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SPACE THINKS? Soziologische Raumkonzepte. Sergej Stoetzer Vortrag Berlin 18.April 2008 Space Thinks – mit diesem Titel wird einerseits auf die Möglichkeiten hingewiesen, Raum als mehr zu begreifen als ein Hintergrundbild, vor dem gesellschaftliche Entwicklungen stattfinden und diesem Begriff eine eigene Dynamik zuzugestehen, andererseits auf die phonetische Ähnlichkeit mit einem zentralen Konzept der relationalen Raumtheorie, dem spacing. Indem Raum durch die Menschen in ihrem täglichen Handeln immer wieder neu konstituiert wird, bleibt er nicht länger Hintergrund sondern wird integraler Bestandteil der gesellschaftlichen Prozesse. In diesem Text geht es um eine knappe Darstellung des Wegs zu einer soziologischen Auseinandersetzung mit Raum, um dann ausführlicher auf die Konzepte von Pierre Bourdieu und Martina Löw einzugehen und deren praktische Anwendung zu diskutieren. Hier schließt sich die Frage der „Planbarkeit“ an, also die Frage, wie sich Räume entwerfen lassen und inwiefern Umdefinitionen und Neuausrichtungen im (durchgeplanten) öffentlichen städtischen Raum und privatem Wohnbereich konzeptionell mit gedacht werden können. In Anwendungsbeispielen werden Methoden zur Analyse raumbezogenen Handelns kurz vorgestellt, die aus verschiedenen Disziplinen (Kunst, Psychologie, Informatik, Soziologie) einen je eigenen Blick auf die raumkonstituierenden Phänomene ermöglichen. Pluralistischen Konzepten von Räumen gingen normative Vorstellungen von Raum als Einheit voraus, die ihren Ursprung in der Antike, z.B. in der aristotelischen Vorstellung eines endlichen, durch Fixsterne begrenzen Raumes hatten - von Albert Einstein mit der Kurzformel „Container“, Behälterraum, bezeichnet. Isaac Newton erweiterte (im 17. Jh.) diese Vorstellung: Raum wird als eine von der Körperwelt selbständige Realität konzipiert, die unendlich in ihrer Ausdehnung ist, innerhalb dieses absoluten Raumes jedoch relative Verortungen zulässt. Charakteristisch für die absolutistische Raumvorstellung ist demnach die Annahme einer Dualität von Materie und dreidimensionalem (unendlichem) Raum, für den die euklidische Geometrie gilt. Als gesellschaftliche Transformation einer ursprünglich physikalisch-philosophischen Vorstellung findet sich eine verkürzte Variante (endlicher Raum) in alltäglichen Vorstellungen als Behälterraum, in dem sich soziale Prozesse ereignen, wieder (Löw 2001, S.

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SPACE THINKS? Soziologische Raumkonzepte.Sergej Stoetzer

Vortrag Berlin 18.April 2008

Space Thinks – mit diesem Titel wird einerseits auf die Möglichkeiten hingewiesen, Raum als

mehr zu begreifen als ein Hintergrundbild, vor dem gesellschaftliche Entwicklungen

stattfinden und diesem Begriff eine eigene Dynamik zuzugestehen, andererseits auf die

phonetische Ähnlichkeit mit einem zentralen Konzept der relationalen Raumtheorie, dem

spacing. Indem Raum durch die Menschen in ihrem täglichen Handeln immer wieder neu

konstituiert wird, bleibt er nicht länger Hintergrund sondern wird integraler Bestandteil der

gesellschaftlichen Prozesse. In diesem Text geht es um eine knappe Darstellung des Wegs zu

einer soziologischen Auseinandersetzung mit Raum, um dann ausführlicher auf die Konzepte

von Pierre Bourdieu und Martina Löw einzugehen und deren praktische Anwendung zu

diskutieren. Hier schließt sich die Frage der „Planbarkeit“ an, also die Frage, wie sich Räume

entwerfen lassen und inwiefern Umdefinitionen und Neuausrichtungen im (durchgeplanten)

öffentlichen städtischen Raum und privatem Wohnbereich konzeptionell mit gedacht werden

können. In Anwendungsbeispielen werden Methoden zur Analyse raumbezogenen Handelns

kurz vorgestellt, die aus verschiedenen Disziplinen (Kunst, Psychologie, Informatik,

Soziologie) einen je eigenen Blick auf die raumkonstituierenden Phänomene ermöglichen.

Pluralistischen Konzepten von Räumen gingen normative Vorstellungen von Raum als Einheit

voraus, die ihren Ursprung in der Antike, z.B. in der aristotelischen Vorstellung eines

endlichen, durch Fixsterne begrenzen Raumes hatten - von Albert Einstein mit der Kurzformel

„Container“, Behälterraum, bezeichnet.

Isaac Newton erweiterte (im 17. Jh.) diese Vorstellung: Raum wird als eine von der

Körperwelt selbständige Realität konzipiert, die unendlich in ihrer Ausdehnung ist, innerhalb

dieses absoluten Raumes jedoch relative Verortungen zulässt.

Charakteristisch für die absolutistische Raumvorstellung ist demnach die Annahme einer

Dualität von Materie und dreidimensionalem (unendlichem) Raum, für den die euklidische

Geometrie gilt.

Als gesellschaftliche Transformation einer ursprünglich physikalisch-philosophischen

Vorstellung findet sich eine verkürzte Variante (endlicher Raum) in alltäglichen

Vorstellungen als Behälterraum, in dem sich soziale Prozesse ereignen, wieder (Löw 2001, S.

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27). Entwürfe in der Stadtplanung und Architektur, die an den künftigen „Nutzen“ der

gebauten Umwelt und gestalteten Räume vorbeigehen, sind u.a. auf diese Tradition

zurückzuführen.

Immer noch ist der absolutistische Raumbegriff in Alltagserfahrungen, aber auch in vielen wis-

senschaftlichen Diskursen vorherrschend, denn er hat eine lange Tradition in der westlich

geprägten Philosophie und damit auch in den sich in der Neuzeit etablierenden

Naturwissenschaften. Auch heute wird dieses Raumverständnis noch durch schulische Lern-

und Bildungsprozesse weiter tradiert, obwohl vermehrt Irritationen auftauchen:

Gesellschaftliche Transformationen aufgrund moderner Informations- und- Kommunikations-

Technologien und schnellere Transportmöglichkeiten werden mit Hilfe dieser normativ-

einheitlichen Vorstellung von Raum als Dematerialisierungs- und

Fragmentierungserscheinungen von Raum beschrieben: Der vermeintlich einheitliche Raum

zerfällt, und diese Auflösungserscheinung wird problematisiert.

(Stadt)Soziologische Arbeiten waren von diesem Raumverständnis lange Zeit geprägt und

haben „Raum“ in dieser Tradition entweder ortsbezogen (meist Raum = Ort) oder territorial

(Raum als Territorium verdinglicht) konzipiert und Raum als soziologischen Gegenstand

entsprechend abgelehnt.

Relativistischer Raumbegriff

Mit der Entdeckung der widerspruchsfreien, nicht-euklidischen Geometrie 1830 und ihrer

Vereinheitlichung durch den Mathematiker Bernhard Riemann werden nach fast

2000jähriger Dominanz des euklidischen Paradigmas verschiedene Strukturen von Raum

zunächst in der mathematischen Theorie möglich.

Die wenig später formulierten Relativitätstheorien von Albert Einstein sind in diesem

Kontext sicher hinreichend oft beschrieben worden - für die sozial-wissenschaftliche

Auseinandersetzung mit Raumphänomenen ist an diesem physikalischen Modell die

Abhängigkeit beobachtbarer Ereignisse in Bezug auf die relative Position eines

Beobachters wesentlich: Raum und Zeit können nicht mehr absolut definiert werden,

sondern sind abhängig vom Beobachter. Da der Dualismus von Raum und Materie bzw.

Körperwelt aufgehoben wurde, ergibt sich Raum somit aus den Lageverhältnissen der

Körper relativ zum Bezugssystem des Beobachters. Da diese (Lageverhältnisse) in steter

Bewegung sind, kann auch Raum nicht länger statisch gedacht werden.

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Dieser physikalisch-naturwissenschaftliche Raumbegriff hat die Konzeption von Raum in

den Sozialwissenschaften maßgeblich beeinflusst, denn viele soziale Prozesse lassen sich

mit einem theoretischen System, das „Bewegung“ (also Dynamik, Prozesse, Veränderungen)

als Normalfall integriert, leichter erklären.

Kennzeichnend für relativistische Raumkonzepte ist demnach die Konstitution von Raum aus

den Lagebeziehungen der Elemente untereinander - die Eigenschaften der angeordneten

Elemente aber, ihre Materialität, tritt in den Hintergrund.

Damit ist zunächst einmal die Absolutheit einer räumlichen Praxis aufgehoben – Räume

erscheinen in relativistischer Perspektive je nach „Standort“ des Beobachters sich anders zu

konstituieren. Der Fortschritt in der Loslösung eines normativen, universellen Standpunktes

wird jedoch durch die problematische Annahne wieder relativiert, Raum ergebe sich alleinig

aus den Lagebeziehungen der Elemente zu- und untereinander: Hier stellt sich die

(erkenntnistheoretische) Frage, ob Räume als materielle Figurationen auch jenseits der

Beobachtung existieren können. Für die Frage nach dem Zusammenhang von materiellen

Gegebenheiten, die sich je nach Ort unterscheiden und den durch Relationen gebildeten

Räumen hilft diese Konzeption nicht weiter, da sie weiterhin auf der Dualität von Raum und

Materie aufsitzt.

Radikal gegen ein starres Raumkonzept argumentiert auch der französische Soziologe Pierre

Bourdieu für eine soziologische Theorie des sozialen Raumes: Sie müsse mit mehreren

„etablierten“ Vorannahmen brechen: mit der Privilegierung der Substanzen (Gruppen)

zugunsten der Relationen; mit der Verkürzung sozialer Sachverhalte auf ökonomische

Produktionsverhältnisse und auch mit dem Objektivismus, der die symbolischen

Auseinandersetzungen um Rangfolge und (Selbst)Repräsentation nicht berücksichtigt.

Bourdieu erweitert die relativistische Perspektive der Raumkonstitution, indem er die

Beziehungen zwischen Objekten und die Objekte selbst (also die materielle Erscheinung) als

gleichwertig ansieht.

Hierin besteht ein großer theoretischer Forschritt in der Konzeption von Raum, aber auch im

Hinblick auf eine Forschungslogik an sich: Bourdieu führt beide Perspektiven, die Analyse

der Beziehungsgefüge und die Bestimmung der Objekte, als gleichberechtigt und notwendig

in die soziologische Forschung ein – über den Begriff des „Feldes“:

„Ich muß mich vergewissern, ob nicht das Objekt, das ich mir vorgenommen habe, in ein

Netz aus Relationen eingebunden ist und ob es seine Eigenschaften nicht zu wesentlichen

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Teilen diesem Relationennetz verdankt. Der Feldbegriff erinnert und an die erste Regel der

Methode, dass nämlich jene erste Neigung, die soziale Welt realistisch zu denken oder

substantialistisch (…) mit allen Mitteln zu bekämpfen ist: Man muss relational denken“ (zit.

n. Löw 2001, S 157).

Sozialen Raum beschreibt er mehrdimensional als eine Abstraktion, die nur über ihre

Wirkungen auf und Lokalisierungseffekte von Akteuren im (angeeigneten) physischen Raum

erschließbar ist. Die einzelnen Dimensionen bezeichnet er auch als Felder, in denen je

spezifische Machtverhältnisse wirksam sind: Soziologie arbeitet in diesem Sinne

sozialtopologisch, sie analysiert die relative Lage der Akteure in diesen „Feldern“, um aus

diesen Lageverhältnissen eine Position im sozialen Raum für die jeweiligen Akteure angeben

zu können.

Die einzelnen Felder unterscheiden sich aufgrund der in ihnen wirksamen Machtmittel: Auf

der ökonomischen Dimension ist dies Kapital in objektivierter Form (materielles Eigentum),

inkorporiertes oder kulturelles Kapital (Wissen, Bildungszertifikate; Bücher, Gemälde, Kunst-

u. Kulturgegenstände) wird zur Distinktion im kulturellen Feld eingesetzt, beispielsweise, um

die eigene Position als Kunstkenner und -kritiker gegenüber anderen zu behaupten. Soziale

Beziehungen spielen im dritten Feld dagegen eine Rolle, wenn über soziale Netzwerke

Informationen bezogen werden können, Aktivitäten initiiert oder auch bereits die

Zugehörigkeit zu einem elitären Zirkel gewinnbringend (im Hinblick auf die eigene Position

in diesem Feld) ist - im Volksmund auch als Vitamin „B“ bekannt.

Zwischen diesen Feldern gibt es vielfältige Wechselwirkungen, ähnlich verschiedener

„Wechselkurse“: Mit dem Einsatz von ökonomischem Kapital kann die eigene Position (im

Bezug zu anderen Platzierungen) im kulturellen Feld erhöht werden (Erwerb von Wissen), das

wiederum ermöglicht vielleicht den Zugang zu bisher verschlossenen „Kreisen“, in denen ein

Mindestbesitz an kulturellem Kapital (z.B. best. Bildungszertifikate) Zugangsvoraussetzung

ist. Rückwirkungen auf das ökonomische Kapital und damit die eigene Position in diesem

Feld sind auch denkbar. Allerdings können diese Vermittlungen auch scheitern: Entwertung

von Bildungszertifikaten und damit ein „Kursverfall“ dieses spezifischen kulturellen Wissens,

„Fehlinvestitionen“ im sozialen Feld etc.

Die soziale Stellung eines Akteurs lässt sich im mehrdimensionalen sozialen Raum demnach

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unter Anwendung eines „mehrdimensionalen Systems von Koordinaten“ (Bourdieu 1991, S.

11) bestimmen, deren Werte der Position innerhalb der einzelnen Felder entsprechen. Mit

dieser Stellung im sozialen Raum gehen entsprechend der relativen Lage in den einzelnen

Feldern Verfügungen über die verschiedenen Kapitalvolumina einher, die die individuellen

Handlungsspielräume vorstrukturieren und limitieren. Damit liefert Bourdieu eine

Möglichkeit, die Verortungen einzelner Akteure im (sozialen) Raum konkret empirisch zu

bestimmen und über Ähnlichkeiten in diesen Platzierungen auch Klassifikationen

vorzunehmen.

Die Verortung im sozialen Raum arbeitet somit auch mit Distanzen zwischen diesen

theoretisch konstruierten Gruppen („wahrscheinliche[n] Klassen[n]“, Bourdieu 1991, S. 12),

die für den Fall eines sozialen Aufstiegs verringert werden müssen: Als Verdeutlichung bietet

Bourdieu die Analogie mit dem geographischen Raum an: Auch hier muss zur

Distanzüberwindung, d.h. zur Ortsveränderung, Arbeit, Mühe und Zeit investiert werden -

über den Körper. Mit dem Konzept des „Habitus“ verbindet Bourdieu den sozialen Raum, in

dem ein Akteur einen bestimmten Platz einnimmt (je nach Kapitalausstattung) mit dem

Erzeugungsprinzip dieser Praxis der Unterscheidung (vgl. zum Habituskonzept Krais/Gebauer

2002). Habitus ist somit einerseits klassenspezifisch determiniert, d.h. die soziale Herkunft

und Biographie sind für den Habitus wesentlich, in ihm „gerinnt“ Lebensgeschichte zu einem

verinnerlichten Klassifikationssystem zur sozialen Unterscheidung. Hier spielen auch

frühkindliche Erfahrungen eine Rolle, Sprache und Norm- und Wertevermittlung, aber auch

Architektur selbst prägt den Habitus über die Beschaffenheit der „Räume“/Zimmer oder den

Stil der Inneneinrichtung. Neben diesem Aspekt (Habitus als Werk, als opus operandum) hat

der Habitus noch eine weitere Dimension: als generatives Erzeugungsprinzip von

Praxisformen (Habitus als modus operandi, als Handlungsweise). Gemeint ist, dass

Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkschemata vorstrukturiert sind (durch die

Verinnerlichung der Klassifikationssysteme) und diese Struktur im Handeln (weitgehend)

reproduziert. Der Akteur greift in seinen Bewertungen und Handlungen somit auf

klassenspezifische Schemata zurück, geht jedoch in der jeweiligen Praxis auch über sie

hinaus. Der Habitus strukturiert somit Situationen vor und reproduziert gleichzeitig die

zugrunde liegende Struktur, ist jedoch nicht deterministisch. Das Konzept des Habitus erklärt

für Bourdieu die weitgehende Stabilität und Trägheit sozialer Kategorisierungen und einer

damit einhergehenden sozialen Ordnung.

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So versucht Bourdieu auch, die Stabilität und Trägheit des sozialen Raumes zu erklären: Die

eigene Position anhand der aktuellen Disposition über die verschiedenen Kapitalsorten in

Relation zu anderen ist auch ein Produkt vergangener symbolischer Auseinandersetzungen -

also prozesshaft und auch intergenerativ konzeptualisiert. Damit werden die objektiven

Kräfteverhältnisse (Kapitalverteilung in den Feldern und daraus resultierende Struktur des

Sozialraums) reproduziert - mit ihnen auch soziale Ungleichheit aufgrund unterschiedlicher

Verteilung der Kapitalarten in den einzelnen Feldern.

Die Möglichkeit der Überlagerung dieser Felder im sozialen Raum und die Rückwirkungen

auf den beobachtbaren physischen Raum erklärt die Konzentration von seltenen Gütern und

ihren Besitzern an prädestinierten Orten - sowie das Gegenteil dieser Elitären Orte, die

Ghettobildung.

Die Ähnlichkeit und Nähe im sozialen Raum geht also mit ähnlichen Vorstellungen,

kulturellem Hintergrund und Verhaltensweisen einher - kurz mit einem ähnlichen Habitus.

Diese relative - wenn man so will, „regionale“ - Homogenität im sozialen Raum bedeutet

nicht die prinzipielle Unvereinbarkeit sozial entfernter Positionierungen: Neben den

Clusterbildungen, die von der Struktur des von Kapitalverteilungen konstruierten Sozialraums

ausgehen, gibt es Gruppenbildungen aufgrund anders organisierter Teilungsprinzipien -

Bourdieu nennt ethnische und nationale, denen er aber nicht die gleiche Stabilität zuerkennt.

Bourdieu bietet über den sozialen Raum einen Zugang zu sozialer Wirklichkeit, der relativ

leicht für empirische Fragen und praktische Umsetzungen nutzbar ist: Ausgehend von

verschiedenen Feldern, in denen die jeweiligen Kapitalsorten wirksam sind, entsteht der

mehrdimensionale soziale Raum - die Lageverhältnisse und damit die Machtverhältnisse der

Akteure zueinander werden dabei über habituelle Dispositionen prozesshaft und auch

intergenerativ reproduziert. Kulturelles Kapital beispielsweise erhebt Bourdieu über

Geschmackspräferenzen, den Besitz an Kulturgütern und Bildungszertifikaten.

Sozialer Raum als abstrakte Vorstellung einer mehrdimensionalen Beziehungsstruktur arbeitet

dabei ähnlich der Konzeption geographischer Räume mit der Relation Nähe-Ferne.

Sie lässt sich auch im physischen Raum finden, den Bourdieu dem sozialen gegenüberstellt

und als angeeigneten physischen Raum präzisiert (erkenntnistheoretische Differenzierung).

Beide Räume fallen nicht zusammen - hierauf hat auch schon der in die USA emigrierte

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russische Soziologe Pitirim Alexandrowitsch Sorokin 1927 hingewiesen: Aus physischer

Nähe allein lassen sich keine Rückschlüsse auf soziale Nähe ziehen, was er am Beispiel des

Königs und seines Dieners exemplifiziert (vgl. Funken/Löw 2003, S. 84f.). Wichtig in dieser

Hinsicht ist der Hinweis Bourdieus, dass ein entsprechendes Kapital (Gesamtumfang &

Struktur) vorhanden sein muss, damit der Ort, an dem der Akteur sich platziert, auch

entsprechend den geltenden sozialen Normen angeeignet werden kann.

So besitzen Wohngebiete eine Durchschnittswahrscheinlichkeit der Aneigbarkeit der

verfügbaren (materiellen und kulturellen) Güter und Dienstleistungen - ihre faktische Nutzung

aber hängt von den jeweils zur Verfügung stehenden Machtmitteln (dem Potential in den

einzelnen Feldern) ab, so dass man „durchaus ein Wohngebietphysisch belegen [kann], ohne

wirklich und im strengen Sinne darin zu wohnen; wenn man nämlich nicht über die

stillschweigend geforderten Mittel dazu verfügt, angefangen mit einem bestimmten Habitus.“

(Bourdieu 1991, S. 31).

So könnten Familien auf die Idee kommen, das verfügbare Geld in ein idyllisches Reihenhaus

zu investieren, um den Kindern ein vermeintlich intaktes soziales Umfeld im Grünen zu

ermöglichen. Reichen die finanziellen Mittel dann aber nicht, um bspw. an kulturellen

Ereignissen (Konzertbesuche der jugendlichen Kinder) teilzunehmen oder einen bestimmten

Kleidungsstil zu pflegen, ist trotz großer Nähe im „physischen“ Raum die soziale Position

eine völlig andere.

Sozialer Raum in dieser Konzeption bleibt aber ein Abstraktum, wenn er mit dem

beobachtbaren, angeeigneten physischen Raum nicht in Bezug gebracht werden kann. Diesen

Bezug charakterisiert Bourdieu als einseitigen Prozess der Einschreibung:

„Der soziale Raum weist die Tendenz auf, sich mehr oder weniger strikt im physischen Raum

in Form einer bestimmten distributionellen Anordnung von Akteuren und Eigenschaften

niederzuschlagen.“ (Bourdieu 1991, S. 26)

Damit lassen sich über die Betrachtung der relationalen Verteilung von Menschen und der

Analyse ihrer physischen Umwelt sowie den Ort ihrer Platzierung, wichtige Rückschlüsse auf

die jeweilige Stellung im sozialen Raum ableiten. Insofern bietet Bourdieu eine über

zahlreiche Studien zu Habitus uns Lebensstil abgesicherte Operationalisierung an, Räume

soziologisch zu beschreiben und für einen empirischen Zugang nutzbar zu machen.

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Inwiefern die Konstitution von Räumen habituellen Präferenzen, also Lebensstil- und

Geschmacksfragen im Zusammenhang mit sozialem Status und Klassenzugehörigkeit folt,

kann man gut an einer Untersuchung zu privaten Räumen erkennen – sie haben gegenüber

öffentlichen Räumen für den einzelnen Akteur eher Modifikationspotentiale.

Anwendung: Analyse privater Raumkonstitutionen mit dem Bourdieuschem

Lebensstilkonzept

Ulf Wuggenig (1994) untersuchte mit Hilfe von Photos der eigenen Wohnung, die die

Befragten selbst erstellten (4 Photos vom Wohnzimmer mit jeweils pos./neg. Besetzung des

Abzubildenden, dann weitere Räume), den Zusammenhang von Lebensstil, Habitus und der

(Aus)Wahl der Objekte, da insbesondere das häusliche Interieur als Distinktionsmerkmal

eingesetzt wird - über die Analyse der Gestaltung des privaten Raums werden somit

Rückschlüsse auf die Position im sozialen Raum getroffen. Wuggenig belässt es bei seiner

Analyse mit der Rekonstruktion der Bedeutungszuschreibungen zu materiellen Dingen

(semantische Distanzen) in Anhängigkeit vom gesellschaftlichen Status des Befragten, ohne

die Relationen der Objekte im Sinne von räumlichen Distanzen zueinander zu

berücksichtigen. Über diesen Zugang lassen sich unterschiedliche Relevanzen der Objekte

für die Konstitution des privaten Raumes erkennen:

Mit Hilfe einer Korrespondenzanalyse, in die die auf den Photos identifizierten Objekte (37

Objektkategorien, diese wiederum zugeordnet zu Kategorien Mobiliar, (objektiviertes)

Kulturelles Kapital, Räume/Raumteile und Andere Objekte) und Klassenfraktion (über Beruf

operationalisiert) sowie Bildungszertifikate eingingen, konnte Wuggenig zeigen, dass für die

akademisch-intellektuelle Elite Bücher, Schreibtische und Skulpturen wichtiger Bestandteil

des häuslichen Raums sind, während Repräsentanten des „neuen Kleinbürgertums“ sowie

Menschen mit mittlerer Bildung Poster, Photos, Musikinstrumente oder akustische Medien

abbildeten. In den unteren Berufsklassen und bei niedrigem Bildungsniveau sind fast keine

kulturellen Objekte mehr relevant, sondern profane Gegenstände funktionalen Charakters,

die die Konstitution von privaten Räumen bestimmen.

Betrachtet man den gleichen Sachverhalt unter der Frage sozialer Mobilität (Bildungskapital

des Vaters als Bezugspunkt) und positiv bewerteten abgebildeten Objekten ergibt sich ein

interessanter kurvilinearer Zusammenhang: Lediglich Bildungsaufsteiger (mobile) schreiben

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kulturellen Objekten verstärkt positive Bedeutungen zu - sie dienen der Selbstrepräsentation

im Rahmen der Konstitution privater Räume. Repräsentanten des oberen Endes der

Bildungshierarchie verfügen zwar ebenfalls über entsprechende Kulturgüter, schreiben

diesen aber selten explizit positive Eigenschaften zu - zu selbstverständlich ist in dem

Bewusstsein die Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum, als dass kulturelle und ästhetische

Zeichen hierfür noch in Anspruch genommen werden müssten. Am unteren Ende der

Bildungshierarchie werden ebenfalls kaum mit kulturellem Kapital assoziierte Objekte

abgebildet, sie haben ebenfalls kaum eine Bedeutung für die subjektive Raumproduktion -

allerdings auch, weil sie faktisch fehlen.

An der Studie von Wuggenig lässt sich zeigen, dass Objekte der häuslichen Welt, also des

privaten Raumes, sehr unterschiedlich in die Raumvorstellungen (Selbstrepräsentation)

eingehen - je nach Mobilität und sozialem Status. Die von ihm vorgelegte Untersuchung

orientiert sich eher an den Bourdieuschen Vorstellungen von Raum (ohne auf diese explizit

Bezug zu nehmen). Durch die engen Vorgaben an die Befragten und die standardisierte

Analyse werden aber wichtige subjektive Relevanzsetzungen der beteiligten Akteure nicht

erfasst. Auch wird nicht systematisch berücksichtigt, aus welchem Ensemble von Gütern die

Ausschnitte von den Befragten gewählt wurden - was ausgeschlossen wurde, entzieht sich

der Analyse.

Auch theorieimmanente Gründe verstellen eine wesentliche Komponente der Konstitution von

Räumen: Da Bourdieu zwischen einem abstrakten sozialen Raum und dem physischen Raum

trennt, in den Einschreibungen erfolgen, verwendet er zwei konzeptionell verschiedene

Raumlogiken: Der relationale Sozialraum wird dem territorial gedachten physischen Raum,

der als Container konzipiert wird, entgegengesetzt, Veränderungen des ersten wirken sich aus

als Umverteilung einer relationalen Ordnung im Container physischer Raum oder als

Modifikation der Objekte - von dort aus müssen Rückschlüsse auf eben diese ursächlichen

Veränderungen (die zugrunde liegenden soziologischen Prozesse) gezogen werden.

Die Einschreibung in materielle Strukturen wird zur Erklärung der Trägheit der Platzierungen

genutzt - ohne die Möglichkeit, Wechselwirkungen zu analysieren: In Bourdieus Modell

gehen alle Veränderungen von der Modifikation des sozialen Raumes aus.

Rahmenbedingungen der Einschreibung, wie die vorgefundene Ordnung der Dinge und ihre

Eigenschaften, die ja ihrerseits Produkte vergangener Einschreibungsprozesse sind, werden

als nicht relevant für die aktuellen Platzierungen aus der Analyse ausgeschlossen. Materie hat

somit keinen Einfluss auf soziale Prozesse.

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Relationaler Raumbegriff

Martina Löw schlägt einen Raumbegriff vor, der empirisch schwerer umsetzbar ist, dafür aber

weder eine räumliche Trennung von sozialem, physikalischem oder geographischem Raum

vornimmt, noch die „Außenwirkung“ der materiellen Umwelt als Sedimente vergangener

Handlungen passiv werden lässt.

Sie bezeichnet ihren Raumbegriff als relational und unterscheidet zwei raumkonstituierende

Prozesse: Einerseits „das Plazieren von sozialen Gütern und Menschen bzw. Positionieren

primär symbolischer Markierungen, um Ensembles von Gütern und Menschen als solche

kenntlich zu machen“ (Löw2001, S. 158). Diesen Prozess bezeichnet sie als Spacing.

Andererseits bedarf es bei der Konstitution von Raum einer Syntheseleistung: Menschen und

Güter werden zu Räumen über Prozesse der Wahrnehmung, Vorstellung und Erinnerung

zusammengefasst. Beides erfolgt jedoch keineswegs beliebig, sondern unter vorstrukturierten

Bedingungen.

Weitere Aspekte dieses Raumbegriffs sind:

- Konstitution von Raum in der Wechselwirkung von Struktur(en) und Handlung

- Reproduktion gesellschaftlicher und räumlicher Strukturen im repetitiven Alltag

- Regelmäßigkeit und Abweichung

- Außenwirkung der sozialen Güter und Menschen: Atmosphären

- praktisches Bewusstsein - reflexive Kontexte

- Abhängigkeiten der raumkonstituierenden Prozesse

- Ort und Raumkonstitution

- (erkenntnistheoretische bzw. methodologische Konsequenzen)

Räume entstehen durch die (An)Ordnung von Körpern - Lebewesen und sozialen Gütern -,

die Produkte gegenwärtigen und vergangenen (symbolischen und materiellen) Handelns sind.

„Raum ist eine relationale (An)Ordnung sozialer Güter und Menschen (Lebewesen) an

Orten“ (Löw 2001, S. 224)

Der Begriff der (An)Ordnung verweist dabei auf den Prozess des Platzierens, also die

Handlungsdimension sowie auf eine strukturelle Dimension - die in einem wechselseitigen

Bezug zueinander stehen (Rückwirkung von Materie auf Handlungen, die Bourdieu

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vernachlässigte) und als Dualität von Struktur und Handeln eben jene räumlichen Strukturen

reproduziert:

Spacing und Syntheseleistung erfolgen unter vorstrukturierten Bedingungen in einem

Abhängigkeitsverhältnis mit den Bedingungen der Handlungssituation: Gesellschaftliche

Raumvorstellungen, klassen-, geschlechts- und kulturspezifischer Habitus beeinflussen diese

Prozesse, die überdies vom Ort der Syntheseleistung und der Außenwirkung der

vorgefundenen sozialen Güter und Menschen abhängen. Darüber hinaus kann nur das platziert

werden, was in einer Handlungssituation zur Verfügung steht - d.h. Spacingprozesse sind

Aushandlungsprozesse abhängig von Verfügungsmöglichkeiten über symbolische und

materielle Güter (und Lebewesen) vor Ort - sie finden keineswegs in einem Machtvakuum

statt (vgl. Löw 2001, S. 228).

Abb. 1: Modell Raumsoziologie © Sergej Stoetzer

Räumliche (An)Ordnungen strukturieren somit Handlungen und werden gleichzeitig durch sie

(re)produziert. Dies geschieht im Rückgriff auf Routinen im repetitiven Alltag. Martina Löw

greift zur Beschreibung der Raumkonstitution auf die von Anthony Giddens getroffene

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Unterscheidung von praktischem und diskursivem Bewusstsein zurück: Letzteres ermöglicht

die Verbalisierung der eigenen Handlungspraxis in der reflektierten Auseinandersetzung, z.B.

in Interviews, in denen Bewohner über ihr Kiez sprechen, über ihre Wahrnehmung der

eigenen Stadt oder die Einrichtung ihrer Wohnung. Je nach Habitus sind diese reflexiven

Auseinandersetzungen mit der eigenen räumlichen Praxis mehr oder weniger ausgeprägt. Um

eine solche Situation „herzustellen“, ist Zeit und Vertrautheit/Vertrauensvorschuss wesentlich,

visuelles Material kann hier hilfreich eingesetzt werden: Bewohner beschreiben ihr Viertel

z.B. anhand von Photos, die sie selbst erstellt haben oder kommentieren eine Auswahl an

Bildern/Zeitungsausschnitten etc.

Das praktische Bewusstsein umfasst das Wissen, das in alltäglichem Handeln zwar

aktualisiert wird, jedoch nicht direkt zugänglich ist.

Im repetitiven Alltag werden Räume in der Regel aus dem praktischen Bewusstsein heraus

konstituiert - Menschen unterhalten sich selten darüber, wie sie Räume schaffen. Auf

Nachfrage aber, d.h. in reflexiven Kontexten kann ein Teil des Wissens aus dem praktischen

Bewusstsein in das diskrusive überführt und so kommuniziert werden: Die Konstitution von

Raum wird dann in Worten fassbar.

Über regelmäßige alltägliche, nicht bewusst reflektierte Handlungen werden demnach Räume

konstituiert - d.h. bestimmte Platzierungen (Handlungen) und Syntheseleistungen werden

wiederholt - gesellschaftliche Strukturen werden über gewohnheitsmäßige Handlungen

reproduziert. Die entstehenden Räume strukturieren Handlungen wiederum vor

(Wahrnehmung einer verallgemeinerten AnOrdnung bspw.: genormte Syntheseleistung)

Diese Dualität von Raum wird als räumliche Struktur bezeichnet, wenn die Konstitution von

Raum unabhängig von Zeitpunkt und Ort über Regeln und Ressourcen erzeugt wird und in

Institutionen eingelagert ist. Strukturen sind somit in Institutionen verankert, also „auf Dauer

gestellte Regelmäßigkeiten sozialen Handelns.“ (soziale Gebilde organisatorische Form:

Behörden etc.; aber auch gesellschaftlich vorarrangierte Muster des Handelns; Löw 2001, S.

169).

Dabei bilden räumliche Strukturen zusammen mit juristischen, ökonomischen Strukturen und

den sie durchziehenden Strukturprinzipien Klasse und Geschlecht die Gesamtstruktur einer

Gesellschaft - das Räumliche wird also nicht vom Gesellschaftlichen abgegrenzt, sondern als

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ein Teil dessen begriffen.

Institutionalisierte Räume entstehen, wenn Spacing und Syntheseleistung über individuelles

Handeln hinweg bestehen bleiben und genormte Syntheseleistungen und Spacings nach sich

ziehen. So lassen sich z.B. schichtspezifische (An)Ordnungen von Möbeln in Wohnungen

finden - die Fächergruppe Designwissenschaft hat darauf hingewiesen, dass sich die

Arrangements der Wohnzimmer den Möbelkatalogen ähneln (vgl. Löw 2001, S. 169)- oder

auch die (An)Ordnung in einer Bibliothek stark standardisiert ist und bereits mit einem

rudimentären Wissen über die Platzierung der Gegenstände (Teileinblick in den

Versuchsraum) weitgehend fehlerfrei reproduziert werden kann, so das Ergebnis der

Untersuchung von Günther Kebeck und Mark May über die Stabilität von räumlichen

Vorstellungen ()

Abb. 2: Szene aus dem Film „Fightclub“ (1999; Copyright Foxmovies)

Die institutionalisierte (An)Ordnung, die im praktischen Bewusstsein als etwas

Selbstverständliches wahrgenommen wird, führt dazu, dass Raum gegenständlich (und meist

dreidimensional) wahrgenommen wird. Die Alltagsvorstellung von Raum als Container wird

so in ein relationales Raummodell integrierbar.

Änderungen von institutionalisierten Raumkonstitutionen sind aufgrund von

Fremdheitserfahrungen (Verfremdungseffekte!), Einsicht in die Notwendigkeit, körperlichem

Begehren oder Handlungsweisen anderer auf zwei Ebenen möglich: Sie können zu

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Abweichungen führen, die, wenn sie intentional gegen institutionalisierte (An)Ordnungen

gerichtet sind, auch als gegenkulturell bezeichnet werden und einmalige oder dauerhafte

gegenkulturelle Räume entstehen lassen. Sie können auch zu Veränderungen führen, wenn die

Abweichungen dauerhaft und nicht nur individuell erfolgen - Veränderungen

institutionalisierter Räume bis hin zu Strukturveränderungen werden somit möglich.

Orte sind Ziel der Platzierungsprozesse, die immer in Relation zu anderen Platzierungen

erfolgen - Menschen gehen in zweifacher Hinsicht in diese Raumkonstitution ein: Zum einen

können sie mit anderen Lebewesen oder sozialen Gütern zu Räumen zusammengefasst

werden, zum anderen sind sie selbst aktiv an Platzierungsprozessen beteiligt. Die

Anwesenheit eines (wissenschaftlichen) Beobachters verzerrt daher die am Ort erfolgenden

Raumkonstitutionen systematisch.

Neben dem Normalfall der aufeinander bezogenen Prozesse Spacing und Syntheseleistung

sind auch Syntheseleistungen ohne Spacings möglich, z.B. in wissenschaftlichen Arbeiten,

als Abstraktionsleistung - oder wenn kein realer Ort für Platzierungen zur Verfügung steht:

Im Entwurf von Häusern oder Wohnungen am Reißbrett oder virtuell mit Hilfe von CAD-

Software werden Vorstellungen von der Anordnung der raumbildenden Elemente visualisiert

- jedoch ohne einen konkreten Ort:

Die Platzierungen von Wänden, Fenstern, Einrichtungsgegenständen, der Einbezug der

Umgebung (als digitales Abbild) und intendierten Nutzern (über Templates von Menschen)

erfolgt virtuell.

Das Spacing wird später „nachgeholt“, wenn z.B. die auf dem Reißbrett oder im Computer

entworfenen Räume tatsächlich entstehen.

In diesem Sonderfall der Konstitution von Raum, bei dem die Platzierungen im Realraum

zunächst (noch) nicht erfolgen, entstehen zwei Räume gleichzeitig an einem Ort: Ein Raum

wird „virtuell“ entworfen (und kann über Syntheseleistungen als solcher wahrgenommen

werden) während man sich real in einem anderen Raum befindet und sich durch diese

Platzierung ebenfalls im doppeltem Sinne raumkonstituierend verhält.

Die Möglichkeit, überlagernde, plurale Räume auf theoretischer Ebene zu ermöglichen, ist ein

wesentlicher Aspekt dieses erweiterten Raumbegriffs: So lassen sich auch

Raumnutzungskonflikte, die unterschiedlichen Raumkonstitutionen zugrunde liegen, leicht

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erklären - oder die Kontroverse zwischen dem Bestreben, das Internet weiter zu verregeln und

dem Dagegenhalten von Netzaktivisten als Konflikt verschiedenen Raumlogiken - juristische

rechtliche Strukturen, meinst nationalstaatlich-territorial organisiert, und der relationalen Logik

des Mediums, entlarven.

Folgende erkenntnistheoretische und methodologische Konsequenzen ergeben sich aus der

Verwendung des relationalen Raumbegriffs:

„Da die meisten sozialen Güter und alle Menschen gleichzeitig Elemente sind, aus denen

ein Raum gebildet wird, und (aus einer anderen Perspektive) selbst Raum sein können, ist

der Blickwinkel des Synthetisierenden jeder Raumkonstitution immanent. Die Synthese

von sozialen Gütern und Menschen zu Räumen sowie die damit einhergehende

Perspektive des oder der Handelnden kann in der wissenschaftlichen Analyse bzw. durch

die Reflexivität jedes Einzelnen problematisiert werden. In dieser reflexiven Analyse wird

jedoch der Konstitutionsprozess selbst aus einer bestimmten Perspektive analysiert, so das

in der Reflexion selbst neue Räume entstehen. [...] Wissenschaft bildet demzufolge nicht

die Wirklichkeit des Raumes ab, sondern konstituiert Raum erneut, wobei dieser

Konstitutionsprozess selbst zum Gegenstand der Forschung gemacht werden kann.“ (Löw

2001, S. 229f.)

RaumDesign - Gebäude als technische Artefakte

Komplexer wird die Analyse von Räumen, wenn man berücksichtigt, dass einige Güter, die

angeordnet sind, nicht nur selbst einem Modifikationsprozess unterliegen, sondern ganz

konkret für bestimmte räumliche Praktiken hergestellt wurden. Diesen technischen Artefakten

liegt ein Designprozess zugrunde, der selbst ein Aushandlungsprozess zwischen

konkurrierenden Ideen, technischen Notwendigkeiten oder Vorschriften und ästhetischen

Ansprüchen ist, der Auswirkungen auf spätere Nutzungsmöglichkeiten hat.

Mit dem Status quo ist die Auseinandersetzung jedoch keinesfalls abgeschlossen. Die

tatsächliche Nutzung kann von der intendierten abweichen, die Aneignung des Artefakts ist

an bestimmte Formen der Kapitalakkumulation gebunden – der Beliebigkeit der Veränderung

sind dabei wiederum Grenzen gesetzt (materiell-technische, rechtliche etc.).

Tom Gieryn (2002) schlägt vor, die in der Techniksoziologie entwickelten

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Analysevorstellungen für technische Artefakte auf Gebäude zu übertragen:

Gebäuden liegt ein Entstehungsprozess zugrunde, d.h. Entscheidungen über das

Arrangement/Design, die in einem sehr komplexen Prozess von Spacing und Syntheseleistung

(teilweise gesteigert in der Verschränkung von virtuell und real im Entwurfsprozess), von

Inklusion und Exklusion von Funktionen, von Gestaltungs- und Nutzungsmöglichkeiten

getroffen werden.

Gieryn geht davon aus, dass Gebäude soziales Leben stabilisieren, indem sie eine Struktur für

soziale Institutionen bereitstellen – sie können jedoch nicht perfekt stabilisieren, da Zerfall,

Zerstörung oder Modifikationen (z.B. der gesellschaftlichen Nutzung oder der Substanz

selbst) diese stabilisierende Kraft verringern können. Akteure können ebenfalls Gebäude

modifizieren, es entstehen Raumnutzungen, die vorher nicht geplant waren. Eine interessante

Auseinandersetzung über eine solche Modifikation eines sakralen Baus finden sich für die

Kirche St. Afra in Meißen - augrund sehr geringer Nutzung der Kirche durch

Gemeindemitglieder wird über einen Ideenwettbewerb über alternative Nutzungskonzepte

nachgedankt. Sie reichen von Konservierung des Status quo über Kunstinstallationen (4

Elemente) bis hin zu einem Wellness-Tempel.

Gieryn beschreibt auch sehr ausführlich, wie die soziale Struktur eines Gebäudes durch

Entscheidungen während des Entstehungsprozesses mitbestimmt wird. Wohnung als

technisches Artefakt strukturiert also Handlungen und Handlungsmöglichkeiten: In

Grundrisszeichnungen wird häufig eine solche intendierte funktionale Zuordnung einzelner

Zimmer angegeben, z.B. für eine 3-Zimmer-Wohung: Kind, Wohnen, Schlafen – bestimmte

Wohnungen sind nicht geeignet für WGs, wegen Durchgangszimmern.

Das technische Artefakt „Gebäude“ besitzt durch die Materialität (Mauern) eine Trägheit, zu

deren Überwindung eine bestimmte Kapitalakkumulation nötig ist – sicherlich ökonomisches,

und hoffentlich auch soziales und kulturelles Kapital...

Der rechtliche Status, ob man z.B. Untermieter, Mieter oder Eigentümer ist, spielt eine

entscheidende Rolle für die Nutzungs- und Modifikationsmöglichkeiten (Ein Untermieter

wird wohl kaum eine Wand einreißen oder ein neues Bad einbauen). Die materielle Trägheit

des Artefakts ist auch rechtlich abgesichert. Hier ergibt sich wieder ein direkter Bezug zu den

rechtlichen räumlichen Strukturen (öffentlich vs. privat).

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Durch die Konzeption von Wohnungen als technische Artefakte wird eine Analyse von

Raumkonstitutionsphänomenen im Hinblick auf ansonsten vernachlässigte

„Rahmenbedingungen“, die Resultat vergangener Aushandlungsprozesse, strukturierende

Vorgaben und Ziel künftiger Strukturierung seitens menschlicher Akteure selbst sind,

bereichert. Spannend zu untersuchen ist, wie die Vermittlungsprozesse zwischen intendierter

und nichtintendierter oder subversiven Nutzung des technischen Artefakts verlaufen und

welche Rückschlüsse zu den im Entwurfsprozess erfolgten strukturellen Ein- und

Ausschlüssen festzustellen sind.

(Forschungs-)Praxis: Analyse raumbezogenen Handelns

Welche Möglichkeiten bietet ein erweiterter soziologischer Raumbegriff wie der des

relationalen Raumes in der Praxis? Zunächst einmal öffnet er durch eine theoretische

Sensibilisierung das Spektrum der Möglichkeiten, raumbezogenes Handeln zu beobachten

und aus den räumlichen Praxen, den Aushandlungsprozessen um die Besetzung und

Deutungshoheit räumlicher Arrangements, Erkenntnisse methodisch kontrolliert abzuleiten:

Wie werden Räume wahrgenommen, wie das eigene Verhalten in Bezug zu anderen

definiert?

Time-Space-Diagramme

Der Geograph Törsten Hägerstrand hat einen sehr praxisorientierten Weg vorgeschlagen,

Handlungen in Bezug auf ihre räumliche und zeitliche Einordnung zu erheben und zu

visualisieren. In einem dreidimensionalen Koordinatensystem wird in der Ebene eine

räumliche Abstraktion, also eine Karte oder ein Luftbild, dargestellt und auf der z-Achse die

Zeitdimension. Somit lassen sich Orts- und Wegnutzungen standardisiert erheben und in

kartographische Darstellungen visualisieren – z.B. Alltagswege in der Stadt nach Geschlecht

differenziert. Mit dieser Erhebungs- und Darstellungsmöglichkeit können die dynamischen

Bezugssysteme Raum und Zeit miteinander verbunden dargestellt werden (vgl. auch Löw

2001, 38ff).

Eyetracker: Blickrichtung messen

Die Analyse von Blickrichtungen reicht schon einige Jahrzehnte zurück, ist aber erst mit

moderner Computertechnologie effektiv einsetzbar geworden. Hier werden i.d.R. durch

Kameras die Augenbewegungen aufgezeichnet, während eine weitere Kamera die

Gesamtszene festhält. Anhand der Lage der Pupillen kann errechnet werden, auf welche

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Punkte der Gesamtszene der Blick fixiert ist. Aus der Wahrnehmungspsychologie ist

bekannt, dass das bewusst wahrgenommene Gesichtsfeld in Wirklichkeit aus einer Vielzahl

kurzzeitig fixierter Details konstruiert wird. Mit Hilfe der Blickverfolgung kann eine visuelle

Aufmerksamkeitsverteilung erhoben werden, die „vor“ der bewussten Interpretation

stattfindet. Anwendungsgebiete sind z.B. Evaluation von Webseiten, die Platzierung von

Warenangeboten oder auch wahrnehmungspsychologische Grundlagenforschung.

Intelligente“ Videoüberwachung

Ebenfalls an visuellen Daten orientiert sich die Auswertung von Kamerabildern, z.B.

Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen. Computersoftware ist heutzutage in der

Lage, auf den Videobildern Personen oder auch Gesichter anhand charakteristischer Formen

zu erkennen und visuell im Videobild zu markieren.

Beispiele: 1) http://www.comp.leeds.ac.uk/vision/proj/amb/research/track3.mpg

2) http://www.comp.leeds.ac.uk/vision/proj/amb/research/track2.mpg

Die Bewegungen von Personen über einen öffentlichen Platz können so auch über mehrere

Kameras hinweg verfolgt werden. Anwendungsgebiete sind neben Sicherheitstechnik

Kunstinstallationen, die Bewegungspfade im öffentlichen Raum anhand dieser Technik

nachzeichnen und verfremden (z.B. Memory of Space: ttp://www.ursuladamm.de/inoutsite/).

Analyse räumlicher Anordnungen: Panoramaphotographie

Komplexe räumliche (An)Ordnungen für eine Analyse zu nutzen, die in einem

handlungsentlasteten Umfeld erfolgt, ist ein Aspekt eines Forschungsansatzes, der 360°

Panoramaphotos von privaten Räumen verwendet, die mit einer einzigen Aufnahme erstellt

werden. Im Hinblick auf die Analyse der verbildlichen Raumkonstitution wird unter

Einbezug der Biographie der Frage nachgegangen, wie Prozesse der Raumkonstitution

verlaufen. Eingesetzt werden Photos, die die Befragten selbst erstellen und die anschließend

als Stimulus für ein narratives Interview verwendet werden - sowie zur Abbildung der

einzelnen Zimmer der Wohnung 360°-Panoramaaufnahmen mit einer Spezialoptik. Die

Gesamtheit der Perspektiven wird so über eine Rekonstruktion am Computer möglich

(ausführlich: Stoetzer, K. 2004 und www.raumbiographie.de)

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Abb3. Photo eines Interviewpartners (Serie von 7 Bildern) / Abb4. 360° Panoramaphoto© K. Stoetzer (2004, S.364)

Vor allem über die Auswertung der Interviews wird die biographische Komponente der

Raumkonstitution erschlossen (Hintergründe: Geschichte der Wohnung/WG; Erfahrungen

mit räumlich bedingten Aushandlungsprozessen oder räumlichen Rekonfigurationen etc.).

Photocollagen als virtuelle Raumkonstitution

Eine weitere Möglichkeit stellen virtuelle Spacings in Photocollagen dar. Sie stellen Bezüge

zwischen visuellen Abbildungen der eigenen Stadt her und vernetzen sie auf diese Weise.

Ähnlich einem Hyperlink kann so entlang der aktiv hergestellten Verbindungen durch eine

visuelle Abstraktion des urbanen Raumes navigiert werden. Entwickelt wurde dieser Zugang,

um Vorstellungen der Einwohner von Ihrer Stadt abbildbar zu machen, ihr "Image". Photos,

von den Befragten selbst erstellt, wurden mit einer Software verlinkt - über Bildbereiche mit

gemeinsam abgebildeten Personen oder Objekten (serielle Photografie), aber auch durch rein

inhatliche Bezüge:

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Die Verbindungen lassen sich von ihrer Struktur her interaktiv nachvollziehen oder im

Überblick darstellen (ausführlich: www.urban-iamges.net).

Fazit

Die hier vorgestellten soziologischen Theorien zu Raum sind nur eine Auswahl – andere

Modelle haben andere Foki, z.B. die Einbettung in gesellschaftliche Produktionsverhältnisse:

Henry Lefébvre, vgl. dazu Löw/Steets/Stoetzer 2007)

Ein erweiterter soziologischer Raumbegriff kann keine deterministischen Erklärungsmodelle

offerieren, die eine Evaluation und Optimierung bisheriger Planungs- und Entwurfspraxis auf

eine teleologische Zielbestimmung hin ermöglichen. Er kann aber die Komplexität von

Raumkonstitutionen angefangen vom Entwurf (virtuelle Spacings, Raumüberlagerung) über

die realweltliche Umsetzung (Aushandlungsprozesse, Nutzungskonflikte,

Raumlogikkonflikte) bis hin zur Aneignung dieser gebauten Umwelt in der wechselseitigen

Dynamik von stabilisierender Struktur und strukturierendem Handeln in Wahrnehmung und

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die Produktion von Räumen begrifflich exakt beschreiben und (nicht nur) einer

sozialwissenschaftlichen Analyse zugänglich machen.

Literatur:

Bourdieu, P. (1991). Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. Stadt-Räume. Die Zukunft des Städtischen. M. Wentz. Frankfurt am Main: 25-34.

Funken, C. / M. Löw (2003). Ego-Shooters Container. Raumkonstruktionen im elektronischen Netz. Raum - Zeit - Medialität. Interdisziplinäre Studien zu neuen Kommunikationstechnologien. C. Funken and M. Löw. Opladen, Leske + Budrich: 69-91.

Kebeck, G. and M. May (1991). "Invarianz gegenüber Transformation. Ein Vergleich von Raumwahrnehmung und Raumvorstellung." Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie 38(2): 226-247.

Krais, B./Gebauer, G (2002): Habitus. Bielefeld.Löw, M. (2001): Raumsoziologie. Frankfurt/Main.Löw, M/Steets, S/Stoetzer, S (2007): Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie. Opladen

& Farmington Hills.Stoetzer, K. (2004): Photointerviews als synchrone Erhebung von Bildmaterial und Text. In:

Zeitschrift für Qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung. 5.Jg., H2, S. 361-370.

Wuggenig, U. (1994). Soziale Strukturierungen der häuslichen Objektwelt. Ergebnisse einer Photobefragung. In: Mörth/Fröhlich: Das symbolische Kapital der Lebensstile. Zur Kultursoziologie der Moderne nach Pierre Bourdieu. Frankfurt/Main, S. 207-228.

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