Sprache als Heimat - cultiv · 2017. 6. 7. · Tod von Schalom Ben-Chorin und Beisetzung in...

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Sprache als Heimat ANHANG Magisterarbeit zur Erlangung des Titels Magister Artium angefertigt von Martin Nelskamp am Institut für Germanistik der Universität Leipzig Matrikelnummer 8645662 betreut von Frau Prof. Dr. Ulla Fix begutachtet von Frau Prof. Dr. Claudia Albert Leipzig, Mai 2005

Transcript of Sprache als Heimat - cultiv · 2017. 6. 7. · Tod von Schalom Ben-Chorin und Beisetzung in...

  • Sprache als Heimat

    ANHANG

    Magisterarbeit zur Erlangung

    des Titels Magister Artium

    angefertigt von Martin Nelskamp

    am Institut für Germanistik

    der Universität Leipzig

    Matrikelnummer 8645662

    betreut von Frau Prof. Dr. Ulla Fix

    begutachtet von Frau Prof. Dr. Claudia Albert

    Leipzig, Mai 2005

  • Gliederung Gliederung ........................................................................................................ 3

    1 Werkbiographie......................................................................................... 4

    2 Interviewleitfäden...................................................................................... 7

    2.1 Interviewleitfaden Avital Ben-Chorin .....................................................................7

    2.1.1 Nachfragen Avital Ben-Chorin...................................................................... 16

    2.2 Interviewleitfaden Alice Schwarz-Gardos ............................................................. 20

    3 Transkriptionsregeln............................................................................... 24

    4 Interviews................................................................................................. 25

    4.1 Interview Avital Ben-Chorin 16.01.2005 .............................................................. 25

    4.2 Interview Avital Ben-Chorin 17.01.2005 .............................................................. 47

    4.3 Interview Avital Ben-Chorin 19.01.2005 .............................................................. 65

    4.4 Interview Avital Ben-Chorin 22.01.2005 .............................................................. 85

    4.5 Interview Avital Ben-Chorin 13.02.2005 ............................................................ 112

    4.6 Interview Alice Schwarz-Gardos 29.01.2005 ...................................................... 136

    5 Glossar.................................................................................................... 151

    6 Materialien............................................................................................. 159

  • 1 Werkbiographie 4

    1 Werkbiographie Zeit Leben Werk

    1913 Geboren am 20. Juli in München als Fritz Franz Rosenthal.

    1923 Der Zehnjährige erlebt den Hitler-Putsch in München.

    1924 Im Alter von 54 Jahren stirbt der Vater Richard Rosenthal.

    1928 Am Weihnachtsabend verlässt Fritz Rosenthal das Haus der Mutter aus Empörung über das von den Juden gefeierte christliche Fest und findet bei der orthodoxen Familie des Freundes Adolf Rotter Aufnahme.

    1929 Rückkehr ins Elternhaus, da die orthodoxe Lebenswelt für Rosenthal auf Dauer nicht praktizierbar war.

    1930 Ausbildung zum Buchhändler in der ‚Ewer-Buchhandlung’.

    1931 Besuch von Vorlesungen in vergleichender Religionswissenschaft und Theaterwissenschaft an der Universität München.

    Fritz Rosenthal: ‚Die seltsame Gemeinde. Ein Legendenkreis’.

    1933 Am 1. April 1933 wird Fritz Rosenthal von SA-Leuten auf offener Straße blutig geschlagen.

    Fritz Rosenthal (Ben-Chorin1): ‚Das Messiasspiel. Ein dramatisches Mysterium’.

    1934 Vertreibung von der Alma mater. Fritz Rosenthal (Ben-Chorin): ‚Die Lieder des ewigen Brunnens. Gedichte’.

    1935 Emigration nach Palästina Fritz Rosenthal (Ben-Chorin): ‚Das Mal der Sendung. Gedichte’.

    1936 Gründung der Buchhandlung ‚Heatid’ zusammen mit Joseph Melzer

    SBC & Adolf Chajes: ‚Die Ernte. Ein Sammelheft jüdischer Dichtung’.

    1937 (Feb.)

    23. Dez.

    Einzug in die Wohnung in Romema, Jerusalem;

    Offizielle Änderung des Namens auf Schalom Ben-Chorin.

    1938 ‚Kritik des Estherbuches. Eine theologische Streitschrift’.

    1939 SBC wird Mitarbeiter bei ‚Blumenthals Neuesten Nachrichten’.

    ‚Jenseits von Orthodoxie und Liberalismus. Versuch über die jüdische Glaubenslage der Gegenwart’.

    1940 Einrichtung einer Synagogengemeinde in Romema.

    ‚Zur religiösen Lage in Palästina’ (Niru Nir 1).

    1941 Gründung des ‚Romema-Verlages’. ‚Die Christusfrage an den Juden’ (Niru Nir

    1 Zu diesem Zeitpunkt benutzt Fritz Rosenthal den Namen Ben-Chorin noch als Pseudonym. Den Vornamen ‚Schalom’ benutzt Ben-Chorin erst in Palästina und wird offiziell erst im Dezember 1937 bestätigt. Soweit vor der Veröffentlichung kein Name genannt wird, wurde sie unter dem Namen ‚Schalom Ben-Chorin’ veröffentlicht.

  • 1 Werkbiographie 5

    Zeit Leben Werk

    2); Das christliche Verständnis des Alten Testamentes und der jüdische Einwand’ (Niru Nir 3); SBC & Gerson Stern: ‚Menora. Eine Auswahl literarischen Schaffens in Eretz-Israel’.

    1942, 7. Nov. Kennenlernen von Avital Fackenheim bei einem Vortrag von Martin Buber und Gründung des ‚Romema-Clubs’

    Die Erneuerung der] ’התחדשות הדת‚Religion] (Niru Nir 6).

    1943, 25. Aug. Hochzeit mit Avital Fackenheim; Beginn einer umfangreichen Vortragstätigkeit in Israel.

    SBC & George L. B. Sloan: ‚Comfort ye, comfort ye my people’ (Niru Nir 8).

    Fünfzig] ’חמשים שנות ציונות. מקס בודנהימר‚ 1946Jahre Zionismus. Max Bodenheimer].

    1948 Herausgabe einer Notausgabe der ‚Jedioth Chadaschoth’ für Jerusalem.

    David Frankfurter: ‚נקם’ [Rache]; ‚Briefe an einen Chawer’.

    1954 Einladung nach Deutschland, bei der noch kein Besuch erfolgte

    1956 Erster Besuch von SBC in der Bundesrepublik Deutschland

    ‚Die Antwort des Jona. Zum Gestaltwandel Israels. Ein geschichtstheologischer Versuch’.

    1958 Gründung der Har-El-Gemeinde in Jerusalem.

    1959 Verleihung des Leo-Baeck-Preises.

    1960 ‚Christen und Juden’.

    1961 Besuch des evangelischen Kirchentages in Berlin, auf dem der Arbeitskreis ‚Juden und Christen’ gegründet wurde.

    1962 ‚Überwindung des christlichen Antisemitismus’.

    1963 Erste Fahrt mit israelischen Jugendlichen nach Deutschland.

    1966 ‚Zwiesprache mit Martin Buber. Ein Erinnerungsbuch’.

    1967 ‚Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht’.

    1970 ‚Paulus. der Völkerapostel in jüdischer Sicht’.

    1971 ‚Mutter Mirjam. Maria aus jüdischer Sicht’.

    1972 ‘Ich lebe in Jerusalem’.

    1974 ‘Jugend an der Isar’.

    1975 Gastprofessur in Tübingen und Verleihung des Leopold-Lucas-Preises.

    ‚Jüdischer Glaube. Strukturen einer Theologie des Judentums. Tübinger Vorlesungen’.

    1979 Teilnahme am Erzählerwettbewerb ‚Sprache als Heimat’ der IADM; ‚Das weiße Licht. Erzählungen’.

    1980 Gastprofessur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München

    ‚Betendes Judentum. Die Liturgie der Synagoge’.

  • 1 Werkbiographie 6

    Zeit Leben Werk

    und Preisverleihung der IADM an den Wettbewerbssieger SBC in Berlin

    1982 Gastdozent an der Ludwig-Maximilians-Universität in München

    ‚Germania Hebraica’; ‚Theologia Judaica’ (I).

    1985 ‚Der Engel mit der Fahne. Geschichten aus Israel’.

    1986 Verleihung des Professorentitels durch das Land Baden-Württemberg

    ‚Was ist der Mensch? Anthropologie des Judentums’.

    1988 Verleihung der Ehrendoktorwürde für evangelische Theologie der Universität München

    ‚Jüdische Theologie im 20. Jahrhundert’; ‚Weil wir Brüder sind. Zum christlich-jüdischen Dialog heute’.

    1991 ‚Begegnungen. Portraits bekannter und Verkannter Zeitgenossen’.

    1992 ‚Theologia Judaica’ (II).

    1993 Verleihung der Ehrendoktorwürde für katholische Theologie der Universität Bonn

    ‚Die Erwählung Israels. Ein theologisch-politischer Traktat’.

    1999, 7. Mai und 9. Mai

    Tod von Schalom Ben-Chorin und Beisetzung in Jerusalem

  • 2 Interviewleitfäden 7

    2 Interviewleitfäden

    2.1 Interviewleitfaden Avital Ben-Chorin

    Liebe Avital,

    ich möchte mit Ihnen ein Interview führen, in dem es um die Bedeutung der Muttersprache

    für den Menschen geht, wie die Muttersprache zur Heimat eines Menschen werden kann.

    Dazu ist es notwendig Ihnen eine Reihe von Fragen zu stellen, die von sehr privater Natur

    sind, eben so weit die Sprache in das Leben eines Menschen reicht. Ich stelle diese Fragen,

    weil ich sie für bedeutsam halte. Wenn Sie eine Frage aus persönlichen Gründen nicht

    beantworten möchten, steht es Ihnen frei, sie nicht zu beantworten.

    Außerdem werde ich aus Gründen der Wissenschaftlichkeit auch nach Dingen fragen, die mir

    bereits aus Gesprächen mit Ihnen bekannt sind. Ich bitte Sie, diese Fragen dennoch möglichst

    genau und ausführlich zu beantworten.

    Das Kennenlernen 1. Wie, wann und wo haben Sie Schalom Ben-Chorin kennen gelernt?

    2. Wie sind Sie sich nach diesem ersten Treffen näher gekommen? Gab es Hindernisse

    auf dem gemeinsamen Weg aufeinander zu?

    Die deutschen Juden in Jerusalem 3. Gab es zu dieser Zeit einen festen Kreis deutschsprachiger Juden in Jerusalem - also

    einen Kreis mit eigenen Ritualen (Vorträgen, Treffen, usw.) oder handelte es sich eher

    eine lose Gruppierung von deutschen Einwanderern, die keinen festen Kern hatten?

    4. Wenn es einen festen Kreis gab: Wo hat man sich wann getroffen, wie ist man sich

    begegnet?

    5. Wie hat sich dieser Kreis im Laufe der Zeit weiterentwickelt?

    (Besonders nachdem einige mögliche Mitglieder gestorben sind [Else Lasker-Schüler

    schon früh, Martin Buber, etc.]?)

    6. Gab es in Jerusalem bevorzugte Wohngebiete für aus Deutschland eingewanderte

    Juden?

    7. Wissen Sie, wo Ihr Mann gewohnt hat, bevor er im Februar 1937 in diese Wohnung in

    der Arielstr. 3, in Romema, eingezogen ist?

    8. Wenn ich richtig informiert bin, gehört Romema, das seinerzeit noch am Rande

    Jerusalems auf einem Hügel lag, nicht zu einem solchen möglichen Gebiet. Warum ist

    er hierher gezogen?

    9. Wie hat sich Romema und die direkte Umgebung des Hauses in dieser Zeit verändert?

  • 2 Interviewleitfäden 8

    Die Arbeitsweise 10. Wie hat Ihr Mann an einem gewöhnlichen Arbeitstag gearbeitet?

    11. Wenn Ihr Mann schrieb, hat er dann jeden Tag geschrieben (mit Ausnahme des

    Schabbath)?

    12. Wie regelmäßig und konstant war er in seiner Arbeit?

    13. Gab es feste Rituale im Tagesablauf/ Wochenablauf?

    14. Wie weit war die Arbeit Ihres Mannes von den Gesetzen des Judentums

    geprägt/durchdrungen?

    15. In dem Geburtstagsband von Heinz M. Bleicher, der Ihrem Mann zum 70. Geburtstag

    gewidmet ist, wird mehrfach Ihre Stellung an der Seite Ihres Mannes gewürdigt. Wie

    sah diese Unterstützung konkret aus?

    16. Haben Sie die Inhalte seiner Werke mit ihm zusammen diskutiert?

    17. Haben Sie Korrekturen vornehmen können?

    [Von hier an Nachfragen zur gemeinsamen Arbeit an allen Stellen, wo es sinnvoll

    erscheint: mindestens bei der praktischen Arbeit in Jerusalem]

    18. Haben Sie die meisten Vorträge und Diskussionen ihres Mannes beobachtet oder

    sogar an ihnen teilgenommen?

    19. Ihr Mann hat in der Mandatszeit hier in Palästina viele Vorträge zu unterschiedlichen

    Themen und auch Predigten gehalten. In welcher Sprache fanden diese Vorträge dann

    statt?

    20. Wer war Publikum dieser Vorträge?

    Sprache in der Familie 21. Welche Rolle hatten Sie in der Familie Ben-Chorin? (Waren Sie berufstätige Frau und

    Mutter oder haben Sie Ihr Hauptaugenmerk auf die Arbeit in Haus und Familie gelegt

    beziehungsweise sind Ihrem Mann bei seiner Arbeit zur Hilfe gekommen?)

    22. Welche Bedeutung hat Sprache und genauer die deutsche Sprache in Ihrem Leben?

    23. Wie und wie bewusst haben Sie beide innerhalb der Familie Sprachentscheidungen

    getroffen (für die deutsche oder für die hebräische Sprache)?

    24. In welcher Sprache lief Ihr Familienleben ab?

    25. Gab es aus Ihrer Sicht eine Alternative zu dieser Entscheidung?

    26. Haben Sie von sprachlicher Diskriminierung deutscher Juden in Ihrer Umgebung, in

    Israel erfahren oder haben Sie sogar als Familie selber sprachliche Diskriminierung

    erlebt?

    27. In wieweit unterscheidet sich Ihr Sprachgefühl von dem Ihres Mannes?

    28. Haben Sie darüber gesprochen, wie Sprache auf Sie wirkt?

  • 2 Interviewleitfäden 9

    Die Har-El-Gemeinde, eine Gemeinde des reformierten Judentums 29. Aus welchen Beweggründen hat Ihr Mann 1958 die Har-El-Gemeinde in der

    Schmuel-HaNagid-Straße hier in Jerusalem gegründet?

    30. Wer waren die Freunde, mit denen er zusammen diese Gründung durchgeführt hat?

    31. Wie ging diese Gründung vonstatten?

    32. Die Emet W’Emuna-Synagoge, unter der Leitung von Rabbiner Kurt Wilhelm, war in

    der Mandatszeit ein bedeutender Anlaufpunkt für deutschsprachige Juden in

    Jerusalem. Gab es diese Gemeinde zur Zeit der Gründung der Har-El-Synagoge noch?

    33. Gab es einen Zusammenhang zwischen der alten Gemeinde und der Neugründung, da

    ja Wilhelm ebenfalls ein liberaler Rabbiner war?

    34. Wie verlief die Arbeit in der Gemeinde?

    35. Welche konkrete Aufgabe kam dabei Ihrem Mann zu, der nach meinem Wissen ja

    kein anerkannter Rabbiner war?

    36. In den Tagebuchaufzeichnungen in ‚Zwiesprache mit Martin Buber’ ist von einem

    Streit aus der frühen Zeit der Gemeinde die Rede zu dessen Schlichtung sich Buber

    seinerzeit angeboten hatte (vgl. BEN-CHORIN 1978: 166). Wissen Sie, worum es in

    diesem Streit ging?

    37. Wie ging der Streit aus – wurde das Problem gelöst?

    38. In Bezug auf die Arbeit Ihres Mannes in Jerusalem ist mehrfach von Kritik der

    orthodoxen Seite die Rede: Wie sah diese Kritik und die Einwände von orthodoxer

    Seite aus? – Hat es Veröffentlichungen gegeben, Briefe, Anrufe, Gespräche oder

    Zurufe auf der Straße?

    39. Ist solche Kritik oder Anfeindung dokumentiert?

    40. Wenn ja: Wo?

    41. Wie stark war Ihre Arbeit in der Gemeinde den Überlegungen deutschen

    Reformjudentums aus dem 19. Jahrhundert verpflichtet – auf welche Quellen stützt

    sich die Liturgie in der Gemeinde?

    42. Hat sich in Bezug auf die Liturgie und deren Ursprung im Laufe der Zeit etwas

    verändert?

    43. Ich habe im vergangenen Jahr zwei Gottesdienste in Ihrer Synagoge besucht, die beide

    vollständig in hebräischer Sprache abgehalten wurden. War diese feste Sprachbindung

    in der Gemeinde immer so gegeben oder hat es auch deutschsprachige Elemente, etwa

    eine deutschsprachige Predigt, gegeben?

  • 2 Interviewleitfäden 10

    44. Wenn die Textarbeit in der Synagoge und im Gottesdienst immer an die hebräische

    Sprache geknüpft war – in welcher Sprache beziehungsweise in welchen Sprachen

    spielte sich dann das Gespräch nach dem Gottesdienst zumeist ab?

    45. Haben die Gemeindemitglieder untereinander eher Hebräisch gesprochen und nur den

    Besuchern in anderen Sprachen Sachverhalte erklärt und Persönliches besprochen?

    46. Neben Ihrem Mann waren Sie jedoch auch immer in der Har-El-Gemeinde tätig und

    sind es bis heute. Welche Aufgaben der Gemeinde nehmen Sie regelmäßig war?

    47. Suchen Sie noch heute, wie von Ihrem Mann in ‚Mein Glaube – mein Schicksal’ (vgl.

    BEN-CHORIN 1984: 44) erwähnt, eine Auswahl moderner hebräischer Literatur, die für

    den Gottesdienst brauchbar ist, aus?

    48. Wie kam es zu dieser Aufgabe?

    49. Ihr Mann hat in dem als ‚Mein Glaube – mein Schicksal’ erschienen Gespräch mit

    Karl-Heinz Fleckenstein gesagt, dass sein Sohn in der von Ihrem Mann gegründeten

    Synagoge dessen Werk zu seinem eigenen gemacht hat – in wie weit setzt Tovia, der

    erste Sohn Ihres Mannes, dessen Arbeit als Reformrabbiner fort?

    50. Wo ist er derzeit tätig?

    51. Welche Sprachen beherrscht Ihr Sohn?

    52. Welche dieser Sprachen sind für seine Arbeit in der Synagoge von Bedeutung – in

    welcher Sprache findet sein Gemeindeleben statt?

    Lehrtätigkeit und Institutionalisierung von Überzeugungen 53. Warum hat Ihr Mann nie eine dauerhafte Lehrtätigkeit an der Hebräischen Universität

    innegehabt?

    54. Hätte Ihr Mann, seinem Gefühl nach, in hebräischer Sprache lehren können?

    55. Wenn ja: Hätte es, wie vormals bei Martin Buber und dessen Absicht im religiösen

    Bereich zu lehren, Einwände von orthodoxer Seite gegeben oder gab es solche?

    Wenn nein: Warum sah er sich nicht dazu in der Lage in hebräischer Sprache zu

    unterrichten?

    56. War das in Deutschland abgebrochene und in Palästina/Israel nicht fortgesetzte

    Studium ein Grund für die lange Zeit nicht zugestandene Lehrtätigkeit an der

    Universität?

    57. Was waren die Gründe für die späten Lehraufträge in Deutschland und schließlich

    auch in Jerusalem?

    58. Zu welchen Themen hatte Ihr Mann in Jerusalem einen Lehrauftrag?

    59. In welcher Sprache lehrte Ihr Mann in Jerusalem?

  • 2 Interviewleitfäden 11

    60. In welcher Sprache wurden diese Vorträge veröffentlicht?

    Die Buchhandlung und die publizistische Arbeit in Israel 61. Ich habe in der Oktoberausgabe 2004 der deutschen Interviewzeitschrift ‚Galore’ ein

    Gespräch mit Abraham Melzer gelesen, in dem er von seinem Vater, Joseph Melzer,

    und dessen Zeit in Jerusalem berichtet. In diesem Interview sagt Abraham Melzer,

    dass Ihr Mann in seinen ersten Jahren in Jerusalem mit Joseph Melzer eine

    Buchhandlung betrieben hat. Handelt es sich dabei um die Buchhandlung ‚Zukunft’?

    62. Wissen Sie, wie die Zusammenarbeit mit Herrn Melzer aussah?

    63. Gab es noch andere Mitarbeiter oder Partner in der Buchhandlung?

    64. Kennen Sie die näheren Umstände dieses scheinbar bald abgebrochenen Versuches?

    65. Wissen Sie, welche wirtschaftlichen Folgen dieser Versuch hatte?

    66. Ist Ihnen bekannt, ob diese Buchhandlung thematisch oder sprachlich ausgerichtet

    war?

    67. Ihr Mann hat zu Beginn seiner Arbeit in Palästina, wie aus der Liste seiner

    Veröffentlichungen von Tobias Raschke bei ‚HaGalil’ hervorgeht, bei mehreren

    Verlagen veröffentlicht – warum hatte er keinen Stammverlag?

    68. Wissen Sie wer die Verleger waren, die seine frühen Werke betreut haben?

    69. Wissen Sie, warum diese Verleger die Werke Ihres Mannes verlegt haben?

    70. War die Veröffentlichung dieser mehrheitlich deutschsprachigen Bücher in Palästina

    wirtschaftlich interessant oder waren es vornehmlich ideelle Gründe, die diese

    Verleger dazu bewegten?

    71. Unter den Verlagen ist auch ein ‚Romema-Verlag’, der also den gleichen Namen trägt,

    wie das Stadtviertel Jerusalems, in dem Sie nun schon seit vielen Jahrzehnten wohnen.

    Gibt es da einen Zusammenhang?

    72. War der ‚Romema-Verlag’ wirtschaftlich erfolgreich?

    73. Ihr Mann hat neben den deutschen Büchern auch einige englische Broschüren und vor

    allem ein Buch auf Hebräisch veröffentlicht: ‚50 Jahre Zionismus - Max Bodenheimer

    - Ein alter deutscher Zionist’ (BEN-CHORIN 1946). Wie kam es zu dieser

    Veröffentlichung?

    74. Daneben gab es noch eine Zusammenarbeit mit David Frankfurter, die ebenfalls auf

    Hebräisch erschienen ist (FRANKFURTER 1948). Wurde das zur Aufzeichnung geführte

    Gespräch Ihres Mannes mit Frankfurter ebenfalls auf Hebräisch geführt?

    75. In der Deutschen Bücherei in Leipzig existiert ein maschinenschriftliches Manuskript

    dieses Bandes in deutscher Sprache, wie kam es dazu?

  • 2 Interviewleitfäden 12

    76. Warum ist dieses Buch nie in deutscher Sprache erschienen?

    77. Warum waren diese beiden Bücher Ihres Mannes, die kurz nacheinander in

    hebräischer Sprache erschienen, die einzigen Veröffentlichungen in dieser Sprache?

    78. War das hebräische Publikum dieser Zeit, vor der Staatsgründung und kurz nach Ende

    des Zweiten Weltkrieges, nicht an Büchern solchen Inhalts interessiert?

    79. Hat Ihr Mann für hebräischsprachige Zeitungen geschrieben?

    80. Wenn ja: Für welche Zeitungen hat er gearbeitet und worüber hat er dann gearbeitet?

    Publizistische Arbeit in Deutschland 81. Wissen Sie, für welche deutschen (nicht deutschsprachigen) Zeitungen Ihr Mann

    geschrieben hat?

    82. War die Zusammenarbeit mit deutschen Tageszeitungen regelmäßig oder hat Ihr Mann

    zu bestimmten konkreten Anlässen und auf konkrete Anfragen hin geschrieben?

    83. Wissen Sie, wie diese Zusammenarbeit jeweils zustande kam?

    84. Es waren viele christliche Verleger, bei denen Ihr Mann veröffentlichte. War die

    Hoffnung auf eine befriedigende Rezeption größer als bei anderen?

    85. Waren diese Verleger gezielt ausgewählt?

    86. Oder haben sich bei der gewählten Thematik christliche Verleger als alternativlos

    erwiesen?

    87. Es gibt in der ‚Zwiesprache mit Martin Buber’ eine Passage in der Ihr Mann schreibt,

    man hätte von Bubers Umgang mit den Verlegern in den Punkten „Auswertung und

    Wirksammachung eines Werkes viel Nützliches lernen“ (BEN-CHORIN 1978: 97)

    können. Hat Ihr Mann durch die Auswahl seiner Verlage und Verleger versucht seine

    Rezeption und Wahrnehmung zu lenken?

    Deutschlandreisen 88. Welche Bedeutung hatten die Reisen nach Deutschland für Sie und Ihren Mann?

    89. Sie sind von 1956 an häufig nach Deutschland gereist, ich habe von einer Einladung

    zum Zollernkreis (vgl. BEN-CHORIN 1982: 143) und einem Kirchentagsbesuch in den

    Achtzigerjahren näheres gelesen (vgl. Bibliographie SBC) – welche Zielsetzung hatten

    die Reisen nach Deutschland für Sie?

    90. Wen haben Sie auf diesen Reisen getroffen?

    91. Sind Sie darüber hinaus in andere Länder gereist, oder waren Ihre Reisen

    weitestgehend auf Deutschland oder sollte man sagen den deutschen Sprachraum

    begrenzt?

  • 2 Interviewleitfäden 13

    92. Gab es in Ihrem Jerusalemer Umfeld negative Reaktionen auf solche Reisen nach

    Deutschland – zumal die ersten Reisen stattfanden, als es selbst die umstrittenen

    diplomatischen Beziehungen zu Deutschland noch nicht gab?

    93. Wurde in einem solchen Zusammenhang Deutschland als das Land der Täter der

    Schoah angeklagt?

    94. Hat sich diese Kritik mit der Zeit verändert?

    95. Haben Sie ihren Mann auf allen Reisen begleitet?

    96. Welche Rolle spielte die deutsche Sprache bei diesen Reisen?

    97. Welche Bedeutung hatte Deutschland und die deutsche Sprache zu dieser Zeit für Sie?

    98. Hat sich in den Jahrzehnten in denen Sie Deutschland erlebt haben, etwas

    Signifikantes verändert?

    99. Hat sich die Sprache verändert?

    Der jüdisch-christliche Dialog 100. Wann hat für Ihren Mann die Aufnahme des jüdisch-christlichen Dialoges

    begonnen?

    101. Wie sah dieser praktizierte Dialog in Jerusalem aus?

    102. Welche Rolle kommt der ‚Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste’ in diesem

    Dialog zu?

    103. Arbeiten Sie noch heute mit der ‚Aktion Sühnezeichen’ zusammen?

    104. Gab es neben Ihrem Mann noch andere Persönlichkeiten in Israel, die einen

    jüdisch-christlichen Dialog, besonders mit dem deutschen Christentum, betrieben und

    unterstützt haben?

    105. Die Begegnung mit deutschen Jugendgruppen, so ist es vielen Aussagen Ihres

    Mannes zu entnehmen, war ihm immer sehr wichtig - gab es dementsprechend in

    diesem Dialog auch regelmäßigen Kontakt zu israelischen Jugendgruppen?

    106. Wie stark war und ist die israelische Jugend an einem solchen Dialog mit

    Deutschland und dem Christentum interessiert?

    107. In den letzten zehn Jahren, in denen ich mich mit der Situation in Israel

    beziehungsweise Palästina beschäftigt habe, hat es verschieden starke Wellen von

    Besucher- und Pilgerströmen gegeben. Ich vermute, dass es bereits vorher keinen sehr

    konstanten Zustrom christlicher Reisender nach Jerusalem gab, sondern seine Größe

    von der politischen Situation in der Region abhängig war. Haben Sie diese veränderte

    Situation wahrgenommen/ gespürt?

  • 2 Interviewleitfäden 14

    108. Inwieweit haben Sie diese veränderten Situationen wahrgenommen und

    gespürt?

    109. Wenn ja: Hatten diese Schwankungen Auswirkungen auf die Intensität des

    christlich-jüdischen Dialogs?

    110. Sie haben mir und meinen Kollegen während des Zivildienstes in ‚Neve

    Hanna’ die Gelegenheit gegeben, Sie regelmäßig hier zu besuchen und uns bei diesen

    Besuchen die jüdischen Feiertage näher gebracht und verständlich gemacht. Seit wann

    bestand dieses Angebot für die Freiwilligen in ‚Neve Hanna’?

    111. Haben Sie es immer in dieser Form gehalten oder war auch Ihr Mann an diesen

    Begegnungen beteiligt?

    112. Sehen Sie diese Treffen, die ja noch heute stattfinden, wenn die Freiwilligen

    interessiert sind, als Teil dieses jüdisch-christlichen Dialogs?

    113. Welche Bedeutung kommt Ihrer Meinung nach diesen Treffen zu?

    114. Sie machen noch heute Reisen nach Deutschland und halten dort Vorträge.

    Welche Themen berühren Ihre Vorträge in Deutschland?

    115. Wie sind diese Vorträge zustande gekommen?

    116. Sehen sie diese Reisen als die Fortsetzung des jüdisch-christlichen Dialogs im

    Geiste Ihres Mannes.

    117. Wie bewerten Sie diesen jüdisch-christlichen Dialog in seiner heutigen Form?

    118. Sie überlegen derzeit die Bibliothek Ihres Mannes in ‚gute Hände’ zu bringen

    und erwägen dabei zunächst den Geburtsort Ihres Mannes, München, als Standort der

    ersten Wahl. Glauben Sie, dass die Nationalbibliothek hier in Jerusalem nicht an

    diesen Dingen interessiert ist?

    119. Was sind die Gründe dafür, diesen Nachlass nach Deutschland ‚zurückbringen’

    zu wollen? – (Ist es das rein sprachliche Verständnis, das in Deutschland höher

    anzusetzen ist, und somit auch die breitere Wirkung? Oder gibt es hier kein Interesse

    an dem Erbe Ihres Mannes und dem, was er geschaffen hat?)

    Die Begriffe Nun zum Schluss dieses Interviews möchte ich Ihnen noch vier Fragen stellen, die sich auf Ihr

    ganz persönliches Verständnis von zwei sehr symbolischen Begriffen beziehen:

    120. Was würden Sie heute als Ihre Heimat bezeichnen?

    121. Was verbinden Sie mit dem Begriff ‚Muttersprache’?

    122. Welche Sprache würden Sie als Ihre Muttersprache bezeichnen?

    123. Welche Bedeutung hat diese Muttersprache für Sie?

  • 2 Interviewleitfäden 15

    Können Sie versuchen, diese letzten Fragen aus der Sicht Ihres Mannes zu beantworten:

    124. Was würde er als seine Heimat bezeichnen?

    125. Was verband er mit dem Begriff ‚Muttersprache’?

    126. Welche Sprache würde er als seine Muttersprache bezeichnet haben?

    2.1.1

  • 2 Interviewleitfäden 16

    Nachfragen Avital Ben-Chorin

    1. War das zionistische Ehrengericht an einen bestimmten Zionistenkongress gebunden?

    2. Wer war der Redakteur und Schriftsteller, der Schalom Ben-Chorin übersetzt hat?

    3. War die Übersetzungsgrenze möglicherweise auch die Zeit der Staatsgründung? (Weil

    ja 1948 das letzte Buch auf Hebräisch erschien)

    4. Wer war der Staatspräsident, in dessen Büro sie gearbeitet haben?

    5. Haben sie die Telefonate mit Ihrer Tochter auf Hebräisch geführt, wenn Hebräisch-

    Sprecher anwesend waren, oder eben, wenn Deutsch-Sprecher anwesend waren?

    6. Wie ist der korrekte Name der Organisationen: Hitachdut Ole Germania (WeOle

    Austria), Irgun (oder auch Hitachdut?) Ole Merkas Europa?

    7. Sie überlegen derzeit die Bibliothek Ihres Mannes in ‚gute Hände’ zu bringen und

    erwägen dabei, soweit mir bekannt ist, zunächst den Geburtsort Ihres Mannes,

    München, als Standort der ersten Wahl. Haben Sie neben München andere Standorte

    in Erwägung gezogen?

    8. Was sind die Gründe dafür, diesen Nachlass nach Deutschland ‚zurückbringen’ zu

    wollen? – (Ist es das rein sprachliche Verständnis, das in Deutschland höher

    anzusetzen ist, und somit auch die breitere Wirkung? Oder gibt es hier kein Interesse

    an dem Erbe Ihres Mannes und dem, was er geschaffen hat?)

    Die Begriffe Nun zum Schluss dieses Interviews möchte ich Ihnen noch vier Fragen stellen, die sich auf Ihr

    ganz persönliches Verständnis von zwei sehr symbolischen Begriffen beziehen:

    9. Was würden Sie heute als Ihre Heimat bezeichnen?

    10. Aus welchen Gründen ist dies Ihre Heimat

    11. Was verbinden Sie mit dem Begriff ‚Muttersprache’?

    12. Welche Sprache würden Sie als Ihre Muttersprache bezeichnen?

    13. Welche Bedeutung hat diese Muttersprache für Sie?

    Können Sie versuchen, diese letzten Fragen aus der Sicht Ihres Mannes zu beantworten:

    14. Was würde er als seine Heimat bezeichnen?

    15. Aus welchen Gründen war dies für ihn Heimat?

    16. Was verband er mit dem Begriff ‚Muttersprache’?

    17. Welche Sprache würde er als seine Muttersprache bezeichnet haben?

    18. Welche Bedeutung hatte diese Muttersprache für ihn?

    19. Hat Ihr Mann bereits intensiv mit Johannes Gerster und der Konrad-Adenauer-Stiftung

    zusammen gearbeitet?

  • 2 Interviewleitfäden 17

    20. Sie haben von dem deutschen Angebot gesprochen, die Staatsangehörigkeit

    zurückzubekommen. Gibt es zu diesem Vorgang Unterlagen, die ein genaueres Datum

    ermitteln lassen? (Bei den Manuskripten war in dieser Richtung nichts zu finden.)

    21. Sie haben gesagt, dass sie in der Publikationsabteilung des Keren Kajemet gearbeitet

    haben. Kam die Veröffentlichung zu Bodenheimer durch Ihre Arbeit beim Keren

    Kajemet zustande?

    22. Sie haben von einem Staatspräsidenten gesprochen, der bei der Verleihung der

    Ehrendoktorwürde in Bonn anwesend war, war es der israelische, oder der deutsche

    Bundespräsident? Wie lautet der Name dieses Staatspräsidenten?

    23. Hatte Ihr Mann in Jerusalem oder Israel enge Freundschaften, die er in hebräischer

    Sprache führte, also Freunde mit denen er in hebräischer Sprache gesprochen hat?

    24. Gibt es Predigt-Manuskripte Ihres Mannes, von Predigten, die er auf Hebräisch

    gehalten hat? Oder hat er seine Predigten frei gehalten?

    25. War Ihr Mann in der Vereinigung der deutschsprachigen Schriftsteller in Israel tätig?

    26. Wenn ja: können Sie sagen, wie diese Arbeit für den Verband aussah?

    27. Sie haben in dem Interview zu den aus Idstein eingehenden Zeitungsartikeln im

    Vergleich zu den hiesigen Zeitungen gesagt, dass es sie mehr anginge, was Ihnen da

    zugeschickt würde. Wie meinten Sie das?

    28. Sie haben in Bezug auf Pinchas Lapide erwähnt, dass Ihr Mann ihm den Kontakt zu

    seinem ersten Verlag geknüpft hat. War es die Verbindung zu Rubin Mass, wo das

    Buch über die Juden von San Nicandro 1952 auf Hebräisch erschienen ist, oder hat er

    den Kontakt zu dem ersten deutschen Verlag von Lapide vermittelt?

    29. Wissen Sie wann und wo der von Lapide abgeschriebene und veröffentlichte Aufsatz

    über Jesus erschienen ist?

    30. Hat Ihr Mann dann, wenn Sie einen Vortrag von Lapide gehört haben, auf diese

    Verwischung der Grenzen hingewiesen? Gab es da Diskussionen zwischen diesen

    beiden prominenten Vermittlern?

    31. Sie haben in Bezug auf die Institutionen des christlich-jüdischen Dialogs in Jerusalem

    von der Rainbow-Group und Professor Verblowski gesprochen: War Verblowski

    Jude?

    32. Wo war er Professor?

    33. Existiert die Rainbow-Group heute noch oder nicht mehr?

    34. Was für eine Einrichtung ist die Schmidt-Schule hier in Jerusalem, von der sie

    gesprochen haben?

  • 2 Interviewleitfäden 18

    35. Sie haben mir von Ihrer Reise nach München erzählt, dem Geburtsort ihres Mannes,

    an dem er seine prägenden Jugendjahre verbracht hat und wo eine Straße nach ihm

    benannt ist. Gibt es in Jerusalem eine Ben-Chorin-Straße? Oder ist es hier nicht

    üblich, Straßen nach bedeutenden Persönlichkeiten, Söhnen der Stadt, zu benennen?

    36. Sie haben Ihre Tätigkeit bei Neve Hanna angesprochen und die Sitzungen mit Hanni

    Ullmann als eine gewisse Besonderheit beschrieben. In welcher Sprache fanden die

    Sitzungen von Neve Hanna unter Hanni Ullmann statt?

    37. Wer waren die Teilnehmer dieser Sitzungen?

    38. Von der ersten gemeinsamen Deutschlandreise haben sie erwähnt, wie sie die

    Reisekosten zusammenbringen konnten. Wie sah das bei den anderen Reisen aus?

    Wurden Sie da in der Form eingeladen, wie jetzt im Mai nach Hannover?

    39. Sie haben das Jugendaustauschprogramm im Sauerland erwähnt. Wie war das Seminar

    im Sauerland oder das ganze Programm der ersten Begegnungen ausgerichtet? Eher

    politisch, eher religiös, oder eher historisch?

    40. War das Seminar 1973 auch noch in deutscher Sprache, wie die Seminare in den 60er

    Jahren?

    41. Sie sprachen von Auslandsgesprächen, die über öffentliche Apparate leichter zu

    führen waren. Wieso war das leichter? War es von Zuhause ein Problem?

    42. Ich habe in den ‚Briefen an den Chawer’ (vgl. NL SBC: BadCH, B 3) in der Ebene

    häufig den Begriff ‚Neft’ gefunden. Was ist Neft?

    43. Ich habe eine Einladung zu einigen Veranstaltungen eines Verbandes der Älteren aus

    den Jahren 1952 (vgl. NL SBC: RB, EL: 12-13) gefunden. Worum handelte es sich bei

    diesem Verband?

    44. Bei den Unterlagen des Romema-Clubs habe ich für das Jahr 1943 eine Anzeige für

    einen Englisch-Kurs gefunden (vgl. NL SBC: RB, EL: 5). Haben Sie diesen Kurs

    gegeben oder war die dort genannte Frau Ben-Chorin noch die erste Frau Ihres

    Mannes?

    45. Ebenfalls im Romema-Umfeld, ich glaube in Bezug auf die Einrichtung der Synagoge

    in Romema war von einem Herrn Martin Salinger die Rede. Ist dieser Salinger mit

    dem Salingré der Heatid-Buchhandlung identisch?

    46. Hat er möglicherweise seinen Namen für die Buchhandlung französisiert, um die

    Buchhandlung und seine Person nicht deutsch erscheinen zu lassen?

  • 2 Interviewleitfäden 19

    47. Bei den Veranstaltungen, an denen Ihr Mann beteiligt war und bei Michael

    VOLKMANN (1994: 247), habe ich die Veranstaltungsform ‚Oneg Schabbath’

    gefunden? Können Sie mir sagen, was ich mir darunter vorstellen muss?

    48. Ich bin bei den Recherchen hier immer wieder auf den Namen Hans Tramer gestoßen,

    dem Ihr Mann auch einmal einen Brief über die Rufmordkampagne in Jerusalem

    geschrieben hat. Wer war Hans Tramer? Was hat er gemacht?

    2.2

  • 2 Interviewleitfäden 20

    Interviewleitfaden Alice Schwarz-Gardos Liebe Frau Schwarz-Gardos,

    ich möchte nun mit Ihnen das besprochene Interview führen, in dem es um die Bedeutung der

    Muttersprache für den Menschen geht, wie die Muttersprache zur Heimat eines Menschen

    werden kann. Dazu möchte ich Ihnen, in Bezug auf Schalom Ben-Chorin (SBC) und ihre

    Zusammenarbeit mit ihm, einige Fragen stellen. Darüber hinaus möchte ich Sie auch zu Ihrem

    persönlichen Umgang mit Schalom Ben-Chorin befragen, da mir dieser im Bezug auf die

    Sprache ebenfalls interessant erscheint. Wenn Sie eine dieser Fragen aus persönlichen

    Gründen nicht beantworten möchten, steht es Ihnen frei, sie nicht zu beantworten.

    Zudem ist es möglich, dass ich aus Gründen der Wissenschaftlichkeit nach Informationen

    frage, die mir aus Texten oder anderen Quellen bereits bekannt sind.

    Zusammenarbeit mit SBC 1. In Ihrem Artikel über ‚SBC als Kollege’(BLEICHER 1983: 16-19) schrieben Sie, dass

    er bereits vor Ihnen bei den ‚Jedioth Chadaschoth’ tätig war. Wissen Sie wie lange er

    schon vor Ihnen dort tätig war?

    2. Wissen Sie, wie Schalom Ben-Chorin zu der Arbeit bei den ‚Jedioth Chadaschoth’

    gekommen war?

    3. (Wissen Sie wann genau er seine Arbeit dort aufgenommen hat?)

    4. Wie und zu welchen Gelegenheiten sind Sie sich begegnet, wenn Sie zunächst als

    Korrespondentin in Haifa und Schalom Ben-Chorin in Jerusalem tätig waren?

    Deutschsprachige Zeitungen in Israel 5. Sie hatten zuvor bei der deutschsprachigen Konkurrenz, den ‚Jedioth HaJom’

    gearbeitet. – Wo ist diese Zeitung erschienen?

    6. Wer waren die Mitarbeiter in der Redaktion?

    7. (War das eine ebensolche Runde von „illustren Mitarbeitern“ [SCHWARZ-GARDOS

    1983C: 16]?)

    8. Aus welchen Gründen sind Sie 1962 zu den ‚Jedioth Chadaschoth’ gewechselt?

    9. Wie war das Miteinander dieser beiden kleinen Zeitungen in Eretz Israel?

    10. Wie haben Sie dieses Miteinander und seine Folgen erlebt?

    11. Sie sprachen (in dem oben genannten Artikel [BLEICHER 1983: 16-19]) von einer

    „kultiviert gedämpften, jedoch unerbittlichen Rivalität“ – Wie kann ich mir diese

    Rivalität und den Konkurrenzkampf vorstellen?

    12. An welchen Stellen äußerte sich der Konkurrenzkampf?

    13. In dem Artikel schreiben Sie, dass Schalom Ben-Chorin durch diese Konkurrenz nicht

    in der Lage war, Ihre Publikationen zu besprechen (Rezensionen über Ihre

  • 2 Interviewleitfäden 21

    Veröffentlichungen zu schreiben). An dieser Stelle stellt sich mir die Frage, ob Ihre

    Publikationen dadurch weniger bekannt wurden?

    14. Wäre es möglich, den erwähnten Brief über diese nicht erfolgten Besprechungen

    einzusehen?

    15. Am Ende des Jahres 1973 wurden die ‚Jedioth Chadaschoth’ liquidiert und als

    Nachfolgerin traten die ‚Chadaschoth Israel – Israel Nachrichten’ mit einem neuen

    Verlag an die Öffentlichkeit. – Was war Ihre Rolle bei dieser einschneidenden

    Veränderung (In manchen Kurzbiographien von Ihnen ist zu lesen, das Sie seit 1974

    die Chefredakteurin der Zeitung waren. Ihr Artikel über Schalom Ben-Chorin schreibt

    Ihnen zunächst aber eine andere Rolle zu.) (SCHWARZ-GARDOS 1983C: 18)?

    16. Aus welchem Grund glauben Sie, dass sich durch diese Änderung Ihre Beziehungen

    noch verbessert haben könnten, wie Sie es in dem Artikel (BLEICHER 1983: 16-19)

    angedeutet haben?

    17. Was war der Grund dafür, dass die drei hier hauptsächlich besprochenen

    deutschsprachigen Zeitungen dennoch einen hebräischen oder zumindest

    zweisprachigen Titel hatten (im Gegensatz zu den noch früher erschienenen ‚BNN’)?

    18. Wäre die Wahl eines nicht hebräischen Titels in Israel zu Zeiten der

    Zeitungsgründungen denkbar gewesen?

    19. Wäre es heute möglich einen nicht hebräischen Titel für eine Zeitung zu wählen (oder

    geschieht es sogar, vermutlich am ehesten durch russische Einwanderer)?

    Publikationstätigkeit 20. Sie waren neben Ihrer Arbeit als Chefredakteurin der Israel-Nachrichten, ab etwa

    Anfang der Achtzigerjahre auch als Herausgeberin von mehreren Anthologien

    (‚Heimat ist anderswo’ [SCHWARZ-GARDOS 1983A], ‚Hügel des Frühlings’

    [SCHWARZ-GARDOS 1984]) tätig, in diesen Anthologien waren stets auch Texte von

    Schalom Ben-Chorin enthalten. Nach welchen Kriterien haben Sie seinerzeit die

    Autoren und Texte ausgesucht?

    21. In Ihrem einleitenden Aufsatz ‚Die Einsamkeit der deutschsprachigen Schriftsteller’

    (SCHWARZ-GARDOS 1983B: 13-17) nennen Sie einige Namen von Autoren, von denen

    Sie auch Texte in diesem Bändchen ausgesucht haben. Der Name Schalom Ben-

    Chorin fällt in dem Aufsatz jedoch nicht. Aus welchem Grund nennen Sie seinen

    Namen nicht in diesem Zusammenhang?

    22. Aus welchem Grund tauchen dennoch Texte von ihm in dieser Anthologie auf?

  • 2 Interviewleitfäden 22

    23. Hat der Name Ben-Chorin Ihrer Einschätzung nach einen so großen Bekanntheitsgrad

    in Deutschland gehabt, dass er verkaufsfördernd für die Anthologie sein konnte?

    24. Schalom Ben-Chorin hat bereits in Zeiten des Zweiten Weltkrieges eine Anthologie

    mit Gerson Stern zusammengestellt, welche Sie in Ihrem Artikel über ihn ‚SBC als

    Kollege’ ausführlich erwähnen. Sie haben seine Arbeit in dem Artikel als

    „Geburtshelfertum“ (SCHWARZ-GARDOS 1983C: 17) für einige der aufgenommenen

    Autoren bezeichnet. Können Sie einschätzen, wie viele Exemplare von diesem ‚Mini-

    Taschenbuch’ es gab und wie weit seine Wirkung war?

    25. Das Heft ist in Tel Aviv im Verlag Walter Menke erschienen. Konnte da, Ihrer

    Meinung nach, der Ruf von Eretz Israel in die Welt bis in den gesamten deutschen

    Sprachraum reichen?

    Die Verlage in Eretz-Israel 26. In dem Artikel zu Ihrem Kollegen Schalom Ben-Chorin nennen sie zwei Verlage.

    Neben dem Verlag Walter Menke noch den Verlag Matara, in dem andere

    Neuerscheinungen von ihm und anderen zu bekommen waren – Was für Verlage

    waren das?

    27. Wissen Sie, warum diese Verlage beziehungsweise Verleger in Eretz Israel

    ausgerechnet deutsche Bücher verlegt haben?

    28. Außerdem sagen Sie, dass der Matara Verlag verschwunden und verschollen ist. –

    Wissen Sie was zu diesem Verschwinden geführt hat?

    29. Sind Ihnen die anderen Verlage, bei denen Schalom Ben-Chorin in Eretz Israel

    veröffentlicht hat, bekannt? – Aus eigener Erfahrung oder aus Erzählungen? (Heatid

    Salingré & Co., Jerusalem; Goldstein, Tel Aviv; Niru Nir, Jerusalem; Romema-

    Verlag, Jerusalem)

    30. Zwei Werke von Schalom Ben-Chorin aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind

    in hebräischer Sprache erschienen: ein selbstständiges Werk über Max Bodenheimer,

    Chamischim Schnot Zionut (BEN-CHORIN 1946) und ein Werk zusammen mit David

    FRANKFURTER (1948), Nakam – Haben Sie von der Entstehung dieser Werke etwas

    erfahren?

    31. Was haben Sie über die Entstehung dieser Werke erfahren?

    32. (Wissen Sie etwas von ihrer Verbreitung und Wirkung und Israel?)

    33. Was können Sie zu den beiden Verlagen sagen (Rubin Mass Verlag, Jerusalem; Am

    Oved, Tel Aviv)?

  • 2 Interviewleitfäden 23

    34. Außerdem haben Sie geschrieben, dass Sie „einige seiner Bücher besprechen konnten“

    (SCHWARZ-GARDOS 1983C: 18). – Wissen Sie noch, welche Bücher das im Einzelnen

    waren?

    35. (Gehörten seine auf Hebräisch oder Englisch erschienen Werke dazu?)

    36. An welches Publikum haben sich diese Besprechungen/ Rezensionen gerichtet?

    37. Mir ist von Schalom Ben-Chorin bekannt, dass er zumindest in einer in Deutschland

    erscheinenden Zeitschrift ‚Der Literat’ bis ins hohe Alter Werke der deutsch-jüdischen

    Literatur, auch von Autoren aus Israel, besprochen hat (vgl. Bibliographie SBC: SBC

    Aufsätze und Beteiligungen). Hatten Sie ebensolche Möglichkeiten?

    SBCs Kolumnen 38. In Ihrem Artikel ‚SBC als Kollege’, schrieben Sie von der großen Beliebtheit der

    Kolumnen von Schalom Ben-Chorin. – Was war das besondere an seinen Kolumnen?

    39. Seit wann etwa sind die Kolumnen regelmäßig erschienen (ungefähr)?

    40. Hat er diese Schreibtätigkeit kontinuierlich fortführen können?

    41. Hat er auch während seiner beiden dreimonatigen Lehrtätigkeiten in Deutschland die

    Arbeit als Kolumnist fortgesetzt? (Wurde er so zum Auslandskorrespondenten der

    Leser der Israel-Nachrichten)?

    42. Wie sind die Themen für seine Kolumnen entstanden?

    43. Gab es redaktionelle Vorgaben, oder ist die Themenwahl gänzlich frei erfolgt?

    44. Wie kam es dazu, dass SBC diese Kolumnen für Sie schrieb?

    Arbeit in der Vereinigung der deutschsprachigen Schriftsteller 45. Welche Aufgabe hatte die ‚Vereinigung deutschsprachiger Schriftsteller’ in Israel?

    46. Wann wurde sie gegründet?

    47. Gibt es sie noch heute?

    48. Wenn ja: Wer sind heute ihre Mitglieder?

    49. Was waren die Gründe für die Entstehung der Vereinigung?

    Die Begriffe Nun zum Schluss dieses Interviews möchte ich Ihnen noch vier Fragen stellen, die sich auf Ihr

    ganz persönliches Verständnis von zwei sehr symbolischen Begriffen beziehen:

    50. Was würden Sie heute als Ihre Heimat bezeichnen?

    51. Weshalb sehen genau das als Ihre Heimat an?

    52. Was verbinden Sie mit dem Begriff ‚Muttersprache’?

    53. Was sind die Gründe für diese Zuweisung?

    54. Welche Sprache würden Sie als Ihre Muttersprache bezeichnen?

    55. Welche Bedeutung hat diese Muttersprache für Sie?

  • 3 Transkriptionsregeln 24

    3 Transkriptionsregeln

    Es wurde vollständig und wörtlich transkribiert (Unvollständigkeiten und Wiederholungen

    wurden weggelassen);

    Der Inhalt stand im Vordergrund: ‚äh’ und Ähnliches wurde weggelassen und

    Dialektfärbungen wurden eingedeutscht (zerscht = zuerst; jejangen = gegangen), echte

    Dialektausdrücke jedoch blieben und wurden nach Gehör geschrieben;

    Bei Unklarheiten wurden Punkte gemacht (…), je nach der Länge dessen, was nicht

    verstanden wurde;

    Bei Pausen, Stockungen u. ä. wurden Gedankenstriche verwendet ( - ), bei längeren

    Pausen mehrere Gedankenstriche (wenn der Grund der Pause ersichtlich war, wurde er

    in Klammern angegeben);

    Auch andere Auffälligkeiten wie Lachen, auffälliges Räuspern o. ä. wurde kursiv

    geschrieben in Klammern angegeben: (lacht);

    Dinge, die in den Interviews unklar sind, von den Interviewten im Gespräch nicht erinnert

    werden konnten oder sich als falsch herausgestellt haben, wurden, wo nötig, in

    Klammern ergänzt.

    Alle anderen nonverbalen Merkmale, die zum inhaltlichen Verständnis wichtig waren,

    wurden ebenso in Klammern angegeben, z. B.:

    MN: Mmh (= zustimmend)

    Für die Interviewten wurden die Kürzel ABC und ASG verwendet; der Interviewer ist mit

    MN gekennzeichnet worden.

  • 4 Interviews 25

    4 Interviews 4.1 Interview Avital Ben-Chorin 16.01.2005

    Zeile Interview mit Avital Ben-Chorin am 16.01.2005

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    MN: Liebe Avital, ich möchte mit Ihnen ein Interview führen, in dem es um die Bedeutung der Muttersprache für den Menschen geht. Wie die Muttersprache zur Heimat eines Menschen werden kann. Dazu ist es notwendig, Ihnen eine Reihe (von) Fragen zu stellen, die zum Teil von sehr privater Natur sind, eben so weit, wie die Sprache im Leben eines Menschen reicht. Ich stelle diese Fragen, weil ich sie für bedeutsam halte. Wenn Sie eine Frage aus persönlichen Gründen nicht beantworten möchten, steht es Ihnen selbstverständlich frei, dieses nicht zu tun. Außerdem werde ich aus Gründen der Wissenschaftlichkeit nach Dingen fragen, die mir bereits aus Gesprächen mit Ihnen bekannt sind. Ich bitte Sie, diese Fragen dennoch möglichst ausführlich und genau zu beantworten. Zunächst möchte ich aber mit den Personalien beginnen: Wie ist Ihr vollständiger Name? Der Jetzige.

    ABC: Mein vollständiger Name ist Avital Ben-Chorin, geborene Erika Fackenheim. MN: Das wäre meine nächste Frage gewesen, genau. Wann sind sie geboren? ABC: Am 25. Februar 1923. Schon sehr lange her. MN: Ja. -- Und wo sind Sie geboren? ABC: In Eisenach. MN: Eisenach. -- In welchem Jahr sind Sie nach Israel -- eingewandert? ABC: 1936. MN: 1936. -- Und auf welchem Weg? ABC: Mit der Kinderalija, also einer Kindergruppe. Man ist damals nur per Schiff

    ins Land gekommen. Man fuhr bis Trieste und in Trieste hat man sich eingeschifft und war dann etwa fünf Tage auf dem Meer. Es war sogar eine sehr schöne Fahrt. Und dann kam ich in ein Kinderheim …

    (Telefonklingeln) - Pause MN: Wir waren stehen geblieben bei Jugendalija. ABC: (verbessert) Kinderalija. MN: Kinderalija und Ihrem Weg nach Israel und da hatten Sie - Sind wir

    unterbrochen worden. Können Sie das noch fortsetzen. ABC: Also ich bin dann in ein Kinderheim gekommen, bin dann hier noch zwei

    Jahre in die Schule gegangen, vom Kinderheim aus, und dort noch zwei weitere Jahre geblieben, das war in dem Kinderheim ‚Ahawa’ in der Haifa-Bai, und dort noch zwei weitere Jahre im Rahmen der Jugendalija. Jugendalija hat ein ganz bestimmtes Programm gehabt: Die meisten Jugendlichen waren in Kibbuzim, aber es gab eben auch einige Heime. In diesem Programm war es so, dass ein halber Tag gelernt wurde, es Unterricht gab, (anhebend) also Hebräisch und Geschichte und so weiter.

    MN: Wurde Geschichte auch auf Hebräisch unterrichtet? ABC: Alles wurde auf Hebräisch unterrichtet und eng…, also am Anfang wurde

    erstmal die Sprache erlernt: hebräische Sprache und hebräische Literatur und die andere Hälfte des Tages war Arbeit. Und da wurde richtig arbeiten gelernt, auch Landwirtschaft und Hauswirtschaft und so. Das wurde ganz systematisch gelernt.

    MN: Da wir ja eigentlich noch bei den Personalien sind: Ihr jetziger Familienstand ist?

  • 4 Interviews 26

    Zeile Interview mit Avital Ben-Chorin am 16.01.2005

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    ABC: Jetzt bin ich verwitwet. MN: Und Ihre Staatsangehörigkeit? ABC: Ist israelisch und ich habe die deutsche Staatangehörigkeit wiedererhalten.

    Die mir genommen wurde. Ich habe es etwas zögernd getan, wollte es nicht, ursprünglich, aber dann hat, haben wir uns doch darauf geeinigt und besonders haben wir an einen Bibelspruch gedacht: „Du hast gemordet und hast geerbt.“ - „Ratzachta WeIaraschta“, das kommt beim König David vor, der Prophet Nathan sagt das und da haben wir uns gesagt, das ist ja etwas, was uns widerrechtlich genommen wurde und uns wieder gegeben wird, da sollte man es auch wieder nehmen.

    MN: Ja. – Wann haben Sie die Staatangehörigkeit wieder angenommen, die deutsche?

    ABC: An das kann ich mich nicht mehr genau erinnern, also das wieder MN: Wann ungefähr? ABC: Das muss wohl in den Sechziger Jahren gewesen sein. Ungefähr. MN: Ja. Und nun noch zu Ihrem Wohnort. ABC: Jerusalem. Und zwar war ich, wie gesagt, vier Jahre in Kirjat Bialik, in der

    Haifa-Bai. Dann fast zwei Jahre in Ramat Gan bei Tel Aviv und danach zog es mich magisch nach Jerusalem, und seit der Zeit, seit 1942, lebe ich in Jerusalem und seit 1943 sogar in dieser Wohnung.

    MN: In Romema. ABC: Ja. MN: Dann zunächst zum Kennenlernen Ihres Mannes. ABC: Also über meine Kindheit will ich da gar nicht viel sagen, wie es dazu

    gekommen ist, dass ich (kräftiger) alleine fort bin. Das gehört nicht dazu. MN: Ja. – Also ich würde mich freuen, uns jetzt darauf zu konzentrieren, wie und

    wann Sie Ihren Mann kennen gelernt haben. ABC: Das kann ich Ihnen ganz genau sagen, ich weiß sogar jetzt genau das Datum.

    Und zwar habe ich dieses Datum ca. sechzig Jahre danach in Tübingen erfahren. Das war eine lustige Geschichte: Ich hatte einen Vortrag in einem verhältnismäßig kleinen Ort in Württemberg, war also auf einer Vortragsreise und mich begleitete dort ein Pfarrer Volkmann, der auch den Abend geleitet hat. Und der brachte mich, ich weiß gar nicht mehr genau, welcher Ort das war, auf dieser Reise – es ist oft so, dass in diesen kleinen Orten, da kommen viele zusammen, das sind oft gut besuchte Veranstaltungen. – Und dort hatte ich das Thema ‚Erlebter Dialog’ und habe etwas über die Geschichte des christlich-jüdischen Dialogs erzählt und bei der Gelegenheit sagte ich, dass ich im Wintersemester ´42-´43, da ging ich zu einer Vorlesungsreihe von Martin Buber ‚Christentum Judentum’ und das war eine ziemlich lange Vorlesungsreihe – in der Volkshochschule der Einwanderer aus Deutschland und die zog sich ziemlich lange hin und daraus wurde später ein ganz kleines Büchlein: ‚Zwei Glaubensweisen’. Und an dem ersten Abend Bubers Vorlesung, ich hatte Buber schon vorher gehört und auch gelesen, ich sagte, ich weiß nicht mehr genau, wann das war, es war im Winter ´42-´43, da lernte ich gleich am ersten Abend einen Herrn Ben-Chorin kennen. --- Auf dem Rückweg sagte mir der Pfarrer Volkmann: „Wenn Sie morgen bei mir in der Bonhoeffer-Gemeinde sprechen, dann werde ich Ihnen genau das Datum sagen können.“ Ich guckte Ihn ganz perplex an. Aber es war folgendes: Er hat eine Arbeit geschrieben, die habe ich sogar – (holt das Buch von einem Stapel

  • 4 Interviews 27

    Zeile Interview mit Avital Ben-Chorin am 16.01.2005

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    vom Tisch, daher leiser) Michael Volkmann ‚Neuorientierung in Palästina 1933-1948’ und dieses Buch hat er mir geschenkt. ‚Studien zur Internationalen Erwachsenenbildung’ und das ist sein Thema gewesen. Und da hatte er mir eine schöne Ablichtung: ‚Volkshochschule Jerusalem’ (Pause, blättert) und hier steht (liest): Abteilung jüdisches Wissen, Prof. Dr. Martin Buber, Judentum und Christentum, erster Zyklus, jüdischer und christlicher Gottesglaube, und so weiter, sieben Stunden Mozae Schabbath, acht Uhr dreißig bis neun Uhr dreißig, Beginn: siebter November 1942 deutsch. Es hat sogar was gekostet: 216 Mils. Und so habe ich nach fast 60 Jahren erfahren, wann ich meinen Mann kennen lernte (lacht), denn wir hatten immer wieder gesagt, wir wussten es nicht mehr so genau, wann das eigentlich war. Wir --

    MN: Ja. ABC: (lacht) Ist doch lustig, nicht? MN: Ja, allerdings. (lachen zusammen) ABC: Am 7. November 1942. Geheiratet haben wir dann am 25. August 1943. MN: Ah ja, das ich ja schon recht bald danach gewesen. ABC: Ja, wir hätten ja auch schon früher, na ja, wir hätten sogar noch früher

    geheiratet, aber da waren gerade Trauerwochen, da kann man nicht heiraten, also mussten wir das abwarten.

    MN: Dann hat es also direkt bei Ihnen gefunkt, kann man ja sagen. ABC: Ja, kann man wohl sagen. – Es waren aber auch äußere Umstände, die uns

    dazu. Ich war noch furchtbar jung, aber mein Mann hatte einen siebenjährigen Jungen. Seine Frau ist dann zum Militär gegangen, das war so eine Lösung. Sie wollte die Ehe damals auflösen, und dann habe ich halt, musste jemand den Jungen nehmen. Also ich wollte ihm dabei helfen. So dass ich schneller geheiratet habe, als ich es sonst eigentlich getan hätte.

    MN: Ja. ABC: So jung, da wäre ich sonst nicht auf die Idee gekommen, dass man da schon

    heiraten kann. MN: Ach ja stimmt, Sie waren 19. ABC: Ja, das stimmt: Als wir uns kennen lernten war ich 19. Ich habe dann mit 20,

    genau 20 ½ war ich, auf den Tag genau, als wir geheiratet haben. MN: (lacht) ABC: Ganzschön jung, nicht. MN: Ja. – Eine Frage hieß jetzt: Gab es Hindernisse auf dem gemeinsamen Weg,

    aber die ist ja damit jetzt mehr oder weniger schon, beantwortet worden. Also die Frage mit den Hindernissen ist ja nun schon beantwortet worden.

    ABC: Zum Beispiel? MN: Also, dass es eben keine Hindernisse gab, außer der Trauerwoche. ABC: Ach nein, nein, das war nur, dass wir etwas später, weil, sonst hätten wir

    vielleicht sogar noch einen Monat früher geheiratet. Also das Datum hat mein Mann dann festgelegt gehabt, also beim Rabbinat. Und dann kam er nach Hause und hat gesagt: „Also am 25. werden wir heiraten.“ Und dann sage ich: „Ach, dann bin ich gerade 20 ½“ (lacht). Das war lustig, da hatte er gar nicht dran gedacht.

    MN: Nun habe ich einige Fragen zu deutschen Juden in Jerusalem, speziell: Und zwar, gab es zu dieser Zeit, also ´42-´43, vorher und nachher, einen festen Kreis deutschsprachiger Juden, hier in Jerusalem?

    ABC: Ja, ausgesprochen.

  • 4 Interviews 28

    Zeile Interview mit Avital Ben-Chorin am 16.01.2005

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    MN: Und noch weiter gefragt. ABC: Das gibt es bis heute, nur damals war das viel ausgeprägter. MN: Ja, und darauf zielt meine Frage: Gab es einen festen Kreis von Ritualen in

    diesem Kreis deutschsprachiger Juden? Und wie sahen die aus? Also gab es Vorträge, gab es regelmäßige Treffen?

    ABC: Ja, ja, zum Beispiel, gab es so eine Volkshochschule, es gab Vorträge, es gab verhältnismäßig viel deutsche Vorträge aller Art. Es gab ja auch eine ganze Reihe von recht bekannten Autoren, die natürlich Vorträge hielten, zu denen man ging. Da war Arnold Zweig oder da war der ‚Kral’ von der Else Lasker-Schüler, nicht. Es gab, also es gab viele Vorträge und es gab Volkshochschulen, organisiert von diesem so genannten, damals hieß es noch; Irgun Ole Merkas Europa hieß es später, damals hieß es noch: Ole Germania, Hitachdut Ole Germania (HOG). Haben wir noch immer gesagt: Olle Germania (lacht). So weit ging das. – Und später wurde es dann Merkas Ole Germania (eigentlich: Irgun Ole Merkas Europa), weil es ja nicht nur deutsche Juden waren, sondern auch tschechische, österreichische, und so weiter, die dazu kamen, die auch deutschsprachig waren, nicht. Und der Kreis war. Und dann gab es natürlich auch private Kreise, es gab zum Beispiel bei dem Dichter Gerson Stern eine Art literarischen Salon. Solche gab es auch in Tel Aviv. Bei Max Brod gab es da auch so einen literarischen Salon, im Haus Taussig, das war der Schwager von Max Brod, und seine Gattin Nadja Taussig hat das dann sehr lange weitergeführt. Das war direkt ein Begriff geworden. Mit vielen Vorträgen von Deutschsprechenden, später, mit den offiziellen Beziehungen, kamen dann auch Diplomaten dazu, deutsche Diplomaten, und so wurde der Kreis dann erweitert.

    MN: Ich habe jetzt hier in Jerusalem die Bnei-Brit-Loge, es gibt hier eine Bnei-Brit-Loge, gehört die auch mit zu dem Kreis?

    ABC: Es gibt sogar eine deutschsprachige Bnei-Brit-Loge, die gab es schon, die wurde auch damals gegründet, in den 40er Jahren. Ich glaube so um, ja auch so in den 40er Jahren wurde die gegründet. Eine deutschsprachige Loge, wobei also auch nicht alle jetzt aus Deutschland kamen, sondern auch aus der Tschechoslowakei.

    MN: Hat die einen speziellen Namen? ABC: Ja, die hat einen speziellen Namen. Die besteht bis heute, wird immer älter

    und wird immer kleiner, das ist ganz klar, das ist ein natürlicher Prozess. Die heißt David-Jellin-Loge, nach David Jellin benannt, der ein besonderer Streiter für die hebräische Sprache war. Das ist immer so ein Witz, aber der David Jellin war eben einer der ersten, der eine Bnei-Brit-Loge in Jerusalem gegründet hat, deshalb wurde dieser Name gewählt. An sich ein Witz, weil er ein Vorkämpfer der hebräischen Sprache war.

    MN: Finden die Vorträge in der Loge heute immer noch in deutscher Sprache statt? ABC: Ja. MN: Wo haben sich? ABC: Sie können auch mal mitkommen, wenn Sie wollen. Wenn Sie morgen Abend

    mitkommen wollen. Morgen Abend spricht die Kulturreferentin der deutschen Botschaft dort.

    MN: Oh ja, das würde ich sehr gerne. ABC: Ja, dann können Sie gerne mitkommen. MN: Das würde mich sehr freuen. – Wenn es also feste Kreise gab, gab es da feste

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    Treffpunkte innerhalb der Stadt? ABC: Ja, ja, es gab, also wie gesagt, es gab nicht nur die Bnei-Brit-Loge, sondern es

    gab eben wie gesagt auch andere Veranstaltungen aller Art, und es gab auch feste Treffpunkte, es gab Cafés in denen man sich traf. Wobei zum Beispiel das Café Sichel, mehr das literarische war und das Café Atara mehr journalistisch, oder so. Das ist interessant, Journalisten gingen mehr ins Atara, das gegenüber war, in der Ben-Jehuda, und das Café Sichel gibt es nicht mehr. Auch das Atara gibt’s jetzt nicht mehr. Das Atara gab es nur sehr lange. Also da waren kleine Unterschiede. Im Café Sichel traf sich zum Beispiel, das war das Stammcafé der Else Lasker-Schüler, das war also, da traf man sich. Und wenn man da hinging, dann konnte man sich auch mal alleine da hinsetzten, da hat man gleich Leute getroffen.

    MN: Ja. ABC: Was mir heute nicht mehr passieren würde. Ich kann mich heute in jedes Café

    setzen, da treffe ich keinen Menschen mehr. Ich würde das gar nicht mehr tun, es sei denn, ich will unbedingt einen Kaffee trinken; aber nicht um Menschen zu treffen.

    MN: Das war da seinerzeit noch anders. ABC: Also da war ich auch allein manchmal, wenn ich in der Stadt war, da bin ich

    dann ins Café Sichel gegangen und da habe ich sofort, immer sofort jemanden getroffen, oder es setzte sich jemand dazu.

    MN: Ja. – Wie haben sich diese, also ein bisschen haben wir das ja auch jetzt schon besprochen, wie sich die Kreise weiterentwickelt haben.

    ABC: Ja, das ist dann interessant. Nun möchte man Folgendes sagen. Da möchte ich nun Folgendes zu sagen. Das hat mein Mann auch immer wieder betont: Es waren zwar Emigranten, ja? Und doch waren wir, fühlten wir uns nicht als Emigranten, sondern auch als Neueinwanderer. Denn hier im Lande war es nicht eine einfache Emigration, es war eine, die Situation war eine ähnliche und doch eine ganz andere. Hier ging man ganz bewusst hierher, um eine neue Heimat zu finden, das war in anderen Ländern nicht ganz so. Allerdings gab es auch hier einen Kreis, der sich als Emigranten sah. Und zwar gab es hier einen Book-Club, der wurde von einem gewissen Fürnberg gegründet. Fürnberg war später in der DDR fast ein Klassiker. Also als wir zum ersten Mal 1986 wieder in die DDR kamen und gingen in eine Buchhandlung, also eine Buchhändlerin, mit der ich noch heute befreundet bin, zeigte uns so ein bisschen, was so an Büchern da war und so. Was uns interessieren könnte, da waren Lederbände, da war eine große ganze Reihe, alles Fürnberg. Heute ist Fürnberg kein Begriff mehr. Und dieser Fürnberg, der fühlte sich also in Jerusalem in der Emigration und wartete nur, bis er wieder zurück kann. Er hat dann auch so ein schönes Gedicht geschrieben: „Die Partei, die Partei, die Partei hat immer Recht.“

    MN: Das ist bekannt. Ja, also ich, ich hab es schon mal gehört. ABC: Also ja, in der ehemaligen DDR, also in den neuen Bundesländern, weiß man

    das vielleicht noch. Da fragen Sie mal nach Fürnberg, das ist interessant. Der lebte auch hier. Der lebte aber in der Emigration, (aufbrausend) was man von der Else Lasker-Schüler nicht so sagen kann. Was sehr gern gesagt wird - dagegen wehre ich mich -, dass sie hier fremd war. (schneller) Natürlich war sie fremd, alle fühlten sich, alle waren etwas fremd hier. Das ist doch ganz klar. Else Lasker-Schüler war als Dichterin, die war überall etwas fremd. So

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    wie sie war. Auch in Berlin war sie nicht ganz zu Hause. Hier wurden bei einem Else-Lasker-Schüler-Forum so Sachen gesagt. Da schrieb so einer, Uri Avnery, der sie (betont) wirklich nicht gekannt hat - er hätte sie kennen können - er sagt, in seinem Elternhaus hat man nur Arnold Zweig gelesen und nicht Else Lasker-Schüler. Das glaube ich ihm. Aber Arnold Zweig habe ich auch gekannt. Der sagte: „Sogar im Grab war sie fremd.“ Das stimmt einfach nicht. Die, Sie, die geschrieben hat - allerdings noch in noch jugendlicheren Jahren in Deutschland -: Meine Seele verglüht in den abendlichen Farben Jerusalems. Das war gar keine Frage, dass sie einerseits Zugehörige hier war, dass sie bewusst hierher ging, dass sie Jerusalem auf ihre Art und Weise liebte, dass sie aber auch enttäuscht war. Mein Mann sagte mal: „Wenn Hölderlin nach Griechenland gegangen wäre, dann hätte es wahrscheinlich ähnlich ausgeschaut.“ Der Traum und die Wirklichkeit. So war es bei ihr. Aber sie war nicht fremd, nicht fremder als andere. Die alle etwas Schwierigkeiten hatten. Und besonders die etwas Älteren, die mit der Sprache doch nicht so besonders gut zu recht kamen.

    MN: Kann man sagen, dass sich nach dem Tod von Else Lasker-Schüler etwas speziell verändert hat in dem Kreis, hat sich.

    ABC: Also ich bin, glaube ich, die letzte, -- (einschränkend) noch Lebende, die an, bei der Beerdigung der Lasker-Schüler dabei war. Das war im Januar `45, das ist jetzt genau sechzig Jahre her. Genau. -- Vor sechzig Jahren. Ich habe sie in den letzten Jahren noch persönlich gut kennen gelernt. Aber von denen, das waren ja noch ein großer Teil Ältere, und dann gibt es noch welche, die sie als Kinder kannten, die mit ihr, die hat sie mit ins Kino genommen; oder Kinder, oder Nachbarn. Da ist eine Professorin, Ruth Tann, die war eine Tochter von Freunden, die sehen sie immer aus der Kinderperspektive. So sprechen sie auch darüber, also so ein bisschen aus der Dackelperspektive. Und sie erzählen Dinge, die sie mit ihr erlebt haben, aber doch haben sie es eben als Kinder erlebt. Das ist nicht das Selbe. Aber die waren bestimmt nicht mit bei der Beerdigung; weil sie ja noch Kinder waren. Die sind etwas jünger gewesen. Das müssen ja nur fünf Jahre gewesen sein. Und das macht später nicht mehr so viel aus, aber so war es. Aber dann kann ich nicht sagen, dass sich viel veränderte. Es gab dann eine ganze Reihe von so Literaten, die hier lebten und da war Frango, ein gewisser Franz Goldstein, der war, der hat englisch geschrieben: Musikkritiken. Theater glaube ich auch. Musik auf jeden Fall; Musikkritik. Für die Jerusalem Post geschrieben. Das war so ein typischer Literat. ---- Und es gab noch jüngere; einen jüngeren Dichter, das war sein Freund, ein gewisser Vogeler. Dann die Älteren: Gerson Stern, der Else Lasker-Schüler noch aus seiner Jugend kannte, der auch aus Wuppertal stammte. In Jerusalem gab es eben eine ganze Reihe, nicht sehr viele, Dichter und Schriftsteller. Nicht sehr viele, aber doch eine ganze Reihe. Auch später noch. Sogar ein bisschen. Aber damals, in der ganz frühen Zeit gab es einen gewissen Kreis und dann etwas später, -- kam dann z.B. die Lola Landau-Wegener, die Frau von Armin T. Wegener. Ist die Ihnen ein Begriff?

    MN: Lola Landau ist mir ein Begriff. ABC: Die hat ein recht bekanntes Buch geschrieben: ‚Meine drei Leben’. Es sind

    aber nur zwei dort veröffentlicht, im Ullstein, und das dritte Leben, das nämlich in Israel, das haben sie nicht mehr rein gebracht. Aber das ist extra erschienen. Deshalb, das gibt es auch. Über die hat eine gewisse Hamann eine

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    sehr schöne, größere Arbeit geschrieben. Die ist auch wieder entdeckt worden, so wie auch Armin T. Wegener wieder entdeckt wird. Es gibt jetzt auch eine Armin-T.-Wegener-Gesellschaft. Und so weiter, das sind Autoren, die jetzt wieder entdeckt werden. Die Lola Landau hat sogar bei uns in Untermiete gewohnt. Viele Jahre. Das war etwas später dann, das war schon bereits. Ja, zur Zeit der Belagerung, also ´47, ´48, ´49, das war etwas später. Da gibt es dann, und dann gibt es noch später, sogar bis vor ein paar Jahren lebte noch die Anna-Maria Jockel, die als Autorin wieder bei Suhrkamp verlegt wurde. Die stammte aus der Tschechoslowakei. Dann waren natürlich Menschen wie Buber, die - Buber war einerseits Religionsphilosoph, aber andererseits auch manches sehr literarische. Oder ein anderer Philosoph: Felix Weltsch, der zu dem Prager Kreis gehörte. Der war Philosoph und Leiter der Nationalbibliothek. Der aus Prag stammte - das hatte ich eben gesagt - sogar zum Prager Kreis, als Philosoph, und der hat auch einiges sehr schönes geschrieben und war sehr, und war auch sehr humorvoll. Seine Vorträge waren immer etwas ganz besonderes. Ein Mann wie auch der Professor für Philosophie: Hugo Bergmann spielte in der Jerusalemer Intellektuellen-Szene auch eine Rolle; der Philosoph war und Professor für Philosophie, der auch in der von deutschen Juden gegründeten Gemeinde ‚Emet W'Emuna’ manchmal predigte. Ebenso Ernst Simon, ein recht bekannter Pädagoge und Philosoph, der eben auch viele Vorträge hielt und auch zu diesem Intellektuellenkreis gehörte. Wobei man nicht immer so gut unterscheiden konnte, welches die Literaten waren und welche nicht. Das sind schon Leute gewesen, wie Ernst Simon und Bergmann, Scholem, die sich hebräisiert haben, die sind ja auch an der Hebräischen Universität, wie Buber, gewesen. An der Hebräischen Universität unterrichteten. Dann gab es den Dichter Werner Kraft. Werner Kraft war – später als Literarkritiker mehr bekannt, denn als Dichter, aber er hat selbst gedichtet und er war mehr Literarkritiker, ist dadurch auch nicht unbekannt gewesen in Deutschland, später wieder bekannt. Er hat über Lasker-Schüler viel gearbeitet, obwohl er sie auch nicht immer ganz verstanden hat.

    MN: Haben die sich, die Intellektuellen, also Scholem, Bergmann, die sich hebräisiert haben, haben die dann in der deutschen Gemeinde hier deutsche?

    ABC: Sowohl als auch. MN: Deutsche Vorträge gehalten oder Hebräische? ABC: Sowohl als auch. MN: Und die Vorträge, waren die so, dass man sich üblicherweise gegenseitig in

    den Vorträgen besucht hat, oder. ABC: Ja, doch. Und es gab auch einen Kreis hier, von dem ich neulich mal gelesen

    habe, das wusste ich gar nicht, die sich getroffen haben, das habe ich im Moment wieder vergessen, wie der hieß. Habe ich aber persönlich nicht gekannt. Ich habe neulich was darüber gelesen. Da waren also die. - Sehen Sie, was man nicht selbst erlebt hat, das vergisst man auch wieder. - Ich habe das neulich gelesen, also kann darüber auch nichts aussagen, weil ich darüber nichts weiß.

    MN: Höchstens einen Namen, um einen Ansatzpunkt zu haben. ABC: Ja ich habe ja im Moment vergessen. Also es könnte mir vielleicht wieder

    einfallen, wo ich das gelesen habe: Weg ist es. Es hat so einen komischen Namen, dadurch ist es vielleicht auch weg.

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    MN: Und Personen, die zu dem Kreis gehörten? ABC: Ja, um Scholem herum. Aber mit Scholem persönlich hatten wir – hatte mein

    Mann einen schwierigen Kontakt. Er war nicht, er konnte sehr wenig freundlich sein. Wollen wir mal so sagen. Er war so eine Art, er war ein wirklich großer Wissenschaftler, aber er konnte doch sehr wenig freundlich sein. Mein Mann hatte immer gewisse Schwierigkeiten in diesem Kreis. Das kam so: Er war jünger, ja und er war nicht in dem Maße Akademiker, weil, er musste ja sein Studium abbrechen. Das waren eben alles Vollakademiker, die eben älter waren und die das noch voll durchführen konnten.

    MN: In Deutschland? ABC: Ja. Klar und jetzt: „Und dann schreibt der solche Bücher, dieser, dieser

    Dahergelaufene“, so ungefähr. Ja, es war eine gewisse Ablehnung da, die bekam man zu spüren: „Ja, dieser Naseweiß“, so ungefähr. Er war noch furchtbar jung und er schrieb damals sein Buch: ‚Jenseits von Orthodoxie und Liberalismus’, das ein wirklich recht fundiertes Werk war, und für diese, ja: „Wie kommt der auf die Idee?“, nicht. Und er gehörte dann nicht so ganz dazu und wurde auch etwas abgelehnt. Dann kam später noch etwas hinzu, aber das ist wieder eine ganz andere Sache. Ich weiß nicht, ob das jetzt passt, aber mein Mann hat sehr früh mit dem christlich-jüdischen Dialog begonnen, und zwar schon Anfang der 40er Jahre mit einem Pfarrer Sloan, und der kam und sagte: „Sie haben da über die religiöse Lage im Lande geschrieben. Warum haben Sie nur über die Juden geschrieben?“ Da sagte mein Mann: „Weil ich über die Christen nicht viel weiß.“ Da sagt er: „Na dann können wir doch mal darüber sprechen.“ Und daraus ergab sich dann eine Freundschaft und sie haben auch öffentlich ein Religionsgespräch geführt, das an die wirklich echten Fragen heran ging. Zum Beispiel: ‚Das christliche Verständnis des Alten Testamentes und der jüdische Einwand’ oder: ‚Die Christusfrage an den Juden’. Das haben sie öffentlich, gemeinsam geführt. Das war der Beginn eines christlich-jüdischen Dialogs, der sogar schon erstmal um die wesentlichen Fragen, um die Messiasfragen und so weiter, ging. Und – das war schon sehr gewagt, überhaupt, weil es was ganz neues war und das wurde natürlich nicht verstanden. Eines Tages kam sogar zu mir, hintenrum, durch alte Bekannte, durch frühere Lehrer von mir, kam es: „Der Ben-Chorin, der hat mit der Mission zu tun!“ Ja, Mission war hier etwas ganz Schimpfliches. Es war wirklich etwas sehr Hässliches: Die Missionare haben hier in Jerusalem und im Lande gemeint, sie könnten die Juden missionieren und kommen hierher und müssen denen mal sagen, wo es langgeht. Und gerade Menschen, die mit der Bibel sehr vertraut waren, und denen haben sie gesagt: „Ihr versteht die Bibel nicht!“ Und kamen mit ihren Übersetzungen an in Englisch und kamen: „Eigentlich müsst Ihr das anders verstehen.“ Und es wurde Mission getrieben auf nicht ganz faire Weise, ja mit materiellen Vergünstigungen. Das war alles, wo man an schwächere Schichten herangetreten ist. Die Mission hatte einen sehr schlechten Namen hier. Mein Mann hat dazu auch mal einen sehr schönen Satz geschrieben: „Mission ist Überredung, Dialog ist Unterredung.“ Und das ist der große Unterschied. Und: „Der Ben-Chorin hat mit der Mission zu tun.“ - Im Gegenteil, er hat ja den jüdischen Standpunkt sehr stark herausgearbeitet. Und ich bin der Sache nachgegangen und kam bis in diese Kreise hinein. - Und was war geschehen? In irgend so einem Missionslädchen, die Bücher verkauften, und die Sachen

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    wurden veröffentlicht, im Romema-Verlag. ‚Niru Nir’ hieß die Reihe und im Selbstverlag wurden diese Broschüren veröffentlicht und in dem Missionsladen haben sich gesagt: „Ach, da beschäftigt sich ein Jude mit Jesus, das ist ja immer sehr schön.“ Und die haben das da (betont) feilgeboten. Und jetzt war es im Schaufenster da und das hat jemand gesehen: „Ah, der Ben-Chorin hat mit der Mission zu tun.“ Auch der Pfarrer Sloan, der ein schottischer Pfarrer war in Tiberias, der hatte gar nichts mit der Mission zu tun. Und so wurde das missverstanden, bis mein Mann sogar ein Ehrengericht des --- Zionistenkongresses angerufen hat und dann wurde, dann haben sie, dann wurde die Sache aufgeklärt und dann haben sich alle zurückgezogen, als man merkte, dass es einfach nicht stimmte. Anstatt zu lesen, was mein Mann wirklich geschrieben hat, das haben sie nicht getan, die hatten von Anfang an Vorurteile. Und so gab es Vorurteile längere Zeit, gegen meinen Mann, die gar nicht besonders, als ich ihn kennen lernte, da haben mich die Leute gewarnt vor ihm. Es war schlimm. Er war auch wirklich noch verhältnismäßig jung, entscheidend jünger als diese Kreise. Nicht so in den literarischen Kreisen. Gerade in den akademischen hatte er Schwierigkeiten, aber nicht bei Martin Buber, der hat ihn immer anerkannt und so gesehen, wie er war, aber die anderen, bei den anderen, war es, bei Scholem und auch bei Simon, der dann später auch sehr nett wurde. Auch nicht bei Bergmann, der war auch ein sehr fairer Mann.

    MN: Wobei ich bei Bergmann, habe ich in den Tagebuchaufzeichnungen gefunden, dass er ihren Mann dafür kritisiert hat, dass er ‚Jenseits von Orthodoxie und Liberalismus’, dass er es nicht auf Hebräisch geschrieben hat.

    ABC: Das hat er kritisiert? MN: Da hat er ihm einen Brief geschrieben. ABC: Das kann schon sein, das konnte er nicht. Das konnte er damals nicht. Aber

    später hat sich Bergmann, da ist er sogar mal, ganz am Anfang noch, zu unserer Gemeinde gekommen und hat mir dann gesagt nachher: „Das war gut, so müsst Ihr es weiter machen!“ Also da hatte mein Mann den Gottesdienst geleitet und unser Sohn hat vorgebetet und das hat ihm sehr gut gefallen, da war er ganz dafür und hat ganz mitgemacht. Da hat er sozusagen seinen Segen gegeben. Und das ist interessant, das kann gut sein, dass er das gesagt hat. Natürlich wäre es richtig gewesen, das hebräisch zu schreiben, aber das konnte er nicht. Das konnte er noch nicht. Aber es hätte ja übersetzt werden können. Es wurden sehr viele Aufsätze von meinem Mann, damals gerade, übersetzt. Auch für Zeitungen.

    MN: In welchen Zeitungen sind die dann erschienen? ABC: Er hat im ‚Dawar’, im ‚Ha’Aretz’ geschrieben und wurde viel übersetzt,

    gerade von einem Bekannten. --- Schriftsteller, der auch Redakteur war, der hat für ihn auch Sachen übersetzt. Also, es wurde damals viel mehr übersetzt, in der Anfangszeit, als später. Aber mein Mann konnte -- Hebräisch, später recht gut. Er hat es recht gut gesprochen, hier und da mal einen kleinen Grammatikfehler gemacht, aber er hat einen sehr reichen Wortschatz gehabt, einen jüdisch fundierten sogar, weil er sehr viel, sehr belesen war in jüdischen Schriften. Das hat man bei seinen Predigten gemerkt. Wie reich dieser Wortschatz war, einerseits, mit der Grammatik hat es manchmal ein bisschen gehapert, aber das war bei andern Leuten auch so. Aber er konnte nicht schöpferisch sein hebräisch. Vielleicht, weil er eben doch als deutscher

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    Dichter angetreten war. Seine ersten Veröffentlichungen waren Gedichte. Und er war Dichter und Schriftsteller. Dass er später als Religionsphilosoph angesehen wurde, das kam ihm so, weil er sich eben sehr dafür interessierte und dann später so kam, dass er eben Religionsphilosoph war. Ich habe neulich einen Brief gesehen, von Bürgermeister Ude, der schrieb an andere, einen Antwortbrief. Schalom Ben-Chorin als Religionsphilosoph geschätzt, er also gar nicht mehr so sehr als Schriftsteller vorkam. -- Was nicht ganz richtig ist. Er ist in erster Hinsicht -- doch mehr Schriftsteller gewesen.

    MN: Sie haben von Pfarrer Sloan gesprochen. In welcher Sprache haben die beiden den Kontakt damals aufgenommen.

    ABC: Oh der Pfarrer Sloan, der hat 19 Sprache gesprochen. Und er (sprach, mit nachgemachtem englischen Akzent) sprach ein sehr gutes Deutsch und er sagte, und hat einfach mit meinem Mann Deutsch gesprochen. Ein sehr gutes Deutsch. Er hatte in der Schweiz bei Barth studiert.

    MN: Ja dann. ABC: Er sprach auch ein gutes Deutsch, und er sprach auch sehr gut Hebräisch. Er

    war sehr gut befreundet mit den Leuten in dem Kibbuz Ein Geb. Das gegenüber von Tiberias war also mit denen er Hebräisch gesprochen hat. Also wie gesagt, der war sehr vielsprachig, so dass der Dialog, auch ein bisschen Englisch, aber mehr deutsch geführt wurde. Weil der Pfarrer Sloan so gut deutsch konnte. (beide lachen) Da musste mein Mann sich nicht so anstrengen. Und er war eben sehr vielsprachig, im Gegensatz zu meinem Mann.

    MN: Ja, gab es in Bezug auf deutsche Juden hier in Jerusalem bevorzugte Wohnquartiere?

    ABC: Ja, ja, besonders Rechavia. In Rechavia wohnten viele, allerdings wohnten damals auch noch viele, in andern Gegenden, was heute ein ultraorthodoxes Viertel geworden ist. In Ge'ulah, da wohnten auch einige Jeckes, die halt irgendwo, in Talpiot wohnten noch einige und auch hier in Romema wohnten gar nicht so wenige Jeckes. Hier wohnten hauptsächlich sephardische Juden und deutsche Juden. Und mein Mann hat hier auch einen Romema-Club gegründet, und da wurden auch Vorträge gehalten in dem Romema-Club. Es waren genug Leute da, die zu solchen Vorträgen kamen. Und die auch selbst dort sprachen.

    MN: Wurden diese Vorträge in Privaträumen abgehalten, im Romema-Club? ABC: Ja, das wurde in Privaträumen, allerdings wurde auch, gab es auch, hier das

    Haus an der Ecke, das war das Beit Elite, das war das Sanatorium für die Arbeiter der Elite-Schokoladenfabrik. Und da, glaube ich, gab es auch manchmal Vorträge. Aber ich kann mich daran nicht mehr so ganz erinnern, das war noch teilweise vor meiner Zeit.

    MN: --- Meine nächste Frage, haben Sie auch schon zum Teil beantwortet, nein, noch nicht: Wo hat Ihr Mann gewohnt, bevor er in die Ariel Str. 3, also nach hier gezogen ist?

    ABC: Also in Kirjat Schmuel, das ist anschließend an Rechavia, in der Ari-Str. gewohnt, in einem kleinen Häuschen, aber nur kurze Zeit, als dann. Der Sohn wurde ´36 geboren, ´35 kam er ins Land, ´36 wurde der Sohn geboren und als er noch ein Baby war, im Winter, -- da hat der Hausherr plötzlich das Dach abgenommen, um aufzustocken. Das war im Winter nicht ganz so günstig, da hat es natürlich reingeregnet; und Gabriella, die erste Frau meines Mannes,

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    die eine Malerin und Zeichnerin war, die hat dann Plakate gemalt und die an Litfass, wie sie da als Familie da mit Baby einregnen und mit Schirm im Zimmer sitzen müssen, so ungefähr, und hat den ein bisschen lächerlich gemacht, den Herrn Hauswirt. Aber da war nichts zu machen. Sie ging und suchte schnell eine Wohnung, weil man ja mit einem Baby nicht in so einer Wohnung bleiben konnte. Und sie zogen aus und haben diese Wohnung hier gefunden und sind dann ´37, also im Winter ´36-´37, also ´37 ist er dann auf jeden Fall hier eingezogen. Und ist aus diesen Gründen sehr schnell aus Kirjat Schmuel fort.

    MN: Also lag es eher daran, dass es weniger Wohnungen gab und hier diese Wohnung frei war?

    ABC: Nein, nein, es gab damals Wohnungen. Es gab Wohnungen. Aber diese Wohnung war eine Wohnung, die ihr ein bisschen entsprochen hatte. Sie war ein bisschen groß vielleicht damals, aber sie war dann auch verhältnismäßig billig. Ja die Gegend hier, da war die Straße noch nicht gepflastert, und so weiter. Aber ich weiß nicht mehr genau, wie das kam, auf jeden Fall hat sie diese Wohnung hier gefunden, sie hat immer ein bisschen mehr Sinn fürs orientalische gehabt und man musste eben sehr schnell auch eine Wohnung finden, weil sie da raus mussten. Übrigens hat der Mann bis heute nicht aufgestockt. Das Haus steht da heute noch so. Mein Mann wusste nie so richtig, welches, es sind da so zwei keine Häuser, aber eins von denen ist es gewesen.

    MN: Ja. – Sie haben gerade schon angesprochen, wie die Situation hier zur Zeit des Bezugs der Wohnung war. Wie hat sich das Umfeld hier im Romema verändert, in der Zeit? Oder das Wohnumfeld des Hauses?

    ABC: Also im Laufe der Zeit hat sich das sehr verändert. Damals, als wir, als ich noch hierher kam, da war das eine sehr, noch fast eine homogene Gesellschaft. Auch mit den sephardischen Juden. Die Jeckes (Ende Kassettenseite 1) Ja es gab so eine, hier gegenüber, eine chassidische Familie, ja das ist auch ein großes Haus geworden, das war ein kleines Haus früher. Es waren einzelne Häuser, die Häuser hatten auch Namen, damals, und waren, wie gesagt, einzelne Häuser. Das hat sich im Laufe der Zeit sehr verändert. Erstens ist im Laufe der Zeit sehr viel dazugebaut worden und die Bevölkerung hat sich sehr geändert. Besonders in den letzten Jahren. In den letzten Jahren ist es so, dass die Ultraorthodoxen immer weiter nach Westen ziehen. Also früher waren, anschließend an Meah Schearim, dieses Ge'ulah-Viertel war ein gemischtes Viertel; überhaupt es gehörte überhaupt nicht zu Meah Schearim. Heute ist es

    MN: (im Hintergrund) einverleibt quasi. ABC: Fast wie Meah Schearim. Nicht nur das, auch Mekor Baruch, das daran

    anschließt, das hier also ganz nah ist, sozusagen jenseits vom Fernsehhaus, dort, wo die Schneller-Gebäude sind. Dieses Viertel war auch ganz --- gar nicht orthodox. Es wohnten Studenten dort und andere Leute. Ich erinnere mich noch: Meine Tochter hatte dort noch Klavierunterricht. Es wohnte also eine Dame dort, die Klavierunterricht gab. Es waren ganz andere Typen dort als heute. Heute ist das völlig orthodox. Aber nicht nur das, es gab eine Schule dort, die der Arbeiterbewegung angehörte, eine Berl-Katznelson-Schule, das ist heute eine Je(schiwa), eine Talmud-Schule. Es ist sehr interessant. Hat sich jetzt geändert. So ist es jetzt auch in Romema. Hier

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    wohnen doch, größtenteils, jetzt ultraorthodoxe. Allerdings auch in einigen Häusern noch einige orientalische Familien und sephardische Familien, aber viel weniger. Viel weniger als früher. Im Haus gegenüber, dort ist ein Haus noch. Aber wenn eine Wohnung frei wird, dann ziehen sie ein, sofort. Hier im Haus ist es, Gott sei Dank, noch nicht so, wir haben vier Wohnungen in diesem Haus, zwei auf jeder Seite und da ist nur eine Familie drin, eine ultraorthodoxe, aber die anderen nicht.

    MN: Ist das Verhältnis problematisch. ABC: (überlegt) Es gibt einige, die freundlich sind, als Nachbarn. Gegenüber gibt es

    eine Frau, die über alle was weiß, das ist immer sehr interessant. Die kann einem immer was erzählen und sie ist sehr freundlich und wir stehen nachbarlich sehr --. Es gibt da noch einen neuen Mann, der da eingezogen ist, der sehr freundlich ist, der mir sagt wenn ich --. Neulich hat er bei mir geläutet, und gesagt: „Ihr Fenster am Auto ist nicht ganz zu“. Oder solche Sachen. So sehr ausgesprochen freundlich und nett. Der auch mit mir redet. Die anderen, die sehen durch mich hin --, also Frauen sehen die gar nicht. Also da hat sich schon einiges geändert. Es ist nicht ganz unproblematisch. Kinder schreien schon manchmal auf der Straße - hier noch weniger -: „Schabbes!“, wenn man am Schabbath fährt; noch dazu, wenn sie wissen, dass man in die Synagoge fährt, ärgert sie das besonders.

    MN: Ja, -- sind deren Synagogen üblicherweise näher gelegen, als die Synagoge zu der Sie gehen?

    ABC: Überall, ja natürlich, das gibt es nicht, dass Synagogen weit sind; dass sie zu einer Synagoge weit gehen müssen. Sie haben immer eine Synagoge in ihrer Umgebung. Da müssen sie nicht weit hingehen. Selten. Es gibt manchmal natürlich welche, die gehen zu ihrem Rebben, zu ihrem chassidischen Rebben, die sind etwas weiter weg gelegen, nicht. Da müssen sie schon mal etwas länger laufen. Das schon, aber so hier, sind in der Umgebung eine ganze Reihe von Synagogen. Die sagen mir: „Du kannst auch hier gehen, musst doch nicht weit gehen. Du kannst auch hier gehen.“ Aber in den Synagogen hat die Frau gar keinen Platz, irgendwo hinten, oder draußen, oder im Vorhof.

    MN: Ja. (lacht) ABC: Also das ist nicht so ganz das Richtige. So hat sich das schon verändert, das

    heißt, man hat schon zu den Nachbarn sehr wenig Kontakt. Sehr wenig. Das stört mich heute nicht so sehr. Das hätte mich wahrscheinlich viel mehr gestört, sagen wir mal, solange, wie die Kinder klein sind. Denn wenn man kleine Kinder hat, dann hat man einfach mehr Kontakt mit den Nachbarn. Das ergibt sich so. Ich erinnere mich noch, als meine Tochter klein war, da gab es hier so einen Kr