Spielzeitschwerpunkt Wagner

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1 Für alte und neue Freunde Saison 2012/13 RICHARD WA GNER

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Das Magazin der Semperoper Dresden zu Richard Wagner, dessen Geburtstag sich 2013 zum 200. Mal jährt. An der Semperoper Dresden wird das Festjahr vor allem die Dresdner Jahre Wagners beleuchten, der hier Kapellmeister der Hofoper war und zahlreiche seiner bekanntesten Werke für Dresden schrieb.

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F ü r a l t e u n d n e u e Fr e u n d e S a i s o n 2 0 1 2 /1 3

R i chaRd

wagner

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»Lieber Richard Wagner«, so wollte ich eigentlich anfangen, denn eine Oper auf die Bühne zu bringen, heißt eine persönliche Beziehung zu den Schöpfern des jeweiligen Werkes einzugehen. Stückaus-wahl, Regieteam, Dirigent, Sängerbesetzung und vor allem das Plädoyer für bestimmte Inhalte – all das verdichtet sich zu einem Ich-Du-Verhältnis, leider allzu oft mit toten Kom-ponisten und Librettisten, dennoch ist es zukunftsorientiert. In der Vergangen-heit beherrschte jede Bühnendiva subtil die mittlerweile längst ausgestorbene Fechtkunst, heute wird stattdessen häu-fig auf der Bühne mit dem Handy her-umgefuchtelt. Das macht Oper noch lange nicht zukunftsstark und definiert auch kein klares Hier-und-Jetzt. Es sind Ideen, Gefühle, aber hauptsächlich mensch-liche Wahrheiten, die größer sind als die

Summe der Einzelteile von Musik und Dichtung, die Theater über alle Zeit hin-weg am Leben halten. Gewöhnlich schreibe ich

Briefe an die Komponisten, denn so kann ich meine Gedanken am besten sammeln und die eine oder andere Frage stellen. 2013 ist Wag-ner-Jahr, ich sollte also einen Brief an Richard Wagner schreiben, ihm darlegen, weshalb wir Henze, Mozart, Křenek, Händel, Sarro, Ronchetti, Puccini, Halévy und Spontini mit ihm zusammen in einen Spielplan packen. Doch bevor ich zum Punkt komme, bricht mir der Bleistift ab ...

Eytan Pessen eine Mitteilung an meine Freunde

Herrn Richard Wagner, Richard-Wagner-Str. 48, 95444 Bayreuth, habe ich nichts mitzutei-len, stattdessen schreibe ich, wie Wagner das auch getan hat, lieber an Freunde, an Sie, die Sie gerade diese Zeilen lesen, an Menschen, die an die Zukunft des Musiktheaters glau-ben, die neugierig und bereit sind, in die Oper zu gehen, um etwas Neues zu erleben und nicht die stete Wiederholung altbekann-ter Vorstellungen.

Richard Wagner ist einer der meistdokumen-tierten Komponisten der Geschichte. Es gab noch lange keine Überwachungskameras, keine Caches am Rechner, als er täglich Brie-fe und Tagebücher schrieb, sein gesamtes Umfeld beschäftigte sich fortlaufend mit der Beobachtung und Beschreibung des Meis-ters. Jeder Blick, jede Bewegung wurden fest-gehalten und mit Bedeutung aufgeladen. Und je mehr ich in diesen Schriften blättere, umso mehr entdecke ich, dass ich darin eigentlich wenig über den Menschen Richard Wagner erfahre. Und ob ich überhaupt mehr über die-sen Menschen erfahren möchte, ist eine Fra-ge, die gar nicht eindeutig zu beantworten ist. Genial, herablassend, schwierig, polemisch, euphorisch zeigt er sich, und dennoch blickt

Genial, herablassend,

schwierig, polemisch,

euphorisch zeigt er sich.

Richard Wagner, L i thograf ie von W. Jab

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man kaum hinter seine philosophischen und politischen Posen. Er ist nicht wirklich greif-bar, er gerinnt nicht zu einem einfachen und liebenswürdigen Bild, wie dies etwa Mozart tut. Wagnerkugel? Niemals.

Doch Wagner ist mir sympathisch, wenn es ums Praktische geht – wenn er in Dresden als Hofkapellmeister mit Gaspare Spontinis kos-tenintensiver Forderung, die »La vestale«-Orchesterbesetzung von »12 guten Kontra-bässen garniert« zu sehen (»le tout garni de douze bonnes contrebasses«), konfrontiert ist. Wagner: »Diese Phrase brach mir das

Herz, denn dieses eine in Zahlen ausgeführte Verhältnis gab mir folgerichtig einen Begriff von der Gediegenheit seiner übrigen Annah-men, und ich eilte nun zum Intendanten, um ihn darauf vorzubereiten, daß die eingeleitete Sache nicht so leicht abgehen würde.« Zwölf Kontrabässe in »La vestale« – eine solch opu-lente Forderung wie diese wird mich wohl auch heute zur Intendantin Ulrike Hessler laufen lassen … Trotz der Ambivalenz der Person Wagners gegenüber möchte ich doch mit jedem Ton, den ich von seiner Musik höre, mehr davon. Wagners Musik ist heute noch frisch, aus-drucksstark und faszinierend, die Tinte noch nicht trocken, die Musik scheint immer wie-der, als ob sie gerade gestern geschrieben wurde. Ich suche also nach einem dramatur-gischen Rettungsring, wie ich einen Aufsatz über die Spielzeit 2012/13 schreiben kann, die ja vom Wagner-Jahr geprägt ist, und wie ich im Wort-Ozean der Wagnerschriften den Weg zum Ufer finden soll. Mit Klaus Zehelein spreche ich über dieses Problem. Er gibt mir den Rat, mit Richard Wagners »Eine Mittei-lung an meine Freunde« zu beginnen. Darü-ber hinaus solle ich nicht nur schauen, was

Wagner schreibt, sondern vor allem auch, was er letztlich nicht schreibt. Und was er nicht schreibt, erschließt sich schnell. Denn schon am Anfang definiert Wagner, wer kein Wagner-Freund ist – als Feinde gelten alle, die Wagner, den Künstler, lieben, aber nicht unbedingt Richard, den Menschen. »Aimez-vous Wagner?« Auf diese Frage ist jetzt mit Wagners eigener Definition einfach zu ent-gegnen: »Sorry. Non.« Wagners Mitteilung soll eine Erklärung sein, was seine Kunst ist und wie er sie schuf. Er schreibt zwar: »Ich setze nämlich als die Be-

dingung für das Erscheinen des Kunst-werkes in allererster Stelle das Leben, und zwar nicht das im Denken willkürlich widergespiegelte des Philosophen und Historikers, sondern das allerrealste,

sinnlichste Leben, den freiesten Quell der Unwillkürlichkeit.« Doch Antworten auf die eigentlichen Fragen sind kaum zu finden. Wagner redet zu seinen Freunden, aber nicht wirklich mit ihnen, und er verrät nicht, wie im Nachhinein in der Musikgeschichte diese Kluft zwischen Beethovens »Fidelio« und der anscheinend plötzlichen Explosion des Wag-ner-Phänomens zustande kam. Ein Kompo-nist, der Wagners musikalische Sprache imi-tieren möchte, wird in dieser Epistel keine Musiktheater-Rezepte finden. Doch diese Kluft ist gar nicht so groß. Wie jeder andere Komponist, so ist auch Wagner ein Zwerg auf den Schultern seiner riesigen Vorgänger. Gesamtkunstwerk-Dimensionen wurden schon in Joseph Martin Kraus‘ »Aeneas in Karthago« aus dem Jahre 1782 erreicht. Meyerbeer, Halévy, Spontini, Weber und Marschner haben die Grenzen des Opernge-sangs erforscht und den Weg frei gemacht, um die Handlung eines Werks auch im Or-chestergraben spielen zu lassen. Obwohl wir keine Opern von Meyerbeer im Dresdner Spielplan zeigen, werden wir bei der Opern-gala und in Liederabenden einen Blick auf Wagners Vorgänger werfen. Antworten auf

Wagnerkugel? Niemals.

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die Frage, wie Wagners Musiktheater ent-stand, sind eher im lebendigen Theater zu finden. Der Spielplan der Saison 2012/13 gibt drei Antworten: Neben dem »Fliegenden Hol-länder«, der in Dresden uraufgeführt wurde, kommen mit Halévys »La juive« und der oben genannten »La vestale« zwei Werke zur Auf-führung, mit denen sich Wagner intensiv aus-einandergesetzt hat. »La juive« und Jacques Fromental Halévy lobte Wagner in höchsten Tönen, er beschäftigte sich mit Bearbeitun-gen von Halévys Musik und ließ sich von den Grand-opéra-Dimensionen in »La juive« für die Massenszenen seiner eigenen Werke in-spirieren. Für wen Wagners Herz wirklich schlägt, verrät er uns nicht immer, aber Cosi-ma beschreibt als Zeugin, wie er zu seinem eigenen Spaß Auszüge aus »La juive« am Kla-vier spielte. Nicht nur die Kontrabässe in Spontinis »La vestale« beschäftigten Wagner. Er schildert auch, wie er Spontinis Musik in Dresden den Wagnertouch verleiht: »Gelegentlich einer Besprechung des Orchesters hatte ich Spon-tini um Belehrung darüber gebeten, warum er, der sonst durchgehends die Posaunen sehr energisch angewandt, gerade bei dem prachtvollen Triumphmarsche des ersten Aktes sie schweigen ließ; ganz verwun-dert frug er dagegen: ›Est-ce que je n'y ai pas de trombonnes?‹ Ich zeigte ihm die gestochene Partitur, und nun bat er mich, zu diesem Marsche Posaunen zu setzen, damit sie möglichst in der nächsten Probe schon ausgeführt wer-den könnten. Auch sagte er mir: ›J'ai entendu dans votre Rienzi un instru-ment, que vous appelez Bass-tuba; je ne veut pas bannir cet instrument de l'orchestre: faites m'en une partie pour la Vestale.‹ Es machte mir Freude, mit Auswahl und Diskretion seinem Wunsche nachzukommen. Als er in der Probe zum ersten Male die Wirkung hiervon gewahr wurde, warf er mir einen wirklich zärtlichen Blick des Dankes zu …«

»Ich will euch berichten von kühnen Frauen, von den Rittern und ihren Heldentaten, von ihren Liebesgluten, von ihren Waffen und auch ihrer Torheit! Berichten will ich von den fernen Zeiten, wie die Welt sie damals schau-te ...« – schreibt Richard Wagner so über sei-ne Welt und die Ziele seiner singenden Prot-agonisten? Nein, diese Verse hätte Wagner schreiben können, aber sie stammen von Ludovico Ariosto, dem Universaldichter der Renaissance, auf den Händel mehrfach für seine Opern zurückgegriffen hat. Wagner ignoriert Händel in seinen Schriften fast gänzlich, außer in einem Brief an Minna aus London: »Montag holte er mich zu einer Aufführung des Messias ab, wo ich vor langer Weile bald gestorben wäre.« Ob es in der Vil-la Wahnfried die entsprechenden Bände der Denkmäler Deutscher Tonkunst nicht gab? Dass Wagner nicht auch wie Händel auf den erzählerischen Schatz Ariostos zurückgegrif-fen hat, ist eigentlich erstaunlich, verbindet doch dieser viele Sagen und Legenden zu seinem fantastischen Kosmos. Das Wagner-Jahr eröffnen wir Mitte Januar 2013 mit der Wiederaufnahme »Lohengrin«, der Schwa-nenritter-Oper. Ein anderer Ritter, gar ein ra-sender, belebt ab dem 27. Januar die Bühne der Semperoper in Händels »Orlando«.

Doch eine reine Beschäftigung mit der Ver-gangenheit wäre für mich ein Versagen der Musiktheaterlehre, wie wir sie von Wagner gelernt haben: »Den Lebenstrieb der Gegen-wart erkennen, heißt: ihn betätigen müssen.

»Montag holte er mich

zu einer Aufführung

des Messias ab, wo ich

vor langer Weile bald

gestorben wäre.«

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Gerade die Betätigung des Lebenstriebes un-serer Gegenwart äußerst sich aber nicht an-ders, als in einer Vorausbestimmung der Zu-kunft, und zwar eben nicht als einer vom

Mechanismus der Vergangenheit abhängi-gen, sondern als einer frei und selbstständig in all ihren Momenten aus sich, d.h. dem Le-ben, heraus gestaltenden«, lässt Wagner sei-ne Freunde wissen. In einen Spielplan, der im Licht des Wagner-Jahres steht, gehören also auch Gegenwart und Zukunft. Die italienische Komponistin Lucia Ronchetti wird ein Inter-mezzo für uns schreiben, ein lustiges Ge-spräch zwischen Metastasio und Wagner, ein Blick vom Barock bis in die Moderne. Einen solch weiten, umfassenden Blick hatte auch Ernst Křenek. Er verstand sich – wie Wagner – als Dichter, hat selbst Libretti ge-schrieben, seine Autobiografie hat mit 990 Seiten Wagnersche Dimensionen. Trotzdem ist er in der Lage, mit dem »Geheimen König-reich« eine fantastische Petitesse zu schrei-ben ... Ein Spielplan ist auch ein bisschen wie ein geheimes Königreich, wie er entsteht, wie es dazu kommt. Es drängt sich an dieser Stel-le das Schlusszitat des Narren aus Křeneks »Geheimem Königreich« auf: »Verzeiht dies kleine Spiel und nehmt es nicht für mehr, als es ist: Ein Märchen in den Tag hinein. Ein wenig Musik, Tanz und Gesang, und so viel zum Nachdenken.«Nicht weniger zum Nachdenken sind Hans Werner Henzes Handlungen für Musik »Wir erreichen den Fluss«, die die Spielzeit eröff-

nen – eine Fabel über einen erblindenden General (er könnte vielleicht mit dem einäu-gigen Wotan verwandt sein?), der das Böse der Menschheit sehen lernt. Das Stück steht

seit etlichen Jahren in unserer Vorpla-nung, aber plötzlich ist dieses Werk hoch-aktuell. Ich wollte eigentlich mit Hans Werner Henze ein Interview führen: über »Wir erreichen den Fluss« mit Blick auf die heutigen Weltereignisse und über sei-ne Gedanken zu Wagner. Aber am Tele-fon ist es schwierig, und Henze ist eher neugierig, was der Spielplan sonst noch bringt. Er fragt, wer die »Idomeneo«-Neu-produktion bei uns inszeniert. Es ist Mi-chael Schulz, der in Gelsenkirchen 2010 die Internetoper gemacht hat, basierend

auf »Boulevard Solitude« und »Manon Lescaut«. Auch wir werden Puccinis »Manon Lescaut« spielen, Hans allerdings mag lieber die Massenet-Version. Er ist voller Ideen und Gedanken, möchte über die Wiederaufnahme von »Gisela!« sprechen – es gibt noch Ände-rungen, die er unbedingt haben möchte, ein neues Lamento hat er schon komponiert … Das Musiktheater entwickelt sich halt stets weiter … Liebe Freunde, vielleicht haben Ihnen diese Gedanken etwas geholfen, den Spielplan der Saison 2012/13 zu verstehen. Jede einzelne Aufführung ist ein kostbarer Schatz, den wir für Sie auf die Bühne bringen! Die Opernsai-son 2012/13 beginnt am 4. September 2012 mit Donizettis »Elisir d'amore« und endet am 7. Juli 2013 nach 302 Musiktheatervorstellun-gen mit dem »Fliegenden Holländer«. Und so hat auch hier Richard Wagner das letzte Wort: »Zum Rand sein Glas ein jeder fülle! Lieb' Nachbar liefert uns den Trank.«

In diesem Sinne herzlich,

Ihr Eytan Pessen

Eytan Pessen is t Operndirektor an der Semperoper.

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In der theatralischen Kunst vereinigen sich, mit mehrer oder minderer Beteiligung, sämt-liche Künste zu einem so unmittelbaren Ein-druck auf die Öffentlichkeit, wie ihn keine der übrigen Künste für sich allein hervorzubrin-gen vermag. Ihr Wesen ist Vergesellschaf-tung mit Bewahrung des vollsten Rechtes der Individualität. – Die ungemeine Wirkung ih-rer Leistungen auf den Geschmack und die Sitten der Nation ist zu verschiedenen Zeiten von den Vertretern des Staates lebhaft er-kannt worden, und es ist ihr durch sie, na-mentlich in Frankreich, der unmittelbare Schutz des Staates durch eine Organisation zuteil geworden, welche ihre Produktivität dermaßen gefördert hat, daß jetzt noch die französische Theaterkunst als tonangebend für Europa betrachtet werden muß. – In Deutschland hat diese Kunst stets in einem Kampfe zwischen dem höheren geistigen Be-dürfnisse der Nation und dem niederen der materiellen Existenz gelegen. Nach vereinzel-ten Versuchen, in diesem Kampfe würdig zu entscheiden, von denen der des Kaisers Jo-seph II. der edelste war, haben endlich seit der denkwürdigen Epoche des Wiener Kon-gresses die Fürsten Deutschlands es für ihre

gemeinsame Aufgabe erachtet, in ihren Resi-denzen das Theater unter ihre unmittelbare Obhut zu stellen [...]

Bemühen wir uns, die höchste Anforderung des Staates an die Wirksamkeit des Theaters in einen bündigen Ausdruck zusammenzufas-sen, so können wir heute noch keine schöne-re Bezeichnung für dieselbe fi nden, als den Ausspruch Kaiser Josephs: »Das Theater soll keine andere Aufgabe haben, als auf die Ver-edelung des Geschmacks und der Sitten zu wirken.«

Aus Richard Wagner : »Entwurf zur Organisat ion e ines

deutschen Nat ional theaters«

entwurf zur Organisation eines

deutschen nationaltheaters

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Was mich in der Zwischenzeit namentlich lebhaft nach außen in Anspruch genommen hatte, war ein längerer Aufenthalt Spontinis bei uns, welcher sich an eine neu ins Werk gesetzte Aufführung seiner »Vestalin« knüpf-te. Die Erinnerungen an die sonderbaren Vorgänge und charakteristischen Züge des hierbei entsponnenen Verkehrs mit dem be-rühmten greisen Meister sind mir so lebhaft verblieben, daß sie auch jetzt noch der Auf-zeichnung wert dünken. Da wir unter der Mitwirkung der Schröder-Devrient einer zum großen Teil vorzüglichen Aufführung dieser Oper uns versichert halten durften, hatte ich Herrn v. Lüttichau auf den Gedanken gebracht, Spontini, welcher soeben in Berlin große Demütigungen erlitten hatte und sich für immer von dort fortwandte, die unter solchen Umständen wohlgesinnt demonstrative Aufmerksam-keit zu erweisen, ihn zur persönlichen Direk-tion seines mit Recht so berühmten Werkes einzuladen. Dies geschah, und ich, der ich mit der Leitung der Oper betraut war, erhielt den besondern Auftrag, mich hierüber mit dem Meister ins Vernehmen zu setzen. […]In betreff der Sänger, da er eine Schröder-Devrient unter ihnen zählte, erklärte er sich unumwunden beruhigt; von Chören und Bal-letten setzte er voraus, daß man nichts an einer würdigen Ausstattung fehlen lassen würde; auch nahm er an, daß das Orchester

ihn vollkommen befriedigen würde, in wel-chem er die nötige Anzahl vorzüglicher Instru-mente voraussetzte, um, wie er sich ausdrück-te, das Ganze von »12 guten Kontrabässen garniert« zu sehen (»le tout garni de douze bonnes contrebasses«). Diese Phrase brach mir das Herz, denn dieses eine in Zahlen aus-geführte Verhältnis gab mir folgerichtig einen Begriff von der Gediegenheit seiner übrigen Annahmen, und ich eilte nun zum Intendan-ten, um ihn darauf vorzubereiten, daß die eingeleitete Sache nicht so leicht abgehen würde. Sein Schreck war groß und aufrichtig; sofort mußte ein Mittel ausfi ndig gemacht werden, die Einladung rückgängig zu ma-

chen. Frau Schröder-Devrient erfuhr von uns-rer Not: sie, die Spontini kannte, lachte wie ein Kobold über unsre naive Unvorsichtigkeit, die wir mit dieser Einladung begangen, und fand in einem leichtern Unwohlsein, von dem sie befallen war, das Hilfsmittel, welches sie uns als Vorwand einer scheinbar bedeuten-den Verzögerung zur Verfügung stellte. […]Wir atmeten auf, hielten unsre Proben und befanden uns am Vorabende der gemütlich beabsichtigten Generalprobe, als gegen Mit-tag ein Wagen vor meinem Hause hielt und in

Frau Schröder-Devrient

lachte wie ein Kobold.

Was mich in der Zwischenzeit namentlich lebhaft nach außen in Anspruch genommen hatte, war ein längerer Aufenthalt Spontinis bei uns, welcher sich an eine neu ins Werk gesetzte Aufführung seiner »Vestalin« knüpf-te. Die Erinnerungen an die sonderbaren Vorgänge und charakteristischen Züge des hierbei entsponnenen Verkehrs mit dem be-rühmten greisen Meister sind mir so lebhaft verblieben, daß sie auch jetzt noch der Auf-zeichnung wert dünken. Da wir unter der Mitwirkung der Schröder-Devrient einer zum großen Teil vorzüglichen Aufführung dieser Oper uns versichert halten durften, hatte ich Herrn v. Lüttichau auf den Gedanken gebracht, Spontini, welcher soeben in Berlin große Demütigungen erlitten hatte und sich für immer von dort fortwandte, die unter solchen Umständen wohlgesinnt demonstrative Aufmerksam-keit zu erweisen, ihn zur persönlichen Direk-tion seines mit Recht so berühmten Werkes einzuladen. Dies geschah, und ich, der ich mit der Leitung der Oper betraut war, erhielt den besondern Auftrag, mich hierüber mit dem Meister ins Vernehmen zu setzen. […]In betreff der Sänger, da er eine Schröder-Devrient unter ihnen zählte, erklärte er sich unumwunden beruhigt; von Chören und Bal-letten setzte er voraus, daß man nichts an einer würdigen Ausstattung fehlen lassen würde; auch nahm er an, daß das Orchester

ihn vollkommen befriedigen würde, in wel-chem er die nötige Anzahl vorzüglicher Instru-mente voraussetzte, um, wie er sich ausdrück-te, das Ganze von »12 guten Kontrabässen garniert« zu sehen (»le tout garni de douze bonnes contrebasses«). Diese Phrase brach mir das Herz, denn dieses eine in Zahlen aus-geführte Verhältnis gab mir folgerichtig einen Begriff von der Gediegenheit seiner übrigen Annahmen, und ich eilte nun zum Intendan-ten, um ihn darauf vorzubereiten, daß die eingeleitete Sache nicht so leicht abgehen würde. Sein Schreck war groß und aufrichtig; sofort mußte ein Mittel ausfi ndig gemacht werden, die Einladung rückgängig zu ma-

chen. Frau Schröder-Devrient erfuhr von uns-rer Not: sie, die Spontini kannte, lachte wie ein Kobold über unsre naive Unvorsichtigkeit, die wir mit dieser Einladung begangen, und fand in einem leichtern Unwohlsein, von dem sie befallen war, das Hilfsmittel, welches sie uns als Vorwand einer scheinbar bedeuten-den Verzögerung zur Verfügung stellte. […]Wir atmeten auf, hielten unsre Proben und befanden uns am Vorabende der gemütlich beabsichtigten Generalprobe, als gegen Mit-tag ein Wagen vor meinem Hause hielt und in

Frau Schröder-Devrient

lachte wie ein Kobold.

richard wagner über Spontini

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einem langen blauen Flauschrocke der stolze, sonst nur mit spanischer Grandenwürde sich bewe-gende Meister, leiden-schaftlich bewegt, ohne alle Begleitung zu mir in das Zimmer trat, mir meine Briefe vor-zeigte und aus unsrer Korrespondenz mir nachwies, daß er keinesweges unsre Einla-dung abgelehnt habe. […]Ich glaubte halb zu träumen und verbreitete im Sturm die Kunde des Vorgefallenen und Bevorstehenden. […] So kam es denn wirk-lich zur Probe. Spontini befand sich an sei-nem Platz im Orchester augenfällig geniert und wünschte vor allen Dingen die Oboen in seinem Rücken placiert; da diese vereinzelte Umstellung für jetzt in der Gliederung des Orchesters große Verwirrung hervorgerufen haben würde, versprach ich ihm dies nach der Probe zu veranstalten. Er schwieg und ergriff nun den Taktstock. […]Nun entspann sich bald im Verlaufe der ers-ten Szenen eine Verwirrung, die um so un-heilvoller sich gestaltete, als für des Meisters Mitteilungen an das Orchester wie an die Sänger sein konfuser Gebrauch der deut-schen Sprache von größter Behinderung für die Verständigung war. So viel merkten wir aber bald, daß es ihm vor allem daran gele-gen war, uns von dem Gedanken abzubrin-gen, daß dies die Generalprobe sein sollte, wogegen er ein ganz neu zu beginnendes Studium der Oper ins Auge gefaßt hatte. […] Den größten Aufenthalt verursachte im ersten Akt die Evolution des Triumphmarsches; vor allem äußerte der Meister mit lautestem Eifer seine höchste Unzufriedenheit über das gleichgültige Benehmen des Volkes beim Aufzuge der Vestalinnen; er hatte nämlich nicht bemerkt, daß auch nach den Anordnun-gen unsrer Regie sich beim Erscheinen der Priesterinnen alles auf das Knie senkte, denn nichts dem Auge nur Erkennbares war für den äußerst kurzsichtigen Meister vorhan-den; was er verlangte, war, daß der heilige Respekt der römischen Armee durch ein mit

einem Schlage vor sich gehendes Niederstür-zen, namentlich aber krachendes Aufschla-gen der Speere auf den Boden mit äußerster Drastik sich kundgeben solle. Das mußte nun unzählige Male probiert werden; immer aber klapperten einige Spieße zu früh oder zu spät; er selbst machte das Manöver einige Male mit dem Taktstock auf dem Pult; es half nichts, der Krach war nicht dezidiert und energisch genug. […] Nach dem ersten Akte beschritt nun wirklich Spontini die Bühne, um den von ihm in seiner Nähe vermuteten Künstlern des Dresdener Hoftheaters in einer ausführlichen Darlegung die Gründe dafür klarzumachen, daß er auf einer bedeutenden Aufschiebung der Oper bestehen müsse, um Zeit zu gewinnen, durch die verschiedenar-tigsten Proben die Aufführung seinem Sinne entsprechend vorbereiten zu können. Alles war aber bereits in vollster Aufl ösung begrif-fen; die Sänger, der Regisseur waren wie im Sturm nach allen Seiten hin zerstreut, um über das Elend der Situation sich in ihrer

einem langen blauen Flauschrocke der stolze, sonst nur mit spanischer Grandenwürde sich bewe-gende Meister, leiden-schaftlich bewegt, ohne alle Begleitung zu mir in das Zimmer trat, mir meine Briefe vor-zeigte und aus unsrer Korrespondenz mir nachwies, daß er keinesweges unsre Einla-dung abgelehnt habe. […]Ich glaubte halb zu träumen und verbreitete im Sturm die Kunde des Vorgefallenen und Bevorstehenden. […] So kam es denn wirk-lich zur Probe. Spontini befand sich an sei-nem Platz im Orchester augenfällig geniert und wünschte vor allen Dingen die Oboen in seinem Rücken placiert; da diese vereinzelte Umstellung für jetzt in der Gliederung des Orchesters große Verwirrung hervorgerufen haben würde, versprach ich ihm dies nach der Probe zu veranstalten. Er schwieg und ergriff nun den Taktstock. […]Nun entspann sich bald im Verlaufe der ers-ten Szenen eine Verwirrung, die um so un-heilvoller sich gestaltete, als für des Meisters Mitteilungen an das Orchester wie an die Sänger sein konfuser Gebrauch der deut-schen Sprache von größter Behinderung für die Verständigung war. So viel merkten wir aber bald, daß es ihm vor allem daran gele-gen war, uns von dem Gedanken abzubrin-gen, daß dies die Generalprobe sein sollte, wogegen er ein ganz neu zu beginnendes Studium der Oper ins Auge gefaßt hatte. […] Den größten Aufenthalt verursachte im ersten Akt die Evolution des Triumphmarsches; vor allem äußerte der Meister mit lautestem Eifer seine höchste Unzufriedenheit über das gleichgültige Benehmen des Volkes beim Aufzuge der Vestalinnen; er hatte nämlich nicht bemerkt, daß auch nach den Anordnun-gen unsrer Regie sich beim Erscheinen der Priesterinnen alles auf das Knie senkte, denn nichts dem Auge nur Erkennbares war für den äußerst kurzsichtigen Meister vorhan-den; was er verlangte, war, daß der heilige Respekt der römischen Armee durch ein mit

einem Schlage vor sich gehendes Niederstür-zen, namentlich aber krachendes Aufschla-gen der Speere auf den Boden mit äußerster Drastik sich kundgeben solle. Das mußte nun unzählige Male probiert werden; immer aber klapperten einige Spieße zu früh oder zu spät; er selbst machte das Manöver einige Male mit dem Taktstock auf dem Pult; es half nichts, der Krach war nicht dezidiert und energisch genug. […] Nach dem ersten Akte beschritt nun wirklich Spontini die Bühne, um den von ihm in seiner Nähe vermuteten Künstlern des Dresdener Hoftheaters in einer ausführlichen Darlegung die Gründe dafür klarzumachen, daß er auf einer bedeutenden Aufschiebung der Oper bestehen müsse, um Zeit zu gewinnen, durch die verschiedenar-tigsten Proben die Aufführung seinem Sinne entsprechend vorbereiten zu können. Alles war aber bereits in vollster Aufl ösung begrif-fen; die Sänger, der Regisseur waren wie im Sturm nach allen Seiten hin zerstreut, um über das Elend der Situation sich in ihrer

Gaspare Spont in i ,

Büste von Chr is t ian

Danie l Rauch

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Weise Luft zu machen: nur die Theaterarbei-ter, Lampenputzer und einige Choristen hiel-ten in einem Halbkreise um Spontini stand, um dem merkwürdigen Manne zuzusehen, wie er mit wunderlichem Affekt von den Er-fordernissen der wahren theatralischen Kunst perorierte. […]Wir begannen nun zunächst noch mit einer Klavierprobe, in welcher der Meister seine Wünsche besonders an die Sänger mitteilen sollte. Wir erfuhren durch ihn hierbei im Grunde wenig Neues; er gab uns weniger Bemerkungen über Einzelheiten des Vortra-ges als Auslassungen über das Allgemeine der Auffassung, wobei ich bemerkte, daß er sich bereits an eine entschiedenen Rücksicht-nahme gegen die renommierten Sänger, wie die Schröder-Devrient und Tichatschek es waren, gewöhnt hatte. Letzterem verbot er nur das Wort »Braut«, mit welchem Licinius in der deutschen Übersetzung »Julia« anzu-reden hatte; dies klang seinem Ohr entsetz-lich, und er begriff nicht, wie man etwas so Gemeines wie die Laute dieses Wortes für die Musik verwenden könnte. […] Gelegentlich einer Besprechung des Orchesters hatte ich Spontini um Belehrung darüber gebeten, wa-rum er, der sonst durchgehends die Posau-nen sehr energisch angewandt, gerade bei dem prachtvollen Triumphmarsche des ersten Aktes sie schweigen ließ; ganz verwundert frug er dagegen: »Est-ce que je n'y ai pas de trombonnes?« Ich zeigte ihm die gestochene Partitur, und nun bat er mich, zu diesem Marsche Posaunen zu setzen, damit sie möglichst in der nächs-ten Probe schon ausgeführt werden könnten. Auch sagte er mir: »J'ai entendu dans votre Rienzi un instrument, que vous appelez Bass-tuba; je ne veut pas bannir cet instrument de l‘orchestre: faites m'en une partie pour la Vestale.« Es machte mir Freude, mit Auswahl und Diskretion seinem Wunsche nachzukom-men. Als er in der Probe zum ersten Male die Wirkung hiervon gewahr wurde, warf er mir einen wirklich zärtlichen Blick des Dankes zu, und der Eindruck dieser unschwierigen Be-

reicherung seiner Partitur war auf ihn so an-dauernd, daß er später aus Paris in einem sehr freundschaftlichen Briefe mich um die Zusendung eines Particelles dieser von mir hinzugefügten Instrumente bat; nur erlaubte es sein Stolz nicht, in dem Ausdruck, mit dem er das Gewünschte bezeichnete, zuzugeste-hen, daß er etwas von mir Verfaßtes verlang-te, sondern er schrieb: »Envoyez-moi une partition des trombonnes pour la marche triomphale et de la Basse-tuba, telle qu'elle a été exécutée sous ma direction à Dresde.« – Meine besondere Ergebenheit bezeigte ich ihm außerdem durch den Eifer, mit welchem ich eine vollkommene Umstellung der Instrumente des Orchesters nach seinem Wunsche herrich-tete. Dieser Wunsch bezog sich weniger auf ein System als auf seine Gewöhnung, und von wel-cher Wichtigkeit es für ihn war, in dem Gewohn-ten nicht die mindeste Änderung eingetreten zu wissen, erhellte mir, als er mir den Charakter seiner Direktionsweise erläuterte; er dirigiere – so sagte er – nämlich das Orchester nur durch den Blick seines Auges: »Mein linkes Auge ist erste Violin, mein rechtes zweite Violin; um mit dem Blick zu wirken, muß man daher keine Bril-le tragen, wie schlechte Dirigenten es tun, selbst wenn man kurzsichtig ist. Ich« – so gestand er zutraulich – »sehe nicht einen Schritt weit, und

doch bewirke ich durch meine Augen, daß alles nach meinem Willen geht.« […] Es blieb mir nach Spontinis Fortgang nur übrig, einige Zu-fälligkeiten und Sonderbarkeiten in seinen An-ordnungen auszugleichen und zu korrigieren, um von nun an zu einer befriedigenden und sehr wirksamen Aufstellung des Orchesters zu gelangen. Bei allen Sonderbarkeiten, welche Spontinis Direktion der Proben begleiteten, faszinierte der seltene Mann doch Musiker und Sänger

Das Wort »Braut« klang in

seinen Ohren entsetzlich.

Weise Luft zu machen: nur die Theaterarbei-ter, Lampenputzer und einige Choristen hiel-ten in einem Halbkreise um Spontini stand, um dem merkwürdigen Manne zuzusehen, wie er mit wunderlichem Affekt von den Er-fordernissen der wahren theatralischen Kunst perorierte. […]Wir begannen nun zunächst noch mit einer Klavierprobe, in welcher der Meister seine Wünsche besonders an die Sänger mitteilen sollte. Wir erfuhren durch ihn hierbei im Grunde wenig Neues; er gab uns weniger Bemerkungen über Einzelheiten des Vortra-ges als Auslassungen über das Allgemeine der Auffassung, wobei ich bemerkte, daß er sich bereits an eine entschiedenen Rücksicht-nahme gegen die renommierten Sänger, wie die Schröder-Devrient und Tichatschek es waren, gewöhnt hatte. Letzterem verbot er nur das Wort »Braut«, mit welchem Licinius in der deutschen Übersetzung »Julia« anzu-reden hatte; dies klang seinem Ohr entsetz-lich, und er begriff nicht, wie man etwas so Gemeines wie die Laute dieses Wortes für die Musik verwenden könnte. […] Gelegentlich einer Besprechung des Orchesters hatte ich Spontini um Belehrung darüber gebeten, wa-rum er, der sonst durchgehends die Posau-nen sehr energisch angewandt, gerade bei dem prachtvollen Triumphmarsche des ersten Aktes sie schweigen ließ; ganz verwundert frug er dagegen: »Est-ce que je n'y ai pas de trombonnes?« Ich zeigte ihm die gestochene Partitur, und nun bat er mich, zu diesem Marsche Posaunen zu setzen, damit sie möglichst in der nächs-ten Probe schon ausgeführt werden könnten. Auch sagte er mir: »J'ai entendu dans votre Rienzi un instrument, que vous appelez Bass-tuba; je ne veut pas bannir cet instrument de l‘orchestre: faites m'en une partie pour la Vestale.« Es machte mir Freude, mit Auswahl und Diskretion seinem Wunsche nachzukom-men. Als er in der Probe zum ersten Male die Wirkung hiervon gewahr wurde, warf er mir einen wirklich zärtlichen Blick des Dankes zu, und der Eindruck dieser unschwierigen Be-

reicherung seiner Partitur war auf ihn so an-dauernd, daß er später aus Paris in einem sehr freundschaftlichen Briefe mich um die Zusendung eines Particelles dieser von mir hinzugefügten Instrumente bat; nur erlaubte es sein Stolz nicht, in dem Ausdruck, mit dem er das Gewünschte bezeichnete, zuzugeste-hen, daß er etwas von mir Verfaßtes verlang-te, sondern er schrieb: »Envoyez-moi une partition des trombonnes pour la marche triomphale et de la Basse-tuba, telle qu'elle a été exécutée sous ma direction à Dresde.« – Meine besondere Ergebenheit bezeigte ich ihm außerdem durch den Eifer, mit welchem ich eine vollkommene Umstellung der Instrumente des Orchesters nach seinem Wunsche herrich-tete. Dieser Wunsch bezog sich weniger auf ein System als auf seine Gewöhnung, und von wel-cher Wichtigkeit es für ihn war, in dem Gewohn-ten nicht die mindeste Änderung eingetreten zu wissen, erhellte mir, als er mir den Charakter seiner Direktionsweise erläuterte; er dirigiere – so sagte er – nämlich das Orchester nur durch den Blick seines Auges: »Mein linkes Auge ist erste Violin, mein rechtes zweite Violin; um mit dem Blick zu wirken, muß man daher keine Bril-le tragen, wie schlechte Dirigenten es tun, selbst wenn man kurzsichtig ist. Ich« – so gestand er zutraulich – »sehe nicht einen Schritt weit, und

doch bewirke ich durch meine Augen, daß alles nach meinem Willen geht.« […] Es blieb mir nach Spontinis Fortgang nur übrig, einige Zu-fälligkeiten und Sonderbarkeiten in seinen An-ordnungen auszugleichen und zu korrigieren, um von nun an zu einer befriedigenden und sehr wirksamen Aufstellung des Orchesters zu gelangen. Bei allen Sonderbarkeiten, welche Spontinis Direktion der Proben begleiteten, faszinierte der seltene Mann doch Musiker und Sänger

Das Wort »Braut« klang in

seinen Ohren entsetzlich.

Page 11: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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in der Art, daß der Aufführung eine ganz un-gewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet wur-de. Charakteristisch war durchgehends die Energie, mit welcher er auf eine oft aus-schweifend scharfe Hervorhebung der rhyth-mischen Akzente drang; er hatte hierfür im Verkehr mit dem Berliner Orchester es sich angewöhnt, die hervorzuhebende Note mit dem anfangs mir unverständlichen Ausdruck

»diese« zu bezeichnen, was zumal Tichat-schek, ein wirkliches rhythmisches Gesangs-genie, besonders erfreute, da er ebenfalls die Gewohnheit hatte, bei wichtigen Eintritten die Choristen dadurch zu besondrer Präzision anzufeuern, daß er behauptete, es gelte nur die erste Note ordentlich hervorzuheben, das übrige fände sich ganz von selbst. Im ganzen stellte sich somit allmählich ein guter und dem Meister gewogener Geist ein; nur die Bratschisten trugen ihm einen Schreck, den er ihnen gemacht, noch lange nach; in der Begleitung der lugubren Kantilene der Julia im Finale des zweiten Aktes entsprach die Ausführung der schaurig weichen Beglei-tungsfi gur in den Bratschen seinem Wunsche nicht; er wendete sich daher plötzlich zu die-sen und rief ihnen mit einer hohlen Grabes-stimme zu: »Ist der Tod in den Bratschen?« Die zwei bleichen, an unheilbarer Hypochon-drie leidenden Greise, welche am ersten Pul-te dieses Instrumentes zu meinem Leidwesen trotz ihrer Anwartschaft auf Pensionierung sich immer noch festgeklammert hielten, starrten mit wahrem Entsetzen zu Spontini hinauf und glaubten eine Drohung zu hören: ich mußte ihnen nun den Wunsch Spontinis ohne theatralische Drastik zu erläutern su-chen, um sie allmählich wieder ins Leben zu

rufen. – Auf der Szene wirkte Herr Eduard Devrient sehr förderlich zur Herstellung eines scharf sich ausdrückenden Ensembles, auch wußte er Rat zu schaffen, um einer Forde-rung Spontinis gerecht zu werden, die uns alle in große Verlegenheit setzte. Nach der auf allen deutschen Theatern angenomme-nen Kürzung beschlossen auch wir nämlich die Oper mit dem feurigen, vom Chor akkom-

pagnierten Duettsatze des Licinius und der Julia nach deren Rettung; allein der Meister bestand darauf, die der französi-schen Opera seria ureigentümliche Schluß-Szene mit heiterem Chor und Bal-lett noch angefügt zu wissen. Es wider-stand ihm durchaus, auf dem traurigen Begräbnisplatze sein glänzendes Werk elend ausgehen zu sehen; die Dekoration

mußte verwandelt werden, im heitersten Lichte den Rosenhain der Venus sich zeigen und an deren Altar unter heiteren Tanzen und Gesängen das geprüfte Liebespaar von mit Rosen geschmückten Priestern und Prieste-rinnen der Venus anmutig getraut werden. So geschah es denn auch – leider aber nicht zu-gunsten des von allen so sehr gewünschten Erfolges.

»Mein linkes Auge

ist erste Violin, mein

rechtes zweite Violin.«

in der Art, daß der Aufführung eine ganz un-gewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet wur-de. Charakteristisch war durchgehends die Energie, mit welcher er auf eine oft aus-schweifend scharfe Hervorhebung der rhyth-mischen Akzente drang; er hatte hierfür im Verkehr mit dem Berliner Orchester es sich angewöhnt, die hervorzuhebende Note mit dem anfangs mir unverständlichen Ausdruck

»diese« zu bezeichnen, was zumal Tichat-schek, ein wirkliches rhythmisches Gesangs-genie, besonders erfreute, da er ebenfalls die Gewohnheit hatte, bei wichtigen Eintritten die Choristen dadurch zu besondrer Präzision anzufeuern, daß er behauptete, es gelte nur die erste Note ordentlich hervorzuheben, das übrige fände sich ganz von selbst. Im ganzen stellte sich somit allmählich ein guter und dem Meister gewogener Geist ein; nur die Bratschisten trugen ihm einen Schreck, den er ihnen gemacht, noch lange nach; in der Begleitung der lugubren Kantilene der Julia im Finale des zweiten Aktes entsprach die Ausführung der schaurig weichen Beglei-tungsfi gur in den Bratschen seinem Wunsche nicht; er wendete sich daher plötzlich zu die-sen und rief ihnen mit einer hohlen Grabes-stimme zu: »Ist der Tod in den Bratschen?« Die zwei bleichen, an unheilbarer Hypochon-drie leidenden Greise, welche am ersten Pul-te dieses Instrumentes zu meinem Leidwesen trotz ihrer Anwartschaft auf Pensionierung sich immer noch festgeklammert hielten, starrten mit wahrem Entsetzen zu Spontini hinauf und glaubten eine Drohung zu hören: ich mußte ihnen nun den Wunsch Spontinis ohne theatralische Drastik zu erläutern su-chen, um sie allmählich wieder ins Leben zu

rufen. – Auf der Szene wirkte Herr Eduard Devrient sehr förderlich zur Herstellung eines scharf sich ausdrückenden Ensembles, auch wußte er Rat zu schaffen, um einer Forde-rung Spontinis gerecht zu werden, die uns alle in große Verlegenheit setzte. Nach der auf allen deutschen Theatern angenomme-nen Kürzung beschlossen auch wir nämlich die Oper mit dem feurigen, vom Chor akkom-

pagnierten Duettsatze des Licinius und der Julia nach deren Rettung; allein der Meister bestand darauf, die der französi-schen Opera seria ureigentümliche Schluß-Szene mit heiterem Chor und Bal-lett noch angefügt zu wissen. Es wider-stand ihm durchaus, auf dem traurigen Begräbnisplatze sein glänzendes Werk elend ausgehen zu sehen; die Dekoration

mußte verwandelt werden, im heitersten Lichte den Rosenhain der Venus sich zeigen und an deren Altar unter heiteren Tanzen und Gesängen das geprüfte Liebespaar von mit Rosen geschmückten Priestern und Prieste-rinnen der Venus anmutig getraut werden. So geschah es denn auch – leider aber nicht zu-gunsten des von allen so sehr gewünschten Erfolges.

»Mein linkes Auge

ist erste Violin, mein

rechtes zweite Violin.«

Aus Richard Wagner : »Mein Leben«

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wagner-ImpressionenIn und um Dresden

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Page 14: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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Richard Wagner, Arnstadt

1. Im Jahr 1941 wurde ich in einer kleinen Erzgebirgs-stadt geboren. Der dortige Amtsrichter war zugleich Chef meines Vaters. Und hier ergibt sich die erste Paralle-le, denn der Komponist war das Kind eines Gerichtsan-gestellten aus Leipzig. Mei-ne Eltern hatten wohl nach langjähriger Ehe ihren Kin-derwunsch nicht mehr so ernst genommen, und so kam es, dass sie bei meiner Geburt keinen Vornamen parat hatten. Der Amtsrich-ter sagte: Nun heißt er schon Wagner, so tauft ihn doch auf den Namen Ri-chard.

2. Bei jedem neuen Arzt- oder Zahnarztbesuch wurde ich als Schulkind nach mei-nen »neuesten Werken oder Kompositionen« gefragt. Das führte dazu, dass ich bald besser über Werke und Le-ben des Komponisten Be-scheid wusste als mancher Frager selbst.Mit Verlassen der Grund-schule hörte dann nach und nach diese Fragerei auf. Den-noch konnte es manchmal hilfreich sein, bei bestimm-ten Personen zu erwähnen, dass Richard Wagner 1849 beim Dresdner Volksaufstand auf der richtigen Seite der Barrikade stand. In meinem Berufsleben ließen die Fra-gen nach neuen Opern all-mählich nach.

richard wagner?!

1.

Wie reagieren die Leute,

wenn Sie sich vorstellen

und Ihren Namen hören?

2.

Wann und wie wurde

Ihnen erstmals bewusst,

dass Sie einen berühmten

Namen tragen?

3.

Haben Sie einen Bezug

zu Wagner und seinen

Opern?

Page 15: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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3. Die Beschäftigung mit meinem berühmten Namens- vetter hatte bei mir Interesse an seinen Werken geweckt. Leider wurden diese in der DDR nur selten aufgeführt, und so konnte ich lediglich den »Tannhäuser« und »Die Meistersinger von Nürn- berg« im Theater erleben.

Richard Wagner, Fürth

1. Meistens kommen Reakti-onen wie »Waaaas wirklich?« oder »Wie der (berühmte) Komponist!!«

2. Soweit ich mich zurück erinnern kann, während der Schulzeit, ich glaube mit 13 oder 14 Jahren, als eine Ver-tretungslehrerin sich nach meinem Namen erkundigte. Als ich Richard Wagner sag-te, schickte sie mich aus der Klasse. Sie hat es mir ein-fach nicht geglaubt!

3. So gut wie gar keinen. Ich hab mir zwar schon seine Musik angehört, aber ein Fan bin ich nicht.

3. Bisher kenne ich nur Aus-züge aus einigen Opern von Richard Wagner, die wir im Musikunterricht besprochen haben (»Die Meistersinger von Nürnberg«, »Tristan und Isolde«, »Lohengrin«). Die Opern waren nicht Teil des Lehrplans, sie wurden vom Musiklehrer wegen meines »berühmten Namens« kurz-fristig in den Lehrplan auf-genommen. Leider hatte ich bisher nicht die Gelegen-heit, eine Wagner-Oper zu besuchen.

Richard Wagner, Würzburg

1. Meist völlig neutral, wohl aus Unkenntnis, selten lässt einmal jemand seine »Bil-dung« aufblitzen.

2. Auf dem Gymnasium mit elf oder 12 Jahren, als mich die Lehrer auf meinen Na-men ansprachen.

3. Ich kenne seine Vita und seine Werke und deren In-halte, aber die Musik gefällt mir persönlich überhaupt nicht, abgesehen von ein paar Passagen, zum Beispiel dem »Walkürenritt«.

Richard Wagner, Schönau am Königssee

1. Viele Menschen sagen zum Beispiel, »Sie haben aber einen berühmten Na-men!« Die meisten Leute finden es auch lustig, wenn sie meinen Namen hören. Oft stelle ich mich aber auch mit dem Zusatz » …, wie der berühmte Komponist« vor.

2. Mir wurde bereits im Kin-desalter von meinen Eltern erklärt, wem ich die Be-rühmtheit meines Namens zu verdanken habe. In mei-ner schulischen und berufli-chen Karriere wurde ich auch immer wieder von Lehrern, Ausbildern und Vorgesetzten darauf angesprochen.

Page 16: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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Ganz anders verhält es sich mit Halévy; die kräftige Mischung seines Blutes, das Konzen-trierte seines ganzen Wesens stellten ihn so-gleich auf den großen Kampfplatz. Wenn er auch durch das Herkommen veranlaßt war, sich zuerst in der Opéra comique zu zeigen, so war es doch in der großen Oper, wo er zuerst sein Talent in vollster, eigentümlichster Fülle entfalten konnte: so gut es ihm auch ge-lungen ist, für die Opéra comique die innere Gedrängtheit seiner Natur in jenen leicht an-mutigen Fluß aufzulösen, der erquickt und erfreut, ohne aufzuregen und zu erschüttern, so nehme ich doch keinen Anstand, den Hauptzug des Talentes Halévys als pathetisch und hochtragisch zu bezeichnen. Nichts konnte besser dieser Richtung ent-sprechen als das Sujet der »Jüdin«: es scheint (wollte man an Bestimmung glauben), als habe Halévy notwendig auf dieses Buch sto-ßen müssen, als sei es ihm von seinem Schicksale bestimmt gewesen, den ersten äußersten Aufwand seiner Kräfte dieser Auf-gabe zu widmen. In dieser Oper ist es, wo sich Halévys großer Beruf auf das vielseitigs-te deutlich und unwiderlegbar kundgibt: die-ser Beruf ist, Musik zu schreiben, wie sie aus den innersten, gewaltigsten Tiefen der reichs-ten menschlichen Natur hervorquillt. Fast ist

es entsetzlich und betäubend, bis in jene un-tersten Tiefen hinabzublicken, die die Brust des Menschen in sich verschließt. […]Es ist nicht die glänzende sinnliche Leiden-schaft, welche, augenblicklich unser Blut er-hitzend, ebenso schnell sich wieder abkühlt, sondern vielmehr jene ewige, tiefi nnerste Regsamkeit, die Welt vom Anbeginn an bele-bend und zerstörend zugleich, von welcher ich spreche und welche das tragische Prinzip in der Musik dieser »Jüdin« ausmacht: aus die-ser Regsamkeit entladet sich zugleich die düstre, und doch in so helle Flammen aufl o-dernde fantastische Wut Eleazars, und die schmerzensreiche, selbstzerstörende Leiden-schaft Rechas. Derselbe Regungsquell ist es, welcher jede Gestalt dieses erschütternden Dramas belebt, und so kommt es, daß in den grellsten Kontrasten Halévy jene hohe künst-lerische Einheit zu bewahren wußte, durch welche bei allem Erschütternden jenes Grelle und Verletzende beseitigt wird.

Halévy und die französische Oper

Marcol in i -Pa la is , zwei te

Wohnung der Faml ie

Wagner 1847

Aus Richard Wagner: »Halévy und die französische Oper«

Page 17: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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Page 18: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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22. Mai 1813Geburt in Leipzig

1814Nach dem Tod von Wagners Vater und erneuter Heirat seiner Mutter Umzug nach Dresden in die Moritzstraße

1817Umzug in eine Wohnung Am Jüdenhof 389 (Neumarkt), später Umzug in Nr. 391 (Ecke Galeriestraße)

1821Umzug in die Waisenhausgasse 412

1822Aufnahme in die Dresdner Kreuzschule, seine Lieblings-fächer: Sprachen, Geschichte und Mythologie

1826Familie in Prag, Wagner allein in Dresden (Kleine Oberseegasse, heutige Prager Straße)

1827Konfirmation in der Dresdner Kreuzkirche

1828Aufnahme in die Leipziger Nicolaischule, Besuch von Gewandhauskonzerten

1829Enthusiastischer Brief an Wilhelmine Schröder-Devrient, dass durch sie sein Leben »seine Bedeutung erhalten habe«, Beschluss, Musiker zu werden

1830Aufnahme an die Thomasschule Leipzig, Begeisterung für die Pariser Julirevolution

1831Immatrikulation als Student der Musik an der Universität Leipzig

1833Chordirektor in Würzburg

1834Amtsantritt als Musikdirektorin Bad Lauchstädt, später Magdeburg

1836Am 29. März Uraufführung »Das Liebesverbot« in Magdeburg, Heirat mit Minna Planer in Königsberg

1837Ehekrise, Aufenthalt in Dresden, Versöhnung mit seiner Frau Minna (Unterkunft im Gasthof Blasewitz am Schillerplatz), Amtsantritt als Musikdirektor in Riga

1838Beginn der Komposition »Rienzi« in Riga

1839Flucht aus Riga, über England weiter nach Paris, Erfolg bleibt aus, Verpfändung aller Wertsachen, Komposi-tion »Faust«-Ouvertüre

1840In finanzieller Not Komposition mehrerer französischer Gedichte, flüchtige Bekanntschaft mit Liszt, »Rienzi« Partitur an die Dresdner Hofoper verschickt

»Ich habe Dresden gewählt; es ist ge-wissermaßen meine Vaterstadt u. ich habe bereits allerhand vorbereitet, um zumal mit Meyerbeer’s Hülfe, die Oper dort zur sicheren Annahme zu bringen.« An Theodor Apel

1841Berichte für die Dresdner »Abendzeitung«, Empfang bei Liszt, Komposition des »Fliegen-den Holländer«, Verkauf des Entwurfs an die Pariser Oper

1842Rückkehr nach Dresden, Wohnung in der Töpfergasse (heutiges Hotel Hilton), dann Umzug in die Waisenhausstraße 5, finanzielle Probleme, am 20. Oktober Uraufführung »Rienzi« im Dresdner Hoftheater, Wagners erster großer Triumph, Umzug auf die Marienstraße 9

wagner-Stationen

Page 19: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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»Was ich nun über die Schönheit des Dres-dener Theaters, das Splendide seiner Aus-stattung, die Tüchtig-keit seiner Kapelle und die Vortrefflichkeit des Ensembles von allen Seiten her höre, erfüllt mich mit großer Freude.« An Ferdinand Heine

1843Am 2. Januar Uraufführung »Der fliegende Holländer« im Dresdner Hoftheater unter Wagners Leitung, Ernennung zum Königlich Sächsischen Hofkapell-meister, damit auch Dienste im Sommertheater im Linckeschen Bad und als Dirigent von Kirchenmusik in der katholischen Hofkirche, erste eigene Neuein-studierung mit Glucks »Armida«, Wagner wird Dirigent der Dresdner Liedertafel, Beginn der lebenslangen Freundschaft mit Gottfried Semper, am 6. Juli Uraufführung »Das Liebesmahl der Apostel« in der Frauenkirche, Beginn der »Tannhäuser«-Komposition, im Herbst Umzug in die Ostra-Allee 6

»Was meine Logis betrifft, so ist nun der Uebelstand behoben: Wir haben eine wunder-bar geräumige Woh-nung in der Ostra-Allee bezogen u. sind nun so schön u. vollkommen wie möglich eingerich-tet. Habe ich für diese Einrichtung nun auch auf mehrere Jahre die Einnahmen von meinen Opern, die natürlich immer im Steigen sind, gewissermaßen verpfändet, so habe ich doch bis dahin an meinem Gehalt genug, um angenehm leben zu können und Alles, was ich mir angeschafft habe, ist für unsere Lebenszeit.« An Cäcilie Avenarius

1844Spontini dirigiert in Dresden seine von Wagner einstudierte Oper »La vestale«, Wagner hält die Trauer-

rede zum Begräbnis Webers und dirigiert seinen »Gesang nach der Bestattung«

1845Regelmäßige Teilnahme am montäglichen Künstlerstammtisch im »Goldenen Engel« am Postplatz (dort auch erste Lesung des »Lohengrin«), am 19. Oktober Uraufführung »Tannhäuser« im Dresdner Hoftheater

unter Wagners Leitung, Sommer in Marienbad, Prosaentwurf zu den »Meistersingern von Nürnberg«

1846Beethovens 9. Symphonie unter Wagners Leitung in der Dresdner Frauenkirche, damit wurde die Tradition des Palmsonntagskon-zertes begründet, Urlaub in Graupa bei Dresden, Wanderun-gen in die Sächsische Schweiz, auf den Borsberg etc., Arbeit am »Lohengrin«, Dramenentwurf »Friedrich I.«

1847Dresdner Erstaufführung der Wagnerschen Bearbeitung von Glucks »Iphigenie in Aulis«, Umzug in das Marcolinische Palais in der Friedrichstraße (heute: Krankenhaus Dresden Friedrich-stadt), wo 1813 Napoleon residiert hatte, Interesse an den politischen Ereignissen des Vormärz, Idee der Ring-Tetralogie

»Hier ist ein Damm zu durchbrechen und das Mittel heißt: Revolution!« An Ernst Kossak

1848Wiederbegegnung mit Liszt, lebenslange Freundschaft, »Entwurf zur Organisation eines deutschen Nationaltheaters für das Königreich Sachsen« beim Ministerium eingereicht, Revolutionsgedichte »Gruß aus Sachsen an die Wiener«, »Die Not« etc., Rede im Dresdner Vaterlands-verein »Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen dem Königtum gegenüber?«, Wagner feiert mit dem Orchester das 300-jährige Kapelljubiläum, dirigiert erstmals 1. Akt »Lohen-grin«, erste Entwürfe zum »Ring des Nibelungen«, Prosaentwurf »Siegfrieds Tod«, Lesung vor Gottfried Semper, Chordirektor Wilhelm Fischer, Hans von Bülow und anderen

Page 20: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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1849 Entwurf »Jesus von Nazareth«, Teilnahme am Dresdner Maiauf-stand, Flucht aus Dresden, Steckbrief gegen Wagner im »Dresdner Anzeiger« veröffent-licht, nach Erscheinen des Steckbriefs (Haftbefehl) Flucht in die Schweiz, von dort nach Paris (Zusammenkunft mit dem geflohenen Gottfried Semper), später in Zürich

»So wäre es also wirklich wahr, der lang genährte Haß vieler Nichtswürdiger gegen mich, die Schein-barkeit der Umstände u. das gemeine Rachegefühl der Reaction überhaupt ist also so weit gekommen, einen Steckbrief nach

mir zu erlassen? – Gut denn! Es sei nun! Das Maaß der Marter für meine Seele ist voll: endlich – fühle ich mich wieder frei.« An Minna Wagner

»Die Freude dieses Wiedersehens war nicht gering, trotzdem wir beide nicht umhin konnten, das Groteske unserer Lage zu belächeln. Semper hatte sich, nachdem die be- rühmte Barrikade, welche er als Architekt fortwährend unter Inspektion gehalten hatte, umgangen worden war

(denn daß sie eingenom-men worden wäre, hielt er für unmöglich), von dem übrigen Kampfe zurückgezogen. Dennoch glaubte er sich soweit der Denunziation bloß-gestellt zu haben, daß er bei Ankündigung des Belagerungszustandes durch die Dresden okkupierenden Preußen sich dort nicht mehr sicher fühlte. […] Trotz unserer gedrückten Lage verbrachte ich mit Semper die einzig hei-teren Stunden dieses Pariser Aufenthaltes.« Aus Richard Wagner: »Mein Leben«

»Neulich ist mir – so höre ich – sogar vorgeworfen worden, das Dresdener alte Opernhaus mit noch einem anderen in Brand gesteckt zu haben! Immer zu! Meine gute Frau lebt mitten in diesem Pfuhl bürger-licher Vortrefflichkeit und Großherzigkeit …« An Franz Liszt

1850In Paris, Versuch, sich von Minna zu trennen, Rückkehr nach Zürich, am 28. August Uraufführung »Lohengrin« im Weimarer Hoftheater unter Liszts Leitung und in Abwesenheit Wagners

1851Prosaentwürfe zu »Der junge Siegfried«, »Rheingold« und »Walküre«

Page 21: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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1852In Zürich Bekanntschaft mit Otto und Mathilde Wesendonck

1854Im Dresdner »Anzeiger für politische Polizei Deutschlands« wird Wagner als eines der über 6000 »gefährlichen Subjekte« genannt, erste Entwürfe zu »Tristan und Isolde«

1856Gnadengesuch Wagners an König Johann von Sachsen wird abgelehnt

1857Erster Prosaentwurf »Parsifal«

»Von Dresden aus habe ich wohl immer noch wenig Hoffnung: der König soll mir persönlich sehr abgeneigt sein, wie ich es ihm ebenfalls von ganzem Herzen bin.« An Wilhelm Fischer

1858Minna fängt einen Brief Wagners an Mathilde Wesendonck ab, Auseinandersetzungen

»Dass meine Opern in Dresden wieder gegeben werden, ist doch sehr gut, und muss am Ende doch auch zu meiner Amnestie mit wirken; man kann es sich kaum anders vorstellen.« An Minna Wagner

1860Besuch bei Rossini, Teilamnes-tierung (ausschließend das Königreich Sachsen), Rückkehr nach Deutschland

1861Prosaentwurf »Meistersinger«

1862Amnestie für Sachsen, Besuch in Dresden

»Die Vormittage brachte ich mit Besuchen zu, für welche ich, als ich zu dem Minister Bär meiner Dankesaufwartung für die Amnestie wegen mich aufmachte, nun zum ersten Male wieder die Straßen Dresdens durchschritt, welche zunächst den Eindruck einer großen Langweilig- keit und Leere auf mich machten, da ich sie zuletzt in dem phantas-tischen Zustand mit Barrikaden bedeckt gesehen hatte, wo sie sich so ungemein interessant ausgenom-men hatten.« Aus Richard Wagner: »Mein Leben«

1865Am 10. Juni Uraufführung »Tristan und Isolde« im Münchner Hoftheater unter Hans von Bülows Leitung, Beginn des Diktats der Autobiografie »Mein Leben«

1866Am 25. Januar stirbt Minna Wagner, Entwurf zu »Rolands Tod«

1868Am 21. Juni Uraufführung »Die Meistersinger von Nürnberg« im Münchner Hoftheater

1869Am 22. September Uraufführung »Das Rheingold« im Münchner Hoftheater, Beginn der Komposi-tion »Götterdämmerung«

1870Am 26. Juni Uraufführung »Die Walküre« in München, nach der Scheidung von Cosima und Hans von Bülow heiratet Wagner Cosima in Luzern

1873Reise nach Dresden, Unterkunft im Hotel Bellevue

1876Am 16. und 17. August Urauffüh-rung »Siegfried« und »Götterdäm-merung« in Bayreuth

1877Komposition des »Parsifal«

1881Letzte Reise nach Dresden mit Cosima und den gemeinsamen Kindern Eva und Siegfried, Unterkunft im Hotel Bellevue, Besuche der neuen Semperoper 1882Am 26. Juli Uraufführung »Parsifal« in Bayreuth

13. Februar 1883Tod Wagners in Venedig

Page 22: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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Wagner verabschiedete eine glücklich been-dete Gedankenreihe und wandte sich, hell lachend, neuen Dingen zu:»Sie sind Italiener! Ich hatte gestern mit mei-nen Freunden einen ergötzlichen Streit. Es waren auch einige Ihrer Landsleute dabei.«Italo wandte ein wenig, um eine höfliche Fra-ge anzudeuten, den Kopf, vermied es aber, voll in das verehrte Antlitz zu sehn. Wagner erheiterte sich weiter:»Ich habe etwas verteidigt, was man mir nicht leicht zutrauen wird. Aber warum? Alles, alles ist Missverständnis in diesem Leben. Ich habe es oft genug erfahren. Und am furcht-barsten missverstehn die Dogmatiker.«Italo neigte das Haupt. Wagner blieb, zur Rede ausholend, stehn:»Meine Freunde setzten wieder einmal die italienische Oper herab. Und die Italiener un-ter diesen Freunden waren dabei nicht die Faulsten. Ich aber habe mich geärgert, war durch diese Schimpferei geradezu beleidigt. Ja, ich kann’s nicht anders sagen, ich war be-leidigt.«Man ging ein Stück weiter.

Vor der Front des Teatro Goldoni blieb der Meister abermals stehn:»Gewiss war in den dreißiger Jahren, als Ros-sini sich zu schweigen entschloss, das kon-zertante Melodram erledigt. Etwas Neues musste kommen, die Wahrheit, und sie kam.

Aber was weiß diese heutige Jugend von den Schätzen, den wirklichen Musikschätzen der alten Oper?Der leichtsinnige Rossini war verehrungswür-dig. Ich habe es nicht versäumt, diese Vereh-rung öffentlich auszusprechen. Ihn bekämpfte ich niemals. Sein berühmtes typisches Cre-scendo ist eine Großtat wahrer dramatischer Musik. Beethoven sagt sehr gut, Fortuna habe ihn mit den verliebtesten Melodien der Welt beschenkt. Heute weiß ich, dass Kraft und Genie dazu gehört hat, den ›Barbier‹ zu schreiben.« Italo hob den Kopf und sah sehr verwundert einen Augenblick lang den Meister an, der ihm freundlich zulachte:»Ja, caro amico, und ihre Herren alle! Wenn ihr komponieret, gehn euch all die neuen Künste leicht von der Hand: Die übermäßigen Dreiklänge, alterierten Akkorde und derglei-chen mehr. Mit dem Orchester der ›Götter-dämmerung‹ debütieret ihr.«Italos Herz schwoll eitel. Der Meister hielt ihn für einen Komponisten. In der Calle dei Fabri fasste Wagner wieder Stand:

»Solche Nebensachen imponieren euch allzusehr. Ich – sehen Sie – in meinen An-fängen war durchaus der italienischen Melodie verfallen. Sie war die erste musi-kalische Wonne meiner Jugend. Es gibt eine ganz verschollene oder, besser, un-terdrückte Oper von mir, in der ich recht

orgiastisch dem Bellinismus geopfert habe. Mit zwanzig Jahren natürlich! Und heute, nach so vielen Jahrzehnten, verstehe ich mei-ne Anfänge wieder. Das ist wohl merkwürdig. Aber die Entwicklung des Menschen ist eine Entwicklung zum Reaktionär. Sollte ich noch-

»aber das war echte Musik …«

Alles, alles ist Missver-

ständnis in diesem Leben.

Page 23: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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mals eine Oper schreiben, ihre Partitur würde noch durchsichtiger sein als die des ›Parsifal‹! Nun, ich sage es offen, Bellini war trotz aller Seichtigkeit der Faktur der Vater der langge-schwungenen Opernmelodie, die für alle dra-matische Musik in der Folge maßgebend ge-worden ist. Ich selbst muss ihm und Spontini dankbar sein. Noch im Jubelchor des ›Lohen-grin‹ ist dieser treffliche und kriegerische Narr von Spontini deutlich zu erkennen.«Eine laute Gruppe von Passanten, die nicht auswich, trennte Italo von Wagner. Als er ver-legen wieder zu ihm stieß, hatte der Meister ungestört und ohne zu merken, dass der jun-ge Hörer fehle, weitergesprochen. Italo ver-nahm den Schluss der Überlegung:»Die neueren Maestri allerdings haben die Form verroht und ausgehölt. Unsicher und geschmacklos haben sie viel falsches Pathos verpufft. Aber trotzdem: Besser machen, bes-ser machen, meine Herren Signori! Das habe ich ihnen gestern gesagt. Vor einigen Tagen am Karnevalsfest hat die Blechmusik der Piazza eine Phantasie aus einer neueren Oper gespielt [i.e. Auszug aus Guiseppe Verdis »Aida«]. Ich kenne das Stück nicht. Aber das war echte Musik …« Richard Wagner verstummte und erblasste. Zehn Schritt vor sich hatte er einen Fleisch-hauerladen erblickt. Dichtgereiht hingen von einer Eisenstange ausgeweidete Körperhälf-ten von Tieren herab. Das Gesicht des Meis-ters verzerrte sich. Er winkte kurz seinem Begleiter einen Abschied zu und kehrte ei-ligst um. Erschrocken sah Italo dem Verehr-ten nach, der rasch verschwand.

Verdi-Aufführungen an der Semperoper

Don CarloVorstellungen4., 8., 11. Oktober 2012 & 19., 22., 28. Januar 2013 Un ballo in maschera / Ein MaskenballVorstellungen21. Dezember 2012 & 5., 11. Januar 2013

La traviataVorstellungen6., 9., 11., 16., 23., 28. Februar & 4., 9. März 2013

RigolettoVorstellungen28., 30. März & 2., 5., 7., 11., 13., 20. April 2013

Aus Franz Werfe l : »Verdi – Roman der Oper«

Page 24: Spielzeitschwerpunkt Wagner

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Oper

Richard WagnerLohengrinVorstellungen13., 17. & 20. Januar 2013

Jacques Fromental HalévyLa juivePremiere12. Mai 2013Vorstellungen20. Mai, 2., 29. Juni, 2. Juli & 15., 29. September 2013

Richard WagnerDer fliegende Holländer Premiere 15. Juni 2013Vorstellungen19., 28. Juni, 1., 7. Juli & 28., 31. August 2013

Gaspare SpontiniLa vestale (konzertant)Premiere30. Juni 2013Vorstellungen3., 6. Juli 2013

Richard WagnerTannhäuserVorstellungen31. Oktober & 10., 17. November 2013

Richard WagnerTristan und IsoldeVorstellungen16., 20., 24. November & 8., 14. Dezember 2013

Osterfestspiele Salzburg Richard Wagner Parsifal Premiere 23. März 2013 Vorstellung 1. April 2013

Konzerte

Wagner-Soiree10. Mai 2013

3. Aufführungsabend 15. Mai 2013

Sonderkonzert I in der Frauenkirche zum 200. Geburtstag von Richard Wagner 18. Mai 2013

Programm zum Wagner-Jahr 2013

Sonderkonzert II zum 200. Geburtstag von Richard Wagner21. Mai 2013

Extras

»Richard Wagner in Dresden« – Kolloquium15. September 2012 in Kooperation mit dem Dresdner Geschichtsverein

Figaro Operncafé Spezial zum Thema Wagner-GesangJanuar 2013Konzertsaal der Richard- Wagner-Stätten Graupa In Kooperation mit MDR Figaro und den Richard- Wagner-Stätten Graupa

Internationales Wagner-Symposium Januar 2013In Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der TU Dresden, der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber sowie der Sächsischen Akademie der Künste

Informat ionen zu Anrechten und Paketen im Serv ice te i l ab Se i te 149