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Gut 60 Jahre nach Inkrafttreten des Grund- gesetzes und 25 Jahre nach dem Tod des einflussreichen Marburger Linkssozialis- ten Wolfgang Abendroth machte sich das Symposium: »Verteidigen, kritisieren, überwinden? Das Grundgesetz auf dem Prüfstand« des Kritischen Kollektivs (IL) zur Aufgabe, die kritische Auseinanderset- zung mit den Grundzügen des bürgerlichen Rechtsstaates wieder aufzunehmen. Die anfangs der 1970er Jahre noch in- tensiv und kontrovers geführte Debatte um die Grundzüge der bürgerlichen Ge- sellschaft fand damals ihren Höhepunkt in der Frage der Staatsableitung, verlor je- doch aufgrund zunehmender Abstraktion ihre Rückbindung an die politische Pra- xis. Mit wenigen Ausnahmen ist das The- ma seitdem, mit Ausnahme eng begrenzter akademischer Kreise, völlig aus dem po- litischen Diskurs herausgefallen. Zurück blieben in zahlreichen linken Zusammenhängen jeweils recht pauscha- le Konzeptionen des Grundgesetzes, die umso reflexhafter verteidigt werden. Was für die einen Garant der Freiheitsrechte, die es »wenigstens« zu wahren und gegen reaktionäre Tendenzen in Stellung zu brin- gen gelte, ist für die anderen nicht mehr als Ausdruck des Machtanspruchs eines gewaltigen und gewalttätigen Staatsappa- rates, dessen Überwindung doch gerade ersehnt wird. Das befohlene Stehen auf dem Boden der Freiheitlichdemokratischen Grundordnung muss uns nicht daran hindern, ab und an Proben zu nehmen und die Beschaffenheit des Bodens genau zu analysie ren. Entsprechende Bohrungen fanden auf Einladung des Kritischen Kollektivs, der Gruppe »diskursiv«, der Jenny Marx Gesellschaft und der AFP e.V. am 30. Oktober 2010 an der Uni Mainz statt. Wir dokumentieren die Befunde: V erfassungsfeind trifft Verfassungsfreund Das Grundgesetz auf dem Prüfstand – ein Veranstaltungsbericht Sonderdruck aus Ausgabe 34/2011, 49. Jahrgang www.labournet.de/express ISSN 03435121 Dass solch unterschiedliche Positio- nen zwischen unterschiedlichen linken Kreisen regelmäßig zu Unverständnis, Konflikten und gegenseitiger Ablehnung führen, kann niemanden verwundern. Seit Plakatdesign der Veranstaltung; "Verteidigen. Kritisieren. Überwinden? Das Grundgesetz auf dem Prüfstand."

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Page 1: Sonderdruck aus Ausgabe 34/2011, 49. Jahrgang • www ...kollektiv.blogsport.de/images/expressSonderdruckweb.pdf2009 gibt es immerhin wieder Ansätze, die Sprachlosigkeit zur Frage

Gut 60 Jahre nach Inkrafttreten des Grund-gesetzes und 25 Jahre nach dem Tod deseinflussreichen Marburger Linkssozialis-ten Wolfgang Abendroth machte sich dasSymposium: »Verteidigen, kritisieren,überwinden? Das Grundgesetz auf demPrüfstand« des Kritischen Kollektivs (IL)zur Aufgabe, die kritische Auseinanderset-zung mit den Grundzügen des bürgerlichenRechtsstaates wieder aufzunehmen.

Die anfangs der 1970er Jahre noch in-tensiv und kontrovers geführte Debatteum die Grundzüge der bürgerlichen Ge-sellschaft fand damals ihren Höhepunktin der Frage der Staatsableitung, verlor je-doch aufgrund zunehmender Abstraktionihre Rückbindung an die politische Pra-xis. Mit wenigen Ausnahmen ist das The-ma seitdem, mit Ausnahme eng begrenzterakademischer Kreise, völlig aus dem po-litischen Diskurs herausgefallen.

Zurück blieben in zahlreichen linkenZusammenhängen jeweils recht pauscha-le Konzeptionen des Grundgesetzes, dieumso reflexhafter verteidigt werden. Wasfür die einen Garant der Freiheitsrechte,die es »wenigstens« zu wahren und gegenreaktionäre Tendenzen in Stellung zu brin-

gen gelte, ist für die anderen nicht mehrals Ausdruck des Machtanspruchs einesgewaltigen und gewalttätigen Staatsappa-rates, dessen Überwindung doch geradeersehnt wird.

Das befohlene Stehen auf dem Boden der Freiheitlich­demokratischen Grundordnung muss uns nicht

daran hindern, ab und an Proben zu nehmen und die Beschaffenheit des Bodens genau zu analysie­

ren. Entsprechende Bohrungen fanden auf Einladung des Kritischen Kollektivs, der Gruppe »diskursiv«,

der Jenny Marx Gesellschaft und der AFP e.V. am 30. Oktober 2010 an der Uni Mainz statt.

Wir dokumentieren die Befunde:

Verfassungsfeindtrifft VerfassungsfreundDas Grundgesetz auf dem Prüfstand – ein Veranstaltungsbericht

Sonderdruck aus Ausgabe 3­4/2011, 49. Jahrgang • www.labournet.de/express • ISSN 0343­5121

Dass solch unterschiedliche Positio-nen zwischen unterschiedlichen linkenKreisen regelmäßig zu Unverständnis,Konflikten und gegenseitiger Ablehnungführen, kann niemanden verwundern. Seit

Plakatdesign der Veranstaltung;"Verteidigen. Kritisieren. Überwinden? Das Grundgesetz auf dem Prüfstand."

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2009 gibt es immerhin wieder Ansätze,die Sprachlosigkeit zur Frage des Grund-gesetzes zu überwinden, Beiträge dazu lie-ferten u.a. die Kritischen JuristInnensowie das Bündnis »Ums Ganze«. Einspektrenübergreifender Diskurs kam je-doch nur begrenzt zustande.

Um diese Debatte in breitere Kreise zutragen, war es ausdrückliches Ziel der Ver-anstaltung, die unterschiedlichsten linkenZusammenhänge miteinander ins Ge-spräch zu bringen: von Autonomen bis hinzu linken BürgerrechtlerInnen, von derPartei- und Gewerkschaftslinken bis hin zukritischen StudentInnen und JuristInnen.

Auf der Hand lag, dass nur eine Kritik,die sich mit dem wesentlichen Gehalt desGrundgesetzes beschäftigt, die Debatteweiterbringt. Also konnte es nicht darumgehen, bei der kritischen Auseinanderset-zung mit den sich durch die Geschichte derBundesrepublik durchziehenden Grund-gesetzänderungen stehen zu bleiben, sorückschrittlich diese auch sein mochten.Maßstab der Debatte konnte vielmehr nurdie stets durchscheinende Essenz sein, dieals »Freiheitlich-demokratische Grundord-nung« (FdGO) bezeichnet wird. Die tief-greifenden Änderungen des Gesetzestex-tes seit 1949, aber auch der Wandel derVerfassungspraxis interessierten freilichinsoweit, als sie einen Hinweis darauf ge-ben, in welchem Ausmaß auch die FdGOden realpolitischen Kräfteverhältnissenausgesetzt ist.

Gemeinsam mit den als Referenten ge-ladenen Juristen und Sozialwissenschaft-lern Martin Kutscha (Berlin), Albert Krölls(Hamburg) und Jörg Reitzig (Ludwigsha-fen) konnten einige zentrale Fragen äußerstkontrovers erörtert werden:

▪ Welchen Interessen dient die FdGO?Wen oder was schützt sie? Wer sind – jen-seits politischer Kampfbegriffe – tatsäch-lich Freund und Feind der Verfassung?

▪ Welche Spielräume lässt die FdGOemanzipatorischen Projekten und welchenicht? Ist es sinnvoll, sich auf diese Spiel-räume zu beschränken?

▪ Verschafft die FdGO emanzipatori-schen Projekten zugleich auch Spielräu-me? Können, sollen, dürfen wir uns imSinne unserer Vorstellungen auf die Ver-fassung berufen, sie nutzen, gar als Aus-gangsbasis gesellschaftlicher Transfor-mation?

▪ Ist insbesondere eine Überwindungvon Kapital und Konkurrenz im Rahmendes Grundgesetzes möglich? Oder ist dieFdGO so sehr Ausdruck der herrschen-den Verhältnisse, dass sie diese notwen-digerweise konserviert und zu ihnenzurückführt?

Insbesondere das Spannungsfeld zwi-schen den Gegenpolen Martin Kutscha,Co-Herausgeber des jährlich erscheinen-den Grundrechte-Reports, und AlbertKrölls, Autor des Buches »Das Grundge-setz – ein Grund zum Feiern?«, sorgte fürhitzige Debatten.

Martin Kutscha, Professor für Staats-recht an der HWR Berlin, stellte dasGrundgesetz als historischen Gegenent-wurf zum Nationalsozialismus vor und da-mit primär als Begrenzung desunmittelbaren staatlichen Durch- und Zu-griffs auf die BürgerInnen.

Die im Parlamentarischen Rat erstrit-tene Begrenzung staatlicher Macht seiauch im Sinne der Befreiung durchauswertvoll, ebenso die Einhegung der Inter-essen des Stärkeren im innergesellschaft-lichen Kräftespiel, damit auch nichtzuletzt der Interessen des Kapitals. Die inder Verfassung verankerten Grundrechte– so unzulänglich sie auch sein mögen –,stellen für Kutscha immerhin einen Min-deststandard dar, der weitgehende Gestal-tungsspielräume für emanzipatorischeProjekte überhaupt erst schafft.

Diese Tatsache auszublenden, sei Teileiner in der Linken recht verbreiteten Il-lusion, ihren Handlungsspielraum unab-

hängig von den bestehenden Verhältnis-sen, vor allem den innergesellschaftlichenKräfteverhältnissen, entwickeln zu kön-nen. Sich der Möglichkeit grundsätzlichzu versagen, die Grundrechte auch inner-halb der bestehenden Verhältnisse im Sin-ne der Befreiung in Anschlag zu bringen,sei aber in Anbetracht des konkreten Leidsund der möglichen Verbesserungen zy-nisch. Diese Verweigerungshaltung ge-genüber begrenzten Fortschritten drohestets in eine verelendungstheoretische Per-spektive zu münden, die den am stärkstenBetroffenen aus gutem Grund nicht zuvermitteln sei.

Albert Krölls, Professor für Recht undVerwaltung an der Evangelischen Hoch-schule für Soziale Arbeit Hamburg, ver-trat eine hierzu diametral entgegengesetzteLesart des Grundgesetzes als Institutiona-lisierung von Herrschaft unter dem Primatder Interessen des Kapitals.

Hinter jeder Freiheit, die das Grund-gesetz einräume, stehe letztlich der Ge-währungsvorbehalt des Staates, der stetsden Anspruch mit einschließe, die Frei-heit einzuschränken bzw. wieder zu ent-ziehen. Noch so verbriefte Grundrechtebei Bedarf auszuhebeln oder auszuhöhlen,sei keineswegs nur eine theoretische Op-tion, sondern durchaus alltägliche Praxis.Wer sich auf dieses absolute Gewaltmo-nopol des Staates einlasse, gebe seine Frei-heit freiwillig aus der Hand und überlassederen Verwaltung Kräfteverhältnissen, dieletztlich außerhalb des eigenen Einfluss-bereiches lägen.

Offene Diskussion im Fishbowl

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Zudem handele es sich bei den Grund-rechten im Kern keineswegs um Zuge-ständnisse des Staates an die unmittel-baren Bedürfnisse der Individuen. Viel-mehr benötige der Kapitalismus für seinFunktionieren die Konkurrenz gegenein-ander antretender Akteure, die sich wech-selseitig als freie Individuen begreifen.Um diese Illusion freien Willens und Han-delns innerhalb der strukturellen Zwängeder kapitalistischen Gesellschaftsordnungherstellen zu können, bedürfe es daher ei-niger staatlich geschützter Freiheiten, de-ren Realisierung somit von nichts anderemabhänge als von der Bereitschaft, sich derkapitalistischen Verwertungslogik zu un-terwerfen.

Genau diese Aufgabe nehme dasGrundgesetz auch vermittels der Grund-rechte wahr. Sich darauf zu berufen, undsei es mit noch so emanzipatorischen Ab-sichten, könne daher nur kontraproduktivsein, da es die gewünschte Vorstellungvom Staat geschützter und »lediglich« überden Markt vermittelter Freiheiten repro-duziere und damit sowohl die Position desStaates als auch die kapitalistische Ver-wertungslogik weiter stärke. Zugleich ver-schließe man sich den Ausweg der Selbst-ermächtigung und verliere wirklich sys-temüberschreitende Perspektiven aus demBlick. Sich in welcher Weise auch immerauf die FdGO zu beziehen, könne dahernur tiefer in Verblendung, Abhängigkeitund Ohnmacht führen.

Jörg Reitzig, Professor für Sozial-wissenschaften an der FH Ludwigshafen,

zeichnete Entwicklungslinien des Grund-gesetzes seit 1949 nach und verglich Wort-laut und Praxis des Grundgesetzes anhandaktueller Beispiele. Die jeweils erschüt-ternden Ergebnisse verdeutlichten, wiesehr das Grundgesetz als Verhandlungs-masse im politischen Diskurs und damit alsvon den realen politischen Kräfteverhält-nissen abhängig begriffen werden muss.

In Anbetracht dieser keineswegs nurin Einzelfällen hinter die in der FdGO ver-ankerten Rechte zurückfallenden Praxis,sei die Bereitschaft der Herrschenden, sichan staatliche Zugeständnisse und Selbst-beschränkungen gebunden zu fühlen, inFrage zu stellen. Dies bedeute nicht, dassalle Grundrechte in Wirklichkeit nurBlendwerk seien; sie entfalteten ihre Wir-kung aber nicht von selbst, sondern nurdurch tätige Mitwirkung, durch hartnäcki-ges Einfordern und Erstreiten. Diebestehenden Freiräume aktiv auszufüllen,sei im Übrigen auch nötig, um sie nichtim Laufe der Zeit preiszugeben, sonderntendenziell zu erweitern.

Zu Ko-Referaten eingeladene Vertre-terInnen verschiedener linksradikalerSpektren spannten den Bogen zwischenTheorie und tagespolitischer Praxis undverorteten ihre konkreten Kämpfe imSpannungsfeld zwischen den von Kutschaund Krölls aufgerissenen Positionen. Da-bei wurde die außerordentliche alltags-praktische Relevanz des Theoriedisputesdeutlich, in der immer wieder von Neuemnotwendigen Kompromisssuche zwischendem Angestrebten und dem Möglichen

ebenso wie im Ringen um linksradikaleSelbstverortung und ihre Mindeststan-dards.

Als ein Anknüpfungsangebot desGrundgesetzes an eine revolutionäre Zu-kunftsgestaltung wurde auch der oft als»roter Artikel« rezipierte Artikel 14 GGdiskutiert, der die Möglichkeit der »Ent-eignung zum Wohle der Allgemeinheit«schafft. Geprüft und im Hinblick auf lin-ke Vorstellungen einer Vergesellschaftungder Produktionsmittel hinterfragt, kamendie DiskutantInnen auch hier zu sehr un-terschiedlichen Ergebnissen:

Der dem politischen Zeitschriftenpro-jekt GegenStandpunkt nahestehende Al-bert Krölls sah auch hierin einen Ausdruckder Vorherrschaft des Privateigentums,die die Ausnahme genau dafür benötige,um die Regel zu zementieren. Dies wer-de nicht zuletzt in den zu leistendenEntschädigungszahlungen deutlich, die ei-ne Vergesellschaftung der Produktions-mittel schon aufgrund ihrer vom Marktbestimmten Höhe verunmöglichen. Ge-nau an diesem zivilrechtlichen Charakterwerde auch deutlich, dass sich der wieauch immer demokratisch ermittelte Wil-le der Bevölkerung den zivilrechtlichenAnsprüchen der PrivateigentümerInnenunterzuordnen hat.

MartinKutschaappelliertehingegenmitdenWortenWolfgangAbendroths–»EineDemokratischeVerfassungkannstetsnurdurchdemokratischeWillensbil-dungdesVolkesgewährleistetwerden«–

Herrschaftsfreiheitwill erkämpft sein.

Wir sind eine Gruppe von Studierenden und jungen Arbeitneh­mer_innen aus dem Raum Mainz/Worms/Mannheim und arbei­tenvor Ort und überregional gegen unterschiedliche Formen vonAusgrenzung, Ausbeutung und Unterdrückung.

Bundesweit organisiert in der Interventionistischen Linken (IL) undtragen überregionale Kampagnen mit wie etwa Castor Schottern.Auch in regionale Bündnisse wie die Südwestdeutschen Anti­Atom­Initiativen bringen wir uns ein: Die Blockade des Naziaufmarsches2009 in Mainz, Demos gegen den Ingelheimer Abschiebeknast,der Tschernobyl25­Aktionstag in Biblis oder Nachttanzdemos inunserer Region.

Daneben entwickeln wir auch eigene Projekte, Veranstaltungen undAktionen, wie die beschriebene Veranstaltung zum Grundgesetz imHerbst 2010, Vortrags­ und Diskussionsabende, Workshops undAktionstrainings.

Wir treffen uns immer mittwochs in Worms, Mannheim und Mainzund freuen uns auf Eure Kontaktaufnahme:

http://kritisches­kollektiv.de [email protected]

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andieEigeninitiativederBevölkerungalsgesellschaftsverändernde Instanz.DieDeutungshoheit derFormulierung»zumWohlederAllgemeinheit«müssedemokra-tisch immerwiederneuerrungenwerden.

Die Auffassung des Grundgesetzes alsProvisorium, dem nach der Aufnahme derDDR eigentlich eine neue »gesamtdeut-sche Verfassung« hätte folgen sollen, un-terstützt diese Lesart. Zugleich greift aberauch der aus dem Publikum geäußerteEinwand, dass es sich um eine letztlich be-langlose Selbstverständlichkeit handelt,dass sich in Veränderung begriffene Kräf-teverhältnisse stets auch in einer neuenoder revidierten Verfassung niederschla-gen können, ob nun in Form einer Revo-lution oder von Reformen, ob progressivoder regressiv.

Der abschließenden Fishbowldiskus-sion gelang es, die Frontalsituation aufzu-brechen, so dass sich eine große Zahl vonTeilnehmerInnen zu den Deutungsange-

boten positionieren und diese in Bezug zueigenen Erfahrungen setzen konnte. DasGrundgesetz als »Mindestzustand« wurdeebenso hinterfragt wie die Rolle und Er-rungenschaften revolutionärer Bewegun-gen vs. punktbezogener emanzipatorischerKämpfe.

Kritisch reflektiert wurde vor allemaber auch die Wirkungsmacht bestehen-der Herrschaftsstrukturen, nicht zuletztanhand der konkreten Referentensituati-on (»drei weiße Männer«), die bedauer-licherweise und trotz der Bemühungen derVeranstalterInnen die Verhältnisse anSchlüsselstellen der Gesellschaft vollkom-men replizierte. Dieser wunde Punkt reg-te eine durchaus spannende Debatte übervermeintliche oder tatsächliche Haupt-und Nebenwidersprüche an. Sind es dochnicht selten aus dem Grundgesetz abge-leitete Ansprüche, die bestimmte Grup-pen vor Diskriminierung und Verfolgungschützen, die ihnen ohne diesen Schutzzumindest unter den bestehenden ge-

sellschaftlichen Kräfteverhältnissen dro-hen.

Letztlich blieb der Ausgangskonfliktzwischen VerteidigerInnen und GegnerIn-nen des Grundgesetzes unüberbrückbar,und auch nach einem langen Tag konntenwichtige Fragen nicht erschöpfend geklärtwerden. Das Symposium kann daher nurals Auftakt einer innerhalb der Linkenwieder Fuß fassenden Debatte über diebürgerliche Gesellschaft insgesamt gese-hen werden. Weiterer Diskussionsbedarfwurde besonders in der Konzeption desStaates im Verhältnis zur Gesellschaftdeutlich – hier scheint ein angemessenerAusgangspunkt für eine spektrenübergrei-fende Debatte zu liegen. Neuere Staats-theoretiker wie Poulantzas könnten dabeiLicht auf den widersprüchlichen Charak-ter des Staates als Akteur und Kampffeldzugleich werfen.

Bernd Oliver Sünderhauf,Kritisches Kollektiv (IL)

Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der politischen Bildung e.V. (AFP e.V.).Sitz des Vereins ist Frankfurt am Main. Die AFP e.V. ist eingetragen beim Amtsgericht Frankfurt (Nr. 8373)und laut Bescheid des Finanzamtes III Frankfurt/Main vom 5.11.2010 als steuerbefreite Körperschaftanerkannt, und somit berechtigt, Spendenbescheinigungen auszustellen. Steuer­Nummer 4525067447­K18.

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Erstveröffentlicht in express Nr. 3-4/2011, S.1ff.Abdruck mit freundlicher Genehmigung der express-Redaktion.

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