Spirale Prinzipien der menschlichen Bewegung in der ......Aufrichtung. Das Ringen der sich gegen -...

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9/2013 turnen und sport 15 Auch Pflanzen machen sich Spiralprinzi- pien zunutze. Im Prinzip einfach, genial in Form und Funktion: die Spirale. Spirale Prinzipien der menschlichen Bewegung in der Anwendung von Übungs- und Trainingsmethoden Cornelia M. Kopelsky Mensch, Natur und Technik in spiraler Bewegung Die Spirale gibt nahezu allen organischen Lebensfunktionen Form, Bewegung und Haltekraft vor (Abb. 1). Spirale Prinzipien erleichtern uns den Umgang mit alltägli- chen Gebrauchsgegenständen und Tech- nikgeräten. Man denke nur an die kleine Sprungfeder im Kugelschreiber oder an einen Korkenzieher. Die Physik beschreibt die Spirale als eine „gekrümmte Linie, die unendlich viele Umläufe mit ständig grö- ßer werdendem Abstand um einen festen Punkt macht. Die einfachste Spirale ist die ‚Archimedische Spirale’, die entsteht, wenn ein Punkt gleichförmig auf einer Geraden fortschreitet, wenn diese um ei- nen festen Punkt gleichförmig gedreht wird […]“. 1 Ungeachtet dieser physikalischen Erklä- rung fasziniert die Spirale seit Jahrhunder- ten die Menschen. In seinen naturwissen- schaftlichen Aufzeichnungen schrieb Jo- hann Wolfgang von Goethe um 1830: „Wir mussten annehmen: es walte in der Vegetation eine allgemeine Spiraltendenz, wodurch, in Verbindung mit dem vertika- len Streben, aller Bau, jede Bildung der Pflanzen nach dem Gesetz der Metamor- phose vollbracht wird.“ 2 Beim Betrachten einer Blütenknospe, zum Beispiel der einer Rose, ist eine spiralförmige Anordnung der einzelnen Blütenblätter erkennbar. So können auf einer sehr kleinen Fläche ver- hältnismäßig viele Blätter ansetzen und wachsen, bis sich die Blüte in voller Pracht entfaltet. Auch die Samenkerne der Son- nenblume stecken spiralförmig im Blüten- teller, um auf kleinstem Platz für mög- lichst viel Saatgut für die nächste Ge- neration von Sonnenblumen zu sorgen (Abb. 2). Bei Schneckenhäusern und Muschelscha- len erfüllt die Spirale Halte- und Schutz- aufgaben. Die gewundene Anordnung unzähliger Kalkplättchen zu Ringschich- ten macht die Gehäuse- und Schalen- wände sehr fest und sichert deren Bau- statik, um den Weichtieren bestmögli- chen Schutz zu geben. Spirale Organisationen finden sich viel- fach im menschlichen Körper, wie zum Beispiel die Nabelschnur oder die Schne- cke (lateinisch Cochlea) im Innenohr oder die Helix (griechisches Wort für Windung, Spirale), der äußere Rand der Ohrmu- schel. Die Kreuzbänder im Kniegelenk, diagonal verlaufende Rumpf- und Hals- muskeln, Gegenrotationen in der Wirbel- säule beim Gehen sowie beim Stand auf den Zehenballen die gleichzeitige Innen- drehung des Vorfußes und Außendre- hung der Ferse sind Beispiele für Schrau- benspiralen am Bewegungsapparat. Dank dieser funktionellen Spiralanatomie kann der Mensch sich gegen die Schwerkraft aufrichten, sich aufrecht halten und sich dabei geschickt und ökonomisch bewe- gen (Abb. 3, siehe S. 16). Der menschliche Gang besteht aus vielen sich abwechselnden Bewegungsaktivitä- 1 2 1 Der Neue Brockhaus – Lexikon und Wörterbuch, Band 5, 7. Auflage, Wiesbaden 1985. 2 www.http//holger-ullmann.de/Muscheln/Fraktale/ Beispiele_Spirale.html (Zugriff am 20. Juni 2013). www.pohl-verlag.com www.pohl-verlag.com www.pohl-verlag.com www.pohl-verlag.com

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    Auch Pflanzen machen sich Spiralprinzi-pien zunutze.

    Im Prinzip einfach, genial in Form undFunktion: die Spirale.

    Spirale Prinzipien der menschlichen Bewegung

    in der Anwendung von Übungs- und

    TrainingsmethodenCornelia M. Kopelsky

    Mensch, Natur und Technik in spiraler BewegungDie Spirale gibt nahezu allen organischenLebensfunktionen Form, Bewegung undHaltekraft vor (Abb. 1). Spirale Prinzipienerleichtern uns den Umgang mit alltägli-chen Gebrauchsgegenständen und Tech-nikgeräten. Man denke nur an die kleineSprungfeder im Kugelschreiber oder aneinen Korkenzieher. Die Physik beschreibtdie Spirale als eine „gekrümmte Linie, dieunendlich viele Umläufe mit ständig grö -ßer werdendem Abstand um einen festenPunkt macht. Die einfachste Spirale ist die‚Archimedische Spirale’, die entsteht,wenn ein Punkt gleichförmig auf einerGeraden fortschreitet, wenn diese um ei-nen festen Punkt gleichförmig gedrehtwird […]“.1

    Ungeachtet dieser physikalischen Erklä -rung fasziniert die Spirale seit Jahrhunder-ten die Menschen. In seinen naturwissen-schaftlichen Aufzeichnungen schrieb Jo-hann Wolfgang von Goethe um 1830:„Wir mussten annehmen: es walte in derVegetation eine allgemeine Spiraltendenz,wodurch, in Verbindung mit dem vertika-len Streben, aller Bau, jede Bildung derPflanzen nach dem Gesetz der Metamor-phose vollbracht wird.“2 Beim Betrachteneiner Blütenknospe, zum Beispiel der einerRose, ist eine spiralförmige Anordnungder einzelnen Blütenblätter erkennbar. So

    können auf einer sehr kleinen Fläche ver-hältnismäßig viele Blätter ansetzen undwachsen, bis sich die Blüte in voller Prachtentfaltet. Auch die Samenkerne der Son-nenblume stecken spiralförmig im Blüten-teller, um auf kleinstem Platz für mög-lichst viel Saatgut für die nächste Ge-neration von Sonnenblumen zu sorgen(Abb. 2).

    Bei Schneckenhäusern und Muschelscha-len erfüllt die Spirale Halte- und Schutz-aufgaben. Die gewundene Anordnungunzähliger Kalkplättchen zu Ringschich-ten macht die Gehäuse- und Schalen-wände sehr fest und sichert deren Bau-statik, um den Weichtieren bestmögli-chen Schutz zu geben.

    Spirale Organisationen finden sich viel-fach im menschlichen Körper, wie zumBeispiel die Nabelschnur oder die Schne -cke (lateinisch Cochlea) im Innenohr oderdie Helix (griechisches Wort für Windung,Spirale), der äußere Rand der Ohrmu-schel. Die Kreuzbänder im Kniegelenk,diagonal verlaufende Rumpf- und Hals-muskeln, Gegenrotationen in der Wirbel-säule beim Gehen sowie beim Stand aufden Zehenballen die gleichzeitige Innen-drehung des Vorfußes und Außendre-hung der Ferse sind Beispiele für Schrau-benspiralen am Bewegungsapparat. Dankdieser funktionellen Spiralanatomie kannder Mensch sich gegen die Schwerkraftaufrichten, sich aufrecht halten und sichdabei geschickt und ökonomisch bewe-gen (Abb. 3, siehe S. 16).Der menschliche Gang besteht aus vielensich abwechselnden Bewegungsaktivitä-

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    1 Der Neue Brockhaus – Lexikon und Wörterbuch, Band5, 7. Auflage, Wiesbaden 1985.

    2 www.http//holger-ullmann.de/Muscheln/Fraktale/Beispiele_Spirale.html (Zugriff am 20. Juni 2013).

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    ten der rechten und linken Körperhälfte:Abdrücken der Zehen, Aufsetzen der Fer-sen, Abrollen der Füße, kurzes Stützenauf einem Bein, Vorschwingen des Spiel-beins, gegenseitiges Mitschwingen derArme, Gegendrehungen von Becken undSchultergürtel. Auch die dafür zuständi-gen Muskelgruppen sind im Wechsel mit-einander und gegeneinander aktiv. Sostabilisieren während des kurzen Mo-ments des Stützens auf einem Bein diespiralen Muskelketten den Körper undhalten ihn aufgerichtet, während vertika-le Muskelketten entspannt sind (Abb. 4).Im Moment der Ferse- und Zehenaktivitä-ten bei beiden Beinen arbeiten die verti-kalen und die spiralen Muskelketten kön-nen sich entspannen.3

    Ohne diese Spiralstrukturen und -funktio-nen wären sportliche und artistische Be-

    wegungsleistungenkaum möglich. Wieausgeklügelt sie Bewe-gungsabläufe koordi-nieren und sichernkönnen, bewies EndeJuni der amerikanischeHochseilartist Nik Wa-lenda, als er auf einemfünf Zentimeter dickenSeil eine 425 Meterbreite Schlucht desGrand Canyon über-querte. Vor allemdann, wenn der aufge-richtete bewegendeKörper in Gefahr gerät,sein Gleichgewicht zuverlieren, zeigt sich,wie klug die Natur Spi-ralprinzipien zur stabi-len Haltung und fle-xiblen (Fort-)Bewegunggleichzeitig einsetzenkann.

    Vorbild derSpirale für Bewegung in Raum und ZeitAuch in vielen Lehrwei-sen der Gymnastikdiente und dient dieSpirale als Vorbild undErklärungsmodell fürForm und Funktion der

    menschlichen Bewegung. So sah dieGymnastiklehrerin Hilda Senff (1885–1970) in spiralen Bewegungen eine aus-gewogene Kräfteverteilung und -nutzungnach räumlich-rhythmischen Gesetzen. Inihrem Unterricht erklärte sie gern diesesPhänomen am Beispiel einer Kürbisranke:„Findet die Kraft der Ranke keinen Ge-genspieler, keinen Gegenstand des Um-greifens, so ist ihr Sein ohne Sinnerfül-lung, sie kreist um sich selbst. Am sichbietenden Widerstand wird die Ranke zueiner gespannten, tragenden Feder. […]Die (…) Kürbisranke rollt sich bei Berüh -rung mit einer Stütze zu einer zugfest fe-dernden Raumspirale ein und verstärktsich.“4 In dem kleinen Buch „Ich oder Es“von Hilda Senff5 finden sich mehrere Ab-bildungen dargestellter Spiralprinzipien.Beeindruckend ist dabei die Abbildung ei-nes Lichtbildes von Peter Keetman, dasden „absinkenden Wiederholungsrhyth-mus eines Pendels“ veranschaulicht.

    Spirale Bewegung kommt ebenso in derRhythmischen Gymnastik zum Tragen. Be-sonders auffallend ist dies bei horizonta-len Armschwüngen (z. B. mit einem Reifenoder einem Ball), denen ein spiraler Be-wegungsablauf von unten nach oben zu-grunde liegen muss, um die schwingendebeziehungsweise vom Boden ausgehendedurch alle Gelenke laufende dreidimen-sionale Bewegung des Körpers im Raumzu ermöglichen. Gleichzeitig stabilisieren

    Bewegungsstabilisation des menschlichen Gangs durch spirale Kräfte nach Dr. med. Richard Smisek.

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    3 Vgl. Richard Smisek, 2009, S. 126.

    Das Prinzip der Spirale lässt sich bei derYoga-Übung „Baum“ leicht nachvoll -ziehen: „Der lange Wadenmuskel ziehtspiralig um die Sprunggelenksaußenseitezur Fußsohle und verankert den Großzeh(des Standbeins) fest am Boden. Der Unterschenkel rotiert nach innen. DerOberschenkel (des Spiel- und des Stand-beins) dreht durch den Hüftaußenrollernach außen. Am Stamm setzt sich dieSpirale als Doppelspirale fort. Die Ober-arme drehen nach außen. Die Unterarmedrehen nach innen.“6

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    4 Hilda Senff: 1960, S. 11.5 Hilda Senff war Schülerin von E. Jacque-Dalcroze,Genf, und später von Mary Wigman, Dresden, undSchlaffhorst-Andersen, Atemschule Rothenburg. Nachihrer Gymnastiklehrerausbildung war sie an der Jac-que-Dalcroze-Schule in Paris tätig. 1919 eröffnete siein Düsseldorf eine eigene Schule zur Ausbildung vonGymnastiklehrerinnen. Die Schule wurde im 2. Welt-krieg völlig zerstört und danach nicht wieder aufge-baut. Hilda Senff unterrichtete als freie Gymnastikleh-rerin bis ins hohe Alter auch Einzelschüler (PersonalTraining). Ihr berühmtester Schüler war der Schauspie-ler Gustaf Gründgens (1899–1963), den sie unter an-derem in Atemgymnastik zur Verbesserung seinerstimmlichen Ausdrucksfähigkeit schulte (Quelle: Do-kumente und Presseartikel aus dem Nachlass vonHilda Senff, Privatarchiv Cornelia M. Kopelsky).

    6 Zitiert aus Christian Larsen/Christiane Wolff/Eva Hager-Forstenlechner: 2012, S. 4/Klapp-Cover.

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    spiralförmig angelegte Muskelketten denKörper während der Bewegung.

    Spiralprinzipien in derLoheland-GymnastikIn der 100-jährigen Loheland-Gymnastik7

    spielen Spiralbewegungen für die mensch-liche Bewegung in erfahrbaren Raumdi-mensionen und auf einer erlebbaren so-ziomotorischen Ebene8 eine große Rolle.Aber auch in Bezug auf die muskelphy-siologischen Bedingungen der Bewegungsind die form- und kraftgebenden Spiral-prinzipien von Bedeutung, wobei mansich hier auf die im menschlichen Körperbereits angelegten spiralförmigen Kno-chen, Muskeln und Bänder und derenebenso spiralförmig verlaufende Zuord-nung untereinander beruft: „Allen leben-digen Prozessen liegt eine spiralige Bewe-gung zugrunde. Für das gymnastischeÜben bedeutet die Ausführung spiraligerBewegungen stets eine Verstärkung derAufrichtung. Das Ringen der sich gegen-läufig bewegenden Pole fordert (und för-dert) waches Bewusstsein für die Rau-mesrichtung. Spiralige Bewegungen bie-ten die beste Grundlage für Durchlässig-keit und einen ausgewogenen Muskelto-

    nus einerseits und lebendige Stabilität an-dererseits.“9

    Zu anatomischen Studienzwecken undzur Verständnisvertiefung von der Physio-logie der Bewegung entwickelte die Leh-re der Loheland-Gymnastik eine besonde-re Zeichentechnik, das „anatomische be-wegungsdynamische Zeichnen“ (Abb. 5).Damit finden erlebte und bewusst erfah-rene Bewegungsabläufe, auch nach spira-len Prinzipien, eine anatomische Begrün-dung. Nach regelmäßigem Üben desZeichnens mit Kreide entwickelt sich einBewusstsein für funktionelles Bewegen,dessen Qualität nach organischen Gesetz-mäßigkeiten bestätigt werden kann.10

    Spiralstabilisation der Wirbelsäule nach dem SM-System®Der Prager Mediziner Richard Smisek be-gründete vor rund 35 Jahren das SM-Sys -tem® zur funktionellen Stabilisierung undMobilisierung der Wirbelsäule. Er suchtenach Übungsmöglichkeiten, das Trainingvon Leistungssportlern zu verbessern, umeinseitigen Trainingsbelastungen der Wir-belsäule und der großen Gelenke vorzu-beugen. Dabei hat er herausgefunden,dass spirale Muskelketten den Menschenwährend der Bewegung beim Gehen,Laufen und bei ausholenden Arbeitsbe-wegungen der Arme stabilisieren. Gleich-

    zeitig mindern diese von unten nach obenverlaufenden Muskelspiralen den Druckauf die Bandscheiben und Wirbelgelenke.Die nach oben zielenden Spiralkräfte ge-ben dem Körper Form in Haltung und Be-wegung, das heißt, die Rumpfmitte wirdschmaler, die Wirbelsäule kann sich bes-ser aufrichten und die Aufrichtung längerhalten (Abb. 6). Somit wirken spiraleMuskelverkettungen ausgleichend zu denvertikalen Muskelketten12, die von obennach unten verlaufen und dadurch denDruck auf Bandscheiben und Wirbelge-lenke erhö hen (Abb. 7, siehe S. 18).13

    Nach diesen funktionellen Anatomiestruk-turen hat Richard Smisek sein Trainings-konzept entwickelt und setzt es heute zurTherapie und Prävention von Rücken-schmerzen nicht nur bei Sportlern ein.Das Programm besteht aus zwölf Grund -übungen und weiteren über 40 zusätzli-chen Übungen. Geübt wird an elastischenSeilzügen (Abb. 8, siehe S. 18): „DerGrund dafür ist, dass das elastische Seileine ausholende Bewegung mit denGliedmaßen zulässt, entgegen einer lang-sam steigenden Kraft, die die stabilisie-renden Muskelspiralen aktiviert. Das elas -tische Seil können wir als Verlängerungder Muskelfasern, die die Spiralen aktivie-ren, verstehen. Das Trainieren mit demelastischen Seil ermöglicht, die Muskelnzu kräftigen und gleichzeitig zu dehnenund zwar zu dem Zeitpunkt, wenn sie aufnatürliche Weise relaxieren.“14

    7 Die Loheland-Gymnastik wurde von Louise Langgaard(1883–1975) und Hedwig von Rohden (1890–1987)Anfang des 20. Jahrhunderts begründet. Sie basiertauf einem anthroposophischen Menschenbild. Be-währte Ansätze der Loheland-Gymnastik werden un-ter aktuellen Gesichtspunkten wieder thematisiert, umsich der fachlichen Diskussion zu stellen.

    8 Vgl. Uta Hitzemann-Jahns: 2011, S. 4 u. 5.

    Anatomische Studie nach der Methodikdes bewegungsdynamischen Zeichnensder Loheland-Gymnastik.

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    Sind die spiralen Muskelketten aktiviert, „… (entsteht) durch das Zusammenziehender Rumpfoberfläche eine der Schwerkraft entgegengesetzte Kraft nach oben. Beider Auftriebskraft erhöht sich die Bandscheibe, somit wächst auch ihr Volumen undes kommt zum Ansaugen von Flüssigkeiten aus der Umgebung.“11

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    9 Zitiert nach Almuth Kannenberg und Elke Löbring,2009, S. 2.

    10 Margarethe Voegele: 2009, S. 96 ff.11 Zitiert aus Richard Smisek, 2005, S. 18.

    12 Z. B. die geraden Bauchmuskeln, die an den unterenRippenbögen und an der Brustbeinspitze entspringenund an den Schambeinen ansetzen. Sie nähern dasBrustbein zu den Schambeinen und sind der wirkungs-vollste Rumpfbeuger.

    13 Vgl. Richard Smisek, 2009, S. 4 ff.14 Zitiert aus Richard Smisek, 2009, S. 4.

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    In seinem Fachbuch „Spiralstabilisationder Wirbelsäule“ hat Dr. Richard Smisekdie Grundlagen der Methode und diezwölf Grundübungen sehr detailliert be-schrieben: Anatomie der Muskelketten,Wirkungsweise der Übungen, Grund sätzeder Behandlung, Regeneration und Prä -

    vention sowie Behandlungs- und Präven-tionsbeispiele bei ver- schiedenen Diagno-sen (Abb. 9).

    Spiraldynamik® – ein anatomisch begründetes BewegungskonzeptDer geschützte Begriff Spiraldynamik®

    steht für ein anato-misch begründetes Be-wegungs- und Thera-piekonzept und „(ist)eine Gebrauchsanwei-sung für den eigenenKörper von Kopf bisFuß“16, das von demSchweizer MedizinerChristian Larsen undder französischen Phy-siotherapeutin YolandeDeswarte begründetwurde. Das Konzeptgeht von dem spiraligangelegten Bauplanvon Knochen, Muskelnund Bändern und dendaraus resultierenden dreidimensionalenBewegungen des Körpers aus. Die Spiralewird als Raum und Form organisierendesElement verstanden.

    Die Botschaft lautet, wer sich nach dennatürlichen Gesetzmäßigkeiten der Spiral-konstruktion bewegt, bewegt sich funk-tionell und koordiniert und beugt Fehlbe-lastungen und damit Muskel- und Ge-lenkschmerzen vor. Haben sich jedoch imLaufe des Lebens, durch Arbeitsbedin-

    gungen oder Stressbelastungen ungünsti-ge Haltungs- und Bewegungsmuster ent-wickelt und manifestiert, kann Spiraldy-namik® mit entsprechenden Bewegungs-und Wahrnehmungsübungen die achsen-gerechte Gelenkbewegung wieder her-stellen und stabilisieren sowie unkoor -dinierte dynamische und statische Be-wegungsabläufe korrigieren.17 Demnachkann Spiraldynamik® als funktionelle Be-wegungslehre verstanden werden. Dasdazugehörige Übungskonzept findet An-wendung in allen Altersgruppen sowie inPrävention, Therapie und Rehabilitation.

    Auch im Yoga kann nach den Erkenntnis-sen der Spiraldynamik® gearbeitet werden.Wie das methodisch-didaktisch in aufein-ander abgestimmten Lernschritten geht,beschreibt Christian Larsen zusammen mitder Gymnastik- und Yogalehrerin Christi-ane Wolff und der Yogalehrerin und Tän-zerin Eva Hager-Forstenlechner in demRatgeberbuch „Medical Yoga – Anato-misch richtig üben“ (Abb. 10).

    Dieser Beitrag stellt als Beispiele zweiAsanas (Yoga-Übungen) aus dem Buchvor, bei denen die Anwendung spiraldy-namischer Übungsprinzipien besondersdeutlich wird.

    Die Ausgangsstellung, die Arm- und Beinhaltung sowie die Zugrichtung desSeils werden nach der zu kräftigendenMuskelkette bestimmt.

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    15 Zitiert aus Richard Smisek, 2005, S. 18. 17 Vgl. Barbara Eichenberger-Wiezel: 2008, S. 7 ff.

    Sind die spiralen Muskelketten entspannt, „(…) überwiegt die Aktivität der vertikalenMuskelketten und die Anziehungskraft der Erde. Der Druck auf die Bandscheibe ver-mindert ihre Höhe und auch ihr Volumen und drängt die Flüssigkeiten in die Umge-bung.“15

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    16 Zitatquelle: www.spiraldynamik.com (Zugriff am 3. Ju-li 2013).

    � Der „Baum“ verkörpert nach der Yogaphilosophie tiefe Verwurzelungmit der Erde, Aufrichtung und Strebennach dem Himmel sowie Gelassen-heit, um bei Wind und Sturm stabilund anpassungsfähig zu bleiben. Die Übungsziele sind aus funktionellerund motorischer Sicht die Kräftigungder Beinmuskeln, die Aufrichtung derWirbelsäule und die Schulung der Koordination und hauptsächlich des

    Die für diesen Beitrag verwendete Ausgabe ist 2009 erschienen.

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    zurück ist eine sehr wesentliche Vorberei-tung für das spätere Gehen- und Laufen-lernen. Sobald das Kind sein Gleichge-wicht beim aufrechten Gehen kontrollie-ren kann, werden weitere spirale Bewe-gungsabläufe erlernt und trainiert, umdie Rotationsfähigkeiten der Wirbelsäulezu entwickeln und um die dafür verant-wortliche Muskulatur zu aktivieren undaufzubauen (Abb. 13, siehe S. 20).

    Gleichgewichts sowie aus mentalerSicht die Verbesserung von Konzen-tration, Geduld und Gelassenheit. Spiraldynamisch gesprochen verlangtdiese Übung im Einbandstand denEinsatz aller Beinmuskeln des Stand-beins. Dank des spiralförmigen Ver-laufs der Muskeln wird das Bein in allen Gelenken einschließlich der Zehengelenke gesichert und damitStabilität und Balance des Körpers auf

    einer sehr kleinen Unterstützungs-fläche erreicht (Abb. 11).19

    � Das „Dreieck“ steht im Yoga für Weite, Dehnen und Ausbreiten. Bei einer großen Unterstützungsflächewird der Rumpf über die Standflächeentweder nach vorn oder zur Seitehinaus bewegt und gehalten. Das for-dert von den Muskeln Dehnfähigkeit,Halte- und Bremsarbeit und von Geistund Seele logisches Denken, Konzen-tration und Beharrlichkeit. Nach spi-raldynamischer Auffassung führen extreme Stellungen des Oberkörperszu langen Hebeln, die bei präziserAusrichtung gleichzeitig Verspannun-

    Schlussbetrachtung und -empfehlungAbschließend kann festgehalten werden,die menschliche Bewegung wird funktio-nell durch spirale Prinzipien sowohl ana-tomisch als auch motorisch organisiert.Schon im frühesten Kindesalter beginnensich spirale Bewegungsabläufe zu entwi -ckeln. Wenn sich bei Säuglingen das Dre-hen um die Längsachse anbahnt, ist zuerkennen, dass sie über die DiagonaleBeine und Arme beugen und strecken,um die Rotationsbewegung der Wirbel-säule einzuleiten. Das Drehenkönnen vonder Rücken- in die Bauchlage und wiederMedical Yoga – Anatomisch richtig üben.

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    „Stabiler Baumstamm dank Spiralprinzip des Standbeins.“18

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    gen im Becken lösen, Hüft- und Iliosacralgelenke mobilisieren und dieBauch-, Flanken-, Becken- undBeckenbodenmuskeln kräftigen können (Abb. 12).20

    18 Zitiert aus Christian Larsen/Christiane Wolff/Eva Hager-Forstenlechner: 2012, S. 28.

    19 Vgl. Christian Larsen/Christiane Wolff/Eva Hager-Fors -tenlechner: 2012, S. 28 ff.

    Bei dieser Dreieck-Haltung werden besonders die hier im Bildgenannten Muskeln aktiviert. Der seitliche Hüftbeuger, M.quadratus lumborum, entwickelt Bremsaktivität, um das Kip-pen des Rumpfes nach unten zu verhindern. „Die Längsspan-nung der Wirbelsäule schenkt Bewegungsfreiheit der Brustwir-belsäule, sodass der Brustkorb sein gesamtes Drehpotenzialausschöpfen kann.“21

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    20 Vgl. Larsen/Christiane Wolff/Eva Hager-Forstenlechner:2012, S. 40.

    21 Zitiert aus Christian Larsen/Christiane Wolff/Eva Hager-Forstenlechner: 2012, S. 41 ff.

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    Grundlagenwissender beschreibendenund funktionellenAnatomie. Für einweiteres autodidak-tisches Lernen istauch ein gezieltesStudium von Fach-und Ratgeberlitera-tur zu Themen überdie Anwendungvon spiralen Prinzi-pien im Bewe-gungsunterrichtempfehlenswert.Hat man das Kon-zept der spiralenAnatomie mal ent-deckt und in seinerKomplexität ver-standen, wird mansehr schnell neugie-rig auf spirale Be-wegungsfunktio-nen, will mehrDetails wissen und praktisch damit arbei-ten. Angewandtes Wissen von den Spiral-prinzipien erweitert und schult den Blickfür die physiologische Körperhaltung undkoordinierte Bewegungs abläufe. Bewe-gungsmuster, Übungsausgangsstellun-gen, -richtungen und -abläufe könnenfunktionell präziser angeboten und effi -zienter gelehrt werden. Grund sätzlichkann somit jedes präventive, gesundheits-fördernde und indikationsbezogene Be-wegungstraining optimiert wer- den.

    Ein autodidaktisches Erlernen der Metho-den „Rücken-SM-System®“ und Spiraldy-namik® ist nicht ratsam. Es gibt für beideMethoden umfangreiche Fort- und Wei-terbildungsangebote. Erst die erfolgreicheTeilnahme an Lehrgängen mit zertifizie-renden Abschlüssen erlaubt die originaleAnwendung unter Nutzung der Namender geschützten Methoden.

    Info-Adressen

    � www.loheland.de� www.SMSYSTEM.de� www.spiraldynamik.com

    LiteraturEichenberger-Wiezel, Barbara: Dynamisch bewegen, mitKöpfchen auf gesunden Füßen stehen – Was sich mitSpiraldynamik® verändern könnte, in: „Gymnastik – Zeit-schrift für ganzheitliche Körper- und Bewegungsarbeit“,9. Ausgabe, Dezember 2008, Pohl-Verlag Celle.*

    Hitzemann-Jahns, Uta: Spiralbewegungen in der Lohe-land-Gymnastik, in: „Gymnastik – Zeitschrift für ganz-

    heitliche Körper- und Bewegungsarbeit“, 18. Ausgabe,März 2011, Pohl-Verlag Celle.*

    Der Neue Brockhaus – Lexikon und Wörterbuch, Band 5,7. Auflage, Wiesbaden 1985.

    Kannenberg, Almuth/Löbring, Elke: Zur Spiralbewegungin der Loheland-Gymnastik, in: Mitteilungen des Lohe-land-Ring e. V., Künzell 2010.

    Larsen, Christian/Wolff, Christiane/Hager-Forstenlechner,Eva: Medical Yoga – Anatomisch richtig üben, TRIAS Ver-lag, Stuttgart 2012.*

    Netter, Frank H.: Atlas der Anatomie des Menschen,Thieme Verlag, Stuttgart 1997.

    Senff, Hilda: Ich oder Es – Rückkehr zum Gesetz des Rhythmus, Hrsg. Deutsche Frauenkultur e. V., Düsseldorf/Gütersloh 1960.

    Smisek, Richard/Smiskowá, Katerina: SM System –Funktionelle Stabilisierung und Mobilisierung der Wirbel-säule, Dr. med. Richard Smisek (Hrsg.), Prag 2005.*

    Smisek, Richard/Smiskowá, Katerina/Smiskowá, Zuzan-na: Spiralstabilisation der Wirbelsäule – Therapie undPrävention von Rückenschmerzen, Dr. med. Richard Smi-sek (Hrsg.), Prag 2009.*

    Voegele, Margarethe: Zur inneren Bewegung desmenschlichen Skeletts – Auf der Suche nach den form-gebenden Bildekräften, die an den Knochen und Mus-keln des Körpers sichtbar werden, in: BildungswerkstattBewegung und Lernen – Tagungsdokumentation, Hrsg.Elisabeth Mollenhauer-Klüber/Anja Christinck, Loheland-Stiftung, Künzell 2009.

    * Diese Bücher sind auch über unsere Versandbuch-handlung zu beziehen: Pohl-Verlag Celle GmbH,Postfach 3207, 29232 Celle, Telefon (0 5141) 9889-0,Telefax (0 51 41) 98 89-22, E-Mail [email protected], Internet www.pohl-verlag.com

    BildnachweisAbb. 1 und 2: © Gerhard-Michael Kopelsky.

    Abb. 3, 6–9, 13: © Dr. med. Katerina Smiskowá.

    Abb. 4, 10–12, 14: © Claudia Larsen/Ingrid Schobel,TRiAS Verlag.

    Abb. 5: © Petra Sophie Stehrenberg, Loheland-Gymnas -tiklehrerin, Montabaur.

    � �Text: Cornelia M. Kopelsky

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    In der Achse verleiht die vollkommeneArbeit der LD [Latissimus dorsi] Spiralelinks und SA [Serratus anterior] rechtsdem Gang und dem Lauf die Stabilitätund bildet die Fußwölbung (17. Mo-nat).“22

    13

    Ohne Rotationsfähigkeit und „Drehfreu-de“ der Wirbelsäule könnte sich derMensch nur mühsam auf zwei Beinenfortbewegen! Sein Gang sähe sehr robo-terhaft aus.

    Im Yoga verinnerlicht die Haltungsübung„Drehsitz“ Aufrichtung, Zentrierung, vol -le Flexibilität, Geschmeidigkeit, freierGeist und Offenheit für neue Perspekti-ven. Funktionsmotorisch werden dabeidie Brustwirbelsäule und der Thorax mo-bilisiert. Die Rippenzwischenräume aufder einen Seite weiten sich, auf der ande-ren Seite werden sie enger. Die Wirbel-säule richtet sich auf, Becken und Schul-tergürtel drehen gegeneinander. Rumpf,Arme und Beine sind in spiraler Haltung(Abb. 14).

    Was die Natur für die Alltagsmotorik desMenschen angelegt hat, kann und solltebeim Üben und Trainieren in der Funktio-nellen Gymnastik, im Functional Trainingund Gesundheitssport berücksichtigt undgenutzt werden, aber auch im Yoga, Tanz,Fitness- und Freizeitsport. Für Gymnastik-und Sportlehrer/-innen, für Yoga- undTanzlehrer/-innen, für Kursleiter/-innenund Trainer/-innen ist es daher lohnend,sich mit den spiralen Prinzipien dermenschlichen Bewegung zu befassen.Zum ersten Kennenlernen und zur Veran-schaulichung genügt schon ein näheresBetrachten von Knochen, Muskeln undBändern in einem guten Anatomieatlas –vorausgesetzt man verfügt über ein

    22 Zitiert aus Richard Smisek, 2009, S. 123.

    Nach spiraldynamischer Auffassung sind im „Drehsitz“ alleSchlüsselelemente spiraler Prinzipien vereint.23

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    23 Vgl. Christian Larsen/Christiane Wolff/Eva Hager-Fors -tenlechner: 2012, S. 90 ff.

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