung mit der op-timalen Medikamentenkombination undder richtigen Dosierung erfolgte schließ-

lich erst nach ausgiebigen Tests an die-sem Modell, meinem virtuellen persönli-chen Crash-Test-Dummy quasi. Denndiesen konnte man ja schließlich reset-ten, nachdem er gestorben war, michnicht. (…)

„Aber du hast mir doch selbst erzählt,dass Opa an Krebs gestorben ist. Unddass er vor seinem Tod monatelang imKrankenhaus lag und an schweren Ne-benwirkungen litt, weil er auf keines derMedikamente ansprach. So etwas pas-siert heutzutage nur noch in den seltens-ten Fällen. Da musst du mir doch zu-stimmen, dass die personalisierte Medi-zin mit Hilfe des virtuellen Patienten er-heblich fortschrittlicher ist als die klassi-sche Medizin, Oma“, Sie antwortet miteinem widerwilligen Grunzen, das ich alsZustimmung werte.

Ebenso wie sie ließen die schnellenErfolge auf dem Gebiet der Onkologieauch die anderen Kritiker verstummen.Lag die durchschnittliche Ansprechratevon Krebstherapien früher bei etwa zehnProzent und selbst die der fortschritt-lichsten sogenannten zielgerichtetenTherapien nur bei zirka 30 Prozent, er-zielte man mit Hilfe des virtuellen Pati-enten Ansprechraten von über 90 Pro-zent. Nebenwirkungen gab es so gut wiekeine mehr.

Krebs war auf einmal keine tödlicheBedrohung mehr. Als sich dann noch dieersten Erfolge bei anderen Volkskrank-heiten wie Diabetes und Herzerkrankun-gen einstellten, waren auch die letztenZweifler überzeugt vom virtuellen Pati-

enten. Inzwischen gibt es weitaus weni-ger lebensbedrohliche Krankheiten undviele davon können mittlerweile präzisevorhergesagt und präventiv behandeltwerden. (…)

Aber noch hat meine Oma nicht ganzaufgegeben: „Naja, aber was ist, wenndeine Daten in falsche Hände geraten?Vielleicht bekommst du dann keinen Joboder wirst nicht mehr versichert. Undüberhaupt, du hattest doch auch Ge-schichte in der Schule, das hatten wirdoch schon mal, dass Menschen ausge-grenzt und verfolgt wurden, weil sie an-geblich minderwertiges Erbgut hatten.Spielst du damit nicht irgendwelchenEwiggestrigen in die Hände, die von derperfekten menschlichen Rasse träu-men?“ fragt mich meine Oma, nun sie-gesgewiss.

Daten sind nur zu lesen, wenn Arztund Patient ihre Codes eingeben

Viele Menschen hatten ursprünglich Be-denken, dass mit den genomischen Da-ten der Patienten Missbrauch getriebenwerden würde. Filmemacher undSchriftsteller entwarfen düstere Zu-kunftsvisionen einer Zweiklassengesell-schaft, in der nur die erfolgreich seinkonnten, deren Eltern darauf geachtethatten, nur die Kinder mit den bestenGenen zu bekommen. „Gataca“, einFilm, in dem bereits im letzten Jahrhun-dert vor Gefahren der Genanalyse und-technik gewarnt wurde, erlebte eine Re-naissance und wurde zum Klassiker. Ei-nige trauen der neuen Technik immer

noch nicht. Kein Gesetz zwingt sie, ei-nen virtuellen Doppelgänger anzulegenoder sich präventiv behandeln zu lassen.Meinen Hodenkrebs damals habe ichauch nicht präventiv behandeln lassen,da ich noch ein wenig skeptisch war.Aber der Computer sollte damals leiderrecht behalten. Glücklicherweise auchspäter bei der Wahl der richtigen Medi-kamente für die Behandlung des Hoden-krebs. Und wie es sich gezeigt hat, sinddie Prognosen des virtuellen Patientenmeist richtig sind. Daher kenne ich mitt-lerweile unter meinen Freunden nie-manden, der sich nicht präventiv behan-deln lässt, wenn sein virtueller Patienteine Erkrankung vorhersagt.

Die meisten aber sehen ihre Daten sogut gesichert wie den Zugang zu ihremBankkonto. Sogar doppelt so sicher.Denn Ethikkommissionen haben ge-meinsam mit der Politik sichergestellt,dass die gespeicherten Daten lediglichden Personen und deren behandelndenÄrzten zugänglich sind: Wenn nicht Arztund Patient gleichzeitig ihren Code ein-geben sind die Daten nicht lesbar. Dieelektronische Gesundheitskarte, die zuZeiten meiner Oma eingeführt wurde,diente als Vorbild. „Und außerdem,wenn jemand wissen will, ob ich Mumpshatte, als ich klein war, kann er sich auchmeine Kinderfotos auf Facebook anse-hen.“ Meine Großmutter lacht: „Ja, duhast ausgesehen wie ein Hamster!“ (…)

Gekürzte Fassung. Der vollständige Essayim Netz: www.welt.de/weltderzukunft

Krankheiten haben 2050 keine Chance mehrAuszüge aus dem Essay „Der Virtuelle Patient“ – Autor Alexander Kühn gewinnt damit den ersten Preis

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DIE WELT DER ZUKUNFT

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CHRISTINA PETRICK-LÖHR

O ma Liesel ist gut versorgt.Zusammen mit ihremMann lebt sie in einerPflegeeinrichtung fürwohlsituierte ältere Men-

schen. Zwei- bis dreimal pro Wochekommt eine Pflegerin, regelmäßig gibt esKonsultationen mit dem Hausarzt, allepaar Monate schaut auch ein Mitarbeiterder Pflegeeinrichtung vorbei. Und natür-lich gibt es Vipke, die rund um die Uhr,sieben Tage pro Woche, 52 Wochen imJahr für Liesel da ist. Doch da wir uns imJahr 2064 befinden, ist Vipke mitnichtenein Mensch, sondern ein virtuelles allge-genwärtiges Helferlein, dessen Namesich aus der Abkürzung für „Virtuelle In-telligente Pflege- und Kontrolleinheit“zusammensetzt.

Geistiger Vater von Vipke ist FabianDeitelhoff. Der 28-Jährige studiert an derFachhochschule Südwestfalen in Iser-lohn Angewandte Informatik, in wenigenMonaten wird er seinen Bachelor-Ab-schluss machen. Durch seinen Job alsstudentische Hilfskraft am Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtech-nik ISST in Dortmund hat sich der ge-lernte Informationstechniker und Fach-informatiker schon länger mit dem Ein-satz von technischen Assistenzsystemenbeschäftigt. Als er über eine Rundmailim Institut vom Essay-Wettbewerb er-fuhr, war für ihn schnell klar, dass er sich

daran beteiligen würde. „Meine OmaLiesel gibt es wirklich“, erzählt FabianDeitelhoff. „Glücklicherweise ist sienoch sehr fit für ihr Alter, aber trotzdemsteht die Überlegung an, ob sie ihr Hausaufgibt und in eine Einrichtung für be-treutes Wohnen zieht.“

Die Welt, in der die andere, die fiktiveOma Liesel der Zukunft lebt, steht ganzim Zeichen der Informationstechnolo-gie. Statt stundenlang im Wartezimmerihres Arztes zu hocken, begegnet OmaLiesel dem Doktor im virtuellen Raum.Über einen großen Bildschirm, der imWohnzimmer der alten Dame an derWand hängt, halten die beiden Blickkon-takt. Auch wenn ein anderer Bewohnerdes riesigen Wohnkomplexes gerade malnicht auf einen Telefonanruf reagiert,kann Oma Liesel ihm über das integrier-te Kommunikationssystem eine Video-botschaft schicken.

Dreh- und Angelpunkt in Fabian Dei-telhoffs Zukunftsszenario ist Vipke. WeilOma Liesel ständig ein Gerät am Hand-gelenk trägt, das permanent Puls undBlutdruck misst und die Daten weiter-funkt, ist Vipke stets bestens über denGesundheitszustand der Großmutter in-formiert. Außerdem kann Vipke über dasGerät jederzeit den Standort der altenDame bestimmen und zu ihr Kontaktaufnehmen. Vipke mahnt Oma Liesel,rechtzeitig nach Hause zu gehen, sagt ihrwann sie welche Tabletten nehmen mussund bestellt automatisch Nachschub,

wenn der Vorrat an Medikamenten zurNeige geht. Sie erinnert an Vor- undNachsorgeuntersuchungen und hält Ärz-te und Pflegekräfte mit Informationenüber den Gesundheitszustand auf demLaufenden. Und noch etwas kann Vipke:Sie unterhält sich mit Liesel, hört ihr zu,wenn sie von ihren Kindern, Enkeln undvergangenen Reisen erzählt.

Arztbesuch via Bildschirm, eine Un-terhaltung mit der virtuellen Pflegekraftüber persönliche Dinge – was ist Zu-kunftsmusik und was gibt es schon inder realen Welt? „Voraussetzung für eineechte Unterhaltung ist die Entwicklungsogenannter Künstlicher Intelligenz“, er-läutert Fabian Deitelhoff. Dazu müsstedas System nicht nur in der Lage sein,vorhandene Daten auszuwerten, son-dern darüber hinaus Prognosen und Be-wertungen zu liefern. „Das ist für heuti-ge Rechner zu komplex“, urteilt FabianDeitelhoff. Bis es dafür geeignete Tech-nik gäbe, könnten durchaus noch Jahr-zehnte vergehen.

Die Entwicklung intelligenter Assis-tenzsysteme hingegen ist für die Wissen-schaftler vom Dortmunder Fraunhofer-

Institut Gegenwart. So können beispiels-weise Bewegungssensoren nicht nur da-zu dienen, in einem dunklen Flur bei Be-darf das Licht einzuschalten, sonderneben auch zu registrieren, dass über ei-nen allzu langen Zeitraum in einer Woh-nung keine Bewegung erfolgt ist und ei-nen Alarm auslösen. Hier kommt auchein Lieblingsfeld von Fabian Deitelhoffins Spiel: automatische Bildverarbei-tungssysteme, die beispielsweise erken-nen können, ob ein Mensch gestürzt ist.

Durchaus erfolgreich wurde auchschon der Einsatz von Tablet-PCs getes-tet, um darüber Termine zu koordinie-ren, Informationen zum Gesundheitszu-

stand einer Person zu sammeln und anÄrzte, Pfleger und Angehörige weiterzu-leiten oder Kontaktaufnahmen zu Fami-lienmitgliedern, Helfern oder einfachnur zum Pizzaservice zu ermöglichen.

Bei aller Begeisterung für die schierunendlichen Möglichkeiten der Technikist Fabian Deitelhoff keineswegs blindfür die Risiken, die sich daraus ergeben:„Die totale Überwachung, die sich auseinem solchen System ergibt, macht mirschon Angst.“ Auch das Thema Datensi-cherheit ist eines, das den Software-Ent-wickler umtreibt. „HundertprozentigeSicherheit kann niemand garantieren,solange es den Faktor Mensch gibt.“

Alternativen zum wachsenden Einsatznichtmenschlicher Unterstützer abersieht Fabian Deitelhoff nicht: „In einerZukunft, in der immer weniger jungeMenschen immer mehr alte Leute ver-sorgen müssen, kommen wir da kaumdrum herum.“

Was nun die echte Oma Liesel angeht,die aus dem Jahr 2011, so braucht sietrotz ihrer 83 Jahre noch keine Vipke.Über ihr künftiges Abbild musste die Se-niorin aus dem westfälischen Werlschmunzeln, erzählt ihr Enkel.

Der Essay von Fabian Deitelhoff im Netz:www.welt.de/weltderzukunft

Pflegepersonalmit künstlicherIntelligenzZWEITER PREISFabian Deitelhoff glaubt, dass sich Betreuungin Seniorenheimen grundlegend ändern wird

JÖRG MALITZKI

D ie Frau ist hartnäckig. Und siewirbt für ihre Überzeugungen.Auf knapp fünf eng bedruckten

Din-A-4-Seiten hat die Leipziger Studen-tin Lea Klein einen Essay über Gesund-heit und die Arbeitswelt der Zukunft ge-schrieben. Bewegung, gute Lebensmittelund Genuss mit Verstand stehen hier imMittelpunkt. Und nun will der Redak-teur, der sich mit ihr zum Interviewtrifft, zum Mittagessen ausgerechnet einStück Torte bestellen? Nicht mit ihr.Wenn es bei dem Gespräch schon umein besseres, gesundheitsbewusstes Le-ben geht, dann soll man bitteschön auchmit gutem Beispiel vorangehen. Also lie-ber eine heiße Suppe oder einen Salatzum Mittag als den Käsekuchen. Sie sagtes charmant und leise, aber sie lässt kei-nen Zweifel: Suppe statt Torte. Daraufbesteht sie jetzt.

„Einfach anders!“ heißt der Text, mitdem die 27-Jährige den dritten Platzbeim Essay-Wettbewerb „Die Welt derZukunft“ belegt. Und dieses Motto giltein bisschen auch für Lea Klein selbst.Eigentlich hat sie die vergangenen Wo-chen damit verbracht, sich auf die Ab-schlussprüfungen für ihr Staatsexamenvorzubereiten, damit sie einmal Lehrerinfür Deutsch und Englisch werden kann.Doch mittendrin hat sie sich die Zeit ge-nommen zu Papier zu bringen, was sieüber Gesundheit und die Arbeitswelt derZukunft denkt. „Ich bin es mittlerweilegewohnt, meine Ideen schriftlich aufzu-zeichnen“, sagt sie.

Konkret geht es in dem Essay um eine74 Jahre (!) alte Managerin, die ihr Un-ternehmen schon lange höchst erfolg-reich führt. Ihr Rezept: Arbeitgeber tungut daran, sich möglichst umfassend umdas Wohlergehen ihrer Angestellten zukümmern. Davon, so Lea Kleins These,profitieren Firma und Arbeitnehmergleichermaßen: „Eigentlich könnte es soeinfach sein. Ich verstehe nicht, warumdie meisten Firmen dies heutzutagenoch nicht machen.“

Tatsächlich sind viele der Ideen, die indem Essay angesprochen werden, sosimpel, dass sie bereits in der Gegenwartumgesetzt werden könnten. Andere hin-gegen klingen wie Zukunftsmusik. So er-halten die Mitarbeiter in der Geschichtevon Lea Klein Gutscheine für Wellness-Angebote, Restaurants oder Reisen, so-fern sie sich gut ernähren und ausrei-chend bewegen. Überprüft wird dies mitHilfe einer betriebsinternen App. Ebenso

technisch ausgeklügelt ist der sogenann-te „elektronische Doktor“, ein Pro-gramm, das die Gesundheit der Ange-stellten regelmäßig kontrolliert.

Allerdings tut die Firma auch einigesfür das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter:Jeder erhält kostenlos Fahrräder, Inline-Skates oder andere Sportgeräte. Ergono-misch geformte Stühle sind ebenso eineSelbstverständlichkeit wie Ruhe- undSchlafräume sowie kostenlose psycholo-gische Betreuung. Hinzu kommt, dassdie firmeneigene Kantine ausdrücklichauch den Freunden und Angehörigen derBelegschaft offen steht. So können sichVäter und Mütter dort beispielsweise inder Mittagspause mit ihren Kindern tref-fen und gemeinsam mit ihnen essen,trinken und über die Dinge des Alltagssprechen.

Vieles von dem, was Lea Klein in ih-rem Essay anspricht, lebt sie bereitsselbst – nicht nur das gesunde Mittages-sen. Auch die Ruhepause zwischendurchkennt sie aus eigener Anschauung: „Ichbin ein absoluter Fan von Mittagsschlaf.“Wann immer sie kann, nimmt sie dasFahrrad anstelle von öffentlichen Ver-kehrsmitteln. Sport hält sie ohnedies fürlebensnotwendig: „Der Mensch ist ga-rantiert nicht zum Stillsitzen gemacht.Aber leider ist vielen Leuten die Lust ander Bewegung abhanden gekommen.“

Die Studentin aus Leipzig fordert Ar-beitgeber auf, mehr Vertrauen in ihreAngestellten zu setzen: „Die Leute wol-len doch was schaffen. Aber niemandkann Tag für Tag acht Stunden odermehr konzentriert an einer Sache arbei-ten.“ Unternehmen und Gesellschaft tä-ten nach Ansicht von Lea Klein gut da-ran, Gesundheit sowohl als Allgemeingutals auch als Humankapital für den Ar-beitsmarkt zu betrachten. Und auch diesfügt sie ebenso leise wie charmant, abernicht minder deutlich hinzu: „Gerade inpuncto Gesundheit und Wohlbefindensollte sich jeder Arbeitgeber einmal ganzehrlich fragen, ob er gern Mitarbeiterseiner eigenen Firma wäre.“

Der Essay von Lea Klein im Netz:www.welt.de/weltderzukunft

DRITTER PREISLea Klein aus Leipzig setztauf innovativeund fürsorglicheArbeitgeber

Studentin Lea Klein aus Leipzig gewinntbeim Essay-Wettbewerb ein MacBook Air

Gesundheit ist bald Chefsache

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IMPRESSUM Eine Veröffentlichung der Tageszeitung „Die Welt“Redaktion Sonderthemen Leitung: Astrid Gmeinski-Walter (V.i.S.d.P.), Klaus Ries (Stellv.) Redaktion: Jörg Malitzki

Produktion und Gestaltung: Elke Kaufmann, Jaques Bagios Gesamtanzeigenleiter: Stephan Madel Nationale Vermarktung: Philipp Zwez,Stefanie Scheuer ([email protected]) Verlag und Druck: Axel Springer AG, Berlin Redaktionsschluss: 25. November 2011

H E R B S T 2 011 D I E W E LT S E I T E I I I

Fabian Deitelhoff kann sich über ein Elektrofahrrad „GoCycle“ für seinen zweiten Platz beim Essay-Wettbewerb freuen OLIVER SCHAPER

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S E I T E I V D I E W E LT H E R B S T 2 011

DIE WELT DER ZUKUNFT

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T Das Wissenschaftsjahr will fürThemen wie „Green Economy“sensibilisieren und die Arbeit inLaboren und Denkfabrikensichtbarer machen

T Mega-Citys, CO2-neutraleStädte, erneuerbare Energien undnachhaltige Mobilität zählen zuden Schwerpunktthemen

JOCHEN CLEMENS

D ie Welt ist im Wandel be-griffen, die Herausforde-rungen, vor denen dieMenschheit steht, sindebenso existenziell wie ge-

waltig. Begriffe wie Nachhaltigkeit, er-neuerbare Energien, Umweltverschmut-zung, Rohstoffmangel oder Klimawandelmachen nicht nur Schlagzeilen, sie be-stimmen auch zunehmend des Leben je-des Einzelnen. Es ist höchste Zeit, Wei-chen zu stellen, die drängenden Proble-me anzugehen und sie zu lösen. Nurdann finden auch die nachfolgenden Ge-nerationen eine lebenswerte Erde vor.

20 Jahre nach dem ersten UN-Gipfelfür Nachhaltigkeit in Rio de Janeiro

steht 2012 „Rio+20“ an. Mit der Nachfol-geveranstaltung hat es sich die interna-tionale Staatengemeinschaft zum Zielgesetzt, die institutionelle Struktur dernachhaltigen Entwicklung auf den Prüf-stand zu stellen, Übereinkünfte zu tref-fen und praktische Lösungen zu finden.Es ist vielleicht die wichtigste Konfe-renz seit Jahrzehnten, denn die Ent-scheidungsträger dieser Welt sind zumErfolg verdammt.

Gründe genug also, um „Zukunftspro-jekt Erde“ als Motto des Wissenschafts-jahrs 2012 zu wählen, dessen Veranstalterdas Bundesministerium für Bildung undForschung ist. Zumal BundeskanzlerinAngela Merkel im Juni angekündigt hatte,dass 2012 das Jahr der Nachhaltigkeits-forschung wird. „Das Wissenschaftsjahrsoll dazu beitragen, auch strittige The-men offen und kontrovers zu diskutieren.Damit liefern wir Entscheidungshilfenfür Politik und Unternehmen sowie fürBürgerinnen und Bürger“, sagt FerdinandKnauß, Sprecher im Bundesministeriumfür Bildung und Forschung (BMBF). „Wirwollen den Bürgern näher bringen, wasForscherinnen und Forscher für die Zu-kunft der Erde alles tun können. Es gehtaber nicht nur um die bloße Vermittlungvon Wissenschaft: Worüber wir imnächsten Wissenschaftsjahr reden unddiskutieren, soll auch Eingang finden in

die Forschungsprogramme des Ministeri-ums.“ Die Umweltforschung, Umwelt-technologien, die Energieforschung so-wie die Wirtschafts-, Sozial- und Geistes-wissenschaften sind die Bereiche, die dasWissenschaftsjahr vordergründig anspre-chen will. Wie in den vergangenen Jahrenkönnen sich Institutionen, Unterneh-men, Behörden und auch Einzelpersonenmit ihren Ideen, Projekten und Veranstal-tungen anmelden. Einen Bewerbungs-schluss gibt es nicht. Auch für 2012 rech-net das BMBF mit mehreren hundertVeranstaltungen. Zentraler Träger der

Botschaften von „Zukunft Erde“ wird dieschon mehrfach erprobte „MS Wissen-schaft“ sein – ein umgestaltetes Fracht-schiff, das rund 30 Städte ansteuert unddort zur Besichtigung der an Bord befind-lichen Ausstellung einlädt.

Eines der spannendsten Themen von„Zukunftsprojekt Erde“ sind die Mega-Citys: Wir leben heute im Zeitalter der sogenannten Megalopolen. Deren Ära be-gann irgendwann im Jahr 2008, als fürwenige Sekunden ebenso viele Menschenin Städten wie auf dem Land lebten.Schon heute gibt es 20 Metropolen welt-weit, die mindestens zehn Millionen Ein-wohner zählen – eine Grenze, ab der dieVereinten Nationen von einer Stadt alsMegacity sprechen. 2050, so die Schät-zungen, werden mehr Menschen in Städ-ten leben als heute auf der gesamten Er-de, also rund sieben Milliarden. Bis 2070sollen sogar 70 Prozent der Weltbevölke-rung in Städten leben. Von dem rundenDutzend neuer Megalopolen, die am Ent-stehen sind, liegen die meisten in Asien(vor allem in China) und Afrika.

Mega-Citys stellen ihre Länder, aberauch die Weltgemeinschaft vor zahlrei-che Fragen. Das Problem: Mega-Cityswarten nicht darauf, bis Antworten ge-funden sind, wie sie (am besten) funktio-nieren, sie entstehen einfach. Wissen-schaft und Forschung müssen also stän-dige Operationen am offenen Herzenvornehmen und Lösungen nach demPrinzip „Learning by doing“ entwickeln.Die zentralen Themen sind energie- undklimaeffiziente Strukturen, Müllvermei-dung und -entsorgung, Verkehr sowieTrinkwasserversorgung und Abwasser-entsorgung.

In diesem Zusammenhang stellt sichdie Frage, ob Städte überhaupt CO2-neu-tral sein können. In Deutschland laufendazu zahlreiche Forschungsprojekte,denn hierzulande ist die CO2-neutraleStadt ein explizites Ziel. Nachhaltige Mo-bilität in Ballungsräumen (Elektromobili-tät spielt hier eine entscheidende Rolle),klimaneutrale Energieversorgung und dieenergetische Sanierung des Gebäude-bestandes bzw. energetische Neubautengelten als die wesentlichen Komponen-ten, mit denen diese Zukunftsvision Rea-lität werden soll. Und diese Zukunft isteher nah denn fern: Die Forschungsunionstrebt an, dass in Deutschland bis 2020bereits 30 Städte CO2-neutral funktionie-ren sollen.

Ein Schwerpunkt von „Rio+20“ – undso auch des Wissenschaftsjahres – ist derWandel hin zur „Green Economy“, zu ei-ner nachhaltigen Form des Wirtschaf-tens, was gleichzeitig ökologisches undsoziales Umdenken erfordert. „GreenEconomy“ soll weit über den technischenAspekt neuer Umwelttechnologien hin-ausgehen. Sie soll eine gerechtere Wirt-schaftsordnung begründen, in der vielmehr Menschen an Entwicklung, Bildungund Wohlstand teilhaben können. Aus-führliche Informationen zu den zahlrei-chen Facetten des Wissenschaftsjahresgibt es unter www.zukunftsprojekt-erde.de im Internet.

Bestandteil des Wissenschaftsjahres isttraditionell der Essay-Wettbewerb. DieTeilnahmebedingungen sowie weitereInformationen rund um das Zukunfts-projekt Erde“ sind demnächst abrufbarunter www.welt.de/weltderzukunft

2012 werden die Weichen für dieZukunft der Menschheit gestellt Das nächste Wissenschaftsjahr steht unter dem Motto „Zukunftsprojekt Erde“.Beteiligen können sich alle, die interessante Projekte und Veranstaltungen anbieten

Mit fast acht Millionen Einwohnern zählt Guangzhou zu den größten Städten derWelt. In Europa ist die südchinesische Mega-City bislang weitgehend unbekannt

„Wir wollen denBürgern näherbringen, wasForscher für dieZukunft der Erdealles tun können“Ferdinand Knauß, Sprecher imBundesministerium für Bildung undForschung

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Kurz vor Abschluss des Wissenschafts-jahres unter dem Motto „Forschung fürunsere Gesundheit“ laufen im Dezembernoch fünf Veranstaltungen, und zwar inBerlin, Bonn, Düsseldorf und Hamburg

Gesundheitsforschung kontrovers:Wie weit bestimmen Gene unser Leben?Experten diskutieren. Das interessiertePublikum stellt Fragen.1. Dezember, Deutsches Museum, Ahrstraße 45, 53175 Bonn, 19 Uhr

Risiken individualisierter MedizinZiel der Urania-Diskursreihe ist es, dieÖffentlichkeit für Chancen und Grenzenmoderner Gesundheitsforschung zusensibilisieren und den Kenntnisstand zuerweitern.1. Dezember, Urania, An der Urania 17,10787 Berlin, 19.30 Uhr

Personalisierte MedizinDie Union der deutschen Akademien der Wissenschaften lädt zu einer Podiumsdiskussion ein.1. Dezember, Baseler Hof Säle, Esplanade 15, 20354 Hamburg, 19 Uhr

Gesundheit im Alter – Wie können wir uns das leisten?In der Reihe „Geisteswissenschaft imDialog“ wird unter anderem diskutiert, ob bzw. wie sich psychische Volksleidenwie Stress, Burnout und Depressionenvermeiden lassen. Beleuchtet werden vor allem finanzielle Aspekte.8. Dezember, Nordrhein-WestfälischeAkademie der Wissenschaften, Palmenstr. 16, 40217 Düsseldorf, 18 Uhr

Wie viel Individualität bleibt uns noch?Zu dieser Frage tauschen sich unter

anderem Vertreter des Zentralinstitutsfür Seelische Gesundheit und des Deut-schen Ethikrates aus.12. Dezember, Humboldt Carré, Behrenstraße 42, 10117 Berlin, 18 Uhr

Über das Jahr 2011 hinaus läuft das Pro-gramm Zirkeltraining der Gesundheits-forschung. Sportvereine und Schulenkönnen ein kostenloses Materialpaketanfordern. Das Zirkeltraining umfasst vierMitmach-Stationen zu den Themen Ener-gie, Gewicht, Lungenvolumen und che-mische Analyse. Kinder können auf dieseWeise spielerisch erleben, wie Forschungfunktioniert. cle

Weitere Informationen unter:www.forschung-fuer-unsere-gesundheit.de/zirkeltraining

ENDSPURT FÜR DAS WISSENSCHAFTSJAHR 2011