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Spezielle Relativit ¨ atstheorie Skript zum Seminar des Physikalischen Vereins Frankfurt am Main 2012 Rainer G¨ ohring

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Spezielle Relativitatstheorie

Skript zum Seminar des Physikalischen VereinsFrankfurt am Main

2012

Rainer Gohring

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c© 2012 R. Gohring [email protected]

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis iii

Vorwort v

1 Newtons Raum- und Zeitbegriff 1

1.1 Inertialsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

1.2 Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

1.3 Kinematik der klassischen Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . 6

1.4 Galilei-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.5 Elektrodynamik und die Suche nach dem Ather . . . . . . . . . 14

1.5.1 Welle und Interferenzen – der elastische Ather . . . . . 15

1.5.2 Bewegte Korper im Ather . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

1.5.3 Der elektromagnetische Ather – die Kontraktionshypo-these . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2 Einsteins Spezielle Relativitatstheorie 28

2.1 Einsteins Raum- und Zeitbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

2.1.1 Gleichzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

2.1.2 Die Lorentz-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . 34

2.1.3 Einheiten, Invarianten und Eichkurven . . . . . . . . . . 39

2.1.4 Die raum-zeitliche Entfernung . . . . . . . . . . . . . . . 43

2.1.5 Der inertiale Beobachter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

2.2 Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie . . . . . . . . . . . 46

2.2.1 Die Lorentz-Kontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

2.2.2 Zeitdilatation und bewegte Uhren . . . . . . . . . . . . 54

2.2.3 Additionstheorem der Geschwindigkeiten . . . . . . . . 59

2.2.4 Optik bewegter Korper . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

2.3 Schein oder Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

2.3.1 Visualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

2.3.2 Das Zwillingsparadoxon . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

2.4 Dynamik der Speziellen Relativitatstheorie . . . . . . . . . . . 83

2.4.1 Die relativistische Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

2.4.2 Erhaltungssatz der Energie . . . . . . . . . . . . . . . . 87

2.4.3 Lorentz-Transformation fur Masse und Impuls . . . . . 89

2.5 Ausgewahlte Experimente zur Speziellen Relativitatstheorie . . 93

2.5.1 Konstanz der Lichtgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . 94

2.5.2 Experimente zur Zeitdilatation und Lorentz-Kontraktion 96

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Inhaltsverzeichnis

2.5.3 Masse und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

3 Minkowskis vierdimensionale Welt 1063.1 Koordinatenschreibweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1093.2 Vierervektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

3.2.1 Geschwindigkeit und Beschleunigung als Vierervektoren 1153.2.2 Impuls und Kraft als Vierervektoren . . . . . . . . . . . 1183.2.3 Anwendung des Viererimpulses auf die Ausbreitung des

Lichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213.2.4 Energie- und Impulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . 123

A Berechnungen fur Kap. 1 126A.1 Inertialsysteme auf der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126A.2 Invarianz der Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128A.3 Invarianz von Entfernungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131A.4 Der klassische Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133A.5 Das Michelson-Morley-Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . 134

B Berechnungen fur Kap. 2 und Kap. 3 137B.1 Bewegte Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137B.2 Der relativistische Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 137B.3 Gesetz der Erhaltung der Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143B.4 Invarianz des Eventvektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145B.5 Zur Vierergeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145B.6 Zur Viererbeschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146B.7 Der Compton-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

Index 150

Literaturverzeichnis 155

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Vorwort

Der beruhmte Physiker und Nobelpreistrager W. Wien (1864–1928) soll ein-mal gesagt haben

”Uber der Eingangspforte zur Speziellen Relativitatstheorie stehtnicht:�Jedem Nichtmathematiker ist der Eintritt verwehrt�“.

Er bezog sich dabei auf eine Inschrift, die angeblich uber der platonischen Aka-demie in Athen stand (zitiert aus [45] S. 9) und ungeeignete Gaste abschreckensollte1.

An diese Devise will ich mich auch in dem vorliegenden Skriptum und indem Seminar halten und versuchen, die gangige Vorstellung von der SpeziellenRelativitatstheorie als etwas, was nicht zu begreifen und absolut unanschau-lich ist, zu widerlegen. Daß dieses Bild der Theorie auch noch hundert Jahrenach ihrer Entstehung immer noch existiert, daran ist nicht zuletzt das haufigangewandte Vorgehen schuld, sie als einen gewissen Anwendungsbereich einesTeilgebietes der hoheren Mathematik zu sehen und entsprechend zu behan-deln. Ich erinnere mich noch mit Grausen an meine erste Vorlesung zu diesemThema, die ich als Student der Physik gehort habe.

Es ist richtig, daß die Effekte, die als Konsequenz der Speziellen Relati-vitatstheorie zu Tage treten, daß schnell bewegte Stabe zum Beispiel verkurzterscheinen oder Uhren bei hoher Geschwindigkeit langsamer gehen sollen, un-seren Alltagsvorstellungen widersprechen und daher nicht anschaulich sind.Wo treten in unserer gewohnten Umgebung, in unserem Mesokosmos, auchschon so hohe Geschwindigkeiten auf, wie es die Lichtgeschwindigkeit ist; odereine absolute Grenzgeschwindigkeit ist unseren Denkgewohnheiten vollkom-men unbekannt. Es ist insbesondere unsere im Laufe der Evolution entstan-dene Vorstellung von Raum und Zeit, die von Einstein einer Kritik unter-zogen werden und neu definiert werden. Isaac Newton hatte die Begriffedes absoluten Raumes und der universellen Zeit in die Physik eingefuhrt undImmanuel Kant erklarte beide zu apriori Denkkategorien, die nicht durchSchlußfolgerungen bewiesen und auch nicht durch Beobachtung belegt werdenkonnen. Erst in neuester Zeit konnte durch die Evolutionare Erkenntnistheo-rie gezeigt werden, daß beide Begriffe — Raum und Zeit — aposteriori, durch

1Im antiken Griechenland wurden in der pythagoraischen Schule die fortgeschrittenenSchuler als Mathematiker bezeichnet. Zur Akademie Platos hatten also nur FortgeschritteneZutritt.

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Kapitel 0. Vorwort

die Evolution erworbene, Kategorien sind und damit auch hinterfragt werdendurfen.

Wird auch die Relativitatstheorie immer unanschaulich bleiben, so kannman sie doch verstehen, wenn man

”verstehen“ so interpretiert, wie ich es

in einer kurzen aber einleuchtenden Anmerkung zu dem Begriff in Wikipediagefunden habe:

”. . . verstanden habe ich einen Betrachtungsgegenstand, wenn

ich ein geistiges Modell entwickelt habe, das mir Aussagen im gewunschtenUmfang uber den Betrachtungsgegenstand erlaubt, die dann auch zutreffen“.

Das geistige Modell unseres Betrachtungsgegenstandes, der Speziellen Re-lativitatstheorie2, kann nun ein Teilgebiet der hoheren Mathematik (das Tensor-Kalkul) sein, mit dessen Hilfe man auf streng formal logischem Weg Folge-rungen aus der Lorentz-Transformation ziehen kann. Diesen Weg wollen wirhier aber nicht beschreiten, sondern anhand des Raum-Zeit-Diagramms zei-gen, wie weit zutreffende Aussagen uber unseren Betrachtungsgegenstand da-mit moglich sind. Raum-Zeit-Diagramme sind Modelle zu dessen Darstellungund wir werden sehen, daß wir sehr weit damit kommen, um die

”merkwurdi-

gen“ Effekte der Speziellen Relativitatstheorie anschaulich darzustellen. Wirwerden dabei naturlich nicht ganz ohne Mathematik auskommen, konnen unsaber auf das Niveau beschranken, das auch in der Oberstufe des Gymnasiumsgefordert wird; es geht nicht uber Wurzeln, Sinus-Funktion und erste Ablei-tungen nach der Zeit hinaus.

Bevor die Spezielle Relativitatstheorie hergeleitet wird, soll im ersten Teilauf deren Vorgeschichte eingegangen werden. Seit Newton war die Physikimmer wieder gepragt von einem Ringen um das Verstandnis des absolutenRaumes, der synonym mit dem Begriff des Athers gesehen werden kann, undder universellen Zeit. Ein experimenteller Nachweis des Athers widerstand al-len Versuchen und die abenteuerlichsten Theorien uber sein Wesen entstandenund wurden bald wieder experimentell widerlegt. Einstein selbst, so sagte ereinmal, hat sich sieben Jahre lang intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt, bis er mit einer radikalen Neudefinition des Begriffes

”Gleichzeitig-

keit“ Raum und Zeit neu definierte — und die Ungereimtheiten der bisherigenTheorien beseitigte. Diese Vorgeschichte soll hier nicht zu kurz kommen, dennsie ist wichtig, um zu beurteilen, was fur einen Umbruch die Spezielle Rela-tivitatstheorie eigentlich bedeutete; außerdem wird es die Moglichkeit bieten,anhand von vertrauten Beispielen der Physik mit dem Raum-Zeit-Diagrammvertraut zu werden. Dabei werden wir auch der mystischen vierdimensionalenWelt begegnen und feststellen, daß das eigentlich etwas ganz Selbstverstand-liches ist.

Der zweite Teil des Skriptums ist dann der Speziellen Relativitatstheoriegewidmet. Es wird gezeigt, daß mit Hilfe unseres Modells, des Raum-Zeit-

2Streng genommen sieht sich die Spezielle Relativitatstheorie selbst als ein Modell derRealitat – Raum und Zeit. Das Modell, das zum Verstandnis der Relativitatstheorie gebildetwird, ist daher, vornehm ausgedruckt, ein Meta-Modell.

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Diagrammes, fur die Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie, die Lehreder Bewegung von Punkten und Korpern im Raum, qualitative Aussagen zuderen Effekten gemacht werden konnen — die Langenkontraktion und dieZeidilatation. Zur konkreten Ausformulierung, d.h. fur die Formeln, die dieGesetze der Kinematik beschreiben, benotigen wir dann naturlich die Mathe-matik, aber nur in dem Umfang, wie oben beschrieben. Die Visualisierung istein weiterer wichtiger Aspekt dieses Teils, die Beantwortung der Frage, wie er-scheint uns denn ein Objekt, wie sieht z.B. ein Fahrrad uberhaupt aus, das sichmit annahernd Lichtgeschwindigkeit bewegt? Hier ergeben sich uberraschendeAn- und Einsichten. Unser Modell hat naturlich auch seine Grenzen; sie sinddann gegeben, wenn es um die Dynamik, die Lehre von der Anderung vonBewegungsgroßen (Weg, Geschwindigkeit, Beschleunigung) unter dem Einflußvon Kraften im Raum, der Speziellen Relativitatstheorie geht und z.B. um dieHerleitung der beruhmten Formel e = mc2. Hier sind wir dann alleine auf die(einfache) Mathematik angewiesen. Das letzte Kapitel dieses zweiten Teils istder Beschreibung ausgewahlter Experimente gewidmet, die die Spezielle Re-lativitatstheorie immer wieder bestatigen.

Der dritte Teil des Skriptums widmet sich Minkowskis vierdimensionaleWelt, eine mathematisch konsistente Formulierung der Speziellen Relativitats-theorie mit den Methoden der analytischen Geometrie. Das Thema wird nurkurz angerissen, um zu verdeutlichen, um was es dabei geht, und der, dernicht tiefer einsteigen will, kann getrost diesen Teil auslassen. Das wesentlichewird im zweiten Teil gezeigt. Im Anhang sind dann noch einige detailliertereBerechnungen zu Themen der Teile eins bis drei ausgefuhrt, deren Ergebnissedort nur erwahnt sind. Wer es genauer wissen will, findet hier die Losung, im-mer aber auf dem mathematischen Niveau, das nicht uberschritten werden soll.

Ich danke dem Physikalischen Verein Frankfurt und insbesondere seinemWissenschaftlichen Direktor, Prof. Dr. Bruno Deiss, fur die Moglichkeit, dieSpezielle Relativitatstheorie einem breiten Publikum im Rahmen des Seminarsvortragen zu konnen. Weiterhin danke ich den Mitarbeitern und Mitgliederndes Vereins, die die organisatorischen Rahmenbedingungen fur das Seminargeschaffen haben.

In dem vorliegenden Skriptum sind gegenuber der Version von 2007 und2009 einige Druckfehler korrigiert (wahrscheinlich leider immer noch nicht alle)und einige Aspekte, wie zum Beispiel die visuelle Verdeutlichung des relativi-stischen transversalen Doppler-Effektes, erganzt worden. Ansonsten entsprichtvorliegende Version weitgehend der ursprunglichen.

Frankfurt, Oktober 2012Rainer Gohring

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Kapitel 0. Vorwort

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Kapitel 1

Newtons Raum- undZeitbegriff

”Der Gang der Wissenschaft besteht aus Probieren, Irrtum

und Weiterprobieren. Keine bestimmte Theorie kann als ab-solut sicher betrachtet werden; jede, auch die am besten bewahr-te kann problematisch werden. Keine wissenschaftliche Theo-rie ist sakrosankt.“Karl R. Popper [36]

Albert Einstein revolutionierte mit seinen Ideen zur speziellen Relati-vitatstheorie – veroffentlicht 1905 in der beruhmten Arbeit mit dem Thema

”Zur Elektrodynamik bewegter Korper“ in den Annalen der Physik (siehe z.B.

in [37] oder [43]) – die damalige Physik grundlegend, indem er die Vorstel-lungen von Raum und Zeit vollkommen neu definierte. Um diesen gewaltigenBruch beurteilen zu konnen, mussen wir uns zunachst in diesem Kapitel dasWeltbild der Physik zu der Zeit kurz vor der Wende zum zwanzigsten Jahr-hundert vor Augen fuhren.

Damals sah man die Physik, und darin insbesondere die Mechanik als ab-geschlossen an, hochstens Detaillierungen oder kleine Erganzungen schienennoch machbar – Max Planck wurde angeblich im Jahre 1875 abgeraten,Physik zu studieren, weil in dieser Wissenschaft nur noch geringe Lucken aus-zufullen seien (zitiert in [41]). Generationen von Physikern und Mathematikernhatten ein Theoriegebaude errichtet, das zum damaligen Zeitpunkt scheinbarnicht mehr zu erweitern war. Die uns hier speziell interessierenden Themen– Raum und Zeit – waren 1687 von Isaac Newton (1643 - 1727) in sei-nem Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathemathica definiert wordenund galten seither als Grundlage physikalischen Denkens. Die Konzepte derabsoluten Zeit und des absoluten Raumes definiert er in den Anmerkungen zuseinen Principiae folgendermaßen (zitiert aus [32] S. 216 ff.):

Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich undvermoge ihrer Natur gleichformig und ohne Beziehung auf irgendeinen außeren Gegenstand. Sie wird auch mit dem Namen Dauerbelegt.

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

Der absolute Raum bleibt vermoge seiner Natur und ohne Bezie-hung auf einen außeren Gegenstand stets gleich und unbeweglich.

Der relative Raum ist ein Maß oder ein beweglicher Teil des ersten,welcher von unseren Sinnen durch seine Lage gegen andere Korperbezeichnet und gewohnlich fur den unbeweglichen Raum genommenwird.

Implizit wird angenommen, daß in dem Raum – sowohl in dem absoluten alsauch in dem relativen – die Euklidische Geometrie gilt. Zu Bewegungen vonKorpern im Raum bemerkt er an gleicher Stelle:

Die absolute Bewegung ist die Ubertragung des Korpers von einemabsoluten Ort nach einem andern absoluten Ort, die relative Bewe-gung die Ubertragung von einem relativen Ort nach einem andernrelativen Ort.

Newton greift dabei auf die Ideen des Philosophen Aristoteles (384 - 322v. Chr.) zu Raum und Zeit zuruck, die – modifiziert durch Nikolaus Ko-pernikus und Johannes Kepler – das Denken des christlichen Abendlan-des beherrschten1. Newton war sich durchaus der Problematik des

”absolu-

ten“ Raumes bewußt; Aristoteles konnte noch einfach die Erde als Fix- undBezugspunkt fur einen absoluten Raum in seinem geozentrischen Weltbildfestlegen, nachdem aber offensichtlich geworden war, daß sich die Erde umdie Sonne bewegt, war das hinfallig. Newton wahlte auch die Sonne nicht alsFixpunkt, vielmehr zweifelte er an der Moglichkeit, einen absoluten Raum zufinden, wie das Zitat von ihm zeigt

. . . So bedienen wir uns, und nicht unpassend, in menschlichen Din-gen statt der absoluten Orte und Bewegungen der relativen, in derNaturlehre hingegen muß man von den Sinnen abstrahieren. Eskann namlich der Fall sein, daß kein wirklich ruhender Korper exi-stiert, auf welchem man die Orte und Bewegungen beziehen kann.

Spater wurde doch der Fixsternhimmel dazu herangezogen, einen ruhendenRaum festzulegen, auf jeden Fall blieb die Suche nach dem

”absoluten“ Raum

ein Grundsatzproblem der Physik bis zur Zeit Albert Einsteins.

1.1 Inertialsysteme

In den Principiae Newtons werden drei grundlegende Mechanikaxiome be-schrieben, die sich mit Kraften befassen – Tragheitsgesetz, Kraftgesetz unddas Gesetz uber die gegenseitige Einwirkung zweier Korper (actio = reactio).Davon ist das erstere in unserem Zusammenhang hier von besonderem Inter-esse.

1Im Gegensatz zu Aristoteles, der die Erde unbeweglich in das Zentrum des Universumsstellte, wurden im Hellenistischen Zeitalter (ca. 300 - 100 v. Chr.) durchaus andere Anschau-ungen vertreten, die unseren heutigen Vorstellungen uber das Universum wesentlich nahersind – heliozentrisches Weltbild, unendliches Universum mit Sternen, die der Sonne ahnlichsind usw. Diese Ideen wurden von der christlichen Kirche systematisch unterdruckt, weil sienicht in das Weltbild der Bibel passten (siehe dazu [39]).

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1.1. Inertialsysteme

Jeder Korper verharrt im Zustand der Ruhe bzw. der geradlinig-gleichformigen Bewegung, solange keine außere Kraft auf ihn wirkt.

Newton nahm an, daß dieses Tragheitsgesetz, wenn es in einem (oben zitier-ten) relativen Raum gilt, auch in allen anderen dazu geradlinig gleichformigbewegten Raumen gilt. Der Raum wird zum

”Bezugssystem“, in dem die Be-

wegungen der Korper beschrieben werden.

Bezugssysteme, in denen das Tragheitsgesetz gilt, werden Inertialsyste-me (von lat. inertia, Tragheit) genannt. In der Mechanik laßt sich zeigen, daßes viele solcher Inertialsysteme gibt und jedes dieser Systeme eignet sich glei-chermaßen zum Aufbau der Mechanik. Diese Tatsache wird als Relativitats-prinzip der klassischen Mechanik bezeichnet. Max Born definiert es in [4] S.60 folgendermaßen

Es gibt unendlich viele, relativ zueinander in Translationsbewegun-gen befindliche, gleichberechtigte Systeme, Inertialsysteme, in de-nen die Gesetze der Mechanik in ihrer einfachen, klassischen Formgelten.

Großen, die fur alle Beobachter in den verschiedenen Inertialsystemen gleichsind (wie zum Beispiel die Lichtgeschwindigkeit oder raumliche Abstande)werden als invariant bezeichnet. Ein einfaches Beispiel moge das erlautern.Wenn wir in einem (mit gleichmaßiger Geschwindigkeit) fahrenden Zug oderauch in einem (mit gleichmaßiger Geschwindigkeit) fliegenden Flugzeug einenGegenstand in die Luft werfen, fallt er in gleicher Weise in die Hand zuruck,wie wenn wir dieses Experiment ruhend auf dem Boden durchfuhren. Ande-rerseits wird jemand, der mit geschlossenen Augen in einem gleichmaßg aufebener Straße dahinrollenden Auto sitzt, nicht feststellen konnen, ob das Automomentan steht oder fahrt. Erst wenn gebremst oder beschleunigt wird, oderwenn um eine Kurve gefahren wird, wird er feststellen, daß eine Beschleuni-gung wirkt. Es laßt sich zeigen, daß die Grundgesetze der Mechanik in allenInertialsystemen gleich sind. Das gilt insbesondere fur die Beschleunigung unddie sie verursachenden Krafte (dies wird im Detail in Kap. A.2 ab Seite 128ausgefuhrt). Physikalische Gesetze und Gleichungen, die fur alle Beobachterdie gleichen sind, werden demnach als kovariant bezeichnet. Es laßt sich leichteinsehen, daß Geschwindigkeit und Koordinaten nicht invariant sind.

Obwohl alle Inertialsysteme gleichberechtigt sind, so soll doch der abso-lute Raum vor allen ausgezeichnet sein (nach Newtons Definition ist er auchein Inertialsystem). In ihm soll der Ather ruhen. Newton hat – eigentlich oh-ne zwingenden Grund – aus der Aristotelischen Philosophie den Begriff desAthers ubernommen. Nach deren Vorstellung ist der Ather das Element, ausdem die himmlichen Spharen bestehen, im Gegensatz zu den Elementen dersublunaren Sphare wie Erde, Wasser, Luft und Feuer. Newton sah den Atherals außerordentlich feines Medium2 an, denn die Planeten sollen sich ja un-gehindert hindurch bewegen. Wir werden sehen, daß diesem Stoff im Laufe

2Die chemische Verbindung Ather hat daher ihren Namen.

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

der Zeit noch weitere, viel absonderlichere Eigenschaften, zugestanden werdenmußten, bis endlich die ganze Theorie vom Ather ad absurdum gefuhrt wurde.

Vollkommen losgelost und unabhangig von allen Inertialsystemen fließtgemaß der obigen Definition in der Vorstellung Newtons die Zeit. Sie ist inallen Systemen gleich und unabhangig von deren Bewegung.

Die Prinzipien der Mechanik, die Newton in der Strenge formuliert hat,fand er teils schon in Arbeiten von Galilei vor. Newton mußte allerdings Be-hauptungen uber Raum und Zeit vorausschicken, ohne die seine Gesetze keinenSinn geben. Betrachten wir das einfachste dieser Gesetze, das Tragheitsgesetzan einem Beispiel, das schon von Galilei beschrieben wird. Auf einem Tischbewegt sich eine Kugel, einmal angestoßen, geradlinig und, von einer gerin-gen Reibung abstrahiert, mit gleichbleibender Geschwindigkeit, solange keineKrafte auf sie einwirken. Aus diesem Experiment wurde das Tragheitsgesetzabstrahiert: die Kugel bewegt sich geradlinig und gleichformig innerhalb des(ruhenden) Inertialsystems Erde. Ein Beobachter außerhalb der Erde wird aberbei der Vermessung der Bahn der Kugel feststellen, daß von seinem Standpunktaus die Bahn nicht geradlinig sondern gekrummt ist. Bei primitiven Experi-menten fallt wegen der geringen Strecke und der kurzen Beobachtungszeit dieKrummung der Bahn im Verhaltnis zur Dimension der Erde nicht auf. InKap. A.1 auf Seite 126 wird anhand eines konkreten Beispiels gezeigt, daß derEinfluß der Krummung bei Experimenten im Labor auf der Erde tatsachlichvernachlassigbar klein ist. Galilei und Newton konnten daher aus der Bewe-gung der Kugel das Tragheitsgesetz abstrahieren. Hier kann man Max Born(siehe [4] S. 46) zitieren:

”Hier tragt, wie sehr oft in der Wissenschaft, die Un-

genauigkeit der Beobachtung zur Entdeckung eines großen Zusammenhangesbei“.

1.2 Koordinatensysteme

Die raumliche Beschreibung eines Ortes oder eines Ereignisses beruht dar-auf, daß man den Punkt eines starren Korpers angibt, mit dem jenes Er-eignis zusammenfallt [10]. Ein Beispiel aus dem taglichen Leben moge diesverdeutlichen. Wenn man die Ortsangabe

”in Frankfurt am Fuß des Messe-

turmes“ nennt, so ist implizit damit gemeint, daß die Erde als starrer Korperbetrachtet wird, auf dem die Ortsangabe

”in Frankfurt am Fuß des Messe-

turmes“ ein markierter, mit einem Namen versehener Ort ist, auf den sichdie Ortsangabe bezieht. Will man nun auch noch die Spitze des Messetur-mes raumlich beschreiben, so fungiert hierbei zusatzlich der Turm als star-rer Korper und die Hohe (zusammen mit der horizontalen Ortsbestimmung)definiert die dreidimensionale Ortsbestimmung. Fur physikalische Anwendun-gen sind solche Angaben, wie wir sie eben gemacht haben, naturlich viel zupauschal. Wir benotigen vielmehr Meßzahlen, mit denen man sich von denOrtsangaben unabhangig machen kann. Dies gelingt durch die Anwendungvon kartesischen Koordinatensystemen. Diese bestehen aus drei zueinandersenkrecht stehenden Wanden und jeder Ort eines Ereignisses in bezug auf das

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1.2. Koordinatensysteme

Koordiantensystem kann dann durch die Lange der Lote oder Koordinaten(x, y, z) beschrieben werden, siehe Abb. 1.1. Das bedeutet, daß Ortsangabenimmer nur relativ zu einem Koordinatensystem festgelegt sind. Ein ganz einfa-

Abbildung 1.1: Koordinatensystem

ches Beispiel soll das erlautern: wol-len wir den Ort der Deckenlampe imWohnzimmer eines Einfamilienhau-ses festlegen, dann werden wir, wennuns nur die Lage relativ zu dem Zim-mer interessiert, den Ursprung un-seres Koordinatensystems beispiels-weise in eine untere Ecke des Zim-mers positionieren (Zimmerhohe =z-Achse, eine Seite = x-Achse, ande-re Seite = y-Achse). Die Lagekoordi-naten der Lampe ergeben sich dannaus der Lange der Senkrechten – Lo-te – auf die entsprechenden Wande.Sollte aber der Ort der Lampe rela-tiv zum Haus relevant sein, so wurdeman den Koordinatenursprung in ei-ne untere Ecke des Hauses legen und

entsprechend verfahren. Obwohl die Benennung der drei zueinander senkrechtstehenden Achsen beliebig ist, nutzt man aber doch in der Regel eine Anord-nung wie in Abb. 1.1 dargestellt.

Die Lage eines Punktes, wie zum Beispiel die oben erwahnte Lampe, ineinem rechtwinkligen (kartesischen) Koordinatensystem3 wird zahlenmaßigdurch die Achsenabschnitte auf die x-, y- und z-Achse festgelegt, wie die Abb.1.2 Fig. a verdeutlicht. In einem Koordinatensystem mussen die Achsen abernicht unbedingt senkrecht aufeinander stehen, wenn es opportun ist und dieBerechnung erleichtert. So konnen die Achsen auch einen Winkel ungleich 90◦

bilden, ein sog. schiefwinkliges Koordinatensystem. Die Achsenabschnitte sinddann entsprechend zu bestimmen.

Mochte man nun Orte oder auch Entfernungen auf der Erdoberflache zah-lenmaßig festlegen und dabei durchaus sehr große Distanzen berucksichtigen,so ist ein kartesisches Koordinatensystem sicher nicht unbedingt die geeigne-te Wahl. Geeignet dafur sind dann Polarkoordinaten wie in Abb. 1.2 Fig. bdargestellt. Die bestimmenden Großen sind dabei die Winkel δ und ϕ sowieder Radius. Ist man aber speziell nur an Ortsangaben auf der Kugeloberflacheinteressiert, so ist der Radius irrelevant, da er uberall gleich ist, und nur dieWinkel spielen eine Rolle. Fur zahlenmaßige Ortsangaben in Lange und Breiteist es wichtig, den

”Nullpunkt“ festzulegen; auf der Erde also den Nullmeridian,

festgelegt durch den Ort Greenwich, und die geographische Breite”null“ durch

den Aquator. Bei physikalischen Anwendung wird entsprechend der Darstel-

3Das rechtwinklige Koordinatensystem wird irrtumlich immer mit dem Namen ReneDescartes (1596 - 1650) verknupft, obwohl es in keinem seiner Werke auftaucht.

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

Abbildung 1.2: Fig. a: Lage eines Punktes A relativ zu einem kartesischen Koordinaten-system. Die Lage eines Punktes A auf einer Kugel wird durch Polarkoordinaten festgelegt;die bestimmenden Großen sind die Winkel δ und ϕ sowie der Radius der Kugel r.

lung in Abb. 1.2 Fig. b der Winkel δ ausgehend vom”Nordpol“ von 0 · · ·π

(entspr. 0◦ · · · 180◦) und der Winkel ϕ von einem geeignet gewahlten Ausgangs-punkt auf dem Aquator von 0 · · · 2π (entspr. 0◦ · · · 360◦) gezahlt. Abhangigvon den Aufgabenstellungen werden sich unterschiedliche Koordinatensyste-me eignen, so z.B. Zylinderkoordinaten oder elliptische Koordinatensysteme;die Umrechnung solcher Koordinatensysteme auf kartesische und umgekehrtleisten dann die entsprechenden Koordinatentransformationen, auf die aberhier nicht naher eingegangen werden soll.

Betrachten wir nun zwei Inertialsysteme, die beide in Ruhe sind, so kannman in jedem ein Koordinatensystem festlegen, wobei beide unabhangig von-einander nach pragmatischen Gesichtspunkten definiert werden. Die Abb. 1.3zeigt beispielhaft die Situation. Die Lagekoordinaten des (ebenfalls ruhenden)Punktes relativ zu dem jeweiligen Koordinatensystem ist in der Abbildungdargestellt. Eine ev. erforderliche rechnerische Koordinatentransformation vondem linken auf das rechte Koordinatensystem gestaltet sich in dem Beispielunserer Abbildung sicher schwierig, da das rechte nicht nur gegen das linkeverschoben, sondern auch noch gedreht ist. Da die relative Lage eines Koordi-natensystems beliebig festgelegt werden kann – Invarianz und Kovarianz (sie-he oben) – kann man ein Koordinatensystem so linear verschieben, daß beideKoordinatenursprunge zusammenfallen. Man braucht anschließend nur nochdie Drehung des einen gegen das andere Koordinatensystem berucksichtigen.Von dieser Vorgehensweise wird im weiteren noch haufig Gebrauch gemachtwerden.

1.3 Kinematik der klassischen Mechanik

Im vorigen Kapitel haben wir uns mit der Lagebeschreibung von (Objekten)Punkten im Raum und der zahlenmaßigen Festlegung durch Koordinatensy-

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1.3. Kinematik der klassischen Mechanik

Abbildung 1.3: Zwei gegenseitig sich in Ruhe befindende unabhangige Inertialsystememit jeweils einem kartesischen Koordinatensystem. Die Lage des Punktes A relativ zu demjeweiligen Koordinatensystem ist dargestellt.

stemen beschaftigt. Nun betrachten wir die Bewegung eines Objektes sowiedie Representation eines Ereignisses – auch haufig als

”Event“ bezeichnet –

im Raum. Die exakte Beschreibung – die Kinematik – einer Bewegung einesPunktes im Raum besteht nun darin, daß man von Zeitpunkt zu Zeitpunktangibt, an welchem Ort, in einem geeignet gewahlten Koordinatensystem, ersich befindet. Normalerweise werden dazu von Physikern Formeln benutzt.Ein Beispiel moge das erlautern: wir betrachten den freien Fall eines Gegen-standes von einem Turm, wobei wir den Luftwiderstand vernachlassigen. DieBewegung des Gegenstandes im Raum beschreibt das bekannte Fallgesetz, dasbereits Galileo Galilei 1590 erkannt hatte (daß er es durch Versuche aufdem schiefen Turm von Pisa entdeckt hat, ist allerdings eine Legende). Da derGegenstand senkrecht nach unten fallt, legen wir die x-Achse entlang der Fall-richtung mit dem Nullpunkt im Ausgangspunkt der Bewegung. Der Beginndes freien Falles des Gegenstandes sei zum Zeitpunkt t = 0. Die Formel, dienun die zeitliche Bewegung des Gegenstandes entlang der x-Achse (eindimen-

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

sionaler Raum) beschreibt, ist bekanntlich gegeben durch

x =1

2g · t2 (1.1)

wobei g die Fallbeschleunigung durch die Erdanziehung ist, mit einem nume-rischen Wert von 9, 81 m · s−2.

Eine alternative Methode, Bewegungen oder Ereignisse im Raum darzu-stellen, ist eine graphische Methode, die, wie wir noch sehen werden, in derspeziellen Relativitatstheorie haufig benutzt wird. Legen wir wieder unser obi-

Abbildung 1.4: Darstellung verschiedener Weltlinien. Erlauterung im Text.

ges Beispiel des freien Falles zugrunde, so kann man die (zeitliche) Bewegungim Raum graphisch wie in Fig. b der Abb. 1.4 darstellen. Der freie Fall erfolgtentlang der x-Achse, senkrecht dazu, als Ordinate, ist die Zeit t dargestellt.In dieser Darstellung kann man dann zu jedem Zeitpunkt t den Ort auf derx-Achse ablesen, wo der Gegenstand wahrend des Falls sich gerade befindet.So sehen wir z.B., daß sich der Gegenstand nach einer halben Sekunde ca. 1,2Meter und nach 1 Sekunde bereits 4,9 Meter vom Ausgangspunkt entfernt ist.Die Kurve, die die Bewegung unseres Beispiels in dem x-t-Koordinatensystembeschreibt (hier eine Parabel), bezeichnet man als Weltlinie. Wir haben indiesem Beispiel fur die Darstellung einer Bewegung im 1-dimensionalen Raum(die Bewegung erfolgt ja nur entlang der x-Achse) eine 2-dimensionale Repre-sentation im xt-

”Raum“. In Fig. a der Abb. 1.4 sind weitere Beispiele von

Weltlinien und Ereignisse dargestellt (es spielt sich alles wie oben auf einerGeraden – der x-Achse – ab).

Betrachten wir Fig. a in Abb. 1.4, so ruhe im Punkt A ein Objekt aufder x-Achse; die Zeit schreitet fort, das Objekt bleibt aber immer an dergleichen Stelle. Seine Weltlinie ist daher eine Gerade senkrecht nach

”oben“,

parallel zur t-Achse. Ein weiteres Objekt starte zum Zeitpunkt t1beim PunktB und bewege sich mit gleichmaßiger Geschwindigkeit auf der x-Achse nach C.Dieser Punkt wird zu dem Zeitpunkt t2 erreicht. Die Weltlinie dieser Bewegungist eine Gerade, die den Winkel α mit der x-Achse bildet. Der Betrag der

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1.3. Kinematik der klassischen Mechanik

(gleichmaßigen) Geschwindigkeit v dieser Bewegung ergibt sich zu

v =xC − xBt2 − t1

= cot α (1.2)

Zum Zeitpunkt t3 ereignet sich schließlich noch ein Blitz an der Stelle D derx-Achse. Die Darstellung dieses einmaligen Ereignisses (Event) ist ein Punktim xt-Diagramm wie in Fig. a der Abb. 1.4 dargestellt. Nicht nur in der Physikwerden solche Diagramme genutzt, auch zur Darstellung von Fahrplanen sindsie im Gebrauch. Die Abb. 1.5 zeigt in einem Entfernungs-Zeit-Diagramm,

Abbildung 1.5: Darstellung eines Fahrplanes fur Verbindungen zwischen Wurzburg undTreuchtlingen. Mit freundlicher Genehmigung des Autors [19].

identisch zu unserem obigen Beispiel die”Weltlinien“ der Zugverbindungen

zwischen den Orten Wurzburg und Treuchtlingen sowohl fur die Hin- als auchfur die Ruckfahrt.

Bewegungen in einer Ebene lassen sich ebenfalls als Weltlinien darstellen,wobei hier eine 3-dimensionale Darstellung erforderlich ist mit der x- und y-

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

Achse, die die Ebene aufspannen und senkrecht dazu die t-Achse. Als Beispieldiene die jahrliche Bewegung der Erde um die Sonne. Vereinfachend nehmenwir an, daß die Umlaufbahn der Erde einen Kreis um die Sonne als Mittel-punkt beschreibt; die Sonne betrachten wir als ruhend. Die Kreisbahn liegtin einer Ebene (Ekliptik), unserer xy-Ebene. Senkrecht dazu verlauft die Zeit.Graphisch ist das in Abb. 1.6 dargestellt. Die Weltlinie der Erde ist dabei eineSpirale, die sich innerhalb eines Jahres um 360◦ dreht. Die Weltlinie der (ru-henden) Sonne ist eine Gerade, die senkrecht auf der Ebene des Erdumlaufssteht. Wir haben bis jetzt festgestellt, daß das Raum-Zeit-Diagramm einerlinearen (1-dimensionalen) Bewegung eine 2-dimensionale Reprasentation er-fordert. Die Bewegung in einer Ebene liefert eine 3-dimensionale Darstellung.Konsequenter Weise wird dann eine Bewegung im 3-dimensionale Raum eine4-dimensionale Reprasentation im Raum-Zeit-Diagramm. Mit einer graphi-schen Reprasentation sind wir dann allerdings am Ende. Der Physiker muß

Abbildung 1.6: Weltlinie der Erde fur einen Umlauf um die Sonne. Die Umlaufbahn derErde ist der Einfachheit halber als einen Kreis und die Sonne dabei als ruhend angenommen.

dann notgedrungen auf die Mathematik zuruckgreifen. Wenn wir es aber mitInertialsystemen zu tun haben, die sich relativ zueinander mit gleichmaßigerGeschwindigkeit geradlinig bewegen, so werden wir sehen, daß auch dort einegraphische Darstellung moglich ist. Sie spielt eine große Rolle zur Verdeutli-chung relativistischer Phanomene. Viele Leute erschrecken, wenn sie

”vierdi-

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1.4. Galilei-Transformation

mensional“ horen, auch viel Unsinniges und Falsches ist im Zusammenhangmit diesem Begriff geschrieben worden. Dabei ist das nichts weiteres als einemathematische Konstruktion. Einstein hatte dazu schon 1917 geschrieben(in [10], S. 46):

Ein mystischer Schauer ergreift den Nichtmathematiker, wenn ervon

”vierdimensional“ hort, ein Gefuhl, das dem vom Theaterge-

spenst erzeugten nicht unahnlich ist. Und doch ist keine Aussa-ge banaler als die, daß unsere gewohnte Welt eine zeitraumlichesKontinuum ist.

Der gewohnte dreidimensionale Euklidische Raum bleibt erhalten, er wird nurverbunden mit der Zeit zu einem Kontinuum, das der Mathematiker HermannMinkowski

”Welt“ genannt hat. Im Zusammenhang mit der Speziellen Re-

lativitatstheorie werden wir weiter unten haufig von diesem Bild Gebrauchmachen.

1.4 Galilei-Transformation

Bisher haben wir nur einzelne Systeme betrachtet, die entweder in Ruhe sindoder sich mit gleichformiger Geschwindigkeit bewegen. Nun untersuchen wirInertialsysteme, die sich in relativer (gleichformiger) geradliniger Bewegungzueinander befinden und suchen Transformationsregeln, die die in einem Iner-tialsystem geltenden mechanischen Gesetze im anderen, relativ in gleichformi-ger Bewegung befindliche, beschreiben. Wegen der von Newton postuliertenuniversellen Zeit konnen wir die Bezugssysteme in Betracht ziehen, die mitder selben Gleichzeitigkeitsdefinition arbeiten wie das Ausgangsbezugsystem.Die Zeiteinheit in dem einen legt damit die in allen Inertialsystemen fest. DieFrage der Gleichzeitigkeit kann jetzt unabhangig vom Inertialsystem beantwor-tet und auch die Langenmessung vereinheitlicht werden. Mit den Maßstaben,die im Ausgangsbezugsystem ruhen, kann in allen anderen Inertialsystemengemessen werden. Anlegen eines Maßstabes heißt letztendlich gleichzeitigesAblesen an den beiden Endpunkten desselben.

”Dieser Ablesemechanismus ist

unabhangig von der Bewegung des Maßstabes, wenn die Definition der Gleich-zeitigkeit unabhangig von dieser Bewegung ist“ ([29] S. 27). Wir werden spatersehen, daß das Hinterfragen der Gleichzeitigkeit fur Einstein der Ausgangs-punkt der Speziellen Relativitatstheorie wurde.

Betrachten wir nun zwei Inertialsysteme S und S(1), die sich mit der Ge-schwindigkeit v geradlinig relativ zueinander bewegen, so werden wir in beidenrechtwinklige (kartesische) Koordinatensysteme wahlen. Weiter legen wir fest,daß die Bewegungsrichtung die x- und die x(1)-Achse bestimmt. Die y- bzw.y(1)- und z- bzw. z(1)-Achse bleiben unverandert. Zur Zeit t = 0 sollen dieNullpunkte zusammenfallen. Betrachten wir nun die beiden Inertialsysteme imRaum-Zeit-Diagramm – in der

”Welt“ Minkowskis, so konnen wir uns statt

auf den vierdimensionalen xyzt-Raum auf den zweidimensionalen xt-Raumbeschranken. Wie oben beschrieben, entspricht dem Inertialsystem S einem

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

rechtwinkligen (kartesischen) xt-Koordinatensystem. Dem zweiten, dazu be-wegte, Inertialsystem entspricht dann ein anderes x(1)t(1)-Koordinatensystem.Das Zeitmaß ist in beiden System wegen der absoluten Zeit gleich, t(1) = t. Diex- und die x(1)-Achse fallen also zusammen. Die t(1)-Achse ist dann die Weltli-nie des Punktes x(1) = 0 und damit ist das x(1)t(1)-System ein schiefwinkligesKoordinatensystem, wie in Abb. 1.7 dargestellt. Die beiden Inertialsystemeunterscheiden sich in der Darstellung nur durch die Orientierung der Zeit-Achsen. Wie aus der Abb. 1.7 sofort ersichtlich ist, entspricht die Strecke ABder Geschwindigkeit v, mit der sich die Inertialsysteme gegeneinander bewegen

v =Ox(B)

OA=AB

1= AB

Um den Ubergang von dem xt- das x(1)t(1)-Koordinatensystem zu bestimmen,

Abbildung 1.7: Galileitransformation im xt-System.

berucksichtigen wir, daß die Dreiecke 4OAB und 4FEG einander ahnlichsind, so daß sich folgendes ergibt

x(E)− x(1)(E)

t(E)=

v

OA=v

1

x(E)− x(1)(E) = v · t(E)

Damit konnen wir die Koordinatentransformation von einem Inertialsystemauf das andere formulieren, wenn wir berucksichtigen, daß nach Newton dieZeit universell ist,

x(1) = x− vty(1) = y

z(1) = z

t(1) = t

(1.3)

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1.4. Galilei-Transformation

Dies ist die Galilei-Transformation, benannt zu Ehren Galileo Galilei, desBegrunders der Mechanik. Irgend einem anderen Inertialsystem entspricht einanderes schiefwinkliges Koordinatensystem mit der selben x-Achse mit demUrsprung bei x = 0, aber einer anders geneigten t-Achse. Die Einheitspunkteauf allen diesen t-Achsen liegen auf einer Parallelen zur x-Achse, die so et-was wie eine Eichkurve bezuglich der Zeit darstellt (in der Abb. 1.7 ist dieseParallele durch t = 1 dargestellt). Die Zeit bleibt untransformiert (wie in derletzten Zeile von (1.3) ersichtlich ist) entsprechend Newtons Prinzip: die Zeitlauft

”absolut und ohne Bezug auf irgendwelche Gegenstande“ ab. Die Rela-

tivgeschwindigkeiten der Bezugssysteme sind dann die Abschnitte auf dieserGeraden und addieren sich wie diese (in Abb. 1.7 ist das graphisch dargestellt).Dies ist das Galileische Additionstheorem der Geschwindigkeiten (in Kap. A.2wird diese Tatsache explizit bewiesen). Das rechtwinklige Koordinatensystem,von dem wir ausgingen, hat keinerlei Vorzugsstellung; alle Bezugssysteme sindgleichberechtigt und die Gesetze der Mechanik sind invariant gegen die Galilei-Transformation. Das kommt daher, daß Beschleunigungen als Anderungen derGeschwindigkeit mit der Zeit in Inertialsystemen invariant sind (implizit wirddabei auch die Unabhangigkeit der Masse von der Geschwindigkeit vorausge-setzt). In Kap. A.2 wird die Invarianz explizit bewiesen.

Es sei hier noch erwahnt, ohne es weiter zu vertiefen, daß die Galilei-Transformationen (1.3) eine Gruppe bilden. Das bedeutet im Klartext: zweiGalilei-Transformationen hintereinander ausgefuhrt, fuhrt wieder auf eine sol-che, und es existiert eine Umkehrung, die dann auch wieder eine Galilei-Transformation ist. Zu jedem gleichformig bewegten Objekt kann man einBezugssystem angeben, in dem dieses Objekt ruht. Bewegt sich das Objekt mitder Geschwindigkeit v gegen ein gegebenes Bezugssystem S, so hat das gesuch-te Inertialsystem S(0) – das Ruhesystem des Objektes – die Geschwindigkeit−v in der Galilei-Transformation (1.3). In der xt-Ebene bedeutet der Ubergangauf ein Ruhesystem die Spiegelung der t(1)-Achse an der t-Achse entsprechendAbb. 1.7. Als Beispiel fahre ein Zug geradlinig mit konstanter Geschwindig-keit v relativ zu dem Inertialsystem

”Erde“. Will man nun das Inertialsystem

”Zug“ als Ruhesystem betrachten, muß man demnach von dem Erde-System

auf das Zug-System mit −v die Galilei-Transformation ausfuhren. Das hinter-einander Ausfuhren von Galilei-Transformationen entspricht dem GalileischenAdditionstheorem. Man kann sich das gut anhand eines Beispieles klarmachen,das schon Christian Huygens [22] anfuhrte. Ein Ball werde in einem Bootbewegt, das einen Fluß hinabtreibt. S(2) ist das Ruhesystem des Balles, S(1)

ist das des Bootes und S das des am Ufer stehenden Beobachters. Dieser siehtdie Bewegung des Bootes mit der Geschwindigkeit v und die des Balles mitder Geschwindigkeit v(2) = v+v(1), wenn eine im Boot befindliche Person demBall die Geschwindigkeit v(1) erteilt (entsprechend der Abb. 1.7).

Wir haben oben gesehen, daß alle Inertialsysteme gleichwertig sind und inihnen die Gesetze der Mechanik in ihrer einfachen, klassischen Form gelten. Esgibt keine physikalische Moglichkeit zu entscheiden, ob das eine Inertialsystemin Ruhe ist und das zweite sich relativ zu ihm in gleichformiger Bewegung

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

befindet, oder ob das zweite ruht und das andere sich bewegt oder gar, obbeide gegenuber einem dritten sich bewegen. Da fragt man sich, was es uber-haupt mit dem von Newton postulierten absoluten Raum auf sich hat. Newtondeutet den Widerstand aller Korper gegen eine Anderung der Geschwindig-keit (Beschleunigung) als Wirkung des absoluten Raumes. Geschwindigkeitist ein Vektor und hat demzufolge einen Betrag, der angibt, wie schnell sichetwas bewegt, und eine Richtung; Geschwindigkeitsanderung bedeutet, daßsich mindestens eine der beiden Großen andert und eine entsprechende Be-schleunigung stattfindet. Uberall, wo Beschleunigungen auftreten, entstehenTragheitskrafte, und diese sind nach Newtons Ansicht nichts anderes als dieFolge von Geschwindigkeitsanderungen im absoluten Raum. Im Kapitel A.2wird gezeigt, daß Beschleunigungen resp. Geschwindigkeitsanderungen in al-len Inertialsystemen den selben Wert haben, was diese Begrundung fur denabsoluten Raum rechtfertigen konnte. Bezugssysteme, die gegenuber Inertial-systemen sich beschleunigt bewegen, sind mit diesen und untereinander nichtgleichwertig! Newton versuchte die Idee des absoluten Raumes mit Hilfe einesGedankenexperimentes – des Eimerversuchs – zu begrunden, ein weiteres Ex-periment, das diese Idee stutzen konnte, ist der Foucaultsche Pendelversuch,der die absolute Rotation der Erde beweist (siehe zu beiden Experimenten [4]S. 67 ff.). Der Begriff und die Existenz eines absoluten Raumes wurde trotzNewtons Autoritat von Physikern immer wieder in Zweifel gezogen (siehe dazuz.B. [18] oder [48]) bis Einstein in seiner Allgemeinen Relativitatstheorie eineLosung dieser Frage fand.

1.5 Elektrodynamik und die Suche nach dem Ather

Die Mechanik ist der historische alteste Teil der Physik und gleichsam ihr Fun-dament. Aber trotzdem ist sie nur ein kleiner Teil der Physik; die sich in derFolge – nach Newton – herausbildenden Teile wie Optik, Warmelehre undElektrodynamik entwickelten sich wesentlich umfangreicher, aber trotzdem bil-deten die Gesetze der Mechanik immer wieder die Grundlage zur Erklarungder dort auftretenden Phanomene. Es ist unmoglich diese Vielfalt hier auchnur zu streifen, es sollen quasi schlaglichtartig nur die Beispiele angeschnit-ten werden, die fur unser zukunftiges Thema der Speziellen Relativitatstheo-rie grundlegend sind: die Themen

”Raum“und

”Zeit“. Wer tiefer interessiert

ist an den Details der einzelnen Bereiche der Physik, sei auf das didaktischhervorragende Buch von Max Born

”Die Relativitatstheorie Einsteins“ [4]

verwiesen, in dem in allgemeinverstandlicher Form die Zusammenhange be-schrieben werden. Wir beschranken uns in dem Skriptum hier nur auf einigeBeispiele, die deutlich machen, welche Revolution die Spezielle Relativitats-theorie fur die physikalischen Weltanschauung bedeutete.

In diesem Zusammenhang sind besonders die Teilgebiete der Optik und derElektrodynamik von Bedeutung, denn Licht und elektromagnetische Kraftedurchdringen den leeren Raum; Licht durchdringt auch Gefaße mit hochstemVakuum und die Krafte wirken durch das Vakuum. Im Jahre 1678 formu-lierte Christian Huygens die Wellentheorie des Lichtes, wogegen Newton

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1.5. Elektrodynamik und die Suche nach dem Ather

scheinbar die Korpuskeltheorie favorisierte, obwohl er sich nicht klar fur eineTheorie entschied, indem er feststellt,

”. . . daß das Licht etwas ist, das sich

mit einer bestimmten Geschwindigkeit wie ausgeschleuderte Korperchen vondem leuchtenden Korper fortbewegt“. Von spateren Physikern wurde dieseAußerung als Befurwortung der Korpuskeltheorie gedeutet und aufgrund sei-ner Autoritat galt diese Theorie das ganze folgende Jahrhundert uber. ErstAugustin Jean Fresnel (1788 - 1827) gelang es um 1822 durch seine Arbei-ten an Interferenzen des Lichtes der Wellentheorie zum Durchbruch zu verhel-fen4. Im Jahr 1676 errechnete Olaf Christensen Romer (1644-1710) ausder Verfinsterung der Jupitermonde die Zeit, die das Licht zum Durchquerendes Erdbahn-Durchmessers benotigt, zu 22 min. Huygens konnte dann ausdiesem Wert und der Bestimmung des Erdbahn-Durchmessers durch Cassiniden Wert der Lichtgeschwindigkeit c zu 230.000 km/s berechnen. Der heutigeWert fur c ist:

c = 299.792, 458 km s−1 (1.4)

Man konnte sich zu dieser Zeit uberhaupt nicht vorstellen, daß sich Welleneinfach durch den leeren Raum fortpflanzen konnen, und verfiel deshalb aufdie Hypothese, daß der Raum nicht leer, sondern mit einem unwagbaren Stoffals Trager dieser Wellenerscheinungen – dem Ather – erfullt sein musse. Die-se Vorstellung hielt sich, in immer komplizierteren und abstruseren Formen,bis Einstein damit aufraumte. Wie diese Ideen sich entwickelten, wollen wirim folgenden kurz darstellen und dabei einige allgemeine Begriffe, die Wellenbetreffend, kurz erlautern, da wir sie bei der Behandlung der Speziellen Rela-tivitatstheorie wieder benotigen werden.

1.5.1 Welle und Interferenzen – der elastische Ather

Das anschaulichste Beispiel einer Welle ist das einer ringformigen Wasserwelle,die entsteht, wenn man einen Stein in ein Wasserbecken mit ruhiger Ober-flache wirft. Vom Zentrum aus breiten sich die Erhebungen und Vertiefungenringformig aus. Bei genauer Beobachtung, etwa indem man Papierschnipseloder Korkpulver auf die Wasseroberflache streut, stellt man fest, daß dieseTeilchen nur eine Auf- und Abbewegung vollfuhren, wahrend die Welle sichscheinbar vom Zentrum fortbewegt. Diese Zusammenhange kann man in ab-strakter Form auf eine ungedampfte sinusformige Wellenbewegung ubertragen,die sich in gerader Richtung ausbreitet, wie in Abb. 1.8 dargestellt ist. Die Ho-rizontale markiert entweder die Zeit oder die Entfernung vom Ausgangspunkt,die Senkrechte ist ein Maß fur die Auslenkung, wobei die maximale Auslenkung(in positiver oder negativer Richtung) von der Horizontalen die Amplitude derWelle bedeutet. Die Zeit T in der Abbildung, die vergeht, bis der ausgelenk-te Punk wieder auf der gleichen Stelle in der Vertikalen (beispielsweise derNullpunkt) zuruckkehrt, heißt Schwingungsdauer. Der Kehrwert der Schwin-

4Am Rande sei vermerkt, daß es ausgerechnet Albert Einstein war, der 1905 in seinemArtikel

”Uber einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen

Gesichtspunkt [AdP 17,132 (1905)]“ (Nachdruck in [37]) zeigte, daß das Licht auch korpu-luskaren Charakter hat, und fur den er 1921 den Nobelpreis erhielt.

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

Abbildung 1.8: Charakteristika einer Welle; Erlauterung im Text.

gungsdauer bezeichnet die Frequenz ν der Schwingung: ν = 1T . Wahrend einer

Schwingung – wenn der Punkt wieder zur Ausgangslage zuruckgekehrt ist –ruckt die Welle um den Betrag der Wellenlange λ vor. Damit ergibt sich dieGeschwindigkeit (= Weg geteilt durch Zeit) c der Welle zu

c =λ

Toder c = λ · ν (1.5)

Mit diesen so definierten Großen laßt sich nun solch eine Wellenbewegung,wie in Abb. 1.8 dargestellt, auch formelmaßig beschreiben. Wahlen wir diehorizontale Achse als x- oder t-Achse und die vertikale fur die Amplitude A(das Maximum von A sei auf den Wert 1 normiert), so ergibt sich sie Formelfur die Sinuswelle zu

A(x, t, ϕ) = sin

[2π

(x

λ− νt

)+ ϕ

](1.6)

Die Große ϕ stellt die Phase dar, normalerweise als konstante Große betrach-tet, die angibt, um wie viel der Ausgangspunkt der Sinuskurve auf der x- odert-Achse verschoben ist. Fur konstantes t, z.B. t = 0, stellt (1.6) eine Sinuskurveentlang der x-Achse dar und fur konstantes x,z.B. x = 0, eine entsprechendeKurve entlang der t-Achse. Das Quadrat der Amplitude stellt die Intensitatdes Lichtes dar, die Große, die wir beobachten.

Um hier einige Zahlenbeispiele anzufuhren, betrachten wir das Licht dergelben Natriumlinie, bekannt von der Natriumlampe oder aus dem Experi-ment, bei dem man mit Kochsalz (Natriumchlorid) die Flamme eines Bunsen-brenners gelb farbt. Die Wellenlange des gelben Lichtes betragt λ ≈ 6·10−5 cm.Als Schwingungszahl oder Frequenz erhalten wir damit ν = c

λ = 3·1010

6·10−5 =5 · 1014 also 500 Billionen Schwingungen pro Sekunde.

Treffen nun zwei Wellen aufeinander, kommt es zu Interferenzen, d.h. zurVerstarkung oder Abschwachung der Amplitude, eine Erscheinung, deren Ent-deckung der Wellentheorie des Lichtes zu Durchbruch verholfen hat. Um MaxBorn zu zitieren [4] kann man dieses Phanomen so beschreiben:

”Licht zu

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1.5. Elektrodynamik und die Suche nach dem Ather

Licht gefugt ergibt nicht notwendig verstarktes Licht, sondern kann sich auchschwachen oder gar ausloschen“. Der Grund fur diese scheinbar paradoxe Er-

Abbildung 1.9: Interferenz; die punktierten Kurven stellen zwei gegeneinander phasenver-schobene Wellen dar. Die durchgezogene Kurve ist die Intensitat der uberlagerten Wellen,d.h. das Quadrat der Summe der jeweiligen Amplituden.

scheinung ist der, daß die Lichtwelle einen Bewegungszustand darstellt undnicht einen Fluß von Partikeln. Wichtig, um Interferenzerscheinungen zu er-zeugen, ist, daß zwei Wellen zusammenkommen, die sich in der Phase ϕ unter-scheiden. Mathematisch werden die Ausdrucke (1.6) fur die Amplituden derbeiden Wellen einfach addiert und ergeben so die resultierende Amplitude. Diebeobachtbare Intensitat bei der Interferenz ergibt sich dann aus dem Quadratder Amplitudensumme (naturlich, wie oben schon beschrieben, bei festem Zeit-punkt t in Abhangigkeit von x oder bei festem Ort x in Abhangigkeit von t).In Abb. 1.9 ist dieses Verhalten graphisch dargestellt; die punktierten Kurvenstellen zwei gegeneinander phasenverschobene Wellen dar, die durchgezogenedie Intensitat der interferierenden Wellen. Man kann deutlich erkennen, daß anverschiedenen Stellen (resp. zu verschiedenden Zeiten) periodisch Verstarkun-gen und Ausloschungen stattfinden.

In der Folge wird des Ofteren von Interferenzstreifen die Rede sein. In ei-nem Interferometer (ein optisches Gerat zur Messung der Interferenz) mißtman nun nicht Helligkeit oder Dunkelheit, hervorgerufen durch Verstarkungoder Abschwachung des Lichtes, sondern helle und dunkle Streifen oder Ringe.Das kommt daher, daß in der optischen Anordnung die beiden interferierendenStrahlen nicht exakt parallel sind und dadurch etwas verschieden lange We-ge zurucklegen mussen. Die Strahlen interferieren daher an unterschiedlichenStellen der Beobachtungsebene und erzeugen so entweder die Streifen oder dieRinge.

In der Fruhphase der Wellentheorie des Lichtes stellte man sich die Schwin-gungen als longitudinale Schwingungen vor, wie man solche von Schallwellenher schon kannte. Longitudinal heißt, daß die Auslenkungen in Ausbreitungs-richtung der Welle erfolgen und nicht senkrecht dazu. Im fruhen 19. Jahrhun-dert beobachtete man schließlich die Polarisation des Lichtes (hier soll nicht

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

naher darauf eingegangen werden, vielmehr sei hier wieder z.B. auf [4] verwie-sen) und es war wieder Fresnel, der aufgrund entscheidender Versuche 1817daraus den Schluß zog, daß die Lichtschwingungen transversal sein mussen –senkrecht zur Ausbreitungsrichtung.

Transversale Wellen waren nur bei elastischen festen Korpern als Schall-wellen bekannt, man schloß also, daß der Ather als Trager der Lichtwellenetwas in der Art eines festen Korpers sein musse. Zu dieser Zeit entwickeltesich auch die Elastizitatstheorie als Zweig der Mechanik. Dort konnte gezeigtwerden, daß die Ausbreitungsgeschwindigkeit c einer (transversalen) Welle sich

durch eine einfache Formel beschreiben laßt: c =√

ζ% . Dabei ist ζ die Elasti-

zitatskonstante und ρ die Dichte des Festkorpers. Fur Eisen ergibt sich soz.B. die Schallgeschwindigkeit zu ca. 5 km s−1. Wenn man nun den Ather alselastischen Festkorper ansieht, kann man aus der genannten Formel auf dienotigen Eigenschaften schließen, die er haben muß, um als Trager von Licht-wellen zu dienen. Betrachtet man die immense Geschwindigkeit des Lichtes,wie in (1.4) gezeigt, dann muß entweder ζ sehr groß und die Dichte des Athers% sehr klein sein, oder es muß beides gleichzeitig gelten. Außerdem war damalsschon bekannt, daß die Lichtgeschwindigkeit innerhalb von Materie (z.B Luft,Glas o.a.) unterschiedlich ist in verschiedenen Substanzen und sich außerdemvon der Vakuumlichtgeschwindigkeit unterscheidet. Der Ather mußte also inunterschiedlichen Substanzen unterschiedliche Eigenschaften annehmen.

Oben haben wir die Zahl der Schwingungen pro Sekunde des (Natrium-)Lichtes abgeschatzt. Wenn nun der Ather die Eigenschaften eines elastischenMediums haben soll, dann muß er eine extreme Steifigkeit aufweisen, um solcheSchwingungszahlen zu erlauben. Das steht aber in krassem Gegensatz zu denBeobachtungen der Himmelskorper, insbesondere der Planeten, die ja keinerleiAbweichungen von den Newtonschen Gesetzen zeigen. Um doch noch die Ideedes elastischen Athers zu retten, argumentierte der Irische Mathematiker undPhysiker George Gabriel Stokes (1819-1903) mit einer Analogie, daß dieFestigkeit eines Korpers durchaus etwas relatives ist, wie das Beispiel Glas, Sie-gellack oder Pech zeigt. Diese Materialien springen mit einem glatten Bruch,wenn mit einem Hammer darauf geschlagen wird. Ein Gewicht dringt aberlangsam in das Pech ein, als ware es eine sehr zahe Flussigkeit. Auf den Atherubertragen, reagiert er bei den schnellen Schwingungen wie ein Festkorper ex-tremer Steifigkeit, auf die vergleichsweise langsamen Planetenbewegungen hater aber keinerlei Einfluß.

1.5.2 Bewegte Korper im Ather

Bei unserer bisherigen Betrachtungen uber das Licht haben wir die Lichtwel-len aussendenden Objekte als ruhend betrachtet, wahrend sich die Wellen imAther ausbreiten. Der Raum der klassischen Mechanik ist leer bis auf einzelnematerielle Korper. Der Raum der Optik aber ist mit einem Ather erfullt, denman sich, wie wir oben gezeigt haben, als eine Art Materie mit einer Dichte

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1.5. Elektrodynamik und die Suche nach dem Ather

und Elastizitat vorstellen kann. Damit kann man die klassische Mechanik mitdem absoluten Raum und der absoluten Zeit auf diese mit dem Ather aus-gefullte Welt anwenden. Ather und die darin

”schwimmenden“ Massen wirken

nach den Newtonschen Kraftgesetz aufeinander; die Newtonsche Mechanikware demnach auf die Optik anwendbar. Die Hypothese uber den Ather, dienun gemacht wurde, war (siehe [4] S. 102 ff.) folgende:

Der Ather im Weltenraum weit außerhalb der materiellen Korperruht in einem Inertialsystem.

Ware das nicht der Fall, so wurden zumindest Teile des Athers beschleunigtsein, was Auswirkungen auf seine Dichte und Elastizitat hatte, die bei astrono-mischen Beobachtungen aufgefallen waren. Die Frage ist nun, zeigen optischeVersuche mit Korpern, die sich relativ zueinander bewegen, nur Abhangigkei-ten von ihren Relativbewegungen, oder laßt sich auch eine Bewegung relativzum Athermeer nachweisen? Im Kap. 1.5.1 wurde gezeigt, daß die wesentlichenBestimmungsstucke einer Welle neben der Ausbreitungsrichtung die Frequenzν und die Geschwindigkeit c sind. Im Folgenden sollen zwei der wichtigstenVersuche zu diesem Thema vorgestellt werden, die auch wieder in der Spezi-ellen Relativitatstheorie weiter unten in diesem Skriptum, eine Rolle spielenwerden: der Doppler-Effekt und der Fizeau-Versuch.

Der Doppler-Effekt, benannt nach Christian Doppler (1803-1852), derdiese Erscheinung vorhersagte und in seinem Hauptwerk 1842 publizierte, wirdam Beispiel von Schallwellen besonders deutlich. Eine Schallquelle, z.B. dasMartinshorn der Feuerwehr, die sich auf uns zubewegt, hat scheinbar einendeutlich hoheren Ton – hohere Frequenz – als bei der Bewegung von unsweg. Das gleiche beobachtet man auch bei Licht. Die Frequenz des Lichteseiner Quelle, z.B. eines Sternes, ist zu hoheren Frequenzen (= kurzeren Wel-lenlangen) verschoben – Blauverschiebung, wenn sie sich auf uns zu bewegt.Umgekehrt, wenn sich die Quelle von uns weg bewegt, ist sie zu niedrigerenFrequenzen (= langeren Wellen) verschoben – Rotverschiebung.

Betrachten wir nun die Zusammenhange quantitativ. Nehmen wir zunachstan, daß sich ein Beobachter auf eine sich in Ruhe befindende Lichtquelle mitder Geschwindigkeit v zubewegt. Die Strahlung der Lichtquelle habe die Fre-quenz ν0. Fur die vom Beobachter empfangene Strahlung gilt fur die FrequenzνB nach Gleichung (A.12) aus Kap. A.4 (Seite 134) die Beziehung

νB = ν0

(1 +

v

c

)(1.7)

Beobachtet wird demnach eine hohere Frequenz, eine Blau-Verschiebung derWellenlange. Entfernt sich aber der Beobachter von der Lichtquelle, dann istin obiger Gleichung v negativ zu nehmen, das heißt, die Frequenz erniedrigtsich – eine Rot-Verschiebung.

Eine analoge Uberlegung kann man anstellen, wenn der Beobachter in Ruheist und sich die Lichtquelle mit der Geschwindigkeit v auf ihn zu bewegt.

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

Entsprechend der Gleichung (A.13) aus Kap. A.4 (Seite 134) erhalten wir hierfur die beobachtete Frequenz νB

νB =ν0

(1− vc )

(1.8)

Fur positives v, d.h. die Lichtquelle nahert sich dem Beobachter, dann erhohtsich die Frequenz; umgekehrt, bei negativem v entfernt sich die Lichtquelleund die Frequenz erniedrigt sich.

Qualitativ sind beide gerade beschriebenen Falle identisch; wir erhaltenin beiden Fallen eine Blau-Verschiebung, sowohl, wenn sich der Beobachtereiner ruhenden Lichtquelle nahert, als auch, wenn sich die Lichtquelle einemruhenden Beobachter nahert. Die Frequenzen unterscheiden sich aber, wennauch nur geringfugig. Das kann man verdeutlichen, wenn wir den Bruch inGleichung (1.8) in eine Reihe entwickeln:

1

(1− vc )

= 1 +v

c+

(v

c

)2

+

(v

c

)3

+ · · ·

Der Unterschied ist tatsachlich sehr gering, denn wenn wir uns z.B. die Ge-schwindigkeit, mit der die Erde sich um die Sonne bewegt, im Vergleich zurLichtgeschwindigkeit vergegenwartigen, dann ist das Verhaltnis

β =v

c≈ 1 : 10.000

Das heißt, daß man bei solchen Großenordnungen die obige Reihe ab demquadratischen Glied β2 = 10−8 abbrechen kann, da solche Effekte nur in sehrwenigen Fallen beobachtbar sind. Man klassifiziert demnach Erscheinungender Optik und Elektrodynamik danach, ob sie nur von der Großenordnung βoder auch von β2 sind; erstere sind dann Großen 1. Ordnung, die anderen 2.Ordnung bezuglich β.

Die in den Gleichungen (1.7) und (1.8) auftretende Unsymmetrie ist aufden ersten Blick uberraschend, klart sich aber leicht auf, wenn man beruck-sichtigt, daß man nicht zwei Inertialsysteme vor sich hat – Lichtquelle undBeobachter –, sondern zusatzlich noch den Ather als Trager der Lichtwellen.In dem durch die Gleichung (1.7) wiedergegebenen Fall ruhen Lichtquelle undAther, wahrend sich der Beobachter bewegt; im anderen Fall ruhen Beobachterund Ather, wahrend sich die Lichtquelle bewegt. Die Unsymmetrie ist also inder Sache begrundet. Es sei nur noch angemerkt, daß identische Verhaltnisseauch fur Schallwellen gelten und daß dort der Unterschied durchaus nachweis-bar ist.

Wenn es nun gelingen wurde, Effekte 2. Ordnung nachzuweisen, ware dasein Beweis fur die Theorie des ruhenden Athers. Bei der Bewegung der Erdedurch den Ather mußte man quasi einen

”Atherwind“ spuren, der die Licht-

wellen mitnimmt, genau wie bei einem schnell fahrenden Auto die Luft hin-wegstreicht und die Schallwellen mittragt. Alle raffinierten Versuche, diesen

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1.5. Elektrodynamik und die Suche nach dem Ather

Effekt nachzuweisen, schlugen fehl, sowohl Versuche, die im Labor unternom-men wurden, als auch solche mit astronomischen Objekten, bei denen eigent-lich Effekte 1. Ordnung auftreten mußten (zu Details dieser Versuche undderen Interpretationen siehe [4]). Aus diesen negativen Resultaten zog man– Augustin Jean Fresnel – endlich den Schluß, daß der Ather zum Teilvon der Materie mitgefuhrt wird. George Gabriel Stokes ging sogar nocheinen Schritt weiter, indem er postulierte, daß die Erde den Ather in ihrem In-nern mit sich fuhrt und daß diese Mitfuhrung nach außen allmahlich abnimmtbis zur Ruhe des Weltathers.

Der Fizeau-Versuch sollte die Entscheidung herbeifuhren, ob der Athervon Materie mitgefuhrt wird, oder ganzlich von ihrer Bewegung unberuhrtbleibt. Er wurde 1851 von Armand-Hippolyte-Louis Fizeau (1819-1896)mit Interferenzversuchen an stromender Flussigkeit durchgefuhrt. In seinemExperiment fand er, daß die Lichtgeschwindigkeit in der stromenden Flussig-keit cFl gegeben ist durch die Beziehung

cFl =c

n+ v

(1− 1

n2

)(1.9)

Dabei ist v die Geschwindigkeit der Flussigkeit, die parallel zur Ausbreitungdes Lichtes ist, c die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum (ruhender Ather) undn ist der Brechungsindex der Flussigkeit. Bei der Bewegung der Flussigkeitsollte man nun erwarten, daß der Ather entweder mitgenommen wird, oderaber ganzlich unbeeinflußt bleibt. Im ersten Falle hatte die gemessene Licht-geschwindigkeit den Wert cFl = c

n , im zweiten Fall sollte sie cn + v sein. Keine

der beiden Annahmen wurde nun durch den Fizeau-Versuch bestatigt. Um dieAthertheorie zu retten, nahm man daher an, daß der Ather eben nur zum Teilvon der Materie mitgefuhrt wird. Man griff dabei auf fruhere Vorstellungenvon A. J. Fresnel zuruck und nannte den Faktor (1− 1

n2 ) ihm zu Ehren denFresnelschen Mitfuhrungskoeffizienten. Er hatte ihn allerdings auf anderemWege, mehr spekulativ, gefunden. Es zeigte sich spater, daß der Mitfuhrungs-koeffizient in der elektromagnetischen Lichttheorie aus Vorstellungen uber dieAtomstruktur der Materie und der Elektrizitat hergeleitet werden konnte (sie-he dazu [4]); spater – im Kapitel zur Speziellen Relativitatstheorie – werdenwir sehen, daß sich der Mitfuhrungskoeffizient ganz automatisch aus den Ad-ditionstheorem der Geschwindigkeiten ergibt.

In den bisher beschriebenen Experimenten – es wurden noch zahlreicheandere durchgefuhrt (siehe dazu [4]) – wurde der Ather als eine Substanzbetrachtet, die den Newtonschen Gesetzen unterliegt. Er unterliegt demnachdem Tragheitsgesetz und wird im Weltraum in einem Inertialsystem ruhen.In einem jedem dazu bewegten System mußte daher die Geschwindigkeit undRichtung der Lichtstrahlen anders erscheinen und insbesondere sollte mandamit auch die Geschwindigkeit der Erde oder des Sonnensystem bestimmenkonnen. Aber alle dazu durchgefuhrten Experimente ergaben ein negativesErgebnis – zumindest, was mit einer Genauigkeit 1. Ordnung in β gemessenwerden konnte. Es ergab sich also (zitiert aus [4], S. 123)

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

. . . Geschwindigkeit und Richtung der Lichtstrahlen sind vollkom-men unabhangig von der Bewegung des Weltkorpers, auf dem dieBeobachtung durchgefuhrt wird; oder anders ausgedruckt, die op-tischen Erscheinungen hangen nur von der Relativbewegung derKorper ab.

Die einzige Hoffnung, die Idee des Athers noch zu retten, war, ein Experi-ment durchzufuhren, das so empfindlich ist, daß Effekte 2. Ordnung bezuglichβ nachgewiesen werden konnen. Wir haben oben bei der Besprechung desDoppler-Effektes gesehen, daß β2 extrem klein ist, die Anforderungen an dasExperiment ist also dementsprechend groß.

Das Michelson-Morley-Experiment war in der Lage, die Genauigkeit zuerreichen, um den Effekt 2. Ordnung nachzuweisen. Es wurde 1881 zuerst vonAlbert Abraham Michelson (1852 - 1931) in Potsdam und 1887 in ver-feinerter Form zusammen mit Edward Williams Morley (1838 - 1923) inCleveland/Ohio durchgefuhrt. Es sollte eines der bedeutendsten Experimenteder Physik werden, fur das Michelson 1907 den Nobelpreis fur Physik alserster Amerikaner erhielt.

Abbildung 1.10: Michelson-Morley-Experiment; Erlauterung im Text

Das Experiment nutzt das Prinzip der Interferenz des Lichtes (siehe Kap.1.5.1) aus, das exakteste Messungen auf optischem Gebiet erlaubt. Um mogli-che Erschutterungen zu vermeiden, wurde der Versuch im Keller der Univer-sitat durchgefuhrt und zusatzlich der Verkehr in der Umgebung gesperrt. Die

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1.5. Elektrodynamik und die Suche nach dem Ather

optische Anordnung wurde auf einer Steinplatte montiert, die in Quecksilberschwamm, um sie erschutterungsfrei drehen zu konnen. Im Zentrum der Schei-be – siehe Abb. 1.10 – befindet sich ein halbdurchlassiger Spiegel, der das Lichtaus der Lichtquelle teilweise durchlaßt zum Spiegel 1, zum Teil reflektiert zumSpiegel 2. Der vom Spiegel 1 zuruckgeworfene Lichtstrahl wird an dem halb-durchlassigen Spiegel (teilweise) reflektiert in Richtung Interferometer, wo ermit dem von Spiegel 2 reflektierten und von dem (halbdurchlassigen) Spiegeldurchgelassenen Lichtstrahl interferiert. Wie in Kap. A.5 – Gleichung (A.14)auf Seite 136 – gezeigt wird, ist der Zeitunterschied zwischen dem Strahl, derparallel zur Erdbewegung verlauft, zu dem senkrecht dazu verlaufenden, inguter Naherung gegeben durch

∆t =d

cβ2 (1.10)

Dabei ist d der in Abb. 1.10 bezeichnete Abstand zwischen halbdurchlassigenund den beiden anderen Spiegeln; c ist die Lichtgeschwindigkeit. Mit entspre-chender Meßgenauigkeit mußte also der Effekt 2. Ordnung nachweisbar sein.

Wenn man also den einen Arm der Meßapparatur in die Richtung der Erd-bewegung bringt, wie in Abb. 1.10 dargestellt, so kommen die beiden Strahlenmit der gegenseitigen Verzogerung ∆t im Interferometer an. Die Interferenz-streifen wurden also nicht an der Stelle liegen, wo sie bei ruhender Erde seinsollten, nur laßt sich das nicht feststellen. Erst wenn die Steinplatte um 90◦ ge-dreht wird, so sollten sich die Interferenzstreifen wahrend der Drehung durcheine Verschiebung bemerkbar machen, die der doppelten Verzogerung 2∆t ent-spricht.

In Abb. 1.9 haben wir gesehen, daß der Abstand der Maxima oder Minimader Interferenz der Frequenz oder dem Kehrwert 1

T der Periode T der zugrun-deliegenden Welle entspricht. Das Verhaltnis der Periode T zu der Verzogerung2∆t ist demnach

2∆t

T=

2d

cTβ2

mit den Beziegungen (1.5) auf Seite 16 erhalten wir so fur die Verschiebung δder Interferenzstreifen durch die Drehung

δ = 2d

λβ2

Michelson und Morley arbeiteten bei ihrem Versuch mit Licht der Wel-lenlange λ = 5, 9 · 10−5 cm und verlangerten den Lichtweg durch mehrfacheHin- und Herreflexion auf 11 m = 1, 1 ·103 cm. Weiter oben haben wir gesehen,daß β2 ≈ 10−8 sein muß. Setzt man diese Großen in die Formel fur δ ein, soerhalten wir

δ = 0, 37

Das bedeutet, daß sich die Interferenzstreifen um etwa 1/3 ihres Abstandesverschieben mußten. Michelson war sich sogar sicher, daß noch der hundert-ste Teil des Abstandes beobachtbar sein mußte. Es zeigte sich aber bei dem

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

Experiment von Michelson und Morley nicht die geringste Spur einer Ver-schiebung; auch alle weiteren Versuche, die Michelson und andere mit wesent-lich hoherer Prazision durchfuhrten, blieben ohne Ergebnis. 1930 wiederholteJakob Christoph Georg Joos (1894 - 1959) das Experiment mit bis da-hin unerreichter Genauigkeit, aber auch er fand innerhalb der Genauigkeit1 : 375 keinerlei Verschiebung (siehe dazu z.B. [42], dort findet man auch eineAbbildung des aufgezeichneten Interferenzbildes). Zuletzt wurde der Versuchnochmals 1958 von J. P. Cedarholm [5] mit Maserstrahlen durchgefuhrt,ebenfalls ohne den geringsten Nachweis einer Verschiebung von Interferenz-streifen. Daraus muß also geschlossen werden ([4] S. 188):

Der Atherwind ist nicht vorhanden. Die Lichtgeschwindigkeit wirdauch in Großen 2. Ordnung von der Bewegung der Erde durch denAther nicht beeinflußt.

Ernst Mach war der erste, der noch einen Schritt weiterging und die Ideedes Athers uberhaupt vollkommen verwarf; auch fur Albert Einstein wardas Ergebnis des Michelson-Morley-Experiments der Beweis, daß ein Athernicht existiert. Trotzdem hat sich der Gedanke weiterhin hartnackig gehalten– eigentlich bis in unsere heutige Zeit. Selbst Michelson und Morley wolltenden Ather nicht aufgeben, sie waren bis zu ihrem Tod eher der Meinung, daßeben ihre Messungen nicht genau genug seien (vielleicht zeigt sich der Effekterst ab der 4. Ordnung?).

1.5.3 Der elektromagnetische Ather – die Kontraktionshypo-these

Die Physik des 19. Jahrhunderts war stark gepragt durch Experimente undTheorien zu elektrischen und magnetischen Erscheinungen. Nur einige Namenvon Wissenschaftlern seien in diesem Zusammenhang erwahnt, die Wesentli-ches zum Verstandnis des Elektromagnetismus beigetragen haben und derenErkentnisse unsere gesamte moderne Technik noch bestimmen: 1785 gelanges Charles Augustin de Coulomb (1736 - 1806) als erstem, die Kraftezu messen, die elektrisch geladene Korper aufeinander ausuben; Alessan-dro Giuseppe Antonio Anastasio Graf von Volta (1745 - 1827) wirdzusammen mit Luigi Galvani (1737 - 1798) als Begrunder des Zeitaltersder Elektrizitat bezeichnet; Andre Marie Ampere (1775 - 1836) entdeckte1820, daß zwei stromdurchflossene Leiter eine (magnetische) Kraft aufeinan-der ausuben; Georg Simon Ohm (1789 - 1854) formulierte 1826 das nachihm benannte Gesetz. Zahlreiche andere namhafte Wissenschaftler trugen zurWeiterentwicklung der Elektrizitatslehre bei, dazu sei hier auch wieder auf dasBuch von Max Born [4] verwiesen.

Den Schlußpunkt setzte James Clerk Maxwell (1831 - 1879) durchseine beruhmten Gleichungen – Maxwellsche Feldgleichungen genannt –, dieElektrizitat und Magnetismus miteinander verbinden und die Grundlage desElektromagnetismus darstellen. Einstein bezeichnete das Werk Maxwells ineinem Nachruf anlaßlich des 100. Geburtstages von Maxwell

”als das Tiefste

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1.5. Elektrodynamik und die Suche nach dem Ather

und Fruchtbarste, das die Physik seit Newton entdeckt hat“.

Diese Gleichungen liefern eine endliche Geschwindigkeit c, mit der sich dieelektromagnetischen Krafte fortbewegen, und die sich fur deren Fortpflanzungin Korpern aus den elektrostatischen ε0 und elektromagnetischen µ0 Materi-alkonstanten ergibt

c2 =1

(ε0 · µ0)

Rudolf Hermann Arndt Kohlrausch (1809 - 1858) bestimmte gemein-sam mit Wilhelm Eduard Weber (1804 - 1891) diese Materialkonstantenund sie konnten zeigen, daß der daraus bestimmte Wert von c mit dem derLichtgeschwindigkeit ubereinstimmt. Dies war fur Maxwell der uberzeugendeBeweis, daß das Licht nichts anderes ist als eine elektromagnetische Welle.Heinrich Rudolf Hertz (1857 - 1894) gelang schließlich der experimentelleBeweis der elektromagnetischen Wellen, indem er sie tatsachlich erzeugte undderen endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit nachwies.

In dieser Zeit konnte man sich absolut nicht vorstellen, daß sich eine Kraft-wirkung durch den leeren Raum fortpflanzt, es mußte unbedingt ein Trager-medium geben – eben den Ather. Man hatte nun zwar nur einen Ather alsTrager der elektrischen, magnetischen und auch der optischen Erscheinungen,aber wie sollte er beschaffen sein? Diesem elektromagnetischen Ather wur-den die sonderbarsten Eigenschaften im Gegensatz zu dem elastischen Atherzugeordnet und auch Versuche unternommen, um diese Eigenschaften nachzu-weisen. Diese Situation der Physik in dieser Zeit hat Max Born sehr treffendcharakterisiert, indem er schrieb ([4] S. 164):

Wollte man sie wortlich nehmen [die Hypothesen uber den Ather],so ware der Ather eine furchterliche Maschinerie von unsichtbarenZahnradern, Kreiseln und Getrieben, die in der verwickelsten Wei-se ineinandergreifen, und von dem Wust ware nichts zu bemerkenals einige relativ einfache Krafte, die als elektromagnetisches Feldin Erscheinung treten.

Wir konnten weiter oben bei der Besprechung des (klassischen) Doppler-Effektes und des Fizeau-Versuches zeigen, daß der Ather entweder vollkommenoder nur teilweise von bewegten Korpern mitgefuhrt wird, zumindest, was Ver-suche erbrachten, die Effekte 1. Ordnung in β nachweisen konnten. Dabei wardie Theorie der teilweisen Mitfuhrung von Fresnel uberzeugender und imEinklang mit den Experimenten. In der elektromagnetischen Theorie sind nunauch beide Aspekte denkbar und es fragt sich, ob sich aus Theorie und/oderExperimenten eine Entscheidung herleiten laßt. Hertz war der erste, der dieHypothese der vollstandigen Mitfuhrung auf die Maxwellschen Gleichungenubertrug. Es zeigte sich, daß Induktionserscheinungen in bewegten Leiternmit dieser Theorie richtig wiedergegeben werden, aber bei bewegten Nichtlei-tern versagte diese Theorie.

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Kapitel 1. Newtons Raum- und Zeitbegriff

Die Losung des Problems blieb Hendrik Antoon Lorentz (1853 - 1928)mit seiner Elektronentheorie der Materie vorbehalten. Er setzte eine atomisti-sche Struktur der Materie voraus – eine zu damaliger Zeit verwegene Annahme– und konnte mit Hilfe der Maxwellschen Gleichungen die Leitfahigkeit σ, dieDielektrizitatskonstante ε0 und die Permeabilitat µ0 von Materie erklaren.Nicht nur das, er kann mit dieser Theorie auch viele optische Phanomene rich-tig beschreiben, auch den Fresnelschen Mitfuhrungskoeffizienten, ohne auf dieteilweise Mitfuhrung des Athers zuruckgreifen zu mussen. Ganz radikal undbestimmt erklart er daher den Ather betreffend (siehe [4] S. 176)

Der Ather ruht absolut im Raum!

Der Ather galt ihm als bevorzugtes Inertialsystem, in dem die MaxwellschenGleichungen gelten; in anderen Systemen gelten die Galilei-Transformationendieser Gleichungen. Diese seine Theorie war schließlich so erfolgreich, daß esihm nicht nur gelang, die Masse des Elektrons – etwa 2000mal kleiner als dieMasse des Wasserstoffatoms – zu bestimmen, sondern auch dessen Radius zua = 1, 1 ·10−13 cm abzuschatzen. So erfolgreich die Lorentzsche Theorie auchwar, alle Erklarungen bezogen sich ausschließlich auf Experimente, die Effek-te in der 1. Ordnung bzgl. β betrafen. Wie steht es aber mit Versuchen, dieso empfindlich sind, daß Effekte 2. Ordnung nachgewiesen werden konnen?Gilt dann auch noch obiger Satz uber den Ather? Bei der Besprechung desMichelson-Morley-Experimentes haben wir gesehen, daß sich – zumindest inder Große 2. Ordnung – keinerlei Effekt eines Atherwindes zeigt. Zu damaligerZeit hatte man daher argumentiert, daß der Ather von der Erde vollkommenmitgefuhrt wird. Das aber widersprach wiederum den Experimenten, die einepartielle Mitfuhrung bewiesen. Eine verfahrene Situation!

Um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, verfiel 1892 der irischeNaturwissenschaftler George Francis FitzGerald (1851 - 1901) auf diesonderbare Idee, daß sich die Große jeden Korpers, der sich mit einer Ge-

schwindigkeit v gegenuber dem Ather bewegt, um einen Bruchteil√

1− v2

c2

andert. Damit wurde sich der Arm, der bei dem Michelson-Morley-Experimentin Richtung der Erdbewegung zeigt, um diesen Faktor verkurzen.5 Es laßt sichdann leicht zeigen, daß dann die Laufzeitdifferenz ∆t der beiden StrahlenNull ist. Lorentz hat unabhangig (nach [8]) von FitzGerald eine umfas-sende Theorie entwickelt, die das Ergebnis des Michelson-Morley-Versuchs er-klart sowie eine Erganzung zur Maxwellschen Theorie liefert. Er kommt darinauch zu Ergebnissen, daß sich ein Korper bei einer Geschwindigkeit v in Be-

wegungsrichtung um den Bruchteil√

1− v2

c2kontrahiert; schließlich Lorentz-

FitzGerald-Kontraktion genannt. Fur die daraus sich ergebenden allgemeinen

5Bei dem Wissenschaftshistoriker und Philosoph Herbert Dingle [8] wird berichtet,daß keine schriftlichen Aufzeichnungen von FitzGerald uber dieses Phanomen existieren; dieeinzige Quelle ist der Bericht von O.J. Lodge in seinem Buch

”The Ether of Space“ [30]

einer personlichen Diskussion mit FitzGerald. Daraus ist aber eher zu schließen, daß nachdessen Hypothesen nicht der longitudinale Arm verkurzt, sondern vielmehr der transversaleArm verlangert wird. Die Wirkung auf das Ergebnis des Michelson-Morley-Versuchs bleibtaber gleich. Es gibt also demnach keine FitzGerald-Kontraktion sondern eine FitzGerald-Expansion.

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1.5. Elektrodynamik und die Suche nach dem Ather

Transformationsgleichungen hatte Henri Poincare (1854 - 1912) den BegriffLorentz-Transformation gepragt, der uns, vollkommen anders physikalisch be-grundet, in der Speziellen Relativitatstheorie wieder begegnen wird.

So sah das Weltbild der Physik um die Wende des 19. zum 20. Jahrhun-dert aus, eine Zeit in der sich auch Albert Einstein mit den Problemender Elektrodynamik bewegter Korper beschaftigte. Man war der Uberzeu-gung, daß in der klassischen Mechanik alle grundsatzlichen Probleme gelostseien, hochstens Erweiterungen in der Anwendung seien noch zu erarbeiten.Die Thermodynamik hatte man auf die statistische Mechanik zuruckgefuhrt,Mit der Maxwellschen Theorie hatte man ein geschlossenes Theoriegebaude,das die Elektrodynamik und Optik umfaßte. Einzig die Gravitation stand nochaußerhalb dieses geschlossenen Systems, aber man war der Hoffnung auch die-se Energieform in das theoretische Gebaude der Physik bald integrieren zukonnen.

Ein gravierender”Schonheitsfehler“ blieb allerdings, der fur Physiker, die

an die Einheit der Natur glaubten, unertraglich war: auf dem Gebiet der Me-chanik (und der damit erklarbaren anderen Disziplinen der Physik) galten alleInertialsysteme als ununterscheidbar und unterlagen der Galilei-Transforma-tion. Auf dem Gebiet des Elektromagnetismus aber gab es ein ausgezeichnetesInertialsystem – den Ather – und die Transformation bewegter Systeme be-schrieb die Lorentz-Transformation.

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Kapitel 2

Einsteins SpezielleRelativitatstheorie

”Der normale Erwachsene denkt uber die Raum-Zeit-Proble-

me kaum nach. Das hat er seiner Meinung nach als Kindgetan. Ich hingegen habe mich geistig derart langsam ent-wickelt, daß ich erst als Erwachsener anfing, mich uber Raumund Zeit zu wundern. Naturgemaß bin ich dann tiefer in dieProblematik eingedrungen als die normal veranlagten Kin-der.“Einstein; zitiert in [12]

In diesem Weltbild der klassischen Mechanik und Elektrodynamik, das inden letzten Kapiteln beschrieben wurde, arbeitete auch Albert Einstein(1879 -1955) und kommt

”erst nach siebenjahrigem (von 1898 bis 1905) ver-

geblichem Nachdenken“ zu der von ihm angestrebten Losung, der SpeziellenRelativitatstheorie (Einsteins eigene Aussage wahrend eines Vortrages 1924;zitiert aus [43] S. 132). Was fuhrte Einstein schließlich zu seinen revolutio-nierenden Ideen?

Einstein war zutiefst uberzeugt von der allgemeinen Gultigkeit des Re-lativitatsprinzipes, nach dem alle Inertialsysteme gleichwertig sind, wahrenddie Theorie von Maxwell und Lorentz den Ather als bevorzugtes Inerti-alsystem ansehen. Wir haben im letzten Kapitel gesehen, daß nach letzterenTheorien im Lorentzschen Ather die Maxwellschen Gleichungen in ihrer ur-sprunglichen Form gelten, in allen anderen Inertialsystemen aber die Galilei-Transformationen dieser Gleichungen. Das Michelson-Morley-Experiment hat-te gezeigt (Kap. 1.5.2 S. 22), daß eine Bewegung relativ zu dem Ather nichtnachweisbar war und Lorentz versuchte daraufhin mit seiner Elektronen-theorie nachzuweisen, daß aufgrund der Lorentz-FitzGerald-Kontraktion die-ses negative Ergebnis zustande kommen muß. Einstein argumentierte genauanders herum: er behauptet, daß der nicht zu erbringende Nachweis einer Be-wegung der Erde relativ zum Ather ein empirischer Hinweis auf die Gultigkeitdes Relativitatsprinzips auch fur die Elektrodynamik und die Optik ist. In derklassischen Mechanik hatte sich das Relativitatsprinzip in zahlreichen Experi-

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menten als richtig erwiesen, weshalb nun Einstein die allgemeine Gultigkeitbehauptete und es zu einem Kriterium fur die Zulassigkeit eines physikali-schen Prinzips erhob. Fur Einstein galt es nun, das Relativitatsprinzip mitder Elektrodynamik und Optik in Einklang zu bringen. Er tat das – als wei-teres Postulat – mit Hilfe einer Erkenntnis aus der Elektrodynamik, daß dieLichtgeschwindigkeit unabhangig von der Geschwindigkeit der Quelle ist undin dem Ruhesystem des Athers einen konstanten Wert hat. Zwei Postulatesind fur ihn damit Grundlage dessen, was die Relativitatstheorie ausmacht(zitiert aus [15] S. 189):

1. Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist fur alle gleichformig gegenein-ander bewegten Systeme gleich groß.

2. In allen gleichformig gegeneinander bewegten Systemen gelten durchwegdie gleichen Naturgesetze.

Damit stellte sich Einstein bewußt gegen Newtons Gesetz von der Additionder Geschwindigkeiten und es war ihm klar, daß es damit einer Revision derkinematischen Grundlagen der gesamten Physik bedurfte. Wir konnen hierwieder Max Born ([4] S. 123 und 194) zitieren, der uber Einstein schreibt

Dazu gehort eine erhabene Freiheit von Konventionen der uber-kommenen Theorie, die erst dann moglich ist, wenn der gordischeKnoten von Konstruktionen und Hypothesen so verwickelt gewor-den ist, daß das Durchhauen die einzige Losung bleibt. . . . Er fandin den ublichen Vorstellungen von Raum und Zeit eine Annahme,die nicht auf Tatsachen beruhte. Er hatte Erfolg, indem er diesevorgefaßte Meinung aus der Theorie entfernte.

Nicht umsonst betitelte Einstein seine im Jahr 1905 erschienene bahnbre-chende Arbeit zur Speziellen Relativitatstheorie (in [14])

”Zur Elektrodynamik

bewegter Korper“ in Anspielung an die Diskussionen der damaligen physikali-schen Welt. Im eigentlichen Sinn aber ging es ihm, wie Max Born formulierthat, darum, die Vorstellung uber Raum und Zeit zu uberdenken. Nach derklassischen Mechanik hat die Geschwindigkeit irgendeines Korpers in zwei zu-einander bewegten Inertialsystemen verschiedene Werte. Auf der anderen Seitewar die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit experimentell nachgewiesen. Furihn blieb also damit nichts anderes ubrig, als erstere Annahme — die unter-schiedlichen Geschwindigkeiten — und damit die von Newton formuliertenPrinzipien uber Raum und Zeit aufzugeben. In der Einleitung seines Artikels(z.B. in [43] S. 143) formuliert Einstein dieses Vorgehen:

Wollen wir die Bewegung eines materiellen Punktes beschreiben,so geben wir die Werte seiner Koordinaten in Funktion der Zeit.Es ist nun wohl im Auge zu behalten, daß eine derartige mathe-matische Beschreibung erst dann einen Sinn hat, wenn man sichvorher daruber klar geworden ist, was hier unter

”Zeit“ verstanden

wird. Wir haben zu berucksichtigen, daß alle unsere Urteile, in wel-cher die Zeit eine Rolle spielt, immer Urteile uber gleichzeitigeEreignisse sind.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

2.1 Einsteins Raum- und Zeitbegriff

Die Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie, die Lehre von der Bewe-gung von Punkten oder Korpern in Raum und Zeit, ist von grundsatzlichanderer Gestalt als die Kinematik der klassischen Mechanik. Betrachtet manin der klassischen Mechanik Inertialsysteme, die sich relativ zueinander ingleichformiger Bewegung befinden, so kann man deren raumliche Anordnung– ihr Koordinatensystem – losgelost von der Zeit betrachten. Die Zeit ist dorteine eigene Wesenheit (Entitat), die

”gleichformig und ohne Beziehung auf

einen außeren Gegenstand fließt“. In der in Kap. 1.4 beschriebenen Galilei-Transformation kommt das durch die universelle Gleichzeitigkeit in den Inerti-alsystemen zu Ausdruck. Diese kann es nur geben, wenn es so etwas wie die vonEinstein [11] bezeichneten

”Momentansignale“ gibt, Signale von unendlicher

Ausbreitungsgeschwindigkeit, die eine Synchronisation von Uhren gestatten.Wenn nun diese Momentansignale aufgegeben werden sollen, muß grundsatz-lich neu uber eine Definition von

”Gleichzeitigkeit“ nachgedacht werden.

2.1.1 Gleichzeitigkeit

Was ist nun Gleichzeitigkeit? In der Newtonschen Mechanik war sie a priorigegeben und ein Ereignis X auf der Sonne und ein Ereignis Y auf der Er-de konnte selbstverstandlich als gleichzeitig angesehen werden. Mochte mannun diese Gleichzeitigkeit beurteilen, mußte man an beiden Orten Uhren ha-ben, die gleich gehen und außerdem synchron laufen. Um eine Bemerkung vonEinstein [14] aufzugreifen und leicht zu modifizieren, ware Gleichzeitigkeitgegeben, wenn sowohl der große Zeiger der Uhr auf der Sonne auf 7 steht,wahrend das Ereignis X eintritt, als auch die Uhr auf der Erde den Zeiger aufder 7 stehen hat, wenn bei ihr das Ereignis Y eintritt. Eine Aussage uber Zeitoder Gleichzeitigkeit ist demnach nur mit Hilfe von Uhren moglich. Einsteinsoll einmal uberspitzt gesagt haben:

”Zeit ist, was die Uhr zeigt“ (zitiert in

[34] S. 26).

Setzen wir voraus, daß es moglich ist, Uhren mit extrem hoher Ganggenau-igkeit zu bauen, dann stellt sich die Frage, wie kann man zwei solcher Uhren,die sich in einem ruhenden System in festem Abstand d an den Stellen A undB befinden, synchronisieren? Was die Ganggenauigkeit anbelangt, so hat manheute einen hohen technischen Stand erreicht. Hochprazise Atomuhren, dieauf sog. Casium-Fontanen beruhen, haben eine Abweichung von 1 Sekunde in30 Millionen Jahren. Die Synchronisation solcher Uhren kann nun auf zweiWegen geschehen:

1. Man tragt sie an die selbe Stelle, z.B. in die Mitte von A und B, reguliertsie ein und bringt sie dann zu ihren Ausgangspunkten zuruck.

2. Man benutzt Signale zur Synchronisation.

Bevor wir den Synchronisationsvorgang beschreiben, soll noch ein Diagrammeingefuhrt werden, das uns in der Folge immer wieder begleiten wird. In den

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2.1. Einsteins Raum- und Zeitbegriff

vorhergehenden Kapiteln hatten wir das Raum-Zeit-Diagramm – die Min-kowski-Welt – benutzt, um die Verhaltnisse bei der Galilei-Transformationzu verdeutlichen. Hier greifen wir die Darstellung wieder auf, denn sie ist, wiewir noch sehen werden, gleichermaßen hilfreich bei der Speziellen Relativitats-theorie. Wie in den vorherigen Darstellungen des Raum-Zeit-Diagrammes be-trachten wir als Ortskoordinate nur die x-Achse; die y- und z-Achse lassenwir außer Betracht. Vom Koordinatenursprung gehen Lichtsignale aus – oderkommen an –, die sich in positiver wie in negativer Richtung mit gleicherGeschwindigkeit fortbewegen. Die Einheiten der auf den Achsen werden nunso gewahlt, daß die Richtung der Lichtstrahlen immer einen Winkel von 45◦

gegen die x-Achse bilden. Das hat allerdings zur Folge, daß bei der Wahl derEinheit von z.B. 1m auf der x-Achse auf der t-Achse die sehr kleine Zeit 1m

centsprechen wurde. Deshalb hat sich eingeburgert, fur die Ordinate das Maßc · t zu benutzen. Das bedeutet, daß dort der Lichtweg gemessen wird, derWeg der Lange c · t, den das Licht in der Zeit t durcheilt. Die Lichtstrahlen,die nach

”oben“ gehen, gehen von der Lichtquelle im Ursprung aus, zeigen

also in die Zukunft, die Strahlen, die von”unten“ kommen, werden von einem

Empfanger (im Ursprung des Koordinatensystems) empfangen, sie kommenaus der Vergangenheit. Fur diese Strahlen haben sich die auf den ersten Blickverwirrenden Ausdrucke Vorwarts- und Ruckwartslichtkegel eingeburgert. In

Abbildung 2.1: Lichtausbreitung in der Minkowskischen Welt mit 2 Raumdimensionen;Erlauterung im Text

der alteren deutschen Literatur findet man noch die Ausdrucke”Nachkegel“ fur

den Vorwartslichtkegel und”Vorkegel“ fur der Ruckwartslichtkegel. Sprachlich

sind diese Ausdrucke leicht mißverstandlich, weswegen sie nicht mehr benutztwerden1. Der Ausdruck

”Kegel“ ruhrt daher, daß man, statt nur die x-Achse

als Raumkoordinate anzusehen, eigentlich die y- und z-Achse mit einbeziehenmußte. Wird z.B. nur die y-Achse mit einbezogen, so erhalten wir, wie wirim Kap. 1.3 in der Abb. 1.6 auf Seite 10 erlautert haben, eine 3-dimensionaleDarstellung, in der die vom Ursprung ausgehenden (oder einlaufenden) Licht-

1Die Bezeichnungen gehen auf H. Minkowski zuruck [33], der dabei selbst mit seinerFormulierung fur Verwirrung gesorgt hat:

”. . . der Vorkegel von O [Koordinatenursprung],

besteht, sagen wir, aus allen Weltpunkten, die Licht nach O senden, der zweite, der Nachkegelvon O, aus allen Weltpunkten, die Licht von O empfangen.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

strahlen jeweils einen Kegel bilden. Diese kann man, wie in Fig. a der Abb 2.1gezeigt, gerade noch zeichnerisch darstellen. Im Raum-Zeit-Diagramm bei dreiRaumdimensionen wird das dann zu einem nicht mehr abbildbaren Gebilde.Bei Inertialsystemen, die sich ja in gleichbleibender Richtung mit konstanterGeschwindigkeit gegeneinander bewegen, legt man, wie wir schon wiederholtbesprochen haben, die x-Achse in Bewegungsrichtung und kann die y- und z-Achsen außer acht lassen. Gemaß der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, dieunabhangig von der Bewegung der Inertialsysteme gegeneinander ist – Pramis-se 1 –, sind die Lichtkegel immer gleich ausgerichtet, wie es Fig. b der Abb. 2.1zeigt; das Objekt A ruhe in dem System, wohingegen sich das Objekt B inpositiver Richtung fortbewegt.

Oben haben wir die beiden Alternativen zur Synchronisation von Uhren be-schrieben. Die einfachste Methode ist naturlich die erstgenannte, aber meistensnicht praktikabel. Wie man mit der 2. Alternative mit Hilfe von Lichtsignalendie Synchronisation durchfuhren kann, hat Einstein schon in seiner Arbeit [14]beschrieben. Nehmen wir an, in einem ruhenden (!) Inertialsystem befinde sichdie ruhende Uhr A und in 300.000 km Entfernung davon die ebenfalls ruhendeUhr B. Es werde verabredet, daß zu dem Zeitpunkt 12 : 00 : 00 Uhr mittagsdie beiden Uhren synchronisiert werden sollen, d.h. daß gleichzeitig die Zeigerbeider Uhren auf 12 Uhr stehen (

”Zeit ist, was die Uhr zeigt“). Dazu wird von

der Uhr A zur Zeit tA das Zeitsignal mit einer Radiowelle zu Uhr B gesandt,wird dort zusammen mit der Uhrzeitinformation tB zuruckgesandt (reflektiert)und kommt bei A zur Zur Zeit t′A wieder an. Im Raum-Zeit-Diagramm wirddieses Vorgehen in Abb. 2.2 Fig. a verdeutlicht. Die beiden Uhren laufen dannsynchron, wenn gilt

tB − tA = t′A − tBUm bei unserem Zahlenbeispiel zu bleiben, muß bei synchronen Uhren tB =12 : 00 : 01 Uhr und t′A = 12 : 00 : 02 Uhr sein. Ist aber die Entfernung ABbekannt, so sind wegen der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit c beide Uhrensynchron, wenn gilt

2 ·ABt′A − tA

= c

In diesem Fall muß auch nicht die Zeitangabe tB zuruckgesandt werden, esgenugt die einfache Reflexion des Signals.

Dieses Vorgehen laßt sich nun auf das gesamte ruhende Inertialsystem er-weitern (siehe [14]), denn

• wenn die Uhr in B synchron zur Uhr in A lauft, dann lauft auch Uhr Asynchron zu B (Kommutativitat) und

• wenn die Uhr in A sowohl mit der B als auch mit der in C synchronlauft, so sind auch die Uhren in B und C synchron (Transitivitat).

Damit ist eine Definition von”gleichzeitig“ und

”Zeit“ in einem ruhenden In-

ertialsystem gewonnen. Einstein stellte sich nun an jeder Stelle des ruhendenInertialsystems eine Uhr vor und alle laufen synchron zueinander. Er soll aber

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2.1. Einsteins Raum- und Zeitbegriff

Abbildung 2.2: Synchronisation von Uhren; Erlauterung im Text

behauptet haben”. . . aber in Wirklichkeit fallt es mir (finanziell) schwer, auch

nur an einer Stelle eine aufzustellen“ (zitiert aus [41] S. 60).

Eine weitere Moglichkeit, Gleichzeitigkeit zu definieren, kann in einem ru-henden Inertialsystem so vorgenommen werden, indem man in der Mitte zwi-schen zwei Orten A und B am Ort C ein (Licht-) Signal zum Zeitpunkt tAnach beiden Richtungen aussendet. In Abb. 2.2 Fig. b sind die Weltlinien derdrei Orte in dem Raum-Zeit-Diagramm dargestellt. Die Signale – die gestri-chelten Linien in der Abbildung – erreichen die Orte A und B zum ZeitpunkttB gleichzeitig, d.h. sie haben den gleichen t-Wert. Startet man beim Eintref-fen des Signals an beiden Orten eine Uhr, so ist sichergestellt, daß beide Uhrenim ruhenden System immer die gleiche Zeit anzeigen. Weiterhin ist aus derAbb. 2.2 zu ersehen, daß in einem ruhenden System die Linien gleicher ZeitParallelen zur x-Achse darstellen.

Wie sieht es nun aus, wenn sich ein Inertialsystem – wir bezeichnen es mitS(1) – relativ zu einem ruhenden S geradlinig und gleichformig bewegt? Daswollen wir uns anhand der Abb. 2.3 verdeutichen. Die Minkowski-Welt desruhenden Systems S wird durch die x,ct-Achsen reprasentiert. Zum Zeitpunktt0 bewege sich ein Stab AB mit einer Geschwindigkeit v mit seinem Mittel-punkt 0 durch den Koordinatenursprung. Wir nehmen hier auch wieder an,daß die Bewegungsrichtung parallel zur x-Achse des Systems S erfolgt. Diey- und z-Koordinaten konnen wir dann vernachlassigen. Die Weltlinien derEndpunkte A und B sowie des Mittelpunktes 0 sind dann durch die Linien aund b resp. m in der Abb. 2.3 dargestellt.

Zum Zeitpunkt t = 0, in dem Moment, in dem der Stab an der x-Achse desSystems S im Punkt x = 0 vorbeikommt, werde ein Lichtsignal vom Mittel-punkt des Stabes ausgesendet, das an seinen beiden Enden registriert werdensoll. Die Weltlinien dieses Signals sind die gestrichelten Linien in der Abb. 2.3.Das nach links gehende Signal erreicht das eine Ende B des Stabes im (Welt-)Punkt B1, das nach rechts gehende das Ende A im (Welt-) Punkt A1. Da nachdem ersten Postulat von Einstein (siehe auf Seite 29) die Lichtgeschwindig-

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Abbildung 2.3: Gleichzeitigkeit im bewegten System; Erlauterung im Text

keit im Vakuum in allen gegeneinander gleichformig bewegten Inertialsystemengleich ist, sind die Events B1 und A1 gleichzeitige Ereignisse in dem Inertial-system S(1) des bewegten Stabes – aus der Sicht eines mit dem Stab bewegtenBeobachters erreicht das Licht gleichzeitig das vordere und das hintere Ende.Damit liegen auf der Verbindungsgeraden B1A1 alle Orte gleichzeitiger Ereig-nisse in dem System S(1). Im Gegensatz zu der Galilei-Transformation sinddie Linien gleichzeitiger Ereignisse nicht parallel zur x-Achse, sondern parallelzu der Geraden durch B1 und A1. Das mitbewegte System S(1) ist damit inder x,ct-Ebene durch ein schiefwinkliges Koordinatensystem reprasentiert mitden Achsen x(1) und ct(1). Es gibt also keine universelle Gleichzeitigkeit wiein der klassischen Mechanik von Newton, sondern nur eine relative, eine furjedes einzelne Inertialsystem separat geltende.

Die Geraden der Ausbreitung des Lichtsignals sind in beiden Systemen dieWinkelhalbierende, womit zum Ausdruck kommt, daß sich das Licht in beidenSystemen gleich schnell ausbreitet. Erst wenn wir auch den Satz anwenden,daß die Lichtgeschwindigkeit in allen Systemen den gleichen Wert hat, dannkonnen wir die Einheiten der Lange und der Zeit in den Inertialsystemenfestlegen und die Gleichungen angeben, die die Transformation von einemInertialsystem in ein anderes bestimmen.

2.1.2 Die Lorentz-Transformation

Wegen der endlichen Geschwindigkeit der Lichtsignale kann es nur eine re-lative Gleichzeitigkeit geben. Demzufolge gelten in Inertialsystemen, die sichrelativ zueinander gleichformig bewegen, unterschiedliche

”Zeiten“. Fur die

Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie stellt sich nun die Frage, welche

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2.1. Einsteins Raum- und Zeitbegriff

Transformationsgleichungen beim Ubergang von einem Inertialsystem S zu ei-nem relativ dazu bewegten Inertialsystem S(1) gelten. Es zeigt sich, daß dieseGleichungen durch die beiden schon genannten Postulate

1. Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist fur alle gleichformig gegenein-ander bewegten Systeme gleich groß.

2. In allen gleichformig gegeneinander bewegten Systemen gelten durchwegdie gleichen Naturgesetze.

eindeutig festgelegt werden.

Abbildung 2.4: Lichtausbreitung in Inertialsystemen; Erlauterung im Text

Stellen wir uns zwei Inertialsysteme S und S(1) vor, analog wie im letztenKapitel beschrieben, das eine – S –ruhend, das andere – S(1) – relativ dazu ingeradlinig, gleichformiger Geschwindigkeit. Wie die Raum- und Zeit-Achsenrelativ zueinander angeordnet sein mussen, konnen wir aus Abb. 2.3 entneh-men. Stellen wir uns weiterhin vor, ein Lichtimpuls breite sich im System Svom Punkt A zum Punkt B durch den leeren Raum aus wie in Abb. 2.4 dar-gestellt. Ist d die in S gemessene raumliche Entfernung zwischen den beidenPunkten, so gilt fur die Lichtfortpflanzung die Beziehung

d = c ·∆t .

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Die Entfernung d, die das Licht zwischen A und B zurucklegt, ist in Koordi-natenschreibweise ausgedruckt

d = x(B)− x(A) = ∆x .

Das Licht breitet sich nun nicht als eindimensionaler Strahl aus, wie die Abb.2.4 suggeriert, sondern gleichmaßig in alle Richtungen, so daß nach dem Zeit-intervall ∆t die

”Lichtkugel“ einen Radius der Große d = c ·∆t hat und den

Punkt B erreicht. Mathematisch wird die Oberflache dieser “Lichtkugel“ be-schrieben durch die Formel

(∆x)2 + (∆y)2 + (∆z)2 = c2 · (∆t)2

oder(∆x)2 + (∆y)2 + (∆z)2 − c2 · (∆t)2 = 0 (2.1a)

Diese Gleichung druckt die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit in Bezug aufdas Inertialsystem S aus; sie gilt unabhangig von der Bewegung der Lichtquel-le.

Betrachtet man nun den selben Vorgang von dem System S(1) aus, somuß wegen der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum eine analogeGleichung gelten:

(∆x(1))2 + (∆y(1))2 + (∆z(1))2 − c2 · (∆t(1))2 = 0 (2.1b)

Die beiden Gleichungen (2.1a) und (2.1b) mussen sich bei der Transformationder Raumkoordinaten und der Zeit beim Ubergang von S auf S(1) (oder um-gekehrt) gegenseitig bedingen. Oder anders ausgedruckt, die gesuchten Trans-formationsgleichungen mussen so beschaffen sein, daß die obigen Ausdruckeinvariant sind.

Zur Ableitung der gewunschten Transformationsformeln finden sich in derLiteratur zwei Arten von Vorgehensweisen. Einmal die graphische und zumanderen die algebraische Methode. Wir wahlen hier die algebraische, da sieknapper ist als die andere, und lehnen uns an das Vorgehen an, wie es in [4]beschrieben ist; dort findet sich auch ein Beispiel fur das graphische Vorgehen.

Ein Weltpunkt (Ereignis/Event) P habe in dem System S die Koordinatenx, ct und im System S(1) entsprechend x(1), ct(1). Das System S(1) bewege sichmit der Geschwindigkeit v parallel zur positiven Richtung der x-Achse von S.Die Situation ist durch ein Raum-Zeit-Diagramm in Abb. 2.5 dargestellt. DerPunkt P liegt auf einer Weltlinie

x(1) = C(1) ,

die einen in den Raumkoordinaten x(1)(C(1)) in S(1) ruhenden Punkt be-schreibt. Diese Weltlinie wird in dem System S (siehe Abb. 2.5) durch dieGleichung

x− vt = C

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2.1. Einsteins Raum- und Zeitbegriff

Abbildung 2.5: Berechnung der Lorentz-Transformation; Erlauterung im Text

beschrieben; C und C(1) sind Konstanten. Diese beiden Gleichungen stellendieselbe Weltlinie dar. Wir konnen also beide Gleichungen dividieren und er-halten

x− vtx(1)

=C

C(1)= α

Da C und C(1) konstant auf der Weltlinie sind, ist auch α auf dieser konstant.Wir erhalten also die Beziehung

αx(1) = x− vt, (2.2)

eine Beziehung die der der Galilei-Transformation ahnelt, aber mit dem Un-terschied, daß die Große α von der Geschwindigkeit v abhangt. Wie man sichleicht anhand der Abb. 2.5 klarmacht, hangt der Winkel, den das schiefwinkli-ge Koordinatensystem von S(1) aufspannt, von der Geschwindigkeit v ab unddamit auch die

”Konstante“ C(1) (C(1) ist naturlich nur bei festgehaltenem v

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

konstant).

Nach dem Relativitatsprinzip sind beide Systeme aquivalent, so daß wir dieArgumentation auch vom Standpunkt eines in S ruhenden Punkt betrachtenkonnen. Der einzige Unterschied besteht darin, daß wir die relative Geschwin-digkeit mit −v ansetzen mussen, denn auf S(1) bezogen, bewegt sich S mitder entgegengesetzten Geschwindigkeit. Es muß daher x(1) + vt(1) zu x pro-portional sein mit demselben Faktor α (beide Systeme sind gleichwertig). Wirerhalten also

αx = x(1) + v t(1) (2.3)

Mit Hilfe beider Gleichungen konnen wir nun t(1) in Abhangigkeit von x undt ausdrucken:

v t(1) = αx− x(1) = αx− x− vtα

=1

α[(α2 − 1)x+ vt]

und daraus schließlich

α t(1) =α2 − 1

vx+ t (2.4)

Die Gleichungen (2.2) und (2.4) ergeben die die gesuchte Transformationsglei-chungen fur die Umrechnung der Koordinaten von S zu S(1) bis auf den nochunbestimmten Faktor α.

Um diesen Faktor α zu bestimmen, nutzen wir die Tatsache aus, daß dieLichtgeschwindigkeit c eine universelle Konstante ist, d.h. sie hat in beiden Sy-stemen S und S(1) den gleichen Wert. Dazu nehmen wir an, daß ein Lichtstrahlvom Ursprung der Systeme ausgesandt wird. Er folgt in unserer Abb. 2.5 derWeltlinie des Lichtsignals, also der Winkelhalbierenden sowohl im System Sals auch im System S(1). Die Gleichungen dieser Weltlinien sind damit gegebendurch

x = ct und x(1) = ct(1)

Setzen wir x bzw. x(1) daraus in die Gleichungen (2.2) und (2.3) ein, ergibt

αct(1) = ct− vt = (c− v)t

αct = ct(1) + vt(1) = (c+ v)t(1)

Wenn wir beide Gleichungen miteinander multiplizieren, erhalten wir schließ-lich

α2c2t(1)t = (c− v)(c+ v)t(1)t

Damit konnen wir die Beziehung des Faktors α in Abhangigkeit von der Ge-schwindigkeit v errechnen zu:

α2 = 1− v2

c2= 1− β2 (2.5)

Damit sind die gesuchten Transformationsgleichungen vollstandig und wirkonnen fur den Ubergang vom System S auf das System S(1) schreiben:

x(1) =x− v t√1− v2/c2

, y(1) = y, z(1) = z, t(1) =t− v

c2x√

1− v2/c2(2.6a)

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2.1. Einsteins Raum- und Zeitbegriff

und fur die Umkehrtransformation entsprechend

x =x(1) + v t(1)√

1− v2/c2, y = y(1), z = z(1), t =

t(1) + vc2x(1)√

1− v2/c2(2.6b)

Zur kurzeren Schreibweise bei zukunftigen Anwendungen fuhren wir noch dieGroße k ein:

k =1√

1− v2

c2

=1√

1− β2(2.7)

Diese Transformationsgleichungen sind von der gleichen Form, wie sie H. A.Lorentz mit Hilfe seiner Elektronentheorie auf Basis der Maxwellschenund der Athertheorie abgeleitet hatte. Deshalb spricht man auch in der Spe-ziellen Relativitıatstheorie von der Lorentz-Transformation.

Wenn v � c ist, konnen wir β2 gegen 1 vernachlassigen und erhalten ausder Transformationsgleichung (2.6a) die Beziehungen

x(1) = x− v t, y(1) = y, z(1), t(1) = t

Dies ist die schon aus Kap. 1.4 bekannte Galilei-Transformation.

2.1.3 Einheiten, Invarianten und Eichkurven

Bei der graphischen Darstellung der Koordinatensysteme zweier Inertialsyste-me S und S(1) in der Minkowski-Welt, wie wir sie z.B. in Abb. 2.5 auf Seite 37dargestellt haben, konnten wir zwar festlegen, welchen Winkel die x(1)- unddie ct(1)-Achse aufspannen, aber die Einheitslangen auf diesen Achsen ken-nen wir noch nicht. Die Festlegung gelingt erst mit der Kenntnis der Lorentz-Transformation. Um zu zeigen, wie die Einheiten festgelegt werden, nutzen wirdie Abb. 2.6. Dort ist aber, im Gegensatz zu unseren bisherigen Festlegungen,als Zeit-Achsen wieder die Zeit t selbst genutzt, damit wir die Transformati-onsformeln (2.6a) und (2.6b) direkt anwenden konnen. Entsprechend Abb. 2.6schneidet die Weltlinie t = 1 die t(1)-Achse im Punkt A. Die Entfernung 0A istaber noch nicht die Einheitslange auf der t(1)-Achse. Dazu mussen wir erst dieZeit t(1)(A) in dem System S(1) bestimmen. Dazu berechnen wir im System Sdie x- und t-Koordinaten des Punktes A und uberfuhren sie dann mit Hilfe derLorentz-Transformation auf die x(1)- und t(1)-Koordinaten. Im System S hatder Punkt A die Koordinaten t = 1 und x = v (das ist analog zu dem Vorgehenbei der Galilei-Transformation in Abb. 1.7 auf Seite 12). Diese Koordinaten indie Formeln (2.6a) eingesetzt ergibt (wir betrachten nur die Transformationder Zeit, denn x(1)(A) = 0):

t(1)(A) =1− v2/c2√1− v2/c2

=√

1− v2/c2 =1

k

Da fur die Große k gilt: k ≥ 1, ist der Abschnitt 0A auf der t(1)-Achse kleinerals 1; wir mussen also, wie in Abb. 2.6 dargestellt, die Lange 0A mit demFaktor k multiplizieren, um die Einheit auf der t(1)-Achse zu finden.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Abbildung 2.6: Graphische Bestimmung der Einheiten auf den Koordinatenachsen derInertialsystemen; Erlauterung im Text

Wir hatten in dem Kap. 2.1 die Invarianz der Gleichung vom Typ (2.1a)und (2.1b) zur Voraussetzung fur die Herleitung der Lorentz-Transformationgemacht. Es laßt sich nun aber auch sehr leicht zeigen, daß der Ausdruck

x2 − (ct)2 = F (2.8)

ebenfalls invariant gegenuber der Lorentz-Transformation ist (F ist eine Kon-stante mit der Dimension einer Flache). Dazu nutzt man die Transformations-gleichungen (2.6a) und erhalt nach einfachen Umformungen

x2 − (ct)2 = (x(1))2 − (ct(1))2 (2.9)

Der Wert der Konstanten F ist zwar fur jeden Punkt der Minkowski-Weltanders, aber immer ist dieser Wert beim Ubergang von einem System S zueinem System S(1) der selbe, er ist invariant. Er hat auch unterschiedlicheVorzeichen, je nachdem in welchem Bereich des x,ct-Koordinatensystems derPunkt sich befindet. Entsprechend der Abb. 2.7 haben sich fur die verschie-denen Bereiche bestimmte Begriffe eingeburgert. Die Bereiche innerhalb desVorwarts- und des Ruckwartslichtkegels werden

”zeitartig“, die anderen Be-

reiche”raumartig“ genannt. Fur die beiden Bereiche gelten unterschiedliche

Vorzeichen fur die Große F , wie man leicht verifizieren kann:

zeitartig : (ct)2 > x2 ⇒ F < 0 (2.10a)

raumartig : (ct)2 < x2 ⇒ F > 0 (2.10b)

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2.1. Einsteins Raum- und Zeitbegriff

Abbildung 2.7: Raum- und zeitartige Bereiche in der Minkowski-Welt; Erlauterung imText

und auf beiden Lichtkegeln gilt

(ct)2 = x2 ⇒ F = 0 (2.10c)

Bestimmen wir in einem beliebigen Punkt der x,ct-Ebene des Systems S (erentspricht einem Ereignis) den Wert von F , so kennen wir wegen der Invarianzvon (2.8) ihn auch in der x(1), ct(1)-Ebene des Systems S(1). Dies gilt naturlichauch umgekehrt.

Damit konnen wir auf die Fragestellung vom Anfang dieses Kapitels zuruck-kommen und sie erweitern. Wo liegen nun die Einheitspunkte x(1) = 1 undct(1) = 1 in der x,ct-Ebene fur beliebige Werte der Geschwindigkeit v? Wennes gelingt, fur diese Punkte einen Ausdruck entsprechend (2.8) zu finden, ha-ben wir wegen der Invarianz dieses Ausdruckes auch die Koordinaten in derx,ct-Ebene. Mit Hilfe der Transformationsgleichung (2.6b) konnen wir dieseUmrechnung vornehmen. So erhalten wir fur den Einheitspunkt auf der t(1)-Achse (x(1) = 0) in der x,ct-Ebene

x =v√

1− v2/c2(2.11)

und fur den Einheitspunkt der x(1)-Achse (t(1) = 0) in der x,ct-Ebene schließ-lich

ct =1√

1− v2/c2(2.12)

Die beiden Ausdrucke (2.12) und (2.11) sind nichts anderes als eine Parame-terdarstellung einer Funktion in der x,ct-Ebene. Um die implizite Darstellungdieser Funktion zu erhalten, rechnen wir einmal den Ausdruck x2 − (ct)2 und

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

zum anderen (ct)2−x2 und setzen jeweils in (2.12) und (2.11) ein. So erhaltenwir fur die gesuchte Funktion die Formel

x2 − (ct)2 = ±1 (2.13)

Die Formel (2.13) stellt zwei gleichseitige Hyperbeln in der x,ct-Ebene dar,eine in dem zeitartigen, die andere im raumartigen Bereich. Diese Hyperbelnsind Eichkurven, denn in allen Punkten der Hyperbeln ist der Wert der GroßeF aus Formel (2.8) F = ±1 fur jeden beliebigen Wert von v. Haben wir, wiein dem Beispiel aus Abb. 2.6 ein ruhendes System S und ein dazu mit derGeschwindigkeit v bewegtes System S(1), so konnen wir mit Hilfe der Eich-kurven die Einheitspunkte auf den Koordinatenachsen von S(1) bestimmen. In

Abbildung 2.8: Eichkurven; Erlauterung im Text

den bisherigen Beispielen von zwei Inertialsystemen S und S(1) mit einer be-stimmten Geschwindigkeit ihrer gegenseitigen Bewegung konnten wir die bei-den Koordinatessysteme zeichnen. Legen wir das zugrunde und konstruieren

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2.1. Einsteins Raum- und Zeitbegriff

in diese Abbildungen die Hyperbeln entsprechend der Formel (2.13), so erhal-ten wir die Abb. 2.8. Der Schnittpunkt der ct(1)-Achse mit der Hyperbel imVorwartslichtkegel ist der Einheitspunkt auf der ct(1)-Achse und der Schnitt-punkt der x(1)-Achse mit der Hyperbel im positiven raumartigen Bereich istder entsprechende Einheitspunkt auf der x(1)-Achse. Fur jeden anderen Wertder Geschwindigkeit v ergeben sich andere x(1)- und ct(1)-Koordinaten. Undje großer die Geschwindigkeit v ist, umso großer ist der Winkel zwischen ct-und ct(1)-Achse und desto weiter ist der Einheitspunkt auf der ct(1)-Achsevom Koordinatenursprung entfernt. Wegen der Symmetrie zum Lichtkegel giltanaloges fur die x(1)-Achse.

2.1.4 Die raum-zeitliche Entfernung

Im letzten Kapitel wurde gezeigt, daß die Beziehung (2.8) invariant gegenuberder Lorentz-Transformation ist (eigentlich kein Wunder, denn sie wurde jaschließlich so definiert); der Wert von F ist zwar uberall – fur alle Werte von xund ct – anders, aber immer invariant. Wenn wir uns diesen Zusammenhang indem Raum-Zeit-Diagramm vergegenwartigen wie es in der Abb. 2.9 dargestelltist, und berucksichtigen, daß der Punkt A im zeitartigen Bereich liegt (nur erist physikalisch relevant), und in dem gemaß (2.10a) F < 0 ist, konnen wirschreiben:

F = s2 = (ct(A))2 − (x(A))2

und F als”Quadrat der Entfernung“ s des Punktes A vom Ursprung des Ko-

ordinatensystems interpretieren. In der Minkowski-Welt, die hier vorliegt, giltdaher nicht die Euklidische sondern die pseudo-Euklidische Geometrie; d.h. indem

”rechtwinkligen“ Dreieck mit der Hypothenuse s und den Katheten der

Lange x(A) und ct(A) gilt der”Pythagoras“ im Sinne der obigen Gleichung.

Die x- und ct-Achsen stehen nicht im Euklidischen Sinne aufeinander senk-recht, sondern im Sinne der pseudo-Euklidischen Geometrie.

Fur die Lange der zeitartigen Weltlinie AB oder, was gleichbedeutend istmit der raum-zeitlichen Entfernung AB, gilt, wie man aus der Abb. 2.9 ersieht,analog die Beziehung

(∆s)2 = (c∆t(1))2 = (c∆t)2 − (∆x)2

Auch dieser Ausdruck ist invariant gegenuber der Lorentz-Transformation, wieman sich (mehr oder weniger) leicht durch Einsetzen der Transformationsglei-chungen uberzeugen kann:

(c∆t)2 − (∆x)2 = (c∆t(1))2 − (∆x(1))2

Die raum-zeitliche Entfernung zweier Weltpunkte (Events) ist in-variant.

In voller Allgemeinheit gilt fur die vierdimensionale raum-zeitliche Entfernungzeitartiger Ereignisse

(∆s)2 = (c∆t)2 − (∆x)2 − (∆y)2 − (∆z)2 (2.14)

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Abbildung 2.9:”Entfernungen“ in der Minkowski-Welt; Erlauterung im Text

Die physikalische Interpretation der Weltlinie AB unserer Abb. 2.9 besagt, daßein Objekt in der Zeitspanne ∆t/c die Strecke ∆x mit der Geschwindigkeitv = c∆x/∆t zurucklegt. Betrachten wir das mitbewegte System S(1), in demdas Objekt ruht, so muß die ct(1)-Achse parallel zu der Weltlinie AB orientiertsein, wie es die Abb. 2.9 zeigt. Die x(1)-Achse ist entsprechend der Konventionso ausgerichtet, daß die Weltlinie des Lichtes die Winkelhalbierende der Koor-dinatenachsen von S(1) bildet. Die (invariante) Weltlinie AB schneidet auf derct(1)-Achse die Lange c∆t(1) aus, wahrend ihre Projektion auf die x(1)-Achse(per definitionem) null ist. Das heißt aber, daß die raum-zeitliche Entfernungzweier Events ein Maß fur die Eigenzeit TE des bewegten Objektes ist – dieZeit, die in seinem System S(1) zwischen den Ereignissen A und B vergeht:

∆TE =1

c

√(c∆t)2 − (∆x)2 = ∆t

√1− v2

c2(2.15a)

wenn wir v = ∆x∆t setzen. Fur infinitesimale Abstande dTE und dx konnen wir

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2.1. Einsteins Raum- und Zeitbegriff

Gleichung (2.15a) formulieren als

dTE = dτ = dt

√1− v2

c2(2.15b)

Betrachten wir ein Objekt, das sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegt, z.B.ein Photon, so gilt wegen (2.1a)

∆TE = 0 (2.15c)

Fur Lichtsignale steht die Zeit still. Es zeigt sich, daß die gerade Weltlinie

Abbildung 2.10: Verschiedene Weltlinien zwischen zwei Ereignissen in der Minkowski-Welt. Die Zahlen geben die raum-zeitliche Langen in Lichtsekunden an.

zwischen zwei Events A und B die großte Entfernung s =√|F | bedeutet.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Das sei anhand von vier verschiedenen Weltlinien in der Abb. 2.10 dargestellt.Die gerade Verbindung hat eine

”Lange“ von 8,1 Lichtsekunden [Ls], wahrend

die anderen, wie sich anhand der Gitterlinien leicht nachvollziehen laßt, trotzdes

”Umweges“ durch die Reflexion wesentlich kurzer sind. Die Weltlinie, die

auf beiden Wegabschnitten mit Lichtgeschwindigkeit durchlaufen wird, hatzwar den großtmoglichen Umweg aber die raum-zeitliche Lange null. Es istalso moglich, zwei Ereignisse (Events) durch unterschiedliche (zeitartigen!)Weltlinien zu verbinden, wobei aber die gerade Linie, die mit gleichformigerGeschwindigkeit durchlaufen wird, die großte raum-zeitliche Lange hat. Dieist gerade entgegengesetzt zur Euklidischen Geometrie, wo die kurzeste Ver-bindung zweier Punkte die Gerade ist.

2.1.5 Der inertiale Beobachter

In der Relativitatstheorie ist immer wieder die Rede von einem”Beobach-

ter“– ruhend oder gleichformig, geradlinig bewegt; dieses Bild einer Personmit einem Fernrohr ist nicht ganz zutreffend und man sollte das menschlicheElement vollstandig aus der Definition des inertialen Beobachters herauslassenund nach B.F. Schutz ([40], S. 4) festlegen,

er entspricht einfach einem Koordinatensystem fur die Raumzeit,das den Ort (x, y, z) und die Zeit (t) eines Ereignisses mißt.

Dieses Koordinatensystem ist nichts anderes als das schon definierte Raum-Zeit-Diagramm, das folgende Bedingungen erfullen muß, um inertial zu sein:

1. Die Entfernung zwischen einem Punkt P1 mit den Koordinate (x1, y1, z1)und dem Punkt P2 mit den Koordinate (x2, y2, z2) ist unabhangig vonder Zeit.

2. Die Uhren, die in jedem (Raum-) Punkt des Koordinatensystems ange-bracht sind, und die die Zeitkoordinate t anzeigen, sind synchronisiert(das ist nichts anderes als Einseins Definition, siehe Kap. 2.1.1.)

3. Die Geometrie des Raumes ist bei jeder konstanten Zeit t Euklidisch.

Die”Beobachtung“, die ein inertialer Beobachter macht, ist letztendlich die

Tatsache, daß er einem Ereignis E die Koordinaten (x, y, z) des Ortes unddie Zeit t, abgelesen an dem Ort (x, y, z), zuweist. Es ist aber nicht die Zeitt, die ein Mensch in dem Raumpunkt (0, 0, 0) registriert, sobald er von demEreignis erfahrt. Wenn wir in der Folge – nicht ganz korrekt – sagen,

”ein

bewegter Stab erscheint verkurzt . . .“, so ist immer ein Meßvorgang und keinevisuelle Beobachtung gemeint. Die visuelle Beobachtung ist von grundsatzlichanderer Art und wir werden darauf spater im Kap. 2.3.1 im Detail daraufzuruckkommen.

2.2 Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

Schon in seiner ersten Veroffentlichung zur Speziellen Relativitatstheorie [14]im Jahre 1905 (der Begriff

”Spezielle Relativitatstheorie“ taucht in Wirklich-

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

keit erst spater auf) zeigt Einstein Konsequenzen auf, die sich aus seiner Theo-rie fur die Messungen von Zeiten und Langen in zueinander bewegten Systemen– Inertialsystemen – ergeben, so z.B. daß die Summe zweier Geschwindigkeitennie großer als die Lichtgeschwindigkeit werden kann. In den folgenden Kapi-teln werden wir im Detail auf diese Themen eingehen. Es sind Ergebnisse derTheorie, die unser Vorstellungsvermogen sprengen und unseren Anschauungenwidersprechen; ein Grund, warum die Spezielle Relativitatstheorie angefeindetwurde und heute immer noch auf Widerstand vor allem von philosophischerSeite trifft.

Die Frage der Anschaulichkeit speziell in der Physik wird von dem Phi-losophen Gerhard Vollmer in seinem Buch mit dem Titel

”Was konnen

wir wissen?“ ausfuhrlich behandelt [47]. Nach ihm ist unsere Anschauungevolutionar gepragt durch den Mesokosmos, unsere Welt der

”mittleren Di-

mensionen“; wie z.B. der Langenbereich von Millimetern bis zu Kilometer,Zeiten von Zehntelsekunden bis zu Jahrzehnten, Geschwindigkeiten von Nullbis einige Meter pro Sekunde und ahnliches. Die Unanschaulichkeit der Spe-ziellen Relativitatstheorie ruhrt nach Vollmer in erster Linie nicht von demgroßen Wert der Lichtgeschwindigkeit, sondern von vor allem von ihrem Grenz-charakter her. In unserem Mesokosmos kommt so etwas nicht vor; die klassi-sche Physik kannte zwar den großen Betrag der Lichtgeschwindigkeit, aber einobere Grenze war nicht vorstellbar. Man hielt instantane Lichtsignale, nachEinstein

”Momentansignale“, fur moglich, und darauf beruht ja die Galilei-

Transformation der klassischen Mechanik.

Wie weit unsere Anschauungen unseres Mesokosmos von den Effekten derSpeziellen Relativitatstheorie entfernt sind, konnen wir uns an dem k-Faktoraus (2.7)

k =1√

1− v2

c2

=1√

1− β2= 1 +

1

2β2 +

3

8β4 · · ·

klarmachen. Er tritt, wie wir in den folgenden Kapiteln noch sehen werden,bei allen Anwendungen als Faktor auf, der z.B. beobachtete Langen bewegterStabe verkurzt, die Zeitdilatation hervorruft oder ahnliches. Ein Wert von 1des k-Faktors bedeutet, daß naturlich keinerlei Effekt auftritt (die Inertialsy-steme bewegen sich nicht gegeneinander). Mit wachsender Geschwindigkeit vwachst dann der Wert des k-Faktors, zunachst sehr langsam, aber bei Annahe-rung an die Lichtgeschwindigkeit immer starker und geht dort sehr schnellgegen Unendlich. Dieses Verhalten ist in der Abb. 2.11 dargestellt, wobei derWert des k-Faktors auf der Ordinaten im logarithmischen Maßstab gegen dieGeschwindigkeit (als Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit) aufgetragen ist. Wieaus dieser Abbildung hervorgeht, hat der k-Faktor bis zu etwa 40 % der Licht-geschwindigkeit praktisch uberhaupt keinen Einfluß; erst bei hoheren Wertenbeginnt er merklich und bei Annaherung an die Lichtgeschwindigkeit gravie-rend zu werden. Wenn wir die Schallgeschwindigkeit mit 0, 3 km/sec aus un-serem (erweiterten) Erfahrungsumfeld betrachten und dafur die Große k − 1als Einflußgroße der Speziellen Relativitatstheorie bestimmen, dann erhaltenwir dafur einen Wert von ≈ 5 · 10−13; verschwindend klein, aber trotzdem im

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Effekt nachweisbar, wie wir noch sehen werden. Selbst die Bewegung der Erde

Abbildung 2.11: Der Wert des k-Faktors (im logarithmischen Maßstab) in Abhangigkeitvon der Geschwindigkeit v (in Bruchteilen von c); Erlauterung im Text

um die Sonne mit einer Geschwindigkeit von 30 km/sec ergibt den Wert vonk−1 ≈ 5·10−9. Bei diesen Großenordnungen wird deutlich, daß die Effekte derSpeziellen Relativitatstheorie weit außerhalb unseres Anschauungsvermogenssind. In Kap. 2.5, wenn es um die experimentelle Bestatigung der Relativitats-theorie geht, werden wir allerdings sehen, daß trotzdem die prognostiziertenEffekte nachweisbar sind.

Wenn wir in den nachsten Kapiteln konkrete Anwendungen der SpeziellenRelativitatstheorie betrachten, werden wir auch immer mal wieder auf einegraphische Darstellung zuruckgreifen. Dazu wollen wir uns eine

”Standard-

Abbildung“ einer Minkowski-Welt zweier Inertialsysteme S und S(1) konstru-ieren. S sei das Ruhesystem und S(1) bewege sich mit einer gewissen Geschwin-digkeit v entlang der x-Achse von S und beide Raumachsen seien Parallel. ImGegensatz zu der Abb. 2.8 wahlen wir den Winkel, den die ct(1)-Achse mit derct-Achse bildet, deutlich großer, um die Effekte deutlicher zeigen zu konnen.Ein großerer Winkel bedeutet eine großere Relativgeschwindigkeit v und damitentsprechend dem oben Erlauterten auch einen großeren Effekt. Die x(1)-Achsewird dann so konstruiert, daß die Weltlinie des Lichtsignals die Winkelhalbie-rende zwischen ihr und der ct(1)-Achse bildet. Aus der Abb. 2.8 ubernehmenwir die Hyperbeln fur die Eichkurven und konstruieren darin nach den Vor-gaben, die wir uns gesetzt haben, das Koordinatensystem des InertialsystemsS(1). Das Ergebnis ist in der Abb. 2.12 dargestellt.

Wir hatten vor, einen relativ großen Wert fur die Geschwindigkeit v zuwahlen; aber welchen Wert hat sie nun tatsachlich? Wir konnen dazu auf daszuruckgreifen, was wir bei der Herleitung der Galilei-Transformation durch-gefuhrt haben. Genau wie in der Abb. 1.7 auf Seite 12 entspricht in Abb. 2.12die Strecke AB dem Betrag der Geschwindigkeit v, allerdings noch multipli-ziert mit der Lichtgeschwindigkeit wegen der anderen (ct-) Einheit. Den Wertder Geschwindigkeit v erhalten wir dann ganz genau wie bei den Beziehungen

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

Abbildung 2.12: Bestimmung der Relativgeschwindigkeit v zweier Inertialsysteme;Erlauterung im Text

auf Seite 12 zu

v =Ox(B)

OA= c · AB

1= c ·AB

Die Lichtgeschwindigkeit c erscheint in obigen Formeln deshalb, weil die StreckeOA auf der ct-Achse dem Zeitintervall t = 1

c entspricht. Auf der x-Achse

konnen wir nun ablesen, um wie viel sich das Inertialsystem S(1) in der Zeit-einheit gegenuber S weiterbewegt hat. Das Lot vom Punkt B auf die x-Achsegibt uns diesen Wert. Aus der Abb. 2.12 lesen wir den Wert x = 2/3 ab. Dergesuchte Wert der Geschwindigkeit v ist demnach

v =2

3c (2.16)

Entsprechend der Abb. 2.11 sind bei dieser Geschwindigkeit die relativisti-

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

schen Effekte schon so deutlich merkbar, daß sich eine graphische Darstellungder Verhaltnisse sich lohnt. Die Einheiten auf der ct(1)- und der x(1)-Achseergeben sich dann, wie in Kap. 2.1.3 beschrieben, aus den Schnittpunkten der(Eich-) Hyperbeln mit den Koordinatenachsen des Inertialsystems S(1) wie inAbb. 2.12 dargestellt.

2.2.1 Die Lorentz-Kontraktion

In diesem Kapitel beschaftigen wir uns mit der Langenmessung bewegterStabe, genauer gesagt mit der Frage, wie bestimmen wir die Lange eines Sta-bes, der in einem System S(1) ruht, das sich relativ zu einem (ruhenden) Sy-stem S mit gleichmaßiger Geschwindigkeit v parallel zur positiven x-Achsebewegt. In Analogie zu unserer gewohnten Umgebung – Mesokosmos – wurdedas bedeuten, wie bestimme ich die Lange eines Stabes von z.B. 1 Meter Lange,der sich in einem Schnellzug auf dem Bahndamm mit der Geschwindigkeit v anmir vorbei bewegt? Wir ahnen schon, mit geeigneter Technik gemessen, wirdhierbei, nach dem was wir in Kap. 2.2 besprochen haben (siehe Abb. 2.11), diegleiche Lange herauskommen, als wenn ich auf dem Bahndamm einen Stab von1 Meter Lange nachmesse. Bei entsprechend hohen Geschwindigkeiten solltesich aber ein Unterschied herausstellen. Einstein hat in seiner Originalarbeit[14] bereits eine Anleitung gegeben, wie die Messung der Lange des bewegtenStabes in der Speziellen Relativitatstheorie bei beliebiger Relativgeschwindig-keit v zu erfolgen hat:

a) Der Beobachter bewegt sich samt einem Maßstab mit dem aus-zumessenden Stab und mißt direkt durch Anlegen des Maßsta-bes die Lange des Stabes, ebenso, wie wenn sich auszumessen-der Stab, Beobachter und Maßstab in Ruhe befanden.

b) Der Beobachter ermittelt mittels im ruhenden System aufge-stellter synchroner, ruhender Uhren, in welchen Punkten desruhenden Systems sich Anfang und Ende des auszumessendenStabes zu einer bestimmten Zeit t befinden. Die Entfernungdieser beiden Punkte, gemessen mit dem schon benutzten, indiesem Falle ruhenden Maßstabe ist ebenfalls eine Lange, wel-che man als

”die Lange des [bewegten] Stabes“ bezeichnen

kann.

Es muß hier ausdrucklich darauf hingewiesen werden, daß mit der Methode b)die Lange des Stabes im Ruhesystem gemessen wird; die Lange des Stabesselbst andert sich im bewegten System naturlich nicht; fur den mitbewegtenBeobachter ruht der Stab! Diese Tatsache wird von Kritikern der SpeziellenRelativitatstheorie haufig falsch interpretiert in dem Sinne, daß der Stab sichbei der Bewegung physisch verkurze (siehe z.B. [45]). In der klassischen Me-chanik unter der Galilei-Transformation ist es eine Selbstverstandlichkeit, daßdie Langen des Stabes nach Methode a) und nach Methode b) gemessen, gleichsind. Unter der Lorentz-Transformation wird das aber sicher anders sein, dennbei der Messung nach Methode b) taucht das Problem der Gleichzeitigkeit auf,und die ist hier nur eine relative.

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

Wie es sich nun genau in der Speziellen Relativitatstheorie verhalt, wol-len wir uns zunachst mit Hilfe der graphischen Darstellung ansehen und be-trachten zuerst die Fig. a der Abb. 2.13. Dazu greifen wir zuruck auf unsere

Abbildung 2.13: Zur Langenkontraktion bewegter Stabe; in Fig. a ruht der Stab im SystemS und wird vom bewegten System S(1) aus beobachtet, in Fig. b ist es umgekehrt, der Stabruht im bewegten System und wird vom ruhenden System aus betrachtet; Erlauterung imText

”Standard-Abbildung“, die wir im letzten Kapitel in der Abb. 2.12 dargestellt

haben. Im Ruhesystem S bestimmen wir nach der Methode a) die Lange desStabes und nehmen an, wir haben einen Stab der Ruhelange LR = 1. Die grauhinterlegte Flache in der Fig. a stellt die Weltlinie des in S ruhenden Stabesdar. Wenn nun der Beobachter, der sich mit dem System S(1) relativ zu Smit der Geschwindigkeit v = 2

3 · c bewegt, so muß er die Methode b) anwen-den, um die Lange des Stabes in seinem System zu bestimmen (d.h. messen!).Von seiner Warte aus mißt er die Lange des bewegten Stabes LB; er muß alsoermitteln

”. . . in welchen Punkten seines ruhenden Systems sich Anfang und

Ende des auszumessenden Stabes zu einer bestimmten Zeit t(1) befinden“. Eskommt also darauf an, die beiden Endpunkte des Stabes in dem System S(1)

gleichzeitig (!) zu messen. Die Punkte, die in dem System S(1) gleichzeitigsind, liegen auf Parallelen zur x(1)-Achse; als einfachste Bestimmungsmoglich-keit wahlen wir dann einfach die x(1)-Achse selbst. Aus der Fig. a der Abb. 2.13ersehen wir, daß damit die im bewegten System bestimmte Lange des StabesLB = OL(1) ist. Hier wird deutlich, daß LB deutlich kurzer ist als die Ein-heitslange auf der x(1)-Achse. Durch Ausmessen in der Grafik konnte man denFaktor der Kontraktion bestimmen, wir uberlassen das aber der algebraischenMethode weiter unten in diesem Kapitel.

In Fig. b der Abb. 2.13 ist der umgekehrte Fall dargestellt; der Stab derRuhelange LR = 1 ruht im System S(1) und wir wollen bestimmen, welche

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Lange LB in dem System S gemessen wird. Nach Methode a) wird der Stabvon dem mitbewegten Beobachter in S(1) ausgemessen, und im System S dieLange LB nach Methode b) bestimmt. Der grau hinterlegte Balken in der Fig.b stellt nun die Weltlinie des in S(1) ruhenden Stabes dar, und analog zu demersten Fall messen wir die Lange des von S aus gesehen bewegten Stabes alsLB = OL. Auch sie ist wieder kurzer als die Einheitslange auf der x-Achse,und bei genauem Nachmessen und unter Berucksichtigung der jeweiligen Ein-heitslangen wurden wir feststellen, daß der Faktor, um den die Ruhelangenjeweils kontrahiert wurden, in beiden Fallen gleich ist. Den Nachweis erbrin-gen wir auch hier wieder mit der algebraischen Methode.

Mit der Lorentz-Transformation haben wir ein Mittel in der Hand, umin dem hier vorliegenden Fall die Umrechnung vom bewegten auf das ruhendeSystem (oder umgekehrt) algebraisch durchzufuhren. Wir betrachten den Fall,daß in dem bewegten System S(1) von einem mitbewegten Beobachter dieRuhelange LR nach Methode a) entsprechend der Fig. b obiger Abbildungvermessen wurde. Dieses mal legen wir aber nicht die Einheitslange zu Grunde,sondern bestimmen ganz allgemein die Lange LR zu

LR = x(1)2 − x

(1)1

Im System S bestimmt nun ein dort befindlicher Beobachter nach Methode b)des fur ihn bewegten Stabes LB. Wenden wir die Lorentz-Transformation ent-sprechend der Gleichung (2.6a) an, so konnen wir schreiben:

LR = x(1)2 − x

(1)1 =

x2 − v t2√1− v2/c2

− x1 − v t1√1− v2/c2

entsprechend der Meßmethode b) mussen die beiden Stabenden gleichzeitiggemessen werden, d.h. es gilt t1 = t2 = t. Damit erhalten wir

LR =x2 − x1√1− v2/c2

Die gemessene Lange des bewegten Stabes ist gegeben durch LB = x2 − x1:Damit erhalten wir schließlich den Zusammenhang zwischen der RuhelangeLR und der gemessenen oder beobachteten Lange LB des Stabes:

LB = LR

√1− v2

c2(2.17)

In unserem konkreten Fall der Abb. 2.13 und dem Wert der Geschwindigkeitaus (2.16) ist die Wurzel obiger Gleichung ≈ 0, 75, d.h. die am bewegten Stabgemessene Lange ist nur etwa drei viertel der Ruhelange.

Den umgekehrten Fall, daß ein im System S ruhender Stab vom beweg-ten System S(1) aus gemessen wird, wie in Fig. a der Abb. 2.13 dargestellt,konnen wir leicht abhandeln. Von S(1) aus gesehen bewegt sich S relativ zuihm mit der Geschwindigkeit −v. In die Formeln der Lorentz-Transformation

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

geht aber v quadratisch ein, so daß wir das identische Ergebnis fur den Unter-schied zwischen LR und LB erhalten. Dies Ergebnis wurde ja auch schon ausder Abb. 2.13 deutlich, wenn auch wegen der graphischen Darstellung nicht soeindeutig.

Das Ergebnis der Gleichung (2.17) ist formal identisch mit dem, das G.F. FitzGerald vorgeschlagen, H.A. Lorentz in seine Theorie ubernommenund was schließlich als Lorentz-FitzGerald-Kontraktion in die Literatur einge-gangen ist. H. A. Lorentz hatte, wie wir in Kap. 2.2.1 besprochen hatten,eine physische Kontraktion des Armes des Interferometers beim Michelson-Morley-Experiment, der in Richtung der Bewegung der Erde zeigt, entspre-chend dieser Formel postuliert. Damit wollte er die Vorstellung des absolu-ten Raumes und des Athers retten. Die beiden Physiker Rayleigh (1902)und Brace (1904) fuhrten Experimente mit schnell bewegten durchsichtigenKorpern durch, die bei dieser physischen Kontraktion eine Doppelbrechungzeigen mußten. Es konnte aber keinerlei Effekt nachgewiesen werden (zitiertin [45]). Außerdem wurde bei großer werdender und sich der Lichtgeschwin-digkeit annahernder Geschwindigkeit der Stab zu einem extrem dunnen undextrem dichten Scheibchen kontrahieren, was schon in Widerspruch zur Ma-terialphysik steht.

Abbildung 2.14: Kugel, die mit verschiedenen Geschwindigkeiten an einem Beobachtervorbeifliegt; die Beispiele zeigen, was eine Messung zeigen wurde

Die Kontraktion erfolgt nur gemaß der Lorentz-Kontraktion in Bewegungs-richtung, in unserem Fall also in Richtung der x-Achse, die y- und z-Achsebleiben unberuhrt. Einstein hatte schon in seiner Originalarbeit [14] das Bei-spiel einer bewegten Kugel betrachtet; in Kap. B.1 im Anhang wird dieseBerechnung nochmals dargestellt. In der Abb. 2.14 sind die Ergebnisse derVermessung der bewegten Kugel durch einen ruhenden Beobachter dargestellt.Mit wachsender Geschwindigkeit wird der Beobachter messend feststellen, daßsich die Kugel immer mehr zu einen verflachenden Ellipsoid verformt – in derx-Richtung kontrahiert, in y- und z-Richtung unverandert.

Im vorherigen Absatz wurde immer wieder darauf abgehoben, daß die Ku-

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

gel”vermessen“ wird. Der Grund dafur ist der, daß die Messung ganz ande-

re Resultate ergibt als die visuelle Beobachtung oder die Photographie. Dasliegt daran, daß die Lichtgeschwindigkeit endlich ist und daher berucksichtigtwerden muß, daß von unterschiedlichen Punkten des bewegten Objektes dieLichtstrahlen verschieden lange Wege zurucklegen mussen. Diese Tatsache warlange unbekannt, und wurde erst in den funfziger Jahren des letzten Jahrhun-derts von R. Penrose [35] und J. Terrell [44] eingehend untersucht. Es istverwunderlich, daß erst so spat der Effekt der Lichtlaufzeit berucksichtigt wur-de, zumal bereits 1676 von dem Danischen Astronomen Olaf ChristensenRomer der Betrag der Lichtgeschwindigkeit bestimmt wurde. Mit modernerComputergrafik lassen sich die Effekte der Lorentz-Kontraktion nun auch sodarstellen, wie wir sie sehen oder photographieren wurden. Eine Kugel bleibtdemnach eine Kugel, nur die Koordinaten – Lange und Breite – werden ver-zerrt; eine anschauliche Darstellung der Erde von einem, mit hoher Geschwin-digkeit vorbei rasenden Raumschiff aus gesehen, ist z.B. in [34] S. 20 dar-gestellt. Abbildungen unterschiedlichster Objekte unter Lorentz-Kontraktionsind unter der Internetseite

”Tempolimit Lichtgeschwindigkeit“ [26] zu finden.

In Kapitel 2.3.1 werden wir noch ausfuhrlich auf das Thema Visualisierungzuruckkommen.

2.2.2 Zeitdilatation und bewegte Uhren

Wie wir die Langenmessung bewegter Stabe bestimmt haben, konnen wir auchuntersuchen, wie sich die Zeitmessung bewegter Uhren verhalt. Dazu denkenwir uns im Nullpunkt des Systems S(1) eine (ideale) Uhr angebracht, die ge-nau wie eine identische Uhr im System S zum Zeitpunkt ct = 0 die Zeitct(1) = 0 anzeigt. Zur Veranschaulichung der Zusammenhange legen wir wie-der unsere

”Standard-Abbildung“ zugrunde, d.h. das System S(1) bewegt sich

mit gleichformiger Geschwindigkeit v = 23 · c parallel zur positiven x-Achse des

System S. Betrachten wir zunachst, welche Zeit im System S(1) im Vergleichzum Gang der (idealen) Uhr in S gemessen wird.

Zur graphischen Darstellung des Sachverhaltes betrachten wir dazu Fig. ader Abb. 2.15. In dem bewegten Koordinatensystem ist der Einheitspunktder ct(1)-Achse eingezeichnet. Er wurde mit Hilfe der Eich-Hyperbel entspr.Abb. 2.12 auf Seite 49 bestimmt. Wenn wir uns im System S alle Raumpunk-te mit (idealen) synchronisierten Uhren besetzt denken, dann reprasentierenalle Weltpunkte der x-Achse die Zeigerstellung ct = 0. Analog zeigen alle Uh-ren auf der durch den Weltpunkt ct = 1 gehenden Parallelen zur x-Achse dieZeigerstellung ct = 1. Diese Weltlinie ist in Fig. a der Abb. 2.15 durch diegestrichelte Gerade dargestellt. In dem Schnittpunkt T (1) dieser Geraden mitder ct(1)-Achse gilt ct = ct(1)(T (1)) oder t = t(1)(T (1)). Auf jeden Fall ist ausder Abbildung ersichtlich, daß ct(1)(T (1)) < ct(1)(1). Fur unser Beispiel heißtdas: ist im System S eine Zeiteinheit vergangen (ct = 1), so ist in dem SystemS(1) weniger Zeit vergangen (ct(1)(T (1)) < 1). Im bewegten System gehen dieUhren langsamer.

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

Betrachten wir umgekehrt von dem bewegten System S(1) aus den Gangder (idealen) Uhr im ruhenden System S, so sehen wir aus Fig. b der Abb. 2.15sofort, daß vom Standpunkt des bewegten Systems aus gesehen, die Uhr imruhenden System langsamer geht. Die Weltpunkte gleicher Zeigerstellungenct(1) = 1 ist die gestrichelte Gerade parallel zur x(1)-Achse; sie schneidet diect-Achse im Punkt T , der zeitlich vor dem Weltpunkt ct = 1 liegt.

Abbildung 2.15: Zur Zeitdilatation bewegter Uhren; in Fig. a ruht die Uhr im System Sund wird vom bewegten System S(1) aus beobachtet, in Fig. b ist es umgekehrt, Uhr ruhtim bewegten System und wird vom ruhenden System aus betrachtet; Erlauterung im Text

Den Betrag der Zeitdilatation wollen wir nun auch quantitativ herleiten.Dazu betrachten wir, ahnlich wie bei der Berechnung der Lorentz-Kontraktion,

eine Zeitspanne TE im System S(1), beginnend mit t(1)1 und endend mit t

(1)2

und gemessen mit einer Uhr, die in diesem System ruht. Die Zeitangabe dieserUhr wird als Eigenzeit des Systems bezeichnet. Fur die beiden Zeitpunktekonnen wir mit den Formeln der Lorentz-Transformation (2.6a) schreiben

t(1)1 =

t1 − vc2x1√

1− v2

c2

; t(1)2 =

t2 − vc2x2√

1− v2

c2

Die Zeit TE wird, da die Uhr in dem System S(1) ruht, an den Orten x(1)1 = x

(1)2

gemessen. Die beiden Zeiten entsprechen aber unterschiedlichen Orten x1 und

x2 im System S (t(1)1 und t

(1)2 liegen auf einer Parallelen zur ct(1)-Achse, die z.B.

entspr. Abb. 2.15 einen Winkel mit der x-Achse bildet); die Projektionen derZeitpunkte auf die x-Achse endet auf unterschiedlichen x-Werten. Man kanndiese x-Werte mit Hilfe der Lorentz-Transformation berechnen, einfacher gehtes, wenn man berucksichtigt, daß die Uhr sich mit der Geschwindigkeit v in Sbewegt. Fur die Ortsdifferenz muß dann gelten x2 − x1 = v(t2 − t1). Fur die

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Eigenzeit TE erhalten wir dann

TE = t(1)2 − t

(1)1 =

t2 − t1 − vc2

(x2 − x1)√1− v2

c2

=t2 − t1 − v2

c2(t2 − t1)√

1− v2

c2

= (t2 − t1)

√1− v2

c2

Die Zeitspanne t2 − t1 = TB in S ergibt sich dann zu

TB =TE√1− v2

c2

(2.18)

TB ist die Zeitspanne im von S(1) aus gesehenen bewegten System; ein Ergeb-nis, wie wir es bereits mit der Gleichung (2.15a) erhalten hatten. Die Zeitdeh-nung verhalt sich demnach gerade umgekehrt wir die Kontraktion der Langenbei der Lorentz-Kontraktion (siehe (2.17). Genau wie dort fuhrt auch hier derumgekehrte Fall – die Uhr ruht in S und die Zeitdehnung wird in S(1) gemes-sen – zu identischen Resultaten, da die Relativgeschwindigkeit v quadratischin die Formeln eingeht. Betrachten wir wieder unser konkretes Beispiel derRelativgeschwindigkeit v = 2

3 · c, so ergibt sich mit (2.18) eine Verlangerungder Zeitdauer TB um einen Faktor 1, 34, das heißt die Zeit ist um etwa einDrittel gedehnt.

Den Effekt der Zeitdilatation kann man auch am Beispiel der Uhren de-monstrieren. Dazu konstruieren wir zwei vollkommen identische

”Uhren“ mit

moglichst einfachem Aufbau nach einen Rezept von R. Feynman [16]. Siebestehen aus einem Stab der Lange d, an deren oberen und unteren Endejeweils ein Spiegel angebracht ist. An dem unteren Ende befindet sich zusatz-lich ein Blitzlicht und eine Fotozelle. Von dem Blitzlicht wird ein Lichtsignalausgesendet, am oberen Spiegel reflektiert und von der Fotozelle am unterenEnde registriert und von dem dortigen Spiegel sofort wieder reflektiert. DasSignal wird standig auf und ab reflektiert und bei jeder Registrierung in derFotozelle wird die Zeiteinheit um eins weitergeschaltet. Beide Uhren werdensynchronisiert, indem sie gemeinsam in Gang gesetzt werden und sie werdensynchron bleiben, da sie gleich lang sind und per definitionem die Lichtge-schwindigkeit c immer den gleichen Wert hat. Die Zeit, die das Lichtsignalvon der ersten Aussendung durch das Blitzlicht bis zur ersten Registrierungdurch die Fotozelle benotigt, ist die Eigenzeit TE der Uhr. Demnach erhaltenwir fur den Lichtweg als Entsprechung fur die Entfernung d zwischen Blitzlichtund oberen Spiegel d = 1

2cTE (siehe Fig. a der Abb. 2.16). Eine der Uhrenbringen wir nun in ein Raumschiff und montieren sie so, daß sie senkrecht zurBewegungsrichtung steht. Dieses Raumschiff bewegt sich mit der konstantenGeschwindigkeit v in Richtung der x-Achse des Systems S, in dem die eineUhr bleibt. Die x(1)-Achse des Koordinatensystem S(1) des Raumschiffes ist

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

parallel zur x-Achse, gleiches gilt fur die y,z-Achsen. Die Lange des Stabes dwird sich nicht verandern, da er senkrecht zur Bewegungsrichtung orientiertist.

Nun betrachten wir, was mit der Uhr in dem Raumschiff geschieht. Beider Installation der zweiten Uhr im Raumschiff wurde sichergestellt, daß bei-de identisch sind und synchron laufen. Wenn das Raumschiff sich mit derGeschwindigkeit v bewegt,

”tickt“ die Uhr genau so wie bei dem Vergleich

der Uhren vor ihrem Aufbau im Raumschiff; d.h. sie”zeigt“ nach wie vor Zeit

TE an. Wurde auch nur der geringste Unterschied festgestellt, so wurde der

Abbildung 2.16: Zur Zeitdilatation bewegter Uhren; Erlauterung im Text

Beobachter im Raumschiff feststellen, daß er sich bewegt. Das Relativitatsprin-zip verbietet das aber; es fordert, daß in Inertialsystemen die physikalischenGesetze, die die Konstruktion unsere Uhren beherrschen, gleich sein mussen.Folglich muß die Uhr im Raumschiff die gleiche Zeit TE anzeigen. Ein außen-stehender Beobachter stellt bei der vorbeifliegenden Uhr aber fest, daß dieLichtsignale von Blitzlicht zu Fotozelle einer Zickzack-Linie folgen, wie in Fig.b der Abb. 2.16 wiedergegeben ist. Das von der Uhr im Raumschiff ausge-sandte Lichtsignal benotigt – vom außenstehenden Beobachter aus gesehen –die (noch unbekannte) Zeitspanne 1

2TB, um zu dem Spiegel zu gelangen; indieser Zeit hat sich aber die Uhr, und damit ihr Spiegel, um die Strecke 1

2vTBin Richtung der x-Achse weiterbewegt. Der Abstand in y-Richtung hat sichdagegen, wie wir oben festgestellt haben, nicht geandert. Damit konnen wirauf das rechtwinklige Dreieck der gestrichelten Kanten in Abb. 2.16 den Satzdes Pythagoras anwenden:

1

4c2T 2

B =1

4v2T 2

B +1

4c2T 2

E

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Losen wir diese Beziehung nach TB auf, so ergibt sich

TB =TE√1− v2

c2

die identische Gleichung, wie wir sie in (2.18) erhalten haben. Vom außenste-henden Beobachter aus gesehen

”schlagt“ die bewegte Uhr langsamer als seine

identische und synchrone; TB ist großer als TE . Fur den im Raumschiff experi-mentierenden Beobachter

”zeigt“ dagegen seine Uhr nach wie vor die Eigenzeit

TE an. Wenn er aber die an ihm in Gegenrichtung mit der Geschwindigkeit−v vorbeisausende Uhr des außenstehenden Kollegen betrachtet, macht er diegleiche Feststellung; von ihm aus gesehen scheint die andere Uhr um den glei-chen Faktor 1/

√1− v2/v2 langsamer zu gehen.

Die hier definierte Eigenzeit TE entspricht formal der von H. A. Lor-entz eingefuhrten

”Ortszeit“. Er hatte sie als mathematische Hilfsgroße zur

Unterscheidung von der wahren, absoluten Zeit eingefuhrt. Nach A. Einsteingibt es aber kein Mittel, um diese absolute Zeit aus den vielen, gleichberechtig-ten Ortszeiten der unterschiedlichen gegeneinander bewegten Inertialsystemenherauszufinden. Demzufolge hat die absolute Zeit keine physikalische Realitat.Zeitangaben sind nur relativ zu bestimmten Inertialsystemen sinnvoll.

A. Einstein weist in seiner Originalarbeit [14] schon darauf hin,”. . . daß

dies Resultat auch dann noch gilt, wenn die Uhr in einer beliebigen polygona-len Linie sich von A nach B bewegt, und zwar auch dann, wenn die PunkteA und B zusammenfallen“. Er geht sogar noch einen Schritt weiter, indemer verwegen behauptet:

”Nimmt man an, daß das fur eine polygonale Linie

bewiesene Resultat auch fur eine stetig gekrummte Kurve gelte, so erhalt manden Satz: Befinden sich in A zwei synchron gehende Uhren und bewegt mandie eine derselben auf einer geschlossenen Kurve mit konstanter Geschwindig-keit, bis sie wieder nach A zuruckkommt, . . . ,so geht die letztere Uhr bei ihrerAnkunft in A gegenuber der unbewegt gebliebenen . . . nach“. Daraus schließter auch, daß eine (Unruhe-) Uhr2 am Aquator um einen geringen Betrag lang-samer gehen muß als eine identische Uhr an den Polen – nach einem Umlaufbetragt der Zeitunterschied ≈ 10−7 Sekunden. Am Rande sei nur vermerkt,daß Einstein bei diesen Aussagen im Grunde die Pramissen seiner Theorieverlaßt, denn bei Bewegungen entlang geschlossener Kurven mussen Beschleu-nigungen auftreten, die ein Inertialsystem ausschließen.

Dieser paradoxe Sachverhalt wird in der Literatur als Uhren-Postulat –im englischen als clock postulate – bezeichnet. Es sagt aus, daß der Gang ei-ner beschleunigt bewegten Uhr nicht von der Beschleunigung (oder hoherenAbleitungen nach der Zeit) abhangt. Das Postulat sagt aber nicht, daß die Tak-trate einer bewegten Uhr unbeeinflußt ware von ihrer Beschleunigung, denndie momentane Geschwindigkeit der Uhr ist abhangig von der Beschleunigung.

2in einem Nachdruck von 1913 hat A. Einstein ausdrucklich”Unruhuhr“ hinzugefugt:

�im Gegensatz zu Pendeluhr, welche – physikalisch betrachtet – ein System ist, zu welchemder Erdkorper gehort; dies muß ausgeschlossen werden.� zitiert in [43] S. 179

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

Das bezieht sich genau auf den oben von Einstein zitierten Sachverhalt: DerGang einer auf einem Kreis mit gleichmaßiger Geschwindigkeit rotierendenUhr wird nur von der Geschwindigkeit bestimmt und nicht von ihrer Beschleu-nigung (Zentrifugal-Beschleunigung). Das Uhren-Postulat bedeutet auch, daßdas Maß der Kontraktion eines beschleunigt bewegten Stabes unabhangig vonder Beschleunigung ist. Gleiches gilt fur die relativistische Masse; sie hangtauch nur von der momentanen Geschwindigkeit ab. Das Uhren-Postulat isteine Hypothese, die nicht mathematisch logisch aus den Gesetzen der Speziel-len Relativitatstheorie bewiesen werden kann; sie muß experimentell verifiziert(oder auch falsifiziert) werden. Weitere Informationen zu dem Uhren-Postulatfinden sich im Internet unter

”Does a clock’s acceleration affect its timing ra-

te?“. Ein entsprechendes Experiment zu dem Uhren-Postulat wird spater imKap. 2.5.2 besprochen.

2.2.3 Additionstheorem der Geschwindigkeiten

In der klassischen Kinematik und speziell bei der Galilei-Transformation giltdas Additionstheorem der Geschwindigkeiten. Bewegt sich ein Korper K ineinem System S(1) mit der Geschwindigkeit u(1), wahrend sich S(1) relativzu S mit der Geschwindigkeit v bewegt, so bewegt sich z.B. der Korper Kbezogen auf S mit der Geschwindigkeit

u = v + u(1)

Diesen Zusammenhang hatten wir ja auch schon in verallgemeinerter Formfur die Vektoren der Geschwindigkeiten in (A.7) aus Seite 129 abgeleitet. Sindnun sowohl v als auch u(1) etwas großer als die Halfte der Lichtgeschwindig-keit, so resultiert nach dem Additionstheorem der klassischen Kinematik fur ueine Geschwindigkeit großer als c, was im Widerspruch zu den Pramissen derSpeziellen Relativitatstheorie steht.

Um das in der Speziellen Relativitatstheorie geltende Additionstheoremvon Geschwindigkeiten in einem allgemeineren Fall abzuleiten, folgen wir denAusfuhrungen von M. Born [4] und stellen uns vor, daß sich ein Korper K indem System S(1) in dessen x(1), y(1)-Ebene geradlinig bewegt und damit zwei

Geschwindigkeitskomponenten u(1)x und u

(1)y besitzt. Er startet zum Zeitpunkt

t(1) = 0 vom Ursprung aus. Seine Weltlinie hat dann bezogen auf S(1) dieGleichungen:

x(1) = u(1)x · t(1) (2.19a)

y(1) = u(1)y · t(1) (2.19b)

Das System S(1) bewegt sich mit der gleichformigen Geschwindigkeit v parallelzur x-Achse des Systems S. Die Bewegung des Korpers K wird sich dann vonS aus gesehen ebenfalls geradlinig bewegen und wir konnen seine Weltlinie inS beschreiben mit dem Gleichungen

x = ux · t (2.20a)

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

y = uy · t (2.20b)

Zur Bestimmung des Zusammenhanges zwischen den Geschwindigkeiten desKorpers K in den Systemen S und S(1) – das Additionstheorem der Geschwin-digkeit, setzen wir mit Hilfe der Lorentz-Transformation (2.6a) die Koordina-ten x, y und t in die Beziehungen (2.19a) und (2.19b) ein. Fur (2.19a) erhaltenwir daraus

(x− v t) = u(1)x

(t− v

c2x

)oder

(1 +

u(1)x v

c2

)x = (u(1)

x + v)t

Setzen wir den zweite Ausdruck in (2.20a) ein, erhalten wir fur die x-Komponenteder Geschwindigkeit in dem System S:

ux =u

(1)x + v

1 + u(1)x vc2

(2.21a)

In gleicher Weise verfahren wir mit der y-Komponenten der Geschwindigkeit.Aus (2.19b) ergibt sich so

uy =

u(1)y

(1− v

c2ux

)√

1− v2

c2

und mit (2.21a)

uy = u(1)y

√1− v2

c2

1 + u(1)x vc2

(2.21b)

Fur kleine Relativgeschwindigkeit v gegenuber der Lichtgeschwindigkeit c konnenwir in den beiden Formeln (2.21a) und (2.21b) die Terme, die c enthalten,vernachlassigen und bekommen die Ausdrucke der klassischen Geschwindig-keitsaddition:

ux = u(1)x + v und uy = u(1)

y

Aus den Gleichungen fur die relativistische Addition der Geschwindigkeit folgtdagegen zwangslaufig die Tatsache, daß die Lichtgeschwindigkeit c nicht uber-schritten werden kann. Um das zu zeigen, nehmen wir an, ein Photon fliege(im Vakuum) im System S(1) in Richtung der x(1)-Achse. Fur die Geschwin-digkeitskomponenten im System S folgt dann aus obigen Gleichungen:

ux =c+ v

1 + cv/c2= c und uy = 0

Das Photon hat demnach auch im System S die Geschwindigkeit c. Fliegt aberdas Photon im System S(1) nur in Richtung der y(1)-Achse, so gilt auch danndie Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Die Komponenten lauten daher jetzt

u(1)x = 0 und u

(1)y = c. Das wieder in die Formeln fur das Additionstheorem

eingesetzt, ergibt die Werte der Geschwindigkeitskomponenten in S:

ux = v und uy = c√

1− v2/c2 (2.21c)

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

Fur den Betrag der Geschwindigkeit in S bekommen wir dann nach dem py-thagoreischen Lehrsatz

u =√u2x + u2

y =√v2 + c2(1− v2/c2) = c

Also auch hier wieder den Wert c. Das interessante an diesem Fall ist, daß dieGeschwindigkeit in S sowohl eine x- als auch eine y-Komponente hat, die vonNull verschieden sind. Das Photon fliegt demnach in S in eine ganz andereRichtung als in S(1). In Kap. 2.5 werden wir sehen, was dieses Phanomen furFolgen in Experimenten zeitigt. Um das Additionstheorem der Geschwindig-

Abbildung 2.17: Zum Additionstheorem der Geschwindigkeiten; Erlauterung im Text

keiten auch noch mal graphisch zu verdeutlichen, greifen wir auf die Abb. 2.17zuruck; die Minkowski-Welt wird hier der Ubersichtlichkeit halber in nur ei-nem Quadranten dargestellt. Wir stellen uns vor, daß alle Bewegungen in denx-Achsen ablaufen, die jeweils zueinander parallel sind. Das System S befin-de sich in Ruhe und S(1) bewege sich dazu mit der Geschwindigkeit v. Das

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

bewegte System S(1) spannt dann in der x, ct-Ebene das Koordinatensystemmit den x(1)- und ct(1)-Achsen entsprechend Abb. 2.17 auf. Bewegt sich nunein Korper in letzterem System mit der Geschwindigkeit u(1) (wie oben in derFormel), so ist seine Weltlinie in dem System S(1) durch die Gleichung

x(1) =u

(1)x

c· ct(1) = u(1)

x · t(1)

bestimmt. Gleichzeitig ist diese Weltlinie aber per definitionem auch die ct(2)-Achse des (Ruhe-) Systems S(2) des in S(1) bewegten Korpers; die zugehorigex(2)-Achse ist so zu konstruieren, daß die gestrichelte Weltlinie des Lichtes dieWinkelhalbierende bildet. Die x(2)- und ct(2)-Achsen sind in Abb. 2.17 darge-stellt und wie man sehen kann, bilden sie einen spitzeren Winkel als die Achsendes Systems S(1). Wurde man nun in dem System S(2) wiederum einen Korperin Bewegung setzen, so mußte man die Prozedur wiederholen mit dem Ergeb-nis, daß die Koordinatenachsen dessen Systems einen noch spitzeren Winkelbilden, aber auch wieder mit der Weltlinie des Lichtes als Winkelhalbieren-den. Fuhre man weiter fort, so wurden sich die Koordinatenachsen ihr immerweiter annahern, ohne sie je zu erreichen. Deshalb kann M. von Laue ([28]S. 40) auch behaupten:

Die Lichtgeschwindigkeit spielt in der Physik also die Rolle der un-endlich großen Geschwindigkeit, insofern keine Haufung von Un-terlichtgeschwindigkeiten sie jemals erreicht.

Die Abweichung von der Vektoraddition fur Geschwindigkeiten gegenuber derklassischen Mechanik beruht in der Speziellen Relativitatstheorie letztendlichdarauf, daß sich die in (2.21a) und (2.21b) zusammengesetzten Geschwindig-keiten u(1) und u auf zwei verschiedene Inertialsysteme beziehen, namlich S(1)

und S.

Die Optik kennt fur manche Licht brechende Materialien und fur bestimm-te Spektralbereiche einen Brechungsindex n < 1 und damit eine

”Lichtge-

schwindigkeit“ cn > c, eine scheinbare Uberlichtgeschwindigkeit. In der Op-

tik wird gezeigt, daß sich mit dieser Geschwindigkeit die Phasen periodischerWellen im stationaren Zustand ausbreiten, d.h., wenn sie sich schon im gan-zen Raum ausgedehnt haben. Fur die Ausbreitung eines elektromagnetischenSignals hat die Phasengeschwindigkeit aber keinerlei Bedeutung, denn der Wel-lenkopf des Signals pflanzt sich immer mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit cfort und der ist fur die Signalubertragung von Bedeutung.

Die Lichtgeschwindigkeit c ist nicht nur fur die Bewegung von Korpern eineobere Grenze, sondern auch fur physikalische Wirkungen, die dem Kausalge-setz unterliegen. Daß eine mogliche Uberlichtgeschwindigkeit das Kausalgesetzkonterkariert, sei an einem Beispiel demonstriert, das in [28] beschrieben ist:Nehmen wir an, es gabe sie und eine Wirkung pflanze sich in dem System Svom Weltpunkt A mit der Geschwindigkeit V > c zu dem Weltpunkt B fort.Die Wirkung trifft in B um die Zeitdifferenz

∆t =xB − xA

V

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

Abbildung 2.18: Zum Additionstheorem der Geschwindigkeiten; Erlauterung im Text

spater dort ein; wir nehmen auch hier wieder an, daß sich alles parallel zurx-Achse des Systems S abspielt. Mit Hilfe der letzten Gleichung der Lorentz-Transformation (2.6a) konnen wir nun berechnen, wie groß die Zeitdauer vondem System S(1) aus betrachtet ist. Es moge sich mit der Geschwindigkeit vrelativ zu S parallel zur positiven x-Achse bewegen:

∆t(1) =∆t− v

c2(xB − xA)√

1− v2

c2

= ∆t1− vV

c2√1− v2

c2

Fur eine hinreichend große Unterlichtgeschwindigkeit v kann dann ∆t(1) < 0werden, d.h. es gabe Inertialsysteme, in welcher die Wirkung in B der Ursachein A vorausginge. Ein klarer Widerspruch zum Kausalgesetz und insbesonde-re ein Widerspruch zu dem Relativitatsprinzip, demzufolge die physikalischenGesetze – auch das Kausalgesetz – in allen Inertialsystemen gleichermaßengelten sollen.

Diesen Sachverhalt konnen wir uns auch wieder einfach anhand der graphi-

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

schen Darstellung in Abb. 2.18 klar machen. Die Fortpflanzung der Wirkungvon A nach B im System S ist durch den strichpunktierten Pfeil symbolisiert.Die Tatsache, daß sich die Wirkung mit Uberlichtgeschwindigkeit fortpflanzt

ist dadurch gekennzeichnet, daß die Steigung des Pfeiles−−→AB eine geringere

Neigung als die Weltlinie des Lichtsignals (gestrichelte Linie) hat. Um nunden Ausgangszeitpunkt und den Zeitpunkt des Eintreffens der Wirkung vonS(1) aus gesehen zu bestimmen, konstruieren wir die Parallelen zur ct(1)-Achsedurch die Punkte A und B. Die Langen der Strecken A(1)A und B(1)B zeigendie jeweiligen Zeiten an. Aus der Abbildung kann man deutlich erkennen, daßdie Lange B(1)B deutlich kurzer ist als A(1)A. Die Wirkung kommt also vonS(1) aus gesehen in B zu einem fruheren Zeitpunkt an, als sie als Ursache inA abgesandt wurde.

2.2.4 Optik bewegter Korper

In Kap. 1.5.2 wurden die optischen Effekte bewegter Korper im Rahmen derklassischen Physik beschrieben, d.h. unter der Annahme eines Athers, der ineinem Inertialsystem ruht. Wir hatten uns dabei auf den klassischen Doppler-Effekt und den Fizeau-Versuch beschrankt. Hier erweitern wir nun die Zahlder optischen Effekte bewegter Korper um die

”Vorwartsstrahlung schnell be-

wegter Teilchen“.

Den relativistischen Doppler-Effekt erklaren wir hier anhand eines ein-fachen und anschaulichen Beispiels, indem wir uns an die Ausfuhrungen in[41] anlehnen. Eine exakte, aber mathematisch anspruchsvollere Ableitungwird in Kap. B.2 auf Seite 137 anhand der Funktionsgleichung einer Wellegezeigt. Nehmen wir zunachst an, ein Sender befinde sich in Ruhe und sendejede Sekunde einen Radioimpuls aus, d.h. der zeitliche Abstand der Impul-se ist T0 = 1 sec, oder fur die Frequenz der Radioimpulse gilt entsprechendν0 = 1/T0. Ein Empfanger registriert die ausgesendeten Impulse, und dieMessung des zeitlichen Abstandes der registrierten Impulse sei TB; sind beide,Sender und Empfanger in Ruhe, so gilt naturlich T0 = TB.

Genau wie beim klassischen Doppler-Effektes betrachten wir zunachst denFall, daß sich der Empfanger auf den ruhenden Sender zu bewegt. Zunachstwollen wir die relativistische Zeitdilatation unberucksichtigt lassen. Da derEmpfanger sich auf den Sender zu bewegt, ist der zeitliche Abstand zwischenzwei empfangenen Impulse um die Zeitspanne ∆T0 = v

c ·T0 verkurzt, wenn v dieRelativgeschwindigkeit des Empfangers und c die Ausbreitungsgeschwindigkeitder Radioimpulse ist (wir nehmen an, daß sich alles im Vakuum abspielt, sodaß c die Lichtgeschwindigkeit ist). Fur die Zeitabstande beim Empfanger giltdaher

TB = T0 −∆T0 = T0 −v

c· T0 =

(1− v

c

)T0

Berucksichtigen wir nun zusatzlich die relativistische Zeitdilatation (siehe Kap.2.2.2), so scheint von dem bewegten Empfanger aus gesehen die Zeitspan-ne zwischen den Radioimpulsen des Senders um den Faktor 1/

√1− v2/c2

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

verlangert, was bedeutet, daß die Signale erst nach

TB =

(1− v

c

)T0√

1− v2

c2

eintreffen. Mit der Beziehung(1− v2

c2

)=

(1 +

v

c

)(1− v

c

)erhalten wir dann endgultig fur die Zeitspanne TB zwischen zwei beim (be-wegten) Empfanger ankommenden Impulse

TB =

√1− v

c

1 + vc

T0 (2.22a)

Fuhren wir die jeweiligen Impulsfrequenzen ν0 und νB ein, so ergibt sich

νB = ν0

√1 + v

c

1− vc

(2.22b)

eine identische Gleichung wie sie die exakte Ableitung (B.4a) ergeben hat.Man erkennt leicht, daß νB > ν0 ist, d.h. die beobachtete Impulsfrequenzist erhoht, in Analogie zu Lichtwellen kann man von einer Blauverschiebungsprechen. Fur kleine Relativgeschwindigkeiten v im Vergleich zu c konnen wirin (2.22b) Zahler und Nenner der Wurzel in Reihe entwickeln und nach demlinearen Glied abbrechen:√

1 + vc

1− vc

≈ (1 +1

2

v

c− · · · )(1 +

1

2

v

c+ · · · ) ≈ (1 +

v

c)

Damit erhalten wir fur diese Naherung die Gleichung fur die Empfangsfrequenzzu

νB ≈ ν0

(1 +

v

c

)die identische Beziehung wie im klassischen Fall (1.7).

Betrachten wir nun den zweiten Fall, bei dem sich der Sender auf denruhenden Empfanger zu bewegt. Hier konnen wir die identische Argumen-tationskette aufbauen wie oben: die Zeitspanne zwischen zwei empfangenenImpulsen ist auch hier um die Zeitspanne ∆T0 = v

c · T0 verkurzt, so daß ohneBerucksichtigung der Zeitdilatation die Zeitspanne TB zwischen zwei empfan-gen Impulse identisch wie oben ist. Bei Berucksichtigung der Zeitdilatationgeht die Geschwindigkeit quadratisch ein, d.h. der Betrag der Anderung istunabhangig von der Richtung der Geschwindigkeit. Als Konsequenz erhaltenwir auch in diesem Fall die identische Beziehung fur die Zeitspanne TB unddie Impulsfrequenz νB wie oben in (2.22a) und (2.22b), im Gegensatz zu demklassischen Doppler-Effekt, wo wir ein unterschiedliches Ergebnis (1.8) erhiel-ten (siehe dazu auch die exakte Ableitung in Kap. B.2). Bei der Beschreibung

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

des klassischen Doppler-Effektes hatten wir schon darauf hingewiesen, daß indem Fall unterschiedlicher Ergebnisse eigentlich drei Inertialsysteme vorlie-gen: das System des Senders, des Empfangers und das des Tragersystems furdie Wellen, der Ather. Im Falle der Schallwellen, wo der Frequenzunterschiedexperimentell nachweisbar ist, ist eine solche Konstellation vorhanden: Schall-sender, Empfanger und die Luft als Trager der Schallwellen. Im relativistischenFall der Radio- oder Lichtwellen existiert kein Ather (absoluter Raum), dahermussen beide Ergebnisse identisch sein.

Entfernt sich der Sender von dem Empfanger (oder der Empfanger vondem Sender), so haben wir den Fall der Rotverschiebung vor uns. Die Formelfur die Frequenzanderung ergibt sich einfach, indem wir die Geschwindigkeitnegativ nehmen:

νB = ν0

√1− v

c

1 + vc

(2.23a)

oder wenn wir statt der Frequenz die Wellenlange benutzen:

λB = λ0

√1 + v

c

1− vc

(2.23b)

In der Kosmologie spielt im Zusammenhang mit der Expansion des Univer-sums die Rotverschiebung eine wichtige Rolle. Sie wird (falschlicher Weise)haufig als Doppler-Effekt gedeutet. Die aus der Rotverschiebung der kosmi-schen Objekte abgeleitete Fluchtgeschwindigkeit bezieht sich nicht auf derenGeschwindigkeit, sondern ist vielmehr eine Folge der Ausdehnung des Raumes.In diesem Zusammenhang hat sich der z-Wert als Maß fur die Rotverschiebungeingeburgert. Er ist folgendermaßen definiert (siehe z.B. [21] S. 271):

z =λB − λ0

λ0oder z + 1 =

λBλ0

Unter Berucksichtigung von (2.23b) erhalten wir fur den z-Wert im relativi-stischen Fall:

z =

√1 + v

c

1− vc

− 1

Fur den Fall des klassischen Doppler-Effektes legen wir die Gleichung (1.7)zugrunde, berucksichtigen das negative Vorzeichen fur die Geschwindigkeit vim Falle der Rotverschiebung und ersetzen die Frequenz durch die Wellenlange.Wir erhalten damit fur den z-Wert im klassischen Fall:

z =1

1− vc

− 1

Fur sehr kleine Geschwindigkeiten v im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeitc laßt sich leicht zeigen, daß beide Formeln in die in der Astronomie vielbenutzte Beziehung v = c · z fur die Fluchtgeschwindigkeit ubergehen. Inder Abb. 2.19 ist der z-Wert gegen die Geschwindigkeit v (im Verhaltnis zurLichtgeschwindigkeit) aufgetragen. Man kann deutlich erkennen, daß fur kleine

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

Geschwindigkeiten die Werte sich nicht so deutlich unterscheiden, wahrend dieDifferenz umso großer wird, je hoher die Geschwindigkeit ist. Fur die Praxisbedeutet das, daß, wenn man schon die Rotverschiebung kosmischer Objekteals Fluchtgeschwindigkeit interpretiert, man die einfache Beziehung v = c · znur fur kleine z-Werte z < 0, 3 benutzen darf. In beiden Fallen geht z −→ ∞

Abbildung 2.19: z-Wert in Abhangigkeit der Geschwindigkeit (im Verhaltnis zur Lichtge-schwindigkeit) fur den klassischen und den relativistischen Doppler-Effekt.

wenn v −→ c geht, wobei im Fall des klassischen Doppler-Effektes z schnellergegen unendlich geht.

Was bisher uber den relativistischen Doppler-Effekt geschrieben wurde,bezieht sich auf den longitudinalen (relativistischen) Doppler-Effekt. In derSpeziellen Relativitatstheorie tritt nun ein weiterer Effekt auf, den es im klas-sischen Fall uberhaupt nicht gibt, der transversale Doppler-Effekt. Er tritt auf,wenn sich die ebene Welle senkrecht zur Bewegungsrichtung des Beobachtersausbreitet. In Kap. B.2 wird mit Hilfe der Wellenfunktion und in Kap. 3.2.3unter Nutzung des quantentheoretischen Zusammenhangs zwischen Energie,Impuls und Frequenz einer (Licht-)Welle dieses Phanomen exakt abgeleitet.Fur die beiden oben untersuchten Falle erhalten wir bei dem transversalenDoppler-Effekt unterschiedliche Ergebnisse:

1. Bewegt sich der Beobachter mit der Geschwindigkeit v auf die ruhendeLichtquelle zu, so mißt er in seinem System die Frequenz νB, die sichnach (B.5a) ergibt zu

νB = ν01√

1− v2

c2

, (2.24a)

was eine Blauverschiebung bedeutet.

2. Bewegt sich dagegen die Lichtquelle auf den (ruhenden) Beobachter zu,so erhalten wir aus (B.5b) fur die gemessene Frequenz

νB = ν0

√1− v2

c2(2.24b)

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

eine Rotverschiebung.

Der Unterschied beider Ergebnisse ist in der Großenordnung β2 (2. Ordnungbezuglich β), also ein schwer nachweisbarer Unterschied. Der transversaleDoppler-Effekt an sich – entsprechend (2.24a) oder (2.24b) – (von der Großen-ordnung β) ist allerdings durchaus experimentell nachweisbar.

Wie sich bei der exakten Berechnung des relativistischen Doppler-Effektesin Kap. 3.2.3 oder Kap. B.2 im Anhang zeigt (siehe dort das Thema Aberra-tion), tritt bei dem transversalen Doppler-Effekt nicht nur eine Frequenzver-schiebung auf, die Ausbreitungsrichtung der ebenen Welle erscheint daruberhinaus nicht nur in y-Richtung, sondern hat auch eine x-Komponente mit un-terschiedlichem Vorzeichen, je nachdem welcher der beiden Falle vorliegt –Beobachter bewegt sich auf ruhende Lichtquelle zu oder Lichtquelle bewegtsich auf Beobachter zu. Auf den ersten Blick sollte man vermuten, daß beideFalle identische Ergebnisse zeigen mußten: beide Male bewegt sich die Licht-quelle auf den Beobachter zu: einmal tatsachlich in Richtung des ruhendenBeobachters und das andere mal scheinbar aus dessen Sicht.

Den Unterschied konnen wir uns aber leicht klar machen. Untersuchen wirdazu zunachst den ersten Fall, daß sich der Beobachter auf die ruhende Licht-quelle zubewegt. Dazu betrachten wir die Abb. 2.20: die Lichtquelle befindet

Abbildung 2.20: Transversaler Doppler-Effekt fur den Fall, daß sich der Beobachter mitder Geschwindigkeit v auf die ruhende Lichtquelle zubewegt; Erlauterung im Text.

sich im Koordinatenursprung des Systems S und strahlt ihr Licht in Richtungder y-Achse aus. Parallel der x-Achse des Systems S bewegt sich das Inertial-system des Beobachters S(1) mit der Geschwindigkeit v auf die Lichtquelle zu

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2.2. Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie

– die Koordinatenachsen beider Systeme seien parallel. Der Beobachter in S(1)

stellt in diesem Fall fest, daß die Richtung des Lichtstrahles in einem bestimm-ten Winkel auf ihn zugeneigt ist, d.h. der Lichtstrahl hat eine Komponente,die auf ihn zuzeigt, wie in der Abb. 2.20 dargestellt ist. Dies bedeutet abereine Blauverschiebung des Lichtes.

Im anderen Fall, daß sich die Lichtquelle mit der Geschwindigkeit v aufeinen ruhenden Beobachter zu bewegt, konnen wir anhand der Abb. 2.21 ver-deutlichen. Die (bewegte) Lichtquelle befinde sich dieses mal im Koordina-

Abbildung 2.21: Transversaler Doppler-Effekt fur den Fall, daß sich die Lichtquelle mitder Geschwindigkeit v auf den ruhenden Beobachter zu bewegt; Erlauterung im Text.

tenursprung des Systems S(1), S sei das System des ruhenden Beobachters.Die Koordinatenachsen von S und S(1) seien parallel und die Lichtquelle be-wegt entlang der x-Achse des Systems des Beobachters. Das Licht wird indem System S(1) entlang der y(1)-Achse abgestrahlt. Der ruhende Beobachterwird in diesem Fall feststellen, daß die Richtung des Lichtstrahles mit einemgewissen Winkel von ihm wegzeigt; der Lichtstrahl hat eine Komponente inRichtung der negativen x-Achse, also weg von dem Beobachter. Das empfan-gene Licht zeigt demnach eine Rotverschiebung.

Der Fizeau-Versuch sollte, wie wir in Kap. 1.5 beschrieben hatten, dieEntscheidung daruber bringen, ob der Ather von z.B. einer bewegten Flussig-keit mitgefuhrt wird oder nicht. Es zeigte sich aber, daß der bei den damaligenAnnahmen uber den Ather nur teilweise, um den Faktor (1− 1

n2 ) – den Fres-nelschen Mitfuhrungskoeffizienten – reduziert, mitgefuhrt wird. Dabei ist nder Brechungsindex der bewegten Flussigkeit.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

In der Speziellen Relativitatstheorie ist der Fizeau-Versuch einfach eine An-wendung des Additionstheorems der Geschwindigkeiten wie sie in Kap. 2.2.3beschrieben wurde. Dazu stellen wir uns vor, in einem Rohr fließe Wasser miteiner Geschwindigkeit v. Der Brechungsindex des Wassers sei n und somit istdie Lichtgeschwindigkeit im Wasser c(1) = c

n . S(1) sei das System des fließen-

den Wassers mit der x(1)-Achse als Flußrichtung. Das System des (ruhenden)Labors sei S, dessen x-Achse parallel zur x(1)-Achse liegt. Wenden wir die Glei-chung (2.21a) des Additionstheorems der Geschwindigkeiten an, so erhalten

wir fur die im Laborsystem gemessene Geschwindigkeit u(Lab)x :

u(Lab)x =

c(1) + v

1 + c(1) vc2

=cn + v

1 + vn c

Fur kleine Geschwindigkeiten v entwickeln wir den Nenner und brechen nachdem linearen Glied ab

cn + v

1 + vn c

≈(c

n+ v

)(1− v

n c+ · · ·

)womit wir schließlich die identische Beziehung fur die gemessene Geschwindig-

keit u(Lab)x erhalten, wie sie von Fizeau ermittelt wurde ( siehe (1.9)):

u(Lab)x =

c

n+ v

(1− 1

n2

)(2.25)

In der Speziellen Relativitatstheorie erklart sich der Fizeau-Versuch einfachaus der Addition der Geschwindigkeiten; man muß uberhaupt nicht eine teil-weise Mitfuhrung eines hypothetischen Athers bemuhen.

Die Vorwartsstrahlung schnell bewegter Teilchen ist ein Anwendungs-fall fur das relativistische Additionstheorem fur Geschwindigkeiten. Wir neh-men an, daß in dem (ruhenden) Laborsystem S das Teilchen mit hoher Ge-schwindigkeit v in Richtung der x-Achse fliegt. In seinem Ruhesystem S(1) desTeilchens – die Ausrichtung der Achsen von S(1) ist identisch zu der in S –sende es Strahlen (Photonen) nur in Richtung der y(1)-Achse aus. Wir habengleiche Verhaltnisse wie in dem schon in Kap. 2.2.3 besprochenen Beispiel undkonnen von dort einfach die Beziehung fur die Geschwindigkeitskomponenten(2.21c) in S ubernehmen:

ux = v und uy = c√

1− v2/c2

Fur den Winkel, den die Strahlung im Laborsystem S mit der x-Achse ein-schließt, erhalten wir dann

tanα =uyux

=c√

1− v2

c2

v(2.26)

Der Betrag der Geschwindigkeit der ausgesandten Strahlung ist naturlich c,wie in Kap. 2.2.3 schon gezeigt. Setzen wir unsere Geschwindigkeit v = 2

3c,

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2.3. Schein oder Wirklichkeit

wie wir sie schon verschiedentlich genutzt haben, in obige Gleichung ein, soerhalten wir einen Winkel gegen die x-Achse von ≈ 48◦ in Richtung der Ge-schwindigkeit. Die Strahlung wird also im Laborsystem S in Vorwartsrichtunggebundelt.

Wir haben oben von Strahlen resp. Photonen gesprochen, die senkrechtzur Bewegungsrichtung von dem schnell bewegten Teilchen ausgesandt wer-den. Dieses Bild ist gleichbedeutend damit, daß von diesem Teilchen eineebene Welle senkrecht zur Bewegungsrichtung ausgeht. Wir konnen also dieVorwartsstrahlung schnell bewegter Teilchen auch unter dem Wellenaspektbetrachten. In Kap. B.2 wurde die sog. Aberrationsgleichung fur den Fall ab-geleitet, daß eine Welle in beliebiger Richtung ϑ zur x-Achse ausgesandt wird.Wir mussen fur den hier vorliegenden Fall in dem dortigen Ausdruck (B.7c)die Geschwindigkeit v allerdings mit dem negativen Vorzeichen versehen, dahier die Geschwindigkeit des Teilchens die entgegengesetzte Richtung wie dorthat:

tanα =sinϑ

√1− v2

c2

cosϑ+ vc

(2.27)

Mit ϑ = 90◦ erhalten wir genau obigen Ausdruck (2.26). (2.27) gilt ganz allge-mein fur den Winkel, den die Strahlung (Wellennormale) im Laborsystem mitder x-Achse einschließt, wenn im bewegten System des Teilchens die Strahlungin dem Winkel (zur x(1)-Achse) ϑ abgestrahlt wird.

2.3 Schein oder Wirklichkeit

Die Spezielle Relativitatstheorie wurde nach ihrer ersten Publikation 1905 lan-ge Zeit nur von einem ganz engen Kreis von Physikern wahrgenommen; be-zeichnend dafur ist, daß Einstein nicht fur seine Relativitatstheorie sondern furseinen Nachweis des korpuluskaren Charakters des Lichtes 1921 mit dem No-belpreis ausgezeichnet wurde. Als 1919 die Ablenkung des Lichtes an der Son-ne bei einer Sonnenfinsternis von Arthur Stanley Eddington (1882-1944)nachgewiesen und damit die theoretische Vorhersage dieser Effektes durch dieAllgemeine Relativitatstheorie bestatigt werden konnte, ruckte das Thema

”Relativitatstheorie“ ins allgemeine Interesse. Diese experimentelle Bestati-

gung blieb aber lange Zeit die einzige, was zur Folge hatte, daß die Relati-vitatstheorie, aber auch Einstein personlich heftigen Anfeindungen ausgesetztwar. Selbst die uberzeugende Erklarung der Mitfuhrung beim Fizeau-Versuchdurch die Spezielle Relativitatstheorie und die wiederholten Bestatigung desnegativen Ergebnisses des Michelson-Morley-Experimentes anderte nichts ander Haltung der Gegner – sogar Michelson selbst war bis zu seinem Todedavon uberzeugt, daß die Athertheorie richtig und die Experimente noch nichtempfindlich genug seien. Es sollte noch fast vierzig Jahre dauern, bis 1941 vonB. Rossi und David B. Hall am Beispiel des Zerfalls von Myonen, die ingroßer Hohe durch die kosmische Strahlung erzeugt werden, die relativistischeZeitdehnung verifiziert wurde; in der Folge wurden dann die experimentellenBestatigungen immer zahlreicher (siehe dazu Kap. 2.5).

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Die Gegner der Relativitatstheorie sind aber bis zum heutigen Tag ak-tiv, was ein Blick ins Internet belegt. Da sind zum einen diejenigen, die diePrinzipien der Relativitatstheorie einfach nicht verstehen oder nicht verstehenwollen. Darunter sind so renommierte Astrophysiker wie Herbert Dingle,der in jungeren Jahren selbst Bucher uber Relativitatstheorie verfaßt hat,und plotzlich behauptet, die Spezielle Relativitatstheorie widerlegt zu haben[8]. Zum anderen kritisieren speziell Vertreter der angewandten Physik, daßdie Spezielle Relativitatstheorie einzig und alleine mit Gedankenexperimen-ten operiere – womit sie lange Zeit nicht unrecht hatten – und daß alleinedas Experiment zahlt; die Anwurfe gehen sogar so weit, daß Ergebnisse vonVersuchen, die schließlich doch gemacht werden konnten (siehe Kap. 2.5), inZweifel gezogen wurden. Und dann gibt es noch die Kritik von philosophischerSeite, die nach wie vor die Ideen des absoluten Raumes und der absolutenZeit, wie sie von Newton und Kant vertreten wurden, fur die einzig richtigenerachten. Alle Anwurfe sind vielfach widerlegt worden und die Literatur istvoll von uberzeugenden Argumenten fur die Spezielle Relativitatstheorie.

An zwei Effekten der Speziellen Relativitatstheorie macht sich die Kritikim wesentlichen fest: der Lorentz-Kontraktion und der Zeitdilatation. Die Pro-blematik der Zeitdilatation werden wir detaillierter in einem folgenden Kapitelim Zusammenhang mit dem

”Uhren-“ oder

”Zwillingsparadoxon“ behandeln

(siehe Kap. 2.3.2). Mit der Lorentz-Kontraktion hingegen taucht das Problemauf, ist die Kontraktion der Lange eines bewegten Stabes

”scheinbar“ oder

”wirklich“? Existiert nicht mehr der Stab als das Ding an sich oder gibt es

beliebig viele davon, fur jede Geschwindigkeit eines? Max Born verdeutlichtin [4] die Auffassung der Speziellen Relativitatstheorie zu der Kontraktion be-wegter Stabe, indem er hervorhebt, daß ein materieller Stab in physikalischerHinsicht nicht ein raumliches Ding, sondern ein raum-zeitliches Gebilde ist.Das entsprechende Abbild des Stabes ist nicht eine Strecke auf der x-Achse,sondern ein Streifen in der x,t-Ebene. Um das zu verdeutlichen wird nocheinmal die raum-zeitliche Darstellung (Abb. 2.13) eines bewegten Stabes inAbb. 2.22 prasentiert. Der Stab der Lange eins ist einmal, Fig. a, ruhendin dem System S und in Fig. b, ebenfalls mit der Lange eins, im System S(1)

ruhend als Streifen abgebildet. Dies ist die Darstellung der Kinematik der Spe-ziellen Relativitatstheorie und durch die Eichkurve sind wir in der Lage, dieEinheiten auf den jeweiligen Koordinatenachse festzulegen. Die klassische Ki-nematik mit der Galilei-Transformation zeichnet das anders. Dort haben beideStreifen dieselbe Breite, gemessen parallel zu einer festen x-Achse. Welche vonbeiden richtig ist, kann a priori nicht festgestellt werden; das muß das Expe-riment entscheiden! Die Kontraktion betrifft also nicht den Streifen sondernalleine die von der x- oder x(1)-Achse ausgeschnittene Strecke. PhysikalischeRealitat hat aber nur der Streifen als raumzeitliche Reprasentation des Stabes;die Kontraktion ist also nur eine Folge der unterschiedlichen

”Sichtweisen“ in

S und S(1) und keine Veranderung der physikalischen Realitat. Der Stab un-seres Beispiel in Abb. 2.22 hat in S die Lange eins und hat in S(1) die Langeeins; die Streitfrage, ob die Kontraktion

”wirklich“ oder

”scheinbar“ ist, ist

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2.3. Schein oder Wirklichkeit

Abbildung 2.22: Zur Langenkontraktion bewegter Stabe; in Fig. a ruht der Stab im SystemS und wird vom bewegten System S(1) aus beobachtet, in Fig. b ist es umgekehrt, der Stabruht im bewegten System und wird vom ruhenden System aus betrachtet; Erlauterung imText

damit obsolet. Ein Zitat M. Borns aus [4] charakterisiert diese Streitfragesehr einleuchtend:

Wenn ich mir von einer Wurst eine Scheibe abschneide, so wirddiese großer oder kleiner, je nachdem ich mehr oder weniger schiefschneide. Es ist sinnlos, die verschiedenen Großen der Wurstschei-ben als

”scheinbar“ zu bezeichnen und etwa die kleinste, die bei

senkrechten Schnitt entsteht, als die”

wirkliche“ Große.

Oben wurde der Begriff Sichtweisen in Anfuhrungsstriche gesetzt, denn imnachsten Kapitel werden wir bei dem Thema Visualisierung von bewegten Ob-jekten Beispiele finden, wie der Stab unter verschiedenen Bewegungszustandentatsachlich gesehen oder photographiert werden kann.

Analoges gilt fur die Relativitat der Zeit und den Gang der Uhren; wirhaben in Kap. 2.2.2 gelernt, daß ideale Uhren in dem System, in dem sie ru-hen, immer ein und die selbe Zeit anzeigen. Wird die Uhr aber von einemanderen, bewegten System aus beurteilt, scheint sie langsamer zu gehen. Die-se Tatsache widerspricht sowohl unserer gewohnten Anschauung, als auch denTheorien der klassischen Physik und rief daher erbitterten Widerspruch her-vor, bis das Phanomen doch tatsachlich experimentell bestatigt wurde. Dasmarkanteste Beispiel dazu, das Uhren- oder Zwillingsparadoxon, werden wirim ubernachsten Kapitel ausfuhrlich besprechen.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

2.3.1 Visualisierung

Eine der verwirrendsten Effekte der Speziellen Relativitatstheorie ist die Lan-genkontraktion bewegter Stabe. In Kap. 2.2.1 hatten wir erwahnt, daß Ein-stein bereits in seiner Originalarbeit von 1905 [14] Uberlegungen angestellthat, wie wohl ein mit hoher Geschwindigkeit bewegter Korper aussehen moge.Er hatte das am Beispiel einer Kugel gezeigt; in Kap. B.1 auf Seite 137 ist dieentsprechende Rechnung durchgefuhrt und die daraus resultierende Figur inAbb. 2.14 auf Seite 53 dargestellt. Georg Gamov (1904-1968) hatte in sei-nem im Jahr 1940 erschienen Buch

”Mr. Tompkins in Wonderland“ (deutsche

Ausgabe [17]) ebenfalls die Vorstellungen Einsteins ubernommen. Mr. Tom-kins lebt in einer Wunderwelt, in der die Lichtgeschwindigkeit auf 30 km/secreduziert ist. Er sieht einen Radfahrer mit 93 % der Lichtgeschwindigkeit aufeinem Fahrrad an ihm vorbeifahren. Fahrer nebst Fahrrad sind infolge derSpeziellen Relativitatstheorie in Fahrtrichtung um 37 % der Ruheausdehnungkontrahiert. Im oberen Teil der Abb. 2.23 ist die Zeichnung aus dem Buchvon Gamov wiedergegeben (aus [26]). Weder die Darstellung der Kugel wiein Abb. 2.14 noch die des Radfahrers in Gamovs Zeichnung sind das, wasman sieht. Im Bild c) der Abb. 2.23 ist dargestellt, wie man den Radfahrertatsachlich sehen wurde.

Der Unterschied kommt daher, daß man neben den relativistischen Ef-fekten auch die Laufzeit des Lichtes zwischen (bewegtem) Objekt und Augeberucksichtigen muß. Der Effekt der Lichtlaufzeit soll an dem einfachen Bei-spiel des bewegten Stabes deutlich gemacht werden. Der Stab habe, in seinemRuhesystem S(1) gemessen, die Lange eins. Er bewegt sich mit der Geschwin-digkeit v von einem in S ruhenden Beobachter weg. Die Situation ist in Fig. ader Abb. 2.24 dargestellt. Der graue Streifen stellt die

”Weltlinie“ des Stabes

in dem Raum-Zeit-Diagramm dar; er bewegt sich, durch den Pfeil dargestellt,vom ruhenden Beobachter weg. Sein Ruhesystem S(1) ist durch die Koor-dinaten ct(1) und x(1) reprasentiert. Er hat die in seinem Ruhesystem S(1)

gemessene Lange von eins. Die im System S gemessene Lange OC ist infolgeder Lorentz-Kontraktion kurzer als eins, wie in der Abbildung deutlich zu er-kennen ist. Zum Zeitpunkt T werde nun aus dem ruhenden System heraus der(bewegte) Stab photographiert. Die von jedem Punkt des Stabes ausgehendenLichtstrahlen mussen gleichzeitig in T ankommen; d.h. sie mussen auf demRuckwartslichtkegel von T liegen – die gestrichelte Linie von T ausgehend.Die Lichtstrahlen, die von dem vom Beobachter weiter entfernten Ende desStabes B(1) ausgehen, starten zu einem fruheren Zeitpunkt, als die vom ande-ren Ende A(1) ausgehenden. Die scheinbare Lange des Stabes ist also nicht diegemessene Lange, die durch den grauen Streifen von der x-Achse abgeschnittenwird, sondern AB. Letztere ist, wie aus Fig. a der Abb. 2.24 ersichtlich, kurzerals die gemessene Lange. Durch konkrete Rechnungen, die hier nicht durch-gefuhrt werden sollen, laßt sich das auch quantitativ belegen. Generell kannman sagen, daß ein sich vom Beobachter wegfliegender Stab in Flugrichtungstarker gestaucht erscheint, als man durch die Lorentz-Kontraktion erwartenwurde.

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2.3. Schein oder Wirklichkeit

Abbildung 2.23: Visualisierung der Langenkontraktion; oberes Bild gibt die Darstellungaus dem Buch von Gamov [17] wieder. Im unteren Bild ist der Radfahrer a) in Ruhe, b)gemessen bei 93 % der Lichtgeschwindigkeit und c) bei 93 % der Lichtgeschwindigkeit gesehen(aus [26] mit freundlicher Genehmigung der Autoren)

Betrachten wir den umgekehrten Fall, der Stab bewegt sich auf den (ru-henden) Beobachter zu. In Fig. b der Abb. 2.24 ist diese Situation wieder indem Raum-Zeit-Diagramm dargestellt. Der graue Streifen ist auch hier wie-der die

”Weltlinie“ des Stabes. S ist das System des Beobachters, S(1) das

des Stabes mit den Koordinatenachsen ct(1) und x(1). Die Ruhelange Stabessei wieder eins. Zum Zeitpunkt T wird der Stab beobachtet und genau wieim ersten Beispiel mussen die Lichtstrahlen, die von jedem Punkt des Stabesausgehen, gleichzeitig bei T eintreffen, d.h. sie liegen auf dem Ruckwartslicht-kegel von T . Um das zu gewahrleisten, muß der Lichtstrahl von B(1) fruher

”loslaufen“ als der von A(1), in der Zwischenzeit hat sich der Stab aber schon

weiterbewegt. Die in S gesehene Lange des Stabes AB ist, wie die Abbildungzeigt, deutlich langer als die durch die Lorentz-Kontraktion gemessene (in Fig.b der Abb. 2.24 durch die Schnittlinie der

”Weltlinie“ des Stabes mit der x-

Achse gekennzeichnet).

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Abbildung 2.24: Der bewegte Stab (seine”Weltlinie“ ist als grauer Streifen dargestellt)

bewegt sich in Fig. a von dem ruhenden Beobachter weg. Zum Zeitpunkt T wird er angeschautresp. photographiert. In Fig. b bewegt sich der Stab auf den Beobachter zu. Jeweils zumZeitpunkt T wird der Stab photographiert

Rechnerisch laßt sich zeigen, daß AB sogar langer ist als die Ruhelangedes Stabes, was ja auch schon aus der Abbildung hervorgeht. Konkrete Be-rechnungen unter Berucksichtigung der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit(siehe [25]) ergeben fur den Fall, daß sich der Stab der Ruhelange L0 derKamera nahert, eine beobachtete Lange LB:

LB = L0 ·

√1 + β

1− β(Annaherung)

und fur den Fall, daß sich der Stab von der Kamera weg bewegt:

LB = L0 ·

√1− β1 + β

(Entfernung).

Die Formeln haben das gleiche Aussehen, wie es im Zusammenhang mit demrelativistischen Doppler-Effekt gefunden wurde (siehe z.B. (2.22b) und (2.23a)auf den Seiten 65 und 66). Ein Zahlenbeispiel moge die Unterschiede zwischenvisueller Betrachtung und Messung verdeutlichen. Nehmen wir an, die Ge-schwindigkeit des Stabes (seine Ruhelange ware gleich eins) sei zwei drittelder Lichtgeschwindigkeit, entspr. β = 2/3, analog zu den Gegebenheiten derAbb. 2.24. Die gemessen Lange des Stabes ist (nach der Lorentz-Kontraktion(2.17) aus Seite 52) Lgem =

√1− β2 ≈ 0, 745 unabhangig davon, ob er sich

auf den Beobachter zu oder weg bewegt. Nach den obigen Formeln ist dage-gen im Fall der Annaherung die photographierte Lange LAnn ≈ 2, 24 und beiEntfernung die Lange LEntf ≈ 0, 45, also die Unterschiede, die auch schon in

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2.3. Schein oder Wirklichkeit

der Abb. 2.24 deutlich wurden.

Ist der Stab, im Gegensatz zu oben, senkrecht zur Bewegungsrichtung ori-entiert, so zeigt sich (siehe z.B. [26]), daß er zu einer Hyperbel verformt ist.Dadurch erscheint z.B. ein heranfliegendes Gitter verzerrt, wie in Abb. 2.25

Abbildung 2.25: Ein Gitter (a) bewegt sich mit 90 % der Lichtgeschwindigkeit auf dieKamera zu (b) (aus [26] mit freundlicher Genehmigung der Autoren).

gezeigt ist. In [25] wird gezeigt, daß in diesem Fall die Stabe, die senkrechtzur Bewegungsrichtung stehen, eine Hyperbelform annehmen. Das in Ruherechtwinklige Gitter (a) erscheint bei Annaherung an die Kamera mit 90 %der Lichtgeschwindigkeit in seinen Gitterlinien deutlich gewolbt. In dem Inter-netauftritt

”Tempolimit Lichtgeschwindigkeit“ [26] wird unter anderem dieser

Effekt in einer Videosequenz anschaulich vor Augen gefuhrt.

Betrachten wir nun ein einfaches Beispiel eines Objektes, das sich in wei-ter Entfernung senkrecht zur Blickrichtung mit der Geschwindigkeit v bewegt(in Anlehnung an ein Beispiel aus [41]). In Fig. A.1 der Abb. 2.26 ist es alssimpler Container dargestellt (damit ist auch die Grenze meiner graphischenFahigkeiten mit PowerPoint erreicht). Er hat die Lange l und einen quadra-tischen Querschnitt mit der Kantenlange b. Wenn das Licht von der linkenSeitenwand – bei A und B – des Containers die Breite b in der Zeit ∆t durch-laufen hat, hat sich der Container um das Stuck v ·∆t weiterbewegt (siehe Fig.A.2 Abb. 2.26). Die Lichtstrahlen von der linken Seitenwand und der Vorder-seite des Containers gehen dann gleichzeitig und parallel (wegen der großenEntfernung) zum Auge des Beobachters oder zum Fotoapparat. Lichtstrahlender rechten Seitenwand haben aber keine Chance der Beobachter zu erreichen,denn sie werden von dem sich vorwarts bewegenden Container abgedeckt. DasBild, das das Auge wahrnimmt oder auf dem Film abgelichtet wird, ist in Fig.A.3 der Abb. 2.26 dargestellt. Es erscheint nicht nur die Vorderseite des Con-tainers, sondern es ist auch die linke Seitenwand verkurzt zu sehen. Die Fig.A.3 ist in Fig. B.1 wieder aufgenommen, um nun auch die Lorentz-Kontraktionnoch zu berucksichtigen. In Fig. B.2 ist sie nun fur die Lange l des Containersdem Faktor

√1− v2/c2 entsprechend eingerechnet. Fur unser Auge erscheint

er nun um einen Winkel α gedreht; in Fig. B.3 ist die Drehung durch die Sichtauf die Unterseite des Containers veranschaulicht. Der Kosinus des Winkels α

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Abbildung 2.26: Ansicht eines mit der Geschwindigkeit v in großer Entfernung sich senk-recht zur Blickrichtung bewegenden Objektes. Es erscheint nicht kontrahiert sondern gedreht;Erlauterung im Text.

ist aus Fig. B.3 leicht zu cosα =√

1− v2/c2 zu berechnen. Und hier tauchtauch wieder dieser Faktor auf, dessen Verlauf wir in Abb. 2.11 auf Seite 48abgebildet haben. Danach ist bei kleineren Geschwindigkeiten v die scheinbareDrehung unmerklich, tritt aber bei hohen immer deutlicher hervor.

Merklich komplizierter wird es, wenn man die schon angesprochene Ku-gel betrachtet. Will man bestimmen, wie eine mit hoher Geschwindigkeit inweiter Entfernung fliegende Kugel aussieht oder auf einem Photo erscheint,so gibt uns, wie schon erwahnt, die Methoden der Messung nicht das richtigeBild. Es genugt nicht, einfach z.B. die x-Achse zu kontrahieren, man muß viel-mehr daruber hinaus auch die von vielen Punkten der Oberflache ausgehendenLichtstrahlen verfolgen und bestimmen, welche gleichzeitig im Auge oder inder Linse des Fotoapparates eintreffen, d.h. es ist die Methode des

”Raytra-

cing“ – Strahlverfolgung – erforderlich. Im obigen Beispiel des Containers istja nichts anderes durchgefuhrt worden als die Strahlverfolgung.

Fuhrt man das Verfahren an einer Kugel konsequent durch, so kontrahiertdie Kugel nicht in eine Richtung, wie es Einstein sich vorgestellt hat und wiees die Abb. 2.14 auf Seite 53 zeigt, sondern sie bleibt, wie schon erwahnt, eineKugel, die aber gedreht erscheint. In der Abb. 2.27 sind aus der Internetauf-tritt

”Tempolimit Lichtgeschwindigkeit“ [26] verschiedene Bilder wiedergege-

ben, wie eine Kugel dem Auge oder dem Fotoapparat erscheint. Unter (a) istdie ruhende Kugel mit ihren Gitterlinien auf der Oberflache als Ausgangsbildgezeigt. Das Teilbild (b) ist eine Darstellung, wie sie eine Messung der Kugelmit der Geschwindigkeit von 95 % der Lichtgeschwindigkeit nach der Methodevon Einstein [14] ergeben wurde; man erkennt, daß die Kugel nur in Bewe-

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2.3. Schein oder Wirklichkeit

Abbildung 2.27: Fig. (a) ruhende Kugel; (b) Messergebnis nach Einstein [14] bei einerGeschwindigkeit von 95 % der Lichtgeschwindigkeit; die Ansicht oder Photographie der be-wegten Kugel zeigt die Kugelform nach wie vor, allerdings gedreht; ohne Berucksichtigungder Lorentz-Kontraktion wurde die Kugel eher wie ein Zeppelin (d) aussehen (aus [26] mitfreundlicher Genehmigung der Autoren).

gungsrichtung gestaucht, aber nicht gedreht ist. Die Fig. (c) zeigt dagegen, wieuns die Kugel erscheint oder photographiert wurde, nach wie vor als Kugel,aber gedreht. In (d) ist die in weiter Entfernung fliegende Kugel ohne Beruck-sichtigung der Lorentz-Kontraktion dargestellt, aber unter Einbeziehung derLichtlaufzeit; sie erscheint uns verzerrt zu einem Gebilde wie ein Zeppelin,aber auch gedreht. Die Lorentz-Kontraktion sorgt aber wieder dafur, daß beivisueller Beobachtung oder Photographie wieder eine Kugel erscheint. Daßschnell bewegte Objekte gedreht erscheinen, gilt nur fur sehr weit entfernte,aber dafur fur alle Objekte. Deswegen konnen wir mit [41] sagen:

[Sehr weit entfernte] bewegte Objekte erscheinen bei visueller Beob-achtung oder bei fotografischen Aufnahmen nicht kontrahiert, son-dern gedreht.

Eine genauere Analyse der Erscheinung einer schnell bewegten Kugel zeigtaber, daß nur der Umriß der Kugel ein Kreis bleibt und ein rundes Objektuns dadurch nach wie vor als Kugel erscheint. Schneidet mal die Kugel in ein-zelne Scheiben, wie es sehr anschaulich in [26] gezeigt wird, dann erscheinendie einzelnen

”Scheiben“ bei der schnellen Bewegung als verscherte, langliche

Gebilde, ihre Gesamtheit zeigt aber immer noch einen kreisformigen Umriss.

Wird aber ein fast lichtschneller Vorbeiflug an einem Objekt – in [26] wirdein Vorbeiflug am Saturn mit seinem Ring als Videosequenz gezeigt – simu-liert, dann erscheint es nicht nur gedreht, sondern wird auch mit zunehmenderAnnaherung immer mehr verzerrt, wie wir es oben auch an dem Beispiel desGitters gesehen haben. In [26] sind zahlreiche weitere Beispiele fur relativisti-sche Effekte zu sehen, wie z.B. an vorbeifliegenden Wurfel, schnell rotierendeoder vorbeirollende Rader oder Farbanderungen durch den Doppler-Effekt undvieles mehr. Besonders beeindruckend ist die Videosequenz einer Fahrradtourdurch Tubingen aus Sicht des Radfahrers. Ahnlich wie in Gamovs Wunderweltist die Lichtgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt und es wird dargestellt, wiesich die Straße und die umliegenden Hauser bei annahernd Lichtgeschwindig-keit dem Radfahrer zeigen. Auch wenn uns aus unserem personlichen Erfah-rungshorizont heraus die relativistischen Effekte immer unanschaulich bleibenwerden (siehe [47]) und wir sie wahrscheinlich nie werden sehen konnen, ist

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

es doch sehr instruktiv und lehrreich, die Computeranimationen dazu auf denInternetseiten von

”Was Einstein noch nicht sehen konnte“ in [26] oder die

Abbildungen in [34] zu betrachten.

2.3.2 Das Zwillingsparadoxon

Das Zwillings- oder Uhrenparadoxon ist das Thema, das fur den meisten Dis-kussionsstoff und die heftigsten Kontroversen im Zusammenhang mit der Spe-ziellen Relativitatstheorie gesorgt hat. Manche sahen darin sogar ihre Widerle-gung. Ein Reprasentant dieser Richtung ist H. Dingle [8], der anlaßlich einesVortrages uber dieses Thema geaußert hat (zitiert in [41])

Es stellt sich der unglaubliche Zustand ein, daß ausgezeichnetePhysiker – Manner, die hohe Positionen an Universitaten undForschungslabors innehaben – die Relativitatstheorie so vollstandigmißverstehen, daß sie tatsachlich an diese fantastischen Konse-quenzen glauben [und warnt] . . . vor der außerst gefahrlichen Situa-tion, in der das Schicksal der Welt in den Handen von Mannernliegt, die eine Sache so falsch auffassen konnen.

Worin liegt nun das so erschreckende Problem? Der Sachverhalt ist recht ein-fach und schnell erlautert. Wir stellen uns zwei Geschwister – Zwillinge, An-drea und Bernd – vor; Andrea besteigt ein Raumschiff und fliegt mit hoherGeschwindigkeit davon. Bernd bleibt auf der Erde zuruck. Er stellt fest, daßdie Uhr seiner Schwester langsamer geht, auch ihr Herz schlagt langsamer, alleihre Lebensvorgange laufen langsamer ab. Fur Andrea aber in ihrem Raum-schiff scheint sich nichts zu andern, ihre Uhr hat den gleichen Gang wie vordem Start, auch ihr Puls hat sich nach dem Start wieder normalisiert undden gewohnten Rhythmus aufgenommen. Wenn sie aber umkehrt und zuruck-kommt, muß sie feststellen, daß sie junger ist als ihr Bruder auf der Erde. Dasist die Konsequenz der relativistischen Zeitdilatation; die Geschwindigkeit gehtquadratisch in die Formel (2.18) mit der Folge, daß sich die Zeitverkurzungfur Hin- und Ruckflug addiert.

Im Kap. 2.1.4 hatten wir die raum-zeitliche Entfernung zwischen zwei Er-eignissen A und B bestimmt und gezeigt, daß die Gerade zwischen den Er-eignissen den großten (raum-zeitlichen) Abstand darstellt. Jeder andere Wegist

”kurzer“ (siehe Abb. 2.10). Dort wurde auch festgestellt, daß die raum-

zeitliche Entfernung ein Maß fur die Eigenzeit TE eines auf dieser Weltliniebewegten Objektes ist. Eine gerade Weltlinie bedeutet, daß das Objekt ruhtoder sich mit gleichformiger Geschwindigkeit bewegt. Fur unser Beispiel heißtdas, Bernd

”bewegt“ sich zwischen der Ereignis

”Start Andrea“ und

”Ruckkehr

Andrea“ auf einer geraden Weltlinie; Andrea”bewegt“ sich zwischen diesen

beiden Ereignissen auf einer anderen, geknickten Weltlinie und hat demzufolgeeine kurzere Eigenzeit-Spanne durchlebt als Bernd.

Zu einem”Paradoxon“ wird dieser Sachverhalt aber dann, wenn man be-

hauptet, daß in diesem Fall das Relativitatsprinzip gilt. Denn Andrea konnteja behaupten, relativ zu ihr hat sich ihr Bruder zuerst weg und dann auf sie

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2.3. Schein oder Wirklichkeit

zubewegt und deshalb mußte aus ihrer Sicht Bernd junger als sie sein. Undschließlich aus Symmetriegrunden kann es nur ein Ergebnis geben: beide sindgleich alt, wenn sie sich wieder treffen.

In diesem Fall gilt aber das Relativitatsprinzip nicht. Andrea mußte star-ten, umkehren und bei der Ruckkehr anhalten; inklusive beim Start hat siedrei mal Beschleunigungen gespurt, d.h. sie befand sich wahrend der Reisegar nicht in einem Inertialsystem und die Umkehrung der Betrachtungswei-se darf nicht angewandt werden. Trotzdem ist Andrea junger, wenn sie vonder Reise zuruckkehrt. Wir konnen namlich die Phasen der Beschleunigungsehr kurz machen im Vergleich zu den Zeiten gleichformiger Bewegung undsie dadurch vernachlassigen. Die Zeitdilatation bleibt bestehen. Diese Argu-mentationskette – das eine System ist beschleunigt, das andere nicht, folglichist das Relativitatsprinzip nicht anwendbar – ist zwar richtig, hinterlaßt abereinen

”leichten Beigeschmack“.

Einstein selbst war sich dieser Schwache der Argumentation durchaus be-wußt und hat auf Basis seiner Allgemeinen Relativitatstheorie schon 1918 ineinem wenig beachteten Artikel [9] das Zwillingsparadoxon unter konsequenterBerucksichtigung der Beschleunigungsphasen durchgerechnet und kam eben-falls auf das Ergebnis, daß Andrea bei der Ruckkehr junger sein muß als ihrauf der Erde zuruckgebliebener Bruder Bernd. Bei M. Born [4] (S. 305 und486) wird gezeigt, daß im Sinne der Allgemeinen Relativitatstheorie beliebigzueinander beschleunigte Beobachter doch gleichberechtigt sind und daß der,der die Beschleunigung erfahrt, die kurzere Eigenzeit hat. D.h. fur die Allge-meine Relativitatstheorie sind das System von Andrea dem System von Berndgleichberechtigt, aber trotzdem weist Andrea nach der Ruckkehr die kurzereEigenzeit auf und ein Paradoxon existiert uberhaupt nicht.

Als Zahlenbeispiel folgen wir [4] und nehmen an, Andrea fliege mit ihremRaumschiff zu dem Stern α-Centauri. Seine Entfernung von der Erde betragt4,5 Lichtjahre – sein Licht braucht Td = 4, 5 a um zu uns zu gelangen – oderim metrischen Maß3 d = Td · c [m]. Das Raumschiff fliege, abgesehen vonden sehr kurzen Beschleunigungsphasen bei Start und Landung sowie bei derUmkehr, mit der konstanten Geschwindigkeit v. Zur Bestimmung der Zeiten,die zwischen Start und Landung vergehen, konnen wir die Gleichung (2.18)anwenden, wobei die Zeitspanne, die Bernd registriert, TB = 2d

v ist, die vonAndrea ist dann TE . Wir erhalten also:

TE =2d

v

√1− v2

c2= 2 · d

c· cv

√1− v2

c2

oder, wenn wir in Einheiten von Lichtjahren rechnen, ist die Zeitspanne, dieim Raumschiff vergeht,

TE = 2Td ·c

v

√1− v2

c2(2.28a)

3Um die Entfernung d in der Einheit Meter [m] zu erhalten, muß naturlich Td in Sekundenund c in Meter pro Sekunde angegeben werden.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

und die Zeitspanne, die fur Bernd auf der Erde vergeht

TB = 2Td ·c

v(2.28b)

Nehmen wir fur die Geschwindigkeit v des Raumschiffes den schon mehrfachgenutzten Wert von v = 2

3c, so erhalten wir fur die Zeitspanne TB, die auf derErde vergeht aus (2.28b) TB = 13,5 Jahre. Die Zeit TE zwischen Start undLandung, die fur Andrea im Raumschiff verstreicht, berechnet sich dagegennach (2.28a) zu TE = 10 Jahre. Fur die Abb. 2.28 wurde fur eine Dauer –

Abbildung 2.28: Erreichbare Entfernung Td in Lichtjahren in Abhangigkeit der Geschwin-digkeit bei einer Reisedauer TE fur die Passagiere von 30 Jahren

Hin- und Ruckflug – der Eigenzeit TE der Passagiere eines Raumschiffes von30 Jahren die erreichbare Entfernung Td in Lichtjahren in Abhangigkeit vonder Geschwindigkeit berechnet. Bei der Reisegeschwindigkeit von v = 2

3 · cwaren demnach Sterne in einer Entfernung von der Erde von etwa 13 Licht-jahre erreichbar. Auf der Erde sind zwischen Start und Landung dabei etwa40 Jahre vergangen. Bei einer Geschwindigkeit von v = 0, 9 ·c waren Sterne imUmkreis von 31 Lichtjahre erreichbar, wahrend bei dieser Reise auf der Erdeca. 69 Jahre vergehen.

Es sei noch erwahnt, daß man das Phanomen des Zwillingsparadoxonsauch durch die Lorentz-Kontraktion beschreiben kann. In dem Ruhesystemdes Raumschiffs scheint sich die Erde zunachst mit der Geschwindigkeit v wegund nach der Umkehr auf es zu zu bewegen. Die Entfernung d ist daher nachder Gleichung fur die Langenkontraktion (2.17)

dB = d ·√

1− v2

c2

Die Eigenzeit im Raumschiff, die z.B. fur den Hinflug benotigt wird, ist dem-nach

TE2

=d

v·√

1− v2

c2

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2.4. Dynamik der Speziellen Relativitatstheorie

was identisch mit der Gleichung (2.28a) ist. Diese Art der Interpretation wirduns spater bei der Beschreibung des Myon-Experimentes in Kap. 2.5 wiederbegegnen.

2.4 Dynamik der Speziellen Relativitatstheorie

In der klassischen Mechanik hatten wir gesehen, daß das Relativitatsprinzip,d.h. die Gultigkeit in allen Inertialsystemen (Kovarianz) der NewtonschenGesetze, insbesondere des Kraftgesetzes, auf der Tatsache beruht, daß die Be-schleunigung gegen die Galilei-Transformation invariant ist. Diese Tatsacheist in der Speziellen Relativitatstheorie wegen dem Additionstheorem der Ge-schwindigkeit nicht mehr gultig. Einstein hat fur die Kinematik Transforma-tionsgleichungen aufgestellt und hat auch in seiner Originalarbeit [14] nachge-wiesen, daß die Gesetze der Elektrodynamik invariant gegenuber der Lorentz-Transformation sind. Es kann aber ja nicht sein, daß auf der einen Seite furKinematik und Elektrodynamik die Invarianz gegenuber der Lorentz- und furDynamik aber die Invarianz gegenuber der Galilei-Transformation gefordertwerden muß. Das widersprache eindeutig der zweiten Pramisse Einsteins:

”In allen gleichformig gegeneinander bewegten Systemen gelten durchweg die

gleichen Naturgesetze“.

Es gilt also nun, Gesetze der relativistischen Dynamik zu formulieren, diegegen die Lorentz-Transformation invariant sind. Dazu bietet sich das Grund-gesetz der klassischen Dynamik an, der Impulssatz. Er lautet in der klassischenMechanik:

p = m · v

Der Impuls p ist proportional der Geschwindigkeit mit der (Proportional-)Kon-stanten m, der Masse. Daraus leitet sich dann auch das Kraftgesetz ab, dasbesagt, daß eine Anderung des Impulses gleich der wirkenden Kraft K ist:

K =dp

dt= m · dv

dt= m · b

Dabei soll b die Beschleunigung bedeuten, die die Masse durch die Krafterfahrt. Unter der Galilei-Transformation ist die Beschleunigung invariant,unter der Lorentz-Transformation aber nicht. Wir konnen daher nicht von derobigen Definition des Impulses ausgehen, wir sind vielmehr gezwungen, eineRegel zu finden, wie man den Impuls von einem Inertialsystem in ein anderestransformiert. Wenn diese Transformationsregel gefunden ist, konnen dann dieweiteren Gesetze der Dynamik, Energiegesetz, Erhaltungssatze . . . , entspre-chend der Speziellen Relativitatstheorie formuliert werden.

Wenn wir schon nicht direkt von dem Impulssatz ausgehen konnen, so wirdaber sicher der Satz von der Erhaltung des Impulses gelten. Er besagt, daß derGesamtimpuls, den zwei Korper haben, nach einem Stoß erhalten bleibt. Erist vollkommen unabhangig davon, wie sich bei dem Stoß die Geschwindig-keiten andern. Das Gesetz beschreibt das Verhalten zweier Korper, die einen

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Stoß erfahren, unabhangig von anderen Korpern und unabhangig von spezi-ellen Koordinatensystemen. Dieser Satz von der Erhaltung des Impulses sollalso auch in der Dynamik der Speziellen Relativitatstheorie gelten.

Dazu wird allerdings der Impulssatz dahingehend verallgemeinert, daß wirdie Masse nicht mehr als Konstante betrachten (wie in der klassischen Mecha-nik), sondern annehmen, daß die Masse m von der Geschwindigkeit abhangigist. Fur den Impuls gilt also:

p = m(v) · v

Diese Masse soll aber nur vom Betrag, aber nicht von der Richtung der Ge-schwindigkeit abhangen. Wir werden in der Folge sehen, daß nur unter dieserAnnahme der Impuls invariant gegen der Lorentz-Transformation ist. Dazuwerden wir im nachsten Kapitel diese Abhangigkeit der Masse von der Ge-schwindigkeit formulieren, um dann in den folgenden Kapiteln die invariantenFormulierungen fur die Impuls und die Energie abzuleiten.

2.4.1 Die relativistische Masse

Um die postulierte Abhangigkeit der Masse von der Geschwindigkeit abzu-leiten, folgen wir dem bei Max Born (in [4]) beschriebenen Vorgehen undbetrachten den unelastischen Stoß zweier Kugeln.

”Unelastisch“ bedeutet, daß

die beiden Kugeln nach dem Stoß zusammenhaften, wie man sich das am Bei-spiel zweier Wachskugeln vorstellen kann. Beide Kugeln sollen eine identischeMasse m haben. In der linken Seite der Fig. a in Abb. 2.29 sei WachskugelB in Ruhe und wird von der mit der Geschwindigkeit v fliegenden Kugel Agetroffen. Nach dem Stoß haften beide zusammen und fliegen als vereinigtesObjekt mit der Geschwindigkeit v davon (rechte Seite der Fig. a). Der Gesam-timpuls vor dem Stoß ist, wenn wir annehmen, daß die Masse m(v) von derGeschwindigkeit abhangt:

pvor = m(v) · v +m(0) · 0 = m(v) · v

und nach dem Stoß

Abbildung 2.29: Unelastischer Stoß zweier Kugeln; Erlauterung im Text

pnach = M(v) · v

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2.4. Dynamik der Speziellen Relativitatstheorie

Dabei wollen wir nicht von vornherein voraussetzen, daß M(v) = 2 · m(v)ist, sondern lassen es bis zur endgultigen Klarung der Große noch offen. DasGesetz zur Erhaltung des Gesamtimpulses lautet demnach:

m(v) · v = M(v) · v (2.29a)

Das Inertialsystem, in dem sich dieser Vorgang abspielt und in dem Kugel Bruht, sei das System S. Wenn wir den klassischen Fall v � c betrachten, dannwird vorausgesetzt, daß die Massen nicht von der Geschwindigkeit abhangen,d.h. M = 2·m. Aus Gleichung (2.29a) ergibt sich dann fur die Geschwindigkeitv nach dem Stoß

v =v

2

Betrachten wir nun diesen Stoß von einem System S(1) aus, das sich mit derGeschwindigkeit +v in der Richtung der Bewegung der Kugel A bewegt. VonS(1) aus gesehen ruht dann die Kugel A und B scheint sich mit der Geschwin-digkeit −v(1) auf sie zu zu bewegen, wie in Fig. b der Abb. 2.29 gezeigt ist.Nach dem Stoß bewegt sich das Konglomerat von A und B mit der Geschwin-digkeit −v(1), da der Vorgang vollkommen symmetrisch ist. Betragsmaßig sinddie Geschwindigkeiten gleich; d.h. es gilt |v(1)| = v und |v(1)| = v. Mit Hilfeder Gleichung (2.21a) des Additionstheorems der Geschwindigkeiten konnenv durch v(1) ausdrucken:

v =−v(1) + v

1− v(1) vc2

Berucksichtigen wir, daß die Betrage der Geschwindigkeiten gleich sind, dannkonnen wir obige Gleichung nach v auflosen und in den Großen des SystemsS ausdrucken:

v =2v

1 + v2

c2

(2.29b)

Im Fall, daß v � c ist, ergibt sich auch hier wieder das klassische Ergebnisv = v/2.

Wenn wir das Gesetz der Erhaltung der (bewegten) Masse berucksichtigen– der Beweis dafur wird in Kap. B.3 erbracht –, konnen wir schreiben

m(v) +m(0) = M(v) (2.29c)

Setzen wir M(v) in die Gleichung (2.29a) ein, so erhalten wir

m(v) · v = [m(v) +m(0)] · v

oder schließlich

m(v) = m(0) · v

v − vDen Bruch in obiger Gleichung konnen wir mit Hilfe von (2.29b) zunachstumformen in

v

v − v=

v2v

1−v2/c2 − v=

1 + v2/c2

1− v2/c2.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Berucksichtigen wir, daß(1− v2

c2

)2

=

(1 +

v2

c2

)2

− 4v2

c2

ist, so ergibt sich wieder mit (2.29b)(1− v2

c2

1 + v2

c2

)2

= 1−4 v2

c2

(1 + v2

c2)2

= 1− v2

c2

und damit schließlichv

v − v=

1√1− v2

c2

Fur die oben angenommene Abhangigkeit der Masse von ihrer Geschwindigkeiterhalten wir die Gleichung,wenn wir fur m(0) = m0 schreiben,

m(v) =m0√1− v2

c2

(2.30)

Die Masse m0 wird als Ruhemasse bezeichnet, die Masse, die in einem Systemgemessen wird, in dem sie ruht. In der klassischen Mechanik ist m0 die Kon-stante, die in der Impulsgleichung auftaucht und fur alle Geschwindigkeitenden gleichen Wert hat. Fur die nun invariante Definition des Impulses einesObjekts, das sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, konnen wir demnachschreiben:

p = mv =m0√1− v2

c2

· v (2.31)

Der Ausdruck fur den Impuls hat die gleiche Form wie der der klassischenMechanik, mit dem Unterschied aber, daß nun die Masse m von der Geschwin-digkeit abhangt.

Die Abweichung des Wertes von m(v) von dem der Ruhemasse wird beiGeschwindigkeiten unseres Erfahrungsbereiches nicht wahrnehmbar. Erst beiGeschwindigkeiten, die nahe an die Lichtgeschwindigkeit herankommen, machtsich der Effekt der Große k = 1/

√1− v2/c2 deutlich bemerkbar (siehe dazu

die Abb. 2.11 auf Seite 48) und die Lichtgeschwindigkeit mit endlicher Kraft zuerreichen, ist schließlich unmoglich. Die Masse wachst dabei ins Unermesslicheund damit der Tragheitswiderstand: die Lichtgeschwindigkeit ist eine unuber-schreitbare Grenzgeschwindigkeit. Hier zeigt sich wieder diese Tatsache wie beidem relativistischen Additionstheorem der Geschwindigkeit. Es muß aber auchhier deutlich betont werden, daß wir zwar die Geschwindigkeitsabhangigkeitder Masse konsequent aus den Pramissen und der Kinematik der SpeziellenRelativitatstheorie abgeleitet haben, die Bestatigung dieses Ergebnissen kannaber nur durch das Experiment erfolgen; in Kap. 2.5.3 werden wir dazu uber-zeugende Beispiele bringen konnen.

Kaufmann hatte bei Experimenten mit Kathodenstrahlen, die mit elek-trischen und magnetischen Feldern abgelenkt wurden, eine Massenzunahme in

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2.4. Dynamik der Speziellen Relativitatstheorie

Abhangigkeit von der Geschwindigkeit festgestellt und 1902 publiziert. H. A.Lorentz hat, aufbauend auf diesen Ergebnissen, interessanter Weise dann ineiner Arbeit von 1904 [31] bereits eine identische Formel wie (2.30) fur die Mas-senzunahme schneller Elektronen mit Hilfe seiner Elektronentheorie abgelei-tet. Lorentz war der Uberzeugung,

”. . . daß die Massen aller Teilchen durch

eine Translation in demselben Grade beeinflußt werden wie die elektromagne-tischen Massen des Elektrons“, hatte aber mit Hilfe einer

”mathematischen

Hilfskonstruktion“ die Formel abgeleitet und dann auf alle Massen geschlos-sen, wahrend bei Einstein die Formel (2.30) fur jede Masse, unabhangig vonihrer Konsistenz, aus dem Erhaltungssatz des Impulses folgt.

2.4.2 Erhaltungssatz der Energie

Im letzten Kapitel haben wir noch eine Fragestellung aufgeschoben: die fra-ge nach der Beziehung zwischen den Massen der einzelnen Kugeln A und Bsowie die Masse des vereinten Objektes M nach dem Stoß. Das kann mit derBeziehung uber die Erhaltung der Massen (2.29c),

m(v) +m(0) = M(v)

die wir in Kap. B.3 abgeleitet haben, geschehen. Zuerst wollen wir aber dieRuhemasse M(0) = M0 des vereinigten Objektes bestimmen. Dazu nutzen wirdieses mal ein System S(2), das sich mit der Geschwindigkeit vom Betrag |v|gegenuber dem System S, das die Fig. a der Abb. 2.29 darstellt, parallel zuv und v bewegt. In diesem System ruht das vereinigte Objekt und die beidenWachskugeln nahern sich aus Symmetriegrunden mit den Geschwindigkeiten±v aufeinander zu. In dem System S(2) lautet das Gesetz der Erhaltung derMasse demnach

m(v) +m(−v) = 2m(v) = M(0)

oder

M0 =2m0√1− v2

c2

(2.32a)

Fur kleine Geschwindigkeiten, v � c, konnen wir die Wurzel in obiger Glei-chung in Reihe entwickeln und nach dem zweiten Glied abbrechen:

M0 = 2m0

(1 +

1

2

v2

c2

)= 2m0 + 2 · 1

2m0v

2 · 1

c2(2.32b)

In dem Fall des unelastischen Stoßes ist die Ruhemasse M0 nicht, wie manerwarten wurde, 2·m0, sondern sie ist großer um einen Betrag zweiter Ordnung.Die kinetische Energie der einzelnen Kugeln vor dem Stoß ist Ekin = m0

2 v2.

Beide Kugeln kommen nach dem Stoß zur Ruhe; d.h. ihre gesamte kinetischeEnergie wird in Warme Q umgewandelt:

2 · Ekin = Q

so daß wir schließlich fur die Ruhemasse M0 schreiben konnen:

M0 = 2m0 +Q

c2(2.32c)

In Worten ausgedruckt sagt diese Gleichung aus (siehe [4] S. 241):

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Ein Zuwachs an Warmeenergie Q erhoht die Masse um Q/c2.

Wir finden ein weiteres Beispiel, bei dem sich die Masse andert, wenn Energiezugefuhrt wird. Dazu greifen wir auf die Gleichung (2.30) fur die Abhangigkeitder Masse eines Korpers von seiner Geschwindigkeit und bilden auch hier dieReihenentwicklung:

m(v) =m0√1− v2

c2

= m0 +1

2m0v

2 · 1

c2= m0 +

Ekinc2

(2.32d)

Auch hier konnen wir konstatieren:

Ein Zuwachs an kinetischer Enegie Ekin erhoht die Masse umEkin/c

2.

Ein Beispiel hat Einstein selbst in seiner Arbeit”Ist die Tragheit eines

Korpers von seinem Energieinhalt abhangig?“ [13] im gleichen Jahr wie dieuber die Spezielle Relativitatstheorie gebracht. In [14] hatte er gezeigt, daßdie Gesetze der Elektrodynamik invariant sind. In der Folgearbeit [13] zeigt ernun:

Gibt ein Korper die Energie L in Form von Strahlung ab, so ver-kleinert sich seine Masse um L/c2.

In den bisherigen Beispielen wurde der Massenzuwachs oder die Massenabnah-me anhand der Zu- bzw. Abgabe von drei Arten von Energie gezeigt: Warme-,kinetische und Strahlungsenergie. Wir konnen das auf alle Arten von Energieerweitern – elektrische, chemische usw. – und sagen [4]:

Die Zufuhrung/Abgabe einer Energie e vergroßert/verkleinert dieMasse eines Korpers um e

c2.

Kommen wir nochmals auf die Gleichung (2.32c) zuruck und multiplizierenbeide Seiten mit c2:

M0 · c2 = 2m0 · c2 +Q

In dieser Gleichung, die aus dem Gesetz der Erhaltung der Massen abgeleitetwurde, stehen auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens Energieterme. Dabeikonnen wir m0 · c2 als Ruheenergie der Masse m und M0 · c2 als die der MasseM betrachten. In Verallgemeinerung dieser Tatsache konnen wir sagen:

Der Energieinhalt E eines Korpers ist gleich seiner Masse m mul-tipliziert mit c2:

E = m · c2 (2.33)

Interessanter weise taucht diese beruhmte Formel explizit noch nicht in dementsprechenden Artikel Einsteins [13] von 1905 auf; seine Aussage ist viel-mehr nur:

”die Masse eines Korpers ist ein Maß fur dessen Energieinhalt“.

Die Gleichung E = m·c2 kann auch so interpretiert werden, daß die EnergieTragheit besitzt. Gleichgultig welche Energie wir vor uns haben, ob kinetische

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2.4. Dynamik der Speziellen Relativitatstheorie

oder Warmeenergie, ob Strahlungsenergie oder Gravitationsenergie oder wasauch immer, stets hat der Energiebetrag E die Masse m = E/c2. Andert sichder Energieinhalt, andert sich auch die Masse.

Aus der Gleichung (2.32d) konnen wir noch eine wichtige und haufig ge-nutzte Beziehung fur die kinetische Energie Ekin ableiten, indem wir beideSeiten mit c2 multiplizieren:

Ekin = [m(v)−m0] c2 = m0 c2 ·

(1√

1− v2

c2

− 1

)(2.34)

Wenn wir in dieser Gleichung den Bruch mit der Wurzel in Reihe entwickelnund nach dem zweiten Glied abbrechen, erhalten wir wieder fur kleine Ge-schwindigkeiten v den Ausdruck fur die kinetische Energie der klassischenMechanik Ekin = m0

2 v2.

2.4.3 Lorentz-Transformation fur Masse und Impuls

Im letzten Kapitel haben wir unter der Voraussetzung der Impulserhaltung dasGesetz der Erhaltung der Masse ableiten konnen; Erhaltung der Masse heißtaber nach (2.33) Erhaltung der Energie. Daraus laßt sich fur die SpezielleRelativitatstheorie eine ebenso enge Beziehung zwischen Impuls und Ener-gie/Masse wie zwischen Raum und Zeit vermuten. Dieser Sachverhalt soll imfolgenden nachgewiesen werden.

In Kap. 2.1.3 haben wir mit (2.9) zeigen konnen, daß

x2 − (ct)2 = (x(1))2 − (ct(1))2 = F

invariant gegenuber der Lorentz-Transformation ist. Wir sahen, daß fur jedesWertepaar x, t die Große F zwar einen anderen Wert hat, aber dieser Wertist im Sytem S und S(1) identisch. Alle x- und t-Werte, fur die F = ±1 ist,legten die Eichkurven fest, die die Einheiten der Koordinatenachsen in S undS(1) bestimmen (siehe Abb. 2.8 auf Seite 42). In Analogie zu obiger Formelbilden wir einen Ausdruck mit dem Impuls p = m(v) · v und mit der EnergieE = m(v)·c2 und nutzen zur Vereinfachung die Beziehung fur die Abhangigkeitder Masse von der Geschwindigkeit (2.30):

p2 − E2

c2= m2(v) (v2 − c2) = m2

0

v2 − c2

1− v2

c2

= −m20 c

2 (2.35a)

oder umgeformtE2 − p2 c2 = m2

0 c4 . (2.35b)

Diese Darstellung ist nicht ganz vollstandig, denn sie bezieht sich nur auf eineBewegung ausschließlich in x-Richtung und den entsprechenden Impuls p ingleicher Richtung. Fur eine beliebige Richtung der Bewegung im (dreidimen-sionalen) Raum muß daher konsequenter Weise geschrieben werden:

p2 = p2x + p2

y + p2z .

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Der Ausdruck (2.35b) ist invariant, d.h. unabhangig von einem Koordinaten-system hat dieser Ausdruck immer den gleichen Wert, denn m2

0 c4 besteht nur

aus Konstanten. Das bedeutet, daß fur verschiedene Beobachter die Werte derEnergie E und des Impulses p unterschiedlich sein konnen, deren Kombina-tion entsprechend (2.35b) aber immer gleich ist. Aus dieser Gleichung kannman zunachst wichtige Zusammenhange ableiten: wenn E bekannt ist, laßtsich daraus p ableiten und umgekehrt:

p =

√E2

c2−m2

0c2 =

√E2 − E2

0

c(2.35c)

E = c√p2 +m2

0 c2 . (2.35d)

Die Art der Beziehung (2.35b) und deren Invarianz laßt vermuten, daß sichp und E/c2, oder was gleichbedeutend ist mit p undm, genau so transformierenwie die Koordinaten x und t, namlich mit der Lorentz-Transformation. Daslaßt sich einfach beweisen, indem wir annehmen daß sich ein System S(1)

mit gleichbleibender Geschwindigkeit v parallel zur x-Achse des Systems Sbewegt; wir wollen auch wieder annehmen daß die x(1)-Achse parallel zur x-Achse ausgerichtet ist. Eine Masse m0 bewege sich in S ebenfalls parallel derx-Achse mit der Geschwindigkeit u. Fur den Impuls und die Energie gilt dannim System S

Impuls : p = m(u) · uEnergie : E = m(u) · c2

und im System S(1):

Impuls : p(1) = m(u(1)) · u(1)

Energie : E(1) = m(u(1)) · c2

Fur den Zusammenhang zwischen u und u(1) gilt das Additionstheorem derSpeziellen Relativitatstheorie (2.21a):

u =u(1) + v

1 + u(1)vc2

Fur den Impuls p, genauer entsprechend unserer Annahmen px, konnen wirdaher schreiben:

p = m(u) · u = m0u√

1− u2

c2

= m0u(1) + v√(

1 + u(1)vc2

)2

− (u(1)+v)2

c2

und nach einfachen Umformungen ergibt sich schließlich

= m0u(1) + v√

1− v2

c2

√1− (u(1))2

c2

=p(1) + v E

(1)

c2√1− v2

c2

90

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2.4. Dynamik der Speziellen Relativitatstheorie

Analog erhalten wir fur die Masse, resp. E/c2:

E

c2= m(u) = m0

1 + vc2u(1)√

1− v2

c2

√1− (u(1))2

c2

=E(1)

c2+ v

c2p(1)√

1− v2

c2

Wenn wir also auf die Komponenten des Impulses und auf die Energie einge-hen, erhalten wir als Transformationsgleichungen fur unser Beispiel – S(1) be-wegt sich mit der Geschwindigkeit v parallel zur x-Achse von S, die x(1)-Achseist parallel zur x-Achse und die Masse m0 bewegt sich mit der Geschwindigkeitu parallel zur x-Achse:

px =p

(1)x + v E

(1)

c2√1− v2

c2

; py = p(1)y ; p(1)

z ;E

c2=

E(1)

c2+ v

c2p

(1)x√

1− v2

c2

(2.36a)

Fur die Umkehrtransformation ergibt sich:

p(1)x =

px − v Ec2√

1− v2

c2

; p(1)y = py; p(1)

z = pz;E(1)

c2=

Ec2− v

c2px√

1− v2

c2

(2.36b)

Damit ist gezeigt, daß sich Impuls und Energie, resp. Masse, nach genau dengleichen Regeln transformieren wie Raum und Zeit, eben nach der Lorentz-Transformation, was der Vergleich mit den Gleichungen (2.6a) und (2.6b) zeigt.

Mit den zuletzt abgeleiteten Transformationsregeln laßt sich nun auchleicht zeigen, daß (2.35b) auch unter der Lorentz-Transformation invariantist:

(E(0))2 − (p(0))2 c2 = (E(1))2 − (p(1))2 c2 . (2.36c)

In dem Kapitel 2.1.2, in dem die Lorentz-Transformation abgeleitet wurde,tauchte ein zu (2.35b) ganz analoger invarianter Ausdruck auf, der die Aus-breitung des Lichtes im Raum-Zeit-Diagramm beschreibt

(∆x)2 + (∆y)2 + (∆z)2 − c2 · (∆t)2 = 0 ;

genau wie im letzten Fall Zeit und Raum in einem Raum-Zeit-Diagrammmit entsprechender pseudo-Euklidischer Geometrie zusammengefaßt werdenkann, so auch der Impuls und die Energie in einem analogen Impuls-Energie-Diagramm. Zusammen mit der Gleichung (2.35b) spielt das Impuls-Energie-Diagramm in der Teilchenphysik eine entscheidende Rolle.

Das Impuls-Energie-Diagramm ist beispielhaft in Abb. 2.30 (ubernommenaus [3]) dargestellt und laßt sich folgendermaßen interpretieren: der Zusam-menhang zwischen Impuls und Energie eines Teilchens mit der Ruhemasse m0

wird in dem Diagramm durch einen Impuls-Energie-Vektor reprasentiert. Istz.B. das Teilchen in Ruhe relativ zu dem Beobachter, dann zeigt der Impuls-Energie-Vektor senkrecht nach

”oben“, also parallel zur E-Achse. Seine Lange

entspricht seiner Ruheenergie m0 c2, in der Abb. 2.30 der Entfernung 0A. Der

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Punkt A ist gleichzeitig der Schnittpunkt der Eichhyperbel mit der E-Achse.

Bewegt sich das Teilchen relativ zu dem Beobachter, dann ist sein Impuls-Energie-Vektor um einen bestimmten Winkel gegen die E-Achse geneigt undsein Endpunkt liegt immer auf der Eichhyperbel, entsprechend 0B in der Abb.2.30. Der Grund dafur ist, daß die Energie E und der Impuls p uber die Glei-

Abbildung 2.30: Energie-Impuls-Diagramm (nach [3]); Erlauterung im Text

chung (2.35b) miteinander zusammenhangen und diese Gleichung wiederumdie Eichhyperbel definiert. Ist also z.B. fur ein Teilchen die Energie EB be-kannt, kann man aus dem Impuls-Energie-Diagramm den zugehorigen Impulsablesen und umgekehrt, wie in Abb. 2.30 gezeigt. Im Kapitel 3.2.4 weiter untenwerden wir zeigen, daß die Große

√E2 − p2 c2 dem Betrag der

”Lange“ des

Impuls-Energie-Vektors entspricht (nicht ganz glucklich wird diese Große auchals Impulsenergie bezeichnet); wie wir gesehen haben ist der Betrag invariantund entspricht der Ruheenergie m0c

2 des beteiligten Teilchens.

Photonen mit der Frequenz ν haben einen Impuls der Große

p =h ν

c=E

c

mit h als Plancksches Wirkungsquantum. Setzen wir diesen Ausdruck furden Impuls eines Photons in (2.35b) ein, so ergibt sich

E2 − p2 c2 = 0 ;

die Impulsenergie der Photonen ist also generell Null, was naturlich auch ausder Ruhemasse Null der Photonen hervorgeht. In unserem Impuls-Energie-Diagramm entspricht diese Tatsache den gestrichelt dargestellten Winkelhal-bierenden der Abb. 2.30.

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2.5. Ausgewahlte Experimente zur Speziellen Relativitatstheorie

2.5 Ausgewahlte Experimente zur Speziellen Rela-tivitatstheorie

Wie schon haufig betont, litt die Spezielle Relativitatstheorie lange Zeit dar-an, daß sie nicht experimentell uberprufbar, oder besser, falsifizierbar war. Ihrwurde vorgeworfen, sie beruhe nur auf unbewiesenen Hypothesen und aus ih-nen wurden auch nur mit Hilfe von Gedankenexperimenten Schlusse gezogen.Mit seiner Theorie ruttelte Einstein an den Grundfesten des damaligen Welt-bildes: an Newtons absoluten Raum und absoluter Zeit, die beide ImanuelKant zu apriori Denkkategorien erklart hatte, die nicht durch Schlußfolge-rungen bewiesen und auch nicht durch Beobachtung belegt werden konnen.

Newton hatte zwar behauptet, er mache keine Hypothesen –”hypotheses

non fingo“ – aber was sind der absolute Raum und die absolute Zeit (aus heuti-ger Sicht) anderes. Selbst die apriori Kategorien Kants erweisen sich heute ausder Sicht der Evolutionaren Erkenntnistheorie als aposteriori, durch die Evolu-tion erworbene, Kategorien. Uber Jahrhunderte hatte sich Newtons Theoriein allen Bereichen bestatigt. Kein Experiment hatte bisher die Theorie fal-zifizieren konnen, selbst die Maxwellsche Theorie des Elektromagnetismusmit dem Ather paßte in das Weltbild. Kein Wunder, daß in dieser Situationdie Spezielle Relativitatstheorie auf große Skepsis bei der Mehrheit der da-maligen Physiker stieß. Hinzu kam die Tatsache, daß die Elektronentheorievon Lorentz mit den identischen Formeln – Lorentz-Transformation – wieEinsteins Theorie operierte und damit, zwar als mathematische Hilfskon-struktion, Experimente klassisch erklaren konnte, wie z.B. die Massezunahmeschnell fliegender Elektronen (siehe Kap. 2.4).

Erst die Allgemeine Relativitatstheorie erlaubte mit der Vorhersage derGroße der Ablenkung des Sternenlichtes am Sonnenrand eine Falsifizierbar-keit der Newtonschen Theorie: mit ihr berechnet sich die Lichtablenkungals nur halb so groß wie mit Einsteins Theorie. Der erfolgreiche Nachweis1919 anlaßlich der Sonnenfinsternis durch Eddington brachte schließlich denDurchbruch fur die Relativitatstheorie, vor allem auch, sehr zum Leidwesenvieler Physiker, in der allgemeinen Offentlichkeit.

Fur die Spezielle Relativitatstheorie aber sollte es noch bis zum Jahr 1938dauern, bis eine Vorhersage der Theorie durch ein Experiment nachgewiesenwerden konnte. In diesem Jahr fuhrten die beiden Amerikaner H.E. Ives undG.R. Stilwell ihr beruhmtes Experiment – Ives-Stilwell-Experiment [23] –durch. Damit wurde zum ersten Mal ein Phanomen der Speziellen Relati-vitatstheorie experimentell bestatigt; aus Sicht der beiden Experimentatorenallerdings eher

”aus Versehen“. Wie der Titel der Arbeit An experimental study

of the rate of a moving atomic clock zeigt, wollten sie die Zeitdilatation nach-weisen, allerdings auf Basis der Lorentzschen Athertheorie, denn Ives warein entschiedener Gegner der Speziellen Relativitatstheorie. Bei ihrem Ver-such wurden Wasserstoffionen auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt. Siestrahlten dabei Licht in alle Richtungen aus. Gemessen wurde die Frequenz-

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

verschiebung des Lichtes in und entgegen der Richtung der Geschwindigkeit,um den klassischen Doppler-Effekt und den dabei auftretenden Effekt zweiterOrdnung nachzuweisen (als Bestatigung der Athertheorie, siehe in Kap. 1.5.2die entsprechenden Formeln (1.7) und (1.8) auf Seite 19). Die Meßergebnissebestatigten in keinster Weise die Vorhersagen der Athertheorie, statt dessenaber diejenigen der Speziellen Relativitatstheorie auf glanzende Weise.

Bis heute wurden weitere zahlreiche Versuche erdacht, um die Theorie ex-perimentell zu verifizieren oder im negativen Fall auch zu falzifizieren. Im Fol-genden soll eine Auswahl solcher Versuche vorgestellt werden. Dabei betrach-ten wir zunachst solche, die die Grundpramisse der Speziellen Relativitatstheo-rie, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, uberprufen. Anschließend werdeneinige Versuche beschrieben, die Effekte der Speziellen Relativitatstheorie nunauch tatsachlich experimentell bestatigten, die vorher nur in Form von Ge-dankenexperiment

”durchgefuhrt“ werden konnten.

2.5.1 Konstanz der Lichtgeschwindigkeit

Die Spezielle Relativitatstheorie steht und fallt mit der Pramisse, wie sieEinstein formuliert hat:

”Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist fur al-

le gleichformig gegeneinander bewegten Systeme gleich groß“(siehe Kap. 2).Sollte sich das nicht bewahrheiten, ware die Theorie hinfallig, sie ware falsifi-ziert. Den ersten Nachweis, schon vor Einstein’s Arbeit, daß die Pramisse imRahmen der Meßgenauigkeit richtig ist, konnte durch das Michelson-Morley-Experiment 1887 erbracht werden. Uberzeugt war man aber immer noch nichtendgultig, daß damit die Athertheorie obsolet ist. Selbst Michelson glaubtebis zu seinem Tode an sie und war der Uberzeugung, daß sein Experimentnicht genau genug gewesen sei. 1926 wurde von Dayton C. Miller (1866-1941) eine Arbeit veroffentlicht, die auf die Existenz des Athers hindeutete.Selbst Einstein raumte damals offentlich ein,

”. . . wenn die Miller’schen Ver-

suche sich bestatigen sollten, so ware die Relativitatstheorie nicht aufrecht zuhalten“. Daraufhin beschloß der Physiker G. Joos das Experiment mit hoher-er Prazision zu wiederholen [42]. Nach funfjahriger Vorarbeit wurde es 1930bei der Firma Carl Zeiss in Jena durchgefuhrt. Die Ergebnisse wurden zusam-mengefaßt in der Aussage

”der Betrag des Atherwindes mußte kleiner als 1,5

km/sec sein“. Im Jahr 1954 zeigten Uberprufungen der Miller’schen Meß-daten, daß seine fehlerhaften Resultate auf Temperaturschwankungen zuruck-zufuhren waren [42]. Den letzten auf diese Art durchgefuhrte Versuch machteJ. P. Cedarholm 1958 mit Maserstrahlen [5]. Er zeigte, daß der Atherwind,sollte es ihn uberhaupt geben, weniger als ein Tausendstel der Erdgeschwin-digkeit betrug.

Ein anders geartetes Experiment zur Bestatigung der Konstanz der Licht-geschwindigkeit wurde an dem Protonensynchrotron in CERN von Alvageret al. 1966 durchgefuhrt [1]. Dabei werden die Protonen auf ein Ziel gelenkt,wo sie π0-Mesonen, instabile Teilchen, erzeugen, die nach 8, 3 ·10−17 sec wiederin zwei Photonen (γ-Quanten) zerfallen. Das π0-Meson bewegt sich tangentialzur kreisformigen Bewegung der beschleunigten Protonen mit einer Geschwin-

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2.5. Ausgewahlte Experimente zur Speziellen Relativitatstheorie

digkeit von v = 0, 99975 c, es stellt also eine sehr schnell bewegte Lichtquellegegenuber dem ruhenden Laborsystem dar. Ein Photon wird entgegen,dasandere in Bewegungrichtung des zerfallenden π0-Mesons ausgesandt. Die Ge-schwindigkeit des letzteren wird gemessen. Setzen wir fur die Geschwindigkeitc′ dieses Photons die Gleichung

c′ = c+ k · v

an mit dem”Mitnahmefaktor“ k, der den Einfluß der Geschwindigkeit der

Quelle angibt. Nach relativistischer Interpretation muß k = 0 sein, nach denVorstellungen der klassische Physik (Galilei-Transformation) mußte k = 1gelten. Das Experiment ergab |k| ≤ 1, 3 · 10−4, einen Wert, der die Speziel-le Relativitatstheorie bestens bestatigt, aber im Widerspruch zur klassischenPhysik steht.

Ein weiteres, noch genaueres Experiment wurde 1963 von Champeney etal. publiziert [6]. Entsprechend der Abb. 2.31 werden auf eine rotierende Schei-be Proben einer bestimmten Sorte von Atomen aufgebracht, die Strahlung ineinem extrem engen Energiebereich emittieren bzw. absorbieren – Moßbauer-Effekt (Beschreibung dazu siehe [4] S. 310). Die Probe E emittiert, A absor-

Abbildung 2.31: Zum Experiment von Champeney et al. [6]; Erlauterung im Text.

biert. Der Sender E hat in dieser Anordnung eine geringere Geschwindigkeit alsder Empfanger A. Der Geschwindigkeitsunterschied hat einen Doppler-Effektzur Folge, wodurch die Resonanz zwischen Emission und Absorption gestortist. Der Moßbauer-Effekt erlaubt noch geringste Frequenzunterschiede durcheine Storung der Resonanz zu registrieren. Sind Sender und Empfanger gleichweit vom Zentrum der Scheibe entfernt, so darf nach der Speziellen Relati-vitatstheorie aber keine Anderung der Resonanz erfolgen. Nach der klassischen

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Mechanik mit Einbeziehung des Athers mußte sich dennoch eine Frequenzver-schiebung entsprechend

∆ν

ν= vLab ·

uA − uEc2

ergeben; dabei ist vLab die Geschwindigkeit des Labors relativ zu dem ruhen-den Ather, uA und ue sind die Geschwindigkeiten des Absorbers resp. Emittersrelativ zum Labor, ∆ν/ν ist die relative Frequenzanderung der vom Absorberempfangenen Strahlung und c ist die Lichtgeschwindigkeit. Fur die Geschwin-digkeit vLab – die Geschwindigkeit relativ zum ruhenden Ather – ergab sich ausden Experimenten ein Wert von ≤ 4 m/sec (genauer: 1, 6± 2, 8 aus [6]). Nachder klassischen Kinematik und der Athertheorie mußte sich aber ein Wert von30.000 m/sec – die Geschwindigkeit der Erde um die Sonne – ergeben. Das Ex-periment ist demnach eine Alternative zu dem Michelson-Morley-Experimentund eine weitere Bestatigung der Speziellen Relativitatstheorie.

Aus diesen beschriebenen Experimenten – und anderen, die Geschwindig-keit der Erde relativ zum Ather resp. absoluten Raum zu messen, – muß manden Schluß ziehen, daß es keinen Ather gibt. Gleichbedeutend damit ist dieTatsache, daß ein durch Messungen und physikalische Gesetze nachweisbaresausgezeichnetes Inertialsystem nicht existiert.

2.5.2 Experimente zur Zeitdilatation und Lorentz-Kontraktion

Wie schon verschiedentlich erwahnt konnte erst im Jahr 1940 die Zeitdilata-tion durch ein Experiment bestatigt werden. Bruno Rossi und David B.Hall pruften dabei die Zerfallszeit von Myonen – damals noch

”Mesotro-

nen“ genannt, die in großer Hohe durch die kosmische Strahlung erzeugt wer-den [38]. Das Myon ist ein Elementarteilchen, das dem Elektron ahnelt, aberetwa eine 200mal großere Masse besitzt, und eine mittlere Lebensdauer vonτ = 2, 2 · 10−6 sec hat. Die extrem energiereiche kosmische Strahlung erzeugtan der oberen Atmosphare beim Aufprall auf die Luftmolekule einen Myonen-schauer sehr hoher Geschwindigkeit. Nehmen wir an, die Geschwindigkeit wareannahernd Lichtgeschwindigkeit, so konnten die Myonen wahrend ihrer Le-bensdauer gerade mal einen Weg der Lange l = c·τ = 3·108 ·2, 2·10−6 ≈ 600 mzurucklegen. Myonen sehr hoher Energie werden aber in Meereshohe registriert(was ja Rossi und Hall ausnutzten). Wie aber konnen diese den Weg vonder oberen Atmosphare in einer Hohe von h = 10 km wahrend ihrer Lebens-zeit bis zum Erdboden zurucklegen? Die Erklarung liefert die Zeitdilatationder Speziellen Relativitatstheorie; die Zeit, die auf der Erde vergeht ist nachGleichung (2.18)

TB =τ√

1− v2

c2

Damit die Myonen den Erdboden erreichen, muß ihre auf der Erde gemes-senen Lebensdauer mindestens TB = h/v betragen. Die Bedingung fur die

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2.5. Ausgewahlte Experimente zur Speziellen Relativitatstheorie

Minimalgeschwindigkeit ist also

τ√1− v2

c2

=h

v

oder umgeformt zu

v/c√1− v2

c2

=h

τ · c=

104

2, 2 · 10−6 · 3 · 108≈ 15

Daraus laßt sich die Minimalgeschwindigkeit des Myons berechnen zu:

v = 0, 998 · c

Man kann diesen Effekt, den die Myonen erleiden, auch anders ausdrucken: mitder Lorentz-Kontraktion. Aus der Sicht des Systems, in dem das Myon ruht,ist die Entfernung vom Ort der Entstehung bis zum Erdboden nicht 10 km,sondern durch die durch die hohe Geschwindigkeit bedingte Kontraktion ent-sprechend verkurzt.

Ein weiteres Beispiel zur Bestatigung der Speziellen Relativitatstheorie er-gibt sich aus der Messung der Zerfallskurven von Myonen. Sie verhalten sichahnlich wie radioaktive Elemente; der Zerfall gehorcht einem exponentiellenGesetz, nach dem nach der Halbwertszeit4 T = 1, 52µsec nur noch die Halfteder ursprunglichen Anzahl vorhanden ist. Bei CERN hat man nun Myonen miteiner großen definierten Geschwindigkeit erzeugt und fur diese die Zerfallskur-ve bestimmt. Es ergab sich daraus bei einer Geschwindigkeit der Myonen vonv = 0, 99942 c eine Halbwertszeit von T = 44, 6µsec. Wegen der Zeitdilata-tion zerfallen schnell bewegte Myonen langsamer als ruhende; der gemesseneBetrag war in voller Ubereinstimmung mit der Formel der Speziellen Relati-vitatstheorie (zu weiteren Details siehe z.B. [41] S. 43). Es braucht nicht weitererwahnt werden, daß der Bau und Betrieb der Beschleuniger, in denen Teilchenauf nahezu Lichtgeschwindigkeit gebracht werden, ohne Berucksichtigung derEffekte der Speziellen Relativitatstheorie uberhaupt nicht denkbar ware.

Albert Einstein hatte bereits in seiner Originalarbeit [14] beschrieben,daß, wenn von zwei synchronen Uhren sich die eine auf einer geschlossenenKurve (Kreis) mit konstanter Geschwindigkeit bewegt und zum Ausgangs-punkt zuruckkehrt, sie gegenuber der ruhenden Uhr nachgehen wird. Im Jahr1971 wurde tatsachlich dieses Experiment durchgefuhrt. Man hatte zu die-sem Zeitpunkt Atomuhren entwickelt, die die Genauigkeit besaßen, um diesenVersuch zu realisieren. Im Oktober 1971 flogen J.C. Hafele und R. E. Kea-ting [20] mit vier Atomuhren auf regularen Verkehrsflugzeugen zwei mal umdie Welt, einmal in Richtung Westen und einmal Richtung Osten, um Ein-steins Spezielle Relativitatstheorie mit makroskopischen(!) Uhren zu testen –

4Die Halbwertszeit T und die mittlere Lebensdauer τ hangen aufgrund des Exponential-gesetzes uber die Beziehung T = 0, 693 · τ zusammen.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

das Hafele-Keating-Experiment. Die Reise dauerte jeweils drei Tage.

Bei diesem Experiment beeinflußte nicht nur die Zeitdilatation der Spezi-ellen Relativitatstheorie die Zeitmessung, sondern auch der veranderte Gangder Uhren durch die Gravitation entsprechend der Allgemeinen Relativitats-theorie. Wenn TE die auf dem Erdboden gemessene Zeit ist, dann ergibt sichaus der Theorie fur die Zeit Th in der Hohe uber der Erde

Th − TE =g · hc2

TE > 0

wobei h die Flughohe und g die Gravitationskonstante ist, d.h. mit wachsenderHohe uber dem Erdboden vergeht die Zeit schneller, ein Effekt, der der Zeit-dilatation entgegenwirkt. Uber die Ost-Route war die Flugzeit 41,2 Stundenin einer mittleren Flughohe von 8.900 m. Daraus ließ sich fur den Gravitati-onseffekt eine Zeitdifferenz von 144 nsec ausrechnen. Fur die West-Route ineiner mittleren Hohe von 9.400 m und einer Flugzeit von 48,6 Stunden ergabsich eine Differenz von 179 nsec.

Bei der Berechnung der Zeitdilatation muß berucksichtigt werden, daß beieiner Messung des Zeitunterschiedes zwischen einer Uhr auf der Erde und derim Flugzeug, sich beide Uhren nicht in einem Inertialsystem befinden. Nimmtman den Erdmittelpunkt naherungsweise als Inertialsystem, dann konnen wirdie Zeitdifferenz zwischen den Uhren auf der Erdoberflache und dem Flugzeugbestimmen. Bezeichnen wir mit T0 die Eigenzeit der

”Referenzuhr“ im Erd-

mittelpunkt, dann ergibt sich fur die Zeit TE auf der Erdoberflache aus derGleichung (2.18) in der Naherung fur kleine Geschwindigkeiten

TE =T0√

1− v2

c2

≈ T0

(1 +

v2

2c2

)= T0

(1 +

R2ω2

2c2

)mit R als Erdradius und ω als Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation. Fur dieZeit TF in dem Flugzeug erhalten wir dann ebenfalls in der Naherung:

TF = T0

[1 +

(Rω + v)2

2c2

]Diese Naherung ist zulassig, da die Flughohe im Vergleich zum Erdradius sehrklein ist. Der Zeitunterschied der Uhren auf der Erde und im Flugzeug inBeziehung zu der

”Referenzuhr“ ist damit

TF − TE = T0

[2Rωv + v2

2c2

]Das ist aber noch nicht unser Endergebnis, denn wir haben es auf die

”Re-

ferenzuhr“ bezogen und nicht auf die Uhr auf der Erdoberflache. Der ebenberechnete Zeitunterschied bleibt erhalten, aber beim Vergleich der Uhr imFlugzeug mit der auf der Erde werden wir feststellen, daß erstere zuruckfallt,so daß wir fur die Zeitdifferenz schreiben konnen

TF − TE = −TE[

2Rωv + v2

2c2

]98

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2.5. Ausgewahlte Experimente zur Speziellen Relativitatstheorie

In dieser Gleichung wurde die Eigenzeit der”Referenzuhr“ im Erdmittelpunkt

T0 durch die Zeit an der Erdoberflache TE ersetzt; das konnen wir unbesorgttun, da der Unterschied zwischen beiden Zeiten um Großenordnungen kleinerist, als die Zeit TE selbst. Damit haben wir in obiger Gleichung nur meßbareGroßen mit denen die Zeitdifferenz der Uhren auf der Erde und im Flugzeugbestimmt werden konnen.

Mit diesen Formeln – fur den Gravitationseffekt und fur die Zeitdilata-tion – bestimmten Hafele und Keating die zu erwarteten Zeitdifferenzenund berechneten daraus dann den Nettoeffekt fur die reine Zeitdilatation derSpeziellen Relativitatstheorie. Aus den beiden Flugen erhielten sie folgendeErgebnisse

errechnet −40± 23 nsec

gemessen −59± 10 nsec

}Ost-Route

underrechnet 275± 21 nsec

gemessen 273± 21 nsec

}West-Route

Eine eindeutige und empirische Bestatigung der Zeitdilatation der SpeziellenRelativitatstheorie und eine Bestatigung des Uhren- oder Zwillingsparadoxonsmit makroskopischen Uhren.

Ein weiteres Experiment zur Zeitdilatation wurde 1976 von einer For-schungsgruppe der Universitat Maryland durchgefuhrt – das Maryland-Experi-ment (siehe z.B. [41] S. 37). Bei Flugen in 10.000 m Hohe und bei relativ ge-ringer Geschwindigkeiten wurden bei insgesamt funf Flugen von je 15 StundenDauer die Zeiten von Atomuhren sowohl im Flugzeug als auch auf dem Bodengemessen. Ziel war, sowohl den Einfluß der Gravitation als auch den der Ge-schwindigkeit auf die Zeitdilatation zu messen. Bei diesem Experiment gelanges, mit den Atomuhren sowohl den relativistischen Effekt der Gravitation alsauch den der Geschwindigkeit mit einer Genauigkeit von 1,6 % zu bestatigen.

Die relativistische Zeitdilatation der Uhren der Satelliten von GPS – GlobalPositioning System – beruht vor allen auf der Gravitation. Das Gravitations-potential laßt die Uhren in den Satellitenbahnen (Hohe 20.183 km) vorgehen,der Effekt der Geschwindigkeit dagegen nachgehen. In 3.000 km Hohe hebensich beide Effekte gerade auf. In den Bahnen der GPS-Satelliten ist der Gra-vitationseffekt sechs mal großer als der der Geschwindigkeit. Die Satellitenuh-ren gehen also vor; der Gangunterschied betragt zwar nur 4, 4 · 10−10 sec, istaber deutlich großer als die relative Ganggenauigkeit der benutzten Rubidium-Uhren; sie ist besser als 10−14.

Irrtumlich wird oft behauptet, daß sich die Gangunterschiede zwischen denUhren im GPS-Satelliten und im Empfanger auf mehrere Kilometer pro Tagsummieren wurden, wenn nicht entsprechend korrigiert wurde. Solch ein Fehlerwurde aber nur auftreten, wenn die Position des Empfangers uber die Entfer-nungsbestimmung zu 3 Satelliten mit einer Rubidium-Uhr erfolgte. Bei dieser

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Messung wurde sich tatsachlich der Fehler in der Abstandsbestimmung auf 12km pro Tag anhaufen. Ein normaler GPS-Empfanger ist aber nicht mit solcheiner Uhr ausgestattet; statt dessen werden die Zeitsignale von 4 Satellitenausgewertet. Alle Satelliten sind den gleichen relativistischen Effekten ausge-setzt, so daß in diesem Fall der Fehler nicht eintritt.

Damit die Satelliten des Global Positioning Systems neben der Ortsbe-stimmung auch als Zeitstandard verwendet werden konnen, muß der Gangun-terschied der Uhren kompensiert werden. Dazu wird die Schwingungsfrequenzder Satellitenuhren so verstimmt, daß sie trotz relativistischer Effekte synchronmit den Uhren auf der Erde bleiben. Die erforderliche Frequenzanderung ergibtsich dann aus den Formeln der Allgemeinen und Speziellen Relativitatstheorie.

Zu dem Uhren-Postulat fuhrten Bailey und Kollegen 1977 ein Experimentmit Myonen durch (siehe [2]), indem sie sie in einem Speicherring mit einerkonstanten Geschwindigkeit von v ≈ 0, 9994 · c umlaufen ließen. Dabei wurdedie mittlere Lebensdauer der umlaufenden Myonen bestimmt, die dabei einerBeschleunigung von ungefahr 1018 g ausgesetzt waren. Der Vergleich der Le-bensdauer der umlaufenden (und damit einer Beschleunigung ausgesetzten)Myonen mit denen, die mit gleicher Energie inertial bewegt wurden, bestatig-te das Uhren-Postulat – zumindest bis zu der Großenordnung der genanntenBeschleunigung.

Eine ausfuhrliche Ubersicht uber Experimente zur Speziellen Relativitats-theorie (bis zum Jahr 2007) mit den entsprechenden Literaturhinweisen findetsich im Internet unter

”What is the experimental basis of Special Relativity?“.

2.5.3 Masse und Energie

Genau wie fur die Kinematik der Speziellen Relativitatstheorie lassen sich furihre Dynamik zahlreiche Experimente anfuhren, die die Theorie bestatigen.Aus der Vielzahl sollen hier nur ein paar angefuhrt werden, die die Abhangig-keit der Masse von der Geschwindigkeit und das Energie-Aquivalent der Massebelegen; fur weitere umfangreichere Sammlungen von Beispielen sei auf [4] oder[41] verwiesen.

Die Massenzunahme in Abhangigkeit von der Geschwindigkeit hatte, wiein Kap. 2.4.1 schon beschrieben, Kaufmann am Beispiel der schnellen Elektro-nen eines Kathodenstrahls bereits 1902 publiziert, woraufhin H.A. Lorentzdie

”richtige“ Formel dafur angab. Aus seiner Elektronentheorie konnte er die

Massenzunahme mit einer mathematischen Hilfskonstruktion ableiten, um dieMessungen Kaufmann’s zu erklaren [31]. Wie schon beschrieben, gelang esdann Einstein den Zusammenhang zwischen Masse und Geschwindigkeit

m(v) =m0√1− v2

c2

schlussig aus dem Gesamtzusammenhang der Speziellen Relativitatstheorieabzuleiten. Wenn wir uns dazu nochmals den Verlauf der Abhangigkeit des

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2.5. Ausgewahlte Experimente zur Speziellen Relativitatstheorie

k-Faktors k = 1√1−v2/c2

von der Geschwindigkeit in der Abb. 2.11 auf Sei-

te 48 vergegenwartigen, dann wird verstandlich, daß ein meßbarer Effekt nurbei sehr hohen Geschwindigkeiten, nahe der Lichtgeschwindigkeit, eintritt unddaß daher die Massenzunahme erst mit Einfuhrung der Teilchenbeschleunigereindeutig nachweisbar, aber auch zu berucksichtigen war.

Von dem Synchrotron am Caltech, einem Teilchenbeschleuniger, der Elek-tronen auf Kreisbahnen auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt, berichtetR. P. Feynman [16], daß zur Ablenkung (Erzwingung der Kreisbahn) die-ser Elektronen ein 2000mal starkeres Magnetfeld erforderlich ist, als nach denNewton’schen bzw. Maxwell’schen Gesetzen zu erwarten ware. Das heißt aber,daß ihre Masse bei der erreichten Geschwindigkeit 2000mal großer ist als ihreRuhemasse und somit etwa der Masse eines Protons entspricht. Aus dieserMassenzunahme laßt sich auf die erreichte Geschwindigkeit der Elektronenschließen: sie unterscheidet sich nur um ein Achtmillionstel von der Lichtge-schwindigkeit. Unabhangig davon, ob die Teilchen linear – in Linearbeschleu-niger – oder auf gigantischen Kreisbahnen beschleunigt werden sollen, immermuß dabei die relativistische Massenzunahme berucksichtigt werden und sobestatigt taglich die Funktionsfahigkeit und der Betrieb dieser Anlagen dieRichtigkeit der Speziellen Relativitatstheorie.

Das Energie-Aquivalent der Masse ist ebenfalls eine in unserer Wahrneh-mungserfahrung nicht erfahrbare Tatsache; so ist z.B. die Massenzunahme,die ein Korper erfahrt, dem 360.000 J zugefuhrt werden5, eine Massenzunah-me um 4 · 10−12 kg, eine Zunahme, die praktisch nicht meßbar ist. Erst imBereich atomarer Dimensionen macht sich dieser Effekt deutlicher bemerkbar,und es war Einstein, der schon 1905 in seiner Veroffentlichung uber diesesThema [13] auf eine Nachweismoglichkeit hingewiesen hat:

Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei Korpern, deren Energieinhaltin hohem Maße veranderlich ist (z.B. bei den Radiumsalzen) einePrufung der Theorie gelingen wird. Wenn die Theorie den Tatsa-chen entspricht, so ubertragt die Strahlung Tragheit zwischen denemittierenden und absorbierenden Korpern.

Tatsachlich werden bei Kernumwandlungen Energien freigesetzt, die im Verhalt-nis zu den Kernmasse groß sind. Aus der Vielfalt der Phanomene, die hierdie Energie-Aquvalenz der Masse bestatigen, sollen im Folgenden zwei naherbeschrieben werden: die Kernfusion oder Kernverschmelzung und die Kern-spaltung.

Um eine Kernfusion, die Kernverschmelzung zweier Atomkerne, zu be-werkstelligen, mussen sie mit hoher Energie gegen ihre abstoßende Coulomb-Kraft zusammengebracht werden. Im Sterninnern laufen solche Prozesse ab,denn bei den dort herrschenden Temperaturen von 10 bis 14 Millionen Kel-vin haben Protonen genugend Energie, daß eine Kernfusion stattfinden kann.

5Das ist die Warmemenge, die man benotigt, um ein Liter Wasser von Zimmertemperaturauf 100◦ zu erwarmen

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Einer der wichtigsten Prozesse, aber nicht der einzige, die dort ablaufen, istdas sog. Wasserstoffbrennen, den wir unter dem Gesichtspunkt der Energie-Aquvalenz der Masse betrachten wollen.

Der Hauptprozess des Wasserstoffbrennens, die sog. pp-Kette (Proton-Proton-Reaktion), lauft in drei Reaktionen ab (siehe z.B. [27] S. 338):

1H + 1H −→ 2D + e+ + ν +0, 42 MeV2D + 1H −→ 3He + γ +5, 49 MeV

3He + 3He −→ 4He + 2 1H +12, 86 MeV

Bei jedem Schritt der pp-Kette wird Energie gewonnen, wie in den oben ange-gebenen Reaktionen dargestellt ist. Das wird klar, wenn man sich die Massenauf beiden Seiten der Reaktionsgleichungen anschaut. Betrachten wir als Bei-spiel die Massen der ersten Reaktion. Die Massen der Protonen, des Deuteronsund des Positrons erhalt man man z.B. aus CODATA [7]. Wenn es um Ener-giebetrachtungen geht, ist es sinnvoll gleich fur die Massen anstatt kg dasEnergieaquivalent m · c2 in Einheiten MeV zu nutzen (hier werden die Wertein der aktuell hochsten Genauigkeit angegeben):

Proton : mp · c2 = 938, 272029 MeV

Deuteron : md · c2 = 1875, 61282 MeV

Positron : me · c2 = 0.510998918 MeV

Addiert man also die Energieaquivalente auf der rechten Seite der Reaktions-gleichung und subtrahiert das von dem Energieaquivalent der linken, so ergibtsich ein Energieuberschuß in den angegebenen Großenordnungen.

Bei der pp-Kette werden im Endeffekt vier Protonen zu einem Alpha-Teilchen verschmolzen:

4 1H −→ 4He + 2 e+ + 2 ν

Um nun den Energieuberschuß zu berechnen, der der Sonne oder den Sternenaus dieser Reaktion zur Verfugung steht, muß man berucksichtigen,daß

1. die ersten beiden Reaktionen der pp-Kette doppelt gezahlt werden mussen,da zwei 3He-Atome benotigt werden, um ein 4He-Atom zu bilden,

2. das Positron e+ mit einem Elektron der Umgebung reagiert und in zweiGamma-Quanten der Energie 1,022 MeV annihiliert wird und

3. die Energie von 0,26 MeV, die das Neutrino in Form kinetischer Energiebesitzt, verschwindet ungehindert aus dem Stern.

Als Energie, die dem Stern aus einer pp-Kette verbleibt, ergibt sich also zu:

2·(0, 42 MeV+1, 022 MeV+5, 49 MeV−0, 26 MeV)+12, 86 MeV = 26, 204 MeV

Die entspricht ≈ 4, 2 ·10−12 J. Auf den ersten Blich scheint das kein besondersgroßer Betrag zu sein, wenn man aber berucksichtigt, daß die Sternmaterie

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2.5. Ausgewahlte Experimente zur Speziellen Relativitatstheorie

uberwiegend aus Wasserstoff besteht, wird klar, daß dieser Prozeß die Ener-gieproduktion in einem Stern uber Milliarden von Jahren aufrecht erhaltenkann. Uber die beschriebene pp-Kette hinaus existieren noch weitere Reaktio-nen, sowohl Nebenketten zu ihm als auch spezielle Reaktionen, die bei nochhoheren Temperaturen einsetzen und die weitere Elemente erzeugen. Allendiesen Prozessen ist gemeinsam, daß die Gesamtmasse der bei der Fusion er-zeugten Teilchen leichter ist als die der Ausgangsstoffe und die Differenz alsEnergie frei wird, sei es Strahlungs- oder als thermische Energie. Eine detail-lierte Besprechung dieser Reaktionen wurde aber diesen Rahmen sprengen,deshalb sei dazu auf einschlagige Literatur verwiesen, wie z.B. [27].

Die Kernspaltung ist ein weiterer atomarer Prozess, bei dem Energie freiwird. Ein Atomkern hoher Massenzahl zerfallt oder wird gespalten in mehrereElemente, die in ihrer Summe leichter sind als das Ausgangselement. Die Mas-sendifferenz wird nach dem Einsteinschen Gesetz in Energie umgewandelt.Welche Elemente bei Verschmelzung und welche bei Spaltung Energie freiset-

Abbildung 2.32: Die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon der Isotope in Abhangigkeitvon der Massenzahl.

zen, kann man anhand des Diagramms in Abb. 2.32 verdeutlichen, in dem dieBindungsenergie pro Nukleon der Atome gegen ihre Massenzahl aufgetragenist. Die Bindungsenergie ist die Energiemenge, die frei wird, wenn sich Nukleo-nen (Protonen und Neutronen) zu einem Kern vereinigen. Aus der Abb. 2.32ersieht man sofort, daß fur Elemente leichter als Eisen Energie durch Kernver-schmelzung und fur schwerere durch Spaltung (prinzipiell) gewonnen werdenkann. Die Grenze liegt ungefahr bei dem Element Eisen, das pro Nukleon diehochste Bindungsenergie aufweist.

Das bedeutendste Beispiel fur eine Kernspaltung ist die des Uran-Atoms.

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Kapitel 2. Einsteins Spezielle Relativitatstheorie

Bei seiner Spaltung entstehen als Spaltprodukte Isotope der Elemente Bariumund Krypton:

23592U + 1

0n −→ 14156Ba + 92

36Kr + 3 10n

Berechnet man die Massen, bzw. Massenaquivalente, analog zu dem Vorgehenbei der Kernverschmelzung auf beiden Seiten der Reaktionsgleichung, so erhaltman6:

23592U + 1

0n ⇒ 218.895, 002 MeV + 939, 565 MeV = 219.834, 567 MeV14156Ba + 92

36Kr + 3 10n ⇒ 131.232, 314 MeV + 85.610, 268 MeV + 2.818, 695 MeV

⇒ 219.661, 277 MeV

Die Massen/Energieaquivalente der Ausgangsstoffe ist auch hier wieder großerals die Summe der Massen/Energieaquvalente der Endprodukte; die Differenzwird als Energie in Hohe von ≈ 173 MeV bei dieser Kernspaltung freigesetzt,die zum uberwiegenden Teil als kinetische Energie der Spaltprodukte in Er-scheinung tritt.

Zur Spaltung eines Atoms Uran 23592U wird ein freies Neutron benotigt, als

Spaltprodukt entstehen neben Barium und Krypton drei freie Neutronen, diefur weitere Kernspaltungen zur Verfugung stehen. Ist aber wenig Uran vor-handen, verlassen die entstandenen Neutronen die Uran-Probe und die Kern-spaltung kommt zum Erliegen. Sie haben eine große kinetische Energie undkonnen in der Substanz einen Weg von ca. 10 cm zurucklegen. Ist die Abmes-sung des Blocks aus Uran kleiner als z.B. 8 cm, so verlassen ihn die meistenNeutronen, ohne eine weitere Kernspaltung hervorzurufen: es liegt eine

”un-

terkritische Masse“ vor. Eine”kritische Masse“ ist dann gegeben, wenn Menge

und Geometrie des Uran-Blocks so beschaffen sind, daß eine Kettenreaktioneintritt. Innerhalb von 10−14 sec sind uber 99 % der Neutronen freigesetzt undunkontrolliert ereignet sich eine gewaltige Explosion. Die Kettenreaktion kannselbststandig eintreten, denn es sind immer genugend freie Neutronen vorhan-den, sei es durch spontanen Zerfall eines Uran-Kernes oder erzeugt durch dieHohenstrahlung.

Gebandigt mit sog. Moderatoren wird die Kernspaltung in Atomreaktorengenutzt. Diese Moderatoren bremsen die schnellen Neutronen der Kettenreak-tion soweit ab, daß sie zwar in Gang bleibt, aber nicht außer Kontrolle geratund alles spontan explodiert. Ungebremste Kettenreaktion ist das Prinzip derAtombombe. Hier zeigt sich der Januskopf der Kernenergie; auf der einen Seiteimmense Energiegewinnung zum Nutzen des Menschen, auf der anderen Seiteunvorstellbare Zerstorungskraft.

Gleiches gilt fur die Kernverschmelzung/Kernfusion. In der Form der Was-sestoffbombe wird wird die Nutzung der Kernfusion zur schrecklichsten Waf-fe, die die Menschheit je erdacht hat, im Inneren der Sonne dagegen sorgt

6Die Massenaquivalente, Bindungsenergie und Bindungsenergie pro Nukleon aller bekann-ten Isotope findet man z.B. im Internet bei

”Einstein-online“ unter dem Link:

http://www.einstein-online.info/de/vertiefung/SummeTeile/bindungs erg/index.txt.

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2.5. Ausgewahlte Experimente zur Speziellen Relativitatstheorie

sie dafur, daß auf unserer Erde uber Jahrmilliarden sich Leben entwickelnund fortbestehen kann. Eine Zahl moge das verdeutlichen: die Leuchtkraft derSonne betragt 3, 85 · 1026 W (siehe dazu z.B. [46] S. 174), d.h. wegen der Um-rechnung von Watt in Joule (W ≡ J sec−1) werden pro Sekunde der gleicheBetrag an Energie, in Joule gemessen, von der Sonne abgestrahlt. Rechnet mandiesen Energiebetrag mit der Formel (2.33) E = m · c2 in sein Masseaquivalentum, so kommt man auf m = E/c2 = 3, 85·1026 J·(3·108 m sec−1)−2 ≈ 4·109 kg.Pro Sekunde gehen der Sonne allein durch Abstrahlung von Licht — den Son-nenwind nicht gerechnet — 4 Millionen Tonnen verloren; dank der immensenMengen an vorhandenem Wasserstoff aber ist die Sonne in der Lage, ihreEnergieproduktion noch uber Jahrmilliarden aufrecht zu erhalten. In sog. Fu-sionsreaktoren versucht man — bislang noch vergeblich — diesen Prozess derKernverschmelzung technisch zu nutzen. Bis zur

”Bandigung“ der Kernfusion

werden aber sicher noch Jahre ins Land gehen.

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Kapitel 3

Minkowskis vierdimensionaleWelt

”Meine Herren! Die Anschauungen uber Raum und Zeit, die

ich Ihnen entwickeln mochte, sind auf experimentell phy-sikalischem Boden erwachsen. Darin liegt ihre Starke. IhreTendenz ist eine radikale. Von Stund an sollen Raum fursich und Zeit fur sich vollig zu Schatten herabsinken undnur noch eine Art Union der beiden soll Selbstandigkeit be-wahren.“H. Minkowski in einem Vortrag 1908 vor der Gesellschaft deutscher

Naturforscher und Arzte in Koln [33].

Trotz dieser starken Worte Minkowskis war er nicht der erste, der die Zeitals eine Dimension gleichberechtigt neben die drei raumlichen stellte. Bereits1864 hatte der Physiker, Naturphilosoph und Anthropologe Gustav Theo-dor Fechner (1801–1887) bei seinen Uberlegungen zu einem Raum von vierDimensionen 1846 geschrieben:

”Um die Gestalten des Raumes mit vier Di-

mensionen zu berechnen, hat er [der Mathematiker] bloß notig, seine Variablet als vierte Raumkoordinate zu betrachten“ (zitiert aus [49] S. 181).

In unseren bisherigen Ausfuhrungen zur Lorentz-Transformation hattenwir versucht, die bei der Speziellen Relativitatstheorie auftretenden Effekteanhand von graphischen Darstellungen der Raum-Zeit-Ebene, der schon haufigerwahnten Minkowski-Welt, deutlich zu machen. Zur Vereinfachung hatten wirmeist angenommen, daß die Richtung der Geschwindigkeit, mit der sich dieInertialsysteme gegeneinander bewegen, immer parallel ihrer x-Achsen liegtund daruber hinaus auch die y- und z-Achsen parallel in beiden Systemensind. Sind diese Vereinfachungen aber nicht mehr gegeben, wird die graphi-sche Darstellung schnell unubersichtlich, ja, wenn die 3-Dimensionalitat desRaumes berucksichtigt werden muß, sogar unmoglich.

Gleiches gilt fur die Formeln der Lorentz-Transformation, deren Anwen-dung in der Form, wie wir sie in Kap. 2.1.2 abgeleitet haben, bei komplexerenAnwendungen sehr schnell unubersichtlich und unhandlich werden. Das zeigt

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sich sehr schnell, wenn es z.B. darum geht, die Kovarianz der MaxwellschenGleichungen zu zeigen (das soll in diesem Skriptum nicht vertieft werden, daes den Rahmen sprengen wurde). Es ist also unumganglich, fur komplexereAufgaben in der Speziellen Relativitatstheorie auf Methoden der hoheren Ma-thematik zuruck zu greifen; im Rahmen der Allgemeinen Relativitatstheoriesind sie sogar unverzichtbar.

Es war Hermann Minkowski, der diese Hilfsmittel der hoheren Mathe-matik — die analytische und Differentialgeometrie — 1908 fur die Relativitats-theorie verfugbar machte [33]. Er stellte eine Analogie zwischen einer Koordi-natentransformation im Euklidischen Raum und einer Lorentz-Transformationfest. Betrachten wir dazu zunachst Fig. a der Abb. 3.1. In der Euklidischen

Abbildung 3.1: Fig. a: Eichkurve fur Euklidische Geometrie; Fig. b: Eichkurven derMinkowski-Welt.

Geometrie der x,y-Ebene werden Koordinatensysteme, die um einen bestimm-ten Winkel um den Koordinatenursprung gedreht sind, geeicht, d.h. die Lange

”eins“ auf den x,y- und den x, y-Achsen festgelegt, indem man einen Kreis mit

dem Radius”eins“ um den Ursprung schlagt. Als Formel heißt das:

x2 + y2 = x2 + y2 = 1

und alle beliebigen vom Ursprung ausgehenden Geraden sind gleichberech-tigt und haben in den unterschiedlichen (gedrehten) Koordinatensysteme dieidentische Lange, deren Betrag l sich ergibt zu:

l =√x2 + y2 =

√x2 + y2

Die Große l ist also eine Invariante der Euklidischen Geometrie. Was wir hiermit 2 Dimensionen in der Ebene dargestellt haben, gilt in der EuklidischenGeometrie in Raumen beliebiger Dimensionen. In einem vierdimensionalenRaum mit x, y, z als gewohnte Raumdimensionen und w als 4. Dimension

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Kapitel 3. Minkowskis vierdimensionale Welt

wurde die entsprechende Lange einer vom Ursprung ausgehenden Geradenlauten:

l =√x2 + y2 + z2 + w2

und ebenfalls eine Invariante sein. Entsprechend fur hohere Dimensionen.

In der x,ct-Ebene, die Minkowski-Welt, die wir bisher im Zusammenhangmit der Lorentz-Transformation genutzt haben, sind die beiden Achsen nichtgleichwertig und die Eichkurven, die die Einheitslangen festlegen sind Hyper-beln wie in Fig. b der Abb. 3.1 dargestellt. Die Formel hatten wir bereits inKap. 2.1.3, Gleichung (2.13), abgeleitet:

F = x2 − (ct)2 = ±1

Die Asymptoden der Eich-Hyperbeln sind die Winkelhalbierenden der vierQuadranten der x,ct-Ebene (in Fig. b gestrichelt gezeichnet). Sie trennen, wiewir schon in Kap. 2.1.3 gesehen haben, zwei Bereiche in der x,ct-Ebene: denzeitartigen entlang der ct-Achse und den raumartigen entlang der x-Achse.Weiterhin wissen wir von dort, daß

F = x2 − c2t2

oder, wenn wir alle drei Raumdimensionen einbeziehen:

F = x2 + y2 + z2 − c2t2

invariant gegenuber der Lorentz-Transformation ist. Nun bemerkte Minkow-ski eine Analogie, denn wenn man einfach −c2t2 = u2 setzt, erhalt man

F = x2 + y2 + z2 + u2 = s2

oder

s =√x2 + y2 + z2 + u2

als vierdimensionale Entfernung und als Invariante einer Euklidischen Geome-trie mit rechtwinkligen Koordinaten, die die gleiche Form hat wir l. Genauermuß man sagen, es ist eine pseudo-Euklidische Geometrie, denn in der x,ct-Ebene z.B. stehen die beiden Achsen nicht im Euklidischen Sinne aufeinandersenkrecht, sondern im Sinne der pseudo-Euklidischen Geometrie. Der Begriff

”Entfernung“ ist demnach auch nur im ubertragenen Sinn zu verstehen.

Damit hat Minkowski den Weg gezeigt, wie man die (damals schon)vorhandenen und bewahrten Verfahren der analytischen Geometrie (und derDifferentialgeometrie) in der Speziellen Relativitatstheorie vorteilhaft nutzenkann. Im Folgenden werden einige wenige Beispiele dazu demonstriert. Vek-toren spielen in der Physik eine entscheidende Rolle, sind doch Geschwin-digkeit, Beschleunigung, Impuls und Kraft gerichtete Großen, eben Vektoren,und nach der Pramisse Einsteins, daß in allen Inertialsystemen die gleichenGesetze gelten — Kovarianz —, mussen die Vierervektoren dieser Großen sobeschaffen sein, daß sie gegenuber der Lorentz-Transformation invariant sind.

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3.1. Koordinatenschreibweise

Wie diese Vierervektoren gebildet werden und wie man mit ihnen umgeht, sollim folgenden aufgezeigt werden. Zunachst aber wird die international ubli-che Schreibweise fur die Vektoren und deren Komponenten vorgestellt, mitder sich die Formeln wesentlich einfacher und ubersichtlicher darstellen undverarbeiten lassen (siehe dazu z.B. [24]).

3.1 Koordinatenschreibweise

In allem, was wir bisher beschrieben haben und dabei Koordinatensystemegenutzt wurden, haben wir fur die Bezeichnung der Koordinaten x, y, oderz im 3-dimensionalen Raum unterschiedliche Buchstaben benutzt; das wurdeauch fortgesetzt, als wir in der Einleitung zu diesem Kapitel einmal von vierDimensionen sprachen und die vierte Koordinate mit w bezeichneten. In deranalytischen Geometrie will man sich nun nicht auf drei oder vier Dimensionenbeschranken und kame so leicht in Schwierigkeiten mit der Wahl der deutschenBuchstaben, zumal einige, z.B. i, j, k normalerweise schon reserviert sind alsBezeichner fur Indizes.

Im Euklidischen Raum von 4 Dimensionen (um bei obigen Beispiel zubleiben und den Ubergang zu der 4-dimensionale Minkowski-Welt leichter zufinden) schreibt man also fur die Koordinaten eines Punktes (= Vektor) nicht

(x, y, z, w)

sondern

x = (x1, x2, x3, x4) (3.1)

x ist der Vektor mit seinen Koordinaten, die in der Klammer aufgefuhrt sind.In dieser neuen Schreibweise werden Vektoren fett gedruckt dargestellt! Diehochgestellte Zahl bedeutet nicht eine Potenzierung, sondern nur die Reihen-folge der Vektorkomponenten resp. Koordinaten. Sollen Komponenten z.B.quadriert werden, so muß folgerichtig eine Klammer genutzt werden: wie in(x1)2. Die oben beschriebene Lange l in 4-dimensionalen Euklidischen Raumschreibt sich dann in der neuen Notation:

l =√

(x1)2 + (x2)2 + (x3)2 + (x4)2 = |x|

Muß man nun einzelne Punkte unterscheiden, was gleichbedeutend mit derUnterscheidung zweier Vektoren, so nutzt man tiefgestellte Indizes:

x1 = (x11, x

21, x

31, x

41)

x2 = (x12, x

22, x

32, x

42)

(3.2)

Fur die Minkowski-Welt hatten wir bisher auf konventionelle Weise furdie Koordinaten eines Ereignisses/Events E im Raum-Zeit-Diagramm geschrie-ben E(x) = (ct, x, y, z), mit der zeitartigen Koordinate ct und den raumarti-gen Koordinaten x, y und z. Wie wir oben gesehen haben, hatte Minkowski

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Kapitel 3. Minkowskis vierdimensionale Welt

u2 = −c2t2 gesetzt mit der Konsequenz, daß er zwar fur den raum-zeitlicheEntfernung s einen Ausdruck wie in der Euklidischen Geometrie bekommt,er handelt sich aber dafur eine imaginare Koordinate ein, denn die zeitartigeKoordinate wird so zu

√u2 =

√−1 ct = ict. Von dieser Vorgehensweise ist

man abgekommen und schreibt die Raum- und Zeit-Koordinaten einheitlichin der Form:

x0 = ct und (x1, x2, x3) = (x, y, z) (3.3)

und die raum-zeitlichen Entfernung s eines Events E(x) vom Koordinatenur-sprung E0(0) errechnet sich aus dem Ausdruck

ε s2 = (x1)2 + (x2)2 + (x3)2 − (x0)2 (ε± 1) (3.4)

Die Große ε wird so festgelegt, daß fur s immer gilt s ≥ 0. Wir hatten gesehen,daß in der x,ct-Ebene zwei Regionen zu unterscheiden sind: die zeitartige mitder Bedingung (ct)2 > x2 und die raumartige mit (ct)2 < x2. Gleiches giltauch in der 4-dimensionalen Minkowski-Welt. Fur die beiden Regionen mußalso gelten:

raumartig : ε = +1

zeitartig : ε = −1

Alle physikalisch relevanten Ereignisse spielen sich im zeitartigen Bereich ab,denn es gilt ja die Pramisse, daß die Lichtgeschwindigkeit nicht uberschrittenwerden kann, so daß in (3.4) fur diese Falle ε = −1 gesetzt werden muß.

Haben wir zwei Ereignisse E1(x1) und E2(x2) in der 4-dimensionalen Min-kowski-Welt, so gilt in der neuen Schreibweise fur Gleichung (2.14) aus Kap.2.1.4 fur die raum-zeitliche Entfernung der beiden Ereignisse:

ε(∆s)2 = (∆x1)2 + (∆x2)2 + (∆x3)2 − (∆x0)2 (ε± 1)

∆xi = xi2 − xi1 mit i = 0, 1, 2, 3(3.5)

Diese raum-zeitliche Entfernung ist, wie wir in Kap. 2.1.4 gezeigt haben, inallen Inertialsystemen eine Invariante.

Bisher haben wir immer die beiden gegeneinander bewegten Inertialsyste-me mit S und S(1) bezeichnet. Um nun einen Inflation von hochgestellten In-dizes zu vermeiden, ist es ublich, sie mit S und S zu bezeichnen. Gleiches giltauch fur die Punkte im Euklidischen oder die Ereignisse in der Minkowski-Welt. So sei als Beispiel E(x) ein Ereignis im Inertialsystem S, das gleicheEreignis E(x)im System S betrachtet, schreibt sich dann einfach rein formal:

E(x) = (x0, x1, x2, x3)

und den Ubergang von einem zum anderen System regelt die Transformation,im Falle der Speziellen Relativitatstheorie die Lorentz-Transformation.

Betrachten wir schließlich noch die formalen Regeln fur Transformationen,ohne allzu tief ins Detail zu gehen. Ganz allgemein wird die Transformation

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3.1. Koordinatenschreibweise

von einem System S zu einem anderen S beschrieben durch ein Gleichungs-system, das im 4-dimensionalen Fall sich wie folgt darstellt (wir nutzen dieKomponenten der Minkowski-Welt):

x0 = a00 · x0 + a0

1 · x1 + a02 · x2 + a0

3 · x3

x1 = a10 · x0 + a1

1 · x1 + a12 · x2 + a1

3 · x3

x2 = a20 · x0 + a2

1 · x1 + a22 · x2 + a2

3 · x3

x0 = a30 · x0 + a3

1 · x1 + a32 · x2 + a3

3 · x3

(3.6a)

Oder in Matrixschreibweise formuliert:

x = T x (3.6b)

Die Matrix T — die Transformationsmatrix — besteht nun aus den Elementenaij , wobei i die Zeile und j die Spalte angibt. Ihre Werte bestimmen die Art

der Transformation, ob es eine Drehung, eine Ubergang von einem rechtwink-ligen zu einem schiefwinkligen Koordinatensystem oder eben eine Lorentz-Transformation vorliegt. Wie die Matrix der Lorentz-Transformation aussiehtwerden wir weiter unten beschreiben, zunachst noch einige Bemerkungen zuder Schreibweise.

Die obige ganz allgemeine Formel (3.6a) fur die Koordinatentransformati-on scheint in der neuen Schreibweise noch keine allzu uberzeugende Vereinfa-chung zu sein. Die brachte erst Einstein mit seiner Summenkonvention. Da erscheinbar schreibfaul war, fuhrte er folgende Regel ein: immer wenn ein Indexin einem Ausdruck zwei mal auftaucht, sei es beides mal hoch- oder tiefgestelltsei es einmal hoch- und einmal tiefgestellt, heißt das, es soll aufsummiert wer-den uber den ganzen Wertebereich des doppelten Index. Legen wir als Beispielden 4-dimensionalen Raum zugrunde, so hat der Index i den Wertebereich 0,1, 2, 3. Die Summenkonvention sieht dann beispielsweise so aus:

aii =3∑0

aii = a00 + a1

1 + a22 + a3

3

Mit dieser Schreibweise wird (3.6b) zu

xj = aji · xi i, j = 0 · · · 3 (3.6c)

Ist aber in einem Ausdruck nur ein Index vorhanden, wie z.B. in folgenderFormel

vi =d xi

dτ(3.6d)

so ist damit gemeint, daß er fur alle i = 0 · · · 3 gilt.

Die Vereinfachung durch diese Schreibweise wird offensichtlich, wenn manberucksichtigt, daß bei Koordinatentransformationen viele Operationen ein-fach durch formale Manipulationen von Indizes erfolgen konnen. Eine ganz

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Kapitel 3. Minkowskis vierdimensionale Welt

wichtige Rolle spielen solche Operationen in der Allgemeinen Relativitatstheo-rie. Hier werden wir aber das Thema nicht weiter vertiefen, sondern uns viel-mehr ansehen, wie die Lorentz-Transformation in dieser neuen Schreibweisesich darstellt.

Setzen wir ct → x0 als entsprechende Koordinate im ct,x-System (undentsprechend die anderen Koordinaten x→ x1, y → x2, z → x3) und schreibendie Gleichungen der Lorentz-Transformation (2.6a) auf die neue Schreibweiseum, so erhalten wir:

x0 =x0 − βx1√

1− β2

x1 =−βx0 + x1√

1− β2

x2 = x2

x3 = x3

(3.7a)

mit β = v/c. In der Matrix-Schreibweise laßt sich die Lorentz-Transformationdann schreiben:

x =

1√

1−β2

−β√1−β2

0 0

−β√1−β2

1√1−β2

0 0

0 0 1 00 0 0 1

· x = A · x (3.7b)

Setzen wir zur Vereinfachung

a = (1− β2)−1/2 und b = −β (1− β2)−1/2 (3.7c)

so wir die Matrix A der Lorentz-Transformation zu

A =

a b 0 0b a 0 00 0 1 00 0 0 1

Wie man leicht aus (3.7c) ableiten kann, gilt zwischen den beiden Großen aund b der Zusammenhang:

a2 − b2 = 1

Nach den Regeln der Matrizenrechnung (siehe dazu z.B. [24]) gilt fur dieUmkehr-Transformation, also die Bestimmung von von x auf Basis von x dieGleichung x = A−1 · x, wobei A−1 die Inverse der der Matrix A ist. Fur sieerhalten wir:

A−1 =

a −b 0 0−b a 0 00 0 1 00 0 0 1

112

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3.2. Vierervektoren

3.2 Vierervektoren

Nur solche Vektoren erfullen das Relativitatsprinzip, die sich entsprechend derLorentz-Transformation (3.7a) resp. (3.7b) umwandeln lassen. Sie sind dannsolcher Gestalt, daß die auf ihnen basierenden Gesetze der Physik, wie z.B.das Kraftgesetz oder die Maxwellschen Gleichungen, in allen gleichformig undgeradlinig bewegten Bezugssysteme — Inertialsystemen — die gleiche Gestaltannehmen.

Ein Ereignis E(x) wird in der Minkowski-Welt durch den”Ortsvektor“ x

– den Vierervektor – beschrieben, der nach (3.3) die Form

x = (ct, x, y, z) = (x0, x1, x2, x3) (3.8)

hat und sich entsprechend (3.7a) transformiert. In der Euklidischen Geome-trie sind das Quadrat eines Vektors x ·x und das Skalarprodukt zweier solcherVektoren x1 · x2 definiert; gleiches gilt auch in der Minkowski-Welt fur Vie-rervektoren1 x, nur haben beide eine abweichende Form, da hier eine pseudo-Euklidische Geometrie gilt. Fur das Quadrat von Vierervektoren ergibt sichaus (3.4)

x · x = ε s2 = (x0)2 − (x1)2 − (x2)2 − (x3)2 (3.9a)

und analog fur das Skalarprodukt zweier unterschiedlicher Vierervektoren

x1 · x2 = x01 x

02 − x1

1 x12 − x2

1 x22 − x3

1 x32 . (3.9b)

Im Kap. 2.1.3 wurde gezeigt, daß das Quadrat zweier Viervektoren invariantgegenuber der Lorentz-Transformation ist; gleiches gilt fur das Skalarproduktzweier unterschiedlicher Vierervektoren, wie in Kap. B.4 bewiesen wir. Imfolgenden soll der durch (3.8) definierte Vektor

”Ereignis- oder Eventvek-

tor“ genannt werden. Fassen wir also zusammen: Der Eventvektor x

1. unterliegt in gleichformig und geradlinig bewegten Bezugssystemen –Inertialsystemen – der Lorentz-Transformation,

2. sein Quadrat x · x sowie

3. das Produkt zweier Eventvektoren sind invariant unter der Lorentz-Transformation.

Alle Vektoren, die sich wie Eventvektoren verhalten, werden Vierervektorengenannt. Im Folgenden muß es also darum gehen, die relevanten Vektoren derPhysik als Vierervektoren zu definieren, damit die physikalischen Gesetze ent-sprechend der Einsteinschen Forderung kovariant werden.

Ehe wir im Detail auf die Vierergeschwindigkeit eingehen, wollen wir un-tersuchen, wie sich die Bewegung eines Massenpunktes in dem Raum-Zeit-Diagramm – seine Weltlinie – darstellt. Um die Grafik nicht zu kompliziert

1Haufig findet man, daß die Vierervektoren mit Großbuchstaben bezeichnet werden,z.B. X. Wir werden hier aber weiterhin die Schreibweise mit Kleinbuchstaben beibehalten.

113

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Kapitel 3. Minkowskis vierdimensionale Welt

zu machen, nehmen wir an, er bewegt sich nur auf der x-Achse. In Abb. 3.2ist die Weltlinie solch eines Massenpunktes auf seiner Bewegung von A nachB in dem x,ct-Diagramm dargestellt. Er bewegt sich zuerst in positive Rich-tung von A weg und kehrt dann um auf B zu. Je steiler die Kurve ist, umsolangsamer ist die Geschwindigkeit und umgekehrt. Zwischen zwei nahe bei-einander liegenden Punkten der Weltlinie wurde die Kurve durch eine Geradeersetzt, wie in der Abbildung dargestellt. Die raum-zeitliche Entfernung derbeiden Punkte, das kleine Stuck ∆s der Gerade, berechnet sich, wie wir schonin Kap. 2.1.4 gesehen haben, entsprechend (2.14) zu

(∆s)2 = (c∆t)2 − (∆x)2

Weiterhin hatten wir in dem zitierten Kapitel festgestellt, daß die raum-zeitliche Entfernung zweier Punkte auf einer Weltlinie ein Maß fur die Ei-genzeit TE ≡ τ ist. Mit (2.15a) ergibt sich also:

∆s = c∆TE = c∆τ

Rucken wir die beiden Punkte immer mehr zusammen, so wird die Geradedurch die beiden Punkte der Weltlinie zur Tangente und fur das infinitesimaleStuck der Weltlinie d s gilt

d s = c · d τ (3.10)

In Kap. 2.1.3 wurde gezeigt, daß s invariant ist, damit ist nach (3.10) auch die

Abbildung 3.2: Weltlinie eines Massepunktes, der sich mit unterschiedlicher Geschwindig-keit von A nach B bewegt

114

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3.2. Vierervektoren

Eigenzeit invariant. Berechnen wir aus (3.10) die Gesamtlange s der Weltlinie,so ergibt sich:

τ =1

c

∫ B

Ads

Man kann also mit [41] sagen

Die Zeitangabe einer beliebig bewegten Uhr gibt die Lange der Welt-linie an. Uhren sind Weltlinienmesser.

Die Lange s der Weltlinie ist nach dem oben gesagten invariant gegenuberder Lorentz-Transformation, das heißt in jedem beliebigen Inertialsystem er-gibt sich die gleiche Lange. Um diese Lange zu bestimmen, braucht man nurdie Zeitangabe der bewegten Uhr am Anfang und am Ende der Weltlinie zuregistrieren und die Differenz zu bilden.

3.2.1 Geschwindigkeit und Beschleunigung als Vierervektoren

Nach diesen Notationen und Definitionen wenden wir uns nun der Viererge-schwindigkeit zu. Ein Objekt beschreibe in der 2-dimensionalen Raum-Zeiteine Kurve — eine Weltlinie —, wie z.B. in der Abb. 3.2 dargestellt. Formalwird diese Kurve beschrieben durch (wir nutzen nun, als Einubung, konsequentdie verkurzte Schreibweise):

(xi) = (ct, r(t)) = (ct, x(t), y(t), z(t))

In der klassischen Mechanik wird die Geschwindigkeit als Anderung des Ortes,genauer des Ortsvektors r, mit der Zeit definiert. Man kann nun versuchen,diese Definition auf die vierdimensionale Minkowski-Welt zu ubertragen unddie Vierergeschwindigkeit v in jedem Punkt der Kurve entsprechend als Ande-rung des Eventvektors x mit der Zeit t definieren:

(ui) =

(dxi

dt

)≡ (c,u) (3.11)

Dabei ist

u =

(dx

dt,dy

dt,dz

dt

)= (ux, uy, uz)

der raumliche (dreidimensionale) Geschwindigkeitsvektor. Der Betrag diesesVektors — die Große der (dreidimensionalen) Geschwindigkeit — ist damit

v = |u| =√

(ux)2 + (uy)2 + (uz)2

Es sei noch erwahnt, daß sich bei einer Bewegung entlang der Weltlinie, wie inAbb. 3.2 dargestellt, der Betrag der dreidimensionalen Geschwindigkeit v desObjektes eine Funktion der Zeit ist, also eigentlich als v(t) geschrieben wer-den mußte. Wir werden das im Folgenden vermeiden, um die Formeln nichtunnotig zu verkomplizieren, aber es immer im Hinterkopf behalten mussen.

Nun laßt sich leicht zeigen, daß sich die so definierte Vierergeschwindigkeitnicht entsprechend der Lorentz-Transformation verhalt — der Nachweis wird

115

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Kapitel 3. Minkowskis vierdimensionale Welt

in Kap. B.5 gebracht. Der Grund ist einfach der, daß die Zeit t, nach derdifferenziert wird, keine Invariante ist. Ersetzen wir aber die Ableitung nach tdurch die nach der invarianten Eigenzeit τ , so zeigt sich, daß die so definierteVierergeschwindigkeit sich konform der Lorentz-Transformation verhalt. Wirkonnen nun schreiben

v =dx

dτ=dx

dt· dtdτ

= (c, u1, u2, u3) · dtdτ

Im Kap. 2.1.4 hatten wir mit (2.15b) eine Formel fur den Ausdruck dt/dτabgeleitet. Setzen wir diese in obige Beziehung ein, so erhalten wir endgultigfur die Vierergeschwindigkeit

v = (v0, v1, v2, v3) =1√

1− v2

c2

(c, ux, uy, uz) (3.12a)

oder in verkurzter Schreibweise

vi =ui√

1− v2

c2

Die Lorentz-Transformation der Vierergeschwindigkeit ist dann:

v0 =v0 − βv1√

1− β2

v1 =−βv0 + v1√

1− β2

v2 = v2

v3 = v3

(3.12b)

mit β = v/c. Die transformierte Geschwindigkeit v laßt sich anhand derAbb. 3.2 folgendermaßen erklaren: zu einem bestimmten Zeitpunkt t = t1hat ein Objekt, das sich entlang der Weltlinie bewegt, die momentane Posi-tion P1 = x(t1) und die momentane Geschwindigkeit v(t1). Das momentaneRuhesystem fur das Objekt ist dann ein Inertialsystem S, das sich entlang derTangente der Weltlinie des Objektes mitbewegt und z.B. zum Zeitpunkt t = t1entsprechend der dann herrschenden Geschwindigkeit v(t1) konstruiert werdenmuß (in Kap. 2.1.3 wurde das Verfahren beschrieben), wie in der Abb. 3.2dargestellt. Die nach der Transformation (3.12b) bestimmte Geschwindigkeitv ist die Geschwindigkeit, die das auf der Weltlinie bewegte Objekt in seinemmomentanen Ruhesystem feststellt; genau wie sich die Geschwindigkeit v(t)kontinuierlich andert, andert sich auch v.

Ein Vierervektor soll neben der Erfullung der Lorentz-Transformation auchnoch, wie wir im vorhergehenden Kapitel festgelegt haben, die Eigenschafthaben, daß sein Quadrat, hier v · v, invariant ist. Um das zu zeigen, kannman entsprechend den Regeln der pseudoeuklidischen Regel (3.12a) mit sich

116

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3.2. Vierervektoren

selbst multiplizieren, eleganter laßt sich aber der Beweis fuhren, wenn wir dieBeziehung (3.10) nutzen , die wir auch schreiben konnen:

ds = dx = c · dτ

Damit erhalten wir fur das Quadrat der Vierergeschwindigkeit

v · v =dx

dτ· dxdτ

= −c2 (3.12c)

In der Tat ein invarianter Ausdruck, denn die Lichtgeschwindigkeit c soll ja inallen Inertialsystemen den gleichen Wert haben. Die Invarianz des Skalarpro-dukts zweier Vierergeschwindigkeiten laßt sich analog wie in Kap. B.4 fur dasSkalarprodukt zweier Eventvektoren zeigen.

Zur Definition der Viererbeschleunigung verfahren wir analog zu dem,was zur Vierergeschwindigkeit geschrieben wurde. Die Beschleunigung ist inder klassischen Mechanik definiert als Anderung der Geschwindigkeit mit derZeit. Wenden wir das an, so erhalten wir (gemeint ist hier, analog zur Vie-rergeschwindigkeit, die Beschleunigung, die das Objekt in jedem Punkt derWeltlinie aus Abb. 3.2 erfahrt):

(ai) = (d2xi

dt2) ≡ (0,a)

Dabei ist hiera = (ax, ay, az)

der raumliche (dreidimensionale) Beschleunigungsvektor mit seinem Betrag

a = |a| ≡√

(ax)2 + (ay)2 + (az)2

Wir ahnen schon, daß diese Definition der Viererbeschleunigung nicht konformzur Lorentz-Transformation sein kann; genau wie bei der Vierergeschwindigkeitmussen wir auch hier die Ableitung nach der invarianten Eigenzeit bilden, umdie Viererbeschleunigung b zu erhalten:

bi ≡ dvi

dτ=d2xi

dτ2

Fur die Komponenten der Viererbeschleunigung (bi) ergeben sich, wie in Kap. B.6gezeigt wird, komplexe Formeln aus den Komponenten (ui) und (ai):

bi =ai

1− v2

c2

+(ua)ui

c2

(1− v2

c2

)2 (3.13a)

Mit diesen Komponenten der Viererbeschleunigung laßt sich zeigen, daß siekonform zur Lorentz-Transformation ist:

b0

=b0 − βb1√

1− β2

b1

=−βb0 + b1√

1− β2

b2

= b2

b3

= b3

(3.13b)

117

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Kapitel 3. Minkowskis vierdimensionale Welt

mit β = v/c. Fur die Viererbeschleunigung gilt analog das, was wir fur dieVierergeschwindigkeit gesagt haben; die Beschleunigung b ist ist die Beschleu-nigung, die das Objekt auf seiner Bahn zu einem bestimmten Zeitpunkt inseinem momentanen Ruhesystem spurt.

Fur das Skalarprodukt aus Viererbeschleunigung und Vierergeschwindig-keit v · b laßt sich eine wichtige Beziehung ableiten. Wir benutzen dazu dieTatsache, daß wir fur die Viererbeschleunigung als b = dv/dτ definiert hatten.Fur das Skalarprodukt konnen wir dann schreiben:

v · b = v · dvdτ

=1

2· ddτ

(v · v)

und mit (3.12c) ergibt sich schließlich

v · b = 0 (3.13c)

ebenfalls eine invariante Große.

Ist die Weltlinie eines bewegten Objektes gekrummt, wie in dem Beispielder Abb. 3.2 gezeigt, so bedeutet das, daß sich seine Geschwindigkeit perma-nent andert, was wiederum heißt, daß das Objekt Beschleunigungen unter-worfen ist. Streng genommen durfte man fur diese Falle uberhaupt nicht dieSpezielle Relativitatstheorie anwenden, denn die hatte zur Voraussetzung, daßInertialsysteme – geradlinig und gleichformig gegeneinander bewegte Bezugs-systeme – vorliegen. Um aus diesem Dilemma heraus zu kommen, behilft mansich damit, daß man sagt, in der infinitesimalen Umgebung eines jeden Punk-tes der Weltlinie ist die Bewegung des Objektes geradlinig und gleichformigund man kann daher das dortige momentane Ruhesystem als Inertialsystemauffassen und folglich die Spezielle Relativitatstheorie anwenden. Ein gewis-ser Beigeschmack bleibt bei dieser Argumentation erhalten, der auch Einsteinnicht ruhen ließ, bis er das Problem grundsatzlich mit seiner Allgemeinen Re-lativitatstheorie gelost hatte.

3.2.2 Impuls und Kraft als Vierervektoren

Im Kap. 2.4.1 hatten wir mit (2.31) den Impuls einer gleichformig mit derGeschwindigkeit v bewegten Masse abgeleitet zu

p = mv =m0√1− v2

c2

· v

Die Masse m hangt hier aber, im Gegensatz zur klassischen Mechanik, von derGeschwindigkeit v ab. Um nun den Viererimpuls P – zur Unterscheidung vondem dreidimensionalen Impuls p = (px, py, pz), schreiben wir dieses mal denViererimpuls mit Großbuchstaben – zu bestimmen, konnen wir rein formalvorgehen und mit der Formel (3.12a)schreiben

P = m0 ·dx

dτ= m · v =

m0√1− v2

c2

(c, ux, uy, uz)

118

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3.2. Vierervektoren

oder wenn wir obige Formel fur die von der Geschwindigkeit abhangige Massenutzen:

P = (P 0, P 1, P 2, P 3) = (m(v) · c,m(v)ux,m(v)uy,m(v)uz)

Die drei raumlichen Komponenten des Viererimpulses (P 1, P 2, P 3) sind nichtsanderes als der dreidimensionale Impuls p. Fur den Viererimpuls ergibt sichso

P = (P0,p) (3.14a)

Um die Komponente P0 = m(v)·c physikalisch zu interpretieren, multiplizierenund dividieren die rechte Seite dieser Gleichung mit c und erhalten so

P = (E

c,p) (3.14b)

fur den Viererimpuls. Da die Vierergeschwindigkeit v ein Vierervektor ist,ist auch der Viererimpuls ein Vierervektor, der entsprechend der Lorentz-Transformation behandelt wird:

P0

=P 0 − βP 1√

1− β2

P1

=−βP 0 + P 1√

1− β2

P2

= P 2

P3

= P 3

(3.14c)

mit β = v/c. Ein Vergleich (3.14b) mit den Transformationsgleichungen (2.36b)fur den Impuls in Kap. 2.4.3 zeigt, daß beide identisch sind.

Aus dem Viererimpuls leiten wir formal nach der Definition”Kraft bedeu-

tet Anderung des Impulses mit der Zeit“ die Lorentz-Kraft (f0, f) ab, die abernoch nicht den Charakter eines Vierervektors besitzt. Fur die Komponentendieser Lorentz-Kraft ergibt sich aus (3.14b):

f0 =dP 0

dt=

d

dt

(m0c√1− v2

c2

)=

1

c

dE

dt

f = (f1, f2, f3) ≡ d

dt

(m0u√1− v2

c2

) (3.15a)

Genau wie in den vorhergehenden Fallen erhalten wir erst die Viererkraft k,wenn wir den Viererimpuls nach der invarianten Eigenzeit τ ableiten in in derverkurzten Schreibweise formulieren:

k = (ki) ≡ (d pi

dτ)

ki =f i√

1− v2

c2

(3.15b)

119

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Kapitel 3. Minkowskis vierdimensionale Welt

Die Viererkraft k ist nun konform mit der Lorentz-Transformation entspre-chend den Gleichungen:

k0

=k0 − βk1√

1− β2

k1

=−βk0 + k1√

1− β2

k2

= k2

k3

= k3

(3.15c)

mit β = v/c. Zwischen der Viererkraft k, Vierergeschwindigkeit v und derLorentz-Kraft f lassen sich nun recht einfache Zusammenhange ableiten. Bildenwir z.B. das Skalarprodukt aus Vierergeschwindigkeit und Viererkraft:

v · k = m0(v · b)

und mit (3.13c) ergibt sich sofort

v · k = 0 (3.15d)

Schreiben wir das Skalarprodukt der letzten Gleichung explizit in Komponen-tenschreibweise, so ergibt sich:

(c, ux, uy, uz) · (k0, k1, k2, k3) · 1√1− v2

c2

= 0

Nach den Regeln der pseudo-Euklidischen Geometrie der Minkowski-Welt konnenwir den Ausdruck umformen in:

c · k0 − (u · k) = 0

oder

k0 =1

c· (u · k) (3.15e)

Mit (3.15b) und (3.15e) erhalten wir fur den Ausdruck 1c (u · f)

1

c(u · f) =

1

c· (v · k)

√1− v2

c2= k0

√1− v2

c2= f0 (3.15f)

In der klassischen Mechanik nennt man das Skalarprodukt

(−→K · d−→s ) = (

−→K · −→v )dt = dAkl

die”Arbeit“ , die die Kraft

−→K an einem Massepunkt wahrend der dt leistet.

Betrachten wir nun (u · f)dt = dA als relativistisches Pendant zur klassischdefinierten Arbeit Akl, so erhalten wir aus (3.15a) mit (3.15f):

f0 =1

c

dE

dt=

1

c· (u · f)

oder endlich mitdE = (u · f) dt = dA (3.16)

in voller Analogie zur klassischen Mechanik einen Satz fur die Arbeit in derSpeziellen Relativitatstheorie:

Der Zuwachs an Energie wahrend der Zeitspanne dt ist gleich derArbeit, die die Kraft in dieser Zeit leistet.

120

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3.2. Vierervektoren

3.2.3 Anwendung des Viererimpulses auf die Ausbreitung desLichtes

Im letzten Kapitel haben wir gesehen, daß sich der Viererimpuls schreibt als

P =

(E

c, px, py, pz

)mit der Energie E und dem 3-dimensionalen Impuls (px, py, pz); er transfor-miert sich gemaß der Lorentz-Transformation nach der Gleichung (3.14c). Be-trachten wir nun eine Lichtquelle entsprechend unserem bisherigen erstem Bei-spiel, die im Ursprung des Systems S ruht und in ihrem Ruhesystem eine ebeneWelle mit der Frequenz ν0 in eine beliebige Richtung wie in Abb. B.1 auf Seite138 aussendet. Der Beobachter im System S bewegt sich mit der Geschwin-digkeit v entlang der x-Achse auf die Lichtquelle zu; die Koordinatenachsenbeider Systeme sind parallel. In der Quantenmechanik wird gezeigt, daß dieEnergie und der Impuls der Photonen des Lichtes mit der Frequenz des Lichtesuber die Gleichungen

E(Photon) = h · ν

p(Photon) =h · νc

zusammenhangen; h ist das Plancksche Wirkungsquantum. Mit Hilfe der imletzten Kapitel abgeleitete Lorentz-Transformation konnen wir nun den Vie-rerimpuls des Lichtes, das der Beobachter in seinem bewegten System wahr-nimmt, entsprechend berechnen (da sich S auf S zu bewegt, mussen wir dieGeschwindigkeit mit negativem Vorzeichen ansetzen):

px =px + v E

c2√1− β2

py = py; pz = pz

E

c2=

Ec2

+ vc2px√

1− β2

(3.17)

Fur den”Lichtstrahl“, der in beliebiger Richtung von der Lichtquelle ausge-

sandt wird ergeben sich im ruhenden System die Impulskomponenten zu:

px =h · ν0

c· cosϑ

py =h · ν0

c· sinϑ cosϕ

pz =h · ν0

c· sinϑ sinϕ

Wir nutzen nun die letzte Gleichung von (3.17), um die Frequenz des LichtesνB in dem System des bewegten Beobachters zu bestimmen:

E

c2=h · νBc2

=1√

1− β2

[h · ν0

c2+v

c2

h · ν0

ccosϑ

]121

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Kapitel 3. Minkowskis vierdimensionale Welt

Dividieren wir nun beide Seiten obiger Gleichung durch h/c2 so erhalten wirfur die Frequenz νB des empfangenen Lichtes:

νB = ν01 + v

c cosϑ√1− β2

. (3.18)

Strahlt die Lichtquelle in Richtung der x-Achse, d.h. ϑ = 0◦, dann liegt derlongitudinale Doppler-Effekt vor und wir erhalten aus (3.18) die identischeFormel

νB = ν0

√1 + β

1− β,

wie wir sie in Kap. B.2 fur diesen Fall abgeleitet haben. Wir haben also eineBlauverschiebung des Lichtes vor uns.

Um den Winkel ϑB zu berechnen, unter dem der”Lichtstrahl“ dem be-

wegten Beobachter in seinem System S erscheint, benutzen wir die Beziehungfur px aus (3.17):

px =hνBc

cosϑB =hν0 cosϑ

c + v hν0c2√

1− β2.

Beide Seiten dieser Gleichung durch h/c dividiert ergibt:

νB cosϑB = ν0cosϑ+ v

c

1− β2; (3.19)

setzen wir nun νB aus (3.18) in (3.19) ein, so ergibt sich fur cosϑB endgultig:

cosϑB =cosϑ+ v

c

1 + vc cosϑ

, (3.20)

die Aberrationsgleichung, identisch wie bei der Ableitung (B.6a) mit Hilfe derWellengleichung.

Den anderen Fall, in dem sich die Lichtquelle in S mit der Geschwindig-keit v auf den ruhenden Beobachter in S zubewegt, konnen wir ganz formalabhandeln, indem wir in den Beziehungen (3.18) und (3.20) ν0 durch νB undv durch −v ersetzen:

νB = ν0

√1− β2

1− vc cosϑ

cosϑB =cosϑ− v

c

1− vc cosϑ

.

(3.21)

Auch hier erhalten wir fur den transversalen Fall (ϑ = 0◦) eine Blauverschie-bung.

Im Kap. 2.4.3 wurde die Invarianz des Impuls-Energie-Vektors

E2 − p2 c2 = 0

122

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3.2. Vierervektoren

fur den Fall der Lichtausbreitung abgeleitet, was gleichbedeutend ist mit derAussage, daß dieser Energie-Impuls-Vektor im bewegten wie im unbewegtengleich ist. Damit laßt sich auch die oft gestellte Frage beantworten, ob bei demDoppler-Effekt die Energie erhalten bleibt; oder ob vielmehr bei der Rotver-schiebung Energie verlorengeht oder ob bei Blauverschiebung welche gewon-nen wird. In der Speziellen Relativitatstheorie gilt die Energieerhaltung derklassischen Mechanik nicht, sondern es muß, wie oben gezeigt, der Energie-Impuls-Vektor betrachtet werden, der nach (2.36c) auf Seite 91 invariant ist.

3.2.4 Energie- und Impulserhaltung

Im Kapitel 3.2.2 wurde der Impuls als Vierervektor eingefuhrt (3.14b)

P = (E

c,p), ,

dabei bedeutet P den Viererimpuls und p den (dreidimensionalen) raumlichenAnteil. Explizit ausgeschrieben in die vier Komponenten des Vektors hat erfolgende Form:

P0 =E

c

P1 = m0

ux√1− ( vc )2

P2 = m0

uy√1− ( vc )2

P3 = m0

uz√1− ( vc )2

.

(3.22)

Die Geschwindigkeit v ist auch hier wieder

v = |u| =√

(ux)2 + (uy)2 + (uz)2 .

Fur das Quadrat des Viererimpulses P ·P ergibt sich nach (3.9a) (es wird furzeitartige Vektoren gemaß (3.4) ε = −1 gesetzt):

P ·P = −E2

c2+ p · p

und wenn wir den Wert des Quadrates des Viererimpulses ausrechnen, ergibtsich die schon aus dem Kapitel 2.4.3 bekannte Gleichung

E2 − p · p · c2 = m20 c

4 . (3.23)

Betrachten wir separat den raumlichen Anteil p des Viererimpulses, so konnenwir ihn auch schreiben als

p =m0√

1− ( vc )2· u ,

123

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Kapitel 3. Minkowskis vierdimensionale Welt

beide Seiten obigen Ausdrucks mit c2 multipliziert ergibt

p · c2 =m0 c

2√1− ( vc )2

· u = E · u

E ist dabei die (Ruhe- und kinetische) Energie des bewegten Teilchens. Furden Vektor der Geschwindigkeit u ergibt sich schließlich

u = p · Ec2. (3.24)

Die letzte Gleichung zeigt, daß der Impuls p parallel zur Geschwindigkeit uorientiert ist.

Die Bedeutung der Gleichung (3.23) zeigt sich insbesondere bei Experimen-ten mit Systemen von Teilchen im atomaren Bereich, bei denen Stoße oder an-dere Wechselwirkungen auftreten, denn bei diesen Vorgangen bleiben fur alleBeobachter die Gesamtenergie sowie der Gesamtimpuls sowohl fur materielleTeichen als auch fur Photonen erhalten. Die Begriffe

”Gesamtimpuls“ als auch

insbesondere”Gesamtenergie“ bedurfen hier noch genauere Betrachtung. Be-

zeichnen wir im Folgenden mit Egesamt die Gesamtenergie und mit pgesamt denGesamtimpuls des Systems, dann gilt

1. die Summe aller Energien vor der Wechselwirkung/Stoß ist gleich derSumme der Energien danach:

Evorgesamt = Enach

gesamt ; (3.25a)

2. der Gesamtimpuls vor der Wechselwirkung/Stoß ist gleich dem Gesam-timpuls nach dem Stoß:

pvorgesamt = pnach

gesamt , (3.25b)

(der Gesamtimpuls vor dem Stoß ist als Vektor die Resultierende (=Vek-torsumme) der einzelnen Impulsvektoren; wenn die Erhaltung des Ge-samtimulses gilt, dann muß die Resultierende (=Vektorsumme) der ein-zelnen Impulsvektoren nach dem Stoß in Betrag und Richtung identischsein mit dem Gesamtimpulsvektor vor dem Stoß);

3. fur ein System von Teilchen gilt gleichermaßen die Gleichung (3.23):

(Egesamt)2 − c2 · (pgesamt · pgesamt)

2 = (mgesamt0 )2 · c4 (3.25c)

Die Große mgesamt0 ist die gesamte Ruhemasse des betrachteten Systems.

Diese Beziehung eignet sich hervorragend, um Impuls-, Energie- oderauch Massenwerte eines Systems zu ermitteln.

Bei den obigen Angaben ist folgendes zu berucksichtigen: der Begriff”Wech-

selwirkungen“ umfaßt z.B. Teilchenerzeugung oder -vernichtung,Teilchenum-wandlung, Stoße unterschiedlichster Art, Zerfalle etc. Bei den Ruhemassen

124

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3.2. Vierervektoren

gilt, daß die Ruhemasse des Gesamtsystems sich nicht aus der Summe der Ru-hemassen der am System beteiligten Einzelteilchen ergibt, sondern mit Hilfeder Gleichung (3.25c) berechnet werden muß. Was die Energie E anbetrifft, soist bei der Anwendung der Formel (3.25c) zu berucksichtigen, daß alle Artenvon beteiligten Energien in die Gesamtenergie mit einbezogen werden mussen,also Ruhe- und kinetische Energie der Teichen, Photonenenergie, elektrischeEnergie etc. Im Anhang – im Kap. B.7 auf Seite 147 – wird am Beispieldes Compton-Effektes eine Anwendung des bisher Beschriebenen im Detaildurchgefuhrt.

125

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Anhang A

Berechnungen fur Kap. 1

A.1 Inertialsysteme auf der Erde

In Kap. 1.1 wurde beschrieben, daß man trotz der Rotation der Erde – ei-ne ungleichformige, d.h. beschleunigte Bewegung – durchaus Experimente zuInertialsystemen machen kann, da die Abweichung von der geradlinigen Be-wegung durch die Rotation vernachlassigbar gering ist. Das wollen wir nunhier auch noch rechnerisch nachweisen. Bei dem Experiment zum Inertialsy-

Abbildung A.1: Zur Berechnung der Abweichung von der geradlinigen Bewegung hervor-gerufen durch die Erdrotation bei Experimenten zu Inertialsystemen; Erlauterung im Text.

stem und zum Tragheitsgesetz bewege sich eine Kugel reibungslos geradlinigmit gleichmaßiger Geschwindigkeit von 1 Meter pro Sekunde auf einem ebenTisch von 4 Meter Lange. Die Richtung der Bewegung erfolge in Ost-West-Richtung. Die Bahn der Kugel beschreibt in Wahrheit nicht eine Gerade vonA nach B, sondern folgt der Erdrotation und kommt beim Punkt C an, wiein Abb. A.1 – stark ubertrieben – dargestellt ist. Die Abweichung von derGeraden ist die Lange der Strecke BC = ∆. Um diese Abweichung berechnenzu konnen, mussen wir zunachst die Winkel in Abhangigkeit vom Winkel α

126

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A.1. Inertialsysteme auf der Erde

bestimmen

β = 90◦ − α

2; γ =

α

2; δ = 90◦ +

α

2; ε = 90◦ − α

In dem schiefwinkligen Dreieck ABC gilt der Tangentensatz fur schiefwinkligeDreiecke

tan γ =∆ · sin δ

s−∆ · cos δ

obige Formeln fur die Winkel eingesetzt ergibt dann

tanα

2=

∆ · sin(90◦ + α2 )

s−∆ · cos(90◦ + α2 )

=∆ · cos α2

s+ ∆ · sin α2

α ist ein sehr kleiner Winkel, so daß wir die Winkelfunktionen in Reihe ent-wickeln und nach dem ersten Glied abbrechen konnen. So erhalten wir schließ-lich

α

2=

s+ ∆ · α2

Diese Beziehung konnen wir nach ∆ auflosen und unter Vernachlassigung derquadratischen Anteile in α erhalten wir schließlich

∆ = s · α2

Fur die Lange der Kreissehne s aus Abb. A.1 gilt die Beziehung

s = 2r · sin α2

hier berucksichtigen wir wieder die Tatsache, daß α sehr klein ist und daß wirdaher die Reihenentwicklung der Sinusfunktion nach dem ersten Reihengliedabbrechen konnen. Damit ergibt sich fur s

s = r · α

und schließlich fur ∆

∆ =s2

2r(A.2)

Bestimmen wir nun die konkreten Großenverhaltnisse. Wir nehmen an, daßder Versuch in unserer geographischen Breite durchgefuhrt wird, bei ungefahr50◦. Die Große r aus unserer Abb. A.1 errechnet sich mit der Erdradius R ≈6, 38 · 106 m zu

r = R · sin(90◦ − 50◦) ≈ R · 0, 64 ≈ 4 · 106 m

Fur die Lange der Sehne s in der Formel (A.2) konnen wir naherungsweise die4 Meter der Strecke ansetzen, die die Kugel rollt, und erhalten schließlich

∆ ≈ 2 · 10−6 m (A.3)

Der Einfluß der Erdrotation auf das Experiment zum Tragheitsgesetz ist dem-nach außerst gering und betragt nur ca. 2 Mikrometer auf 4 Meter Entfernung.

127

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Anhang A. Berechnungen fur Kap. 1

A.2 Invarianz der Beschleunigung

In den vorhergehenden Kapiteln, insbesondere bei der Beschreibung der Galilei-Transformation in Kap. 1.4 wurde immer wieder betont, daß die Gesetze derklassischen Mechanik invariant sind gegen Koordinatentransformationen, wasvor allen wichtig ist im Zusammenhang mit den Inertialsystemen. Dies wol-len wir nun hier zunachst am Beispiel rechtwinkliger Koordinatensystemenzeigen, die sich relativ zueinander in beliebiger Bewegung befinden konnen.Dazu betrachten wir zwei Bezugssysteme wie in Abb. A.2 dargestellt; daseine, S mit den x, y, z-Achsen, das andere – S(1) – mit den x(1), y(1), z(1)-Achsen. Ohne Einschrankung der Allgemeinheit konnen wir festlegen, daß diejeweiligen Koordinatenachsen zueinander parallel sind und auch unter der Be-wegung parallel bleiben (im Gegensatz zu der Abb. 1.3 auf Seite 7, wo dieKoordinatenachsen noch beliebige Orientierungen untereinander hatten); die

Abbildung A.2: Zum Nachweis der Invarianz der Beschleunigung bei Inertialsystemen;Erlauterung im Text.

x-Achse bleibt parallel zu x(1)-Achse usw. Die Lage des Punktes P relativ zuden beiden Bezugssystemen S und S(1) werden wir hier (im Gegensatz zu derAbb. 1.3) durch Ortsvektoren beschreiben. ~ra ist der Ortsvektor des PunktesP im System S, ~rr ist der Ortsvektor von P in S(1) und ~of ist der OrtsvektorKoordinatenursprungs von S(1) in bezug auf das System S (siehe Abb. A.2).Die Indizes

”a“,

”r“ und

”f“ bei den Ortsvektoren sollen auf die Ausgangs-, die

relative und die Fuhrungs-Bestimmung hindeuten (der Begriff”Fuhrung“ wird

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A.2. Invarianz der Beschleunigung

weiter unten deutlich werden).

Aus der Abb. A.2 wird sofort deutlich, daß der Ortsvektor ~ra die Vektor-summe von ~rf und ~rr ist:

~ra = ~of + ~rr (A.4)

oder in der Komponentendarstellung gemaß der Definition der Vektorsumme

x = x(O(1)) + x(1)(P )

y = y(O(1)) + y(1)(P )

x = z(O(1)) + z(1)(P )

(A.5)

Auf das System S bezogen, hat der Punkt P die Koordinaten (x, y, z). InWorten ausgedruckt konnen wir somit die Gleichungen (A.5) folgendermaßenformulieren: Die Koordinaten eines Punktes P relativ zu dem AusgangssystemS setzen sich additiv aus denen des Systems S(1) und denen des Koordinatenur-sprungs O(1) bezogen auf System S zusammen.

Differenzieren wir die Beziehungen (A.5) nach der Zeit, so erhalten wir dieAusdrucke fur die Geschwindigkeiten:

dx

dt=dx(O(1))

dt+dx(1)(P )

dt

dy

dt=dy(O(1))

dt+dy(1)(P )

dt

dz

dt=dz(O(1))

dt+dz(1)(P )

dt

(A.6)

Dabei sind dxdt ,

dydt ,

dzdt die Komponenten der Geschwindigkeit der Punktes P be-

zogen auf das Ausgangssystem S. Die Komponenten dx(1)(P )dt · · · beschreiben

die Relativgeschwindigkeit des Punktes P bezogen auf S(1) und die Geschwin-

digkeitskomponenten dx(O(1))dt · · · bestimmen die Geschwindigkeit des Koor-

dinatenursprungs O(1) von S(1) bezogen auf S. Man nennt diese Geschwin-digkeit auch Fuhrungsgeschwindigkeit, denn man kann sich den Punkt P indem Bezugssystem S(1) fixiert und mit dieser Geschwindigkeit relativ zu Smitgefuhrt denken (daher auch der Index

”f“ an den Vektoren). Die Kompo-

nenten der Geschwindigkeit bezogen auf das Ausgangssystem S setzen sichnach (A.6) additiv aus den Komponenten der Fuhrungsgeschwindigkeit undder Relativgeschwindigkeit zusammen. Benutzen wir die hier auch wieder dieVektorschreibweise fur die Geschwindigkeit ~v, so ergibt sich

~va = ~vf + ~vr (A.7)

Diese Beziehung ist nichts anderes als das Additionstheorem der Geschwin-digkeiten. Um die Beschleunigung zu berechnen, differenzieren wir die Kom-

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Anhang A. Berechnungen fur Kap. 1

ponenten der Geschwindigkeit aus (A.6) nochmals nach der Zeit und erhalten

d2x

dt2=d2x(O(1))

dt2+d2x(1)(P )

dt2

d2y

dt2=d2y(O(1))

dt2+d2y(1)(P )

dt2

d2z

dt2=d2z(O(1))

dt2+d2z(1)(P )

dt2

(A.8)

oder in der entsprechenden Vektorschreibweise fur die Beschleunigung ~b

~ba = ~bf +~br (A.9)

Die Vektoren der Beschleunigung setzen sich demnach auch additiv zusammen.In dem Spezialfall von Inertialsystemen, die eine gleichmaßige Translationsge-schwindigkeit besitzen, ist ~vf = const. und demnach ~bf = 0. In diesem, undnur in diesem Fall gilt die einfache Beziehung

~ba = ~br (A.10)

Die Beschleunigung ist demnach invariant gegenuber Inertialsystemen, was dieAussage begrundet, daß die Gesetze der Mechanik in allen Inertialsystemengleichermaßen gelten, denn letztendlich beruhen sie alle auf den drei Newton-schen Axiomen (siehe Kap. 1.1) und insbesondere auf dem Kraftgesetz unterder Voraussetzung der Konstanz der Masse.

In unserer bisherigen Betrachtung konnten wir die Gegebenheiten im Raum– reprasentiert durch die Koordinatensysteme – vollkommen losgelost von derZeit betrachten. Darin kommt zum Ausdruck, daß nach dem NewtonschenGrundsatz die absolute Zeit

”absolut und ohne Bezug auf irgendwelche Ge-

genstande“ ablauft, in unserem Falle sind alle Ereignisse in den beiden Be-zugssystemen gleichzeitig. Wie sieht dies nun aus, wenn wir die Bewegungeines Objektes bezogen auf zwei sich in beliebiger Bewegung befindlichenBezugssysteme in der Minkowskischen

”Welt“ betrachten? Wir konnen da-

zu auf die Darstellung zuruckgreifen, die wir im Kap. 1.4 uber die Galilei-Transformation in Abb. 1.7 auf Seite 12 benutzt haben. In der Abb. A.2 hat-ten wir angenommen, daß die Koordinatenachsen parallel sind, hier wollen wirohne Einschrankung der Allgemeinheit zusatzlich annehmen, daß auch die Ge-schwindigkeit ~vf parallel der x-Achse ist. Diese Annahme verfalscht nicht diegrundsatzlichen Ergebnisse, vereinfacht aber entscheidend die Darstellung alsauch die Formeln, indem wir so in dem xt-Raum bleiben und die Formeln derGalilei-Transformation (1.3) von Seite 12 leicht modifiziert benutzen konnen.Angepaßt an die Schreibweise der Formeln (A.5) erhalten wir (der Unterschiedhier ist, daß von vornherein eine Fuhrungsgeschwindigkeit vorhanden ist imGegensatz zu oben)

x = x(1) + |~vf | · ty = y(1)

z = z(1)

t = t(1)

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A.3. Invarianz von Entfernungen

Fur den Betrag der Geschwindigkeit ~vf schreiben wir im Folgenden vf , da nurihre x-Komponente relevant ist. Differenzieren wir nun die Gleichungen nachdt, um die Geschwindigkeit zu erhalten, so genugt es, nur die x-Komponente zuberucksichtigen; außerdem nehmen wir noch an, daß vf von der Zeit abhangt

dx

dt=dx(1)

dt+dvfdt

+ vf

va = vr + bf + vf

Dabei ist va ber Betrag der Geschwindigkeit bezogen auf das Bezugssystem Sund vr der bezogen auf S(1). bf ist der Betrag der Geschwindigkeitsande-rung (Beschleunigung) der Bewegung der Bezugssysteme. An diesen Aus-drucken sehen wir deutlich, daß das Additionstheorem der Geschwindigkeitenbei der Galilei-Transformation nur gilt, wenn die Fuhrungsgeschwindigkeit vfgleichmaßig ist, d.h. nicht von der Zeit abhangt. Differenzieren wir nochmalsnach dt, so erhalten wir den Ausdruck fur die Beschleunigungen

dvadt

=dvrdt

+dbfdt

+dvfdt

ba = br + bf +dbfdt

Haben wir eine gleichformige Fuhrungsgeschwindigkeit vf , so ist sowohl bf = 0

als auchdbfdt = 0 und wir haben wieder die Invarianz der Beschleunigung in

Inertialsystemen erhalten.

A.3 Invarianz von Entfernungen

Betrachten wir hier, wie sich der Abstand zweier Punkte in den beiden Be-zugssystemen, wie sie oben definiert wurden, verhalten. Betrachten wir dazudie Abb. A.3. Vom Ausgangssystem S sind ~pa und ~qa die Ortsvektoren zuden Punkten P resp. Q. ~pr und ~qr sind die entsprechenden Ortsvektoren vomBezugssystem S(1) aus. Der Ortsvektor des Koordinatenursprungs O(1) von Saus sei ~of . Der Abstand der beiden Punkte P und Q ist der Vektor ~s. DerVektor ~s bezogen auf das Bezugssystem S(1) ist

~s = ~pr − ~qr

Außerdem gelten die Vektorgleichungen

~pa = ~of + ~pr

~qa = ~of + ~qr

Die daraus resultierenden Gleichungen fur ~pr und ~qr in die obige Gleichungfur den Vektor ~s eingesetzt, ergibt

~s = ~pa − ~of − (~qa − ~of )

= ~pa − ~qa(A.11)

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Anhang A. Berechnungen fur Kap. 1

Abbildung A.3: Nachweis der Invarianz des Abstandes zweier Punkte in Inertialsystemen;Erlauterung im Text.

Damit ist gezeigt, daß Vektor des Abstandes der beiden Punkten sich bei die-ser Art von Koordinatentransformation nicht andert; er bleibt in Richtungund Betrag (Lange) gleich. Das gleiche gilt fur eine gleichformige und auchbeschleunigte Translation der beiden Koordinatensysteme gegeneinander.

Betrachten wir nun den Abstand der zwei Punkte in der Minkow-skischen Darstellung der

”Welt“ zweier gegeneinander mit konstanter Ge-

Abbildung A.4: Punktabstand

schwindigkeit v sich bewegender In-ertialsystemen S und S(1) – Galilei-Transformation. Man sieht, daß we-gen des Newtonschen Grundsatzesder absoluten Zeit die beiden Punk-te P und Q auf einer Parallelen zurx-Achse liegen und in den beidenInertialsystemen S und S(1) auchnoch zusammenfallen, wie in dernebenstehenden Abbildung darge-stellt. Wie sofort aus der Abbildungersichtlich, sind die Abstande in den

beiden Inertialsystemen x(1)(Q)x(1)(P ) und x(Q)x(P ) gleich, sie sind einfachentlang der x-Achse verschoben (das Parallelogramm der gestrichelten Lini-

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A.4. Der klassische Doppler-Effekt

en in der Abbildung). Raumliche Abstande sind Invarianten gegenuber derGalilei-Transformation.

A.4 Der klassische Doppler-Effekt

Zur quantitativen Berechnung der Frequenzanderung bei dem Doppler-Effektgreifen wir auf die Wellenfunktion des Lichtes (1.6) auf Seite 16 in Kap. 1.5.1zuruck und betrachten die beiden Falle

1. Der Beobachter bewegt sich mit der Geschwindigkeit v auf eine ruhendeLichtquelle zu und

2. die Lichtquelle bewegt sich mit der Geschwindigkeit v auf den ruhendenBeobachter zu.

Die ruhende Lichtquelle des ersten Falles sendet eine Lichtwelle mit derFrequenz ν0 in Richtung der x-Achse aus, deren Amplitude A(x, t) durch dieGleichung nach (1.6) gegeben ist (wir nehmen dabei an, daß das Maximumder Amplitude auf eins normiert ist)

A(x, t) = sin

[2π

(x

λ0− ν0t

)]Ohne Einschrankung der Allgemeinheit konnen wir hier die Phase ϕ = 0setzen; λ0 ist die Wellenlange der Strahlung. Um die Verhaltnisse des bewegtenBeobachters zu erhalten, mussen wir mit Hilfe der Galilei-Transformation aufsein (bewegtes) System transformieren. Wir nehmen hier auch an, daß sichder Beobachter auf der x-Achse mit der Geschwindigkeit v auf die Lichtquellezu bewegt. Wenden wir die Gleichungen der Galilei-Transformation (1.3) vonSeite 12 auf diesen Fall an, so erhalten wir fur die x(1)-Koordinate in dembewegten System (wir mussen hier v negativ nehmen, da der Beobachter sichauf die Lichtquelle zu bewegt!)

x(1) = x+ v t

Die anderen Koordinaten sowie die Zeit t bleiben, wie wir gesehen haben, beider Transformation unberuhrt. Im bewegten System des Beobachters stelltsich nun die Wellenfunktion wie folgt dar

A(1)(x(1), t) = sin

[2π

(x(1) − v t

λ0− ν0 t

)]mit einfachen Umformungen ergibt sich schließlich

= sin

[2π

(x(1)

λ0− t(ν0 +

v

λ0

)︸ ︷︷ ︸

νB

)]

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Anhang A. Berechnungen fur Kap. 1

νB ist die Frequenz, die der Beobachter von der Lichtquelle empfangt. Mitder Beziehung (1.5) auf Seite 16 erhalten wir schließlich die Formel fur denDoppler-Effekt unseres ersten Beispiels:

νB = ν0

(1 +

v

c

)(A.12)

Wenden wir uns nun dem zweiten Fall zu. Der ruhende Beobachter empfangtin seinem System eine Welle mit der Frequenz νB und der Wellenlange λB.Die Wellenfunktion lautet dann fur ihn

A(1)(x(1), t) = sin

[2π

(x(1)

λB− νBt

)]Fuhren wir hier auch wieder die Galilei-Transformation auf das System derbewegten Lichtquelle analog zu oben durch, so konnen wir fur ihre Wellen-funktion schreiben

A(x, t) = sin

[2π

(x+ v t

λB− νBt

)]mit analogen Umformungen wie oben ergibt sich schließlich

= sin

[2π

(x

λB− t(νB −

v

λB

)︸ ︷︷ ︸

ν0

)]

ν0 ist die Frequenz, die die (bewegte) Lichtquelle aussendet. Fur die FrequenzνB, die der ruhende Beobachter empfangt erhalten wir aus obiger Gleichungdann

νB =ν0

(1− vc )

(A.13)

A.5 Das Michelson-Morley-Experiment

Bei dem Michelson-Morley-Experiment werden entsprechend der Abb. 1.10 aufSeite 22 zwei zueinander senkrechte Strahlen zur Interferenz gebracht, einerparallel zur Richtung der Erdbewegung, der andere senkrecht dazu. Betrachtenwir zunachst den Strahl, der parallel zur Erdbewegung zum Spiegel 2 geht,dort reflektiert wird und anschließend mit dem anderen Lichtstrahl interferiert.Die Lichtgeschwindigkeit im Ather sei c, die Geschwindigkeit der Erde gegenden Ather sei v. Die Geschwindigkeit des Lichtes entgegen der Richtung derErdbewegung in der Anordnung des Experimentes (vom halbdurchlassigenSpiegel zum Spiegel 2) ist dann c+ v, auf dem Ruckweg ist sie c− v. Die Zeittp, die das Licht fur den Hin- und Ruckweg – insgesamt von der Lange 2d –benotigt, ist dann

tp = d

(1

c+ v+

1

c− v

)=

2 d c

c2 − v2

=2d

c· 1

1− β2

134

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A.5. Das Michelson-Morley-Experiment

Der Effekt ist also 2. Ordnung in β, also von so kleiner Großenordnung, daßdie Lichtlaufzeiten im 19. Jahrhundert nicht genau meßbar waren. Die einzigeexperimentelle Moglichkeit, solche Genauigkeiten zu erreichen, war der Ein-satz von Interferometermethoden, wofur man aber zwei Lichtstrahlen benotigt.Ihre Laufzeitdifferenz auf verschiedenden Wegen laßt sich dann mit der erfor-derlichen Genauigkeit nachweisen. Genau das ist das Prinzip des Michelson-Morley-Experimentes.

Der zweite Strahl, der fur die Interferenz erforderlich ist, lauft senkrechtzur Bewegungsrichtung der Erde zwischen dem halbdurchlassigen Spiegel undSpiegel 1 hin und her (siehe Abb. 1.10). Um die Zeit zu berechnen, die dieserLichtstrahl fur seinen Hin- und Ruckweg benotigt, beziehen wir uns auf dieAbb. A.5. Wahrend das Licht von dem Punkt A zum Spiegel 1 lauft, hat sich

Abbildung A.5: Lichtweg beim Michelson-Morley-Experiment senkrecht zur Bewegungs-richtung der Erde.

die Erde schon bis zu dem Punkt B weiterbewegt. Die Strecke von A zumSpiegel 1 ist also ct. In dieser Zeit hat sich A nach B mit der Geschwindig-keit v bewegt, die zuruckgelegte Strecke ist AB = vt. Wenden wir auf dasrechtwinklige Dreieck den Pythgoraischen Satz an, dann erhalten wir

c2t2 = d2 + v2t2

und nach einfachen Umformungen

t =d

c· 1√

1− β2

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Anhang A. Berechnungen fur Kap. 1

Fur den Ruckweg benotigt das Licht die gleiche Zeit, so daß die Zeit ts furden Strahlengang senkrecht zur Erdbewegung

ts =2d

c· 1√

1− β2

ist. Der Zeitunterschied der beiden Strahlen parallel und senkrecht zur Erd-bewegung ist damit

tp − ts =2d

c

(1

1− β2− 1√

1− β2

)Man kann nun die beiden Bruche wieder in Reihe entwickeln und nach denGliedern hoher als 2. Ordnung in β abbrechen, d.h. 1

1−β2 durch 1 + β2 und1√

1−β2durch 1 + 1

2β2 ersetzen. Mit dieser Naherung – Vernachlassigung von

β4 – erhalten wir also fur die Laufzeitdifferenz ∆t der beiden Strahlen

∆t =d

cβ2 (A.14)

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Anhang B

Berechnungen fur Kap. 2 undKap. 3

B.1 Bewegte Kugel

Denken wir uns eine starre Kugel in dem ruhenden System S mit dem Mit-telpunkt im Ursprung O Koordinatensystems und dem Radius R. Fur dieOberflache dieser Kugel gilt die Gleichung

x2 + y2 + z2 = R2

Stellen wir uns nun vor, wir befinden uns in dem bewegten System S(1) und sol-len von dort die Kugeloberflache vermessen. S(1) bewege sich mit gleichmaßigerGeschwindigkeit parallel zur x-Achse (genau wie wir es immer angenommenhaben) – dieses Beispiel hatte Einstein bereits in seiner Originalarbeit [14] ge-zeigt. Wie ergeben sich nun die Maße des ruhenden Objektes von dem beweg-ten System aus vermessen? Mit Hilfe der Formeln der Lorentz-Transformation(2.6a) laßt sich das bestimmen, wenn wir berucksichtigen, daß sich nur diex-Komponente transformiert:(

x√1− v2/c2

)2

+ y2 + z2 = R2 (B.1)

Vom bewegten System aus gemessen erscheint die Kugel als ein Rotationsel-lipsoid mit den Achsen

R ·√

1− v2/c2, R, R R

Die x-Dimension wir um den Faktor 1 :√

1− v2/c2 verkurzt. Der Effekt istumso großer, je hoher die Geschwindigkeit v ist; die y- und z-Dimensionenbleiben davon unberuhrt wie in der Abb. 2.14 auf Seite 53 fur zwei unter-schiedliche Werte von v dargestellt ist.

B.2 Der relativistische Doppler-Effekt

Im Gegensatz zu den Ausfuhrungen zum klassischen Doppler-Effekt in Kap.A.4 wollen wir fur den relativistischen Fall die Ausbreitung der ebenen Welle

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Anhang B. Berechnungen fur Kap. 2 und Kap. 3

nicht in Richtung der x-Achse, sondern in eine beliebige Richtung annehmen.Damit schreibt sich die Wellenfunktion mit der Frequenz ν0

A(~r, t) = sin[2π(~k ~r − ν0t)]

Wir nehmen auch an, daß das Maximum der Wellenamplitude auf eins nor-miert ist. ~k ist der Wellenvektor, auch Ausbreitungsvektor oder Wellennormalegenannt, der in Richtung der (positiven) Normalen der Ebene gleicher Phasezeigt; kurz gesagt, die Welle breitet sich in Richtung ~k aus. ~r ist der Radiusvek-

Abbildung B.1: Lage des Wellenvektors im Raum; Erlauterung im Text

tor eines beliebigen Punktes der Ebene gleicher Phase der Welle. In unseremBeispiel schließe der Wellenvektor mit der x-Achse den Winkel ϑ und mit derx,y-Ebene den Winkel ϕ ein, wie in Abb. B.1 dargestellt. Seine Komponentensind dann (siehe z.B. [28])

kx =cosϑ

λ0, ky =

sinϑ cosϕ

λ0, kz =

sinϑ sinϕ

λ0

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B.2. Der relativistische Doppler-Effekt

mit λ0 als Wellenlange. Fur die Wellenfunktion konnen wir also schreiben:

A(x, y, z, t) = sin

[2π

(x cosϑ+ y sinϑ cosϕ+ z sinϑ sinϕ

λ0− ν0 t

)]Wie bei der Ableitung des klassischen Doppler-Effektes wollen wir auch zweiFalle unterscheiden:

1. Der Beobachter bewegt sich mit der Geschwindigkeit v auf eine ruhendeLichtquelle zu und

2. die Lichtquelle bewegt sich mit der Geschwindigkeit v auf den ruhendenBeobachter zu.

Im ersten Fall ruht die Lichtquelle im Ursprung des in Abb. B.1 dargestelltenKoordinatensystems S. Das System des Beobachters S(1) bewegt sich parallelzur x-Achse mit der Geschwindigkeit v auf die Lichtquelle zu; die Achsen desSystems S(1) sind parallel zu den Achsen von S. Wollen wir nun bestimmen,wie die Welle aus Sicht des Beobachters in S(1) erscheint, so mussen wir dieGleichungen (2.6b) der Lorentz-Transformation anwenden; wir mussen aller-dings die Geschwindigkeit mit dem negativen Vorzeichen versehen, da sich derBeobachter auf die Lichtquelle zu bewegt. Fur die Wellenfunktion aus Sichtvon System S(1) erhalten wir, nachdem die Transformationsgleichungen ein-gesetzt wurden:

A(~r(1), t(1)) = sin

[2π

(cosϑ

λ0

(x(1) − v t(1))√1− v2/c2

+y(1) sinϑ cosϕ

λ0

+z(1) sinϑ sinϕ

λ0− ν0

t(1) − vc2x(1)√

1− v2/c2

)]Die (große) runde Klammer im obigen Ausdruck sortieren wir so um, daß dieAusdrucke mit x(1) und t(1) zusammengefuhrt sind:

(· · · ) = x(1) cosϑ+ vc

λ0

√1− v2/c2

+y(1) sinϑ cosϕ

λ0

+z(1) sinϑ sinϕ

λ0− ν0 t

(1) 1 + vc cosϑ√

1− v2/c2

Der Faktor bei t(1) ist nichts anderes als die im System S(1) beobachtete Fre-quenz der Welle

νB = ν01 + v

c cosϑ√1− v2

c2

(B.2)

fur den Fall, daß sich der Beobachter auf die ruhende Lichtquelle zu bewegt.

Betrachten wir nun den zweiten Fall, d.h. die Lichtquelle bewegt sichmit der Geschwindigkeit v auf den Beobachter zu. Der Beobachter empfangtin seinem (ruhenden) System S eine Welle mit – aus seiner Sicht – der Frequenz

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Anhang B. Berechnungen fur Kap. 2 und Kap. 3

νB und der Wellenlange λB. Die Wellenfunktion im bewegten System lautetdann

A(~r(1), t(1)) = sin

[2π

(x(1) cosϑ+ y(1) sinϑ cosϕ+ z(1) sinϑ sinϕ

λB+νB t

(1)

)]Mit Hilfe der Beziehungen der Lorentz-Transformation (2.6a) konnen wir wie-der bestimmen, wie Welle in dem System des (ruhenden) Beobachters aussieht(wir mussen auch hier das negative Vorzeichen der Geschwindigkeit v beruck-sichtigen):

A(~r, t) = sin

[2π

(cosϑ

λB

(x+ v t)√1− v2/c2

+y sinϑ cosϕ

λB

+sinϑ sinϕ

λB− νB

t+ vc2x√

1− v2/c2

)]Wir formen den Ausdruck analog zu dem ersten Fall um und erhalten (Vor-sicht Vorzeichen!) nach einfachen Zwischenrechnungen fur die (große) rundeKlammer:

(· · · ) = xcosϑ− v

c

λB√

1− v2/c2+y sinϑ cosϕ

λB

+z sinϑ sinϕ

λB− νB t

1− vc cosϑ√

1− v2/c2

Der Faktor bei t in obiger Formel ist die Frequenz ν0, die die bewegte Licht-quelle aussendet; damit erhalten wir die Beziehung fur die im ruhenden Systembeobachtete Frequenz νB

νB = ν0

√1− v2

c2

1− vc cosϑ

(B.3)

In der Folge wollen wir zwei wichtige Falle des relativistischen Doppler-Effektesgenauer untersuchen, werden dafur aber die Situation etwas vereinfachen. Wirnehmen an, die ebene Welle breite sich nur in der x,y-Ebene aus, d.h. derWinkel ϕ = 0.

Der longitudinale Doppler-Effekt ist dadurch gekennzeichnet, daß sichdie ebene Welle senkrecht zur x,y-Ebene parallel zur x-Achse ausbreitet. Dasbedeutet, daß ϑ = 0 ist. Die Komponenten des Wellenvektors sind daher

kx =1

λ0, ky = 0, kz = 0

Betrachten wir zunachst den ersten Fall, bei dem sich der Beobachter mit derGeschwindigkeit v der Lichtquelle nahert, so setzen wir die Bedingung fur ϑin (B.2) ein und erhalten:

νB = ν01 + v

c√1− v2

c2

140

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B.2. Der relativistische Doppler-Effekt

Berucksichtigen wir den folgenden Zusammenhang:

1 + vc√

1− v2

c2

=

√1 + v

c

√1 + v

c√1 + v

c

√1− v

c

so ergibt sich schließlich

νB =

√1 + v

c

1− vc

(B.4a)

Fur den zweiten Fall – die Lichtquelle bewegt sich auf den ruhenden Beobach-ter zu – erhalten wir aus (B.3)

νB = ν0

√1− v2

c2

1− vc

und mit den analogen Umformungen wie im vorhergehenden Fall

νB = ν0

√1 + v

c

1− vc

(B.4b)

Beide Effekte sind nicht nur qualitativ – es ergibt sich jeweils eine Blauver-schiebung – sondern auch quantitativ identisch. Im klassischen Doppler-Effekthatte sich ein Unterschied im Ergebnis beider Falle gezeigt, wenn auch sehrgering, so doch im Falle von Schallwellen durchaus nachweisbar. Im Kapitel1.5 hatten wir schon darauf hingewiesen, daß als Grund fur das merkwurdigeResultat bei den Schallwellen eigentlich drei Inertialsysteme vorhanden sind:die Schallquelle, der Beobachter und die ruhende Luft als Tragermedium derSchallwellen. Im klassischen Fall des (optischen) Doppler-Effektes ist auch im-mer der Ather als Trager der elektromagnetischen Wellen im Spiel. Im Falledes relativistischen Doppler-Effektes aber gibt es keinen Ather mehr als Tragerder elektromagnetischen Wellen, beide Ergebnisse mussen demnach identischsein!

Bei dem transversalen Doppler-Effekt schreitet die Ebene Welle senk-recht zur x-Achse fort (ϑ = 90◦), d.h. der Wellenvektor ist in diesem Fall

kx = 0, ky =1

λ0, kz = 0

Im ersten Fall – Beobachter bewegt sich auf Lichtquelle zu – ergibt sich aus(B.2):

νB = ν01√

1− v2

c2

(B.5a)

und fur den zweiten Fall – Lichtquelle bewegt sich auf den Beobachter zu –erhalten wir aus (B.3)

νB = ν0

√1− v2

c2(B.5b)

141

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Anhang B. Berechnungen fur Kap. 2 und Kap. 3

Bei dem transversalen Doppler-Effekt ergeben sich demnach fur die beidenFalle unterschiedliche Ergebnisse. Der Unterschied ist in der Großenordnungβ2, wie man leicht durch Reihenentwicklung nachvollziehen kann. Außerdemerscheint die Ausbreitungsrichtung der Welle in beiden Fallen nicht nur inRichtung der (ursprunglichen) y-Achse, sondern hat, wie man an den obigenWellenfunktionen sehen kann, auch eine Komponente in x-Richtung; allerdingsmit unterschiedlichen Vorzeichen, je nach betrachtetem Fall.

Die Aberrationsgleichung zeigt die Richtungsanderung des Wellenvek-tors zwischen ursprunglicher und beobachteter Welle an. Betrachten wir hierzunachst den ersten Fall – der Beobachter bewegt sich mit der Geschwindig-keit v auf die ruhende Lichtquelle zu. Fur den Faktor bei der x(1)-Komponentenin der runden Klammer (· · · ) der transformierten Wellenfunktion konnen wirdann schreiben:

cosϑ+ vc

λ0

√1− v2/c2

=1

λBcosϑB

Der Ausdruck 1λB

cosϑB ist die x-Komponente der beobachteten ebenen Welle.Dividieren wir diese Gleichung durch (B.2) und berucksichtigen die Beziehungν λ = c, so erhalten wir fur die Aberrationsgleichung im ersten Fall:

cosϑB =cosϑ+ v

c

1 + vc cosϑ

(B.6a)

Diese Beziehung konnen wir mit Hilfe der Winkelfunktionen umformen, umden Sinus des Winkels ϑB zu erhalten

sinϑB =sinϑ

√1− v2

c2

1 + vc cosϑ

(B.6b)

und mit (B.6a) und (B.6b) bekommen wir dann auch noch den Tangens desWinkels ϑB

tanϑB =sinϑ

√1− v2

c2

cosϑ+ vc

(B.6c)

Fur den zweiten Fall – die Lichtquelle bewegt sich mit der Geschwindigkeit vauf den ruhenden Beobachter zu – konnen wir analog verfahren und erhaltenzunachst fur den Kosinus des Winkels ϑB

cosϑB =cosϑ− v

c

1− vc cosϑ

(B.7a)

Dieser Ausdruck hat die gleiche Form wie (B.6a) mit dem Unterschied, daßfur v das negative Vorzeichen angenommen wird (was sofort einleuchtend ist,denn die Verhaltnisse sind hier invers zum ersten Fall). Daher konnen wir sofortauch die Ausdrucke fur den Sinus und Tangens des Winkels hinschreiben

sinϑB =sinϑ

√1− v2

c2

1− vc cosϑ

(B.7b)

142

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B.3. Gesetz der Erhaltung der Masse

und

tanϑB =sinϑ

√1− v2

c2

cosϑ− vc

(B.7c)

B.3 Gesetz der Erhaltung der Masse

Das in Kap. 2.4.1 benutzte Gesetz der Erhaltung der Masse

m(v) +m(0) = M(v)

soll nun hier auch abgeleitet werden. Dazu folgen wir wieder Max Born ([4]S. 234) und nehmen an, daß, wie in der Fig. a der Abb. B.2 dargestellt, dieWachskugel A mit der Geschwindigkeit v auf die identische ruhende KugelB prallt und beide Kugeln zu einem vereinigten Objekt verschmelzen, dassich mit der Geschwindigkeit v in der gleichen Richtung wie v wegbewegt.Die identischen Massen der Kugeln m(A) = m(v) und m(B) = m(0) sollenvom Betrag der Geschwindigkeit abhangen, ebenso die Masse des vereintenObjektes M(v). Diesen Vorgang betrachten wir nun aus einem System S(1)

heraus, das sich senkrecht zur Richtung von v und v – in y-Richtung – mitder kleinen Geschwindigkeit u bewegt; das ist in Fig. b der Abb. B.2 darge-stellt. Zur Bestimmung der Geschwindigkeitskomponenten von v(1) und v(1) inS(1) konnen wir die Formeln fur die relativistische Addition der Geschwindig-keiten (2.21a) und (2.21b) anwenden, wobei wir darin allerdings die Achsenvertauschen mussen. Fur die gesuchten Komponenten ergibt sich also

Abbildung B.2: Unelastischer Stoß zweier Kugeln; Erlauterung im Text

v(1)x = vx ·

√1− u2

c2

1 +vy uc2

und v(1)y =

vy + u

1 +vy uc2

143

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Anhang B. Berechnungen fur Kap. 2 und Kap. 3

Die Kugeln fliegen alle im System S in der x-Richtung, d.h. in Richtung derGeschwindigkeiten v und v. Fur die y-Komponente der Geschwindigkeit v giltalso vy = 0 und obige Gleichungen vereinfachen sich:

v(1)x = vx ·

√1− u2

c2und v(1)

y = u

Die Geschwindigkeitskomponente vx in S ist entsprechend Fig. a demnachfur die Kugel A gleich v, fur Kugel B gleich null (sie soll ja ruhend sein) undfur das vereinte Objekt gleich v. Die Komponente vy ist fur alle drei gleich null.

Im System S(1) aber sind, wie aus Fig. b deutlich wird, die Geschwindig-keitskomponenten in x-Richtung

Kugel A : v(1)x = v ·

√1− u2

c2

Kugel B : v(1)x = 0

vereintes Objekt : v(1)x = v ·

√1− u2

c2

Die y-Komponente v(1)y ist hier, wie man ebenfalls aus der Fig. b ersehen kann,

fur alle drei Objekte gleich: v(1)y = u.

Die Massen hangen nur vom Betrag der Geschwindigkeit und nicht vonder Richtung ab. In dem bewegten System S(1) ist der Betrag (die Große) derGeschwindigkeiten v und v gegeben durch

|v(1)| = v(1) =

√(v

(1)x )2 + (v

(1)y )2

|v(1)| = v(1) =

√(v

(1)x )2 + (v

(1)y )2

Der Erhaltungssatz des Impulses fur die y-Komponente in dem System S(1)

lautet also

m(v(1)) · u+m(u) · u = M(v(1)) · u

Division beider Seiten dieser Gleichung durch den Betrag der Relativgeschwin-digkeiten u der Inertialsysteme ergibt:

m(v(1)) +m(u) = M(v(1))

Diese Beziehung muß fur jeden Wert von u gelten, auch fur den Wert u = 0.Fur diesen Fall erhalten wir dann die Gleichung fur das gesuchte Gesetz derErhaltung der Massen:

m(v) +m(0) = M(v)

144

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B.4. Invarianz des Eventvektors

B.4 Invarianz des Eventvektors

In Kap. 2.1.3 haben wir gezeigt, daß die Große

F = x2 − (ct)2 ≡ (x1)2 − (x0)2

in den 2-dimensionalen Koordinatensystemen S und S invariant ist. Da sich diebeiden anderen Raumkoordinaten x2 und x3 bei der Lorentz-Transformationnicht andern, ist F trivialer weise auch in der 4-dimensionalen Minkowski-Weltinvariant. Da der obige Ausdruck aber dem Quadrat x · x des Eventvektorsentspricht, konnen wir sagen, daß das Quadrat invariant ist.

Ahnlich einfach gestaltet sich der Beweis der Invarianz des Skalarproduktszweier Eventvektoren x1 und x2. Dazu machen wir aber einen Umweg. Wennbeides Eventvektoren sind, dann ist die Summe beider Eventvektoren eben-falls ein Eventvektor, denn er stellt auch einen raum-zeitlichen Abstand vomKoordinatenursprung dar. Betrachten wir zum Beweis der Invarianz des Ska-larproduktes den Ausdruck

(x1 + x2)2 = (x1)2 + 2 · x1 · x2 + (x2)2

Nun ist die linke Seite des obigen Ausdruckes invariant, auch (x1)2 und (x2)2

sind es, also muß auch das Skalarprodukt x1 ·x2 invariant sein, wie zu beweisenwar.

B.5 Zur Vierergeschwindigkeit

Um die Aussage aus Kap. 3.2.1 zu beweisen, daß die durch Ableitung des Vie-rervektors x nach der Zeit t bestimmte Geschwindigkeit keinen Vierervektorergibt, greifen wir auf den in Kap. 3.2 entsprechend (3.8) definierten Ortsvek-tor x zuruck:

x = (ct, x, y, z)

Als Vierervektor gehorcht er der Lorentz-Transformation, wonach wir fur dieKomponenten in dem bewegten Inertialsystem S schreiben konnen (wir benut-zen hier wieder die konventionelle Schreibweise fur die x-, y-, und z-Koordinaten):

ct = k · (ct− βx)

x = k · (−βct+ x)

y = y

z = z

mit folgenden Abkurzungen zur Vereinfachung der Formeln:

k =1√

1− β2und β =

v2

c2

Differenzieren wir die erste Gleichung der Lorentz-Transformation nach t undberucksichtigen die Kettenregel, so erhalten wir:

d

d t(c t) = c =

d

d t(k · (ct− βx)) =

d

dt(k · (ct− βx)) · dt

d t= k · (c− βx)) · dt

d t

145

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Anhang B. Berechnungen fur Kap. 2 und Kap. 3

uns schließlichdt

d t=

1

k

(1− v vx

c2

)Damit konnen wir fur die restlichen drei Gleichungen nach dem identischenSchema die Ableitung nach t und erhalten:

vx = k(−βc+ vx)dt

d t=

k(−v + vx)

k(1− v vx/c2)=

vx − v1− v vx/c2

vy = vydt

d t=

vyk(1− v vx/c2)

=vy√

1− β2

1− v vx/c2

vz = vzdt

d t=vz√

1− β2

1− v vx/c2

Diese Art der Transformation stimmt ganz und gar nicht mit der Lorentz-Transformation uberein, was zu zeigen war. Man beachte außerdem, daß die-se Gleichungen die gleiche Form haben, wie diejenigen, die bei dem Additi-onstheorem fur die Geschwindigkeiten in Kap. 2.2.3 auftreten, Gleichungen(2.21a) und (2.21a).

B.6 Zur Viererbeschleunigung

Fur die Beschleunigung, definiert als Ableitung der Geschwindigkeit nach derZeit, konnen wir (in Kurzform) schreiben

ai =d vidt· dtd t

i = x, y, z

Nutzen wir die in Kap. B.5 bestimmten Ausdrucke fur vi, so erhalten wir nacheinigen Umformungen:

ax =ax(1− β2)3/2

(1− v vx/c2)3

ay =ay + (axvy − vxay)(v/c2)

(1− vx/c2)3(1− β2)

az =az + (axvz − vxaz)(v/c2)

(1− vx/c2)3(1− β2)

Das ist eine Transformation, die, genau wie im letzten Kapitel, in keiner Wei-se den Regeln der Lorentz-Transformation entspricht. Um die konforme Be-schleunigung zu bekommen, mussen wir die Ableitung nach der Eigenzeit dτ

146

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B.7. Der Compton-Effekt

der Vierergeschwindigkeit v zugrunde legen. Dann konnen wir — wieder inder verkurzten Schreibweise — formulieren:

bi =dvi

dτ=

[d

dt

(ui√

1− v2

c2

)]dt

=ai(1− v2/c2)1/2 − ui(1/2)(1− v2/c2)−1/2(−2axux − 2ayuy − 2azuz)/c

2

1− v2/c2

dt

=ai(1− v2/c2) + ui(axux + ayuy + azuz)/c

2

(1− v2/c2)2

=ai

1− v2/c2+

(u · a)ui

c2(1− v2/c2)

Dies ist die Viererbeschleunigung, die sich dann auch entsprechend der Lorentz-Transformation verhalt.

B.7 Der Compton-Effekt

Im Jahr 1922 untersuchte Arthur Holly Compton (1882–1962) die Streu-ung von monochromatischen Rontgenstrahlen an Kristallen. Er stellte fest, daßdie gestreute Strahlung eine geringere Energie hatte, als die Ausgangsstrah-lung, ein Effekt, der sich mit der Wellennatur der Rontgenstrahlung nichterklaren ließ. Erst die Annahme, daß der Rontgenstrahl aus Photonen miteinem entsprechenden Impuls besteht, konnte eine Erklarung liefern – einezum damaligen Zeitpunkt durchaus eine revolutionare Behauptung. Qualita-tiv kann man sich die Vorgange beim dem Compton-Effekt anhand der Abb.B.3 klarmachen. Ein Photon mit dem Impuls pvor

Photon trifft auf das ruhende

Abbildung B.3: Der Compton-Effekt; Erlauterung im Text

Elektron e; nach dem Stoß wird das Photon um den Winkel ϕ von der ur-sprunglichen Richtung abgelenkt mit dem Impuls pnach

Photon, das Elektron erhalt

147

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Anhang B. Berechnungen fur Kap. 2 und Kap. 3

durch den Stoß einen Impuls pnache und bewegt sich abgelenkt um den Winkel

δ von der Richtung des Impulses des Photons vor dem Stoß.

Mit Hilfe des unter den oben genannten Punkten 1. bis 3. aus 3.25 aufSeite 124 gelingt es nun, den Compton-Effekt auch quantitativ zu beschrei-ben, wobei es vor allem darauf ankommt, die beschriebene Energie- oder dieWellenlangenanderung der Rontgenstrahlung zu spezifizieren. Im Folgendenmussen wir die Situation vor und nach dem Stoß separat betrachten:

Vor dem Stoß haben wir fur die Gesamtenergie und den Gesamtimpuls:

Evorgesamt = Energie(Photon) + Energie(Elektron)

= h ν0 +m0 c2

pvorgesamt =

h ν0c,

wobei m0 die Ruhemasse des Elektrons und h das Plancksche Wirkungs-quantum ist.

Nach dem Stoß ergibt sich fur die Gesamtenergie und den Gesamtimpulsentsprechen der obigen Punkten 1. und 2.:

Enachgesamt = Evor

gesamt = EnachElektron + Enach

Photon

EnachPhoton = Evor

gesamt − EnachElektron

h ν1 = h ν0 +m0 c2 −m0 c

2 k

k =1√

1− v2

c2

,

wobei v den Betrag der Geschwindigkeit des Elektrons nach dem Stoß bezeich-net. Die obige Beziehung fur die Energie des Photons formen wir um, damitdie Energie des Elektrons auf der linken Seite der Gleichung steht (der Grundwird weiter unten klar werden):

m0 c2 k = h (ν0 − ν1) +m0 c

2 . (B.8a)

Fur den Gesamtimpuls nach dem Stoß gilt das oben im Punkt 2. gesagte:

pvorgesamt = pnach

gesamt .

In der Abb. B.3 ist dargestellt, wie die Impulsvektoren nach dem Stoß zu-sammenhangen: der Impuls des Photons, der Impuls des Elektrons und derGesamtimpuls. Aus dem Dreieck eAB der Abbildung konnen wir diesen Zu-sammenhang quantitativ beschreiben, wenn wir berucksichtigen, daß die Langeder Strecke AB der Lange des Impulsvektors des Elektrons eC entspricht. Furdas Dreieck konnen wir den Kosinussatz anwenden und zwar so, daß wir LangeAB als Funktion der anderen und des Winkels ϕ ausdrucken. Mit ν1 als Fre-quenz des gestreuten Photons, m = m(v) = m0 · k die

”bewegte“ Masse und v

als Geschwindigkeit des gestreuten Elektrons ergibt sich:

(mv)2 =

(h ν0c

)2

+

(h ν1c

)2

− 2h2 ν0 ν1c2

cos ϕ . (B.8b)

148

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B.7. Der Compton-Effekt

Um das Quadrat der Impulsenergie E2 − p · p · c2 zu bestimmen, mussen wirden Ausdruck (B.8a), der der Energie entspricht, quadrieren:

m20 c

4 k2 = h2 ν20 + h2 ν2

1 − 2h2 ν0 ν1 +m20 c

4 + 2h (ν0 − ν1)m0 c2 , (B.8c)

den Ausdruck (B.8b), der den Impuls beschreibt, mit c2 multiplizieren:

m2 v2 c2 = (h ν0)2 + (h ν1)

2 − 2h2 ν0 ν1 cos ϕ . (B.8d)

und schließlich (B.8d) von (B.8c) subtrahieren:

m20 c

4 k2−m2 v2 c2 = −2h2 ν0 ν1 +m20 c

4 + 2h (ν0−ν1)m0 c2 + 2h2 ν0 ν1 cos ϕ .

Der Ausdruck auf der linken Seite der Gleichung laßt sich umformen zu:

m20 c

4 k2 −m2 v2 c2 = m20 c

4 1

1− v2

c2

− m0 c2

1− v2

c2

v2 c2 = m0 c4 ;

damit ergibt sich nach einfachen Umformungen die gesuchte Differenz derFrequenzen:

ν0 − ν1 =h ν0 ν1m0 c2

(1− cos ϕ)

oder in Wellenlangen ausgedruckt, was physikalischen Messungen besser ent-spricht:

λ1 − λ0 =h

m0 c(1− cos ϕ) . (B.9)

Die Große hm0 c

enthalt nur Naturkonstanten und wird als Compton-Wellen-lange Λ bezeichnet; sie ist eine universelle Konstante und ist charakteristischfur Teilchen der Ruhemasse m0. Fur Elektronen, wie in unserem Beispiel, hatsie z.B. den Wert:

Λ =h

m0 c= 2, 4263102389 · 10−12 m .

149

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Index

Aberration, 142Aberrationsgleichung, 71, 122, 142absolute Zeit, 1, 93absoluter Raum, 1, 14, 93Abstand, 131actio = reactio, 2Additionstheorem

Galileisches, 13, 129, 131relativistisches, 59, 70, 146

Ather, 3, 15, 18, 25, 53, 64, 69, 96, 141Ather, elastischer, 15, 25Ather, elektromagnetischer, 24, 25Athertheorie, 21, 39, 93, 94Atherwind, 20, 26Allgemeine Relativitatstheorie, 14, 81,

93, 107, 112, 118Alvager, T., 94Ampere, Andre Marie, 24Amplitude, 15Anschaulichkeit, 47Arbeit, 120Aristoteles, 2, 3Atomreaktor, 104Ausbreitungsvektor, 138Axiom, 2, 130

Beobachter, 46Beschleunigung, 3, 13, 14, 58, 83, 100,

129, 131bewegte Korper, 25bewegte Stabe, 50Bezugssystem, 3, 11, 128Bindungsenergie, 103Blauverschiebung, 19, 65, 67, 122, 123,

141Born, Max, 3, 4, 24, 29Brechungsindex, 21, 62, 69

Cedarholm, J. P., 24, 94

CERN, 94

Champeney, D. C., 95

clock postulate, 58

CODATA, 102

Compton, Arthur Holly, 147

Compton-Effekt, 125, 147

Compton-Wellenlange, 149

Computeranimation, 80

Computergrafik, 54

Coulomb, Charles Augustin de, 24

Coulomb-Kraft, 101

Descartes, Rene, 5

Dielektrizitatskonstante, 26

Dingle, Herbert, 26, 72

Doppler, Christian, 19

Doppler-Effekt, klassischer, 19, 25, 64,94, 133, 137

Doppler-Effekt, longitudinaler, 67, 122,140

Doppler-Effekt, relativistischer, 64, 76,79, 95, 123, 137

Doppler-Effekt, transversaler, 67, 141

Dynamik, 83

Ebene, 9

Eddington, Arthur Stanley, 71

Eichhyperbel, 92

Eichkurve, 13, 42, 48, 54, 89, 107

Eigenzeit, 44, 55, 98, 116

Eimerversuch, 14

Einstein, Albert, 11, 24, 28

Ekliptik, 10

Elastizitatstheorie, 18

Elektrizitat, 24

Elektrodynamik, 27, 88

Elektromagnetismus, 24

Elektronentheorie, 26, 28, 87, 100

150

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Index

Empfanger, 64Energieaquivalent, 102Energieerhaltung und Rotverschiebung,

123Entfernung, raum-zeitliche, 43, 110Erdanziehung, 8Ereignis, 9, 36, 41, 46Ereignisvektor, 113Event, 9, 34, 36, 43Eventvektor, 113Evolutionare Erkenntnistheorie, 93Expansion, 66

Fahrplan, 9Fallbeschleunigung, 8Falsifizierbarkeit, 93Fechner, Gustav Theodor, 106Feld, elektromagnetisches, 25FitzGerald, George Francis, 26, 53Fizeau, Armand-Hippolyte-Louis, 21Fizeau-Versuch, 19, 21, 25, 64, 69, 71Fluchtgeschwindigkeit, 66Foucaultsche Pendelversuch, 14Fresnel, Augustin Jean, 15, 18, 21, 25Fresnelscher Mitfuhrungskoeffizient, 21,

26, 69Fuhrungsgeschwindigkeit, 129, 131

Galilei, Galileo, 7, 13Galilei-Transformation, 13, 26, 30, 34,

39, 48, 50, 72, 83, 95, 128, 130,132, 133

Galvani, Luigi, 24Gamov, Georg, 74, 79Gedankenexperiment, 93Geometrie

Euklidische, 2, 43, 46, 107pseudo-Euklidische, 43, 91, 108

Geschwindigkeit, 11, 14, 115, 129Geschwindigkeitsanderung, 14, 131Gleichzeitigkeit, 11, 30, 34

relative, 34, 50universelle, 30

Global Positioning System, 99GPS, 99Gravitation, 98Grenzcharakter, 47Grenzgeschwindigkeit, 86

Hafele, J.C., 97Hafele-Keating-Experiment, 98Hall, David B., 71, 96Hertz, Heinrich Rudolf, 25Huygens, Christian, 13, 14Hypothesen, 93

Impuls-Energie-Vektor, 91, 122Impulsenergie, 92Impulssatz, 83Induktionserscheinung, 25Inertialsystem, 3, 10, 20, 28, 47, 58,

98, 110, 126, 128, 130Intensitat, 16Interferenz, 15, 16Interferenzstreifen, 17, 23Interferometer, 17, 23invariant, 3, 13, 128, 130Invarianz, 6Ives, H.E., 93Ives-Stilwell-Experiment, 93

Joos, Jakob Christoph Georg, 24, 94

Kamera, 77Kant, Imanuel, 93Kategorie

aposteriori, 93apriori, 93

Kaufmann, 86, 100Kausalgesetz, 62Keating, R. E., 97Kepler, Johannes, 2Kernfusion, 101Kernspaltung, 103Kernverschmelzung, 101Kinematik

klassische, 7, 30, 72relativistische, 30, 72

kinetische Energie, 87Kohlrausch, Rudolf Hermann Arndt,

25Kontraktionshypothese, 24Koordinatensystem

elliptisches, 6kartesisches, 4rechtwinkliges, 11, 128schiefwinkliges, 5, 12, 34

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Index

Koordinatentransformation, 6, 128Koordinatenursprung, 128Kopernikus, Nikolaus, 2Korpuskeltheorie, 15Kosmologie, 66kovariant, 3, 113Kovarianz, 6, 83Kraft, 3Kraftgesetz, 2, 19, 83, 130Kreissehne, 127kritische Masse, 104Kugel, 53, 74, 78, 137

Langenkontraktion, 51, 74Langenmessung, 11Laue, Max von, 62Leiter, bewegter, 25Leitfahigkeit, 26Leuchtkraft, 105Lichtablenkung, 93Lichtbrechung, 62Lichtgeschwindigkeit, 15Lichtlaufzeit, 54, 74Lichtweg, 31Lichtwelle, 65Linearbeschleuniger, 101longitudinal, 17Lorentz, Hendrik Antoon, 26, 28, 39,

53, 58, 87, 100Lorentz-FitzGerald-Kontraktion, 26, 28,

53Lorentz-Kontraktion, 50, 56, 72, 74,

82, 97Lorentz-Kraft, 119Lorentz-Transformation, 27, 34, 39, 50,

55, 91, 137, 139

Maßstab, 11Mach, Ernst, 24Maryland-Experiment, 99Masse, 13, 130Massenzahl, 103Materialkonstante, 25Maxwell, James Clerk, 24, 28Maxwellsche Feldgleichungen, 24, 25Mechanik, 1, 3Mechanik, klassische, 27, 28, 34, 62,

96, 115

Mechanik, statistische, 27Mechanikaxiome, 2Mesokosmos, 47, 50Michelson, Albert Abraham, 22Michelson-Morley-Experiment, 22, 26,

28, 53, 71, 94, 96, 134Miller, Dayton C., 94Minkowski, Hermann, 11, 130, 132Minkowski-Welt, 11, 31, 33, 39, 48, 61,

106Mitfuhrung, 21Mitfuhrung, teilweise, 25, 69Mitfuhrung, vollstandige, 25Mitfuhrungskoeffizient, 21Moßbauer-Effekt, 95Momentansignale, 30, 47Morley, Edward Williams, 22Myon, 100Myon-Experiment, 83Myonen, 71, 96

Nachkegel, 31Neutrino, 102Newton, Isaac, 1, 11, 29, 34, 93, 130,

132Nichtleiter, bewegter, 25Nullmeridian, 5

Ohm, Georg Simon, 24Ortsvektor, 128

Permeabilitat, 26Phasengeschwindigkeit, 62Photon, 92, 121Planck, Max, 1Planeten, 3Poincare, Henri, 27Polarisation, 17Polarkoordinaten, 5pp-Kette, 102Principia Mathemathica, 1Protonensynchrotron, 94

Quantenmechanik, 121

Radioimpuls, 64Raum, 29, 89

absoluter, 53Euklidischer, 11

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Index

Raum-Zeit-Diagramm, 10, 11, 31, 46,74

raumartig, 40Raumzeit, 46Rayleigh, Lord, 53Raytracing, 78Relativbewegung, 19Relativgeschwindigkeit, 13, 56, 129Relativitatsprinzip, 3, 28, 38, 63, 113Romer, Olaf Christensen, 15, 54Rossi, Bruno, 71, 96Rotationsellipsoid, 137Rotverschiebung, 19, 66, 68, 123Rotverschiebung und Energieerhaltung,

123Ruckwartslichtkegel, 31, 40, 74Ruheenergie, 88Ruhelange, 51, 52, 76Ruhemasse, 86, 87, 101Ruhesystem, 13, 116

Schallwellen, 17, 141Schwingungsdauer, 15Sender, 64Skalarprodukt, 113Spektralbereich, 62Stilwell, G.R., 93Stokes, George Gabriel, 18, 21Strahlverfolgung, 78Summenkonvention, 111Synchronisation, 30Synchrotron, 101

Tangentensatz, 127Teilchenbeschleuniger, 101Thermodynamik, 27Tragheit, 88Tragheitsgesetz, 2, 21, 127Tragheitskrafte, 14Transformationsmatrix, 111Translationsbewegung, 3Translationsgeschwindigkeit, 130transversal, 18

Uberlichtgeschwindigkeit, 62Uhr, 54, 56, 73, 115

synchron, 30, 50Uhren-Postulat, 58, 100

Uhrenparadoxon, 72, 99unelastischer Stoß, 84, 143Universum, 66unterkritische Masse, 104Unterlichtgeschwindigkeit, 62Uran, 104

Vektor, 109Vektorsumme, 129vierdimensional, 11Viererbeschleunigung, 117Vierergeschwindigkeit, 113, 115Viererimpuls, 118Viererkraft, 119Vierervektor, 113Visualisierung, 54Vollmer, Gerhard, 47Volta, Alessandro Giuseppe Antonio

Anastasio Graf von, 24Vorkegel, 31Vorwartslichtkegel, 31, 40Vorwartsstrahlung, 64, 70

Warmeenergie, 88Wasserstoffbrennen, 102Weber, Wilhelm Eduard, 25Welle, 15Wellenfunktion, 133, 138Wellenkopf, 62Wellenlange, 16Wellennormale, 138Wellentheorie, 14Wellenvektor, 138Welt, 11, 130, 132Weltather, 21Weltbild

geozentrisch, 2heliozentrisch, 2

Weltlinie, 8, 12, 43, 54, 59Weltpunkt, 36, 43, 54, 62Wirkungsquantum, 92, 121, 148

z-Wert, 66Zeit, 4, 13, 29, 89, 130

absolute, 58universelle, 11

zeitartig, 40Zeitdehnung, 56

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Index

Zeitdilatation, 54, 55, 64, 72, 93, 96Zeitsignal, 32Zwillingsparadoxon, 72, 99Zylinderkoordinaten, 6

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