Spiegel: Naher Osten
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8/8/2019 Spiegel: Naher Osten
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Nach einem Monat in der Fremde
war Anastasia Klink, 19, klar, dasses so nicht weitergehen konnte.Unterhielten sich ihre Mitbewohner imStudentenwohnheim, stand sie staunenddaneben. In der Kneipe wusste sie nicht,was genau der Kellner wollte, und selbstbeim Bcker fhlte sie sich schon bei derBegrung unwohl.
Anastasia Klink studiert Religionswis-senschaft in Leipzig. Die Stadt und dieUni gefielen ihr, sagt sie, und auch dieKommilitonen seien eigentlich nett. Wreda nur nicht das Sprachproblem: Sch-sisch, das geht gar nicht, sagt die Studi-enanfngerin, geboren und aufgewachsen
270 Kilometer weiter westlich, in Gieen.
Deshalb sitzt sie nun in einem Seminar-
raum ihrer Universitt und paukt denLandesdialekt. Nischt so schchdorn!,ruft die Sprachtrainerin und winkt mitSchildern: Gonsonanden, Wogahle.Klink sitzt in der letzten Reihe und lcheltratlos, als die Sprachtrainerin dann Goe-thes Zauberlehrling in schnstem Sch-sisch vortrgt. Ich versteh kein Wort,klagt eine Austauschstudentin aus Ame-rika. Ich auch nicht, sagt Klink.
Ob der Sprachkurs, angeboten frWestdeutsche und andere Fremde, nunwirklich berlebenshilfe fr Studentenoder doch eher ein Marketing-Gag derUniversitt ist: Eine Trendwende bezeugt
er allemal. Zwanzig Jahre nach der Ein-
heit haben westdeutsche Schulabgngergemerkt, dass die Mauer gefallen ist.
Nach neuesten, teils unverffentlichtenZahlen gibt es in diesem Wintersemester
berall in Ostdeutschland einen Rekord-ansturm aus Westdeutschland (siehe Gra-fik). Heute kommt in Thringen undSachsen-Anhalt mehr als jeder vierte An-fnger aus dem Westen, in Mecklenburg-Vorpommern ist es gar mehr als jederdritte. Der Anstieg ist auch dann gewaltig,wenn man Berliner Abiturienten nichtmitrechnet; lediglich in Brandenburg ma-chen sie einen groen Anteil aus.
Dass es so lange gedauert hat, bis nichtnur Exoten oder Opfer der Zentralstellefr die Vergabe von Studienpltzen in denOsten rbermachen, hat vielerlei Grnde.Zumindest einer hat nichts mit einer Ost-phobie zu tun: Deutsche Erstsemester sindvielfach Stubenhocker. Bei der Wahl derHochschule spielt fr viele die Nhe zuFamilie und Freunden die entscheidendeRolle, wie erst krzlich die groe Stu-dentenspiegel-Umfrage von SPIEGEL,McKinsey und studiVZ besttigt hat.
Das allein aber kann nicht erklren,warum die allermeisten Westabiturientenden Osten mieden. Vermutlich waren esauch Imageprobleme, wie sie Peer Paster-nack wahrgenommen hat, Direktor am In-stitut fr Hochschulforschung an der Uni-versitt Halle-Wittenberg frei nach dem
Motto: Das ist doch eigentlich Osteuropa.Zudem sei die Qualitt von Forschungund Lehre in der Ex-DDR nach der Wen-de schwer einzuschtzen gewesen.
Einzelne neue Lnder haben schon vorvielen Jahren versucht, westdeutscheSchulabgnger anzulocken, meist ohnegroen Erfolg. Dabei ist fr viele Osthoch-schulen ihre Attraktivitt im Westen eineberlebensfrage. Denn der Geburten-knick nach dem Mauerfall lsst die Zahlder Abiturienten in ihrer Nhe sinken,ohne Westimporte werden die Hochschu-len schrumpfen oder schlieen mssen.
Mecklenburg-Vorpommern schaltete in
den neunziger Jahren groe Anzeigen inZeitungen. Sachsen schickt seit 2008 ei-nen Truck auf PR-Tour, unter anderemnach Bayern: Pack dein Studium. Undneuerdings haben sich die Ostlnderzusammengetan, um unter dem MottoStudieren in Fernost gemeinsam zutrommeln. Die Uni Leipzig holte schonErstsemester im Trabi an deren Wohnortab, die Uni Rostock lie Interessierte mitRobben schwimmen. Sogenannte Cam-pus-Spezialisten sollen im Netzwerk sch-lerVZ anderen Westkindern erzhlen: Soschlimm ists gar nicht im Osten.
Ob die neuen Rekordzahlen auf dieseAktionen zurckzufhren sind, kann nie-mand sicher sagen. Franz Huser, lang-
jhriger Rektor der Universitt Leipzig,
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B I L D U N G
Naher OstenMit aufwendigen Kampagnen werben ostdeutsche Hochschulen
um Abiturienten aus den alten Lndern. Die machen neuer-dings scharenweise rber weniger aus Neugier denn aus Not.
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PHANF
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Sachsen-Werbung im frnkischen Hof
Nischt so schchdorn!
Deutschland
Die neuen BildungslnderAnteil der Studienanfnger aus Westdeutschland (inklusive Berlin)in Prozent
Thringen Brandenburg
2005 2010
Mecklenburg-Vorpommern
42%
27%29%
mind. 20%
36%
2010 2010 2010 2010
Sachsen-Anhalt
Sachsen
Alle Hochschularten; jeweils Studienjahr oder Wintersemester;2009 und 2010 teilweise vorlufig
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0
Quelle: Wissenschaftsministerien,Statistische Landesmter
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