Spiegel: Doktor der Reserve

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D as Werk, das den Star der deut- schen Politik sein Amt kosten kann, heißt „Verfassung und Ver- fassungsvertr ag“, 475 Seiten für 88 Euro, ein stolzer Titel und ein stolzer Preis. Er- schienen ist es in einem Fachverlag mit Renommee, bei Duncker & Humblot, den Buchumschlag ziert ein schmuckes Blau. Unten auf der Seite prangt das Wappen des Verlags, es zeigt einen Adler und zwei lateinische Wörter. „Vincit veritas“: Die Wahrheit siegt. Bei Karl-Theodor zu Guttenbergs Dis- sertation war das leider nicht so, jeden- falls nicht beim Verfassen. Die Stunde der Wahrheit kommt erst jetzt, fünf Jahre nach der Abgabe. Am Mittwoch der ver- gangenen Woche berichtete die „Süddeut- sche Zeitung“, dass der Bremer Rechts- wissenschaftler Andreas Fischer -Lescano Guttenber gs Arbeit einer Prüfung unter- 8/2011 20 Minister Guttenberg Doktor der Reserve Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat große Teile seiner Dissertation aus anderen Texten entnommen, ohne das kenntlich zu machen. Wenn er seinen Doktortitel abgeben muss, wäre er als Regierungsmitglied kaum noch zu halten. Titel

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Das Werk, das den Star der deut-schen Politik sein Amt kostenkann, heißt „Verfassung und Ver-

fassungsvertrag“, 475 Seiten für 88 Euro,ein stolzer Titel und ein stolzer Preis. Er-schienen ist es in einem Fachverlag mitRenommee, bei Duncker & Humblot, den

Buchumschlag ziert ein schmuckes Blau.Unten auf der Seite prangt das Wappendes Verlags, es zeigt einen Adler und zweilateinische Wörter. „Vincit veritas“: DieWahrheit siegt.

Bei Karl-Theodor zu Guttenbergs Dis-sertation war das leider nicht so, jeden-

falls nicht beim Verfassen. Die Stundeder Wahrheit kommt erst jetzt, fünf Jahrenach der Abgabe. Am Mittwoch der ver-gangenen Woche berichtete die „Süddeut-sche Zeitung“, dass der Bremer Rechts-wissenschaftler Andreas Fischer-LescanoGuttenbergs Arbeit einer Prüfung unter-

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Minister Guttenberg

Doktor der ReserveVerteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat große Teile seiner Dissertation

aus anderen Texten entnommen, ohne das kenntlich zu machen. Wenn erseinen Doktortitel abgeben muss, wäre er als Regierungsmitglied kaum noch zu halten.

Titel

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zogen habe, mit dem Ergebnis: stellen-weise „ein dreistes Plagiat“.

Seither läuft im Internet eine muntereRallye, eine Jagd nach abgekupferten

Stellen. Wissenschaftler und sonst wie Be-rufene lassen Guttenbergs Dissertationdurch Suchmaschinen laufen und vermel-den die Ergebnisse auf der HomepageGuttenPlag Wiki. Bis zum Freitagabendwaren über 180 Stellen gefunden. DieRichtigkeit ist nicht verbürgt. Die SPIE-GEL-Dokumentation hatte bis Freitag-abend 62 Stellen gefunden.

Ist der Freiherr also ein Freibeuter desWissens? Einer, der anderer Leute Ge-danken gekapert und unter eigener Flag-ge verbreitet hat? Die Beweise sind er-drückend.

Nach SPIEGEL-Informationen hat Gut-tenberg auch die WissenschaftlichenDienste des Bundestags für sich arbeitenlassen. Es gibt weiterhin den Verdacht,

dass er die Arbeit nicht selbst verfassthat, dass es einen Ghostwriter gab. Kol-legen von ihm tuscheln darüber, aber ei-nen Beleg gibt es nicht.

Schon jetzt ist die Glaubwürdigkeit desVerteidigungsministers schwer angeschla-gen. Die Universität Bayreuth, wo er pro-moviert hat, gibt ihm zwei Wochen Zeitfür eine Erklärung. Was will er da sagen?Schlamperei kann bei so vielen Fällenkein Argument sein. Bei der Staatsanwalt-schaft Bayreuth ist bereits eine Straf-anzeige gegen Guttenberg eingegangen,wegen Verdachts des Verstoßes gegen dasUrheberrecht. Es kommt ziemlich dickefür den Minister.

Ausgerechnet Guttenberg. Er ist derPolitiker, der als besonders ehrlich, auf-richtig und authentisch galt. Im „Ehrlich-keitsranking“ des Wissenschaftlers HorstOpaschowski belegte er von allen aktivenPolitikern den besten Rang. Emnid hatte

im September 2010 ermittelt, dass 67 Pro-zent der Deutschen Guttenberg für glaub-würdig hielten, 69 Prozent für geradlinig.Seit längerem war er der beliebteste Po-

litiker in Deutschland, 79 Prozent wolltenihn in einer wichtigen Rolle sehen. Undmit einem Mal wirkt alles wie das Mär-chen vom ehrlichen Karl.

Deshalb geht es im Fall Guttenberg umviel mehr als um die Frage, ob er betro-gen hat und deshalb zurücktreten muss.Wenn Guttenberg ein Rosstäuscher ist,dann geht die letzte politische Hoffnungvieler Bürger dahin, dann könnte das Ver-trauen in die Politik weiter schwinden.Diese Verantwortung trägt er, damit musser jetzt umgehen.

In die Aufregung um die Doktorarbeitplatzte am Freitag die Meldung, dass einafghanischer Soldat auf Kameraden derBundeswehr geschossen hat. Bis zumAbend starben drei Deutsche, sechs wei-

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THOMAS PETER / REUTERS (L.), TOBIAS KLEINSCHMIDT / DPA (R.)

 „Meine von mir verfasste Dissertation ist 

kein Plagiat, und den Vorwurf weise ich mit 

allem Nachdruck von mir.“ 

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tere waren schwer verletzt. Auf einmalwirkte die Frage, ob der Minister abge-schrieben hat oder nicht, sehr klein undunwesentlich. Im Angesicht des Todes istalles eine Nebensache. Doch für denpolitischen Alltag Deutschlands bleibt eseine wichtige Frage, ob Guttenberg der

Verteidigungsminister bleiben kann.Bislang hat er nur angekündigt, dass er

seinen Doktortitel vorübergehend nicht tra-gen will, also gleichsam zum Doktor derReserve wird. Und er hat gesagt, dass erdie Arbeit „nach bestem Wissen und Ge-wissen“ erstellt habe, er selbst und kein an-derer. Fehler räumt er ein, aber den Vor-wurf des Plagiats weist er „mit allem Nach-druck“ von sich. Die Arbeit sei „über etwasieben Jahre neben meiner Berufs- und Ab-geordnetentätigkeit als junger Familienva-ter in mühevollster Kleinarbeit entstanden“.Doch angesichts der Fülle und Schwere derBelege fragt sich, was für ein Wissen undGewissen da zur Geltung kamen.

Wenn Guttenberg bislang in Schwierig-keiten geraten war, hat er immer einen

Schuldigen gefunden. Bei der Kunduz-Af-färe traf es den Generalinspekteur der Bun-deswehr und einen Staatssekretär, bei der„Gorch Fock“-Affäre den Kommandanten.Jetzt ist da niemand, den er entlassen könn-te. Diese Affäre verantwortet er allein, undwenn es richtig eng wird, gibt es nur einen

Rücktritt, der irgendetwas lösen oder hei-len könnte: seinen eigenen.

Der Ministerialrat Dr. Dr. Ulrich Tamm-ler von den Wissenschaftlichen Dienstendes Bundestags hat für den AbgeordnetenGuttenberg, ohne es zu wissen, viele Sei-ten geschrieben. Am 13. Mai 2004 beendetder Ministerialrat aus dem Fachbereich III„Verfassung und Verwaltung“ Rechercheund Niederschrift und gibt unter der Re-gisternummer WF III-100/04 seine Arbeitan Guttenbergs Büro. Das ungewöhnlicheThema der Arbeit: „Die Frage nach einemGottesbezug in der US-Verfassung und dieRechtsprechung des Supreme Court zurTrennung von Staat und Religion“.

Der Ministerialrat hat so gut gearbeitet,dass Guttenberg nicht viel zu redigieren

hat. Er streicht ein paar Zeilen, tauschthier mal das Wort „Begriff“ gegen dasWort „Bezug“ aus, fügt dort mal ein „frei-lich“ ein, ändert ein „teilweise“ in ein „zu-weilen“ und macht aus dem „oberstenBundesgericht“ den „Supreme Court“. Ei-ne der inhaltlich gewichtigsten Änderun-

gen nimmt er gleich zu Beginn des Kapitelsvor. Dort ersetzt er das Wort „Geld“ durch„Münzen und Geldscheine“. Wort umWort, Fußnote um Fußnote, Absatz um Ab-satz geht die gesamte Arbeit von Dr. Dr.Tammler in Guttenbergs Doktorarbeit ein.

Der wahre Autor wird namentlich in kei-ner von Guttenbergs Quellenangaben zi-tiert. Lediglich die WissenschaftlichenDienste erwähnt Guttenberg auf Seite 391seiner Arbeit. „Vergleiche auch eine im Auf-trag des Verfassers entwickelte Ausarbei-tung der Wissenschaftlichen Dienste desDeutschen Bundestages vom 13. Mai 2004“,steht da unter der Fußnote 83 vermerkt.

Damit verstößt der Abgeordnete Gut-tenberg nicht nur gegen die guten Sitten.Die rund 60 Gutachter der Wissenschaft-

Titel

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E pluribus unum – Aus vielem (m)einesBeispiele für Plagiate in Guttenbergs Dissertation „Verfassung und Verfassungsvertrag“  Abweichende Textstellen sind gefärbt

Beginn der Einleitung,

Guttenberg, Seite 15 „E pluribus unum“, „Aus vielem eines“ – so lautete das Motto, unter dem vor über 215 Jahren die amerikanischenStaaten zur Union zusammenfanden.Ein Motto, das programmatisch zuverstehen ist. Das Land, das wie keinanderes den Pluralismus auf seineFahnen geschrieben hat, eröffnet erst auf dieser einheitlichen, gemein- samen Basis den Spielraum für dieEntfaltung von Vielheit. Sich zu einer Nation zu vereinigen, die ursprüng- liche autonome Vielfalt gegen einenvon einer Zentralregierung gewährten

Pluralismus einzutauschen bedeutete indes Verzicht; die bisher unter losem Konföderationsdach weitgehend selbständigen Einzelstaatenmussten um des Gemeinsamen willen den Anspruch auf das Eigene zurückschrauben und . ..

Guttenberg, Seite 93

Das rechtsstaatliche Gebot, die Grundrechte als Beschränkung vonHoheitsrechten möglichst klar und verbindlich zu regeln, sollte sichletztlich als das stärkere Argument erweisen.

Das gilt in besonderem Maße für eine überstaatliche Gemeinschaft,die ihre zwangsläufig größere Bürgerferne überwinden und umVertrauen und Zustimmung ihrer Bürger werben muss.

Dörte Ratzmann:Der Konvent als verfassungsgebende Institution?Masterarbeit, Berlin 2003, S.9

Das rechtsstaatliche Gebot, die Grundrechte als Beschränkung von

Hoheitsrechten möglichst klar und verbindlich zu regeln, dürfte sichals stärkeres Argument erweisen.

Das gilt in besonderem Maße für eine überstaatliche Gemeinschaft,die ihre zwangsläufig größere Bürgerferne überwinden und um Zutrauen und Zustimmung ihrer Bürger werben muss.

Guttenberg, Seite 369

Eine wichtige Lehre aus dem Vergleich beider Verfassunggebungs-  prozesse ist, nicht von der Verfassung als absoluter und einziger Quelle einer stabilen Demokratie bzw. einer stabilen Ordnung der verfassten Einheit auszugehen.

Das in der jeweiligen Verfassungswirklichkeit demokratisch verfasster 

Länder gegebene Verhältnis von Markt, Parlamentarismus, Sozialstaat- lichkeit und den darin enthaltenen Chancen zu einer lebendigen Demo- kratie ist vielmehr von Faktoren abhängig, die über bloße Verfahrensre- geln hinausweisen: von der politischen Kultur, der Öffentlichkeit und vondem Bedürfnis der Bürger, in Freiheit und Frieden leben zu wollen.

Anonyme Hausarbeit, FU Berlin, Wintersemester 2002/03

Die vielleicht wichtigste Lehre ist, nicht von der Verfassung alsabsoluter und einziger Quelle einer stabilen Demokratiebzw. einer stabilen Ordnung der verfassten Einheit auszugehen.

Das in der jeweiligen Verfassungswirklichkeit demokratisch verfasster Länder gegebene Verhältnis von Markt, Parlamentarismus, Sozial- 

staatlichkeit und den darin enthaltenen Chancen zu einer lebendigenDemokratie ist vielmehr von Faktoren abhängig, die über bloßeVerfahrensregeln hinausweisen: von der politischen Kultur, der Öffentlichkeit und von dem Bedürfnis der Bürger, in Freiheit unter ihresgleichen leben zu wollen.

Eine Passage aus der Masterarbeit von Dörte Ratzman

 verwendet Guttenberg mit leichten Umformulierungen.

Mit einem fast unverän-

dert übernommenen Textder PolitikprofessorinBarbara Zehnpfennig –1997 in der „FAZ“ veröf-fentlicht – beginntGuttenberg die Einleitung.

Den Text einer Hausarbeit ergänzt Guttenberg durch kleine Zusätze.

Zehnpfennig 

    S    E    B    A    S    T    I    A    N

    W    I    D    M    A    N    N    /    D    A    P    D

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lichen Dienste sollen die Abgeordnetenbei ihrer Arbeit als Abgeordnete unter-stützen. „Der Deutsche Bundestag behältsich sämtliche Rechte an den Arbeitender Wissenschaftlichen Dienste vor. Ver-öffentlichung und Verbreitung bedürfengrundsätzlich der Zustimmung der Ab-

teilungsleitung“, steht unter 5.4 in denRichtlinien für den Dienst.Guttenberg hat also nicht nur abgekup-

fert, sondern mindestens einen Wissen-schaftler für sich arbeiten lassen. In derArbeit finden sich noch drei weitere der-artige Verweise auf Ausarbeitungen derWissenschaftlichen Dienste. Im Literatur-verzeichnis tauchen diese Texte jedochnicht auf. Dass er so weit gegangen ist,hat Andreas Fischer-Lescano nicht geahnt.

ICE 1617, Hamburg–Berlin, halb achtam Donnerstagabend im Speisewagen,der Mann, mit dem alles begann, sitzt aneinem Tisch. „Ich bin einfach neugieriggewesen, was ein Mann, dessen Arbeitbei sehr angesehenen Kollegen mit derBestnote bewertet worden ist, zu rechts-

politischen Fragestellungen zu sagen hat“,sagt Fischer-Lescano. Ihn interessiere der-zeit weniger die politische Zukunft Gut-tenbergs als das Problem für die Wissen-schaft. „Dass eine solche Arbeit an einerangesehenen deutschen Universität mitder Bestnote summa cum laude bewertet

wird, darf das Wissenschaftssystem nichthinnehmen. Wenn das das letzte Wort ist,ist es ein Verrat an der Wissenschaft undan all den Doktorandinnen und Dokto-randen, die unter schwierigen familiären,finanziellen, lebens- und arbeitsweltlichenBedingungen ihre Dissertationen schrei-ben und dabei seriös vorgehen.“

Wer in Deutschland eine Dissertationeinreicht, muss erklären, dass er sie ei-genständig und ohne fremde Hilfe erstellthat. Auch Guttenberg hat eine solche Ver-sicherung abgegeben, obwohl er selbstam besten wusste, dass sie nicht den Tat-sachen entsprach.

Nachdem Juristen, Software-Expertenund Plagiatsforscher eine Woche lang dasWerk des Ministers gefilzt haben, steht

fest: Guttenberg hat in seiner Doktorarbeitnicht nur vereinzelt Fremdautoren zitiert,ohne dies nach üblichem Verfahren in ei-ner Fußnote auszuweisen. Vielmehr hater sein Buch über viele Seiten absatzweiseaus den Arbeiten anderer zusammenmon-tiert, nach einer Art Baukastenverfahren.

Zu Guttenbergs unfreiwilligen Ghost-writern zählen Wissenschaftler wie dieheutige Passauer Politikprofessorin Bar-bara Zehnpfennig, der Duisburger Litera-turwissenschaftler Volker Steinkamp oderder Mannheimer Volkswirt Roland Vau-bel. Aber auch die Hausarbeit eines un-bekannten Studenten hat der Minister inseine Collage eingebaut, deren Einzelteilevor allem eines gemein haben: Alle Textestehen im Internet.

Meist übernimmt Guttenberg seineBausteine unverändert, manchmal sogarmitsamt ihren Rechtschreibfehlern. Mit-unter ändert er die Vorlagen leicht ab,fügt Anführungszeichen oder Füllwörterhinzu, formuliert Haupt- in Nebensätzeum oder ersetzt Wörter, die ihm nicht

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Rupert Scholz

Rechtsvergleichend wie rechtsgeschichtlich ist bei alledem zwischen einer formell wie institutionell eigenständigen Verfassungsgerichtsbarkeit, wie siedas BVerfG heute darstellt, und einer Verfassungsge- richtsbarkeit zu unterscheiden, die im Rahmen der allgemeinen bzw. sonstigen Gerichtsbarkeitenangesiedelt ist (implizite Verfassungsgerichtsbarkeit).

Guttenberg, Seite 313

Rechtsvergleichend wie rechtsgeschichtlich ist  zwischen einer formell wie institutionell eigenständigenVerfassungsgerichtsbarkeit, wie sie das Bundesverfas- sungsgericht heute darstellt, und einer Verfassungsge- richtsbarkeit zu unterscheiden, die im Rahmen der allgemeinen bzw. sonstigen Gerichtsbarkeiten angesie- delt ist (  „implizite Verfassungsgerichtsbarkeit “  ).

Wasser, Hartmut; USA: Politisches System.

In kontroversen Diskussionen und hart umkämpften Kompromissen entstand auf dem Verfassungskonvent in Philadelphia einneuer zukunftsweisender Föderalismus, dendie Verfassung so umriß:

• Die Einzelstaaten sollten sich wenigstens partiell zur „vollkommeneren Union“ (more perfect union) integrieren, das heißt, der  Zentralgewalt eine Anzahl genau festgelegter  Aufgaben und Kompetenzen zuerkennen;

• alle übrigen Befugnisse und Funktionenwürden pauschal bei den Ländern verbleiben;

• die unmittelbare Ausübung . . .

Guttenberg, Seite 319

In kontroversen Diskussionen und hart umkämpften Kompromissen entstand auf dem Verfassungskonvent in Philadelphia einneuer zukunftsweisender Föderalismus, dendie Verfassung so umriß:

– Die Einzelstaaten sollten sich wenigstens partiell zur „vollkommeneren Union“ (more perfect union) integrieren, das heißt, der  Zentralgewalt eine Anzahl genau festgelegter  Aufgaben und Kompetenzen zuerkennen,

– alle weiteren Befugnisse und Funktionenwürden pauschal bei den Ländern verbleiben,

– die unmittelbare Ausübung...

Scholz

    M    A    R    C

    D    A    R    C    H    I    N    G    E    R

    D    P    A

    P    I    C    T    U    R    E  -    A    L    L    I    A    N    C

    E    /    M    A    U    R    I    Z    I    O

    G    E    M    B    A    R    I    N    I

Selbst bei Aufzählungen übernimmt Guttenberg

 jeden einzelnen Punkt fast originalgetreu.

Auch einen Text des Ex-Verteidungsministers und Staatsrechtlers Rupert Scholz,CDU, vereinnahmt Guttenberg mit nur minimalen Änderungen.

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stark genug erscheinen. Das deutscheVerb „abstellen“ ersetzt er durch „rekur-rieren“, und wenn in der Vorlage von„Referenden“ die Rede ist, bevorzugtGuttenberg den Plural „Referenda“, dasklingt gelehrter.

Den üblichen wissenschaftlichen Stan-dards genügt Guttenbergs Methodekaum, entsprechend entsetzt sind seineunfreiwilligen Mit-Autoren. Die Journa-listin Sonja Volkmann-Schluck beispiels-weise konnte die Sache zuerst nicht glau-ben, als sie am vergangenen Mittwochden Anruf einer Kollegin erhielt. Der Ver-

teidigungsminister sollte aus einer ge-kürzten Version ihrer Diplomarbeit ab-geschrieben haben – einem kleinen, nur70-seitigen Papier mit dem Titel „Die De-batte um eine europäische Verfassung“,das schon seit Jahren auf der Internetseitedes Münchner Centrums für angewandtePolitikforschung steht.

Zunächst fand Volkmann-Schluck dieAngelegenheit nicht so dramatisch, sieentdeckte eine kurze Passage, die ohneQuellenangabe übernommen wordenwar. „Ich dachte, na ja, eine fehlendeFußnote, das ist noch kein Skandal.“Aber dann untersuchte sie die kompletteArbeit, und wie sich zeigte, hatte Gut-tenberg ganze Passagen inklusive Fuß-noten und Überschriften abgekupfert.

Am meisten ärgerte Volkmann-Schluck,dass Guttenberg ihre wissenschaftlicheLeistung als die eigene ausgegeben hat:Die Politikwissenschaftlerin hatte ein Ana-lyseraster entwickelt, mit dem sie die Ver-fassungsdebatte in der Europäischen Uni-on untersuchte. Guttenberg übernahm es,ohne dabei auf die Urheberin zu verwei-sen. „Wenn Herr Guttenberg die Regelnfür wissenschaftliches Arbeiten ernstnimmt, dann sollte er seinen Doktortitelzurückgeben“, sagt sie.

Dabei ist das Werk im Kern gar nicht soschlecht. Es ist eine vergleichende Darstel-

lung darüber, wie Amerika eine Nationwurde und wie Europa versucht, eine zuwerden. Es ist über weite Strecken eineSammlung von Fremdtexten, aber es istauch ein relativ gründliches und sauber ge-gliedertes Kompendium der Geschichte derUS-Verfassung und der EU-Verträge. Indeutscher Sprache sucht man so etwas bis-her auf dem Sachbuchmarkt vergebens.

Man darf noch hoffen, dass nicht allesin dem Werk geklaut ist, viele Passagenscheint Guttenberg selbst formuliert zuhaben, zum Beispiel diese: „Was also be-reits im alten Testament im Buch Estherund beim Propheten Daniel angesichtsder kaum intendierten Auswirkungen un-abänderlicher Gesetze von Medern undPersern angedeutet worden war, was

schon Plutarch bezüglich des schnellenWandels der ursprünglich für hundertJahre niedergelegten Gesetze Solons fest-gehalten hatte und was schließlich Zeit-genossen der amerikanischen Verfas-sungsväter in philosophischen und poli-tischen Schriften forderten“, habe Spurenin der US-Verfassung hinterlassen. Fürsolch bildungshuberische Erörterungenlassen sich bislang keine Vorlagen finden.Sie scheinen ebenso selbst formuliert zusein wie die Fußnote Nummer 3 auf Seite19, die den möglicherweise vom Autorgeprägten barocken Begriff der „Verfas-

sungserweckung“ zu definieren sucht:Ihm sei „die äußere sanfte, zuweilen rüt-telnde Hand wesenseigen“.

Der wissenschaftliche Ertrag allerdingsist mager. Einmal immerhin, auf Seite 351,entwickelt der Autor einen Gedanken, derob seiner Klarheit und Originalität aufhor-chen lässt: Letztlich sei die EU den USAüberlegen, weil sie darauf verzichte, sichals Reich des Guten aufzuspielen.

Doch wieder sind diese Ausführungenüber weite Passagen abgeschrieben, dies-mal bei der Schweizer Publizistin undRechtswissenschaftlerin Gret Haller.

Plagiate finden sich sogar an Stellen,die ausdrücklich als eigene Erträge ge-kennzeichnet sind. So sind etwa „DreiFolgerungen“ aus der EU-Geschichte ei-

Titel

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Reinhard

Abweichende Textstellen sind gefärbt

Guttenberg, Seite 391/392Ein Blick in die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerikaoffenbart  , dass darin der Begriff „Gott“ unmittelbar nicht enthaltenist. Mittelbar lässt sich dieser Bezug jedoch in Verbindung mit dem 1. Amendment der Verfassung herleiten.

Hierin ist zum einen das Verbot enthalten, ein Gesetz zu erlassen,das eine Religion (als Staatsreligion) einrichtet, auf der anderenSeite untersagt die Regelung , die freie Religionsausübung zubeeinträchtigen. Im Verlauf der Verfassungsgeschichte der USA...

Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Mai 2004

Ein Blick in die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zeigt  ,dass darin der Begriff „Gott“ unmittelbar nicht enthalten ist. Mittelbar lässt sich dieser Bezug jedoch in Verbindung mit dem Zusatzartikel I der Verfassung herleiten.

Im gleichen Satz ist darin das Verbot enthalten, ein Gesetz zu erlassen,das eine Religion (als Staatsreligion) einrichtet, auf der anderen Seiteuntersagt die Verfassung , die freie Religionsausübung zu beeinträchti- gen. Im Lauf der Verfassungsgeschichte der USA...

Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staats-gewalt, 3. Auflage, München 2002Darüber hinaus stellten die Unabhängigkeitserklä- rung von 1776 und die amerikanische Bundesverfas- sung von 1787 wichtige Innovationen für den west- lichen Staatsbildungsprozess überhaupt dar .Uralte Gegenseitigkeitsprinzipien wurden in moder- nes Selbstbestimmungsrecht auf der Grundlage all- gemeiner Volkssouveränität transformiert . Erstmalsgründete sich eine Nation auf diese Weise selbst und zwar mittels einer besonderen Verfassungsur- kunde, von den neuen Staatsverfassungen der USAabgesehen die erste der Geschichte und zumindest  formal ein Vorbild für alle weiteren.

Guttenberg, Seite 195

Die Unabhängigkeitserklärung von 1776 und dieamerikanische Bundesverfassung von 1787  zählen zu den wichtigsten Innovationen für denwestlichen Staatsbildungsprozess überhaupt.Uralte Gegenseitigkeitsprinzipien fanden auf der Grundlage allgemeiner Volkssouveränität eineTransformation in modernes Selbstbestim- mungsrecht. Eine Nation gründete sich mittelseiner Verfassungsurkunde erstmalig selbst,einer Verfassung, die, wie oben kursorisch aus- geführt auch inhaltlich innovativ war.

    P    E    O    P    L    E

    P    I    C    T    U    R    E

Ausgiebig bedient sich Guttenberg bei den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages.Über viele Seiten wird deren Ausarbeitung fast wörtlich übernommen.

Ein Auszug aus der „Geschichte der Staatsgewalt“ des Historikers Wolfgang Reinhard ist in der Dissertationüberarbeitet, aber inhaltlich analog dargestellt.

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nem Werk des Historikers Hagen Schulzeentnommen – nicht ohne eine beschei-dene Hinzufügung des Verfassers mit derrüttelnden Hand: Die Ausführungen be-dürften „gleichzeitig einer weitergehen-den interdiszplinären Bearbeitung“.

Das ist nicht Bescheidenheit, sondernein besonders freches Spiel mit Wissen-schaft. Wer fremde Gedanken als Schluss-folgerung anderweitig übernommenerPrämissen verkauft, verhöhnt die bestoh-lenen Gelehrten.

Die Universität Bayreuth hat davonoffenbar nichts geahnt, vier Professoren

adelten Guttenbergs Ausarbeitung mit derBestnote summa cum laude, mit höchstemLob. „Der Vorwurf ist absurd, die Arbeitist kein Plagiat“, urteilte GuttenbergsDoktorvater Peter Häberle nach den Vor-würfen gegenüber der „Bild“-Zeitung.Die Dissertation sei von ihm „in zahlrei-chen Beratungsgesprächen eingehendkontrolliert“ worden. Guttenberg war lautHäberle „einer meiner besten Seminaris-ten und Doktoranden“. Nun muss dieHochschule dennoch darüber befinden,ob es dabei bleibt oder sie den Titel ent-zieht. Höchstnote oder Höchststrafe, Aus-zeichnung oder Aberkennung? Möglicher-weise wird auch ein Mittelweg gewählt,etwa eine schlechtere Note als Kompro-miss, aber ob das rechtlich möglich ist,

konnte am Freitagmorgen selbst der De-kan der Bayreuther Jurafakultät nicht sa-gen. „Solch einen Fall hat es seit Jahrennicht gegeben, mit den Rechtsfragen müs-sen wir uns erst auseinandersetzen“, sagtder Bayreuther Professor Markus Möstl.

Zunächst hat die universitätsinterneKommission zur Selbstkontrolle in derWissenschaft das Wort, dann gegebenen-falls der Präsident, schließlich die Fakultätfür Rechts- und Wirtschaftswissenschaften.In den internen „Regeln zum Umgang mitwissenschaftlichem Fehlverhalten“ sinddas Verfahren und der Maßstab genau be-

schrieben. Fehlverhalten liegt demnach un-ter anderem vor, wenn „geistiges Eigentumanderer verletzt“ wird. Dazu zählt die „un-befugte Verwertung unter Anmaßung derAutorschaft (Plagiat)“.

Was bei dem Verfahren herauskommt,ist nicht vorherzusehen. „Die Hoheit liegtbei der Universität, sie ist völlig frei inihrer Entscheidung“, sagt der Rechtsan-walt Frank Winkeler aus Stuttgart. „Sieverleiht den Titel, und nur sie kann ihnwieder entziehen.“

„Etliche Passagen sind eindeutig Pla-giate und verstoßen damit gegen das Ur-herberrecht und die gute wissenschaftli-che Praxis“, sagt der Hamburger Jura-professor Hans-Heinrich Trute. In seinerZeit als Ombudsmann der Deutschen For-

schungsgemeinschaft hat er vermutlichalles schon einmal gesehen, was faul undfalsch ist in der deutschen Wissenschaft.„Arbeiten mit Verstößen in einer solchenZahl“, urteilt Trute, „verdienen keinePrämierung durch akademische Titel.“

Der Präsident des Deutschen Hochschul-verbands, der Kölner Juraprofessor Bern-hard Kempen, will dem Urteil seiner Bay-reuther Kollegen nicht vorgreifen: „Grund-sätzlich aber gilt: Wenn eine Täuschungnachzuweisen ist, dann erfolgt der Entzugdes Titels“, sagt Kempen. Die Entscheidungdarüber hänge auch vom Ausmaß der zu

beanstandenden Stellen ab. „Wenn nureine halbe Seite von 475 Seiten übernom-men wäre, würde man von Schlampereiausgehen, aber nicht von Täuschung“, sagtKempen. Aber bei zig Plagiatsstellen?

Der Bonner Juraprofessor WolfgangLöwer, Sprecher des „Ombudsmanns“ derDeutschen Forschungsgemeinschaft, warnach seinen Angaben bereits an vier oderfünf Verfahren beteiligt, an deren Ende dieDoktoren keinen Titel mehr hatten. „EinPlagiat in der Einleitung ist schwerer er-klärbar als ein Fehler an anderer Stelle“,sagt Löwer. Noch deutlicher wird der Köl-ner Rechtsanwalt Christian Birnbaum, spe-zialisiert auf Schul- und Hochschulrecht:„Der Titel gehört aberkannt“, sagt er, „da-für muss man die Arbeit gar nicht mehr le-

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Guttenberg, Seite 263Der moderne Konstitutionalismus entspringt u. a. den großen „Revolutionen" des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

Seitdem hat die „Konstitutionalisierung der Herrschaft" (D. Grimm) in unterschiedlicher Gestalt der historisch-  politischen Welt  ihre Prägung verliehen und darüber hinaus im Zuge der Globalisierung der Politik und der Ausbreitung man- cher Aspekte der Verfassungslehre die nicht-westlichen Gesell- schaften erfa ßt. Seiner Grundidee nach drückt sich im moder- nen Begriff der Verfassung dort, wo sie als „Ordnung des Poli- tischen“ (U.K. Preuß) konzipiert wird, der zentrale Sinngehalt der politischen Kultur aus. Unter diesem Aspekt kommt der mo- dernen Verfassung eine doppelte Funktion zu: ihrer symbo- lischen Funktion entsprechend deutet und normiert sie die Ord- nungsgehalte der politischen Kultur der Gesellschaft. Ihrer in- strumentellen Funktion entsprechend liefert sie das Spiel- regelwerk für die politischen Prozesse des politischen Systems.

Jürgen Gebhardt, Synopse Forschungsprojekt„Kulturhermeneutik und Hermeneutik des Politischen“(2001 - 2004)

Der moderne Konstitutionalismus entspringt den großenRevolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

In vielerlei Gestalt hat die „Konstitutionalisierung der Herrschaft" (D. Grimm) seither die historisch-politische Welt geprägt und da- rüber hinaus im Zuge der Globalisierung der Politik die nicht-west- lichen Gesellschaften erfasst. Seiner Grundidee nach drückt sichim modernen Begriff der Verfassung dort, wo sie als „Ordnung desPolitischen“ (U.K. Preuß) konzipiert wird, den zentralen Sinngehalt der politischen Kultur aus. Unter diesem Gesichtspunkt kommt der modernen Verfassung eine Doppelfunktion zu: Ihrer symbolischenFunktion entsprechend, deutet und normiert sie die Ordnungsge- halte der politischen Kultur der Gesellschaft. Ihrer instrumentellenFunktion entsprechend, liefert sie das Spielregelwerk für die poli- tischen Prozesse des politischen Systems.

Guttenberg, Seite 192

Die Geschichte Europas ist in weiten Teilenihre eigene Rezeptionsgeschichte.Die longue durée ist ein Zivilisationsprozess ,der in hohem Maße aus Traditionswahrnehmungen gespeist wird. Für Europa gilt, was B. Anderson über die Nationen gesagt hat: Es ist eine „imagined community “  , besteht also, wenn esbesteht, vor allem in den Köpfen der Menschen.

Hagen Schulze,„Die Identität Europas und die Wiederkehr der Antike“, 1999

Die Geschichte Europas ist in weiten Teilen ihre eigene Rezeptions- geschichte. Die longue durée, wie sie hier beispielsweise umrissenwurde, ist ein Zivilisationsproze ß , der in hohem Maße aus Traditi- onswahrnehmungen gespeist wird. Für Europa gilt, was Benedict  Anderson über die Nationen gesagt hat: Es ist eine imagined com- munity, besteht also, wenn es besteht, vor allem in den Köpfen der Menschen.

Thesen von Jürgen Gebhardt werden oberflächlich überarbeitet und als eigene gedanklicheLeistung präsentiert.

Gedanken des Berliner HistorikersHagen Schulze, in fast wörtlicher Wiedergabe

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sen, sondern nur die Plagiatsstellen, die imInternet zusammengetragen worden sind,das reicht locker für eine Aberkennung.“

Eine Klage gegen eine solche Entschei-dung hielte Birnbaum für wenig aussichts-reich, in ähnlichen Fällen seien die Prüf-linge allesamt gescheitert. In der Tat zei-

gen sich die Verwaltungsrichter häufigknallhart, wenn Prüflinge ihren Titel be-halten wollen, der baden-württembergi-sche Verwaltungsgerichtshof im Oktober2008 etwa, als er über die Klage eines Ex-Doktors zu befinden hatte. Die Richterhielten fest, „dass nur eine unter Offenle-gung aller verwendeten Quellen und Hilfs-mittel erbrachte wissenschaftliche Leis-tung den Anforderungen an eine eigen-ständige Dissertation genügt“.

Die Kriterien der Richter sind eindeu-tig. Von einer „planmäßigen Übernahmefremden Gedankenguts“ sei bereits dannauszugehen, wenn sich „Plagiate an meh-reren Stellen der Dissertation auffindenlassen und verschiedene Fremdautorenbetreffen“, heißt es in dem Urteil.

Der wohl bekannteste Plagiatsjäger derRepublik, der Rechtsprofessor VolkerRieble aus München, hat sein Urteillängst gefällt. „Schon in der Einleitungzu plagiieren ist einfach unverfroren“,sagt Rieble, „ich habe keine Erklärungdafür, wie man so wahnsinnig sein kann.“

Am vergangenen Dienstag steigt derMann, den Rieble für wahnsinnig hält,um acht in der Früh in eine „Challenger“der Bundeswehr. Er will seinen polni-

schen Amtskollegen besuchen. Um kurznach zehn gibt er im Verteidigungsminis-terium in Warschau eine Pressekonfe-renz, die örtlichen Journalisten wollenwissen, ob die neue deutsche Freiwilli-genarmee auch für polnische Staatsbürgeroffensteht. „No, we are not looking forPolish soldiers“, antwortet Guttenberg.Seine Laune ist blendend.

Zur gleichen Zeit geht im Berliner Ver-teidigungsministerium ein Fax der „Süd-deutschen Zeitung“ ein. Der Ministerwird mit dem Vorwurf konfrontiert, erhabe Teile seiner Doktorarbeit abge-schrieben. Kurz vor dem Rückflug nach

Berlin wird Guttenberg von seinem Spre-cher Steffen Moritz zur Seite gezogen.Moritz flüstert ihm etwas ins Ohr.

Gegen halb zwölf hebt GuttenbergsMaschine ab. An Bord ist GuttenbergsLaune deutlich abgekühlt. Was der Mannvom SPIEGEL denn wolle, über ihn seidoch schon so vieles geschrieben worden.„Einer ständigen Betrachtung des eigenenCharakters ausgesetzt zu sein gehört nichtzu den lebensbeglückenden Umständen.“Er nippt an seinem Kaffee. Die Bundes-wehrreform mache ihm genug Mühe, sagter, diese extreme Form der Aufmerksam-keit sei er leid. „Das ist nichts, was beimir Glücksgefühle auslöst.“

Am Mittwoch erscheint in der „Süd-deutschen“ der Artikel über Guttenbergs

Dissertation, am selben Morgen brichtder Minister zu einem Kurztrip nach Af-ghanistan auf. Die Reise solle ohne Jour-

nalisten stattfinden, heißt es erst, aberdas stimmt nicht ganz: Guttenberg hatBerthold Kohler dabei, einen der Heraus-geber der „Frankfurter Allgemeinen“.

Am Donnerstagnachmittag landet Gut-tenberg wieder in Deutschland. Die Af-färe um seine Doktorarbeit schlägt immerhöhere Wellen. Am Abend soll er imLandtagswahlkampf in Sachsen-Anhaltauftreten, 700 Zuhörer haben sich in derMittellandhalle in Barleben versammelt.Um kurz nach sechs postiert sich derCDU-Spitzenkandidat Reiner Haseloffam Eingang der Halle. Er will den pro-minenten Gast aus Berlin persönlich will-kommen heißen.

Haseloff stand den ganzen Tag mitGuttenbergs Büro in Kontakt, er wusste,

wie heikel die Lage für den Minister ist.Aber er erhielt immer das gleiche Signal:Guttenberg werde kommen, der Auftrittsei auch als „Befreiungsveranstaltung“geplant, sagt Haseloff.

Um kurz vor halb sieben winkt der ört-liche Landtagsabgeordnete Holger Stahl-

knecht Haseloff in einen Nebenraum. DieMänner beraten sich ein paar Minuten,dann treten sie vor ihr Publikum.

Guttenbergs Referentin habe um 18.25Uhr angerufen und erklärt, er sei in Ber-lin „unabkömmlich“. Haseloff blickt indie entsetzten Gesichter der CDU-An-hänger. „Auch ich bin enttäuscht.“ Dannbietet er den Gästen an, ein Bier zu trin-ken – auf Kosten der CDU.

Statt nach Sachsen-Anhalt rollt Gut-tenbergs Dienstlimousine an diesemAbend vor das Kanzleramt. Merkel woll-te ihren Minister sprechen, aber ihre Leu-te versichern, sie habe keinesfalls daraufgedrungen, die Veranstaltung in Barlebenabzublasen. Das sei Guttenbergs Ent-scheidung gewesen.

Für das Gespräch gilt höchste Geheim-haltung. Nach außen dringt nur, dass esin „guter Atmosphäre“ stattgefunden ha-ben soll.

Am nächsten Morgen lässt Merkel ver-breiten, dass sie zu ihrem Minister stehe.Aber ihre Leute sind sich nicht mehr si-cher, ob der Minister noch zu halten ist.Manche vermuten, Guttenberg habe dieDissertation von jemand anderem schrei-ben lassen. Nur so lasse sich erklären,

dass er die Plagiatsvorwürfe zunächst als„abstrus“ bezeichnet habe. Er habe ver-mutlich gar nicht gewusst, wie viel in derArbeit abgekupfert ist.

Am Freitag um halb zwölf verliest Gut-tenberg eine Erklärung in seinem Minis-terium. Zugelassen sind nur Journalistenund Kameraleute, die schon den ganzenMorgen vor dem Berliner Bendlerblockgewartet haben. Guttenberg ist nervös,er verhaspelt sich bei seinem Statement,in dem er ankündigt, dass er vorerst aufseinen Doktortitel verzichtet.

Dann folgt ein Satz, an dem er in dennächsten Wochen gemessen werden wird:

„Es wurde zu keinem Zeitpunkt bewusstgetäuscht oder bewusst die Urheberschaftnicht kenntlich gemacht.“

Zur gleichen Zeit sitzt sein SprecherSteffen Moritz im Haus der Bundespres-sekonferenz. Er sagt den Journalisten, seinMinister gebe gerade vor „ausgewählten“Journalisten ein Statement ab. Es kommtzu einem Eklat. Die meisten Reporter ver-lassen protestierend den Saal. Das Wort„Witzveranstaltung“ fällt. Später entschul-digt sich Guttenberg schriftlich beim Vor-sitzenden der Bundespressekonferenz. Indem Briefkopf steht nun Karl-Theodor zuGuttenberg – ohne Doktortitel.

Wird nun seine Popularität sinken,wird das Phänomen Guttenberg verblas-sen? Zunächst sah es nicht so aus, soweit

Titel

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   L   A   N   G   B   E   H   N

   /   A   C   T   I   O   N

   P   R   E   S   S

„Gorch Fock“-Affäre: Keine

Anhörung des Kommandanten

vor dessen Suspendierung

   M   A   S   S   O   U   D

   H   O   S   S   A   I   N   I   /   A   F   P

Luftschlag von Kunduz: Erst „militärisch

angemessen“, dann „nicht angemessen“

Guttenbergs Widersprüche

Unternehmensrettung: Bei Opel

konsequent, bei Quelle großzügig

   T   I   M   M    S

   C   H   A   M   B   E   R   G   E   R   /   D   A   P   D

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die neuen Vorwürfe in ihrer Meinungbestätigt, dass Guttenberg „in seinerPosition einfach nur überbewertet“ und

in Wahrheit „ein Blender“ ist. Kann daswahr sein? Guttenberg ein Blender, derallen etwas vormacht? Ein Phänomen ister auf jeden Fall. Wie aus dem Nichtstauchte er auf und wurde zum Superstar,zum Aspiranten auf die Kanzlerschaft.

Man wird nicht Hoffnungsträger ohneeine Hoffnung. Die gab es seit längerem,die Hoffnung auf eine bessere Politik, aufbessere Politiker. Über die Jahre hatte sichein gewaltiger Verdruss angestaut, einebebende Wut gegen die, die regieren inBerlin und in den Landeshauptstädten.Dass sie nichts entscheiden, dass sie dasFalsche entscheiden, dass sie nicht sagen,was sie wirklich wollen, dass sie an ihrenÄmtern kleben. Vielleicht wusste nicht

 jeder kritische Bürger, was genau anders

Bund dem maroden Unternehmen bei-springen sollte. Beim fränkischen Ver-sandhaus Quelle gerierte er sich nicht so

strikt ordnungspolitisch. Er trat nicht zu-rück, aber im Gedächtnis vieler blieb,dass er dazu bereit gewesen war. Er sorgtedafür, dass die Wehrpflicht ausgesetztwird, er sagte ein paar klare Worte zumKrieg in Afghanistan.

Dazu kommt eine starke Anschmieg-samkeit an die Wünsche des Publikums.Er spürt, was ein Gegenüber oder ein Saalbraucht, und richtet sich danach.

Außerdem bringt er eine neue Optikin die deutsche Politik, wichtig in der mo-dernen Medienwelt, die vor allem eineBilderwelt ist. Ein markantes Gesicht, malelegante Anzüge, mal luxuriöse Wüsten-kluft, dazu Posen, die ihn mal zum Welt-besitzer machen wie auf dem TimesSquare in New York, mal zum obersten

samen, der sich „ein hohes Maß an Un-abhängigkeit im Handeln und Geiste“ be-wahren wolle. Das klingt sympathisch,

bis man Guttenberg bei seinen öffent-lichen Auftritten erlebt. Da legt er dannsein Manuskript beiseite und sagt, er wol-le jetzt das Herz sprechen lassen.

Beim ersten Mal wirkt das noch mutig.Beim zweiten oder dritten Mal fällt auf,dass Guttenbergs Herz ihm offenbar im-mer dieselben Dinge sagt. Er wirkt dannnicht mehr so authentisch.

Auch mit der Aufrichtigkeit, von derer spricht, ist es so eine Sache. Aus demtiefsten Innern des Ministers dringenhauptsächlich Kalenderweisheiten nachdraußen. „Wir dürfen nicht dauernd ander Karriereleiter basteln“, ist eine da-von. Eine andere lautet: „Ein bisschenDemut ist auch für einen Politiker nichtfehl am Platz.“ Das soll bescheiden

sich das am Forum von SPIEGEL ON-LINE ablesen lässt. Viele sahen den Ver-teidigungsminister als Opfer einer Ver-leumdungskampagne, einer „erbärmli-chen Hexe(r)jagd der Presse“. Andere sa-hen in den Anschuldigungen nur ein Ab-lenkungsmanöver, das zeige, „wie nötig

es andere Parteien haben, von den eige-nen Problemen abzulenken“. Die Vor-würfe würden dem Neid entspringen. „Esist schon widerlich, wie hier ein Mann,der in der Politik endlich was bewegt, an-gegangen wird, da man ihn in seiner po-litischen Arbeit nicht angreifen kann.“

Doch im Verlauf der vergangenen Wo-che nahmen die kritischen Stimmen zu.In vielen Beiträgen wurde die Forderungerhoben: „Der Doktortitel muss ab-erkannt werden.“ Gleichzeitig wurde dieFrage gestellt, ob „ein Täuscher Ministerbleiben“ kann. Einige fühlen sich durch

werden muss, aber jeder wusste, dass et-was anders werden muss, vielleicht sogaralles.

Und dann, im Februar 2009, kam Gut-tenberg, wurde Wirtschaftsminister, under war der perfekte Andere. Jedenfalls sahes so aus. Ein Spross aus einem Adelsge-

schlecht, ein wohlhabender Mann, der ineinem Schloss aufgewachsen ist, dessen Fa-milie auf eine fast tausendjährige Geschich-te zurückblickt, der eine Frau mit dem Na-men von Bismarck geheiratet hat. Gutten-berg tauchte auf wie eine Märchengestalt.

Plötzlich gab es etwas Neues in derdeutschen Politik: Glanz, Glamour, einschillerndes Paar; auch die Leserinnender „Bunten“ fanden wieder Zugang zumBerliner Regierungsbetrieb.

Andere waren fasziniert von dem, wasnach Tatkraft aussah. Im Fall Opel koket-tierte er mit einem Rücktritt, falls der

Cowboy des Landes wie immer wiederin Afghanistan – Guttenberg führt seinpolitisches Leben so, dass es jederzeit alsHochglanz-Bildband erscheinen könnte.

Aus all dem, aus dem Verdruss der Bür-ger, aus Herkunft, Glamour, dem An-schein von Tatkraft, aus Anschmiegsam-

keit und neuer Optik wurde das Phäno-men Guttenberg, der große Andere. Erbetont das selbst.

Wer mit Karl-Theodor zu Guttenbergunterwegs ist, erlebt einen Mann, der an-ders sein will als die klassischen Berufs-politiker. Diese kleben am Amt, sie ver-biegen sich für die Macht, weil sie kaumAlternativen haben. Guttenberg sagt da-gegen: „Aufrichtigkeit sollte die Grundla-ge jeder Politik sein.“ Sein Rat an die Kol-legen ist: „Man sollte authentisch bleiben.“

Wenn Guttenberg über sich redet, dannerzählt er die Geschichte eines Unbeug-

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klingen, aber Eitelkeit scheint jederzeitdurch.

Guttenbergs Methode ist simpel: Jekleiner er sich macht, je einfacher seineWahrheiten, desto monströser und feigererscheint der ganze Politikbetrieb. „Inder Politik ist es geboten, Klartext zu re-

den“, sagt er. „Ich werde mir nicht ver-bieten lassen, das zu tun.“ Es bleibt beisolchen Äußerungen bewusst offen, werihm das eigentlich verbieten will. Aberes bleibt ein Eindruck hängen: dass esaußer ihm niemanden gibt, der mutig ist,der Rückgrat beweist in derverlogenen, feigen Welt derPolitik. Aus dem Munde diesesMutigen kommen dann Sätzewie: „Ich werde mir den Opti-mismus nicht ausreden lassen.“Das ist die guttenbergsche Ver-sion von Zivilcourage: Verbotezu übertreten, die nicht exis-tieren.

Er sagt auch gern, man solledem Volk nicht nach dem Mun-de reden. Solche Mantras liebtdas Volk. Guttenberg betreibtden Antipopulismus als höchs-te Form des Populismus.

„Ich bin von Beginn an mitdem vollen Bewusstsein in diePolitik gegangen, dass ich je-derzeit aufhören könnte“, sag-te er vergangenen Herbst imGespräch mit dem SPIEGEL.Ihm sei bewusst, dass mancher

seiner Schritte das sofortigeEnde seiner politischen Karrie-re bedeuten könne. „Aber dasbereitet mir keine Angst.“

In Wahrheit geht Guttenbergweiter als die meisten Politiker,um im Amt erfolgreich zu sein.Der Job des Spitzenpolitikerssei im Grunde nicht nur einRaubbau am Körper, sondernauch an der Familie, sagte er indem Gespräch im Herbst.Gleichzeitig half die Familiebisher tatkräftig mit, das me-diale Bild des Ministers zu po-

lieren. Ehefrau Stephanie begleitete ihrenMann vor Weihnachten nach Afghanistan,sie posierte mit ihm auf der Figur eineserlegten Dinosauriers. Niemand würdeseine Ehefrau derart einspannen, dem diePolitik nicht wichtig ist.

Bei den Soldaten kommt Guttenbergmit dieser Art gut an. Weil er den Einsatzin Afghanistan endlich als Krieg bezeich-net. Weil er im Combat-Outfit mit Flie-ger-Blouson und Schnürstiefeln fast allezwei Monate am Hindukusch aufkreuzt.Die Soldaten fühlen sich verstanden undernst genommen.

Nun muss er wieder den Tod von Sol-daten erklären. Diesmal starben sie durchdie Kugeln eines Verbündeten, einesMannes, der von den Deutschen ausge-

bildet wurde. Dies setzt neue Fragezei-chen hinter die afghanische Mission. Warer ein Einzelgänger? Oder gibt es in derafghanischen Armee große Vorbehalteoder Hass gegen die Bundeswehr? Wassollen die Deutschen dann noch dort?Bislang fand Guttenberg oft die richtigen

Worte, wenn es deutsche Opfer gab. Erspendete Trost, ohne den Einsatz in Zwei-fel zu ziehen. Diesmal muss er das alsstark geschwächter Minister tun.

Im Jahr 2009 hat ihn der Einsatz in Af-ghanistan schwer ins Schleudern gebracht.

Ein paar Tage nach Amtsantritt vertei-digt der Minister das Bombardement aufzwei entführte Tanklaster bei Kunduz.Obwohl es Belege dafür gibt, dass der ver-antwortliche Oberst gegen Isaf-Einsatz-regeln verstoßen hat und der Luftangriffein Fehler war, behauptet Guttenbergforsch und selbstbewusst, er sei zu demSchluss gekommen: „Selbst wenn es keineVerfahrensfehler gegeben hätte, hätte eszum Luftschlag kommen müssen.“

Die Soldaten lieben ihn für diese Vor-wärtsverteidigung, halten lässt sich dieEinschätzung des Ministers jedoch nicht.Schon vier Wochen später, am 3. Dezem-ber, muss Guttenberg im Bundestag ein-räumen, der Luftangriff sei militärischnicht angemessen gewesen. Er müsse seine

Beurteilung „rückblickend mit Bedauernkorrigieren“.

Kurz zuvor hatte er den Generalinspek-teur Wolfgang Schneiderhan und seinenStaatssekretär Peter Wichert entlassen.Guttenberg hat das damit begründet, dasser nicht ausreichend informiert worden

sei. Seither gibt es einen Kleinkrieg umden Ablauf der Sitzung, die zur Entlassunggeführt hat. Es sind mehrere Darstellungenim Umlauf. Mindestens einer lügt.

Flatterhaft agierte Guttenberg beimThema Wehrpflicht. Noch im März ver-

gangenen Jahres verkündeteer, eine Abschaffung der Wehr-pflicht sei mit ihm „nicht zumachen“. Auf der Sparklausurdes Kabinetts im Juni verlangteder Minister dann plötzlich, dieWehrpflicht abzuschaffen, da-mit er sparen könne. Auch dieBundeswehr müsse sich Spar-zwängen unterwerfen, begrün-dete er seine überraschendeVolte.

Inzwischen verlangt Gutten-berg hingegen wieder mehrGeld, um die Wehrpflicht ab-schaffen zu können. „Dass einegroße Reform von diesem Um-fang einer Anschubfinanzie-rung bedarf, steht, glaube ich,außer Frage.“

Galt für den Minister imvergangenen Mai noch, kleineBundeswehr-Standorte mit we-

niger als 900 Dienstposten „nurbei zwingender militärischerFunktionalität“ zu erhalten,stehen genau diese Standorteim Herbst schon unter seinempersönlichen Schutz. Mit ihmwerde es keine Obergrenzenach dem Rasenmäher-Prinzipgeben. „Davon halte ich über-haupt nichts.“

Im Januar warnt Guttenbergenergisch davor, den Komman-danten des Segelschulschiffes„Gorch Fock“ aufgrund vonMedienberichten vorzuverur-

teilen. Kurz darauf lässt er sich von der„Bild“-Zeitung mit „Es reicht“ zitierenund entbindet den Kommandanten auf-grund von Medienberichten vom Dienst.

Für die eigentliche Arbeit eines Vertei-digungsministers zeigt er indes nur wenigInteresse. Vorlagen gehen aus dem Mi-nisterbüro wieder zurück an die Arbeits-ebene, ohne dass Guttenberg darüber ent-schieden hätte, klagen Mitarbeiter.

Ende Oktober trägt die von ihm ein-gesetzte Struktur-Kommission zum Um-bau der Bundeswehr ihre Ergebnisse vor.

Guttenberg kündigt an, im Januar mitder Umsetzung zu beginnen. Bis heutelässt der Umbau auf sich warten – auchweil Guttenberg hier klare Vorgaben undEntscheidungen meidet. Guttenberg hat

Titel

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   H   E   N   N   I   N   G

   S   C   H   A   C   H   T   /   A   C   T   I   O   N

   P   R   E   S   S

Ehepaar Guttenberg: Popularitätssteigerung um jeden Preis?

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mit der Aussetzung der Wehrpflicht dengrößten Erfolg der schwarz-gelben Bun-desregierung vorzuweisen. Doch auf dendemonstrativ zur Schau getragenen Re-formwillen lässt der Minister keine Tatenfolgen. Es ist so, als habe Guttenberg dasMinisterium und die Bundeswehr wie ei-

nen Motor zerlegt. Nun sitzt er vor denEinzelteilen und weiß nicht, wie er darauswieder einen Motor bauen soll.

Der Beweis, dass er ein guter Verteidi-gungsminister ist, steht noch aus. Deutsch-land könnte auch mit einem mäßigen Ver-teidigungsminister leben. Dochmit einem Minister, der seineDoktorarbeit gefälscht hat?

Adelig wird man geborenoder eben nicht, einen Doktor-titel muss man sich verdienen.Was sagt das über einen Cha-rakter, diese Bereitschaft zumPlagiat?

Eine Doktorarbeit verändertetwas an einem Leben. DerTitel wird zum Bestandteil deseigenen Namens, man wird alsDoktor angesprochen, als Dok-tor vorgestellt, man zieht auto-matisch Respekt auf sich, Aner-kennung für eine intellektuelleLeistung. Der Doktor ist immerdabei, das gilt bis ins Grab.

Wer bei der Doktorarbeitschwer schummelt, der will mitwenig Mühe viel erreichen, derkann fremde Federn als reiz-

vollen Schmuck empfinden,der möchte schlauer wirken,als er ist, dem ist der Leistungs-nachweis wichtiger als die Leis-tung selbst. Es geht diesemMenschen um eine Schau, eineDarstellung. Sein akademi-scher Hauptsatz geht nicht so:Ich möchte viel leisten. Son-dern so: Ich möchte, dass dudenkst, dass ich viel geleistethabe.

Bei Guttenberg hat man im-mer gesagt, seine Sicherheitkomme aus dem Schloss, der

glanzvolle Auftritt, die starke Rede, dasfeste Selbstbewusstsein. Es ist aber auchmöglich, dass Unsicherheit aus diesemSchloss kommt. Dass einem die fast tau-sendjährige Geschichte der Familie eineschwere Last aufbürdet, dazu der Urgroß-onkel, der gegen die Nazis im Widerstandwar, der Vater, der ein bekannter Dirigentist, das immense Familienvermögen, dasschon vor Karl-Theodor zu Guttenbergda war. Dass man das Gefühl hat, diesenLeistungen nacheifern zu müssen, undwenn man das Gefühl hat, dass einen diesüberfordern könnte, man es sich mitSchummelei ein bisschen leichter macht.

Noch wird Guttenberg aus den eigenenReihen gestützt, auch wenn viele in derUnion seine missliche Lage mit klamm-

heimlicher Freude begleiten, vor allem jene, die der Popstar in den vergangenenzwei Jahren düpiert oder überflügelt hat.CSU-Chef Horst Seehofer gehört dazu,der sich seit dem Aufstieg Guttenbergsnur noch als Parteivorsitzender auf Abruffühlen darf. Auch Kanzlerin Angela Mer-

kel schätzt es nicht, wenn ihre Ministerzu eigensinnig werden.In der Führung der Union hat trotzdem

kaum jemand ein Interesse daran, Gut-tenberg stürzen zu sehen – dazu war erals Stimmenfänger bislang zu wertvoll.

„Es muss jetzt Schluss sein mit den öf-fentlichen Anwürfen gegen den Bundes-verteidigungsminister“, sagte deshalb See-hofer, und auch Merkel ließ verbreiten,der Minister habe ihre volle Rückende-ckung.

Beim Koalitionspartner FDP verfolgtman die Schwierigkeiten Guttenbergsebenfalls mit Schadenfreude, auch wenndies niemand offen zeigen möchte. „Ichäußere mich nicht zu Dissertationenoder Abiturzeugnissen“, sagte GuidoWesterwelle mokant. Beim Wahlkampf-endspurt der Hamburger FDP mit Wes-terwelle und Philipp Rösler übernahmder örtliche Moderator die Rolle desGehässigen. „So, wer hat denn heuteAbend seine Doktorarbeit mitge-

bracht?“, fragte er vergnügt in den Saal.Großes Gelächter.

Gerade Außenminister Westerwelleverfolgt die Schwierigkeiten seines Kabi-nettskollegen mit innerer Genugtuung.Westerwelle nervt es, dass viele Gutten-berg für den besseren Außenminister hal-

ten. Und dass der Verteidigungsministerder beliebteste Politiker ist, während erselbst zu den unbeliebtesten gehört, ge-fällt ihm auch nicht.

Daher ist Guttenberg bislang auchniemand aus der FDP zur Seite gesprun-

gen – im Gegenteil. Bundesjus-tizministerin Sabine Leutheus-ser-Schnarrenberger verlangteeine gründliche Prüfung. DerFraktionschef der Grünen imBundestag, Jürgen Trittin,nennt den Kollegen inzwischen„Dr. Googleberg“. MartinSchulz, Präsidiumsmitglied derSPD, sagt: „Wer solche Maßstä-be setzt, dass vor seinen An-sprüchen Generalinspekteure,Staatssekretäre und Kapitänezur See weichen müssen, dermuss sich auch selbst an diesenAnsprüchen messen lassen.“

Der Verteidigungsministersei schon lange nur noch einSelbstverteidigungsminister,sagt Schulz. „Es ist fraglich, ober da seine eigentlichen Aufga-ben noch wahrnehmen kann.“

Eines ist gewiss: Die Rolle,

die er bislang gespielt hat, kanner nicht mehr spielen, sollte erkeine überzeugende Erklärungfür seine Doktorarbeit finden.Er hätte dann nicht nur abge-kupfert, sondern diese Abkup-ferei auch noch mit Worten wie„Wissen“ oder „Gewissen“ ver-schleiern wollen.

Die Worte „Glaubwürdig-keit“, „Aufrichtigkeit“, „Au-thentizität“ würden seltsamwirken aus seinem Mund, un-gehörig sogar. Dieses Kapitalseines politischen Daseins wäre

weg. Der große Andere der Politik, derGlaubwürdige, Aufrechte könnte er nichtmehr sein.

Diese Rolle wäre zerstört, und es istfraglich, ob die Bevölkerung noch einmalbereit wäre, einem Politiker diese Rolleanzuvertrauen. Der Schaden für die Poli-tik wäre immens, ein Rücktritt ist ange-messen dafür.

Guttenberg hätte vielleicht noch ein-mal ein Buch seines verehrten GroßvatersKarl-Theodor zu Guttenberg lesen sollen.Dessen Erinnerungen sind unter dem Ti-tel „Fußnoten“ erschienen.

THOMAS DARNSTÄDT, U LRIKE DEMMER,CHRISTOPH HICKMANN, D IR K KURBJUWEIT,

MARTIN U. M ÜLLER, RALF NEUKIRCH,SARAH PANCUR, REN É PFISTER, M ICHAEL SAUGA,

MARKUS VERBEET

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   T   I   M    B

   R   A   K   E   M   E   I   E   R   /   D   P   A

Kanzlerin Merkel: Eiltermin bei der Chefin