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Sprache und die Grenzen der Introspektion Markus Werning [email protected] Philosophisches Institut Heinrich-Heine-Universitt D ¨ usseldorf Sprache und die Grenzen der Introspektion c Markus Werning – p.1/26

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Sprache und die Grenzen der Introspektion

Markus Werning

[email protected]

Philosophisches Institut

Heinrich-Heine-Universitt Dusseldorf

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Introspektion und das Selbst

Introspektive Gedanken sind nahezu allgegenwärtigeBegleiter jedes Einzelnen von uns.

Die Fähigkeit der Introspektion scheint darüber hinaus einewesentliche Voraussetzung für den Besitz des Begriffs einesSelbst zu sein. Setzt doch die Repräsentation eines Selbstdie Repräsentation eigener geistiger Zustände voraus.

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Die vermeintliche Evidenz introspektiverGedanken

Den meisten von uns scheint die Existenz introspektiver Gedanken intuitiv alsunzweifelhaft.

Auch prominente Philosophen, zuallererst Descartes, haben behauptet, nichtskönnten wir mit einer solchen Gewißheit gewahr werden wie unserer eigenengeistigen Zustände. So schreibt er in den Meditationen:

[...] so erkenne ich ganz offenbar, daß ich nichts leichter undaugenscheinlicher erkennen kann — als meinen Geist. (Descartes,Meditationes, §16)

Noch Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts haben ähnliche Auffassungenvertreten. So hält beispielsweise Chisholm (1990) einen Gedanken der Form

[Ich denke, daß dies eine Hand ist]für selbstevident.

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Thesen

Obwohl die Existenz introspektiver Gedanken so unzweifelhaft erscheint, ist nichtoffensichtlich wie selbst ihre logische Möglichkeit gegen einigermaßen plausibleHintergrundannahmen verteidigt werden kann.

Tatsächlich ist Introspektion eine höchst voraussetzungsreiche Fähigkeit und nichtzuletzt deswegen äußerst fragil.

Wie ich argumentieren werde, setzt Introspektion die Fähigkeit zur Imagination vonAusdrücken einer phonetischen Sprache voraus.

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Propositionale Einstellungen

Ich werde im folgenden voraussetzen, daß Introspektionen propositionale Einstellungenoder, wie ich kürzer sagen werden, Gedanken sind (umfaßt Wahrnehmungen, Wünsche,Meinungen, Erinnerungen etc). Introspektion spielen auf vielen Gebieten derPhilosophie und Linguistik eine Rolle. Man könnte etwa sagen:

Johnny introspiziert, daß er fühlt, daß sein Schädel brummt.

Armin introspiziert, daß er sieht, daß heute die Sonne scheint.

Manny introspiziert, daß er gewahr ist, daß jede natürliche Zahl einen Nachfolgerhat.

Naomi introspiziert, daß sie nicht versteht, was die Wortreihe ‘Katzen hatschneien’ bedeutet.

Dave introspiziert, daß er sich vorstellen kann, daß es physikalische Duplikate vonihm ohne Bewußtsein gibt.

M.W. introspiziert, daß er wünscht, daß dieser Vortrag bald überstanden ist.

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Gedanken zweiter Stufe

Introspektive Gedanken sind Gedanken zweiter Stufe: Siehaben selbst einen Gedanken (eine propositionaleEinstellungen) zum Gehalt.

Nicht jeder Gedanke einer Person, der einen Gedanken derPerson zum Gehalt hat, ist deshalb aber schon einintrospektiver Gedanke. Drei weitere Bedingungen, die ichnun nennen werde, sollen erfüllt sein.

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1. Bedingung

Introspektive Gedanken sind Berichte von eigenenGedanken.

Aus diesem Grund ist etwa mein Wunsch, daß ich glaubte,daß Gott existiert, kein introspektiver Gedanke, obwohl esein Gedanke zweiter Stufe ist.

Der Wunsch berichtet nicht von meinem Glauben, sondernzielt lediglich auf ihn.

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2. Bedingung

Im Falle der Introspektion ist der Bericht eines Gedankenepistemisch unmittelbar, will sagen, nicht erschlossen.

In dieser Hinsicht ähnelt Introspektion der Perzeption (daher‘Intro-SPEKTION’).

Demzufolge gilt etwa ein Gedanke, der zwar einen bislangunbewußten Wunsch berichtet, aber epistemisch lediglichauf den mündlichen Aussagen eines Psychoanalytikers oderder Anzeige eines Enzephalographen beruht, nicht alsintrospektiv.

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3. Bedingung

Die epistemische Basis eines introspektiven Gedankens ist dem Subjektintern zugänglich (daher ‘INTRO-spektion’).

Jede mentale Repräsentation läßt sich als das Paar 〈s, p〉 aus

ihrem internen Repräsentationsträger — dem internen Symbol — s,undihrem (in der Regel) externen Gehalt — dem Sachverhalt oder derexternalistisch verstanden Proposition— p

verstehen.

Eines Gedanken introspektiv gewahr zu werden besteht deshalb darin, ineiner epistemischen Zugangsrelation (einer informationalen Beziehungoder dergleichen) zu seiner internen symbolische Komponente und nichtzu seinem externen Gehalt zu stehen.

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‘Extrospektion’

Autoren wie Harman (1990) haben in Anschluß an Moore (1903)behauptet, daß wir einer eigenen Wahrnehmung allein durch dieWahrnehmung ihres externen Gehalts gewahr werden. Diese Fälle desGewahrwerdens eines eigenen mentalen Zustands verstehe ich indiesem Vortrag ausdrücklich nicht als Introspektion (siehe dazu aberWerning, in Sàágua et. al.). Vielmehr könnte man diese Form derGewahrwerdung eigener mentaler Zustände als ‘Extrospektion’bezeichnen.

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Direkte und indirekte Rede

Der Unterschied zwischen der Gewahrwerdung eines Gedankensvermittels seiner internen symbolischen Komponente und seinerGewahrwerdung vermittels seines externen propositionalenGehalts ist analog zu dem Unterschied zwischen dem Berichteiner Äußerung mittels direkter und dem mittels indirekter Rede.

Der SatzPeter sagte: ‘Schnee ist weiß ’

berichtet von der Äußerung, indem auf den symbolische Trägerder Äußerung — die Wörter — Bezug genommen wird.

Hingegen berichtet der SatzPeter sagte, daß Schnee weiß ist

von der Äußerung Peters, indem auf ihren Gehalt Bezuggenommen wird.

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Introspektion als ‘mentale Zitation’

Geht man davon aus, daß es sich bei Introspektionen umGedanken zweiter Stufe handelt, die von einem eigenenGedanken mit epistemisch unmittelbaren Bezug auf seineninternen symbolischen Träger berichten, und versteht manZitation nur in einem genügend allgemeinen Sinne, so läßt sichIntrospektion als Zitation auffassen.

Hilfreich ist dabei die Annahme, daß Gedanken sich auf ähnlicheWeise aus Begriffen zusammensetzen wie Sätze aus Wörtern.

Hierbei ist ‘zusammensetzen’ allerdings nicht notwendigerweiseals Konkatenation, sondern allgemeiner als funktionaleAbhängigkeit (wie noch erläutert wird) zu verstehen.

Statt von einer mentalen Repräsentationsstruktur werde ich derEinfachheit halber auch von einer mentalen Sprache sprechen.

Drei Formen der Introspektion sollen im folgenden genauer unterdie Lupe genommen werden.

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Lexikalische Zitation

Dieser unter anderem von Quine (1968) vertretenen, aber auch von Tarski (1956)diskutierten Auffassung zufolge sind Zitationen unstrukturierte singuläre Terme.

Demnach gibt es für jedes primitive oder komplexe Symbol s der (natürlichen odermentalen) Sprache L einen Lexikoneintrag, demzufolge s der Gehalt einesanderen Symbols t aus L ist.

Beispiellexikon:

Der Gehalt von pEmuq ist die Menge aller möglichen Emus;

Der Gehalt von pmüdeq ist die Menge aller möglichen müden Wesen;

Der Gehalt von p‘Emu’q is das Symbol pEmuq;

Der Gehalt von p‘müde’q is das Symbol pmüdeq;

Der Gehalt von p‘müder Emu’q das komplexe Symbol pmüder Emuq;

etc.

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Manko

Die Einführung der lexikalischen Zitation in eine Sprache macht jedeproduktive Sprache zu einer nicht-produktiven Sprache.

Dabei gilt eine Sprache genau dann als produktiv, wenn sie eine endlicheMenge primitiver Symbole besitzt und sich daraus mittels synktaktischerOperationen potentiell unendlich viele komplexe Symbole erzeugenlassen.

Die mentale Sprache ist produktiv, weil es nur endlich viele primitivementale Begriffe, aber unendlich viele daraus zusammengesetzteGedanken gibt.

Lexikalische Zitation eignet sich deshalb nicht als Modell derIntrospektion.

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Holophrastische Zitation

Diese Analyse der Zitation geht auf Reichenbach (1947) zurück undbetrachtet Zitationen als syntaktisch strukturierte Entitäten.

Dabei wird eine syntaktische Operation postuliert, die jedem Symbol denNamen dieses Symbols zuordnet.

Es gibt demnach eine syntaktische Operation

q : L → L

der (natürlichen oder mentalen Sprache) L, so daß folgendes gilt:Wenn s ein Symbol aus L ist, dann

ist q(s) ein Symbol aus L und

µ(q(s)) = s.Dabei ordnet die Funktion µ jedem Symbol aus L seinen Gehalt zu.

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Beispiel

Lexikon:

Der Gehalt von pEmuq ist die Menge aller möglichen Emus;

Der Gehalt von pmüdeq ist die Menge aller möglichen müden Wesen.

Syntaktische Operation q(s) = ‘s’:

Da pEmuq ein Symbol der Sprache ist, ist p‘Emu’q ein Symbol der Sprache;

Da pmüdeq ein Symbol der Sprache ist, ist p‘müde’q ein Symbol derSprache;

Da pmüder Emuq ein Symbol der Sprache ist, ist p‘müder Emu’q ein Symbolder Sprache.

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Semantische Kompositionalität

Viele Autoren (Fodor 1988, 1998, 2003; Murphy 2002; Pylyshyn 1986;Werning 2003a, 2003b) haben argumentiert, daß mentaleRepräsentationen semantisch kompositional sind.

Das Prinzip der semantischen Kompositionalität besagt, daß der Gehalteines komplexen Symbols von dem Gehalt seiner syntaktischenTeilsymbole bei gegebener syntaktische Struktur determiniert wird.

Formal nennen wir eine (natürliche oder mentale) Sprache L semantischkompositional, wenn die Symbole von L von einer Funktion µ auf ihreGehalte abgebildet werden, so daß für jede syntaktische Operation α vonL eine Funktion µα existiert und, wann immer α für das n-Tupel vonSymbolen (s1, ..., sn) definiert ist, folgendes gilt:

µ(α(s1, ..., sn)) = µα(µ(s1), ..., µ(sn)).

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Holophrastische Zitation verletztKompositionalität

Annahme: µ(pPaul und Peter sind Brüderq) = µ(pPeter und Paul sind Brüderq). (1)

Aber: pPaul und Peter sind Brüderq 6= pPeter und Paul sind Brüderq. (2)

Nach der Methode der holophrastischen Zitation folgt:

µ(p‘Paul und Peter sind Brüder’q) = µ(q(pPaul und Peter sind Brüderq)) (3)

= pPaul und Peter sind Brüderq. (4)

µ(p‘Peter und Paul sind Brüder’q) = µ(q(pPeter und Paul sind Brüderq)) (5)

= pPeter und Paul sind Brüderq. (6)

Aus (2), (4), (6) folgt:

µ(q(pPaul und Peter sind Brüderq)) 6= µ(q(pPeter und Paul sind Brüderq)). (7)

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fortgesetzt

Jedoch existiert nach dem Kompositionalitätsprinzip eine Funktion µq , so daß

µ(q(pPaul und Peter sind Brüderq)) = µq(µ(pPeter und Paul sind Brüderq)). (8)

Ersetzung von Identischem nach (1):

µ(q(pPaul und Peter sind Brüderq)) = µq(µ(pPaul und Peter sind Brüderq)). (9)

Ein weitere Anwendung des Kompositionalitätsprinzips ergibt:

µ(q(pPaul und Peter sind Brüderq)) = µ(q(pPeter und Paul sind Brüderq)). (10)

Dies widerspricht (7).

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Zwischenresultat

Introspektion im Sinne der lexikalischen Zitation zu verstehen erweistsich als ebenso mangelhaft, wie sie im Sinne der holophrastischenZitation zu analysieren.

Ersteres scheitert an der Bedingung der Produktivität. Letzteres an derBedingung der Kompositionalität.

Zumindest in Bezug auf natürliche Sprachen, in denen Symbole (Wörter,Morpheme) aus Phonemen zusammengesetzt sind, die selbst keinerepräsentationale Funktion haben, gibt es noch eine dritte Möglichkeit,Zitation zu analysieren.

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Phonologische Zitation

Dieser Auffassung zufolge werden sprachliche Ausdrücke mit Bezug aufihre phonologische subsymbolische Struktur zitiert.

Demnach gibt es in der natürlichen Sprache L eine Teilmenge P vonSymbolen für primitive phonetische Elemente, so daß

jede endliche Konkatenation von Elementen aus P — d.h., jedeRepräsentation einer Sequenz von Phonemen— ein Symbol von L

ist undes für jedes Symbol s aus L ein Element q im Abschluß der Menge P

bezüglich der Konkatenation gibt, so daß s der Gehalt von q ist.

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Beispiel

Lexikon:

Der Gehalt von pEmuq ist die Menge aller möglichen Emus;

Der Gehalt von p‘e’q ist der lange vordere halbgeschlossene Vokal peq;

Der Gehalt von p‘m’q ist der labiale nasale Konsonant pmq;

Der Gehalt von p‘u’q ist der hintere hohe Vokal puq.

Syntaktische Operation: Phonologische Konkatenation:

Da p‘e’q und p‘m’q Symbole der Sprache sind, ist p‘em’q ein Symbol derSprache.

Da p‘em’q und p‘u’q ein Symbol der Sprache sind, ist auch p‘emu’q einSymbol der Sprache.

Anmerkung: Diese Darstellung der phonologischen Tatsachen ist extremvereinfacht.

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Zusammenfassung

Introspektive Gedanken sind Gedanken zweiter Stufe, die einen eigenenGedanken mit epistemisch unmittelbarem Bezug auf dessen internensymbolischen Träger berichten.

Demnach muß jeder introspektive Gedanke im allgemeinen Sinne als die Zitationeines Gedanken verstanden werden.

Das einzige produktive und kompositionale Modell von Zitation ist das derphonologischen (subsymbolischen) Zitation.

Da mentale Repräsentationsstrukturen produktiv und kompositional sind, mußIntrospektion als Form der phonologischen Zitation verstanden werden.

Deshalb kann ein Subjekt sich nur derjenigen seiner propositionalen Einstellungenintrospektiv gewahr werden, die eine epistemisch unmittelbar zugänglichephonologische Struktur haben.

Dies sind lediglich die Gedanken, die die Form imaginierter Ausdrücke einerphonetischen Sprache haben.

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Korrelationen

Die Ergebnisse unserer Überlegungen implizieren, daß es eine direkteKorrelation zwischen dem Besitz einer phonetischen Sprache und derFähigkeit zur Introspektion gibt.

Da die Fähigkeit zur Introspektion aber eine notwendige Voraussetzungfür die unmittelbare Gewahrwerdung seines eigenen seelischen Selbstist, müßte es auch eine Korrelation zwischen dem Besitz einerphonetischen Sprache und der Fähigkeit zur Selbst-Gewahrwerdung(Self-awareness) geben.

Genau diese Voraussage bestätigen einschlägige empirische Befunde.

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Empirische Bestätigung I

Klinische Befunde:

Der Verlust des inneren Sprechens nach einem Schlaganfallbeeinträchtigt das Selbst-Gewahrsein (Moss, 1972).

Selbstbewußtsein und inneres Sprechen erholen sich bei Patienten mitkortikalem Schaden gleichzeitig (Ojemann, 1986).

Störungen beim inneren Sprechen (Gedanken-Lautwerdung) führen zuIch-Störungen bei Patienten mit Schizophrenie.

Experimentelle Befunde:

Qualitative Messungen der Korrelation von innerem Sprechen undSelbst-Gewahrsein sind positiv (Morin & al., 1993; Rivest & Khawaja,1995; Siegrist, 1995).

Individuen mit hohem Grad an Selbst-Gewahrsein verwenden inneresSprechen häufiger als Individuen mit niedrigerem Grad an Selbst-Gewahrsein (Siegrist, 1996).

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Empirische Bestätigung II

Vergleichende und entwicklungspsychologische Studien:

Sprache ist grundlegend beim Erwerb einer Theorie des Geistes (ToM)(Astington & Jenkins, 1999; Pascual & al., 2002).

Nicht-sprachlichen Primaten fehlt die Fähigkeit, fremd-psychischeZustände kognitiv zu verarbeiten (Povinelli, 2000).

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse:

Innere Sprache und Selbst-Gewahrwerdung scheinen eine gemeinsameneurologische Basis zu haben: den linken inferioren frontalen Gyrus(Morin, 1999; Craik & al., 1999; McGuire & al., 1996).

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