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Berliner Stimme Prof. Ulrich Kledzik und die sozialdemokratische Bildungspolitik Erfahrung und Ermutigung eine sechsteilige Serie aus den Ausgaben 1- 6 / 2008 Sonderdruck - 58. Jahrgang 2008 Sozialdemokratische Wochenzeitung Erfahrung und Ermutigung Professor Ulrich-Johannes Kledzik und die sozialdemokratische Bildungspolitik Zusammenstellung der sechsteiligen Serie aus der BERLINER STIMME, erschienen in den Ausgaben 1 bis 6 im Jahr 2008 Berliner Stimme Herausgeber: SPD Landesverband Berlin Verlag: wegewerk GmbH, Krausnickstr. 3, D 10115 Berlin Redaktion: Ulrich Horb (V.i.S.d.P.), Tel.: 030-4692 150, Fax: 030-4692 240, E-Mail: [email protected], Post: Müllerstr. 163, 13353 Berlin Abo-Service: Jürgen Thomas, Tel.: 2408 36-60,E-Mail: [email protected] Abonnementspreis: 25,05 Euro pro Jahr (bei Zustellung per E-Mail), 30,15 Euro pro Jahr (bei Zustellung per Post) Druckerei: KORRekt Mailingservice Berlin

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Berliner StimmeProf. Ulrich Kledzik und diesozialdemokratischeBildungspolitik

Erfahrung und Ermutigung

eine sechsteilige Serie ausden Ausgaben 1- 6 / 2008

Sonderdruck - 58. Jahrgang 2008

Sozialdemokratische Wochenzeitung

Erfahrung und ErmutigungProfessor Ulrich-Johannes Kledzik und

die sozialdemokratische Bildungspolitik

Zusammenstellung der sechsteiligen Serie

aus der BERLINER STIMME,

erschienen in den Ausgaben 1 bis 6 im Jahr 2008

Berliner StimmeHHeerraauussggeebbeerr:: SPD Landesverband BerlinVVeerrllaagg:: wegewerk GmbH, Krausnickstr. 3, D 10115 BerlinRReeddaakkttiioonn:: Ulrich Horb (V.i.S.d.P.), Tel.: 030-4692 150, Fax: 030-4692 240, E-Mail: [email protected], Post: Müllerstr. 163, 13353 BerlinAAbboo--SSeerrvviiccee:: Jürgen Thomas, Tel.: 2408 36-60,E-Mail: [email protected] Abonnementspreis: 25,05 Euro pro Jahr (bei Zustellung per E-Mail), 30,15 Euro pro Jahr (bei Zustellung per Post) DDrruucckkeerreeii:: KORRekt Mailingservice Berlin

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13. Januar 2007 Berlin aktuell Berliner stimme - Seite 319. Januar 2008 Bildungspolitik Berliner Stimme - Seite 11

Berlin war immer schon reich anIdeen - auch an pädagogischen. Schul-reformer wie Kurt Löwenstein undFritz Karsen wirkten hier. Die nachKarsen benannte Schule in Neuköllnist die älteste staatliche Gesamtschulein Deutschland. Und auch mit seinersechsjährigen Grundschule ab 1951 hatBerlin stets eine Sonderrolle in derBundesrepublik gespielt. Einer, derlange Jahre die Bildungspolitik in Ber-lin begleitet, mitentwickelt und umge-setzt hat, ist Ulrich Kledzik, von 1963bis 1990 war er als Oberschulrat undAbteilungsleiter in der Senatsverwal-tung für Schulwesen u.a. für die Berli-ner Gesamtschulen zuständig.

Als Sohn eines Landschullehrers in West-preußen wurde Ulrich-Johannes Kledzikam 22.12. 1927 geboren. Es ist das Jahr, indem sich der Leiter des städtischen Bil-dungswesen Berlins, der Reichstagsabge-ordnete und Neuköllner Stadtrat für Volks-bildungswesen Kurt Löwenstein geradekritisch mit den Plänen für ein Reichsschul-gesetz auseinandersetzt. Konservativestreiten für den Erhalt der christlichen Be-kenntnisschule, Reformer wie Löwensteinsetzen sich für die weltliche Gemein-schaftsschule ein, die aber keine „Weltan-schauungsschule“ sein soll: „Die Sozialde-mokratie hat gar kein Interesse an einerWeltanschauungsschule. Sie verlangt eineweltliche Schule, die allen Kindern undLehrern offen steht, und in der aus den al-len gemeinsamen weltlichen sozialen Be-dürfnissen Unterricht und Erziehung ge-staltet wird. Die weltliche Schule ist für dieSozialdemokratie keine negative Bekennt-nisschule, sondern eine soziale Aufbau-schule.“

Bildung ist für Arbeiterkinder in dieserZeit ein wichtiges Gut, das hart erkämpftwird, gerade auch von der Sozialdemokra-tie. Fritz Karsen, 1919 einer der Mitbegrün-der des „Bundes entschiedener Schulrefor-mer“, entwickelt gemeinsam mit dem Ber-liner Oberstadtschulrat Wilhelm Paulsenmehrere reformorientierte Schulprojekte.So wird es in Arbeiter-Abiturientenkursenam Kaiser-Friedrich-Realgymnasium Be-rufstätigen möglich, das Abitur auf demZweiten Bildungsweg nachzuholen. Undmit der Neuköllner „Karl-Marx-Schule“gibt es den ersten Gesamtschul-Vorläufer.

Die Familie Kledzik zieht Jahre späternach Berlin. „Da verdient ein Lehrer mehrGeld, sagte meine Mutter“, erinnert sich Ul-rich Kledzik. Für Kurt Löwenstein endet1933 der Traum vom Aufbau eines moder-

nächsten Morgen lag dort eine nackte Lei-che, der Mitgefangene war tot, ihm war al-les gestohlen worden.“ Lebensphilosophi-en werden durch Erlebnisse wie diese ge-prägt.

Mutter und Bruder sind durch Bomben-angriffe gegen Ende des Krieges ums Lebengekommen, der Vater ist in britischer Inter-nierung. Mit viel Glück kommt Ulrich Kled-zik schon 1946 nach Berlin zurück. „Da be-gann das Leben.“ Inmitten einer vom Kriegder Nazis zerstörten Stadt und obwohl eskaum etwas zu essen gab. In der Wohnungseiner Eltern wohnen Fremde - zwischenden Möbeln seiner Familie. Er erkämpftsich ein Zimmer in der Wohnung, studiertPädagogik an der Pädagogischen Hoch-schule Berlin. „Es war das Gründungsseme-ster unter dem Rektorat Wilhelm Blume,dem entschiedenen Schulreformer derzwanziger Jahre, der das Internat auf derInsel Scharfenberg gegründet hatte. Blumehat das Lehrkollegium an der PH auch un-ter dem Gesichtspunkt demokratischerEindeutigkeit zusammengestellt. 1948kommt mit der Spaltung der Verwaltungauch die Spaltung der Hochschule. „DieEdelkommunisten blieben im Osten, dieanderen zogen in den Westen, in die Lank-witzer Kasernen.“ Einer seiner Dozenten istProfessor Max Klesse, in den zwanzigerJahren USPD-Anhänger, von Beruf Arztund Historiker, bei ihm studiert Kledzik Ge-schichte. Paul Heimann fasziniert ihn alsDidaktiker.

Es geht aufwärts. Die Trümmer werdenbeiseite geräumt. „Jeden Tag wird etwasNeues aufgebaut.“ Er bekommt 150 MarkStipendium. „Dafür konnte man damalsgerade ein Brot kaufen.“ So verkauft er Ein-richtungsgegenstände seiner Eltern undbeteiligt sich an dem zeitbedingtenTauschhandel - „wenig erfolgreich“, auchdas betrachtet er als Lebenserfahrung.

Nach der Ablegung der ersten Staatsprü-fung nach dem Kriege an der PH Berlin er-hält er 1949 seine erste Lehrerstelle imWedding. Allerdings nicht als Geschichts-lehrer: „Geschichte ist ein Gesinnungsfach,sagte mir der Schulleiter gleich am erstenTag, das unterrichtet hier bei uns jederKlassenlehrer selber.“ Fritz Krüger, Altsozi-aldemokrat, später Vorsitzender desSchulausschusses im Abgeordnetenhaus,stellt ihn im Wedding ein: „Er kannte mei-nen Vater noch als Berliner Lehrer.“ Eineneue demokratische Schule soll in Berlinentstehen - mitten im beginnenden Ost-West-Konflikt. U.H. ❏

nen Schulsystems, einer „sozialen Aufbau-schule für die aufsteigenden Massen“. Andie Stelle der selbstbestimmten Kinderre-publiken der sozialistischen „Kinderfreun-de“ treten Uniformität und Gleichschritt inden Organisationen der Nazis, in den Schu-len wird Anpassung eingeübt. Sozialdemo-kratische Lehrer werden entlassen, zumTeil verfolgt. Fritz Karsen emigriert nachKolumbien, zieht später in die USA. KurtLöwenstein stirbt 1939 im Pariser Exil.

Mit Kriegsbeginn werden die männli-chen Lehrkräfte nach und nach eingezo-gen. An einen Geschichtslehrer erinnertsich Ulrich Kledzik. Dieser hob den Armzum Hitlergruß nur halb, wohl eine Art stil-len Protestes, den er aber mit einer Arm-verletzung entschuldigte. Den Geschichts-stoff mussten die Schüler seitenweise aus-wendig lernen.„Er hat nichts hinterfragt. Erwar kein Bekenner.“ Und als Lehrer damitfür Ulrich Kledziks Maßstäbe „ein Versa-ger“.

Ulrich Kledzik muss 1943 als 16jährigerFlakhelfer in den Krieg ziehen. „Wir wur-den als Klasse an die Kanone gestellt. Unddie Lehrer kamen dann zwei-, dreimal dieWoche und machten Unterricht.“ Die Ju-gendlichen fühlten sich nicht als „Hitlerju-gend“, sie fühlten sich als Soldaten, erin-nert sich Kledzik. Seinen 18. Geburtstagmuss er in russischer Gefangenschaft erle-ben, „das war die tiefste Position in mei-nem Leben.“ Einmal liegt nachts auf derPritsche unter ihm ein Epileptiker. „Am

Erfahrung und Ermutigung Professor Ulrich-Johannes Kledzik und die sozialdemokratische Bildungspolitik (Teil 1)

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Ulrich-Johannes Kledzik. Foto: Horb

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13. Januar 2007 Berlin aktuell Berliner stimme - Seite 32. Februar 2008 Bildungspolitik Berliner Stimme - Seite 11

„Das Schul- und UnterrichtswesenGroß-Berlins umfaßt in einem einheit-lichen Aufbau den Schulkindergarten,die in sich gegliederte zwölfjährigeEinheitsschule, die Fachschulen unddie Hochschulen mit Ausnahme derje-nigen, die zonalen Charakter haben.“So heißt es im Schulgesetz für Groß-Berlin aus dem Juni 1948, das die Stadt-verordnetenversammlung am 13.11.47beschlossen hatte.

Es ist die Zeit, in der Ulrich-JohannesKledzik an der Pädagogischen HochschuleBerlin studiert. Der Unterricht an den Berli-ner Schulen findet unter erschwerten Be-dingungen statt, noch immer haben vieleSchulgebäude Kriegsschäden, Schulbücherfehlen, die alten Geschichts- und Erdkun-debücher sind für eine demokratische Er-ziehung unbrauchbar. An den Schulenwerden dringend die neu augebildetenLehrerinnen und Lehrer erwartet. Während1945 ausgewiesene Gegner des Nationalso-zialismus für den Schuldienst gesucht wur-den, auch eilig ausgebildete „Schulhelfer“in den Dienst kamen, kehrten in den fol-genden Jahren Kriegsheimkehrer und nach49 studierte Lehrer in die Schulen zurück.

Das Berliner Schulgesetz tritt in einerZeit in Kraft, als die Spaltung der Stadt im-mer konkretere Züge annimmt. Am 24. Ju-ni 1948, nur zwei Tage nach der Anord-nungs der Alliierten Kommandantura, dasSchulgesetz in Kraft zu setzen, beginnt dieBlockade der Zufahrtswege nach West-Ber-lin. Ende August 1948 wird die Sitzung derStadtverordnetenversammlung im OstteilBerlins von Demonstranten und SED-Ver-tretern gestört, Anfang September suchendie Stadtverordneten - ohne die SED-Mit-glieder - Schutz vor Übergriffen im West-teil der Stadt. Währungsreform und Grün-dung von Bundesrepublik und DDR besie-geln die Teilung Berlins.

Ulrich Kledzik, der noch einige Zeit inPankow im sowjetischen Sektor wohnt,ehe ein Wohnungstausch nach Tempelhofmöglich wird, unterrichtet ab 1949 imWedding in einer achten Klasse. Die Arbeitmacht ihm Freude: „Ich konnte gut mitSchülern umgehen.“ 1951 folgt die ZweiteStaatsprüfung.

Die Auseinandersetzung zwischen Ostund West nimmt an Schärfe zu. Eine Berli-ner Besonderheit, das Einheitsschulsystemkommt dabei unter die Räder. Bei denWest-Berliner Wahlen 1950 hatte die SPDzwar 61 Mandate bekommen, CDU (34 Sit-ze) und FDP (32 Sitze) haben aber zusam-men eine Mehrheit. So wird 1951 mit der-

anders in den USA. Da ist es das Ziel derSchule, aus den Jugendlichen gute Bürgerzu machen. Ein ganz anderes Ziel, ein de-mokratisches.“ Den Highschool-Abschluss,der nicht vergleichbar mit dem Abitur ist,erwerben nahezu alle Jugendlichen, merktKledzik an.

1953 kehrt er nach Berlin zurück. Im Wed-ding ist eine neue Oberschule praktischenZweigs zwischen Stralsunder Straße undBernauer Straße errichtet worden, ein hellgeputzter Pavillonbau, der erste Schulneu-bau im Wedding seit 1915, der zweite imNachkriegs-Berlin. Ernst Reuter ist derWahlkreisabgeordnete, nach seinem über-raschenden Tod 1953 wird die Schule nachihm benannt. Ein ausgewähltes Lehrerkol-legium nimmt die Arbeit auf. Die Schülerkamen vom Wedding, von der „Plumpe“.„Damals gingen 60 Prozent der Schüler aufdie Hauptschule.“ Viele sind später beruf-lich erfolgreich. „Einer meiner Schüler warManfred Foede, der IG-Metall-Vorsitzenderin Berlin wurde.“

Ein junger Kollege wirbt Ulrich Kledzikfür die Sozialdemokratie: Lothar Löffler, derspäter 17 Jahre lang die SPD im Bundestagvertritt.

Der Mauerbau 1961 bedeutet für die di-rekt an den Sperranlagen gelegene Ernst-Reuter-Schule einen dramatischen Ein-schnitt. Schüler und Lehrer aus dem Ostteilbleiben von einem auf den anderen Tagfern. Für Ulrich Kledzik, inzwischen Leiterder SchSchulule,e, ergeben sich aus der neuen po-litischen Situation neue Aufgaben. U.H. ❏

West-Berliner Schulgesetzesnovelle gegendie Stimmen der SPD die einheitliche Schu-le abgeschafft. Zwar bleibt die sechsjährigeGrundschule erhalten, aber im Sekundar-bereich wird die traditionelle Dreigliedrig-keit wieder hergestellt. Im Ostteil Berlinswird das Konzept der Einheitsschule beibe-halten. Die allgemeinbildende Polytechni-sche Oberschule (POS), umfasst die Klas-senstufen von der 1. bis zur 10. Klasse, dieErweiterte Oberschule (EOS) baut daraufaus.

Fritz Krüger, der Ulrich Kledzik im Wed-ding eingestellt hatte, schlägt ihn für dasStudium in den USA vor, es gibt Förderpro-gramme für junge deutsche Lehrer. 1952studiert Ulrich Kledzik an den Universitä-ten in Illinois und Texas, er bekommt Ein-blick in das amerikanische Schulsystem.„Ein großes Bildungserlebnis für mich, eineganz neue Welt.“ In den Weihnachtsferienfährt er zusammen mit zwei Freunden aufder Route 66 in den Westen. Viele neue Ein-drücke und Kontakte bleiben. Eine wichti-ge Erkenntnis für ihn ist: „Das Ziel der deut-schen Schule ist es, Abitur zu machen. Ganz

Erfahrung und Ermutigung Professor Ulrich-Johannes Kledzik und die sozialdemokratische Bildungspolitik (Teil 2)

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Professor Ulrich-JohannesKledzik, Jahrgang 1927, arbei-tete in Berlin als Lehrer undSchulleiter, von 1963 bis 1990war er als Oberschulrat undAbteilungsleiter in derSenatsverwaltung fürSchulwesen u.a. für dieBerliner Gesamtschulen

zuständig. Lange Jahre hat er sozialdemokrati-sche Bildungspolitik in Berlin mitgestaltet.

Ausriss aus dem Protokoll der Stadtverordnetenversammlung 1947.

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1960 ist Ulrich-Johannes KledzikSchulleiter der Weddinger Ernst-Reu-ter- Oberschule geworden, die nur we-nige Schritte von der Bernauer Straßeentfernt liegt. Er übernimmt die Nach-folge des verstorbenen SchulleitersScheunemann, obwohl ihm inzwi-schen auch eine Laufbahn an der Frei-en Universität spannend erscheint, ander er von 1954 bis 1958 - neben demUnterricht - Soziologie, Englisch undGeschichte studiert hatte.

Als am 13. August Ost-Berlin mit Stachel-draht und Grenzbefestigungen abgerie-gelt wird, ist damit plötzlich auch derSchulweg für etliche von Ulrich KledziksSchülern versperrt. „Lehrer, die im Ostsek-tor wohnten, kamen vom einen auf den an-deren Tag nicht mehr“, erinnert er sich.

In ganz Berlin sind etwa 60 Lehrer undrund 1000 Schülerinnen und Schüler vonihren Schulen im Westteil der Stadt abge-schnitten. Die Teilung Deutschlands istnun auch sichtbar vollzogen. Die beiden Sy-steme allerdings hatten sich bereits aus-einanderentwickelt - auch im Schulwesen.

Schon 1950 hatte es in der DDR-„Verord-nung über die Unterrichtsstunde alsGrundform der Schularbeit“ geheißen: „Dieorganisierte Unterrichtsarbeit in der deut-schen demokratischen Schule dient demErwerb systematischer, allseitiger und um-fassender Kenntnisse sowie gesellschaft-lich wertvoller Fähigkeiten und Fertigkei-ten der Schüler für den erfolgreichenKampf um die Erhaltung des Friedens, dieEinheit Deutschlands, die Festigung undVerteidigung der Deutschen Demokrati-schen Republik.“ Der Lehrer wird in denDienst der Partei gestellt: „Der Lehrer derdeutschen demokratischen Schule stehtmitten im gesellschaftlichen und kulturel-len Leben seines Volkes. Er erhält seinenAuftrag von den das staatliche Leben in derDeutschen Demokratischen Republik be-stimmenden fortschrittlichen Kräften desVolkes und dient als Volkslehrer in allenSchularten den werktätigen Schichten undallen anderen Menschen, die sich für denFrieden, den demokratischen Aufbau unddas sonstige Wohl unseres Volkes aktiv ein-setzen.“

Die DDR hat 1959 die sogenannte Po-lytechnische Oberschule eingeführt unddie zehnjährige Schulzeit zur Pflicht ge-macht. In Berlin-West, eingemauert, aberauch „Schaufenster des Westens“ mit SPD-Mehrheiten, verführte die DDR-Ideologienicht, auch wenn dort zunächst an Er-kenntnisse und Forderungen zum Beispiel

statisch interpretiert, sondern als Entfal-tungsprozess, der zeitgemäßes Arbeits-, So-zial und Kulturverhalten vorbereiten soll“,so Ulrich Kledzik.

Bis 1990 blieb Kledzik in der Senatsver-waltung für Schulwesen. Zunächst war erReferent für die Hauptschulen, später Un-terabteilungsleiter, dann Abteilungsleiterfür den Sekundarbereich I, die letzten sie-ben Jahre war er stellvertretender Landes-schulrat.

„Nach dem Mauerbau hat sich die Aufga-be Berlins geändert“, sagt Kledzik. „Diegroßen Firmen waren alle nach West-deutschland gegangen, bis auf den Cornel-sen-Verlag und Schering. Ziel war es nun,Werkstatt zu sein.“ Das galt auch für denpädagogischen Bereich. Der Gedanke, baldwieder Hauptstadt eines vereintenDeutschland zu sein, rückte ferner, statt-dessen setzte man darauf, die Bevölke-rungsabwanderung zu stoppen, indem dieStadt attraktiv ausgebaut wurde.

Schulreformen, wie sie Carl-Heinz Eversforderte, fanden in der SPD Anfang dersechziger Jahre Rückhalt. Wichtiger abernoch: „Es gab eine starke Gewerkschaft mitErich Frister an der Spitze, der später zehnJahre lang Bundesvorsitzender der GEWwar.“ Die Verbindung zwischen der GEWund den Sozialdemokraten in der Stadt wareng, so Ulrich Kledzik.

„Evers, später auch Gerd Löffler als Schul-senator, setzten auf eine demokratischeLeistungsschule, auf Zentrierung imPädagogischen und auf eine Beispielhaf-tigkeit gegenüber den anderen Bundeslän-dern. Das bedeutete, dass wir die Subven-tionen, die wir als West-Berliner bekamen,umzusetzen versucht haben in bessereSchulen, in bessere Lehrer-Schüler-Relatio-nen, in bessere Ausstattung. Das waren al-les Ziele innerhalb eines ,Werkstatt-Berlin’-Gedankens.“

Die sechziger Jahre bringen einen Auf-bruch in ganz besonderer Richtung. Carl-Heinz Evers gelingt es in der Kultusmini-sterkonferenz, die Zulassung der Gesamt-schule als Experiment zu erreichen. Nachvielen Rückschlägen gehen die Schulrefor-mer in die Offensive, um die frühzeitigeAuslese der Kinder im dreigliedrigen Schul-system zu verhindern. Mit der Gesamt-schule will man in der Bundesrepublik wieauch in anderen Industrienationen u.a. dieAbschlussquote erhöhen. In Schwedenliegt die Abiturquote in den sechziger Jah-ren bei etwa 30 Prozent, in der Bundesre-publik 1965 bei nur 7,5 Prozent. U.H. ❏

des Bundes Entschiedener Schulreformeraus der Weimarer Zeit anzuknüpfen ver-sucht wurde.

Ulrich Kledzik, der Mauerbau und Folgenaus nächste Nähe erlebt hat, erhält 1962 zu-sammen mit zwei Berliner Kollegen einenSonderauftrag: Im Auftrag der Weltlehrer-organisation geht er auf eine dreimonatigeVortragsreise durch 15 Länder Mittel- undSüdamerikas sowie Westafrikas, um überdie Auswirkungen des Mauerbaues aufUnterricht und Erziehung in Deutschlandzu informieren.

1963 feiert die Ernst-Reuter-Schule ihrzehnjähriges Bestehen. Carl-Heinz Evers,von 1959 an Berliner Landesschulrat, An-fang der sechziger Jahre mit einer vielbe-achteten Denkschrift zur inneren Schulre-form hervorgetreten und von Willy Brandt1963 zum Schulsenator berufen, holt UlrichKledzik im selben Jahr in die Senatsverwal-tung. Evers ist Nachfolger des Christdemo-kraten Joachim Tiburtius, der das Amtzwölf Jahre inne hatte. In seiner Denk-schrift setzte Evers 1961 neue Akzente. „Be-gabung wurde nicht mehr vornehmlich

Erfahrung und Ermutigung Professor Ulrich-Johannes Kledzik und die sozialdemokratische Bildungspolitik (Teil 3)

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Schulsenator Carl-Heinz Evers holte Ulrich Kledzik1963 in die Senatsverwaltung für Schulwesen.Foto: BS-Archiv

Professor Ulrich-JohannesKledzik, Jahrgang 1927, arbei-tete in Berlin als Lehrer undSchulleiter, von 1963 bis 1990war er als Oberschulrat undAbteilungsleiter in derSenatsverwaltung fürSchulwesen u.a. für dieBerliner Gesamtschulen

zuständig. Lange Jahre hat er sozialdemokrati-sche Bildungspolitik in Berlin mitgestaltet.

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13. Januar 2007 Berlin aktuell Berliner stimme - Seite 31. März 2008 Bildungspolitik Berliner Stimme - Seite 11

1968 wird in Berlin mit der Walter-Gropius-Schule die erste Gesamtschuleder Bundesrepublik eröffnet. Die Er-wartungen der Bildungsreformer sindhoch: Die Gesamtschule soll Chancen-gleichheit herstellen, sie soll anders alsdas dreigliedrige Schulsystem mit sei-ner frühen Auslese mehr Schüler för-dern und für eine größere Zahl von bes-seren Abschlüssen sorgen.

Berlin nimmt in dieser Entwicklung -auch dank der Vorarbeiten des sozialdemo-kratischen Schulsenators Carl-Heinz Eversetwa durch die Aufnahme der Gesamt-schule in das Schulgesetz - eine Vorreiter-rolle ein. Hier entstehen in den siebzigerJahren dreizehn Gesamtschulen in Bil-dungszentren, weitere zehn in Altbauten.„Das durch die Steigerung der Schülerzahlin der 7. bis 10. Jahrgangsstufe um mehr als50 % in den Jahren zwischen 1970 und 1975bedingt größte kommunale Hochbaupro-jekt Berlins seit Ende des Zweiten Welt-kriegs bietet die Chance, nicht allein einervorgegebenen Bedarfslage zu entsprechen,sondern auch strukturell, curricular und inAbstimmung mit dem baulichen Entwurfden Ansatz zu einer Sekundarstufe I als in-tegrierte Schule für etwa ein Viertel derSchüler dieser Altersstufe zu wagen“, so Ul-rich Kledzik, ab 1972 Leitender Oberschulratund mit seinem Kollegenteam Rohde, Kai-ser und Seiring pädagogisch zuständig fürdie Sekundarstufe I. Zwischen 1974 und1975 werden in Serienbauweise für rund620 Millionen Mark dreizehn so genannteMittelstufenzentren gebaut, die als Bil-dungszentren für Gesamtschulen (7. bis 10.Klasse) wie auch für außerschulische Nut-zung (Freizeit, Sport, Bibliotheken) ange-legt werden: Prüffeld für Organisation, In-halte und Differenzierungsformen, Praxis-feld für Fantasie und Engagement.

Zwischen den sozialdemokratisch ge-führten Bundesländern und den Ländernmit CDU-Mehrheit bleibt die grundlegendebildungspolitische Kontroverse bestehen.Die konservativ regierten Länder wollenoffen halten, ob die bildungspolitischenZiele besser in einem „reformierten geglie-derten Schulwesen“, in Form einer „koope-rativen Gesamtschule“ - also drei getrenn-ten Oberschulzweigen unter einem Dach -oder in der „integrierten Gesamtschule“verwirklicht werden können, wie sie dieSPD-Länder bevorzugen, die das längeregemeinsame Lernen in den Vordergrundstellen.

Aber auch in Berlin, wo bis heute fast einDrittel der Schülerinnen und Schüler die in-

Jahre zuvor erhofft hatten. Für Kledzikdennoch auch ein Erfolg: Nun werde es„nicht mehr möglich sein, Eltern durch denHinweis darauf zu verunsichern, dass dieAbschlusszeugnisse der Gesamtschulenicht anerkannt seien, wie es zum Ende je-des Schuljahres seit einigen Jahren presse-wirksam behauptet wurde“.

Mitte der achtziger Jahre ist die Gesamt-schule ein fester Bestandteil im BerlinerSchulwesen geworden, im Nebeneinanderder Systeme, gefördert auch von einerchristdemokratischen Schulsenatorin Han-na-Renate Laurien. Die öffentliche Debattein der Stadt dreht sich allerdings mehr umdie Architektur der Mittelstufenzentrenund die Asbestbelastung in den Betonklöt-zen. Die Erfolge der Gesamtschulen tretendahinter zurück. Ulrich Kledzik schreibt1985: „Es bleibt das Faktum: Die Gesamt-schule führt in Berlin mehr Schüler als ausder Grundschulempfehlung ableitbar zuhöheren Abschlüssen, etwas mehr als 50Prozent mit Hauptschulempfehlung zumRealschulabschluss oder zur Übergangsbe-rechtigung auf die gymnasiale Oberstufe;rund 30 Prozent mit Realschulempfehlungzum Versetzungszeugnis in die gymnasia-le Oberstufe; sie hält damit Schullaufbah-nen länger offen und erhöht ganz allge-mein die Chancen der Gesamtschüler.“

Damit hatte die Berliner Gesamtschulezwar ihre wichtigsten Ziele und auch diehöchsten Schülerzahlen in der Bundesre-publik erreicht, diskutiert aber wurde inder Stadt über die Sanierung der Gebäude.

. Ulrich Horb ❏

tegrierte Gesamtschule besucht und die so-zialdemokratisch geführten Senate ihreVorliebe für die Gesamtschule nicht ver-stecken, bleibt die Auseinandersetzung be-stehen. Ulrich Kledzik schreibt Mitte dersiebziger Jahre: „In diesem Entwicklungs-stadium wird deshalb nur ein behutsamer,die Risiken kalkulierender Mittelweg ge-gangen werden können, der auch berück-sichtigt, dass die Innovationsbereitschaftnicht beliebig ausgeweitet werden kann.Reformbewegungen dieses Ausmaßes be-dürfen breiter Unterstützung der Lehrer-schaft aller Laufbahnen.“

1982 wird die zehnjährige Erprobungs-phase der Gesamtschule beendet, die Kul-tusminister beschließen die gegenseitigeAnerkennung der Abschlüsse an integrier-ten Gesamtschulen. In Berlin betrifft dasinzwischen immerhin 28.000 Schülerin-nen und Schüler und 2500 Lehrerinnenund Lehrer an 29 Gesamtschulen. Damitwird die Gesamtschule als Schulform ne-ben dem gegliederten Schulsystem offiziellakzeptiert, sie ersetzt das System nicht, wiees viele der Gesamtschulanhänger zehn

Erfahrung und Ermutigung Professor Ulrich-Johannes Kledzik und die sozialdemokratische Bildungspolitik (Teil 4)

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Mittelstufenzentrum Emser Straße in Wilmersdorf Anfang der achtziger Jahre: Gesamtschule mitRaumschiffathmosphäre. 1989 musste die Schule das Gebäude verlassen 1992 begann dieAsbestentsorgung in dem 1973 gebauten Schulhaus, das 1994 endgültig unter strengen Sicher-heitsvorkehrungen abgerissen wurde. 2002 wurde ein neues Schulgebäude eingeweiht. Foto: Horb

Professor Ulrich-JohannesKledzik, Jahrgang 1927, arbei-tete in Berlin als Lehrer undSchulleiter, von 1963 bis 1990war er als Oberschulrat undAbteilungsleiter in derSenatsverwaltung fürSchulwesen u.a. für dieBerliner Gesamtschulen

zuständig. Lange Jahre hat er sozialdemokrati-sche Bildungspolitik in Berlin mitgestaltet.

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Seite 10 - Berliner Stimme Bildungspolitik 15. März 2008

Veränderungen der Schulstrukturen,wie sie mit der Einführung der Gesamt-schule gelangen, machten nur einenTeil der bildungspolitischen Debatteaus. Neue Fächer, neue Unterrichtsme-thoden hielten Einzug.

Das seit 1945 in Berlin eingeführte Unter-richtsfach Englisch an Volksschulen wirdauch nach der Schulgesetznovelle von 1951im Westteil der Stadt als gleichberechtigtesFach beibehalten. An der PolytechnischenOberschule (POS) der DDR wird Russisch 1.Fremdsprache. Dort wird die „sozialistischeSchule“ propagiert, im polytechnischenUnterricht sollen in allen Fächern theore-tisch-durchdringendes und praktisch-um-gestaltendes Tun miteinander verbundenwerden.

Ulrich Kledzik arbeitet im Westteil Ber-lins am Bildungsplan für die OberschulePraktischen Zweiges mit. Dessen Festle-gungen kennzeichnen seit 1957 das Pflicht-fach Englisch an diesem Schultyp. Kledzik:„Die Pflege der Umgangssprache, das Zu-rechtfinden in Sprechsituationen des tägli-chen Lebens können jedem Schüler zuge-mutet werden, wenn der Unterricht vomHören zum Verstehen, vom Sprechen zumDarstellen, vom Lesen zum Schreiben alsdirekte Methode angelegt wird.“ Der Verle-ger Franz Cornelsen sicherte durch neueUnterrichtsmaterialien die bildungspoliti-schen Zielsetzungen einer Fremdsprachefür jeden in Berlin; das British Council unddas Amerika-Haus unterstützten die Leh-rerfortbildung. „Kontroverse Vorschläge, et-wa den Fremdsprachenunterricht zugun-sten der Fächer Deutsch und Mathematikwieder aufzugeben, konnten sich nichtdurchsetzen. Seit über einem halben Jahr-hundert lernt nun jeder Berliner Schüler ei-ne Fremdsprache, zumeist Englisch, aber inEuropa-Schulen auch weitere, durch die In-ternationalisierung unseres Lebens längstbestätigt“, sagt Ulrich Kledzik.

Ende der fünfziger Jahre gibt es an denDDR-Schulen ein neues Fach: Einführungin die sozialistische Produktion (ESP). Er-gänzt wird die Theorie durch tageweiseMitarbeit in einem Betrieb, bis 1970 gibt esdazu den Unterrichtstag in der sozialisti-schen Produktion (UTP). Qualifizierte Ar-beitskräfte sollen frühzeitig erkannt wer-den.

In der Bundesrepublik empfahl derDeutsche Ausschuss für das Bildungs- undErziehungswesen 1964 praktisches Han-deln im Lernprozess zu berücksichtigen.Die Grundzüge von Arbeit, Produktion undDienstleistung sollen in der Schule ange-

Lehrerbildung. Bis heute ist der Komplexein interessantes Reformfeld - mit Aus-nahme der Gymnasien - geblieben, wennauch unter verschiedenen Fachbezeich-nungen.“

Als im Westteil Berlins für die neuen Ge-samtschulen auch neue Gebäude entste-hen, nutzt Ulrich Kledzik die Gelegenheit.In den Bildungszentren setzt Berlin ein Bei-spiel für Ausstattung, Labors und Technik,um die Projekte der Arbeitslehre, begleitetvom Fachmoderator im damaligenPädagogischen Zentrum und den Lehrer-bildnern an PH und TU, für eine stark moti-vierte Schülerschaft pädagogisch qualifi-ziert zu halten.

Kledzik leitete die Kommission LernfeldArbeitslehre der Kultusministerkonferenzzwischen 1984 und 1987, konnte jedoch mitdem Land Berlin gegen das Votum von Bay-ern und Baden-Württemberg keinen Emp-fehlungsbeschluss für alle Bundesländererreichen. „Der Impuls blieb nicht ohneRückschläge“, sagt Kledzik. 1991 strich derdamalige Schulsenator Kleemann das FachTechnik in der 5. und 6. Klasse der Grund-schule, seit einem Jahr sind die Unter-richtsstunden des Faches Arbeitslehre imPflichtunterricht der Berliner Gesamtschu-len mit Ausnahme von einer Wochenstun-de in der 9. Klasse gestrichen worden, umdas Fach Ethik als verbindliches Fach in derStundentafel platzieren zu können; auchder Wahlpflichtunterricht vermindert sich.Kledzik: „Die rollende Reform der Inhalteund Kompetenzziele von Schule rollt also -auch sehr strittig - weiter!“ BS ❏

sprochen werden, Schule und Leben sichannähern. „Die Bildungspläne“, so UlrichKledzik, „sollen sozusagen als rollende Re-form ständig erneuert werden, um die tra-ditionelle Buchschule einzuschränken undzeitnahe Inhalte nicht zu kurz kommen zulassen. Unter der neuen FachbezeichnungArbeitslehre könnten Grundwissen undEinsichten in Wirtschaft, Technik, Haushaltund Berufe in der Schule vor der dann ver-ständigeren ersten Berufsentscheidungangesprochen werden, Inhalte also der unsumgebenden Wirklichkeit, die sich demZugriff der traditionellen Einzelfächer un-serer Schulen häufig entziehen.“ Noch heu-te hat Ulrich Kledzik ein Büro an der TU,seit 1980 lehrt er hier als Professor die Di-daktik der Arbeitslehre.

„Die Reformanregung aktivierte Schul-pädagogen, Wirtschaftsvertreter, Arbeit-nehmerverbände, die Berufsberatung derdamaligen Bundesanstalt und natürlichdie Wissenschaften in allen Bundeslän-dern“, sagt Kledzik. „Eine breite Debattesetzte ein über Zielsetzungen, Fach oderPrinzip, Öffnung der Schulen zur Arbeits-welt, Betriebspraktika, Ausstattung,

Erfahrung und Ermutigung Professor Ulrich-Johannes Kledzik und die sozialdemokratische Bildungspolitik (Teil 5)

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„Wählt Arbeitslehre“: Schülerwerbung für das neue Fach. Foto: Helga Schuhe

Professor Ulrich-JohannesKledzik, Jahrgang 1927, arbei-tete in Berlin als Lehrer undSchulleiter, von 1963 bis 1990war er als Oberschulrat undAbteilungsleiter in derSenatsverwaltung fürSchulwesen u.a. für die

Berliner Gesamtschulen zuständig. LangeJahre hat er sozialdemokratischeBildungspolitik in Berlin mitgestaltet.

Page 7: sozialdemokratische den Ausgaben 1- 6 / 2008 Berliner … · rekt an den Sperranlagen gelegene Ernst-Reuter-Schule einen dramatischen Ein-schnitt. Schüler und Lehrer aus dem Ostteil

Seite 12 - Berliner stimme Bildungspolitik 5. April 2008

Die in Berlin entwickelten Schul- undStrukturreformen finden in den siebzi-ger und achtziger Jahren zunehmendauch international Beachtung und An-erkennung.

Ulrich Kledzik, seit 1980 Honorarprofes-sor für Didaktik der Arbeitslehre an der TUBerlin, nahm 1985 einen Ruf an die Univer-sität London wahr, wurde dort Fellow undbrachte Erfahrungen in das britische Vor-haben ein, das sich Technisch-Berufliche -Erziehungs Initiative/TVEI nannte undvon der konservativen Regierung mit 40Millionen Pfund angesetzt worden war,den Zielen der Arbeitslehre sehr nahe. Erkooperierte dabei eng auch als BerlinerSchulaufsichtsvertreter mit der königli-chen Schulinspektion HMI. 1998 ernannteihn die Queen ehrenhalber zum Officer ofthe British Empire/OBE.

2003 stellte das Pädagogische For-schungsinstitut Peking fest, Arbeitslehre(als Begriff übernommen) gehöre zu denzentralen Reformmomenten der chinesi-schen Schule. Kledzik: „Berliner Lehrer bil-den dort aus - der Kontinent mit großer Zu-kunft setzt internationale Prioritäten.“

An die Zeit der Reformen erinnert sichUlrich Kledzik gerne: „Eine große BerlinerTageszeitung notierte einmal, dass es wieein ferner pädagogisch-revolutionärerSchein aufleuchte, wenn man an die Re-formjahre der Berliner Schule etwa zwi-schen den 50 er und 80 er Jahren denkt.Und in der Tat es war Aufbruch und Auf-bau, es gab strittige Debatten um Ziele,aber auch Begegnungen zwischen denSchulformen z.B. beim Aufbau der gymn-asialen Oberstufen und fördernde kollegia-le Solidarität über weltanschauliche Diffe-renzen hinweg in den Zeiten von Evers,Gerd Löffler (SPD, 63 -75), Rasch (FDP, 75-81),Frau Laurien (CDU, 81-89). Die Reform-schritte wurden in der Fachliteratur zurDiskussion gestellt, einwerbende Positio-nen konnten sachlich postuliert werden.“So veröffentlichte Kledzik, den bildungspo-litischen und schulpädagogischen Ansät-zen folgend, Sammelbände wie: Entwurfeiner Hauptschule (1967), Unterrichtspla-nung (1971), Arbeitslehre als Fach (1972), Ge-samtschule auf dem Weg zur Regelschule(1974), Lernfeld Arbeitslehre (1988), LondonLetter (1985) und dokumentierte 2000 dieBerliner Gesamtschule ‘68 bis ‘88.

Die Dichte der Reformbewegung kannschulgeschichtlich abgelesen werden: An-satz für eine Volksschuloberstufe; die Prak-tizierung einer zeitgemäßen Didaktik; dieNeufassung von Inhalten incl. der Ver-

Erachtens kann man sich dabei noch im-mer auf Reformträger in Hochschulen undLehrerbildung stützen.“ Es gelte, sich nunendlich den internationalen Entwicklun-gen und Empfehlungen zu öffnen; Ideolo-gien auszuweichen und den eigenen Ziel-aussagen folgend, unter welchem Leitbe-griff auch immer, die erforderlichen Res-sourcen zu beschließen, fordert Kledzik.„Für Berlin bin ich dabei ohne Zweifel , dassdazu auf den seit einer Generation arbei-tenden Gesamtschulen aufgebaut werdenkann und auch auf die Kooperationsbereit-schaft der übrigen Schularten.“

Die Herausforderung unserer Zeit gelteunverändert sowohl den Eliten wie denMassen, meint der leidenschaftlichePädagoge. „Tony Blairs Signal Education be-steht fort.“

Über 30 Jahre hat Ulrich Johannes Kled-zik die bildungspolitischen Weichenstel-lungen in der Stadt vorangetrieben. Zum80. Geburtstag dankte ihm Klaus Wowe-reit, einstiger Stadtrat für Volksbildung inTempelhof, in einem persönlichen Schrei-ben für das außerordentliche Engagement.Und dass das Seminar zur Didaktik der Ar-beitslehre an der TU heute nach ihm „Kled-zik-Seminar“ heißt, ist auch ein besondererAusdruck der Wertschätzung.

Die Begeisterung, mit der er nach demKrieg die Arbeit als Lehrer aufgenommenund später als Oberschulrat fortgeführthat, wünscht er allen Lehrergenerationen.Kledzik: „Erinnerung verdrängt nicht dieHoffnung, Pessimismus nicht den Optimis-mus, das Allerwichtigste in dieser Professi-on.“ BS ❏

pflichtung zu einer Fremdsprache für alle;die Entwicklung des neuen Faches Arbeits-lehre, der Informatik, die Öffnung der Schu-le gegenüber der Gesellschaft, der Arbeits-und Berufswelt; die Einführung des 10.Pflichtschuljahres 1978; die beginnendeÜberwindung ausgrenzender Schulstruk-turen durch die Gesamtschule; die Neufas-sung von Abschlüssen und der gymnasia-len Oberstufe - gültig gleichermaßen anGesamtschulen und Gymnasien -, die Inte-grationen von Begabung, Talenten, Behin-derungen sowie die großen Bemühungenum die Förderung der Zuwanderer.

Ulrich Kledzik: „Erfahrungen, die zur Er-mutigung in dem niemals abgeschlosse-nen schulpädagogischen Prozess Anlassgeben, doch eine Erfahrung dominiert alleanderen: Die großen Ziele Chancengleich-heit und Abbau der Abhängigkeit von so-zialer Herkunft werden nur erreicht wer-den können, wenn es zu einer gemeinsa-men Kraftanstrengung von Eltern, Lehrer-schaft und Bildungspolitikern aller Partei-en kommt, wenn in der KMK nicht nur for-male Erfüllungen, sondern auch strukturel-le Bedingungen beraten würden - meines

Erfahrung und Ermutigung Professor Ulrich-Johannes Kledzik und die sozialdemokratische Bildungspolitik (Teil 6)

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Gesamtschulmensa in den achtziger Jahren: Die Forderung nach einer Schule, die Spaß und Freude amLernen vermittelt, bleibt aktuell . Foto: Archiv Kledzik

Professor Ulrich-JohannesKledzik, Jahrgang 1927, arbei-tete in Berlin als Lehrer undSchulleiter, von 1963 bis 1990war er als Oberschulrat undAbteilungsleiter in derSenatsverwaltung fürSchulwesen u.a. für die

Berliner Gesamtschulen zuständig. LangeJahre hat er sozialdemokratischeBildungspolitik in Berlin mitgestaltet.